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Yolanda Feindura - Frauennotruf Bremen

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<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />

Ausstellungseröffnung am 24.09.2010<br />

Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen <strong>Bremen</strong> ~ Dr. Gabriele Treu<br />

<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma<br />

Ausstellungseröffnung am 24.09.2010, 19.00 Uhr, Atelierhof Galerie<br />

Kunst<br />

„Bilder können mehrere, können verschiedene Wahrheiten ansprechen, können zeigen, was<br />

zu sehen ist, und gleichzeitig hervorheben, dass etwas Unsichtbares gegenwärtig ist, und<br />

dass es Wahres jenseits der Wahrheiten gibt.“ 1<br />

Mit diesen Worten des 2009 verstorbenen Bremer Psychoanalytikers Ekkehard Gattig<br />

möchte ich Sie, verehrte Kunst- und Kulturinteressierte, sehr herzlich zu dieser Ausstellung<br />

begrüßen.<br />

Die Künstlerin <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> hat uns vom Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen<br />

mit der Aufgabe bedacht, diese Ausstellung zu eröffnen. Mehr noch als diese Tatsache gibt<br />

der Titel der Ausstellung den Kurs des heutigen Abends vor. Es wird um Kunst und um<br />

Trauma gehen. Wir dürfen also mit einer wenig beschaulichen, dafür aber mit einer<br />

arbeitsintensiven Veranstaltung rechnen. Beide Themen, Kunst und Trauma, würden für sich<br />

allein genommen mühelos eine eigene Tagung füllen, daher werden die hier vorgetragenen,<br />

überwiegend psychoanalytischen Überlegungen zwangsläufig unvollständig bleiben müssen.<br />

<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> wurde im Mai 1945 geboren. Zu dieser Zeit endete in Europa bekanntlich<br />

der Zweite Weltkrieg. <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> wurde in eine Gesellschaft geboren, die von<br />

Zerstörung, Hunger und Verlusten gezeichnet war. Die Menschen mussten realisieren, dass<br />

sie zwölf Jahre lang in der Vorstellung unermesslicher Grandiosität gefangen und am Ende –<br />

menschlich – ebenso unermesslich gescheitert waren. Zögerlich erkannte man die<br />

1 Gattig, Ekkehard (2008): Arbeit der Bilder. Die Präsenz des Bildes im Dialog zwischen Psychoanalyse,<br />

Philosophie und Kunstwissenschaft. Einführung ins Tagungsthema. In: Kleinspehn, Thomas (10.08.2008),<br />

Nordwest-Radio. CD 8:48.<br />

1


<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />

Ausstellungseröffnung am 24.09.2010<br />

Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen <strong>Bremen</strong> ~ Dr. Gabriele Treu<br />

beispiellose Schuld an, die damit verbunden war, dass das eigene Volk die Welt mit Tod und<br />

Verderben überzogen hatte, - um doch bald wieder zu verdrängen, was unerträglich war.<br />

Auch die Rückwärtsgewandten gab es noch, die den alten Ideen anhingen und die<br />

Atmosphäre der entstehenden Republik vergifteten. Mehr noch die vielen, die sich selbst vor<br />

allem als Opfer des Dritten Reichs begriffen, obwohl sicherlich mancher von ihnen von den<br />

Nazis profitiert hatte. Rund zwanzig Jahre später wurde von Alexander und Margarete<br />

Mitscherlich diese deutsche Unfähigkeit zu trauern im Detail beschrieben. 2 Aber damals,<br />

1945 und in den Jahren danach, gab es vielerorts auch ein Aufatmen, weil nun alles vorbei<br />

war und die große Zerstörung der Vergangenheit angehörte. Endlich konnte und wollte man<br />

wieder von vorne anfangen. Es gab den Wiederaufbau, die Aussicht auf ein Ende der Not<br />

und die Hoffnung auf die Vergebung der Völkergemeinschaft. Gerade in der seinerzeit<br />

heranwachsenden Generation gab es nicht nur den Wunsch, sondern auch ein gewisses<br />

Maß an Zuversicht, dass so etwas Schreckliches nie wieder würde geschehen können.<br />

In der widersprüchlichen Atmosphäre dieser Zeit verbrachte <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> ihre Kindheit.<br />

Sie, geschätzte Gäste, werden Spuren davon in ihren Bildern finden können. Zum Beispiel in<br />

dem 2004 fertig gestellten Exponat mit dem Titel 1950. Dort ist eine überwiegend grau<br />

gefärbte Trümmerlandschaft dargestellt, davor, fast durchsichtig und nur auf den zweiten<br />

Blick zu erkennen, das Brustbild eines Mädchens, deren Hände an einem Buch zu den<br />

wenigen farblichen Akzenten gehören. Es handelt sich um zwei verschiedene Maltechniken,<br />

Trümmerlandschaft und Mädchen, die einander in Frage zu stellen scheinen und doch<br />

miteinander korrespondieren. <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> hat, wie sie mir gesagt hat, eigentlich schon<br />

immer gezeichnet; zur Malerei kam sie erst später. Nehmen wir an, <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> habe<br />

mit diesem Exponat ein erinnertes, also ein inneres Abbild ihrer selbst und ihrer Lebenswelt<br />

geschaffen. Zu erkennen wäre darin die persönliche Eigenschaft der Künstlerin, sich<br />

psychisch „durchsichtig“ zu machen, emotionale Rezeptivität zu entwickeln, um das äußere<br />

