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Türkeis neue Außenpolitik.

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Kommune 6/2012<br />

WOLFGANG MOUSIOL<br />

Ein Land mit Weltbedeutung<br />

Die fünf Säulen einer zukünftigen türkischen <strong>Außenpolitik</strong><br />

Für die Stellung der Türkei, für die Betrachtung<br />

der türkischen <strong>Außenpolitik</strong>, ist es<br />

zunächst einmal wichtig, sich der Grundlagen<br />

der türkischen Politik zu vergewissern.<br />

Ohne sie ist ein Verständnis der heutigen<br />

türkischen <strong>Außenpolitik</strong> nicht möglich. Die<br />

türkische Politik beruht auf den drei unterschiedlich<br />

gewichteten Vorstellungen von<br />

Türkentum, Islam und säkularer, westlicher<br />

Orientierung. Es handelt sich hierbei um<br />

eine türkisch-islamische Synthese, die in<br />

ihrer turkislamischen Ausrichtung als eine<br />

Politik von Nationalismus und Islam beschrieben<br />

werden kann, mit einer eindeutigen<br />

Dominanz des ethnisch-kulturellen Türkentums.<br />

Europa ist da nur ein Bezugspunkt.<br />

Inden vergangenen Jahren findet in Teilen<br />

der Gesellschaft und auch in der politischen<br />

Elite eine zunehmende, stark emotional<br />

geprägte Rückbesinnung auf das osmanische<br />

Zeitalter statt. Inwieweit diese teilweise verklärten<br />

Vorstellungen Eingang in die aktuelle Politik<br />

finden,kann zurzeit noch nicht verifiziert werden.<br />

Viele Beobachter der türkischen Politik<br />

umschreiben die jetzige türkische <strong>Außenpolitik</strong><br />

kritisch als zunehmend neo-osmanisch.<br />

Die türkische <strong>Außenpolitik</strong> nach Ende des<br />

Zweiten Weltkrieges zeichnete sich durch drei<br />

Bereiche aus.<br />

Erstens, die Einbindung der Türkei in die<br />

westlichen Militärbündnisse über den Beitritt<br />

zur NATO.<br />

Zweitens, die konfliktdynamischen Beziehungen<br />

zu Griechenland und die damit einhergehende<br />

Zypernfrage.<br />

Drittens, eine wirtschaftliche und politische<br />

Annäherung an Westeuropa, insbesondere an<br />

die Europäische Gemeinschaft.<br />

Als besonders belastend fungierte die Zypernpolitik.<br />

Hier kam es immer wieder zu Verwerfungen<br />

zwischen der Türkei und seinen<br />

Hauptbündnispartnern, den Vereinigten Staa-<br />

ten und den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Gemeinschaft. Mit der Besetzung von Nordzypern<br />

durch türkische Truppen im Jahre 1974<br />

erfolgte ein vierjähriges, nicht erfolgreiches<br />

Waffenembargo durch die US-Amerikaner. Die<br />

Türkei veränderte ihre Zypernpositionen jedoch<br />

nicht. Die imperialistische Zypernpolitik<br />

ist bis heute noch ein außenpolitisches Axiom<br />

der Türkei. Eine <strong>neue</strong> Dimension erlangte der<br />

Konflikt in diesem Jahr, nachdem die griechischen<br />

Zyprer begonnen haben, im östlichen<br />

Mittelmeer nach Energievorkommen zu bohren.<br />

Als Folge erhöhte die türkische Marine<br />

ihre Präsenz in diesem Gebiet und drohte offen<br />

eine militärische Intervention an.<br />

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion<br />

begann für die türkische <strong>Außenpolitik</strong> eine <strong>neue</strong><br />

