Winter 2006 - Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie
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SLP-Newsletter <strong>Winter</strong> <strong>2006</strong><br />
Das Resultat ist jetzt in Buchform erschienen.<br />
In den ersten Kapiteln wird der österreichische Mythos von der Unschuldsnation kritisch rekonstruiert.<br />
Was in der Unabhängigkeitserklärung vom April 1945 und wohl auch noch in der Zeit vor dem<br />
Staatvertrag 1955 eine bewusste Beschönigung und politisches Kalkül war, um sich von den Deutschen<br />
abzukoppeln, den Abzug der alliierten Truppen und die Unabhängigkeit durchzusetzen, wurde, je öfter<br />
die Geschichte erzählt wurde und je mehr sich die großen Parteien ÖVP und SPÖ um die Ehemaligen<br />
und Kriegsheimkehrer bemühten, immer mehr zu einer geglaubten Lüge. Diese hielt bis in die Zeit der<br />
Waldheim-Affäre und vermengte sich mit einer allgemein beliebten Märtyrer-Inszenierung im katholischen<br />
Österreich.<br />
Wenn Österreichische Politiker in Bedrängnis oder Euphorie geraten, sprich: wenn die Selbstkontroll-<br />
Mechanismen etwas geschwächt sind, passieren bis auf den heutigen Tag verräterische Dinge. Haider<br />
lobte 1995, als er sich von der Öffentlichkeit unbeobachtet wähnte, vor seinen Eltern und den versammelten<br />
ehemaligen Angehörigen der SS in Krumpendorf diese als „anständig geblieben“ und „Vorbild<br />
<strong>für</strong> die Jugend“.<br />
Der frisch gewählte und emotional offensichtlich angerührte FPÖ Chef von Niederösterreich Ernest<br />
Windholz dankte im Juni 2001 der Partei-Versammlung mit dem Motto der Waffen-SS „Unserer Ehre<br />
heißt Treue“ – um dann nachher zu sagen, er habe gar nicht gewusst, was das bedeute.<br />
Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass eine mögliche unbewusste Identifizierung eigentlich auf<br />
eine noch tiefere „Unfähigkeit zu trauern“ schließen lässt, die in der österreichischen politischen Kultur<br />
wirksam geworden ist.<br />
Noch im Frühjahr 2005 dauerte es Wochen, bis ein aus Kärnten stammendes Mitglied des Bundesrates<br />
(der Länderkammer) namens Siegfried Kampl wegen der am Mikrophon gemachten Erklärung,<br />
Wehrmachtdeserteure seien „Kameradenmörder“ gewesen und nach dem Krieg habe es eine „brutale<br />
Naziverfolgung“ gegeben, dann doch zurücktreten musste - nicht ohne einen letztendlichen Haider-<br />
Kommentar, der dem politisch Ausgerutschten die persönliche Qualität eines Ehrenmannes attestierte.<br />
Schließlich hatte Haider jahrelang selbst ganz Österreich in eine Psychodrama-Bühne <strong>für</strong> die eigene<br />
Familientherapie in Bezug auf seine Eltern und die Rehabilitierung der ganzen „Kriegsgeneration“ verwandelt.<br />
Opferlegenden und Heldengeschichten können auf Kosten der realistischen Erzählung von Täterschaft,<br />
Mitverantwortung und ängstlicher Zeugenschaft wunderbar koexistieren. Der in Österreich mächtige<br />
„Kameradschaftsbund“ half, die Verletzungen zu heilen und die doppelte Niederlage der Soldaten, nämlich<br />
in Bezug auf den Sieges-Auftrag der NS-Ideologie, und in Bezug auf das demokratische Postulat<br />
von Zivilcourage und Widerstand, zu kompensieren. „Das Selbst der ehemaligen Kameraden erhielt aus<br />
beiden Identifikationsangeboten ein beträchtliches Quantum an narzisstischer Zufuhr, wobei das Opfer-<br />
Selbst der Verteidigungslinie gegenüber moralischen Angriffen durch die Identifikation mit den Opfern<br />
des Nazismus entspricht.“ (S. 112) Das „Helden-Selbst“ lebt hingegen „aus den Resten der früheren<br />
Identifikation mit dem Führer und einer als allmächtig phantasierten ,Volks- bzw. Wehrgemeinschaft’.“<br />
(S. 113)<br />
Eine Karrikatur dieser Ko-Inzenierung von Unschulds-, Opfer- und Heldengeschichte lieferten uns die<br />
österreichische Regierung und ihr nahe stehende Medien im Jahr 2000, als die neue Koalition unter<br />
Wolfgang Schüssel wegen der Beteiligung der Haider-Partei in ganz Europa kritisiert wurde und <strong>für</strong> ein<br />
halbes Jahr ziemlich harmlose diplomatische Sanktionen zu spüren bekam. Die Sanktionen wurden als<br />
eine schwere Bürde <strong>für</strong> jeden Österreicher, gewissermaßen als das große „gewähltes Trauma“ (Vamik<br />
Volkan) <strong>für</strong> die Bildung von Kollektividentität inszeniert. Der Grund <strong>für</strong> die Sanktionen, nämlich die<br />
politische Verharmlosung des Nationalsozialismus und rassistische Äußerungen in der FPÖ und durch<br />
Haider selbst, war wie weg geschnitten. Es wurde die Kommunikation nur von der Ungeheuerlichkeit<br />
der „Einmischung“ ausgehend interpunktiert. Und dann sollten die Österreicher sich noch als kleine<br />
Helden (nicht unähnlich einem bekannten gallischen Dorf) sehen, die durch einen geforderten unerbittlichen<br />
„Schulterschluss“ (O-Ton Schüssel) den Eindringlingen trotzen, was ja dank der Gutmütigkeit<br />
oder Prinzipienlosigkeit der europäischen Autoritäten nach einem halben Jahr auch irgendwie gelang.<br />
Die Erinnerung an die schwere „Sanktionszeit“ wirkt heute eher komisch.<br />
Aber es verdichten sich in dieser von Sauer und Zöchmeister behandelten Episode (vgl. S. 52 ff.) ebenso<br />
wie in den Reaktionen auf die Wehrmachtsausstellung die Abwehr-, Bagatellisierungs- und<br />
Schuldumkehrmechanismen, welche <strong>für</strong> die politische Kultur in Österreich, trotz einiger wichtiger<br />
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