können Sie den Vortragstext von Dr. Claus Maywald-Pitellos als ...
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Vortrag <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>Claus</strong> <strong>Maywald</strong><br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />
eine Zeitreise der Kommunikation <strong>von</strong> der Steinzeit bis zur<br />
Gegenwart kommt nicht umhin, an ein paar Stellen sozusagen „<strong>den</strong><br />
Zug zu wechseln“.<br />
Es gibt in der Geschichte der Kommunikation Ereignisse und<br />
Erfindungen, die alles vorher „Dagewesene“ gleichsam in <strong>den</strong><br />
Schatten stellen. Solch seltene Momente führen zu einer neuen<br />
Qualität der Kommunikation.<br />
Für die Zeit des späten Mittelalters ist dies unbestreitbar die Erfindung<br />
<strong>von</strong> Johannes Gutenberg gewesen. Er zählt durch seine Erfindung zu<br />
<strong>den</strong> einflussreichsten Personen des ausgehen<strong>den</strong> Mittelalters.<br />
Seine Erfindung, der Typensatz mit beweglichen metallenen Lettern,<br />
stellt neben anderen wichtigen Ereignissen eine der Grenzmarken zur<br />
Unterscheidung <strong>von</strong> Mittelalter und Neuzeit dar. Johannes Gutenberg,<br />
der „man of the millennium“, ist die Galionsfigur der modernen<br />
Kommunikation schlechthin.<br />
Der <strong>von</strong> ihm erdachte und bis in die Details ausgetüftelte <strong>Dr</strong>uck mit<br />
beweglichen Metalllettern gab der Menschheit erstm<strong>als</strong> das Mittel der<br />
Massenkommunikation an die Hand. Der Buchdruck war dann auch<br />
innerhalb kürzester Zeit in der Lage, seine geschichtsträchtige Rolle<br />
zu demonstrieren.<br />
In diesem Sinne steht der Satz <strong>von</strong> Christian Lichtenberg, dass „das<br />
Blei beim Buchdruck in der Geschichte mehr bewirkt habe <strong>als</strong> das<br />
Blei aus <strong>den</strong> Gewehren“.<br />
In meinem Vortrag über die Kommunikation, wie sie seit Johannes<br />
Gutenberg zu sehen ist, werde ich versuchen, folgende Thesen etwas<br />
weiter auszuführen:<br />
1) Die Erfindung der Buchdruckerkunst ist ohne die Berücksichtigung<br />
europäischer, regionaler und lokaler Faktoren und ohne die Kenntnis<br />
des ökonomischen und sozialen Umfeldes der Zeit nicht zu verstehen.<br />
2) Der Weg Gutenbergs zur Erfindung des <strong>Dr</strong>ucks mit beweglichen<br />
Lettern erfolgte in langjährigen Phasen und Schritten, die nicht immer<br />
direkt zum Buchdruck hingeführt haben.
3) Die Erfindung selber beruht in vielen Teilbereichen auf bekannten<br />
Techniken, die mit dem Ziel der mechanischen Vervielfältigung <strong>von</strong><br />
Handschriften abgewandelt und spezifiziert wur<strong>den</strong>.<br />
4) Die Wirkung und rasche Verbreitung der <strong>Dr</strong>uckkunst zeigt<br />
einerseits die latente Erwartung der Zeit in Bezug auf die Erfindung,<br />
andererseits die Einführung einer neuen Qualität in allen Bereichen<br />
<strong>von</strong> Literatur, Wissenschaft und Politik.<br />
1) [Erste These]<br />
Die Erfindung der Buchdruckerkunst ist ohne die Berücksichtigung europäischer, regionaler und lokaler<br />
Faktoren und ohne die Kenntnis des ökonomischen und sozialen Umfeldes der Zeit nicht zu verstehen.<br />
Zur ersten These:<br />
Die ersten Fragen rund um die Entstehung der Buchdruckerkunst,<br />
dieses Quantensprungs der Kommunikation, sind ganz einfach zu<br />
stellen, aber schwerer zu beantworten: Warum zu dieser Zeit? Warum<br />
in Mainz? Und warum Gutenberg?<br />
Der wichtigste Faktor, welcher die Frage nach dem „Warum zu<br />
dieser Zeit?“ etwas näher beleuchtet, ist in der zunehmen<strong>den</strong><br />
Verschriftlichung der damaligen Gesellschaft zu sehen – eine<br />
Verschriftlichung, die auf tiefer liegende gesellschaftliche Wandlungen<br />
verweist. Hier kann man schlaglichtartig einige Szenen<br />
herausheben:<br />
In <strong>den</strong> Kontoren der Kaufleute, in <strong>den</strong> kommunalen, kirchlichen und<br />
anderen Verwaltungen fan<strong>den</strong> sich zu dieser Zeit immer mehr<br />
Geschäfts-, Rats- oder Stadtbücher. Parallel dazu stieg die Zahl der<br />
beschäftigen Lohn- oder Ratsschreiber sowie Notare an, die zudem<br />
noch eine immer bessere Ausbildung nachweisen konnten.<br />
Privatbriefe <strong>von</strong> Unternehmern und Kaufleuten belegen weitere<br />
Erfordernisse der schriftlichen Kommunikation. Zuverlässige<br />
Nachrichten über Ernten, über Kredit- und Wechselgeschäfte,<br />
Preisentwicklungen bei Handelsgütern, aber auch politische<br />
Ereignisse oder bevorstehende Bankrotte waren im risikoreichen<br />
Geschäft der großen Handelsgesellschaften notwendig, mehr noch, zu
einer unersetzbaren Basis für einen erfolgreichen Geschäftsverlauf<br />
gewor<strong>den</strong>.<br />
Daran angeschlossen profitieren neben dem städtischen Botenwesen<br />
auch private Anbieter <strong>von</strong> Postdiensten <strong>von</strong> einem gesteigerten<br />
Kommunikationsbedürfnis, wie z. B. gegen Ende des 15. Jahrhundert<br />
die Post der Taxis.<br />
In der bis dahin mündlich tradierten volkssprachlichen Literatur in<br />
Deutschland sehen wir die Wandlung hin zu einer „Buchliteratur“.<br />
Neue Textgruppen für neue Leserschichten wie z. B. Armenbibeln,<br />
Heilsspiegel und Legen<strong>den</strong>dichtungen entstan<strong>den</strong> und lösten die<br />
vorwiegend religiös motivierte Bindung an die „heiligen Bücher“ ab.<br />
Eng verknüpft damit zeigte sich die wachsende Lese- und<br />
Schreibfähigkeit breiter städtischer Bevölkerungsschichten, die in neu<br />
gegründeten Schulen und Universitäten ihre Kenntnisse erwarben.<br />
Wenn man sich vor diesem Hintergrund nun auch noch die alte<br />
handschriftliche Buchherstellung vor Augen hält, so wird man<br />
erkennen, dass in ihr bereits bedeutende Rationalisierungsten<strong>den</strong>zen<br />
herrschten – Bücher wur<strong>den</strong> nicht nur durch Willensakte Einzelner<br />
mühsam abgeschrieben, sondern in unternehmerisch organisierten<br />
Werkstätten produziert. Die berühmte Schreiberwerkstatt des Diebold<br />
