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Nordbayerischer Kurier<br />

12 <strong>Parsifal</strong> 2008 Nordbayerischer Kurier - Freitag, 25. Juli 2008<br />

„Kunst ist der dunkle Wunsch aller Dinge“ Eine Kantinenbegegnung<br />

8. Juli 2008, 21.24 Uhr. Vor<br />

wenigen Minuten ist die Video-Dreharbeit<br />

auf der Probebühne<br />

IV des Festspielhauses<br />

zu Ende gegangen. <strong>Parsifal</strong>s<br />

Geburt ist glücklich im<br />

Kasten. Der schöne Nebeneffekt<br />

des Drehs: Zum ersten<br />

Mal hat man die Darsteller<br />

des kleinen <strong>Parsifal</strong> und seiner<br />

Mutter Herzeleide, in vollem<br />

Kostüm und Maske sehen<br />

können. So langsam werden<br />

die Ideen Wirklichkeit, nun<br />

kann es an den Endspurt gehen...<br />

Drei Tage noch bis zur<br />

Klavierhauptprobe, der letzten<br />

Probe, die allein dem Regieteam<br />

gehört.<br />

(Die Produktionsbeteiligten<br />

strömen etwas müde in die<br />

Kantine, bewaffnen sich mit<br />

Bier, Brezeln und den letzten<br />

Tagesköstlichkeiten aus der Vitrine<br />

und besprechen – wie<br />

selbstredend jeden Abend –<br />

Raum und Zeit des gemeinsamen<br />

Kunstunternehmens.<br />

Doch heute läuft ein Tonband<br />

mit, denn ein Gespräch soll für<br />

die Beilage des „Nordbayerischen<br />

Kuriers“ aufgezeichnet<br />

werden. Vorerst dokumentiert<br />

es Schluck- und Kaugeräusche...)<br />

Alexander Meier-Dörzenbach,<br />

Dramaturg der „<strong>Parsifal</strong>“-<br />

Produktion: Das wird aber rausgeschnitten,nichtwahr?<br />

Mark Schachtsiek, sein Assistent:<br />

Wir haben ja noch gar<br />

nicht angefangen. Ich dachte,<br />

ich lasse Euch erst noch einmal<br />

ein wenig Zeit, Euch zu erholen,<br />

bis ich mit Fragen traktiere,<br />

wie: „Wie war das eigentlich,<br />

als das Telefon klingelte und<br />

Familie Wagner dran war?“<br />

Stefan Herheim, Regisseur<br />

des „<strong>Parsifal</strong>“: Ganz nett.<br />

(Auftritt der freundlich lächelndenKantinenmitarbeiterin,diefrischgezapftesBier,aber<br />

