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Ressourcenpolitik in Grönland - Oeko-Net

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Kommune 6/2012<br />

JANE TVERSTED / MARTIN ZÄHRINGER<br />

<strong>Ressourcenpolitik</strong> <strong>in</strong> <strong>Grönland</strong><br />

Die Unabhängigkeit und das Begehren der Rohstoffkonzerne<br />

<strong>Grönland</strong> ist die größte Insel der Welt. Hier<br />

leben zwar nur 57 000 Menschen, aber sie<br />

verstehen sich als selbstständige Nation.<br />

Neben dem Blockzuschuss aus Dänemark<br />

und Zuschüssen der EU besteht der Hauptteil<br />

des Nationale<strong>in</strong>kommens aus den Erträgen<br />

der Jagd und Fischerei. Sollen <strong>in</strong> der Zukunft<br />

die Visionen von ökonomischer Unabhängigkeit<br />

und mehr Wohlfahrt für die Grönländer<br />

wahr werden, müssen neue Geldquellen<br />

her. Werden die reichen Rohstoffvorkommen<br />

<strong>Grönland</strong> retten?<br />

Die ursprünglichen Völker überall <strong>in</strong> der<br />

Welt und die Inuit <strong>in</strong>sbesondere s<strong>in</strong>d<br />

sehr offen für gesellschaftliche Veränderungen,<br />

sie s<strong>in</strong>d sehr gut dar<strong>in</strong>, sich an neue<br />

Verhältnisse anzupassen.Aber die Frage ist,ob<br />

wir dabei nicht auch e<strong>in</strong>en hohen Preis bezahlen,<br />

nämlich e<strong>in</strong>e verschwundene Kultur.« Der<br />

grönländische Schriftsteller, Publizist, Politiker<br />

und Menschenrechtsaktivist Aqqaluk Lynge<br />

ist e<strong>in</strong> Warner und Mahner. Derzeit ist er Präsident<br />

des Inuit Circumpolar Council (ICC).<br />

Diese NGO, 1975 von Lynge mitbegründet, vertritt<br />

die Interessen aller arktischen Völker etwa<br />

<strong>in</strong> der UNO und im Arktischen Rat. Das ICC<br />

<strong>Grönland</strong> f<strong>in</strong>den wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em blauen Plattenbau<br />

im Zentrum von Nuuk.Gleich nebenan wird<br />

gerade Block P abgerissen, e<strong>in</strong> riesiger, heruntergekommener<br />

Sozialbau, geme<strong>in</strong>sam mit weiteren<br />

Plattenbauten im Zentrum von Nuuk<br />

Zeugnis für die Siedlungspolitik der 1960er-<br />

Jahre. Damals wurde unter der Bezeichnung<br />

G-60 (<strong>Grönland</strong> 60) <strong>in</strong>dustrialisiert, die Bygder<br />

(typische grönländische Küstendörfer) wurden<br />

zahlreich geschlossen und die Menschen<br />

<strong>in</strong> Städte umgesiedelt. Plötzlich waren die grönländischen<br />

Dörfer <strong>in</strong> Plattenbauten umgewandelt,<br />

<strong>in</strong> der die Fisch<strong>in</strong>dustrie ihre Arbeiter rekrutieren<br />

konnte.<br />

Die Sicht der Welt auf die Inuit sche<strong>in</strong>t aber<br />

vor 1960 stehengeblieben zu se<strong>in</strong>: »Die Welt<br />

sieht uns ja vor allem unter zwei Aspekten: Zum<br />

e<strong>in</strong>en glaubt man, dass wir immer noch so leben<br />

wie vor 200 Jahren. Aber Sie müssen bedenken<br />

– wir waren 300 Jahre lang e<strong>in</strong>e Kolonie<br />

der Dänen. Und wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Teil der europäischen<br />

Gesellschaft, von 1972 bis 1975 waren<br />

wir sogar <strong>in</strong> der EG. Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e moderne<br />

Gesellschaft mit e<strong>in</strong>er großen Fisch<strong>in</strong>dustrie,<br />

wir s<strong>in</strong>d also schon <strong>in</strong>dustrialisiert.« Tatsächlich<br />

reicht der Sektor der lebenden Ressourcen,<br />

<strong>Grönland</strong>s traditionelles Wirtschaftsreservoir,<br />

bei Weitem nicht aus, um e<strong>in</strong>en eigenständigen<br />

Haushalt zu f<strong>in</strong>anzieren, und <strong>in</strong> diese Richtung<br />

soll es ja irgendwie gehen: »Aber das große Begehren<br />

nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit,<br />

das s<strong>in</strong>d Visionen, und die habe ich auch. Nur<br />

gibt es eben Grenzen für das Tempo der Entwicklung.«<br />

Damit spricht Lynge das große ökonomische<br />

Projekt der neueren Landesgeschichte an, die<br />

bevorstehende Ausbeutung grönländischer Erzund<br />

M<strong>in</strong>eralienvorkommen. Sie sollen das Loch<br />

<strong>in</strong> der Landeskasse füllen, bis das langfristige<br />

und wirklich umwälzende Wirtschaftsprojekt<br />

realisierbar wird, die Ausbeutung des Erdöls<br />

vor den Küsten <strong>Grönland</strong>s. Nach Expertenme<strong>in</strong>ung<br />

könnte der Ölboom <strong>in</strong> den nächsten zwanzig<br />

Jahren kommen, je nachdem wie <strong>in</strong>tensiv<br />

die Konzerne <strong>in</strong> Probebohrungen <strong>in</strong>vestieren,<br />

um ihre bereits lizenzierten Claims zu<br />

erkunden.<br />

Hier s<strong>in</strong>d wir beim zweiten Aspekt jener<br />

Sicht, die die Welt, laut Lynge, auf <strong>Grönland</strong><br />

hat und die er kritisiert: die Umrechnung des<br />

Klimawandels zu e<strong>in</strong>em Wirtschaftsfaktor, die<br />

<strong>Grönland</strong> als leichte Beute der Märkte und <strong>in</strong>sbesondere<br />

der Rohstoffkonzerne ersche<strong>in</strong>en<br />

lässt. Lynge dazu: »Mult<strong>in</strong>atio nale Gesellschaften<br />

und andere missbrauchen die Veränderungen<br />

des Klimas. Die freuen sich: Na, auf geht’s,<br />

das s<strong>in</strong>d ja umso bessere Verhältnisse, um die<br />

Ressourcen hier auszubeuten.«<br />

GRÖNLAND – UNABHÄNGIGKEIT UND RESSOURCEN<br />

Hier soll erörtert werden, welche entwicklungs-<br />

und wirtschaftspolitischen Probleme<br />

sich unter dem Aspekt der <strong>Ressourcenpolitik</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Grönland</strong> zeigen.<br />