Lauber in Hagenau – zwischen 1420 bis 1470 – zeigt uns mit einer<br />
erhaltenen Werbeanzeige, welche Buchtitel nicht nur auf Bestellung,<br />
sondern schon auf Vorrat, für <strong>den</strong> „freien Markt“ vorproduziert<br />
wur<strong>den</strong>.<br />
Diebold Lauber beschäftigte mehrere Schreiber und Buchmaler in<br />
seiner Werkstatt und verkaufte die dort hergestellten Bücher aus<br />
seinem Betrieb an Adlige und die städtische Oberschicht seiner<br />
näheren und weiteren Umgebung bzw. Region.<br />
Resümierend <strong>können</strong> wir festhalten, dass vor der Erfindung des<br />
Buchdrucks zunehmend Bücher, Schrift und Bild in verschie<strong>den</strong>er<br />
Form für unterschiedliche Zwecke hergestellt und gebraucht wur<strong>den</strong>:<br />
das Rechnungs-, Stadt- oder Geschäftsbuch zur Registrierung, die<br />
Urkunde <strong>als</strong> schriftliches Dokument, die Handschrift für <strong>den</strong> Kleriker<br />
und <strong>den</strong> Laien. Immer mehr Menschen schrieben Formulare, Privat-<br />
oder Geschäftsbriefe auf Pergament oder Papier, protokollierten
Prozesse in Akten, erwarben Ablassbriefe und Andachtsbilder, lernten<br />
mit Schulbüchern und Schreibtafeln, formulierten wichtige Notizen<br />
auf Papierzetteln oder in Büchern, lasen religiöse und profane Texte<br />
aus Büchern in der Volkssprache und in Latein.<br />
Schriftliche Kommunikation war letztendlich zu einer Notwendigkeit<br />
gewor<strong>den</strong>, die neue Vervielfältigungsmetho<strong>den</strong> erforderte und<br />
schließlich auch fand.<br />
In diesem Klima waren der Erfindung der Buchdruckerkunst ideale<br />
Bedingungen vorgegeben, die ihr ein schnelles Wachstum<br />
garantierten. Direkt auf Gutenberg bezogen, ist zu sehen, dass er seine<br />
Arbeit nicht mit dem Prachtwerk der Bibel begonnen hat; die ersten<br />
<strong>von</strong> ihm schnell herausgegebenen <strong>Dr</strong>uckwerke hatten mit dem<br />
Schulunterricht, konkret: mit dem Erlernen des Lateinischen, zu tun,<br />
oder es handelte sich um alltagspraktische Dinge wie Kalender oder<br />
<strong>Dr</strong>ucksachen des kirchlichen Alltags, etwa um Ablassbriefe.<br />
Eine handgeschriebene lateinische Grammatik, einen Kalender oder<br />
Ablassbrief hatte es auch vor Gutenberg gegeben. Mit der Erfindung<br />
der <strong>Dr</strong>uckkunst wur<strong>den</strong> sie billiger und leichter reproduzierbar. Dies<br />
kam der vorhan<strong>den</strong>en Ten<strong>den</strong>z zur Schriftlichkeit, zu geordneter<br />
Verwaltung und zu geordneteren Regelung des Alltags entgegen.<br />
Die Frage nach dem Ort der Erfindung, „warum in Mainz?“,<br />
benötigt erst einmal die Grunddaten dieser Stadt um das Jahr 1400.<br />
Die einstm<strong>als</strong> <strong>als</strong> europäische Großstadt geführte Metropole gehörte<br />
um 1400 mit 5.000–10.000 Einwohnern zu einer der größeren<br />
Mittelstädte im Reich und verdankte seinen Glanz vor allem der<br />
einflussreichen Stellung der Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten im<br />
Reich, die sich auch bis innerhalb der Stadt erstreckte. Die bürgerliche<br />
Selbstverwaltung hingegen war unvollkommen und immer wieder<br />
Anlass zu Streitigkeiten.<br />
Wirtschaftlich behauptete die Stadt ihre wichtige Funktion <strong>als</strong><br />
Umschlagplatz und Lagerort für die auf dem Rhein transportierten<br />
Waren. <strong>Sie</strong> nutzte diesen Transitverkehr auch zugunsten der<br />
städtischen Wirtschaft und Finanzen, indem sie <strong>von</strong> <strong>den</strong> frem<strong>den</strong><br />
Kaufleuten für die sichere Aufbewahrung ihrer Waren im städtischen
Kaufhaus eine beim Verkauf fällige Abgabe erhob. Doch in weit<br />
gespannten Handelsaktivitäten, die für die Blüte anderer Städte, <strong>den</strong>en<br />
die Zukunft gehörte, verantwortlich waren, engagierten sich die<br />
Mainzer eher weniger. In erste Linie war Mainz eine Stadt des<br />
Konsums. Handel und Gewerbe versorgten und belieferten <strong>den</strong><br />
heimischen Markt mit Bedarfsgütern aller Art, vom Gemüse bis zu<br />
Luxusartikeln. Gerade die Nachfrage nach Letzterem war in einer<br />
Bischofsstadt wie Mainz mit ihren vielen reich bepfründeten<br />
Domherren, Stifts- und Pfarrklerikern sowie prosperieren<strong>den</strong><br />
Klosterkonventen groß. Während sich aber in <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> der höheren<br />
Geistlichkeit und der bürgerlichen Oberschicht beträchtliche<br />
Reichtümer angesammelt hatten, war es um die Finanzen der Stadt<br />
schlechter bestellt. Darüber gab es zwischen <strong>den</strong> Patriziern und<br />
Zünften immer wieder handfeste Auseinandersetzungen, die im<br />
Exodus der Patrizier im Jahre 1430 gipfelten. 1465 geriet dann die<br />
Stadt unter kurfürstliche Herrschaft und wurde zu einer Resi<strong>den</strong>zstadt,<br />
in der Geistlichkeit, Adel und kurfürstliche Beamten <strong>den</strong> Ton<br />
angaben.<br />
Für die Erfindung der Buchdruckerkunst war die gewisse Weitläufigkeit,<br />
die durch <strong>den</strong> Handel in die Stadt einfloss, sicher <strong>von</strong><br />
Wichtigkeit. Es gab <strong>von</strong> daher auch größeres privates Kapital, auf das<br />
Gutenberg zurückgreifen konnte. Andererseits war Mainz nicht die<br />
Stadt der Tüftler und Erfinder, keine Stadt, die mit einer Universität<br />
oder Ähnlichem aufwarten konnte – es herrschte sicherlich kein<br />
florentinisches Klima.<br />
Die Bedeutung der Mainzer Goldschmiedekunst im Zusammenhang<br />
mit dem allgemeinen Wissen um Metallver- und -bearbeitung kann<br />
hingegen für <strong>den</strong> Ort sprechen und Erfahrungen für einen Mann wie<br />
Gutenberg bereithalten, die er so an anderer Stelle nicht bekommen<br />
hätte.<br />
Die Stadt Mainz war demzufolge nicht Bedingung, aber auch nicht<br />
Hindernis bei der Erfindung der Buchdruckerkunst. In diesem<br />
Zusammenhang darf man auch auf die Experimente und Erfahrungen<br />
verweisen, die Gutenberg in Straßburg gemacht hatte – einer politisch<br />
und wirtschaftlich bedeutenderen und zu dieser Zeit stabileren<br />
Großstadt.