Ära. Alle türkischen Regierungen förderten die<br />

Transformation der Türkei zu einer Regionalmacht.<br />

Ausgangspunkt war zunächst das türkische<br />

Verständnis, natürliche Schutzmacht aller<br />

Turkstaaten zu sein. Mit oftmals pantürkischen<br />

Fantasien wurde versucht, die politischen, wirtschaftlichen<br />

und kulturellen Beziehungen zu<br />

den asiatischen Turkstaaten aufzubauen. Mit<br />

dieser Politik geriet die Türkei immer stärker<br />

in Konflikt mit Russland und China.<br />

Seit der Regierungsbildung durch islamistisch<br />

geprägte Parteien versucht die Türkei<br />

eine Annäherung zur islamischen Staatenwelt.<br />

Gleichzeitig erfolgt eine evolutionäre Distanz<br />

zu Israel, begleitet von einer zunehmend kritischen<br />

Bündnispolitik gegenüber den Vereinigten<br />

Staaten.<br />

Die türkische <strong>Außenpolitik</strong> zu ihren direkten<br />

Nachbarn wird von vielfältigen Konflikten<br />

bestimmt. Betrachten wir die außenpolitischen<br />

Konfliktfelder nach Staaten differenziert,<br />

so ergeben sich konfliktdynamische Prozesse<br />

besonders zu Griechenland, Russland, Syrien,<br />

Irak, Iran und vor allem Armenien.<br />

TÜRKISCHE AUSSENPOLITIK<br />

Die Politik gegenüber Griechenland wird<br />

von drei Konfliktfeldern beherrscht. Es sind der<br />

Zypernkonflikt, der Streit um die Herrschaftsräume<br />

in der Ägäis und damit im direkten Zusammenhang<br />

der Zugriff auf die Erdöllagerstätten,<br />

mithin der Kampf um die Ausbeutung<br />

der Meeresschätze. Aufgrund des starken Wirtschaftswachstums<br />

der Türkei und der damit<br />

verbundenen erhöhten Nachfrage nach Energie<br />

wird dieser Konflikt in Zukunft noch stärker die<br />

türkische <strong>Außenpolitik</strong> bestimmen. Aktuell findet<br />

eine realpolitische Annäherung zwischen<br />

Griechenland und der Türkei statt, die zu einer<br />

vorläufigen Entspannung zwischen den beiden<br />

Staaten führte. Eine endgültige Lösung der Konflikte<br />

scheint noch nicht möglich, da beide Seiten<br />

emotional weit voneinander entfernt sind.<br />

Die Wurzel liegt im Griechisch-Türkischen<br />

Krieg 1919–1922, der mit einer Niederlage der<br />

Griechen endete. Im kollektiven Gedächtnis<br />

nehmen die Griechen die Niederlage gegen die<br />

Türken als eine »kleinasiatische Katastrophe«<br />

wahr. In der türkischen Geschichtsschreibung<br />

wird der erfolgreiche Krieg gegen die Griechen<br />

als »türkischer Befreiungskrieg« vermittelt. Infolge<br />

des Krieges mussten Hunderttausende<br />

von Griechen und Türken ihre angestammte<br />

Heimat im jeweils anderen Land verlassen.<br />

Historisch ist das Verhältnis zu Russland<br />

durch Kriege bestimmt sowie durch das Aufeinanderprallen<br />

christlich-orthodoxer und islamisch-sunnitischer<br />

Werte geprägt. Die aktuellen<br />

Konflikte mit Russland haben ihren Grund<br />

in der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen<br />

Einflussnahme auf die ehemaligen<br />

Turkrepubliken der Sowjetunion und der von<br />

der Türkei angestrebten Neuverteilung der natürlichen<br />

Ressourcen im Kaukasus und in Kleinasien.<br />

Im Vordergrund stehen die Ölreserven<br />

im Kaspischen Meer.<br />

Gegenwärtig versuchen beide Länder die<br />

Spannungen abzubauen und ein konfliktfreies<br />

79


ZUR ZEIT<br />

80<br />

Verhältnis zueinander zu finden. Besonders im<br />

Wirtschafts- und Energiesektor findet eine verstärkte<br />

partnerschaftliche Zusammenarbeit<br />

statt. So ist Russland heute einer der wichtigsten<br />

Energielieferanten für die Türkei. Möglich<br />

wurde diese Annäherung auch, weil die Türkei<br />

bei ihrer bisherigen Politik gegenüber den Turkrepubliken<br />

