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laufende Entfernung von ca. 93% aller taktischen und operativen Nuklearwaffen aus<br />
Europa dieser Strategie auch weitgehend ihre materielle Basis entzogen hat.<br />
Im Rahmen einer strategischen „reassurance" verbleiben bei der NATO in Europa jedoch<br />
noch ca. 200 B-61 Nuklearbomben für den Flugzeugeinsatz, für die es jedoch keine<br />
Zielplanung mehr gibt, und deren Trägermittel „potentielle Zielräume" im Osten<br />
auch nicht mehr erreichen können. Sie bilden jedoch immer noch die Voraussetzung für<br />
ein begrenztes nukleares Mitspracherecht für diejenigen Staaten, die Stationierungsorte<br />
und Einsatzmittel bereitstellen.<br />
Besonders bemerkenswert ist, daß die NATO bisher nicht auf die strategisch-politische<br />
Option des nuklearen Ersteinsatzes verzichtet hat. Dieses Festhalten an überholten und<br />
auch äußerst kritisch zu bewertenden Optionen ist umso unverständlicher, da die<br />
geostrategischen Verschiebungen im Zuge der Auflösung des Warschauer Paktes und<br />
des Zerfalls der Sowjetunion die NATO stark begünstigen und die NATO heute auch<br />
auf dem konventionellen Gebiet eine hohe Überlegenheit über die russischen Streitkräfte<br />
besitzt. Hier besteht also weiterhin dringender Reformbedarf. Die vor einiger Zeit<br />
noch denkbare Alternative der Abschaffung aller Nuklearwaffen dürfte in Anbetracht<br />
der jüngsten Entwicklungen auf dem indischen Subkontinent jedoch nicht mehr realistisch<br />
sein.<br />
Für Europa ist wesentlich, daß die weiterhin bestehende, ausschließlich nationale Verfügungsgewalt<br />
über Nuklearwaffen (USA, Großbritannien, Frankreich) mit einer wirklich<br />
integrierten europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und der schon jetzt im Zuge<br />
der stärkeren Europäisierung der NATO avisierten europäischen Verteidigungsidentität<br />
nicht zu vereinbaren sein wird. Langfristig kommt daher auch Europa an der Frage<br />
der „Europäisierung" der Kontrolle französischer und englischer Systeme nicht vorbei.<br />
Anzeichen für eine vorsichtige Bewegung in Richtung „Europäisierung" machte der<br />
französische Premierminister Juppe zuletzt im Herbst 1995, als er einen „europäischen<br />
Rahmen" für die „Force de Frappe" andeutete und von „konzertierter Abschreckung"<br />
sprach.<br />
Die Bundesregierung reagierte bisher eher ablehnend, ohne dabei aber eine Option zu<br />
versperren.<br />
Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, daß die Atomwaffenstaaten sich einem zunehmend<br />
stärkeren internationalen Druck ausgesetzt sehen, die nukleare Abrüstung weiter voranzutreiben.<br />
Im Juli 1996 hat der Internationale Gerichtshof gegen den Widerstand der<br />
fünf Atommächte verkündet, daß die Androhung und der Einsatz von Nuklearwaffen<br />
generell gegen das Völkerrecht und insbesondere gegen die Regeln des Humanitären<br />
Völkerrechts verstoßen. Er verkündete einstimmig die Pflicht zu weiteren Abrüstungsverhandlungen<br />
und forderte Schritte zur Eliminierung aller Atomwaffen. Die auch im<br />
Atomwaffensperrvertrag enthaltene Selbstverpflichtung der großen Nuklearmächte zu<br />
umfassender Abrüstung ist bis heute nur unzureichend eingelöst worden. Sowohl Indien<br />
wie auch Pakistan ziehen aus dieser Tatsache einen wesentlichen Teil ihrer Legitimation<br />
zur Fortsetzung ihrer nuklearen Aufrüstung. Somit bedarf es keiner großen Weitsicht,<br />
das Auftauchen neuer nuklearer Mächte vorauszusagen.<br />
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