Neuer Machtakteur:<br />

Die Inuit Ataqatigiit (IA)<br />

Im Mittelpunkt dieser Erörterung steht die<br />

seit 2009 regierende Partei Inuit Ataqatigiit<br />

(IA), die Geme<strong>in</strong>schaft der Inuit (Menschen).<br />

Zur grundsätzlichen politischen Zielrichtung<br />

steht im Parteiprogramm der IA vom 21. November<br />

1978 unter §1Artikel1:»Aufantiimperialistischer<br />

Grundlage den Kolonialismus<br />

und die neokolonialistischen Entwicklungen<br />

<strong>in</strong> allen ihren Ersche<strong>in</strong>ungsformen zu bekämpfen.<br />

Damit als Ausgangspunkt für die Anerkennung<br />

des kollektiven Eigentumsrechtes des ursprünglichen<br />

Volkes an Kalaalit Nunaat (<strong>Grönland</strong>)zuarbeiten,alse<strong>in</strong>eNationmitvoller<br />

Souveränität über das eigene Land.«<br />

Letzteres wurde mit der E<strong>in</strong>führung der<br />

»Selvstyre« (wörtl.: Selbstregierung) im Jahr<br />

2009 nahezu erreicht. Aber die Probleme neokolonialer<br />

Natur s<strong>in</strong>d damit nicht gelöst. Sie<br />

f<strong>in</strong>den sich im Zeichen der Globalisierung unter<br />

anderen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen als <strong>in</strong> der Konstellation<br />

Dänemark-<strong>Grönland</strong>, die seit 1979<br />

die Politik der »Hjemmestyre« (Selbstverwaltung)<br />

bestimmt hat.<br />

Es liegt e<strong>in</strong>e gewisse Ironie dar<strong>in</strong>, dass der<br />

nun für Regierungskritik zuständige Aqqaluk<br />

Lynge selbst e<strong>in</strong> Gründungsmitglied dieser<br />

e<strong>in</strong>stigen Protestpartei ist. E<strong>in</strong>e weitere ironische<br />

Facette ist der Umstand, dass die sich als<br />

sozialistisch verstehende IA mit ihrer l<strong>in</strong>ken<br />

Tradition jetzt, da sie an der Macht ist, als Türöffner<br />

für <strong>in</strong>ternationale Rohstoffkonzerne wie<br />

London M<strong>in</strong><strong>in</strong>g oder Alcoa agieren muss. Das<br />

»Muss« ist e<strong>in</strong> politischer Sachzwang, denn zur<br />

Abmachung mit den Dänen über die Selbstregierung<br />

gehört auch das E<strong>in</strong>frieren des Block-<br />

83


ZUR ZEIT<br />

84<br />

zuschusses aus Dänemark, derzeit 45,6 Prozent<br />

der öffentlichen E<strong>in</strong>nahmen. Und das heißt,<br />

die Regierung – auf das kollektive Eigentum<br />

verpflichtet – muss jetzt sehen, wie sie Entwicklung<br />

und Wachstum aus diesen eigenen Mitteln<br />

f<strong>in</strong>anziert.<br />

Von Kolonie zu Autonomie<br />

<strong>Grönland</strong> ist seit Anfang des 18. Jahrhunderts<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kolonialen Verhältnis mit Dänemark<br />

verbunden und zählt heute geme<strong>in</strong>sam mit<br />

den Färöer Inseln zur Rigsfællesskabet,also der<br />

Reichsgeme<strong>in</strong>schaft mit der dänischen König<strong>in</strong><br />

als Staatsoberhaupt. Im Rahmen dieses dänischen<br />

Commonwealth hatte <strong>Grönland</strong> seit<br />

1979 e<strong>in</strong>e Selbstverwaltung. Ihr entscheidender<br />

Machtträger war die sozialdemokratisch<br />

orientierte Partei Siumut mit bekannten Namen<br />

wie Jonathan Motzfeldt, Moses Olsen und<br />

Lars Emil Johansen, auch als die Drei Eisbären<br />

bekannt. Bis 1983 regierte Siumut alle<strong>in</strong>e, danach<br />

<strong>in</strong> wechselnden Koalitionen mit der bürgerlichen<br />

Partei Atassut und auch der IA.<br />

Im Pr<strong>in</strong>zip befand sich die IA jedoch seit<br />

1979 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Systemopposition, denn sie war<br />

– obwohl entschieden für die Autonomie <strong>Grönland</strong>s<br />

– gegen die E<strong>in</strong>führung der Hjemmestyre.<br />

Der Grund: Die IA war nicht bereit, langfristig<br />

die Entscheidungsgewalt über die Rohstoffe<br />

mit der dänischen Regierung und dem dänischen<br />

Parlament Folket<strong>in</strong>get zu teilen. Sie forderte<br />

die Anerkennung der Grönländer als Volk.<br />

Damit befand sich die IA <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternationalen<br />

Kampf um die Selbstbestimmungsrechte<br />

der <strong>in</strong>digenen Völker. Johan Lund Olsen,<br />

Mitbegründer von IA, blickt zurück auf das<br />

Jahr 1979: »Wir forderten also unsere Wähler<br />

auf, gegen die Hjemmestyre zu stimmen. Und<br />

da bekamen wir als frischgebackene Partei<br />

mit 25 Prozent e<strong>in</strong>en ganz schönen Zuspruch.<br />

Danach stellten wir uns zur Wahl für das Inatsisartut<br />

(Landst<strong>in</strong>g, Landesparlament), und<br />

1983 kamen wir mit Aqqaluk Lynge und Jens<br />

Geisler erstmalig h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Seither s<strong>in</strong>d wir stetig<br />

gewachsen, und jetzt s<strong>in</strong>d wir die größte<br />

Partei.« Auch die Rechte der <strong>in</strong>digenen Völker<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen gestärkt. Seit 2007 gibt es die<br />

auch von Dänemark ratifizierte UN-Resolution<br />

61/295, die den <strong>in</strong>digenen Völkern das Selbstbestimmungsrecht<br />