wenig erfolgreich war und dieses<br />

Politikfeld nicht mehr so nachhaltig und aggressiv<br />

betreibt. Auch hier hat sich die Realpolitik<br />

in der türkischen <strong>Außenpolitik</strong> durchgesetzt.<br />

Strategisch wird es jedoch weiterhin<br />

ein wichtiges Ziel sein, die Turkrepubliken stärker<br />

an die Türkei anzubinden.<br />

Syrien beansprucht gegenüber der Türkei<br />

die Provinz Hatay und unterstützte in der Vergangenheit<br />

die kurdische PKK. Mit der Verkündung<br />

der sogenannten Null-Probleme-Politik<br />

gegenüber den Nachbarn wandelte sich die historisch-emotionale<br />

<strong>Außenpolitik</strong> zur türkischen<br />

Realpolitik. Dies führte zu einem entspannten<br />

Verhältnis zu Syrien. Zwischen beiden Staaten<br />

wurde die Visafreiheit eingeführt und die wirtschaftlichen<br />

Beziehungen neu belebt. Es entwickelte<br />

sich in den Grenzregionen ein kleiner<br />

wirtschaftlicher Aufschwung, der gerade auch<br />

in der umstrittenen Provinz Hatay zu Fortschritten<br />

führte, von denen auch die syrische<br />

Seite profitiert.<br />

Ungeklärt ist weiterhin der Konflikt über<br />

das Euphrat-Wasser. Im Rahmen des »Südostanatolien-Projektes«<br />

werden insgesamt 22 Staudämme<br />

und 19 Wasserkraftwerke errichtet. Für<br />

Syrien ist der Euphrat die wichtigste Wasserquelle<br />

des Landes. Vom Euphrat-Wasser nutzt<br />

Syrien 83 Prozent für die überlebenswichtige<br />

Landwirtschaft. Die Türkei hat die Möglichkeit,<br />

eine machtpolitische Wasserpolitik gegenüber<br />

Syrien zu betreiben. Zwar hat sich die Türkei<br />

gegenüber Syrien verpflichtet, eine bestimmte<br />

Wassermenge zu garantieren und ist bisher<br />

seinen Verpflichtungen auch nachgekommen,<br />

das vorhandene Misstrauen auf syrischer Seite<br />

konnte jedoch noch nicht ausgeräumt werden.<br />

Die Beziehungen zum Irak sind ebenfalls<br />

geprägt von Wasserkonflikten aufgrund des Südostanatolien-Projektes,<br />

einer Unterstützung der<br />

turkmenischen Minderheit in Kirkuk und Mosul<br />

sowie einer realpolitischen Haltung gegenüber<br />

der autonomen Kurdenregion. Hinzu<br />

kommt die einseitige Parteinahme der Türkei<br />

zugunsten der irakischen Sunniten.<br />

Die Unterstützung der turkmenischen Minderheit<br />

in Kirkuk hat vor allem auch wirtschaftliche<br />

Gründe. Man erhofft sich einen direkten<br />

Zugriff auf die Ölfelder in Kirkuk. Langfristig<br />

will die Türkei eine starke autonome Kurdenprovinz<br />

oder gar einen eigenständigen Kurden-<br />

staat verhindern. Zu groß ist die Angst, dass dadurch<br />

die innertürkischen Konflikte mit den<br />

Kurden erneut zu einer Eskalation führen und<br />

den wirtschaftlichen Aufschwung binden.<br />

Im Irak lebt eine starke schiitische Minderheit.<br />

Die Befürchtung der Iraker besteht in einer<br />

Unterstützung der irakischen Sunniten durch<br />

die Türkei. Dies könnte zu einem Bürgerkrieg<br />

und letztlich zu einer Spaltung des Landes führen.<br />

An einem derartigen Szenario hat die Türkei<br />

jedoch kein Interesse. Die Türkei braucht<br />

stabile politische Verhältnisse. Nur so steht ihnen<br />

der Irak als verlässlicher Wirtschaftspartner<br />

langfristig zur Verfügung.<br />

Armenien erkennt die Grenzen zur Türkei<br />

nicht an. Die Türkei beruft sich auf den 1921<br />

geschlossenen Vertrag von Kars und lehnt Verhandlungen<br />

über eine für beide Seiten befriedigende<br />

Grenzlösung kategorisch ab. Auch hat<br />

die Türkei bis heute den Völkermord an den<br />

Armeniern nicht anerkannt. Zudem sieht sich<br />

die Türkei wieder einmal als Schutzmacht von<br />

Aserbaidschan, sodass die Besetzung von Berg-<br />