auch reichlich Wasser und<br />

Pommes frites und heimische<br />

Landjägerbringt.)<br />

Schachtsiek: Aber ganz<br />

ernsthaft, Stefan, vielleicht ist<br />

das ein guter Einstieg: Du hast<br />

vor ein paar Tagen erzählt, Du<br />

hättest den „<strong>Parsifal</strong>“ schon<br />

einmal an der Berliner Staatsoper<br />

abgesagt, und ihn dann<br />

wenige Monate später hier in<br />

Bayreuth angeboten bekommen.<br />

Aber bereits in Eurer<br />

„Rheingold“-Inszenierung für<br />

Riga und Bergen spielt das Festspielhaus<br />

als Walhall und die<br />

Wagner-Rezeption eine ganz<br />

zentrale Rolle. Man bekommt<br />

den Eindruck, dass Wagners<br />

Grüner Hügel schon sehr lange<br />

in Euren Köpfen herum gespukt<br />

hat...<br />

Herheim: Fasziniert hat mich<br />

das Phänomen Bayreuth natürlich<br />

schon –die Idee, dass man<br />

hierher pilgert um, um an geweihtem<br />

Ort Wagners Werke zu<br />

erleben. Aber gleichzeitig war es<br />

mir irgendwie suspekt. Deshalb<br />

musste ich tatsächlich ein wenig<br />

in mich gehen, als der Anruf kam<br />

–eswar Ende Dezember 2004<br />

und ich war mit Heike und Alex<br />

mitten in Proben zu Händels<br />

„Giulio Cesare“ in Oslo. Wagners<br />

wollten mich treffen, und weil<br />

ich über Weihnachten für ein<br />

paar probenfreie Tage in Berlin<br />

war, haben wir uns dann am<br />

zweiten Weihnachtstag in Berlin<br />

zusammengesetzt und kennengelernt.<br />

In Bayreuth war ich<br />

dann mit Alex erst im darauffolgenden<br />

Sommer zum ersten<br />

Mal, auf Einladung der Wagners<br />

bei„TristanundIsolde“.<br />

Meier-Dörzenbach: Diese erste<br />

Begegnung war schon etwas<br />

ganz Besonderes, weil der Ort<br />

eine mythisch aufgeladene Aura<br />

besitzt. Auch der aus der Rückschau<br />

eigentlich banale Vor-<br />

Mark Schachtsiek im Gespräch mit Daniele Gatti, Stefan Herheim, Heike Scheele und Alexander Meier-Dörzenbach<br />