über ihr Land und ihre<br />

Ressourcen zuspricht. Mit der E<strong>in</strong>führung der<br />

Selbstregierung 2009 wurden die Grönländer<br />

von Dänemark als Volk und somit ihr Recht<br />

auf die eigenen Ressourcen anerkannt.<br />

Johan Lund Olsen war 20 Jahre lang Mitglied<br />

im Landesparlament Inatsisartut. 2009<br />

hat er entschieden, nicht zu kandidieren, aber<br />

er hat noch se<strong>in</strong> Büro im Gebäude des Inatsis-<br />

artut im Parteitrakt, wo er heute als politischer<br />

Berater der IA tätig ist. Und die hat Beratung<br />

nötig, denn als sie 2009 die Regierungsmacht<br />

mit e<strong>in</strong>em Erdrutschsieg errang, wurde sie erst<br />

e<strong>in</strong>mal von e<strong>in</strong>er hausgemachten F<strong>in</strong>anzkrise<br />

überrascht. Kurz nach der Wahl bekam der neue<br />

Regierungschef Kuupik Kleist e<strong>in</strong>en bis dah<strong>in</strong><br />

geheim gehaltenen Bescheid, dass <strong>Grönland</strong>s<br />

landeseigener Konzern und größter Arbeitgeber<br />

Royal Greenland vor dem Konkurs stehe. Er<br />

musste mit 500 Millionen Kronen gestützt werden,<br />

und weil das für das grönländische Budget<br />

sehr viel Geld ist, konnte die neue Regierung<br />

mit Sparzwang und der Schließung von Fischfabriken<br />

erst e<strong>in</strong>mal nicht so recht im Licht ihrer<br />

politischen Intentionen ersche<strong>in</strong>en.<br />

E<strong>in</strong>e gerechtere Sozial- und Steuerpolitik<br />

bleibt aber auf der Tagesordnung: »Jetzt arbeiten<br />

wir gerade an e<strong>in</strong>er großen Steuerumlegung.<br />

Das ist e<strong>in</strong>er unserer größten Träume,<br />

<strong>in</strong> der gesamten Geschichte der Partei. Wir wollen<br />

das grönländische Steuersystem abschaffen.<br />

Dieses Steuersystem war immer flach, also proportional.<br />

Es gibt ke<strong>in</strong>erlei Progressivität. Ob<br />

du Millionär bist oder e<strong>in</strong> ganz normaler Sozialhilfeempfänger,<br />

du hast den gleichen Steuersatz.<br />

Und das ist ja sehr unsozial, e<strong>in</strong>e schlechte<br />

Verteilung der gesellschaftlichen Mittel.« Olsen<br />

ist zuversichtlich, dass die geplante Umverteilung<br />

e<strong>in</strong>en stärkeren Mittelstand erzeugen<br />

wird. Das sei nicht unwichtig für se<strong>in</strong>e<br />

Partei, denn der Mittelstand bilde e<strong>in</strong>en großen<br />

Teil der IA-Wählerschaft. Und dann gibt<br />

es noch die vielen Ungelernten, Arbeitslosen<br />

und Arbeiter <strong>in</strong> Fisch<strong>in</strong>dustrie und Kommunalbetrieben.<br />

Sie stellen die Regierung <strong>in</strong> den<br />

Augen ihres politischen Beraters vor e<strong>in</strong>e besondere<br />

Herausforderung: »Es geht darum, die<br />

Macht auf e<strong>in</strong>e Weise zu verwalten, dass wir<br />

den Wünschen und Forderungen der<br />

Unterprivilegierten gerecht werden.<br />

Es gibt sehr große Unterschiede zwischen<br />

Arm und Reich.«<br />

An der Küste<br />

Der Parteil<strong>in</strong>ke Johan Lund Olsen<br />

kl<strong>in</strong>gt noch optimistisch, und auch<br />

Juliane Henn<strong>in</strong>gsen betont den egalitären<br />

Charakter der IA-Sozialpolitik.<br />

2009 war sie e<strong>in</strong>e der zwei Abgeordneten<br />

im dänischen Folket<strong>in</strong>get. Damals<br />

gerade e<strong>in</strong>mal 22 Jahre alt,erhielt<br />

sie die meisten persönlichen Stimmen<br />

dieser Wahl. Momentan ist sie Abgeordnete<br />

im Inatsisartut, Vorstandsmitglied<br />

der landeseigenen Kulturstiftung<br />

NunaFond, daneben beendet sie<br />

ihre Ausbildung <strong>in</strong> Ilisimatusarfik,<br />

der Universität von Nuuk.<br />

Juliane Henn<strong>in</strong>gsen hatte vor unserem<br />

Treffen im Jahr 2012 e<strong>in</strong> Jahr <strong>in</strong> Ostgrönland<br />

verbracht und ist jetzt besonders für das Dauerthema<br />

der Benachteiligung der Küstenbewohner<br />

sensibilisiert: »Es gibt viele lokale Probleme<br />

<strong>in</strong> so e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Stadt, die man unbed<strong>in</strong>gt lösen<br />

muss. Und es ist auch e<strong>in</strong> zentrales Thema<br />

der grönländischen Politik, wie man die<br />

Außenbezirke priorisiert und behandelt. Das<br />

Niveau und der Lebensstandard, Wirtschaft<br />

und Infrastruktur, da gibt es viele Fragen. Für<br />

mich war es nach der Erfahrung mit der großen<br />

Landesperspektive ganz entscheidend, mit<br />

diesen Themen zu arbeiten. Das hat me<strong>in</strong>e Sicht<br />

der D<strong>in</strong>ge völlig geändert.«<br />

Es ist nicht leicht für die politischen Nachwuchskräfte,<br />

den Stimmen von der Peripherie<br />

Gehör zu verschaffen, von »der Küste«, wie die<br />

Prov<strong>in</strong>z <strong>in</strong> Nuuk heißt. Sara Olsvig, e<strong>in</strong>e weitere<br />