Geschehen ganz in sich aufzunehmen. In einem zweiten Schritt würde sie sich das<br />

Aufgenommene als Vorstellungsbild innerlich anverwandeln, um dieses in einem dritten<br />

Schritt wiederum zu malen, zu zeichnen, in einem Akt der Transformation zur Gestalt zu<br />

bringen und so zu externalisieren. In diesem Vorgang wäre dann die Vieldeutigkeit<br />

angesprochen, die der eingangs erwähnte Psychoanalytiker Ekkehard Gattig vielleicht<br />

meinte, als er sagte, Bilder könnten zeigen, was zu sehen ist, und gleichzeitig hervorheben,<br />

dass etwas Unsichtbares gegenwärtig ist.<br />

Dafür spricht im Übrigen auch, dass am rechten unteren Bildrand, in der Nachbarschaft der<br />

Hände des Mädchens, zwei zugenagelte Herzen, ebenfalls durchsichtig und in auffälliger<br />

Farbigkeit, abgebildet sind. <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> selbst setzte die zugenagelten Herzen mit<br />

Überlebenwollen und Angstabschluss gleich. Die Künstlerin musste mich übrigens zweimal<br />

darauf hinweisen, dass es sich hierbei nicht um Bomben handele; die nämlich hatte ich in<br />

dem Dargestellten gesehen. Ich habe einen Moment lang darüber nachgedacht, ob ich nun<br />

meinen Text umschreiben muss, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass es sich im<br />

Grunde um zwei Seiten derselben Medaille handeln könnte. Während <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> ein<br />

Symbol für den Umgang mit überwältigender Angst abbildet, bezieht sich meine<br />

Wahrnehmung auf das Gegenstück, die Bedrohung. Während sie darstellt, wie das<br />

Individuum sich zu schützen versucht, ist mein Blick darauf gerichtet, welche Kräfte auf das<br />

Individuum einwirken. Sie, die Künstlerin, und ich, die Betrachterin, befinden uns also bereits<br />

in einem Dialog über das Medium des Bildes. Es würden sich zweifellos weitere Hypothesen<br />

eignen, um diesen Bildausschnitt zu untersuchen. Unzweifelhaft aber werden die<br />

zugenagelten Herzen bzw. die Bomben, in der Formgebung quasi ununterschieden, an<br />

Hände und Buch gereiht. Sie erhalten damit den gleichen Rang, die gleiche Bedeutsamkeit.<br />

Die Bomben, um meiner eigenen Perspektive zu folgen, die ich hier probehalber mit<br />

Destruktion assoziieren will, repräsentieren unter anderem die Gegenwärtigkeit der<br />

2 Mitscherlich, Alexander, und Mitscherlich, Margarete (1967): Die Unfähigkeit zu trauern. München: R. Piper.<br />

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<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />

Ausstellungseröffnung am 24.09.2010<br />

Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen <strong>Bremen</strong> ~ Dr. Gabriele Treu<br />

politischen Geschichte vor 1945, namentlich den Krieg, seine ebenfalls transformatorische,<br />

wenngleich überaus zerstörerische Kraft, sowie die NS-Verbrechen, über die nur allzu häufig<br />

der Mantel des Schweigens gebreitet wurde. Das dargestellte Mädchen akzeptiert die<br />

Gegenwärtigkeit von Angst und Destruktion, die wie isoliert am rechten unteren Bildrand<br />

verbleiben, es verleugnet sie nicht. Mit dem Schreib- und Zeichengerät und dem Buch, das<br />

sie zur Hand nimmt, greift es jedoch nach den konstruktiveren Möglichkeiten der<br />

Dokumentation und Sublimation, um das Unverstandene wenigstens ausdrücken und<br />

vielleicht verstehen zu können. Augenscheinlich hat das Mädchen seinen Weg durch die<br />

Wirren äußerlicher Bedrohungen und innerer Bewältigungsversuche gefunden, selbst wenn<br />

es vermutlich einen gewissen Preis dafür bezahlen muss. Auch darauf richtet sich unser<br />

Blick als Betrachter.<br />

Vermutlich ist es kein Zufall, dass die Kunst von <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> in gewisser Weise auch<br />

politisch ist. Sie werden, werte Gäste, bei sorgfältiger Betrachtung der Bilder Hinweise auf<br />

Täter und Taten finden, etwa in den roten Schuhen des Papstes vor einer angedeuteten<br />

Blutpfütze. Ist er doch Oberhaupt einer Kirche, in der Missbrauch und Misshandlung von<br />

Kindern jahrzehntelang, jahrhundertelang geduldet und gedeckt wurde. Und natürlich werden<br />

Taten und Opfer sichtbar gemacht: Ein immer wiederkehrendes Motiv scheinen mir die<br />

Kinder zu sein, zweifellos Traumatisierte, mit greisenhaften Zügen und alptraumhaften<br />

Augen. Aber auch das entblößte, schutzlose weibliche Genital wie im Bild Tränendes Herz<br />

aus dem Jahr 1998, kastriert, der weiblichen Potenz beraubt, übrig geblieben ein fruchtloses<br />

