Parsifal - CMS
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Nordbayerischer Kurier<br />
4 <strong>Parsifal</strong> 2008 Nordbayerischer Kurier - Freitag, 25. Juli 2008<br />
Alexander Meier-Dörzenbach<br />
„Alles, was man gemeinhin Vergangenheit<br />
nennt, ist im Grunde<br />
nur eine leiser und dunkler<br />
gewordene Art von Gegenwart“,<br />
definierte einst Gertrud<br />
von Le Fort –unsere Inszenierung<br />
will nun die Vergangenheit<br />
lauter und heller werden<br />
lassen, um damit Wagners „<strong>Parsifal</strong>“<br />
zu vergegenwärtigen.<br />
Schon das Stück selbst thematisiert<br />
Vergegenwärtigung: das<br />
individuelle Erkennen der leiser<br />
und dunkler, aber nicht weniger<br />
signifikant gewordenen Schichten<br />
von Vergangenheit, die sich<br />
mit Menschlichkeit, Göttlichkeit<br />
und deren Perversionen auseinandersetzt.<br />
Erzählungen und<br />
Reflexionen der Figuren sind<br />
hierbei oft bedeutender als die<br />
Bühnenhandlung, denn dramatisch<br />
effektvolle Momente –angefangen<br />
bei Kundrys Auslachen<br />
des gekreuzigten Christus<br />
und der himmlischen Überreichung<br />
von Gral und Speer an Titurel<br />
über Klingsors Selbstkastration,<br />
<strong>Parsifal</strong>s kindliche Ritterfaszination<br />
und Amfortas<br />
sündiges Erliegen sind zu Gunsten<br />
einer epischen Konzentration<br />
theatral nicht ausgestaltet.<br />
So wie aber die subjektiven Erfahrungen<br />
von Vergangenheit<br />
auf die Gegenwart der Bühnenfiguren<br />
wirken, so bestimmt<br />
auch das leiser und dunkler gewordene<br />
Präsens von Wagners<br />
Bühnenweihfestspiel unsere<br />
Kunsterfahrung im Hier und<br />
Jetzt. Selbst wenn vergangene<br />
Konstruktionen in Historiographien,<br />
Biographien, Mythologien<br />
und Philosophien dabei<br />
immer gröber verpixelt und<br />
verzerrt werden, so formieren<br />
sie sich doch zu einem klingenden<br />
Bild der Sehnsucht nach<br />
diesem so schmerzlich bedeutungsblutenden<br />
Begriff Erlösung.<br />
Seine letzte Oper bezeichnet<br />
Wagner als Bühnenweihfestspiel<br />
und vereint damit terminologisch<br />
vier Elemente, die zu<br />
unterschiedlichen Gewichtungen<br />
geführt haben: Während<br />
die Rahmenworte Bühne und<br />
Spiel auf den theatralen Rahmen<br />
der Aufführung verweisen,<br />
stehen mit Weihe und Fest<br />
überhöhte und überhöhende<br />
Elemente im Zentrum. Das letzte<br />
Werk Richard Wagners wurde<br />
musikalischer Kunstreligionsstiftung<br />
geweiht, als musizierte<br />
Eucharistie gespielt, auf<br />
Bühnen als Kompensationsritual<br />
asketischer Sexualität kritisiert,<br />
als Fest radikalen Antisemitismus’<br />
verdammt –darüber<br />
hinaus ist das Bühnenweihfestspiel<br />
„<strong>Parsifal</strong>“ in der spöttischen<br />
Etikettierung Friedrich<br />
Nietzsches der „Operettenstoff<br />
par excellence“; Nietzsche stellt<br />
nicht nur die Frage „war dieser<br />
,<strong>Parsifal</strong>‘ überhaupt ernst gemeint?“,<br />
sondern beantwortet<br />
sie auch gleich im Wunsch, dass<br />
es ein „Exzess höchster und<br />
mutwilligster Parodie auf das<br />
Tragische selbst, auf den ganzen<br />
schauerlichen Erden-Ernst<br />
und Erden-Jammer von ehedem,<br />
auf die endlich überwundene<br />
dümmste Form in der Widernatur<br />
des asketischen<br />
Ideals“ sei. Dabei ist die<br />
Schlussformel weniger terminiert,<br />
als sie einen mit verklärenden<br />
Klängen erfüllten Raum<br />
des Ungewissen öffnet: „Höchsten<br />
Heiles Wunder: /Erlösung<br />
dem Erlöser!“ Dieses rätselhafte<br />
Diktum, das sich noch nicht in<br />
Wagners Prosaentwurf von<br />
1865 findet, kann sich auf den<br />
durch den Speer erlösten Amfortas<br />
beziehen, auf Christus, da<br />
sein Blut nun aus den sündigen<br />
Händen Amfortas’ befreit ist<br />
oder auf <strong>Parsifal</strong> als Erlöser, der<br />
ja nach langer irrender Wanderschaft<br />
fortan seiner Bestimmung<br />
nachgehen kann. Bedeutet<br />
der finale Erlösungsruf nun<br />
Kritik an allen Systemen, die<br />
das Leiden des individuellen<br />
Menschen nicht wahrnehmen?<br />