Jungpolitiker<strong>in</strong> der IA, derzeit für <strong>Grönland</strong> im<br />

Folket<strong>in</strong>get <strong>in</strong> Kopenhagen, hat als studierte<br />

Anthropolog<strong>in</strong> und ehemalige Menschenrechtskoord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong><br />

des ICC <strong>in</strong>tensive Erfahrungen<br />

mit »der Küste«. Sie kennt das wirtschaftliche<br />

Desaster aufgrund des Robbenfellboykotts sehr<br />

gut, das die Küstenbewohner besonders hart<br />

getroffen hat. Wir trafen Sara Olsvig im Mai<br />

2012 <strong>in</strong> Kopenhagen, als dort e<strong>in</strong>e Delegation<br />

von ostgrönländischen Fängern für ihre Rechte<br />

demonstrierte. Olsvig gab sich optimistisch,<br />

dass sich der Markt für die Produkte der traditionellen<br />

Gewerbe wieder öffnet: »Ich glaube<br />

<strong>in</strong> der Tat, dass die Absatzchancen für Robbenfell<br />

wieder besser werden. Ich sehe nur e<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>zigen Biologen, der sich negativ geäußert<br />

hat. Aber wir haben vom WWF und von Greenpeace<br />

positive Zusagen bekommen, was Robbenfell<br />

betrifft, und ich me<strong>in</strong>e, das war auch<br />

Kommune 6/2012


Kommune 6/2012<br />

wirklich an der Zeit, dass diese Organisationen<br />

sich öffentlich für unser Robbenfellgewerbe<br />

aussprechen.«<br />

Das sei besonders deshalb wichtig, weil sogar<br />

<strong>in</strong> Dänemark e<strong>in</strong> großer Teil der Bevölkerung<br />

nicht darüber <strong>in</strong>formiert ist, dass es e<strong>in</strong>e<br />

Ausnahmeregelung für grönländisches Robbenfell<br />

gibt. Sara Olsvig ist sich der kulturellen<br />

Bedeutung der grönländischen Jäger und Fischergesellschaften<br />

an der Küste sehr bewusst,<br />

aber sie steht auch mitten <strong>in</strong> jenem Thema,<br />

das derzeit die politische Debatte bestimmt.<br />

Dieses Thema setzt entscheidende Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

für <strong>Grönland</strong>s Zukunft: »Es gab<br />

immer diese Vorstellung von <strong>Grönland</strong>s Selbstständigkeit,<br />

dass dies nur realistisch wäre, wenn<br />

wir Öl f<strong>in</strong>den oder wenn wir M<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>richten.<br />

Und deshalb war es nach me<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>druck<br />

zeitweise sehr unpopulär, etwas gegen diese<br />

Projekte zu sagen. Wenn e<strong>in</strong> Grönländer etwas<br />

gegen e<strong>in</strong> großes Erwerbsprojekt sagt, dann<br />

kommt er schnell <strong>in</strong> den Verdacht, gegen die<br />

Entwicklung des Landes zu se<strong>in</strong>. Aber es geht<br />

ja nicht darum, die Entwicklung zu verh<strong>in</strong>dern,<br />

sondern darum, sie auf e<strong>in</strong>er verantwortungsvollen<br />

Basis zu betreiben.« Darum dreht sich<br />

nicht nur die Wirtschaftspolitik der Regierung,<br />

sondern, wie man immer deutlicher wahrnehmen<br />

kann, auch e<strong>in</strong>e tief greifende gesellschaftliche<br />

Debatte <strong>in</strong> <strong>Grönland</strong>.<br />

Handlungsplan 2025<br />

Die IA hat als erste Regierungspartei <strong>in</strong> der<br />

Epoche der Selvstyre, zusammen mit ihrem sozialliberalen<br />

Koalitionspartner »Demokraterne«<br />

(<strong>in</strong>tern: »Dänenpartei«, gegründet 2003), e<strong>in</strong>en<br />

historischen Moment erwischt. Es geht nach<br />

30 Jahren enger Ausrichtung auf Dänemark um<br />

die Weichenstellungen für e<strong>in</strong>e selbstbestimmte<br />

Zukunft und e<strong>in</strong>e Öffnung zur Welt. Diese Politik<br />

der Zukunft ist, so ist jedenfalls der E<strong>in</strong>druck<br />

im Herbst 2012, nur mit e<strong>in</strong>er wachsenden<br />

und selbstbewusster werdenden Zivilgesellschaft<br />

zu gestalten. Kuupik Kleist von der<br />

IA, federführend <strong>in</strong> der Ausarbeitung der Selvstyre-Vere<strong>in</strong>barungen,<br />

ist jetzt Vorsitzender<br />

des »Naalakkersuisut« (Landesregierung). Er<br />

erklärt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eröffnungsrede zur Herbstversammlung<br />

des Landesparlaments 2012, dass<br />

es verständlich sei,wenn die Bürger ihre Sorgen<br />

über die Rohstoffpolitik der Regierung zum<br />

Ausdruck br<strong>in</strong>gen. Immerh<strong>in</strong> sollen <strong>in</strong> der Bauphase<br />

des London M<strong>in</strong><strong>in</strong>g Eisenerzprojektes<br />

<strong>in</strong> der Nähe von Nuuk bis zu 3000 Arbeiter für<br />

bis zu drei Jahre leben. Das werden neben den<br />

nicht allzu vielen E<strong>in</strong>heimischen, die <strong>in</strong> dieser<br />