Loch und tränende Herzen. Immer wieder findet sich das Kreuz, die bigotte Kirchlichkeit der<br />

päpstlichen Schuhe konterkarierend. Mal mehr, mal weniger im Vordergrund scheint es wie<br />

ein Symbol aus dem kulturellen Unbewussten auf und verweist den Betrachter auf das<br />

widerrechtlich zerstörte, auf das leidende Opfer. Die geschundene Kreatur.<br />

So bildet das Kreuz auch den Hintergrund für jenes Exponat, das den Titel dieser<br />

Ausstellung trägt, das Bild Trauma aus dem Jahr 2003. Das Bild bezieht sich auf eine<br />

Zeitungsmeldung mit dem Photo des zwölfjährigen Jungen Ali Ismail Abbas, der im Irakkrieg<br />

schwerste Verbrennungen erlitt. Die Bomben des Feldzugs Iraqi Freedom rissen ihm beide<br />

Arme ab. Darüber hinaus verlor er seine schwangere Mutter, seinen Vater und seinen<br />

Bruder. Und so meint man in dem abgebildeten Gesicht auf dem Photo den Ausdruck eines<br />

verlorenen Kindes zu erkennen, das der Tod vergessen hat abzuholen und zu seiner Familie<br />

zurückzubringen, damit er in dieser Welt nicht so furchtbar allein sein muss. Die Künstlerin<br />

nimmt, so könnte man meinen, mit ihrem Bild des Jungen Ali Bezug auf die Passion Christi<br />

und fächert die Aspekte des kindlichen Leidens in einem Triptychon auf. Die<br />

Traumatisierungen des Jungen Ali, die Verbrennungen, die Verstümmelung, der Verlust,<br />

wiegen offenkundig zu schwer, sind zu groß für ein einziges Bild.<br />

Die Künstlerin unterlegt dieses Triptychon mit zwei weiteren Bildern, zwei Kinder, beide<br />

ebenfalls traumatisierte Zeugen des furchtbaren Ereignisses. Wiederum in auffälliger<br />

Farbigkeit, gibt sie ihnen jedoch Arme und Hände, mit denen sie sich die Augen und die<br />

Ohren zuhalten können. Diese beiden Kinder können somit die Wahrnehmung des<br />

Geschehens dosieren; sie können sich ein Stück weit davon abschotten. Die Betonung von<br />

Armen und Händen, angezeigt durch die abweichende Maltechnik, verweist auf ihre<br />

besondere Bedeutung, sind es doch gerade die Arme und Hände, die dem zwölfjährigen Ali<br />

abgerissen wurden. Nehmen wir also an, die Künstlerin habe in Bild 4 und 5 dem Jungen Ali<br />

seine Möglichkeit, wegzuhören und wegzuschauen, zurückgeben wollen. Sie hätte zwar<br />

nicht seine körperliche Unversehrtheit wiederherstellen können, aber sie hätte seinen<br />

seelischen Schutz, seine Fähigkeit zur psychischen Abwehr, die bei Traumatisierungen so<br />

nachhaltig angegriffen ist, erneuert. Nach dieser Lesart würde es sich also auch um einen<br />

Heilungswunsch oder einen Heilungsversuch handeln.<br />

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<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />

Ausstellungseröffnung am 24.09.2010<br />

Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen <strong>Bremen</strong> ~ Dr. Gabriele Treu<br />

Die Kunst von <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> ist aus meiner Sicht politisch, weil ihr eine Kritik an den<br />

bestehenden Verhältnissen immanent ist. Sie ist jedoch nicht politisch motiviert, und deshalb<br />

ist sie auch nicht intentional auf eine ideologische Botschaft verengt. Die Bilder sind vielmehr<br />

vom Standpunkt des fühlenden Subjekts aus entstanden. Das mitfühlende, das mitleidende<br />

Subjekt ist nicht in der Lage, sich der Teilhabe an den grausamen Ereignissen dieser Welt zu<br />

verschließen. Das fühlende Subjekt hat keine andere Möglichkeit, als das es umgebende<br />

Leid in sich aufzunehmen und eine Berührung mit den eigenen leidvollen Vorerfahrungen zu<br />

erlauben. Aus diesem Vorgang entsteht ein drängendes Verlangen nach Ausdruck.<br />

Eindrucksvoll und mitunter in schwer erträglicher Weise belegen das auch die Arbeiten<br />

<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>s zu dem tragischen Fall des kleinen Kevin, der hier in <strong>Bremen</strong> mitten unter<br />

uns an seinen Misshandlungen gestorben ist. Wir werden nachher noch einen Film dazu<br />

sehen können.<br />

Trauma und Traumatisierungen<br />

Der Begriff Trauma stammt aus dem Griechischen und bedeutet (unter anderem) „Wunde,<br />

Verletzung, Beschädigung“. Ursprünglich wurde der Begriff, der längst alltagssprachliche<br />

Verwendung findet, von der Chirurgie eingeführt, um die Zerstörung von Zellgewebe zu<br />

bezeichnen, im erweiterten Sinn die Auswirkungen körperlicher Verletzungen durch äußere<br />

Krafteinwirkung. In Entsprechung dazu meint der Begriff des psychischen Traumas die<br />

Auswirkungen seelischer Verletzungen aufgrund äußerer Ereignisse. 3 Diese Betonung der<br />

äußeren als gewaltsam erlebten Krafteinwirkung ist für das Verständnis von psychischen<br />