Zum Schluss bleibt noch die Frage nach der Person, „warum<br />
Gutenberg?“, offen. Hier muss man allgemein auf das Verhältnis <strong>von</strong><br />
Zeit und Erfinder eingehen, <strong>den</strong>n bei jeder Erfindung kann nicht alles<br />
auf die Zeitumstände zurückgeführt wer<strong>den</strong>, darf man nicht so tun, <strong>als</strong><br />
ob die Idee geradezu auf der Straße lag und <strong>von</strong> jedem hätte<br />
aufgegriffen wer<strong>den</strong> <strong>können</strong>.<br />
Ideen und Erfindungen brauchen ein Vehikel, in dem sie reifen und<br />
wachsen <strong>können</strong>. Und wenn sie wirklich in einen Menschen<br />
übergesprungen sind, dann erkennen wir bei diesem Menschen zum<br />
einen breit gestreute, zum anderen gebündelte Eigenschaften und<br />
Fähigkeiten. So z. B. die Fähigkeiten, Zeitströmungen aufzunehmen,<br />
die Energie, sich der Verwirklichung und Umsetzung anzunehmen<br />
und dies auch unter Entbehrungen durchzusetzen und<br />
weiterzuentwickeln, das geistige Verständnis, die Herausforderung<br />
auch wirklich zu erkennen, sowie das kreative und manuelle<br />
Geschick, die Dinge sich entsprechend vorzustellen oder herzustellen.<br />
Diese Eigenschaften und Fähigkeiten sind bei Gutenberg vorhan<strong>den</strong><br />
gewesen, diese gaben dem „was in der Luft der Zeit lag“, konkrete<br />
Gestalt und sind nur mit dieser Person zu verwirklichen gewesen.<br />
Kurz, die <strong>Dr</strong>uckkunst benötigte das Genie Gutenbergs, um gefun<strong>den</strong><br />
zu wer<strong>den</strong>.<br />
2) [Zweite These]<br />
Der Weg Gutenbergs zur Erfindung des <strong>Dr</strong>ucks mit beweglichen Lettern erfolgte in langjährigen Phasen<br />
und Schritten, die nicht immer direkt zum Buchdruck hingeführt haben.<br />
Wenn wir der Frage nachgehen wollen, ab wann Gutenberg die<br />
Erfindung der Buchdruckerkunst im Kopf gehabt hat, dann<br />
müssen wir uns zu Beginn der Grundlagen unseres Wissens über<br />
Gutenberg bewusst wer<strong>den</strong>. Erst dann ist zu verstehen, dass allein<br />
schon unsere Fakten über sein äußeres Leben so große Lücken<br />
aufweisen, dass wir <strong>von</strong> <strong>den</strong> inneren Vorgängen und Beweggrün<strong>den</strong><br />
des Johannes Gutenberg gänzlich zu schweigen haben.<br />
Schon seine Tätigkeit auf dem Gebiet des Buchdrucks ist schwer<br />
nachzuweisen, da er sich in keinem seiner Bücher namentlich genannt<br />
hat und auch in keinem der zeitgenössischen Dokumente <strong>als</strong> <strong>Dr</strong>ucker<br />
verzeichnet ist. Kriege, Brandkatastrophen und der Lauf der Zeit
haben die meisten historischen Belege zerstört, noch bevor eine<br />
wissenschaftliche Aufarbeitung begann. Und <strong>als</strong> Archivare und<br />
Historiker <strong>den</strong> Wert der noch erhaltenen Unterlagen erkannten, ging<br />
durch Kriegszerstörung nochm<strong>als</strong> vieles verloren. So stützt sich unser<br />
heutiges Wissen über Gutenberg auf einen sehr schmalen Bestand <strong>von</strong><br />
wenigen authentischen Quellen oder Abschriften späterer Jahrhunderte.<br />
Das teilweise schwer zu deutende Quellenmaterial gibt zudem<br />
keinen kontinuierlichen Einblick in Gutenbergs Lebenssituation; es<br />
beleuchtet blitzartig zufällige Wegmarken seines Werdegangs und<br />
bietet viel Raum für hypothetische Auslegungen.<br />
Für die konkrete Frage nach der Erfindung der Buchdruckerkunst<br />
muss man <strong>als</strong> erstes festhalten, dass nicht geklärt ist, welcher Natur<br />
Gutenbergs handwerkliche und technische Fähigkeiten genau waren,<br />
ob es nur auf ein theoretisches Wissen beschränkt war oder ob er auf<br />
praktische Sachkenntnis zurückgreifen konnte. Auch die Ausbildungswege<br />
einschließlich des möglichen Studiums <strong>von</strong> Gutenberg in Erfurt<br />
sind unbekannt oder spekulativ.<br />
Für die Erfindung der Buchdruckerkunst ist der durch verschie<strong>den</strong>e<br />
Quellen gesicherte Aufenthalt in Straßburg entschei<strong>den</strong>d. Von 1434<br />
