Interview Martina und pamy - TierRettungsDienst & Tierheim Pfötli
Interview Martina und pamy - TierRettungsDienst & Tierheim Pfötli
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Die hohe Schule des Gassi-Gehens<br />
<strong>Interview</strong> mit Pamy Ott, <strong>Tierheim</strong> <strong>Pfötli</strong><br />
Von <strong>Martina</strong> Monti<br />
<strong>Martina</strong>, eine unserer freiwilligen Helferinnen arbeitet seit mehreren<br />
Jahren regelmässig bei uns im <strong>Tierheim</strong> – ehrenamtlich.<br />
Ihre Erlebnisse <strong>und</strong> Eindrücke schildert sie regelmässig auf ihrem<br />
Blog – witzig, unterhaltsam, <strong>und</strong> mit einem Augenzwinkern.<br />
Pamy Ott ist langjährige Mitarbeiterin im Sekretariat des <strong>Tierheim</strong>s<br />
<strong>Pfötli</strong> <strong>und</strong> war, bzw. ist bei der Planung, Konzeptionierung <strong>und</strong><br />
Durchführung der Schulungen für unsere H<strong>und</strong>espaziergänger<br />
massgebend beteiligt.<br />
Welche Bedeutung haben die H<strong>und</strong>espaziergänger, im <strong>Pfötli</strong>-Jargon “H<strong>und</strong>espazis”,<br />
für eure Vierbeiner?<br />
Eine sehr grosse. Denn spazieren gehen, das ist für unsere H<strong>und</strong>e<br />
etwas besonderes <strong>und</strong> enorm wichtiges. Der <strong>Tierheim</strong>alltag ist für<br />
das einzelne Tier sehr stressig ist, bedingt durch die permanente<br />
Nähe anderer H<strong>und</strong>e, vor allem aber durch das Fehlen einer<br />
„exklusiven” Bezugsperson, die H<strong>und</strong>e müssen sich ja die<br />
Aufmerksamkeit der Tierpflegerin jeweils teilen.<br />
Während des Spaziergangs riechen, sehen <strong>und</strong> hören die H<strong>und</strong>e<br />
mal etwas anderes, werden mit gängigen<br />
Umweltreizen wie z.B. Autos, Joggern etc. konfrontiert,<br />
begegnen anderen H<strong>und</strong>en - <strong>und</strong> all diese Erfahrungen machen<br />
sie in Verbindung mit einem Menschen, der sich ganz auf sie<br />
konzentriert. Unsere H<strong>und</strong>espazis leisten also einen wichtigen<br />
Beitrag, dass unsere H<strong>und</strong>e zufriedener sind <strong>und</strong> den<br />
<strong>Tierheim</strong>alltag besser meistern können. Jeder Spaziergang ist,<br />
wenn man so will, aktiver Tierschutz.<br />
Anscheinend kann man dabei aber einiges falsch machen oder warum haben<br />
Christine, Heidi <strong>und</strong> du euch entschieden, eine Ausbildung für<br />
H<strong>und</strong>espazis anzubieten?<br />
Das hat in erster Linie mit den H<strong>und</strong>en zu tun, die wir bei uns im <strong>Pfötli</strong> zu Gast haben<br />
<strong>und</strong> bei denen es sich oft um sogenannte „verhaltensauffällige” H<strong>und</strong>e<br />
handelt. Und die erfordern einen bewussteren Umgang, eine andere Art von Führung<br />
als ein völlig unproblematischer H<strong>und</strong>.