Karabach durch Armenien eine weitere Belastung<br />

im Verhältnis der beiden Staaten darstellt.<br />

Beide Staaten haben 2009 ein Abkommen<br />

über die Normalisierung der Beziehungen abgeschlossen.<br />

Dieser Vertrag wurde aber nie mit<br />

Leben gefüllt. Die Beziehungen zu Armenien<br />

sind somit weiterhin stark belastet. Eine Annäherung<br />

ist auch durch die <strong>neue</strong> Null-Probleme-Politik<br />

der Türkei nicht erkennbar.<br />

Die Beziehungen zum Iran waren trotz der<br />

unterschiedlichen islamischen Ausrichtung und<br />

der verschiedenen Staatssysteme relativ gut. Mit<br />

der zunehmend kritischen Haltung gegenüber<br />

Israel verbesserte sich das Verhältnis beider<br />

Staaten nochmals. Im internationalen Atomstreit<br />

mit dem Iran nahm die Türkei eine Vermittlerrolle<br />

ein und sprach sich eindeutig gegen<br />

jede militärische Aktion gegen den Iran aus.<br />

Mit zunehmender Unterstützung des palästinensischen<br />

Anliegens durch die Türkei stehen<br />

beide Länder in einem Konkurrenzverhältnis<br />

über die Machtverteilung im Nahen und Mittleren<br />

Osten gegeneinander. Verstärkt wird diese<br />

Konkurrenz noch durch den wieder ausgebrochenen<br />

Gegensatz zwischen dem schiitischen<br />

und sunnitischen Islam. Die Türkei versteht sich<br />

als Führungsmacht der sunnitischen Muslime<br />

und wird versuchen, den schiitischen Einfluss<br />

im Nahen Osten zurückzudrängen. Für die Iraner<br />

wurde dies besonders in der Parteinahme<br />

für die irakischen Sunniten deutlich.<br />

Eine Neuausrichtung ihrer <strong>Außenpolitik</strong> deklarierte<br />

die Türkei 2008. Kerne dieser Neuausrichtung<br />

sind die »Null-Probleme-Politik«<br />

gegenüber den Nachbarstaaten, mit dem Ziel<br />

der Herstellung guter Beziehungen zu diesen,<br />

um dadurch eine politische Stabilität im nahen<br />

geografischen Raum zu erzielen, sowie eine<br />

»Multidimensionale Politik«, die die bisherige<br />

eher einseitige Ausrichtung nach Westen durch<br />

eine verstärkte Hinwendung zu den ehemaligen<br />

Kolonien, den arabischen Staaten ablöst.<br />

Diese <strong>neue</strong> Politikausrichtung wird von vielen<br />

Kritikern als »neo-osmanische« <strong>Außenpolitik</strong><br />

bezeichnet.<br />

Leiten wir aus dieser Neuausrichtung konkrete<br />

strategische Politikinhalte her, so wird<br />

die zukünftige türkische <strong>Außenpolitik</strong> auf fünf<br />

Säulen stehen:<br />

— Erstens, rohstoff- und energieorientiert, Sicherung<br />

der benötigten Rohstoffe,um die weitere<br />

wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen.<br />

— Zweitens, Übernahme der politischen Führungsrolle<br />

der sunnitisch geprägten Staaten im<br />

Nahen und Mittleren Osten.<br />

— Drittens, eine realpolitische Ausrichtung ihrer<br />

Turkstaatenpolitik, mit dem Ziel, diese stärker<br />

wirtschaftlich und politisch an die Türkei<br />

zu binden.<br />

— Viertens, Neuausrichtung ihrer Bündnispolitik,<br />

durch das Eingehen von <strong>neue</strong>n Bündnissen.<br />

— Fünftens, eine rein strategisch ausgerichtete<br />

flexible Europapolitik, mit einer auf Langfristigkeit<br />

ausgerichteten Beitrittsperspektive.<br />

Die Türkei wird stärker mit den Staaten kooperieren,<br />

die langfristig den steigenden Rohstoff-<br />

und Energiebedarf der Türkei decken<br />

können. In diesem Politikbereich wird die Türkei<br />

in direkter Konkurrenz auch zu den bisherigen<br />

Bündnispartnern und der Europäischen<br />

Union stehen. Sie wird <strong>neue</strong> interessenorientierte<br />

Partnerschaften eingehen. Bereits heute<br />

schon findet eine begrenzte Zusammenarbeit<br />

mit Russland, China und Brasilien statt, die in<br />