Traumatisierungen bedeutsam. Es kann sich hierbei um einen schweren Verlust handeln, um<br />

eine körperliche Erkrankung, eine Verletzung, eine Kriegshandlung, eine Naturkatastrophe<br />

wie ein Erdbeben oder ein Tsunami, eine technische Katastrophe wie ein Zugunglück, eine<br />

Misshandlung, eine Vergewaltigung, eine Folterung etc.<br />

Ein psychisches Trauma entsteht, wenn ein äußeres Ereignis einen derart massiven<br />

affektiven Reiz auf die Psyche ausübt, dass ein Abreagieren oder eine Aufarbeitung<br />

misslingen muss. Das Seelenleben des Menschen wird dabei emotional aufgewühlt und<br />

überflutet von Ängsten. Um es mit einem Bild Sigmund Freuds zu beschreiben: Die<br />

Schutzhaut der Psyche wird gewaltsam durchbrochen. In der Folge mobilisiert der<br />

psychische Apparat alle zur Verfügung stehenden Kräfte, um die schadhafte Stelle zu<br />

fixieren und zu isolieren. Das psychische Trauma verbleibt nunmehr als Fremdkörper, als<br />

eine Art Krankheitsherd in der Seele, der jederzeit wieder aufflackern kann. 4<br />

Wir müssen davon ausgehen, dass Menschen zu allen Zeiten in ihrer Kindheit<br />

Traumatisierungen erfahren haben. Einige Jahre, bevor <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> geboren wurde,<br />

zwischen 1940 und 1945, hat Anna Freud mit ihren Mitarbeitern zusammen Kinder versorgt,<br />

die in den Hampstead Nurseries Schutz vor den Bombenangriffen auf das damalige London<br />

gefunden hatten. Was bei den Kindern zu schweren psychischen Schädigungen führte,<br />

waren weniger die schrecklichen Kriegsereignisse. Es waren vor allem die kriegsbedingten<br />

Trennungen, insbesondere von ihren Müttern, die den Kindern zusetzten. Sie reagierten auf<br />

den Verlust ihres primären Liebesobjektes – ich zitiere Anna Freud: „mit tiefer Trauer,<br />

wütendem Heimweh, völliger Verstörung und Apathie, Zwangshandlungen und<br />

3 Vgl.: Kretschmann, Ulrike (1993): Das Vergewaltigungstrauma. Krisenintervention und Therapie mit<br />

vergewaltigten Frauen. Münster: Westfälisches Dampfboot. S. 13. Seit mehr als hundert Jahren befasst sich die<br />

Psychoanalyse mit Psychotraumatologie: Bereits 1893 konzipierte Freud in einem Vortrag über den<br />

psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene das psychische Trauma als „Fremdkörper“, der als<br />

krankmachendes Agens, „als reizende Krankheitsursache“ im Psychischen wirksam ist (S. 85, vgl. Barwinski<br />

Fäh 2004, S. 2). Ein anschaulicher Überblick zur psychoanalytischen Traumaforschung findet sich bei Bohleber<br />

(2000) und Barwinski Fäh (2004, S. 1 - 6)<br />

4 Vgl.: Freud, Sigmund (1893): Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. GW I, S. 85. Vgl.:<br />

Kretschmann (ebd.), S. 19f.<br />

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<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />

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Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen <strong>Bremen</strong> ~ Dr. Gabriele Treu<br />

psychosomatischen Reaktionen, verzweifeltem Anklammern an Dinge oder Worte, die sie an<br />

das Verlorene erinner[te]n“. 5 Zitat Ende.<br />

Bei manchen Kindern der Hampstead Nurseries wog der Verlust so schwer, dass sie den<br />

Schmerz nicht vertragen konnten und deshalb emotional abspalten mussten. Diese Kinder<br />

zeigten – ich zitiere erneut Anna Freud: „keine Zeichen von Trauer, sondern reagier[t]en …<br />

eher mit verstärkter Heiterkeit und scheinbarer Unbekümmertheit. Vier unserer Kriegswaisen<br />

zum Beispiel zählten zu den lautesten und lustigsten Kindern ihrer Gruppen. Diese<br />

Absperrung gegen den Affekt lässt sich aber nicht aufrechterhalten, wenn ein neues<br />

Bombardement das Kind zwingt, das traumatische Ereignis in allen seinen Einzelheiten<br />

wieder zu durchleben.“ 6 Zitat Ende. Bei solchen Retraumatisierungen ereigneten sich<br />

dramatische „Rückschritte in der Entwicklung“, das Kind, nunmehr ohne Bindung, geriet in<br />

eine Art Niemandsland der Gefühle. So sagte ein kleiner fünfjähriger Junge, der von seiner<br />

Mutter getrennt war und seinen Vater verloren hatte: „Ich bin Niemandes Niemand.“ 7<br />

Es ließe sich leicht verstehen, wenn dieser Junge später im Erwachsenenalter auch bei<br />

banalen Trennungsanlässen schon einen psychischen Zusammenbruch erleiden würde.<br />