gang, dass wir in der ersten Pause<br />

zu Wagners zum fürstlichen<br />

Essen gebeten wurden und dort<br />

über köstlichen Speisen erste<br />

Ideen formulierten, war ein bisschen<br />

so, als wäre man vom Papst<br />

in den Petersdom geladen, um<br />

ihm den Katholizismus zu erklären.<br />

Durch die konkrete Zusammenarbeit<br />

hat sich dieser<br />

Eindruck natürlich relativiert. Es<br />

ist nicht das süße Fleisch der dynastischen<br />

Verklärung, sondern<br />

der solide Kern der tatsächlichen<br />

Kooperation, der zählt. Entsprechend<br />

gab es bei späteren Treffen<br />

dann auch mal Schwarzbrot…<br />

Es war ein wenig InquisitionmitHäppchen.<br />

Herheim: Liebe geht natürlich<br />

nicht immer durch den Magen<br />

und es gab in diesen Phasen auch<br />

Momente, die ich als Vereinnahmung<br />

empfand. Ich kam<br />

hierher, um mich Richard Wagners<br />

Werk anzunähern und erlebte<br />

zum Teil, dass ich dabei allem,<br />

was Bayreuth bedeutet,<br />

gleichzeitig entgegenzukommen<br />

hatte. Es galt also zunächst,<br />

so wertungsfrei wie möglich<br />

klarzustellen, welche Traditionen<br />

und Methoden hier gepflegt<br />

werden und wie man damit<br />

konstruktiv umgehen kann. Wo<br />

immer eine Fackel weitergegeben<br />

wird, gibt es eine Verbrennungsgefahr,<br />

die beide Parteien<br />

zurWachsamkeitruft.<br />

Schachtsiek: Dass heißt,<br />

wenn jetzt im ersten Aufzug Eurer<br />

Inszenierung die Gralsritter<br />

und die Damen der Statisterie in<br />

den Garten der Villa Wahnfried<br />

kommen, ist darin auch ein wenig<br />

die besondere Aura dieses<br />

Abends aufgegangen, selbst<br />

wenn die Wagners schon lange<br />

nichtmehrinWahnfriedleben?<br />

Meier-Dörzenbach: Nein, das<br />

was dort auf der Bühne geschieht,<br />

hat mit der Erlösungssucht<br />

des wilhelminischen<br />

Deutschlands zu tun. Doch auch<br />

damals gab es die Einladung ins<br />

Meisterhaus und Cosima war ja<br />

sehr darauf bedacht, den musikalischen<br />

Weihen der Festspiele<br />

auch noch die gesellschaftlichen<br />

in eleganten Empfängen folgen<br />

zulassen.<br />

Heike Scheele, Bühnenbildnerin<br />

des „<strong>Parsifal</strong>“ (gesellt<br />

sich mit einem frischen Bier und<br />

Handy in der Hand dazu): Gute<br />

Nachrichten von der Mutterstation:<br />

Gesine geht’s bestens!<br />

[Gesine Völlm, Kostümbildnerin<br />

des „<strong>Parsifal</strong>“, konnte wegen<br />

dem nahenden Ende ihrer<br />

Schwangerschaft seit ein paar<br />

Tagen nicht mehr am Hause<br />

sein] Allerdings lässt das Kind<br />

immer noch auf sich warten.<br />

Meier-Dörzenbach: Kein<br />

Wunder –solange, wie Gesine<br />

hochschwanger noch gearbeitet<br />

hat… Das Kind ruht sich jetzt sicherersteinmalaus,bevoresaus<br />

dem Mutterhügel auf den GrünenHügelkommt.<br />

Schachtsiek: Und Sie, Maestro<br />

Gatti, waren Sie eigentlich<br />

schon vor dieser Produktion in<br />

Bayreuth?<br />

Daniele Gatti, Dirigent des<br />

„<strong>Parsifal</strong>“: Seit Ende 2005, Anfang<br />

2006 war ich natürlich viele<br />

Male hier, wir waren alle zusammen<br />

hier, haben uns mit<br />

Gudrun und Wolfgang Wagner<br />

und den anderen Mitarbeitern<br />

des Festspielhauses getroffen<br />

und alles mögliche besprochen.<br />

Als wir 2006 anfingen, die Besetzung<br />

zusammenzustellen,<br />

hatte ich dann endlich Gelegenheit,<br />

die hervorragende Akustik<br />

des Hauses kennen zu lernen –<br />

sie ist wirklich etwas Besonderes.<br />

Doch eine Aufführung habe<br />

ich hier erst vor zwei Jahren das<br />

erste Mal gesehen und zwar die<br />

alte „<strong>Parsifal</strong>“-Produktion.<br />

Herheim: Für mich war dieser<br />

erste „<strong>Parsifal</strong>“ im Bayreuther<br />

Festspielhaus ein ziemlich<br />

überwältigendes Erlebnis. Ich<br />

hatte den Eindruck, dass ich<br />

mich in etwas hinein begebe, das<br />

mir alle Koordinaten meines<br />

Selbst nehmen wird. Das hatte<br />

aber auch mit den äußeren Um-<br />