den nächsten Jahren stärker ausgebaut werden<br />

soll.<br />

Das Verhältnis zu den arabischen Staaten<br />

war lange Zeit durch die arabischen Erfahrungen<br />

mit dem osmanischen Imperialismus belastet.<br />

Auch wurde das gute Verhältnis der Türkei<br />

zu Israel und den Vereinigten Staaten von<br />

den Arabern kritisch gesehen. Dies hat sich völlig<br />

verändert. Die zunehmende Anti-Israel-Haltung,<br />

die offene Unterstützung für die Palästinenser,<br />

der Widerstand gegen militärische<br />

Aktionen bezüglich Iran und nicht zuletzt der<br />

wirtschaftliche Aufschwung eines islamischen<br />

Staates führten zu einer veränderten Einstellung<br />

gegenüber der Türkei durch die arabische<br />

Staatenwelt.<br />

Kommune 6/2012


Kommune 6/2012<br />

Gelb von den Gallensteinen der Bisons<br />

Wäre noch zu entdecken: Yüksel Arslan<br />

und seine Artures<br />

Er hatte eine liebe Lehrerin, der 1933 in Istanbul geborene Yüksel Arslan, die<br />

merkte bald, dass der Junge nicht auf die Hand gefallen war und spornte ihn<br />

an. Der indes war auch nicht auf den Kopf gefallen, das hält er selbst fest, und<br />

überlegte folgenreich, wie er im Überangebot bunter Bilder und bunter Hunde<br />

herausragen könne, ein Alleinstellungsmerkmal kreieren, würde ein Manager<br />

heute sagen. Da waren erst mal die Farben: Arslan ließ die Finger von Töpfen<br />

und Tuben und ging zurück zu den Zeiten mystischer Zeichen und magischer<br />

Schminke, die aus Mutter Erde und ihren Geschöpfen gescharrt und getrocknet<br />

wurden. Erden, Mineralien, Pflanzen, Tiere. Von den Indianern zum Beispiel<br />

das Gelb aus dem Zerreiben des Gallensteins des Bisons, das Blau durch<br />

Backen von Entenkot. Das Reiben, das Vermischen zum Pastösen ist ein sinnlicher<br />

Akt, der auf spätere Höhepunkte der Sinnlichkeit schon verweist. Dann<br />

aber die Erden! Sie grundieren all seine Bilder und geben ihnen die warmen<br />

und gediegenen Töne alter türkisch-orientalischer Teppiche, auf denen später<br />

kleine Sauereien umso lustiger zur Wirkung kommen. Auf den frühesten Bildern<br />

ist es so, als hätten sich dünne Besucher aus der Comicwelt an die Höhlenwände<br />

geschlichen. Später dann, als säße die halbe europäische Aufklärung<br />

und künstlerische Avantgarde auf den Teppichen fest.<br />

Denn, und das ist das zweite »Alleinstellungsmerkmal«: Arslan las und<br />

liest vielleicht noch lieber, als er malt. 1962 ging er nach Paris und hatte schnell<br />

Kontakt zur Szene. Müßig, alle aufzuzählen. Er kannte sie alle und hob sie in<br />

seine Bilder. Sofern ihre Äußerungen ihm intelligent oder poetisch genug waren.<br />

Er ist Fan der Intelligenz. Er setzt ihre Köpfe am Rande der Karikatur aufs<br />

Blatt und umwebt oder umspült sie mit ihren Texten oder seinen Reflexionen<br />

darüber und er bildet Karten der Beeinflussungen und Denkfamilien. Beziehungsgeflechte.<br />

Im schavanschen Sinne könnten wir von Intelligenz-Clustern<br />

sprechen. Es erinnert an die Arbeiten der »Art Brut«, der Wölfli- oder Walla-<br />

Schule, wo wir ähnlichen Spielplätzen aus Texten und Bildern begegnen. Nur<br />

dass bei Arslan die Texte Culturepearls sind und weniger depperte kleine Entlallungen.<br />

Gleichwohl widmet er ganze Serien den Geisteskrankheiten und<br />

Seelennöten, was im Umgang mit zu vielen Künstlern auf der Hand liegt. Auch<br />

große Musiker, durchaus moderne darunter, bringt er auf seine Tafeln, wobei<br />

ihm nicht wichtig scheint, deren Musik zu kennen – »keine Zeit zum Hören<br />

gehabt« –, sondern ob deren Schriften gescheite Gedanken enthielten. So er<br />

selbst sich eben als ein Zwitterding zwischen Maler und allerlei andere Künste<br />