Phase Anstellung f<strong>in</strong>den könnten, vor allem<br />

ch<strong>in</strong>esische Arbeiter se<strong>in</strong>.<br />

Die Ch<strong>in</strong>esen stellen zum e<strong>in</strong>en die Infrastruktur<br />

und das soziale Leben <strong>in</strong> Nuuk mit<br />

se<strong>in</strong>en rund 17000 E<strong>in</strong>wohnern vor Herausforderungen,<br />

sofern sie nicht <strong>in</strong> Wohnlagern<br />

vor Ort isoliert werden. Und zum anderen bedrohen<br />

sie das Tarifgefüge im Land. Die L<strong>in</strong>ie<br />

der Regierung ersche<strong>in</strong>t klar: »Naalakkersuisut<br />

betrachtet es als entscheidend, dass die Entwicklungen<br />

auf dem Rohstoffgebiet von jenen<br />

Reformen begleitet werden, die im Handlungsplan<br />

2025 beschrieben werden. Großprojekte<br />

(dänisch: ›Storskalaprojekter‹) s<strong>in</strong>d notwendig<br />

für die Schaffung von Arbeit und Ausbildung,<br />

man kann nicht alle<strong>in</strong>e stehen. Denn<br />

wenn wir auf lange Sicht e<strong>in</strong>en Nutzen aus der<br />

GRÖNLAND – UNABHÄNGIGKEIT UND RESSOURCEN<br />

L<strong>in</strong>ks: Kuupik Kleist, Vorsitzender des »Naalakkersuisut« (Landesregierung) im grönländischen Parlament, Foto:<br />

Aqissiaq Mathiassen – Rechts: Robbenfänger demonstrieren im Mai 2012 für ihre Jagdrechte, Foto: Autor –<br />

Unten: E<strong>in</strong> Zeugnis der Siedlungspolitik der 1960er-Jahre wird abgerissen. In den Plattenbauten <strong>in</strong> Nuuk waren<br />

die Bewohner der Dörfer umgesiedelt worden, um <strong>in</strong> der Fisch<strong>in</strong>dustrie zu arbeiten. – Seite 84: Mit dem<br />

Klimawandel steigen auf der größten Insel der Welt die Begehrlichkeiten <strong>in</strong> Sachen Ressourcen. Foto: Autor<br />

Rohstoffgew<strong>in</strong>nung ziehen wollen, dann geht<br />

es vor allem um die Schaffung von Jobs, darum,<br />

die schmalen Schultern etwas breiter zu<br />

machen, <strong>in</strong>dem man die Leute von Niedriglohnjobs<br />

zu besser bezahlten Tätigkeiten übergehen<br />

lässt.«<br />

Der Handlungsplan 2025 ist das große Reformprojekt<br />

der Koalitionsregierung. Er zielt<br />

auf e<strong>in</strong>e tragfähige Ökonomie mit den Säulen<br />

Fischerei und Fang, Rohstoff und Tourismus.<br />

Dabei soll der allfällige Anteil des Blockzuschusses<br />

aus Dänemark von 45,6 auf 41,9 Prozent<br />

im Jahr 2025 s<strong>in</strong>ken. Das hört sich, im<br />

Gegensatz zu Visionen e<strong>in</strong>er schnelleren Unabhängigkeit,<br />

realistisch an.<br />

85


ZUR ZEIT<br />

86<br />

NORWEGEN (29-0)<br />

Manches, was war<br />

Seit fünf Jahren wurde an dieser Stelle<br />

über Erfreuliches, Unbekanntes und<br />

Problematisches aus Norwegen berichtet. Es<br />

g<strong>in</strong>g um E<strong>in</strong>wanderung, Reichtum, Sozialsystem<br />

und Nationalfeiertage. Was hat sich<br />

seitdem getan? E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> das Kolumnenarchiv<br />

und auf Norwegen im Jahr 2012:<br />

Mit der E<strong>in</strong>wanderung begann es, die<br />

erste M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund,<br />

die 2007 ihre Arbeit aufnahm, konnte sich<br />

nicht lange halten. Sie stolperte über e<strong>in</strong>e Affäre.<br />

In e<strong>in</strong>em Jahr stehen <strong>in</strong> Norwegen Parlamentswahlen<br />

an. Anlass für die regierende<br />

Arbeiterpartei, mit e<strong>in</strong>er 29-jährigen, muslimischen<br />

Kulturm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> um junge Wähler<br />

und Neunorweger zu werben. Für Norwegen<br />

unüblich steht sie unter strengem Personenschutz.<br />

Sowohl <strong>in</strong> rechts-nationalen als auch<br />

<strong>in</strong> konservativen pakistanischen Kreisen<br />

wird e<strong>in</strong> Sicherheitsrisiko für sie gesehen.<br />

Das Pro-Kopf-Vermögen jedes Norwegers<br />

durch den »Ölfond« ist von 60000 Euro Anfang<br />

2008 auf über 90000 Euro Anfang 2012<br />

gestiegen. Der Fond ist nun <strong>in</strong> über 8000 <strong>in</strong>ternationalen<br />

Unternehmen <strong>in</strong>vestiert. E<strong>in</strong>e<br />

Zahl, die es nahezu unmöglich macht, auf<br />

e<strong>in</strong>zelne Unternehmen e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss zur<br />

Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards<br />

auszuüben – ursprünglich das hehre<br />

Ziel des Fonds.<br />

Zweimal jährlich kann Norwegen sich der<br />

– aus der Innenperspektive überraschenden<br />

– weltweiten Aufmerksamkeit als Friedensnation<br />

sicher se<strong>in</strong>: bei der Bekannt- und Übergabe<br />

des Friedensnobelpreises. An der prov<strong>in</strong>ziellen<br />

Zusammensetzung und den fragwürdigen<br />

Entscheidungen des Nobelkomitees<br />

hat sich nichts geändert. So scheiterte der geplante<br />

Umzug des Munch-Museums an e<strong>in</strong>er<br />

Stimme, weil der betreffende Abgeordnete<br />

beleidigt war, dass er nicht <strong>in</strong> das Nobelkomitee<br />

entsandt wurde. Der Export von Munition<br />

hat sich übrigens seit 2008 verdoppelt.<br />

Die Schulpolitik setzt weiterh<strong>in</strong> auf IT als<br />

Schlüssel für konkurrenzfähigen Nachwuchs<br />

– allerd<strong>in</strong>gs ohne Benotung, die beg<strong>in</strong>nt erst<br />