ständen zu tun, es war ein extrem<br />

heißer Tag, mindestens 35<br />

Grad, und ich hatte zu wenig getrunken,<br />

so dass ich kurz vor der<br />

Vorstellung einen Kreislaufkollaps<br />

hatte. Zuerst dachte ich, ich<br />

könne gar nicht in die Vorstellung<br />

gehen. Das Erlebnis dieses<br />

Abends hat mich so überfordert,<br />

dass ich Schlingensiefs Inszenierung<br />

in den darauffolgenden<br />

Jahren erneut angesehen habe,<br />

klareren Kopfes. Bis dahin hatten<br />

wir aber bereits das Haus von<br />

Innen heraus entdeckt, unsere<br />

eigene Produktion weitgehend<br />

entwickelt und ich dachte schon<br />

etwas nüchterner: Das ist ein<br />

Hauswiejedesandere.<br />

Schachtsiek: Tatsächlich?<br />

Obwohl Eure Inszenierung so<br />

mit der Aura des Ortes spielt,<br />

ständig daran erinnert, dass wir<br />

uns an dem Ort befinden, für den<br />

Wagner „<strong>Parsifal</strong>“ komponiert<br />

hat?<br />

Herheim: Ich wollte nur sagen,<br />

dass ich damals meine Berührungsängste<br />

mit dem auratischen<br />

Mythos dieses Ortes und<br />

der Familie Wagner weitgehend<br />

überwunden hatte.<br />

Gatti: Es ist natürlich sehr<br />

wichtig für mich, dass wir uns<br />

am Ort der Uraufführung befinden,<br />

für den dieses Werk geschrieben<br />

wurde. Aber ich muss<br />

gestehen, dass, seit Stefan und<br />

ich am ersten Tag hier mit den<br />

Proben begonnen haben, unsere<br />

ganze Konzentration der Arbeit<br />

selbst gilt. In den letzten Jahren<br />

haben wir viel über sein Konzept<br />

gesprochen, aber nun haben wir<br />

begonnen, musikalisch zu arbeiten,<br />

Takt für Takt, Phrase für<br />

Phrase. Ich bin bei jeder Probe,<br />

auch jeder szenischen Probe<br />

anwesend und wir gehen den<br />

Weg gemeinsam. Natürlich<br />

denkt man manchmal daran,<br />

was es bedeutet, hier in Bayreuth<br />

zu sein, aber eigentlich<br />

konzentrieren wir uns ganz auf<br />

das, was es nun zu tun gilt: Unsere<br />

eigene Produktion entstehen<br />

zulassen.<br />

Schachtsiek: Dass heißt aus<br />

der Distanz und bei der ersten<br />

Begegnung ist Bayreuth auch in<br />

Wirklichkeit jener auratische<br />

Ort, den die Inszenierung bespielt,<br />

oder kann es zumindest<br />

sein, doch dann nutzt dieses Gefühlsichab?<br />

Meier-Dörzenbach: Abnutzung<br />

ist kein schönes Wort, denn<br />

es bedeutet Verbrauch, Verfall.<br />

Es ist vielmehr eine Entzauberung,<br />

in der dennoch eine unglaubliche<br />

Magie liegen kann. Es<br />

ist ein anderes Bewusstsein, ein<br />

anderes Sehen, ein anderes Verstehen,<br />

das einen bestimmt –<br />

eigentlich ein Moment, das sehr<br />

viel mit unserer Inszenierung zu<br />

tunhat.<br />

Herheim: Eine solche Konzeption<br />

wie die unsere, in der die<br />

Gralsritter als Wagnerianer aller<br />

Zeiten erscheinen, kommt ja nur<br />

zustande, wenn man das, was<br />

hier tatsächlich vorhanden ist,<br />

mythisch auf sich wirken lässt.<br />

Bei mir war es so. Das Bayreuther<br />

Festspielhaus kannte ich<br />

seit meiner Kindheit von Bildern,<br />

die meine Phantasie angeregt<br />

haben. Meinen Vater, der<br />

Orchestermusiker am Osloer<br />

Opernhaus war, faszinieren<br />

Schiffe, Kirchen und Opernhäuser<br />

–und so gab es in meinem El-<br />

ternhaus viele Bildbände von<br />

Opernhäusern. Wenn wir durch<br />

Europa reisten, haben wir uns<br />

die Häuser immer ganz genau<br />

angeschaut und sie fotografiert.<br />

Nur in Bayreuth haben wir nie<br />

Station gemacht, obwohl meine<br />

MutterursprünglichFränkin ist.<br />

Aber ich habe in Papas Büchern<br />

geblättert und fand, was hier in<br />

Bayreuth erstrebt wurde, extrem<br />

faszinierend. Und obwohl<br />

ich nie hier war, habe ich viel<br />

von diesem Ort geträumt, fast<br />

so, wie unser kleiner <strong>Parsifal</strong>-<br />

Junge hier in der Inszenierung,<br />

der in einer Art Traum-Albtraum-Welt<br />

gerät und sich selbst<br />

dabeierkundet.<br />