bis 1444 ist er dort nachweisbar. Bis Anfang der 40er-Jahre lebte er<br />
etwas außerhalb im Bereich des Klosters St. Arbogast. Gleich an <strong>den</strong><br />
Ufern der Ill gelegen, bot dieser Standort gewisse Vorteile für Gutenbergs<br />
vermutete Aktivitäten, <strong>den</strong>n dort war er relativ unbehelligt und<br />
vor allen Dingen geschützt vor allzu neugierigen Augen. Hier war<br />
Raum vorhan<strong>den</strong>, um ungestört technische Versuche durchzuführen.<br />
Eine solche Geheimhaltung war in einem Jahrhundert unerlässlich, in<br />
dem es keinen Patentschutz oder andere rechtliche Absicherung zur<br />
Wahrung einer innovativen Idee gab. Darüber hinaus bot sich die Ill<br />
<strong>als</strong> Antriebsquelle für Mühlräder, Hammerwerke oder ähnlich schwere<br />
technische Hilfsmittel an. Auch war das vermutete Hantieren mit<br />
flüssigen Metallen in diesem Vorort nahe dem Wasser nicht so riskant<br />
wie in der Stadt.<br />
In Straßburg bekommen wir somit die ersten Hinweise auf Tätigkeiten<br />
und Arbeiten, die Gutenberg zur Buchdruckerkunst Jahre später<br />
hingeführt haben. Der erste Hinweis bezieht sich auf die<br />
Verdienstquelle Gutenbergs, die in der Vermittlung seiner
emerkenswerten technischen Fertigkeiten gegen ein „Lehrgeld“<br />
bestand. Wir dürfen daher mit einiger Berechtigung ungewöhnliche<br />
Sachkenntnisse und Know-how bei Gutenberg voraussetzen, die<br />
außerhalb der traditionellen, zünftigen Handwerksmetho<strong>den</strong> lagen.<br />
Seine Ideen erschienen <strong>den</strong> Zeitgenossen so einleuchtend, dass sie<br />
bereit waren, beträchtliche Summen zu investieren, ja sogar regelrecht<br />
um Beteiligung bei diesen ungewissen Unternehmen buhlten. Die<br />
überaus interessante Frage, auf welche Weise und wo sich Gutenberg<br />
dieses Wissen angeeignet hatte, kann leider durch keinerlei Quellen<br />
erhellt wer<strong>den</strong>.<br />
Der zweite Hinweis erfolgt durch die Akten aus dem sogenannten<br />
<strong>Dr</strong>itzehn-Prozess, einer überlieferten Abschrift eines Gerichtsverfahrens,<br />
das 1439 <strong>von</strong> Jörge und <strong>Claus</strong> <strong>Dr</strong>itzehn gegen Gutenberg<br />
angestrengt wurde. In <strong>den</strong> Unterlagen zeichnet sich folgendes Bild<br />
<strong>von</strong> Gutenbergs Straßburger Unternehmungen ab: Anfang 1438 traf<br />
Gutenberg mit Hans Riffe, einem reichen Straßburger Patrizier, eine<br />
Geschäftsvereinbarung mit dem Ziel, Aachener Pilgerspiegel<br />
herzustellen. Dies waren beliebte Pilgeran<strong>den</strong>ken bei der alle sieben<br />
Jahre stattfin<strong>den</strong><strong>den</strong> Aachener Heiligtumsfahrt.<br />
Um <strong>den</strong> Bedarf der zu Tausen<strong>den</strong> in die Stadt strömen<strong>den</strong> Pilger zu<br />
befriedigen, hatte Gutenberg anscheinend ein rationelleres oder<br />
serielles Herstellungsverfahren für <strong>den</strong> beliebten Massenartikel<br />
entwickelt. Wenn wir da<strong>von</strong> ausgehen, dass der Anreiz <strong>von</strong><br />
Gutenbergs Vorhaben in einer schnelleren Produktionsweise lag, kann<br />
es sich bei diesem Herstellungsverfahren nur um ein<br />
Prägestanzverfahren gehandelt haben, für das die dann im Prozess<br />
verwendeten Begriffe <strong>von</strong> Presse, Form etc. eine Bedeutung fin<strong>den</strong><br />
<strong>können</strong>, ohne gleich für <strong>den</strong> Buchdruck vereinnahmt zu wer<strong>den</strong>. Es ist<br />
wahrscheinlich, dass sich Gutenberg zuerst mit Rationalierungstechniken<br />
beschäftigte und dabei Erfahrungen mit Pressentechnik,<br />
Metallguss und serieller Produktion sammelte. Aus diesen Grundlagen<br />
ergab sich dann in einer langsamen Entwicklung der <strong>Dr</strong>uck mit<br />
beweglichen Lettern. Eine Technik, die wahrscheinlich nicht <strong>als</strong><br />
fertige Idee bei Gutenberg vorgefasst war, sondern aus seinen<br />
unterschiedlichen Erfahrungen und Entdeckungen in und seit der<br />
Straßburger Zeit erwuchs.