Warum trifft man bei euch häufiger “problematische” H<strong>und</strong>e an?<br />
Weil wir uns auf sie im Laufe der Zeit spezialisiert haben.<br />
Dabei haben wir im Gr<strong>und</strong>e genommen aus der Not eine<br />
Tugend gemacht. Denn wir können<br />
bedingt durch die begrenzten Platzverhältnisse von nur<br />
zehn Ruheboxen <strong>und</strong> fünf Ausläufen, aber auch<br />
aufgr<strong>und</strong> der Auflage der Gemeinde Winkel maximal<br />
12 H<strong>und</strong>e aufnehmen. Die dafür aber entsprechend individuell <strong>und</strong> intensiv<br />
betreuen. Gleichzeitig sind unsere Tierpflegerinnen geradezu leidenschaftlich an<br />
den Themen H<strong>und</strong>everhalten <strong>und</strong> H<strong>und</strong>eerziehung interessiert, sie verfügen über ein<br />
ziemlich breites kynologisches Wissen, das sie sich in diversen<br />
Weiterbildungen angeeignet haben. Wir können uns also auf wenige H<strong>und</strong>e<br />
konzentrieren <strong>und</strong> verfügen über das nötige Fachwissen, so hat sich die<br />
Spezialisierung quasi auch ein Stück weit ergeben.<br />
Was muss man sich unter einem verhaltensauffälligen H<strong>und</strong> vorstellen?<br />
Verhaltensauffällig ist nicht gleich bedeutend mit<br />
bösartig oder gefährlich. Viele unsere Schützlinge<br />
haben in ihrer Vergangenheit negative<br />
Erfahrungen mit<br />
Menschen gemacht, sind nicht ihren Bedürfnissen<br />
entsprechend gehalten worden oder haben<br />
schlichtweg keinerlei Erziehung genossen.<br />
All das kann zu auffälligem Verhalten führen wie<br />
z.B. Schuhe schreddern oder das Verbellen von allem, was sich bewegt. Diese H<strong>und</strong>e<br />
müssen als erstes wieder Vertrauen in<br />
Menschen fassen, Sicherheit gewinnen <strong>und</strong> das Einmaleins des gut erzogenen<br />
Vierbeiners erlernen. Das braucht Zeit, Geduld <strong>und</strong> vor allem eine Menge<br />
Sachkenntnis, die man bei H<strong>und</strong>espazis natürlich nicht voraussetzen kann. Als wir<br />
feststellten, dass viele zunehmend überfordert waren, haben wir<br />
beschlossen, eine entsprechende Schulung anzubieten.<br />
Die aus einem relativen Laien aber keinen Experten macht.<br />
Natürlich nicht, aber darum geht es ja auch nicht. Wir wollen primär dafür sorgen,<br />
dass alle, die einen Vierbeiner von uns ausführen über einen<br />
Mindeststandard an H<strong>und</strong>ewissen verfügen, deswegen sind die Schulungen auch<br />
Voraussetzung für den Erhalt unseres H<strong>und</strong>espaziergänger-Ausweises. Mit<br />
diesem Minimalstandard wollen wir soweit wie möglich gewährleisten, dass die<br />
Spaziergänge für H<strong>und</strong>, Mensch <strong>und</strong> Öffentlichkeit sicher ablaufen, denn<br />
schlussendlich trägt die Stiftung <strong>TierRettungsDienst</strong> die Verantwortung sowohl für die<br />
H<strong>und</strong>espaziergänger als auch für unsere <strong>Tierheim</strong>schützlinge.<br />
Ausserdem wollen wir vermeiden, dass bestehendes Problemverhalten verschlimmert<br />
oder neues Problemverhalten provoziert wird. Nicht zuletzt aber haben<br />
die Spaziergänge optimalerweise zum Ziel, den H<strong>und</strong> nicht nur körperlich, sondern<br />
möglichst auch geistig auszulasten, <strong>und</strong> das setzt seitens des Menschen ein
gewisses Gr<strong>und</strong>wissen voraus. Anders <strong>und</strong> kurz gesagt: Je mehr der Mensch über den<br />
richtigen Umgang mit dem H<strong>und</strong> weiss, desto mehr haben beide vom<br />
gemeinsamen Spaziergang. Ganz klar bleiben aber die eigentliche Erziehung <strong>und</strong><br />
die Arbeit im verhaltenstherapeutischen Bereich Sache unserer kynologisch<br />
geschulten Tierpflegerinnen.<br />
Wieviele H<strong>und</strong>espazis habt ihr bisher ausgebildet?<br />
Genau 104.<br />
Rein rechnerisch müssten sich also 8,7 Spaziergänger einen <strong>Pfötli</strong>h<strong>und</strong> teilen…<br />
Ja, rein theoretisch sind über 100 H<strong>und</strong>espaziergänger eigentlich zu viel. Und<br />
natürlich ist an einem sonnigen Wochenende die Wahrscheinlichkeit gross, dass<br />
nicht alle Spazierwilligen einen H<strong>und</strong> mitbekommen, weil bereits alle Vierbeiner<br />
unterwegs sind. Generell gehört aber die Hälfte unserer Absolventen nicht zu<br />
den regelmässigen, d.h. wöchentlichen Spaziergängern, einige kommen vielleicht<br />
nur einmal im Monat vorbei, manche verlieren nach einiger Zeit ganz das<br />
Interesse.<br />
Warum begrenzt ihr dann nicht von vorne herein die Zahl der Teilnehmerinnen <strong>und</strong><br />
Teilnehmer?<br />