<strong>in</strong> der 8. Klasse. Toleranz gegenüber moderner<br />

Kommunikation wurde den Lehrern <strong>in</strong><br />

Oslo von der Schulbehörde aufgezwungen.<br />

Ihnen ist es verboten worden, Mobiltelefone,<br />

die im Unterricht verwendet werden, bis<br />

zum Ende des Schultages zu konfiszieren.<br />

Der norwegische Nationalfeiertag mit<br />

se<strong>in</strong>em überschwänglichen Flaggengebrauch<br />

und me<strong>in</strong>en Problemen damit, war mehrfach<br />

Thema an dieser Stelle. Als Elternvertreter<br />

der Klasse me<strong>in</strong>es Sohnes b<strong>in</strong> ich im kommenden<br />

Jahr nun turnusgemäß für die Organisation<br />

der Feierlichkeiten an der Schule<br />

verantwortlich. Der Kreis schließt sich, aber<br />

»the circle isn’t round«. Ilja C. Hendel<br />

Fortsetzung von Seite 85<br />

Rohstoff<strong>in</strong>dustrie: Fluch oder Segen<br />

M<strong>in</strong>eralien und Eisenerz oder Ressourcen wie<br />

Wasser wecken jedoch akute politische Hoffnungen<br />

auf e<strong>in</strong>en tragfähigen Haushalt. Der ist<br />

nicht zuletzt <strong>in</strong>teressant für e<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzökonomische<br />

Bewertung der Selvstyre durch <strong>in</strong>ternationale<br />

Geldgeber.Es wäre nicht unerheblich,<br />

wenn die Regierung als Repräsentant der kollektiven<br />

Eigentümer e<strong>in</strong> paar Milliarden <strong>in</strong> die<br />

Hand nehmen könnte, um – wenn die Zeit gekommen<br />

ist – selbst <strong>in</strong> die grönländischen Ölfelder<br />

zu <strong>in</strong>vestieren. Denn langfristig geht es<br />

um große Ölvorkommen an <strong>Grönland</strong>s Westund<br />

Nordostküste, deren wahrer Umfang bis<br />

heute nur geschätzt werden kann. Konzessionen<br />

für Probebohrungen s<strong>in</strong>d schon über weite<br />

Areale vergeben, und bis 2011 kamen durch<br />

die Probebohrungen der schottischen Firma<br />

Cairn Energy – und anderer zuvor – bereits e<strong>in</strong><br />

paar hundert Millionen Kronen Steuergelder<br />

<strong>in</strong> die Landeskasse.<br />

Der Handlungsplan 2025 führt dazu aus:<br />

»Es ist das gesamte grönländische Volk, das<br />

das Eigentumsrecht an den Werten hat, die <strong>in</strong><br />

den Naturressourcen <strong>in</strong> <strong>Grönland</strong>s Erde gebunden<br />

s<strong>in</strong>d, während private Unternehmen<br />

die Ressourcen lokalisieren, ausbeuten und verkaufen.<br />

Im Bereich der Rohstoffe sollen übergeordnete<br />

Ressourcenabgaben e<strong>in</strong>gerichtet werden,<br />

damit der Gew<strong>in</strong>n nach e<strong>in</strong>em gerechten<br />

Verteilerschlüssel zwischen Landeskasse und<br />

den privaten Unternehmen verteilt wird. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus sollen die Abgaben ke<strong>in</strong>en Anlass<br />

bieten, um die Erforschung und Ausbeutung<br />

von Rohstoffen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ungünstigen Richtung<br />

zu bee<strong>in</strong>flussen.«<br />

Der letzte Satz ist <strong>in</strong>teressant. Es ist der etwas<br />

verklausulierte Ausdruck für e<strong>in</strong>e wirtschaftspolitische<br />

Strategie, mit der sich die Regierung<br />

derzeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er heftig aufkeimenden<br />

Debatte wiederf<strong>in</strong>det. Denn Naalakkersuisut<br />

bereitet gerade e<strong>in</strong> eigenes Rohstoffgesetz für<br />

die sogenannten »Storskalaprojekter« vor, das<br />

den ausländischen Investoren Sonderrechte –<br />

<strong>in</strong> der Sicht vieler Beobachter – e<strong>in</strong>räumen soll.<br />

Das weckt Misstrauen, auch wenn der <strong>Grönland</strong>beauftragte<br />

von London M<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Dr. Xiaogang<br />

Hu, verlauten lässt, er müsse sowieso über<br />

dem M<strong>in</strong>destlohn zahlen, weil die für diese<br />

Arbeiten kompetenten Fachkräfte sich aussuchen<br />

könnten, wo sie arbeiten. Der Regierung<br />

dagegen wird <strong>in</strong> <strong>Grönland</strong> vorgeworfen, sie würde<br />

sich zu sehr vom Konkurrenzargument der<br />

Konzerne bee<strong>in</strong>drucken lassen, die angeblich<br />

genügend Standorte <strong>in</strong> der Welt zur Auswahl<br />

hätten und sich die besten Bed<strong>in</strong>gungen aussuchen<br />

könnten.<br />

So sagt etwa Aleqa Hammond, die Chef<strong>in</strong><br />

der Oppositionspartei Siumut, zum Entwurf<br />

des Rohstoffgesetzes: »Hier sehe ich <strong>Grönland</strong><br />

sehr schwach. Die grönländischen Wünsche<br />

s<strong>in</strong>d sehr schwach vertreten, dagegen s<strong>in</strong>d die<br />

Interessen der ausländischen Unternehmen<br />

sehr stark vertreten. Ich denke, wenn wir e<strong>in</strong><br />

neues Gesetz machen, dann muss man im ersten<br />

Schritt sicherstellen, dass <strong>Grönland</strong> stark<br />

dasteht. Das betrifft unsere Umwelt, unsere<br />

Sicherheit, e<strong>in</strong>e gleichgewichtige Ökonomie<br />

mit besonderem Respekt für unsere Umwelt.<br />

Das sehe ich nicht <strong>in</strong> dem neuen Gesetz, ich<br />

sehe e<strong>in</strong> Gesetz, das e<strong>in</strong> neues Eldorado öffnen<br />

wird für die Rohstoffgew<strong>in</strong>nung <strong>in</strong> <strong>Grönland</strong>.<br />