Notruf<br />

Im Notruf haben wir nicht – wie die Künstlerin – die Möglichkeit, Bilder zu zeichnen oder zu<br />

malen, mit denen wir die Auswirkungen von Traumatisierungen öffentlich kommunizieren<br />

können. Wir möchten stattdessen einer unserer Klientinnen unsere Stimme leihen und Sie<br />

dafür um Ihr Gehör bitten. Es geht um eine junge Frau, die vor gut anderthalb Jahren in<br />

unsere Beratungsstelle kam. Sie war von einer Verwandten angemeldet worden, die sich<br />

große Sorgen um die junge Frau machte.<br />

[BM:] Als sie kam, stand sie mit gesenktem Kopf in der Tür; sie wagte es nicht hoch zu<br />

schauen. Während sie uns in das Beratungszimmer folgte, schien sie mit ihren Füßen kaum<br />

den Boden zu berühren. Ihre Bewegungen waren verlangsamt. Vorsichtig versuchte sie,<br />

jedes Geräusch zu vermeiden.<br />

Im Gespräch erfuhren wir, dass sie einige Monate zuvor in einem außereuropäischen Land<br />

an einer Friedens-Demo teilgenommen hatte. Dabei war sie verhaftet worden. In der<br />

Untersuchungshaft hatte man sie nach den Namen der Drahtzieher gefragt. Sie konnte<br />

jedoch keine Namen nennen, da sie keine Drahtzieher kannte. Die Gefängniswärter nahmen<br />

sie mit und sperrten sie für drei Tage in eine Zelle. Während dieser drei Tage wurde sie<br />

verhört, misshandelt, wieder verhört und mehrfach vergewaltigt. Schließlich ließ man sie<br />

gehen. Vermutlich hoffte man, dass sie zu denjenigen Menschen laufen würde, deren<br />

Namen sie verraten sollte.<br />

Die junge Frau war schwer verletzt. Sie hatte Mühe, sich in Sicherheit zu bringen. Aber sie<br />

schaffte es, ihre Verfolger abzuschütteln und mit Hilfe ihrer Familie nach Deutschland zu<br />

flüchten. Hier hatte sie große Angst, dass man sie in ihr Land zurückschicken würde. Da sie<br />

5 Freud, Anna, und Burlingham, Dorothy (1948, 1950, 1951): Heimatlose Kinder. Zur Anwendung<br />

psychoanalytischen Wissens auf die Kindererziehung. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1971. S. V und VI.<br />

In einer späteren Arbeit berichtete sie außerdem von Kindern, die nach ihrer Befreiung aus dem<br />

Konzentrationslager Theresienstadt ein Jahr lang von den Schwestern in England gepflegt wurden.<br />

6 Freud, Anna, und Burlingham, Dorothy (ebd.). S. 29. Traumatisierungen aktualisieren immer auch belastende<br />

Vorerfahrungen des Indivdiuums aus vergangenen Lebensabschnitten.<br />

7 Freud, Anna, und Burlingham, Dorothy (ebd.). S. 59. – Es muss darauf hingewiesen werden, dass eine<br />

Traumatisierung beim Individuum immer auf dessen jeweilige entwicklungsphasige Psychodynamik trifft, deren<br />

Motive die psychischen Auswirkungen des Traumas maßgeblich mitbestimmen.<br />

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kein Aufenthaltsrecht hatte, hielt sie sich einige Monate in einer 5 qm großen Kammer bei<br />

Freunden versteckt. Als sie jedoch nachts nicht mehr schlafen konnte, als sie anfing, ihre<br />

Unterarme so lange zu reiben, bis ihre Haut ganz dünn wurde und schließlich zu bluten<br />

begann, als sie nicht mehr aufhören konnte zu weinen, brachten ihre Angehörigen sie<br />

schließlich in die Beratungsstelle.<br />

Die Vergewaltigung als traumatische Situation<br />

[GT:] Eine Vergewaltigung wird nicht allein als ein Angriff von außen erlebt.<br />

Unerwartete Gewalt oder plötzliche Bedrohung lösen beim Opfer massive Affekte aus,<br />

die weder abreagiert noch innerpsychisch integriert werden können.<br />

Ein wesentlicher Faktor einer Vergewaltigung ist die Aggression, das gilt umso mehr,<br />

wenn sie mit gezielter Folter einhergeht. Der Angriff auf den Körper und dessen<br />

Grenzen wird zugleich als Angriff auf die Persönlichkeit des Opfers erlebt. Was weiter<br />

geschehen wird, ist nicht antizipierbar. Der überwältigende Zugriff führt zu<br />

ohnmächtigem Ausgeliefertsein, bis hin zur Todesangst. Die Seele wird von<br />

unbeherrschbarer Angst überflutet. Auf den Angriff von außen folgt die<br />

Überschwemmung mit überstarken Emotionen von innen.<br />

Der Angriff von außen, die Überschwemmung mit überstarken Emotionen von innen<br />

haben zur Folge, dass bestimmte Fähigkeiten des Ichs – Realitätsbewusstsein, die<br />

Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsfähigkeiten – geschwächt werden. Die Grenze<br />

zwischen bewussten und unbewussten Vorgängen wird durchlässig. Dieser Umstand<br />

macht das Opfer später für Flashbacks anfällig, bei denen unsteuerbare<br />

Sinneswahrnehmungen in das Bewusstsein einbrechen können. Gerüche lassen sich<br />

nicht mehr abschütteln. Oder wenn das Opfer die Augen schließt, tauchen<br />

Erinnerungsbilder auf. Opfer beschreiben hinterher Erinnerungslücken. Ihr Zeiterleben<br />

ist nicht mehr so geordnet, wie wir es kennen, das Zeiterleben kann sich ausdehnen<br />

oder auch zusammenziehen, dabei entstehen Gefühle von Unwirklichkeit. Um sich zu<br />

retten, distanziert sich das Opfer und sieht alles „wie von außen“; es setzt ein überaus<br />

unangenehmes Dissoziations- oder auch Depersonalisationserleben ein. Manche<br />