Gebrauchender und Kommunizierender versteht und seine Werke »Artures«<br />

nennt – aus Kunst und einem im Fach häufigen Suffix –, die er durchnummeriert<br />

von alters her bis jetzt, gut zum 700sten. Unter den kritischen Augen<br />

seiner Frau begann er, und das hat gedauert, sich auch für Politik zu interessieren.<br />

Begriff sofort, dass er dann Marx/Engels/Lenin lesen müsse und fertigte<br />

zwei großartige Serien über das »Kapital« und die »Aktualisierung des<br />

Kapitals«, in erster die marxsche Zusammenschau von Fabrik und Kaserne,<br />

Die Türkei hat es sehr geschickt verstanden,<br />

sich als sunnitischer Staat zu präsentieren, der<br />

auch gegen Widerstände der westlichen Welt<br />

islamische Interessen vertritt. Ebenfalls hat sich<br />

die Türkei schnell den veränderten politischen<br />

Verhältnissen in einigen arabischen Ländern<br />

angepasst und teilweise diese Veränderungen<br />

auch wirtschaftlich unterstützt. Mit Verweis auf<br />

den wirtschaftlichen Erfolg und die politische<br />

Stabilität in der Türkei tritt diese glaubwürdig<br />

für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf, ohne<br />

die Befindlichkeiten der islamisch und islamistisch<br />

geprägten <strong>neue</strong>n politischen Eliten<br />

zu negieren. Der einzige Konkurrent um die<br />

politische Vormachtstellung im Nahen und<br />

Mittleren Osten, Ägypten, ist aufgrund seiner<br />

desolaten wirtschaftlichen Entwicklung nicht<br />

in der Lage, dem türkischen Anspruch etwas<br />

entgegenzusetzen.<br />

Das Verhältnis und die Politik gegenüber<br />

den Turkstaaten waren seit dem Untergang<br />

der Sowjetunion emotional-pantürkisch orientiert<br />

und wenig von Erfolg gekrönt. Die Turkstaaten<br />

waren nicht bereit, ihre alte, gerade<br />

abgeworfene Abhängigkeit von Moskau gegen<br />

eine <strong>neue</strong> Abhängigkeit von Ankara auszutauschen.<br />

Die politischen und wirtschaftlichen<br />

Bindungen zu Russland waren und sind auch<br />

heute noch zu eng, um sich stärker der Türkei<br />

zuzuwenden. Die politischen Eliten in diesen<br />

»Summer Dressing«, 1965, 77,5 x 61 cm, Martex Collection, Malakoff<br />

TÜRKISCHE AUSSENPOLITIK<br />

in zweiter geradezu aktuell den heutigen kapitalistischen Kannibalismus<br />

darstellend, in genauen »Wimmelbildern« – immer auf altem Grund.<br />

Im Philosophischen Nietzscheaner, war der Weg zu Bataille geebnet, den er<br />

gerne auch als Ganzkörperpenis darstellt. Wo wir bei der verheißenen »Sinnlichen«<br />

sind. Unter den spannenden »Setzkästen«, die er gerne malend anrichtet,<br />

gefüllt mit Sand und Tand, finden wir auch welche mit Geschlechtsteilen<br />

sonder Zahl. Irgendwie habens die Beschnittenen mit den »Pimmeln«. Ein<br />

Skelett beklebt er oben mit einem Bart (Nietzsche) und unten mit einem ziemlichen<br />

Rohr (Bataille), und solche Teile gibts in allen Vorkommensformen. Erhellend<br />

ist auch die wissenschaftliche Arbeit über den Zusammenhang von Gehirnmasse<br />

und Hodengewicht plus Sack, droit & gouche. Da gerät das weibliche<br />

Geschlechtsteil, mit Liebe und Neugier, vielleicht etwas gruselig gestaltet, fast<br />

in den Hintergrund. Mehr noch Zusammenpassung. Fast. Wilhelm Pauli<br />

Yüksel Arslan: Artures, Ostfildern (Verlag Hatje Cantz) 2012 (271 S., dt./engl., etwa 200 artures,<br />