Und dieses Eldorado wollen wir schon alle gerne<br />

haben, aber nicht auf Kosten der Umwelt<br />

und unserer Gesundheit, auch wenn es uns<br />

zum Nachteil geraten kann.«<br />

»Urani – Naamik!«<br />

Aleqa Hammond sche<strong>in</strong>t die Sache mit dem<br />

Nachteil <strong>in</strong> Bezug auf die Umwelt pragmatisch<br />

zu sehen. Denn e<strong>in</strong>erseits fordert sie – im Gegensatz<br />

zur Regierung, die zunächst auf den<br />

Beschäftigungsfaktor mit entsprechendem Steuermehraufkommen<br />

setzt – Direktabgaben aus<br />

den Umsätzen der Konzerne (»Royalities«).Aber<br />

im großen Poker um die Bodenschätze setzt<br />

sie auch mit ihrer Partei auf die Aushebelung<br />

der sogenannten Nulltoleranzpolitik. Diese Nulltoleranz<br />

betrifft, entsprechend dänischem Gesetz,<br />

jeglichen Abbau von Uran, und zwar auch<br />

als Beiprodukt. Uran aber wäre e<strong>in</strong> Beiprodukt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der strategisch bedeutsamsten<br />

Rohstoffprojekte im Süden <strong>Grönland</strong>s, dem M<strong>in</strong>enprojekt<br />

Kvanefjeldet. Es ist neben London<br />

M<strong>in</strong><strong>in</strong>gs Erztagebau und e<strong>in</strong>er gigantischen Alum<strong>in</strong>iumschmelzanlage<br />

der e<strong>in</strong>schlägig bekannten<br />

Firma Alcoa das wichtigste Nahprojekt<br />

im Rohstoffsektor. Die Geschäftsidee ist der<br />

Abbau von Seltenen Erden, beantragt von der<br />

Firma Greenland M<strong>in</strong>erals and Energy.<br />

Deren Vorstandsvorsitzender <strong>in</strong> <strong>Grönland</strong><br />

war zeitweise Lars Emil Johansen, e<strong>in</strong> Mann mit<br />

mehr als drei Jahrzehnten Machterfahrung. Er<br />

war im Folket<strong>in</strong>get, stellvertretender Konzernchef<br />

von Royal Greenland, Vorstandsmitglied<br />

der Grönländischen Landesbank, Vorsitzender<br />

der Landesregierung und mehr. Er ist der letzte<br />

Lebende jener drei Eisbären, die als politische<br />

Urgeste<strong>in</strong>e der Siumut-Partei den Lauf<br />

der D<strong>in</strong>ge bestimmten. Dieser politische Eisbär<br />

fiel zuletzt dadurch auf, dass er nach e<strong>in</strong>er kurzen<br />

Periode als stellvertretender Geschäftsführer<br />

von Royal Greenland mit e<strong>in</strong>igen Millionen<br />

Abf<strong>in</strong>dung das erfolglos geführte Amt<br />

wieder aufgab.<br />

Kommune 6/2012


Kommune 6/2012<br />

GRÖNLAND – UNABHÄNGIGKEIT UND RESSOURCEN<br />

Von l<strong>in</strong>ks: Juliane Henn<strong>in</strong>gsen, Abgeordnete im Inatsisartut und Vorstandsmitglied der landeseigenen Kulturstiftung NunaFond. – Aqqualuk Lynge, Präsident des »Inuit<br />

Circumpolar Council (ICC)«. – Sara Olsvig, e<strong>in</strong>e weitere jüngere Politiker<strong>in</strong> der IA, derzeit für <strong>Grönland</strong> im Folket<strong>in</strong>get <strong>in</strong> Kopenhagen. – Johan Lund Olsen ist<br />

Gründungsmitglied der»Inuit Ataqatigiit (IA)«, die »Geme<strong>in</strong>schaft der Menschen (Inuit)«. – Alle Fotos: Autor<br />

Man ahnt, was der <strong>in</strong> diesen D<strong>in</strong>gen erfahrene<br />

Aqqaluk Lynge me<strong>in</strong>t, wenn er die Rolle<br />

der jetzigen Opposition im politischen Gefüge<br />

beurteilt: »Es gibt eigentlich ke<strong>in</strong>e wirkliche<br />

Opposition. Denn die, die <strong>in</strong> der Opposition<br />

sitzen sollten, die sehen jetzt doch nur ihre alten<br />

Pläne realisiert.« Aber am Kvanefjeldet<br />

scheiden sich die Geister. Für die e<strong>in</strong>en rückt<br />

der Traum von der wirtschaftlichen Unabhängigkeit<br />

näher, die anderen beharren auf ihren<br />

Grundsätzen und riskieren den Verlust erheblicher<br />

E<strong>in</strong>künfte für das Land. Johan Lund Olsen<br />

jedenfalls verteilt die bekannten leuchtendgelben<br />

Aufkleber mit der lachenden Sonne und<br />

dem Satz: »Urani – naamik!«<br />

Klimawandel als Vorteil<br />

M<strong>in</strong>ik Ros<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> Dänemark lebender und lehrender<br />

Geografieprofessor grönländischer Herkunft,<br />

hat e<strong>in</strong>en komplexen Begriff von Rohstoffen.<br />

Es reiche nicht h<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Vorkommen alle<strong>in</strong>e<br />

aus geologischer Perspektive zu betrachten.<br />

Ökonomisch <strong>in</strong>teressant ist e<strong>in</strong> Vorkommen<br />

nur dann, wenn die geologischen, technologischen<br />

und soziologischen Umstände passen.<br />

Das führte er im Mai 2012 auf e<strong>in</strong>er Rohstoffkonferenz<br />

<strong>in</strong> Kopenhagen ausführlich vor, die<br />

von der IA und federführend von Sara Olsvig<br />

organisiert worden war. Zu den Rohstoffen zählt<br />

auch das <strong>in</strong> ganz <strong>Grönland</strong> energietechnisch<br />

nutzbare Wasser, was den <strong>in</strong> den USA registrierten<br />

Alum<strong>in</strong>iumkonzern Alcoa zu e<strong>in</strong>er Projektidee<br />