Opfer wirken regelrecht amüsiert, wenn sie kurz danach über die Tat sprechen. Dazu<br />

kommen Ängste vor körperlicher und psychischer Infektion. Viele Opfer schildern, dass<br />

sie sich „wie Schmutz oder Dreck“ gefühlt hätten. Eine Vergewaltigung ist ein Akt der<br />

Entwertung. Zu Angst und Ohnmacht gesellen sich unerträgliche Schamgefühle<br />

angesichts der erniedrigenden Situation.<br />

Was von den Opfern außerdem oft als sehr schlimm empfunden wird, ist der Umstand,<br />

dass die reale Todesdrohung zu einem Akt der Unterwerfung führen kann.<br />

Das Individuum ist dem Aggressor ausgeliefert wie damals das Kind den<br />

Erwachsenen. Frühe Angstphantasien scheinen plötzlich Wirklichkeit geworden zu<br />

sein. Längst überwundene infantile Beziehungsmodi, bei denen die primären<br />

Bezugspersonen die Macht haben, dem Kind Zuneigung zu geben oder zu entziehen,<br />

es zu lieben oder zu bestrafen, werden aktualisiert. Beim Opfer entsteht gar nicht<br />

selten die Hoffnung, der übermächtige Aggressor möge seine Macht zum Guten walten<br />

lassen, möge gnädig sein und das Opfer verschonen.<br />

Vor diesem Hintergrund kann es vorkommen, dass das Opfer auf einen psychischen<br />

Mechanismus zurückgreift, den Anna Freud 1936 als »eines der wichtigsten Mittel im<br />

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<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />

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Umgang mit den angsterregenden Objekten der Außenwelt« 8 bezeichnet hat: die<br />

Identifizierung mit dem Angreifer. Wenn das Opfer mit dem Angreifer identifiziert ist,<br />

geht es mit sich so um, wie es der Täter getan hat. Das führt unter Umständen zu<br />

Selbsthass, Selbstentwertung, manchmal zu selbstverletzendem Verhalten.<br />

Sandor Ferenczi legte 1933 in einem Vortrag über Kindesmissbrauch dar, dass Angst<br />

und Ohnmacht das missbrauchte Kind zwingen würden, - ich zitiere: »sich dem Willen<br />

des Angreifers unterzuordnen, jede seiner Wunschregungen zu erraten und zu<br />

befolgen, sich selbst ganz vergessend sich mit dem Angreifer vollauf zu identifizieren.«<br />

(ebd., S. 308) »Doch die bedeutsamste Wandlung … ist die Introjektion des<br />

Schuldgefühls des Erwachsenen« (ebd., S. 309). Zitat Ende. Das abhängige Kind, das<br />

noch nicht in der Lage ist, sich gegen den missbrauchenden Erwachsenen zur Wehr zu<br />

setzen, gibt sich schließlich selbst die Schuld für das, was ihm angetan wird. 9 Dieser<br />

Vorgang ist auch bei Erwachsenen feststellbar. Regelmäßig quälen sich die<br />

Klientinnen der Beratungsstelle mit schweren Schuldgefühlen.<br />

In ihrem Exponat Die Innenwelt der Außenwelt aus dem Jahre 2010 hat <strong>Yolanda</strong><br />

<strong>Feindura</strong> den psychischen Vorgang der Identifikation mit dem Angreifer bildlich<br />

umgesetzt. Wir sehen im ersten Bild, wie sich die Hand des äußeren Aggressors in<br />

bedrohlicher Weise um die Lebendigkeit eines Kindes schließt. Im zweiten Bild<br />

erkennen wir, dass der äußere Aggressor längst verschwunden ist, dass sein Abbild<br />

jedoch in das Innere des Kindes eingedrungen ist und von dort wie ein fremder<br />

Herrscher nach der Lebendigkeit des Kindes greift.<br />

Kehren wir noch ein letztes Mal zurück zu der jungen Frau, die vor anderthalb Jahren<br />

in den Notruf kam:<br />

Notruf<br />

[BM, Notruf:] Mit Unterstützung vieler hilfsbereiter Menschen des Bremer Versorgungsnetzes<br />

gelang es damals, dieser Frau einen Flüchtlingsstatus zu verschaffen, so dass es ihr möglich<br />

wurde, für einige Wochen ins Krankenhaus zu gehen. Dort wurden ihre Wunden versorgt,<br />

dort bekam sie die Medikamente, die sie brauchte, um sich zu stabilisieren. Mit der<br />

Erfahrung, dass ihr geholfen wird, gewann sie allmählich die Hoffnung zurück, dass es ein<br />

Land gibt, in dem sie wie ein Mensch behandelt wird.<br />

Als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kehrte sie in die Beratungsstelle zurück. Es<br />

war für sie sehr wichtig, dass wir ihr zuhörten. So fing sie allmählich an, von den Tagen der<br />