39,80 ) – Ausstellung in der Kunsthalle Wien vom 18.1. bis 13.3.2013<br />

Ländern lehnten zudem eine pantürkische Umarmung<br />

und Vereinnahmung rundum ab. Die<br />

türkische Politik hat von diesem Misserfolg<br />

gelernt und als Konsequenz ihre Annäherungsund<br />

Vereinnahmungspolitik verändert. Sie formuliert<br />

eine Realpolitik der evolutionären Angleichung<br />

wirtschaftlicher Strukturen, ohne<br />

zunächst auf den politischen Prozess Einfluss<br />

auszuüben. Instrumente hierzu sind die Investitionspolitik,<br />

Entwicklungspolitik und eine<br />

partnerschaftliche Wirtschaftspolitik. Für die<br />

Türkei ist es wichtig, dass die Beziehungen zu<br />

Russland nicht gestört werden, wenngleich man<br />

bereit ist, in einzelnen Politikfeldern Konflikte<br />

mit Russland auszutragen.<br />

81


ZUR ZEIT<br />

82<br />

Durch den wirtschaftlichen Aufschwung bestärkt<br />

tritt die Türkei immer selbstbewusster<br />

und interessenorientierter ihren Bündnispartnern<br />

gegenüber. Man spricht auch schon<br />

von einer Emanzipation der Türkei von den<br />

Vereinigten Staaten und von Europa. Besonders<br />

deutlich wird dies in der Zypernfrage, dem<br />

Nordirak-Konflikt und dem Verhältnis zu Israel<br />

sowie der abweichenden Haltung in der Iranfrage.<br />

Die Türkei sucht und findet <strong>neue</strong> Partner.<br />

So hat die Türkei mit China gemeinsame Militärmanöver<br />

durchgeführt, ohne zuvor ihre<br />

NATO-Bündnispartner zu unterrichten. In vielen<br />

Bereichen decken sich die Interessen der<br />

Türkei mit denen von Russland, China und Brasilien.<br />

Hier wird die Türkei eine sehr flexible<br />

Realpolitik betreiben. Dies wird jedoch nicht<br />

zu einer grundsätzlichen Abkehr von den Vereinigten<br />

Staaten führen. Im Gegenteil werden<br />

die Vereinigten Staaten langfristig der wichtigste<br />

Bündnispartner der Türkei bleiben. Die<br />

Türkei wird jedoch viel stärker als in der Vergangenheit<br />

ihre Interessen eindeutig formulieren<br />

und auch gegen US-amerikanische Widerstände<br />

diese durchsetzen. Als Vorbild dient<br />

die Politik Israels, das trotz seines guten Verhältnisses<br />

zu den Vereinigen Staaten eine von<br />

diesen völlig losgelöste <strong>Außenpolitik</strong> betreibt.<br />

Die Amerikaner sind für die Türkei auch<br />

aus energiepolitischer Sicht wichtig. So versuchen<br />

die Vereinigten Staaten, Einfluss auf die<br />

politischen Entwicklungen um das Kaspische<br />

Meer und im Kaukasus zu nehmen. Diese Politik<br />

steht im Widerspruch zu den historisch<br />

gewachsenen machtpolitischen Ansprüchen der<br />

Russen in diesen Gebieten. Die Türkei als Partner<br />

US-amerikanischer Politik bei der Ausbeutung<br />

der Ölreserven in den dortigen Ländern<br />

sichert die USA im Konfliktfall mit Russland<br />

zusätzlich ab.<br />

Die Türkei hat sich bisher immer als ein<br />

verlässlicher Bündnispartner der NATO erwiesen.<br />

Hieran wird sich nichts ändern. Gerade<br />

dies wird Ausdruck der <strong>neue</strong>n multidimensionalen<br />

<strong>Außenpolitik</strong> sein, verschiedene Bündnisse<br />

einzugehen.<br />

Die Europapolitik der Türkei wird sich nachhaltig<br />

verändern. Europa ist nicht mehr so<br />

wichtig, weder wirtschaftlich noch politisch.<br />

Der wirtschaftliche Austausch mit Europa ist<br />

rückläufig, mit den arabischen Staaten zunehmend.<br />

Zudem bindet sich die Türkei wirtschaftlich<br />

stärker an Russland und auch an China.<br />

Langfristig verschiebt sich die wirtschaftliche<br />