Die Frage nach dem Zeitpunkt, ab wann Gutenberg die Erfindung der<br />
Buchdruckerkunst im Kopf gehabt hat, lässt sich demnach so<br />
vorstellen, dass erstens der sich über Jahre hinziehende und<br />
Einzelprobleme lösende Prozesscharakter der Erfindung gesehen<br />
wer<strong>den</strong> muss, die sich Jahre später zu der weiteren Idee der<br />
<strong>Dr</strong>uckkunst vereinigte, und zweitens die Erfindung noch nicht in<br />
Straßburg stattgefun<strong>den</strong> hat. Wenn wir in der Biografie Gutenbergs<br />
etwas weiter voranschreiten, dann ist die Vermutung nahe, in der im<br />
März 1448 erfolgten Kreditaufnahme in Mainz die Finanzierung der<br />
ersten <strong>Dr</strong>uckerei, der sogenannten Urdruckerei, zu sehen.<br />
3) [<strong>Dr</strong>itte These]<br />
Die Erfindung selber beruht in vielen Teilbereichen auf bekannten Techniken, die mit dem Ziel der<br />
mechanischen Vervielfältigung <strong>von</strong> Handschriften abgewandelt und spezifiziert wur<strong>den</strong>.<br />
Um zum dritten Teil meines Vortrages mit der Frage nach der Basis<br />
und Weiterentwicklung <strong>von</strong> Teilbereichen der Erfindung überzuleiten,<br />
muss man sich der Erfindung zuwen<strong>den</strong>. Hier kann man erkennen,<br />
dass die verschie<strong>den</strong>en Bereiche der komplexen Erfindung<br />
„Buchdruck“, in der ein Bestandteil zum anderen passen musste, um<br />
zu so hervorragen<strong>den</strong> Ergebnissen zu kommen wie es z. B. die 42zeilige<br />
Bibel darstellt, <strong>von</strong> ihrer Idee sowie ihrer realen Umsetzung in<br />
<strong>den</strong> meisten Bereichen der Zeit eigentlich zur Verfügung stan<strong>den</strong>. <strong>Sie</strong><br />
mussten „nur“ zielgerichtet auf die Reproduktion bzw. das Kopieren<br />
<strong>von</strong> Handschriften gelenkt wer<strong>den</strong>.<br />
Im Konkreten bedeutet dies, dass das <strong>Dr</strong>ucken <strong>als</strong> Technik schon weit<br />
vor Gutenberg bekannt war. Mit Holzmodeln wur<strong>den</strong> Bilder auf Textil<br />
oder Papier seit langem vervielfältigt.<br />
Die Presse, oftm<strong>als</strong> das Symbol der Buchdruckerei, hat schon aus der<br />
Perspektive <strong>von</strong> Johannes Gutenberg in der Anwendung <strong>als</strong> Wein-<br />
oder Ölpresse seit der Antike, <strong>als</strong> Papierpresse in Europa eine mehrere<br />
hundert Jahre alte Tradition. Die Herstellung <strong>von</strong> Tinten und Farben<br />
für die verschie<strong>den</strong>en Zwecke der Kolorierung hat eine<br />
Überlieferungsgeschichte, die in unserem Kulturkreis bis auf die<br />
griechische Antike zurückgeht.<br />
Die Metallbearbeitung mit <strong>den</strong> Techniken des Gravierens, Prägens,<br />
Schmie<strong>den</strong>s und Gießens lag in der Spätgotik auf einem hohen<br />
Niveau. Präzise Bearbeitung <strong>von</strong> Metalloberflächen mit Stichel und
Feile war nicht nur <strong>den</strong> Gold- und Silberschmie<strong>den</strong> geläufig, sie<br />
wurde auch schon in der <strong>Dr</strong>uckgrafik in Form des Kupferstiches<br />
nutzbar gemacht.<br />
Die Leistungen der Schmiedekunst, wie sie sich in <strong>den</strong> Waffen und<br />
Rüstungen, aber auch in fein gearbeiteten Schlössern und Beschlägen<br />
mit filigranen Schmiedeornamenten an z. B. Kisten und Möbeln<br />
ausdrückt, sind sicherlich jedermann geläufig. Des Weiteren war der<br />
Umgang mit verschie<strong>den</strong>en Metalllegierungen in dieser Zeit keine<br />
Neuerung mehr.<br />
Auf dieser Basis konnte Gutenberg, nachdem er sich das Wissen<br />
darüber zusammengetragen hatte, aufbauen. Denn das Vorhan<strong>den</strong>e<br />
genügte nicht, es musste verbessert, umgeändert, weiterentwickelt und<br />
in vielen Versuchen zur Erfüllung seines Zwecks angepasst und in die<br />
benötigte Kette <strong>von</strong> Material, Werkzeug und Verfahren eingepasst<br />
wer<strong>den</strong>. Die Liste der zu lösen<strong>den</strong> Probleme ist gewaltig und ist<br />
zugleich ein Hinweis auf die <strong>von</strong> mir hier vorgestellte lange<br />
Reifungszeit bis hin zur Erfindung. Ich will nur einige wichtige<br />
Punkte herausgreifen:<br />
Das <strong>Dr</strong>ucken in der Presse mit Lettern und auf Papier oder<br />
Pergament konnte nicht in der Art erfolgen, wie man<br />
Weintrauben zerquetschte. Hier galt es, <strong>den</strong> <strong>Dr</strong>uck gleichmäßig<br />
nach unten – ohne Verrutschen und Verschieben – auszuüben.<br />
Von daher war die Presse dementsprechend zu verbessern.<br />
Die Farbzusammenstellung musste so erfolgen, dass einerseits<br />
die Haftung an <strong>den</strong> Metalllettern zufrie<strong>den</strong>stellend erfolgte,<br />
andererseits das Durchschlagen des Bindemittels in das Papier<br />
verhindert wurde.<br />
Bei dem Farbauftrag ergab sich – vor Erfindung der Walzen –<br />
das Problem, die <strong>Dr</strong>uckerschwärze gleichmäßig zu übertragen.<br />
Die Überlegungen hierzu mündeten in die Entwicklung der<br />
sogenannten <strong>Dr</strong>uckerballen.
Bei <strong>den</strong> Lettern stand die Frage nach der Zusammensetzung der<br />
Legierung im Vordergrund, um <strong>den</strong> geeigneten Schmelzpunkt<br />
und die notwendige Härte zu gewährleisten.<br />
Zum Schluss ist natürlich der Kernbereich der Erfindung, das<br />
Kopieren der Einzelbuchstaben, zu nennen. Hier sind die<br />
Vorbilder, abgesehen <strong>von</strong> Einzelbuchstaben-Stempel, die schon<br />
im Hochmittelalter bekannt waren, rar. Ausgehend <strong>von</strong> der<br />
Grundidee, gleichartige Buchstaben zu einem Text aneinander<br />
zu reihen und für neue Texte wieder neu zusammen zu setzen,<br />
war die Reihe <strong>von</strong> Patrize, Matrize und Handgießinstrument zu<br />
entwickeln.<br />
Als Ergebnis lag dann ein Gerät vor, welches gleichartige Buchstaben<br />
in beliebiger Menge herstellen konnte, die man zusammenfügte, um<br />
daraus <strong>Dr</strong>uckformen zu erstellen, und in diesen Formen dann in<br />
beliebiger Anzahl drucken konnte.<br />
Die Leistung Gutenbergs liegt daher in der Kraft und Fähigkeit, aus<br />
<strong>den</strong> ganzen vorhan<strong>den</strong>en technischen und materiellen Möglichkeiten<br />
seiner Zeit eine Produktionslinie geschaffen zu haben, die einzig und<br />
allein dem Zweck diente, Handschriften mechanisch und billiger<br />
herzustellen. In der Vielzahl der zu lösen<strong>den</strong> Problemfelder zeigt sich<br />
zudem das Genie, nicht <strong>von</strong> dem einmal erkannten Weg abzukehren,<br />
sondern konsequent alle möglichen Hindernisse aus dem Weg zu<br />
räumen. Dafür konnte Gutenberg dem Prinzip nach auf entwickelte<br />
Arbeitsabläufe und Gerätschaften sowie auf die Grundidee des<br />
Zusammensetzens <strong>von</strong> gleichartig hergestellten Buchstaben zu Texten<br />
zurückgreifen. Das Kernstück, die Herstellung der Lettern mittels des<br />
Handgießinstruments, muss in diesem Zusammenhang <strong>als</strong> ureigenste<br />
Erfindung <strong>von</strong> Johannes Gutenberg gesehen wer<strong>den</strong>.<br />
4) [Vierte These]<br />
Die Wirkung und rasche Verbreitung der <strong>Dr</strong>uckkunst zeigt einerseits die latente Erwartung der Zeit in<br />
Bezug auf die Erfindung, andererseits die Einführung einer neuen Qualität in allen Bereichen <strong>von</strong><br />
Literatur und Wissenschaft.