Weil es uns bei der Ausbildung noch um etwas ganz anderes,<br />
wesentliches geht: die Prävention. H<strong>und</strong>espaziergänger sind<br />
immer Menschen, die ein grosses<br />
Interesse an H<strong>und</strong>en haben <strong>und</strong> demzufolge auch potentielle<br />
H<strong>und</strong>ehalter sind. Deshalb ist es uns wichtig, Aufklärungsarbeit<br />
zu leisten <strong>und</strong> dafür zu sorgen,<br />
dass die Anschaffung eines H<strong>und</strong>es gut überlegt wird. Wir<br />
erleben im <strong>Tierheim</strong>alltag mittlerweile täglich überforderte<br />
H<strong>und</strong>ehalter am Telefon oder am<br />
Empfangsschalter, die weder „böse” noch „unfähig” sind, sondern schlichtweg den<br />
Fehler gemacht haben, sich den falschen H<strong>und</strong> ins Leben zu holen,<br />
Menschen, die es nur gut gemeint, einen H<strong>und</strong> irgendwo gerettet oder unüberlegt<br />
angeschafft haben.<br />
Wie sieht diese Aufklärungsarbeit konkret aus?<br />
Zum einen wollen wir ein Bewusstsein für die Fragen schaffen, die sich jeder vor der<br />
Anschaffung eines H<strong>und</strong>es unbedingt stellen sollte. Zum Beispiel,<br />
welche Erwartungen ich an einen H<strong>und</strong> habe, welcher Typ H<strong>und</strong> zu mir <strong>und</strong> meinen<br />
Lebensumständen passt. Deswegen informieren wir in der Schulung<br />
unter anderem über typische Eigenschaften <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Bedürfnisse<br />
einzelner Rassen. Deutschen also beispielsweise aus, was es ganz
praktisch bedeutet, wenn ein Border Collie oder ein Jack Russel Terrier „beschäftigt”<br />
werden muss. Und welche Konsequenzen es hat, wenn er<br />
unterbeschäftigt ist, womit wir beim Stichwort „Entwicklung von<br />
Verhaltensauffälligkeiten” wären. Und natürlich wird auch thematisiert, worauf ich<br />
beim<br />
Kauf oder der Übernahme eines H<strong>und</strong>es achten muss <strong>und</strong> mit welchen<br />
Lebenshaltungskosten zu rechnen ist. Darüber hinaus wollen wir mit einer Einführung<br />
in Sozialverhalten, Körpersprache <strong>und</strong> Lerntheorie eine Art Basiswissen über den<br />
besten Fre<strong>und</strong> des Menschen vermitteln. All das mit dem Ziel, dass sich die<br />
Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmer, wenns denn mal soweit ist, den H<strong>und</strong> anschaffen,<br />
mit dem sie ein H<strong>und</strong>eleben lang glücklich sein werden <strong>und</strong> dem so mit<br />
Sicherheit ein Aufenthalt im <strong>Tierheim</strong> erspart bleibt.<br />
Die Schulung beinhaltet aber auch einen praktischen Teil, worum geht es da<br />
hauptsächlich?<br />
Um das richtige Führen eines H<strong>und</strong>es. Das fängt damit an, auf<br />
welcher Seite ich den H<strong>und</strong> je nach Situation führe, wie ich die<br />
Leine richtig einsetze <strong>und</strong> den<br />
H<strong>und</strong> zu gewünschtem Verhalten motivieren kann. Ganz nach<br />
dem Motto „Probieren geht über Studieren” bekommt jeder für<br />
eine Prober<strong>und</strong>e auf der<br />
<strong>Pfötli</strong>wiese einen H<strong>und</strong> an die Hand, dabei lässt sich am besten<br />
zeigen, wie allfällige Fehler vermieden werden können <strong>und</strong> was zu<br />
tun ist, um zum Beispiel<br />
einer Leinenaggression vorzubeugen.<br />
Stichwort Leinenaggression. Wie werden die Spazis auf die “freie Wildbahn”<br />
vorbereitet, also zum Beispiel auf die Begegnung mit anderen H<strong>und</strong>en?<br />
Situationen, die wir nicht konkret üben können, werden durchgesprochen <strong>und</strong><br />
entsprechende Lösungen aufgezeigt. Also beispielsweise wie ich mich<br />
gegenüber Joggern, Velofahrern <strong>und</strong> anderen H<strong>und</strong>ebesitzern verhalte. Hierfür gibt<br />
es allgemein gültige Regeln, an die sich selbstverständlich auch unsere<br />
H<strong>und</strong>espazis halten müssen, das fängt beim Zusammennehmen des H<strong>und</strong>ekots an.<br />
Natürlich kann man sich nicht auf alle Situationen theoretisch vorbereiten,<br />
auch hier gilt: Übung macht den guten H<strong>und</strong>espaziergänger. Ausserdem stehen die<br />
Tierpflegerinnen nach jedem Spaziergang für Fragen zur Verfügung, die<br />
unterwegs aufgetaucht sind.<br />
Es finden weitere Schulungen statt. Wie würdest du den idealen Teilnehmer, die<br />
ideale Teilnehmerin beschreiben?<br />
Zuverlässig, verantwortungsbewusst, wetterfest, lernt<br />
gerne Neues, hat viel Verständnis für <strong>und</strong> Geduld<br />
mit unseren H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> das Herz am rechten<br />
Fleck.