<strong>in</strong> Westgrönland veranlasst hat. Alcoa will<br />

bei Maniitsoq e<strong>in</strong>e Alum<strong>in</strong>iumschmelzfabrik<br />

aufbauen, denn die Energiegew<strong>in</strong>nung durch<br />

die Wasserkraft dort anliegender Seen ist lukrativ.<br />

So lukrativ, dass es sich lohnt, das zu verarbeitende<br />

Rohmaterial per Schiff von Brasilien<br />

nach <strong>Grönland</strong> zu br<strong>in</strong>gen, um es hier zu Alum<strong>in</strong>ium<br />

zu verarbeiten.<br />

Die technologischen Erfordernisse stellen<br />

ke<strong>in</strong>eswegs unüberw<strong>in</strong>dliche Probleme dar. So<br />

soll <strong>in</strong> Isukasia bei Nuuk e<strong>in</strong> gigantischer Tagebau<br />

entstehen, der sogar bis <strong>in</strong>s Inlandeis<br />

reicht. Hundert Kilometer Wege- und Pipel<strong>in</strong>ebau<br />

bis zu e<strong>in</strong>em eigens angelegten Hafen im<br />

Nuuk-Fjord s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> Problem, Riesenconta<strong>in</strong>erschiffe<br />

br<strong>in</strong>gen das Erz direkt nach Ch<strong>in</strong>a.<br />

Andere Schiffe br<strong>in</strong>gen Millionen Liter Diesel,<br />

denn die Betriebsenergie vor Ort soll von zwei<br />

Dieselkraftwerken kommen, die leider auch<br />

<strong>Grönland</strong>s CO 2 -Ausstoß verdoppeln würden.<br />

Was für die Fänger und ihre Lebensweise<br />

e<strong>in</strong>e existenzielle Bedrohung darstellt, stellt<br />

sich für die globalen Akteure anders dar: Die<br />

Arktis bietet sagenhafte Vorteile im Handelsverkehr<br />

der Zukunft. Das früher schmelzende<br />

Meereis öffnet sowohl größere Zeitfenster für<br />

die Nutzbarkeit der Nord-West-Passage wie<br />

auch für die pr<strong>in</strong>zipielle Nutzung der Nord-<br />

Ost-Passage. Desgleichen gibt es längere Zeiträume<br />

für den <strong>in</strong>terarktischen Schifffahrtsverkehr,<br />

was dem Tourismus ebenso zugute<br />

kommt wie <strong>Grönland</strong>s Handel mit Dänemark<br />

oder – sollten sich die Öffnungstendenzen<br />

fortsetzen – auch mit anderen Ländern und<br />

Regionen.<br />

Umweltschutz und Zivilgesellschaft<br />

In Nuuk konnte man im Herbst erleben, wie<br />

sich die Zusammenarbeit zwischen Regierung,<br />

Konzernen und der lokalen, von e<strong>in</strong>em Projekt<br />

betroffenen Bevölkerung <strong>in</strong> <strong>Grönland</strong> darstellt.<br />

London M<strong>in</strong><strong>in</strong>g organisierte, unter der Leitung<br />

der <strong>in</strong> Nuuk ansässigen Kompetence Kompagniet,<br />

die letzten beiden aus e<strong>in</strong>er ganzen Reihe<br />

von öffentlichen Anhörungen. Es gab e<strong>in</strong>ige<br />

technische Probleme mit der Organisation, nicht<br />

zuletzt durch die obligatorische Zweisprachigkeit<br />

mit Grönländisch (Kalaallisut) und Dänisch,<br />

was hier auch noch durch e<strong>in</strong>e weitere<br />

englische Dimension erschwert wurde. Der ch<strong>in</strong>esische<br />

<strong>Grönland</strong>-Chef von London M<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

<strong>in</strong>terpretierte geme<strong>in</strong>sam mit der von se<strong>in</strong>er Firma<br />

angeheuerten Expertengruppe ORBICON<br />

die e<strong>in</strong>geforderten Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudien.<br />

Die Regierung hatte das <strong>in</strong><br />

Nuuk ansässige Groenlands Natur<strong>in</strong>stitut und<br />

das dänische Umweltforschungs<strong>in</strong>stitut DMU<br />

mit unabhängigen Expertisen beauftragt.<br />

Doch die Präsentationen auf diesen laut<br />

<strong>in</strong>ternationalem Recht vorgeschriebenen Hear<strong>in</strong>gs<br />

liefen nicht so glatt. Denn es zeigte sich<br />

bei den Hear<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e von Mal zu Mal größer<br />

werdende Zuhörerschaft, die sich bald als gut<br />

<strong>in</strong>formierter Mit-Akteur entpuppte. Informiert<br />

weniger durch die angeheuerten Experten und<br />

auch nicht durch die Medien, sondern durch<br />

das eigene kritische Engagement. ICC, die Umweltgruppe<br />

Avataq, »Die Freunde des Nuuk-<br />

Fjords«, der Fischer- und Jägerverband KNAPK<br />

und das Milieu um das akademische Greenland<br />

Climate Research Center sowie <strong>Grönland</strong>s<br />

Natur<strong>in</strong>stitut bilden offensichtlich die kritische<br />

Masse für e<strong>in</strong>e langsam aktiv werdende Zivilgesellschaft.<br />

Auch die grönländischen Medien<br />

stiegen nach und nach engagierter <strong>in</strong> die Debatte<br />

e<strong>in</strong>. Was aus den bereits offen diskutierten<br />

Blockaden von London M<strong>in</strong><strong>in</strong>gs Versorgungsschiffen<br />

im sagenhaft schönen Fjord von Nuuk<br />

wird, bleibt abzuwarten. M<strong>in</strong>destens bis die<br />

grönländische Regierung – wahrsche<strong>in</strong>lich noch<br />

vor der Wahl im Frühjahr 2013 – über den Antrag<br />

von London M<strong>in</strong><strong>in</strong>g entschieden hat. <br />

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