Der vierte und letzte Teil meines Vortrages beschäftigt sich mit der<br />
Wirkung der Buchdruckerkunst – dabei kann man in Bezug auf die<br />
rasche Verbreitung <strong>von</strong> einer latenten Erwartung der Zeit, in Bezug<br />
auf <strong>den</strong> Einfluss auf die gedruckten Inhalte <strong>von</strong> einem Quantensprung<br />
der Qualität sprechen, die durch das Medium in Literatur und<br />
Wissenschaft möglich wurde.<br />
Die Ausbreitung der Erfindung <strong>von</strong> Johannes Gutenberg erfolgte rasch<br />
und gründlich über ganz Europa hinweg. Im Todesjahr Gutenbergs,<br />
1468, arbeiten Werkstätten in Bamberg, Straßburg, Köln, Basel, Rom<br />
und Augsburg. Bis 1470 kommen noch Venedig, Neapel, Nürnberg<br />
und Paris hinzu. Diese Liste der frühesten <strong>Dr</strong>uckorte enthält bereits<br />
Städte, die in der Inkunabelzeit und im 16. Jahrhundert zu<br />
Oberzentren des Buchdrucks aufsteigen wer<strong>den</strong>.<br />
Das Jahrzehnt zwischen 1470 und 1480 ist für die Ausbreitung des<br />
Buchdrucks entschei<strong>den</strong>d gewesen. Produzierte man 1470 an nur 16<br />
Orten Europas Bücher, so gab es 10 Jahre später bereits Pressen in 87<br />
Städten. Die Folgen sind eine erste Absatzkrise und ein Preisverfall<br />
der gedruckten Waren. Bis zum Jahr 1490 wer<strong>den</strong> europaweit mehr<br />
<strong>als</strong> 200 Orte gezählt, in <strong>den</strong>en eine Offizin bestand oder zeitweise<br />
gearbeitet hat; die Zahl steigt bis zum Ende der Inkunabelzeit auf über<br />
250. Nach neueren Berechnungen liegt die Zahl der Buchausgaben,<br />
die die <strong>Dr</strong>uckereien ausstoßen, zwischen 26.000 und 27.000, die<br />
Gesamtzahl der <strong>Dr</strong>ucke wird auf 17 Millionen hochgerechnet. Diese<br />
Bücher galt es auf einem Markt unterzubringen, der in vielen<br />
Wissensbereichen auf eine lesende Elite beschränkt war, die sich aus<br />
Theologen und Gelehrten sowie <strong>den</strong> gebildeten Laien des Adels und<br />
des Bürgertums zusammensetzte.<br />
Die <strong>Dr</strong>ucker legten vor allem die Texte aus Theologie, Philosophie<br />
und Erbauungsliteratur auf, die schon <strong>den</strong> Handschriftenmarkt<br />
dominiert haben und nun ihre Lager füllen. Dieser Überproduktion in<br />
bestimmten Bereichen stan<strong>den</strong> noch keine ausgereiften Strukturen auf<br />
der Seite des vertreiben<strong>den</strong> Buchhandels gegenüber. Diese zu<br />
schaffen<strong>den</strong> und zum Teil schon aus anderen Geschäftsbereichen zu<br />
nutzen<strong>den</strong> Strukturen waren nur in einer Stadt zu fin<strong>den</strong>, welche die<br />
nötige Infrastruktur für das kapitalintensive und arbeitsteilige<br />
Gewerbe bot. Zudem sollte diese Stadt möglichst an überregional<br />
bedeutende Verkehrs- und Handelsnetze eingebun<strong>den</strong> sein. Die Nähe
eines Handelsplatzes erleichterte <strong>den</strong> Bezug des Papiers und<br />
Pergaments und bot <strong>als</strong> Fernhandelsplatz die Möglichkeit, die<br />
europaweit und überregional gehandelte Gelehrtenliteratur <strong>den</strong><br />
Verkehrssystemen und Transportunternehmen zu überlassen, welche<br />
die Fernhandelskaufleute seit jeher nutzten.<br />
Es ist in diesem Zusammenhang, d. h. im Bezug auf die<br />
Buchproduktion kein Zufall, dass wir in der Abbildung des<br />
Büchernarren aus dem Buch <strong>von</strong> Sebastian Brant, Das Narrenschiff,<br />
Basel 1497, die Warnung vor der leeren Buchweisheit fin<strong>den</strong>.<br />
Unter der Überschrift „Von unnutzen buchern“ wird ein bebrillter<br />
Narr gezeigt, der in einem Folianten auf dem Lesepult blätternd. Der<br />
erläuternde Text geißelt <strong>den</strong> Bibliophilen, der sich zwar mit vielen<br />
Büchern umgibt, aber nur selten in ihnen liest, wenig <strong>von</strong> ihnen<br />
versteht und auch nur schlecht Latein kann. Brant greift hier einen seit<br />
der Antike geläufigen literarischen Topos auf, der sich einerseits<br />
gegen eine Demokratisierung des Lesens begreift, andererseits aber<br />
auch in der vermeintlichen Bücherflut die Überfülle <strong>von</strong><br />
Informationen beklagt.<br />
Die einzelnen Wirkungen des Buchdrucks <strong>können</strong> kaum hoch genug<br />
eingeschätzt wer<strong>den</strong>. Ich will im Folgen<strong>den</strong> schlaglichtartig einige<br />
Bereiche mit konkreten Beispielen vorstellen, an <strong>den</strong>en die Wirkung<br />
sichtbar wird.<br />
So hat die <strong>Dr</strong>uckerpresse nicht nur die höhere Bildung, sondern<br />
bereits das Lesen zum Zweck alltäglicher Information quantitativ und<br />
qualitativ verändert. <strong>Sie</strong> stellte z. B. das gesamte Schulwesen vor neue<br />
Bedingungen. In der Schule und Universität löste er <strong>den</strong> Lernprozess<br />
stärker vom mündlichen Unterricht ab – das Diktieren des Lehrbuches<br />
des einzelnen Professors blieb zwar lange in Mode, aber es nahm ab<br />
und diente der Ergänzung gedruckter Bücher.<br />
Der damalige Stu<strong>den</strong>t konnte sich ein Textbuch billiger <strong>als</strong> in der<br />
Handschriftenzeit kaufen. Wer etwas studieren wollte, war eben<br />
weniger auf mündlichen Unterricht angewiesen. Ein einsamer Leser