Schachtsiek: Euer „<strong>Parsifal</strong>“<br />

erzählt ja auf mehreren Ebenen<br />

von der Bewusstseinsentwicklung<br />

durch Macht und Gewalt<br />

auf nationaler und auch ganz individueller<br />

Ebene – „<strong>Parsifal</strong>“<br />

nicht nur als Marker eines<br />

Deutschtums, sondern auch als<br />

sichentwickelndesKind.<br />

Gatti: Ich bin wirklich froh,<br />

dass wir mit Christopher Ventris<br />

einen Sänger für die Rolle des<br />

<strong>Parsifal</strong> gefunden haben, der<br />

diese Entwicklung auch vokal zu<br />

beglaubigen weiß. Zu Anfang<br />

des Stückes erscheint <strong>Parsifal</strong><br />

tatsächlich –auch stimmlich –<br />

als ein kleiner Junge. Und Chris<br />

ist es wunderbar gelungen für<br />

den dritten Aufzug, wenn er zurückkehrt,<br />

eine ganz neue<br />

Stimmfarbe zu finden. Ich denke,<br />

so hat Wagner es gemeint;<br />

erst so versteht man, dass die Figur<br />

gereift ist, wirklich weitreichende<br />

und eindrückliche Erfahrungen<br />

gemacht hat. Der<br />

<strong>Parsifal</strong> des dritten ist ein ganz<br />

anderer als der des ersten Aufzuges.<br />

Aber es ist sehr schwer,<br />

einen Sänger zu finden, der das<br />

nicht nur verstehen, sondern<br />

auch umsetzen kann. Aber wenn<br />

man genau und detailliert arbeitet<br />

und immer nah an den Worten<br />

bleibt, so dass die Szene fast<br />

eine schauspielerische Qualität<br />

erreicht, im ersten Akt dagegen<br />

einfach singt, dann kann man<br />

einen großen Unterschied gestalten.<br />

Wir haben wirklich viel<br />

Glück mit unserer Besetzung<br />

hier; sie alle verstehen, dass es<br />

um die Psychologie der Figuren<br />

gehtundnichtumSchöngesang.<br />

Schachtsiek: Die Psychologie<br />

und das Drama stehen also für<br />

SieganzstarkimVordergrund?<br />

Gatti: Das ist vielleicht der<br />

Unterschied zu einer konzertanten<br />

Aufführung; wenn man szenisch<br />

arbeitet, muss es menschlicher<br />

werden. Was wir hier auf<br />

die Bühne bringen, ist ein Drama,<br />

das von der Entwicklung<br />

eines Mannes erzählt, des Menschen<br />

<strong>Parsifal</strong>. Und zugleich erzählen<br />

wir von der Sehnsucht<br />

nach Erlösung und von dem, was<br />

Hingabe bedeutet. Das sind<br />

Themen, die auch heute noch<br />

sehr aktuell sind, und ich denke,<br />

dieZuschauerwerdensichihnen<br />

sehr nah fühlen. Dafür ist es<br />

wichtig, dass wir die Geschichte<br />

nicht auf einem anderen Planeten<br />

stattfinden lassen. Das Reich<br />

desGralesistunsnichtfern,esist<br />

vermutlich Teil unserer Welt, solange<br />

wir auf der Suche nach etwas<br />

sind. Es ist auch deshalb<br />

richtig, sich hier und jetzt mit<br />

deutscher Geschichte von 1882<br />

bis nach dem zweiten Weltkrieg<br />

auseinander zu setzen –gerade<br />

die krisenhaften Momente darin,<br />

machen die Geschichte lesbarer.<br />

Scheele: Letztlich war das<br />

eine Folge der Idee der Zeitreise.<br />

Wenn man darin die NS-Zeit<br />

aussparen würde, würde das<br />

keinen Sinn machen. Und so<br />

wird sie eben am Ende des zweiten<br />

Aufzugs kurz angerissen. Sie<br />

ist die Irrfahrt, die bei Wolfram<br />

von Eschenbach den Großteil<br />

der Geschichte ausmacht und<br />

bei Wagner bis auf das Vorspiel<br />

zum dritten Aufzug ausgespart<br />

ist. Szenisch gibt es nur einen<br />

kurzen, aber erschreckenden<br />

Moment, der klarmacht, wo es<br />

jetzt hingeht. Nur das Davor und<br />

das Danach sind sichtbar in Zeit<br />

gedehnt.<br />

Herheim: Die Tatsache der<br />

Theatralisierung bleibt aber.<br />

Wir spürten hatten eine immense<br />

Notwendigkeit, diese Implikationen<br />

sichtbar machen zu<br />

müssen, angefangen mit dem<br />

fröhlichen Marschieren in die<br />

Welt am Ende des ersten Aufzugs.<br />

Uns war ganz wichtig, da<br />

einen realistischen Bezug herzu-<br />

stellen, denn diese Szene ist ja<br />

kein Gottesdienst –esist eine<br />

Umkehrung, eine ziemlich<br />

schwarze Messe als Feier eines<br />