Haft zu erzählen. Sie sprach über das, was mit ihr gemacht worden war. Aber für das, was<br />

sie dabei gefühlt hatte, schien es noch keine Sprache zu geben. Gleichförmig, fast<br />

emotionslos berichtete sie von den Ereignissen.<br />

[GT:] Die junge Frau hatte Folter und Vergewaltigung affektiv isoliert. Aber natürlich hatte<br />

das Folgen. Nachts wachte sie schweißgebadet und mit klopfendem Herzen auf, den Geruch<br />

der Gefängniswärter in der Nase, das Bild der Gefängnisflure vor dem inneren Auge.<br />

[BM, Notruf:] Es war oft spürbar, dass sie sehr bedrückt und niedergeschlagen war. Darauf<br />

angesprochen, berichtete sie von Schuldgefühlen, die sie quälten. Sie machte sich schwere<br />

8<br />

Freud, Anna (1936): Das Ich und die Abwehrmechanismen. In: Die Schriften der Anna Freud. Band I. 1922–<br />

1936. Frankfurt: Fischer Taschenbuch. S. 293.<br />

9<br />

Ferenczi, Sándor (1933): Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind. Die Sprache der<br />

Zärtlichkeit und der Leidenschaft. In: Balint, Michael (Hg): Schriften zur Psychoanalyse. Band II. Frankfurt:<br />

Fischer Wissenschaft 1982. S. 303.<br />

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<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />

Ausstellungseröffnung am 24.09.2010<br />

Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen <strong>Bremen</strong> ~ Dr. Gabriele Treu<br />

Vorwürfe, dass sie sich und ihre Familie gefährdet hatte, als sie damals zur Friedens-Demo<br />

gegangen war. Sie beharrte darauf, dass sie einen schlimmen Fehler begangen hatte, den<br />

sie niemals würde gut machen können. Sie wusste nicht, wie sie jemals damit würde leben<br />

können. Ebenso unerträglich war es für sie, dass sie in einem sicheren Land angekommen<br />

war, während sie ihre Verwandten in der gefährlichen Heimat zurückgelassen hatte. Sie<br />

hatte das Gefühl, ihre Familie im Stich gelassen oder sogar verraten zu haben.<br />

Nachdem wir einige Wochen mit den schweren Selbstvorwürfen der jungen Frau zu tun<br />

gehabt hatten, war ich selbst sehr bedrückt und niedergeschlagen, weil sich diese junge<br />

Frau so quälte und alles so hoffnungslos schien. Ich nahm dieses Gefühl auf und sagte ihr,<br />

dass es so traurig sei, dass ausgerechnet sie, die vergewaltigt und gefoltert worden war, so<br />

sehr auf ihrer Schuld bestand. Die junge Frau war für einen Augenblick still und fing dann an<br />

zu weinen. Rückblickend glaube ich, dass sich in diesem Moment etwas zu lösen begann.<br />

Seit dieser Sitzung brachte sie Schritt für Schritt auch ihre Gefühle mit in die Stunden. Die<br />

Angst, die Wut, die Scham, den Schmerz.<br />

Als die junge Frau, die jetzt 21 Jahre alt ist, vor einem halben Jahr in die Beratungsstelle<br />

kam, wirkte sie wieder so jung, wie sie in Wirklichkeit ist. Sie hatte sich in ihrer Haltung<br />

aufgerichtet und schaute uns offen ins Gesicht. Wir konnten ihre strahlenden Augen sehen.<br />

Leider weiß sie bis heute nicht, ob sie in diesem Land bleiben kann oder ob sie doch eines<br />

Tages abgeschoben werden wird. Das stellt immer wieder eine schwere Belastung für sie<br />

dar.<br />

[GT:] Dennoch gibt es also Hoffnung, so wie es <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> in ihrem gleichnamigen<br />

Bild dargestellt hat. Mit diesen letzten Worten zum Trauma möchte ich auf ein Schlusswort<br />

zur Kunst zurückkehren.<br />

Schlusswort<br />

<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> kommuniziert, indem sie eine Ausstellung wie diese anbietet, ihre inneren<br />

Bilder und deren äußerlichen Entsprechungen, die Exponate dieser Ausstellung, mit Ihnen,<br />

werte Gäste, die diese Exponate betrachten werden. Abschließend möchte ich mit den<br />

folgenden Sätzen einige Ausführungen des oben bereits erwähnten Psychoanalytikers<br />

Ekkehard Gattig aus dem Jahr 2008 aufgreifen: „Beim Eintritt in den Raum … haben Sie<br />

versucht, sich in einem ersten, noch flüchtigen Rundblick eine schnelle Orientierung, eine<br />

Übersicht zu verschaffen. Zunächst noch ziellos, ließen Sie Ihren Blick umherziehen, die<br />

Wahrnehmung war noch ungerichtet, verteilte sich wie zerstreut über den gesamten Raum.<br />