konnte aus einer gedruckten Grammatik eine fremde Sprache lernen,<br />
die in seiner Stadt niemand sprach.<br />
Der Buchdruck verbilligte und verbreitete überregional auch das<br />
institutionsbezogene Buch, <strong>als</strong>o das Schulbuch oder das Lehrbuch der<br />
Universitäten. So schwoll innerhalb weniger Jahrzehnte die<br />
didaktische Reformliteratur z. B. zum Erlernen des Lateinischen an.<br />
Das „Exercitium puerorum grammaticale“ versprach das – auch nach<br />
heutigen Maßstäben allerdings unerreichbar – Erlernen des Lateins in<br />
10 Tagen; andere Bücher schlugen dem Lehrer auch die deutschen<br />
Ausdrücke für die lateinischen Fachtermini vor.<br />
Auf die Sprache des Lateins übertragen, öffnete sich der Buchdruck<br />
früh der humanistischen Bewegung. Mit ihrer Forderung nach einem<br />
gereinigten Latein wurde er zum idealen Medium des Humanismus.<br />
Einerseits und zeitlich zuerst diente er dem gewöhnlichen<br />
Schulbetrieb, andererseits förderte er eine neue Ausdrucksweise, ein<br />
neues Stilideal. Die neue Latinität entsprach einer anderen Kultur <strong>als</strong><br />
derjenigen der spätscholastischen Universitäten. Ihr Muster war<br />
Cicero. Gefordert war seine Eleganz und Rhetorik. Der Kampf um die<br />
Reinigung der lateinischen Sprache hatte in Italien schon im 14.<br />
Jahrhundert eingesetzt; sein <strong>Sie</strong>g stand, <strong>als</strong> die ersten Bücher gedruckt<br />
wur<strong>den</strong>, international bevor.<br />
In Bezug auf die biblischen Ursprachen Griechisch, Hebräisch und<br />
Lateinisch war der Buchdruck auch hier das ideale Vehikel und<br />
übertrug die humanistische Ausweitung der Bildung auf diese. Das<br />
gedruckte Buch konnte einem sprachbegabten Menschen wie Erasmus<br />
<strong>den</strong> direkten Unterricht ersetzen.<br />
Die Bedeutung der ersten griechischen Grammatik <strong>von</strong> 1475 kann<br />
daher kaum unterschätzt wer<strong>den</strong>. Schon zwölf Jahre später gab es<br />
genug Leser, die ein griechisches Werk im Original lesen konnten.<br />
1488 erschienen mit einer Homerausgabe in Florenz und 1498 einem<br />
Aristotelesdruck in Venedig die Frühdrucke griechischer Klassiker in<br />
der Origin<strong>als</strong>prache. Für die hebräische Sprache bedeutete dies, dass<br />
diejenigen, welche das Alte Testament in dieser Ursprache lesen<br />
konnten, einen eigenen Zugang zur jüdischen Welt und zum<br />
geschichtlichen Charakter der Offenbarung fan<strong>den</strong>. Gleichzeitig trat
sie in Konflikt mit <strong>den</strong> geschichtsfrem<strong>den</strong> Aufstellungen der<br />
spätscholastischen Schulwissenschaft.<br />
Der Buchdruck hat nicht nur die philologischen Fächer und das<br />
geschichtliche Wissen über die Antike gefördert. Er hat sich der<br />
Zeitgeschichte angenommen; er hielt durch Schilderungen und<br />
Aktenpublikationen die Erinnerung an die Konzilien <strong>von</strong> Konstanz<br />
und Basel fest und brachte die berühmten Weltchroniken <strong>von</strong><br />
Hartmann Schedel und <strong>von</strong> Werner Rolewinck hervor.<br />
Durch die Reproduktion <strong>von</strong> klassischen naturwissenschaftlichen<br />
Fachbüchern wie die „Historia naturalis“ <strong>von</strong> Plinius, der „Elemente<br />
der Geometrie“ des Euklid oder der mathematischen Schriften des<br />
Boethius sowie <strong>von</strong> volkssprachlichen Büchern für <strong>den</strong> Kaufmann in<br />
deutscher Sprache förderte er Physik und Mathematik.<br />
Im Bereich <strong>von</strong> Reise und Geografie stan<strong>den</strong> unschuldige und<br />
neugierige Erzählungen neben <strong>den</strong> Werken, die sich einer Erneuerung<br />
des Naturwesens und der Historie verschrieben hatten.<br />
Volkstümlichen alten Naturbüchern und dem <strong>Dr</strong>uck des Schatzes<br />
antiker geografischer Kenntnisse traten neue Reiseerzählungen und<br />
Reiseführer wie z.B. das Werk des Bernhard <strong>von</strong> Brey<strong>den</strong>bach, der<br />
seine Reise ins Heilige Land beschrieb und mit Holzschnitten die<br />
Städte wiedergeben ließ, die er gesehen hatte, zur Seite.<br />
Dabei war es nicht allein die Neugierde, die geografische Interessen<br />
wachrief; es war ebenso die Angst vor <strong>den</strong> Türken. Der Frühdruck<br />
bediente das Interesse an diesem fremdartigen und bedrohlichen Volk<br />
mit einem umfangreichen Schrifttum.<br />
Auf <strong>den</strong> Autor bezogen, verselbstständigte der Buchdruck diesen. Er<br />
trennte sein Wort ab <strong>von</strong> der mündlichen oder handschriftlichen<br />
Mitteilung auf der Kanzel, in der Schule oder Universität. Das Buch<br />
löste sich weiter <strong>als</strong> bisher <strong>von</strong> <strong>den</strong> Institutionen, es erreichte nun viele<br />
einsame Leser, und es wurde Lebensausdruck und Waffe des<br />
einzelnen Autors. Der Buchdruck ermöglichte <strong>den</strong> humanistischen<br />
Literaten <strong>als</strong> öffentliche Macht. Der Autor wurde Publizist. Der
Buchdruck steigerte seine öffentliche Rolle und zog ihn zugleich in<br />
<strong>den</strong> sich bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Buch- und Literaturmarkt hinein.<br />