Perspektive der Türkei von West nach Ost. Das<br />

bedeutet nicht eine Entfernung der Türkei von<br />

Europa, sondern lediglich eine Verschiebung<br />

Yüksel Arslan: »Capital II (Hand)«, 1970, 38,3 x 48,8 cm, Privatsammlung<br />

der Prioritäten im Sinne der <strong>neue</strong>n Politikausrichtung<br />

»multidimensional«.<br />

Die Türkei wird als Partner selbstbewusster<br />

und schwieriger werden. Dies zeigen die innertürkischen<br />

Diskussionen über einen Beitritt<br />

der Türkei zur Europäischen Union. Es findet<br />

eine verstärkte Interessenartikulation statt, weg<br />

vom europäischen Diktat, hin zu partnerschaftlichen<br />

Beitrittsformulierungen. Die Türkei will<br />

Mitglied der Europäischen Union werden. Dieses<br />

Ziel steht nicht zur politischen Diskussion.<br />

Ein Betritt wird aber nicht mehr zu allen Forderungen<br />

und Bedingungen angestrebt. Die<br />

Türkei geht von einer zukünftigen, langfristigen<br />

Beitrittsmöglichkeit aus, durchaus unter<br />

Beachtung demografischer Veränderungen zu<br />

ihren Gunsten in Europa.<br />

Die Türkei ist als Regionalmacht längst angekommen.<br />

Langfristig wird sich die Türkei<br />

zu einer Großmacht entwickeln. Indikatoren<br />

sind das hohe Bevölkerungswachstum und veränderte<br />

wirtschaftliche Strukturen. Die Türkei<br />

ist von der Entwicklung her vergleichbar mit<br />

China, Brasilien und Indien. Vorteilhaft sind die<br />

Nähe zu Europa und die verstärkte Einbindung<br />

in die dortigen Wirtschaftstrukturen.<br />

Das Verhältnis zu Deutschland ist traditionell<br />

freundschaftlich. Dies wird sich unabhängig<br />

von einem zeitnahen Nichtbeitritt der Türkei<br />

in die Europäische Union auch nicht verändern.<br />

Im Gegenteil hat die Türkei ein Interesse daran,<br />

sein sehr gutes freundschaftliches Verhältnis<br />

zu Deutschland noch weiter zu festigen.<br />

Deutschland hat sich aus Sicht der Türkei immer<br />

als ein verlässlicher, wenn auch manchmal<br />

schwieriger Partner gezeigt. Deutschland<br />

wird in Zukunft der Schlüssel nach Europa sein,<br />

und genau darin liegt ein strategisches Interesse<br />

der türkischen <strong>Außenpolitik</strong>.<br />

Deutschland hat noch nicht gelernt, mit der<br />

<strong>neue</strong>n außenpolitischen Ausrichtung der Türkei<br />

umzugehen. So verwundert es nicht, dass<br />

die Forderung nach einem schnellen EU-Beitritt<br />

der Türkei immer stärker formuliert wird,<br />

da weite Kreise der politisch Handelnden von<br />

der unberechtigten Angst getrieben werden,<br />

die Türkei könne sich von Europa entfernen.<br />

Die Türkei wird ihr Verhältnis zu Europa<br />

neu definieren und verändern, dies wird jedoch<br />

nicht zu einer grundsätzlichen Abkehr<br />

von Europa führen. Auch differenziert die Türkei<br />

sehr genau zwischen ihrer Europapolitik<br />

einerseits und ihrer Deutschlandpolitik andererseits.<br />

Ein jetziger Nichtbeitritt der Türkei<br />

in die EU wird zu keiner negativen Neuausrichtung<br />

ihrer Deutschlandpolitik führen. Im<br />

Gegenteil könnte Deutschland von einem Nichtbeitritt<br />

der Türkei profitieren, indem bisher<br />

eurozentrierte Politikfelder stärker deutschen<br />

Interessen angepasst werden. Zu denken ist<br />

hier beispielsweise an einen Dreiklang in der<br />

Energiepolitik zwischen Deutschland, Russland<br />

und der Türkei. An eine veränderte Industriepolitik<br />

zwischen Deutschland, der Türkei und<br />

den arabischen Staaten im Nahen und Mittleren<br />

Osten. <br />

Kommune 6/2012

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