Bald aber hielt der umherwandernde Blick inne, kehrte zurück zu bereits Gesehenem, blieb<br />

an einzelnen Exponaten hängen, fand Neues, bisher noch nicht Entdecktes, zog schließlich<br />

weiter und kehrte doch, wie von magischer Kraft angezogen, zurück, bis er sich erneut auch<br />

anderen Exponaten zuwendete. Der Vorgang wird sich wiederholen. Es vollzieht sich ein<br />

unbewusst bleibender Austauschprozess, in dem vorhandenes, gefühltes Wissen in ein Bild<br />

hineinprojiziert wird, mit Einzelheiten des Bildes in Kontakt gerät, verändert, wieder nach<br />

innen genommen, also reintrojiziert wird, und auf diese Weise die Wahrnehmung und das<br />

eigene Erleben insgesamt verändern kann. Das ausgewählte Bild ist Ab-Bild geworden,<br />

bekommt eine intrapsychische Repräsentanz, kann also erinnert werden. Dies gilt auch dann<br />

noch, wenn Sie sich bereits wieder abgewendet und das Bild aus dem Blick verloren haben.<br />

Eine Empfindung der Gegenwärtigkeit von Vergangenem, von der Existenz des Göttlichen<br />

im Menschen, ist Teil des Vorgangs. Transitive Aspekte, also: Ich erkenne und identifiziere<br />

8


<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />

Ausstellungseröffnung am 24.09.2010<br />

Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen <strong>Bremen</strong> ~ Dr. Gabriele Treu<br />

dieses als mein Bild, ergänzen intransitive Aktivität, in dem Sinne: ich erkenne mich in<br />

diesem Bild. Beide beschreiben zugleich den Prozess und dessen Produkt.“ 10<br />

Mit diesen Worten möchte ich meinen Vortrag beenden und Sie einladen, sich der<br />

Kunstausstellung von <strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong> sowie den transitiven und intransitiven Aspekten<br />

Ihrer Betrachtung hinzugeben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Literatur:<br />

Barwinski Fäh, Rosmarie (2004): Traumabearbeitung in psychoanalytischen Langzeitbehandlungen.<br />

Einzelfallstudie und Fallvergleich auf der Grundlage psychotraumatologischer Konzepte und<br />

Modelle. Kröning: Asanger.<br />

Bohleber, Werner (2000): Die Entwicklung der Traumatheorie in der Psychoanalyse. In: Psyche, 54,<br />

Heft 9/10, S. 797 – 839.<br />

Freud, Anna (1949): Heimatlose Kinder. Frankfurt am Main: Fischer, 1971.<br />

Freud, Sigmund (1893): Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. Vorläufige<br />

Mitteilungen. GW I, S. 81 – 98.<br />

Gattig, Ekkehard (2008): Arbeit der Bilder. Die Präsenz des Bildes im Dialog zwischen<br />

Psychoanalyse, Philosophie und Kunstwissenschaft. Einführung ins Tagungsthema. In:<br />

Kleinspehn, Thomas (10.08.2008), Nordwest-Radio.<br />

Kretschmann, Ulrike (1993): Das Vergewaltigungstrauma. Krisenintervention und Therapie mit<br />

vergewaltigten Frauen. Münster: Westfälisches Dampfboot.<br />

10 Gattig, Ekkehard (2008): Arbeit der Bilder. Die Präsenz des Bildes im Dialog zwischen Psychoanalyse,<br />

Philosophie und Kunstwissenschaft. Einführung ins Tagungsthema. In: Kleinspehn, Thomas (10.08.2008),<br />

Nordwest-Radio. CD 9:03. Ursprünglich: „Es handelt sich um die Ausstellung eines Ihnen vertrauten Künstlers,<br />

nehmen wir mal an, Luc Tuymans. Beim Eintritt in den Raum mit etwa 30 der großen Bilder haben Sie versucht,<br />

sich in einem ersten, noch flüchtigen Rundblick eine schnelle Orientierung, eine Übersicht zu verschaffen.<br />

Zunächst noch ziellos, lassen Sie Ihren Blick umherziehen, seine Wahrnehmung bleibt noch ungerichtet, verteilt<br />

sich wie zerstreut über den gesamten Raum. Bald aber hält der umherwandernde Blick inne, kehrt zurück zu<br />

bereits Gesehenem, bleibt an einzelnen Exponaten hängen, findet Neues, bisher noch nicht Entdecktes, zieht<br />

schließlich weiter und kehrt doch, wie von magischer Kraft angezogen, zurück, bis er sich erneut auch anderen<br />

Exponaten zuwendet. Der Vorgang wiederholt sich. Es vollzieht sich ein unbewusst bleibender<br />

Austauschprozess, in dem vorhandenes, gefühltes Wissen in ein Bild hineinprojiziert wird, mit Einzelheiten des<br />

Bildes in Kontakt gerät, verändert, reintrojiziert wird, und auf diese Weise die Wahrnehmung und das eigene<br />

Erleben insgesamt verändern kann. Das ausgewählte Bild ist Ab-Bild geworden, hat eine intrapsychische<br />

Repräsentanz bekommen, kann also erinnert werden, wenn der Betrachter einmal sein Bild gefunden, als zu<br />

ihm gehörig identifiziert hat. Dies gilt auch dann noch, wenn er sich bereits wieder abgewendet und es aus dem<br />

Blick verloren haben wird. Eine Empfindung der Gegenwärtigkeit von Vergangenem, von der Existenz des<br />

Göttlichen im Menschen, ist Teil des Vorgangs. Transitive Aspekte, also: Ich erkenne und identifiziere dieses als<br />

mein Bild, ergänzen intransitive Aktivität, in dem Sinne: ich erkenne mich in diesem Bild. Beide beschreiben<br />

zugleich den Prozess und dessen Produkt.“<br />

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