Ein Autor wie z. B. Erasmus <strong>von</strong> Rotterdam errang eine fast fürstliche<br />
Rolle. Indem humanistische Literaten wie er das antike Ideal des<br />
Rhetors erneuerten, brachten sie die öffentlichen Angelegenheiten in<br />
eine für alle zugängliche sprachliche Form und erzielten eine<br />
gewaltige Wirkung damit.<br />
Auch im Bereich der Politik bediente der Buchdruck <strong>von</strong> Anfang an,<br />
d. h. seit 1462 in Mainz, die Propaganda. Mit ihm entstand das<br />
gedruckte politische Flugblatt, waren die Informationen nicht mehr an<br />
die Person eines Sprechers – eines Reisen<strong>den</strong>, eines Boten, eines<br />
Predigers – gebun<strong>den</strong>, der die Nachricht überbrachte.<br />
Das Flugblatt war ein wichtiges Machtinstrument, das dem<br />
Machterhalt diente. Zur Kriegsvorbereitung und<br />
Nachkriegspropaganda, aber auch zur Bindung der Untertanen an die<br />
Obrigkeit, leistete der Buchdruck treffliche Dienste. Alle großen<br />
Konflikte der Frühdruckzeit haben zu gedruckten Streitschriften oder<br />
Flugblättern geführt.<br />
Im Bereich der Medizin machte der Buchdruck zuerst die tradierten<br />
mittelalterlichen Medizinbücher allgemein verfügbar. Er brachte die<br />
umfangreichen Schriften nun auch in ökonomisch benachteiligte<br />
Gegen<strong>den</strong>, die sich ein handgeschriebenes Exemplar vorher nicht<br />
hatten leisten <strong>können</strong>. Mit ihrer Hilfe konnte der Arzt jetzt<br />
divergierende Theorien der Autoritäten untereinander und mit seiner<br />
Erfahrung am Krankenbett vergleichen. Wenngleich auch traditionelle<br />
Vorurteile und Aberglauben durch die gedruckte Abfassung verbreitet<br />
wur<strong>den</strong>, so erleichterte sich doch für <strong>den</strong> einzelnen Mediziner die<br />
Überprüfung und Erneuerung seines Fachwissens. Dazu kam das<br />
Interesse des Laien, der auf deutschsprachige medizinische Literatur<br />
erpicht war. Rezepte für das Destillieren oder zur Urinuntersuchung<br />
waren gefragt.<br />
Mit Paracelsus erreichte die deutschsprachige medizinische Literatur<br />
dann zu dieser Zeit ihren Höhepunkt.
Dam<strong>als</strong> wie heute hat auch die Erfahrung des Sterbens <strong>den</strong> Buchmarkt<br />
belebt. In der Literaturgattung der sogenannten „Ars moriendi“<br />
suchten die Laien religiösen Trost, psychologische Hilfe und<br />
juristischen Rat. Es verwundert daher nicht, in diesen Büchern ein<br />
beliebtes Objekt des frühen Buchhandels zu fin<strong>den</strong>.<br />
Auch im Verhältnis <strong>von</strong> Mann und Frau entwickelte das<br />
15. Jahrhundert verschie<strong>den</strong>e Sichtweisen, die sich in einzelnen darauf<br />
ausgerichteten <strong>Dr</strong>uckwerken festsetzten und ihre Wirkung entfalten<br />
konnte. So förderte die im späten Mittelalter anwachsende Literatur<br />
zur Marienfrömmigkeit die Idealisierung der Frau, die gleichzeitig<br />
zunehmende Hexenfurcht dämonisierte sie. Daneben gab es immer<br />
eine relativ nüchterne medizinische Sicht der Geschlechter. Der<br />
Buchdruck spiegelte diese Ten<strong>den</strong>zen und verstärkte sie. Zahlreiche<br />
Ausgaben <strong>von</strong> Marienpredigten und Handbüchern der Lehre <strong>von</strong><br />
Maria sowie die Vita anderer weiblicher Heiligen füllten die Regale.<br />
Warnungen vor der Frau <strong>als</strong> einer Quelle der Versuchung stan<strong>den</strong><br />
neben dem volkssprachlichen mittelalterlichen Ehebuch mit seiner<br />
positiveren Wertung der Frau oder <strong>den</strong> Beschreibungen großer Frauen<br />
des Altertums wie z. B. bei Plutarch oder in der humanistischen<br />
Anknüpfung <strong>von</strong> Boccaccio. Leider haben weder Werke zur<br />
Marienverehrung noch der Reformeifer einiger Humanisten die<br />
Stellung der Frau im Spätmittelalter und der Reformationszeit<br />
wesentlich verbessert. Im Gegenteil – insbesondere in Deutschland<br />
wütete eine Hexenfurcht, welche der Buchdruck willig bediente.<br />
Bücher gegen Hexen, vorwiegend <strong>von</strong> deutschen Verfassern und mit<br />
deutschen <strong>Dr</strong>uckorten, stan<strong>den</strong> in kürzester Zeit und in <strong>den</strong> schönsten<br />
Ausgaben sofort zur Verfügung.<br />
Der berühme Hexenhammer, der „Malleus maleficarum“ aus Speyer<br />
<strong>von</strong> 1485, fand unzählige Auflagen. Er wurde sogar auch im<br />
Taschenformat gedruckt.<br />
Hierin zeigt sich, dass die Erfindung Gutenbergs nicht einseitig und<br />
ohne Abwege dem Fortschritt zu widmen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />
ich hoffe, Ihnen mit meinen Vortrag sowohl die Leistung <strong>von</strong><br />
Johannes Gutenberg <strong>als</strong> auch die Wirkung seiner Erfindung anhand<br />
<strong>von</strong> Beispielen etwas nähergebracht zu haben.<br />
Die gutenbergsche Erfindung läutet die Zeit der Massenkommunikation<br />
ein, sie stellt die materiellen Grundlagen und Mittel für eine bis<br />
dato nicht gekannte Speicherung und einen weitverzweigten<br />
Austausch <strong>von</strong> Information zur Verfügung, der die Welt<br />
revolutionieren musste. Auf seinen Voraussetzungen wurde die<br />
schriftliche Kommunikationsform der nächsten 500 Jahre aufgebaut.<br />
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!