Wahns, dem eine politische<br />

Ideologie zugrunde liegt. die<br />

man sich wiederum als Perversion<br />

eines Heils-Topos vor Augenführenmuss.<br />

Meier-Dörzenbach: Die Nähe<br />

der erlösungstriefenden Worte<br />

Wagners und der wilhelminischen<br />

Rhetorik sind schon beängstigend.<br />

Der Marsch der<br />

Gralsritter in die Welt hinaus<br />

wird mit der Naivität korreliert,<br />

mit der die Menschen im August<br />

1914 in den Ersten Weltkrieg gezogen<br />

sind. Übrigens ist das ja<br />

auch das Jahr, in dem das Werk<br />

„<strong>Parsifal</strong>“ aus dem Tempel Festspielhaus<br />

gezogen ist, da das Urheberrecht<br />

abgelaufen war. Es<br />

kam zu einem regelrechten<br />

Boom und das Werk wurde in<br />

ganz Europa in vielen Sprachen<br />

aufgeführt –indem Europa, das<br />

sich wenige Monate danach bekriegte.<br />

Aus dem künstlichen<br />

Gralsgeläut wurden so reale Totenglocken.<br />

Scheele: Von diesem wichtigen<br />

Moment ausgehend haben<br />

wir dann auch die historische<br />

Konsequenz gezogen. Wir mussten<br />

weiter durch die Geschichte<br />

und wollten mit der bewusster<br />

und erwachsener werdenden<br />

Figur <strong>Parsifal</strong> weiter durch die<br />

Zeit...<br />

Schachtsiek: Gehörten<br />

eigentlich diese beiden Aspekte<br />

der Inszenierung, Identitätsfindung<br />

<strong>Parsifal</strong>s, die parallel als<br />

kollektive der Deutschen erzählt<br />

wird, und die Geschichte der<br />

Bayreuther Festspiele als herausgehobener<br />

Ort deutscher Erlösungssucht<br />

schon am Anfang<br />

Eurer Überlegungen zu „<strong>Parsifal</strong>“<br />

zusammen? Oder kam das<br />

erst mit dem Bayreuther Angebot?<br />

Herheim: Die Idee, dass „<strong>Parsifal</strong>“<br />

–entstanden in einer Umbruchphase<br />

der deutschen Geschichte<br />

– mit der kollektiven<br />

Suche nach Identität zu tun haben<br />

muss, ist mir schon sehr früh<br />

gekommen. Sie spielte schon<br />

eine wichtige Rolle bei der Entwicklung<br />

eines Konzeptes für<br />

Berlin, denn dort wollte ich auch<br />

schon eine deutsche Zeitreise<br />

zur Selbstfindung via Katastrophe<br />

inszenieren. Aus privaten<br />

Gründen wurde es mir unmöglich,<br />

diesen Faden weiter zu verfolgen<br />

und ich musste die Produktion<br />

absagen, kurz bevor das<br />

Bayreuther Angebot kam. Daraufhin<br />

habe ich zunächst versucht,<br />

in eine ganz andere Richtung<br />

zu gehen –letztlich haben<br />

wir die endgültige Entscheidung<br />

für den Ort, bzw. für dieses<br />

Raum-Zeit-Verhältnis, in dem<br />

dieser „<strong>Parsifal</strong>“ nun spielt, extremlangeherausgezögert.<br />

Schachtsiek: Die Wahl dieses<br />

Ortes als Bühnenbild war also<br />

auch die Entscheidung dafür,<br />

Dich mit Deiner eigenen ambivalenten<br />

Haltung zum Ort Bayreuthzukonfrontieren?<br />

Herheim: Ja, bzw. zu der weihevollen<br />

Verklärung und Instrumentalisierung<br />

des Wagnerschen<br />

Werks. Wir haben uns viele<br />

Gedanken über die Institution<br />

Bayreuth, über Geschichte und<br />

Gegenwart dieses „Bühnenweihfestspiels“<br />

und den Mythos,<br />

der um diesen „<strong>Parsifal</strong>“ gesponnen<br />

wurde, gemacht. Man<br />

musseinezwiespältige,kritische<br />

Haltung dazu einnehmen. Als<br />

ich 16 Jahre alt war, habe ich in<br />

meiner Heimatstadt Oslo als Statist<br />

im „<strong>Parsifal</strong>“ mitgewirkt. Das<br />

war das erste Mal überhaupt,<br />

dass ich Musiktheater nicht nur<br />

eine anregenden Wirkung auf<br />

mich hatte, sondern auch eine<br />

wirklich einschüchternde. Ich<br />

empfand das Ganze als tatsächlich<br />

beängstigend, doch das<br />

überwindet man eben in der<br />

konkreten Auseinandersetzung<br />

–gerade dann, wenn man diese<br />

ausgerechnet in Bayreuth führen<br />

kann. Der Auftrag schien mir<br />

eineeinmaligeHerausforderung<br />

zu sein, über meinen Schatten zu<br />

springen.<br />

Fortsetzung auf Seite 13

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