Dieser am Ende postulierte Erlösungsimperativ,<br />
der im akustisch<br />
weiß strahlenden Klanglicht<br />
motivisch nichts Neues<br />
Die reine Wahrheit und die Ware Reinheit<br />
Konzeptrahmen der Bayreuther Neuinszenierung des Bühnenweihfestspiels durch Stefan Herheim<br />
postuliert, hat die bekannten<br />
Themen harmonisch gereinigt<br />
und entlässt sie widerspruchslos<br />
in sphärisch lichte Höhen.<br />
Dabei ist dieser „<strong>Parsifal</strong>“ in<br />
ein irdisch enges Netz aus Geschichte<br />
verstrickt, das einschnürende<br />
Knotenpunkte aufweist:<br />
Einerseits wird ihm beispielsweise<br />
von Hans Küng religiös<br />
innere Friedensbotschaft<br />
und erlösende Versöhnung attestiert,<br />
die dann zum „Mitleid<br />
mit den leidenden Menschen<br />
[…] zum neuen Dienst in der<br />
Welt führen“, andererseits<br />
wurden Hitlers Verbrechen als<br />
reale Umsetzung des reinen<br />
Blut-Kultes (miss-)verstanden:<br />
„Sein Millionenmord an den<br />
europäischen Juden wurde zur<br />
bleibenden Spur, die Wagners<br />
,<strong>Parsifal</strong>‘ in der Geschichte hinterlassen<br />
hat“, schreibt Joachim<br />
Köhler in seinem reißerisch titulierten<br />
Buch „Wagners Hitler.<br />
Der Prophet und sein Vollstrecker“.<br />
Überzeitliche Utopie<br />
einer besseren Welt versus ideologische<br />
Wegbereitung der historischen<br />
Katastrophe: Die Kluft<br />
der Lesarten könnte nicht gewaltiger<br />
sein –doch in genau<br />
diesem Spannungsriss liegt das<br />
Kraftfeld des Werkes. Es ist eine<br />
vierköpfige Chimäre: ein Bühnen-Weih-Fest-Spiel,<br />
das irgendwo<br />
zwischen phantastischem<br />
Theater, religiösem Kult,<br />
mythischer Feier und lehrreicher<br />
Unterhaltung oszilliert,<br />
aber auf keinen Fall eine gemeine<br />
Oper werden sollte. Die<br />
Nachwirkungen dieser „<strong>Parsifal</strong>“-Aspekte<br />
beeinflussen bis<br />
heute das Hören von Wagners<br />
Musik und manifestieren in der<br />
Formel „Erlösung dem Erlöser!“<br />
daher auch eine auf das Werk<br />
selbst zu beziehende Notwendigkeit.<br />
Mit Wagners letztem Bühnenwerk<br />
soll eine radikale<br />
Legierung von Kunst und Religion,<br />
Ethik und Gesellschaft<br />
angestrebt werden. Während<br />
Wagner noch in seinen Zürcher<br />
Kunstschriften 1849/51 erst<br />
einen sozial-radikal-demokratischen<br />
Wandel und dann einen<br />
ästhetischen forderte, meint er<br />
nun in seinen Regenerationsschriften,<br />
dass Musik nicht nur<br />
zur „Erkenntnis der Erlösungsbedürftigkeit“<br />
beitragen kann,<br />
sondern die „Erlösung“ in gewissem<br />
Maße bereits vorwegzunehmen<br />
versteht. Also Wagner<br />
als Erlöser? Es geht ihm um<br />
eine besondere Erlösung –von<br />
Lügen befreit soll eine reine<br />
Wahrheit entstehen, wie schon<br />
der erste Satz seiner Schrift<br />
„Religion und Kunst“ belegt:<br />
„Man könnte sagen, dass da wo<br />
die Religion künstlich wird, der<br />
Kunst es vorbehalten sei den<br />
Kern der Religion zu retten, indem<br />
sie die mythischen Symbole,<br />
welche die erstere im eigentlichen<br />
Sinne als wahr geglaubt<br />
wissen will, ihrem sinnbildlichen<br />
Werthe nach erfasst, um<br />
durch ideale Darstellung derselben<br />
die in ihnen verborgene<br />
tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.“<br />
Während die romantische<br />
Oper „Lohengrin“ ein Bühnenspiel<br />
über menschliche Macht<br />
und Ohnmacht von Glauben<br />
und Vertrauen ist, wird „<strong>Parsifal</strong>“<br />
oft als ideenreiches Weihefest<br />
des vertrauten Glaubens<br />
verstanden. Die reine Wahrheit<br />
mutiert zur Ware Reinheit. Diese<br />
ist nun im besonderen Maße<br />
im „<strong>Parsifal</strong>“ zu finden –nicht<br />
nur weil Kundry Wagners Privatetymologie<br />
formuliert: „Dich<br />
nannt’ ich, tör’ger Reiner, /,Fal<br />
parsi‘, / Dich, reinen Toren:<br />
,<strong>Parsifal</strong>‘.“ Auch über die Erlöserfigur<br />
hinaus wurde und wird<br />
das Werk mit einem Anspruch<br />
an Wahrheit und Reinheit befrachtet,<br />
der lediglich seine<br />
Wurzeln bei Richard Wagner<br />
hat, aber nun seit über 125 Jahren<br />
Früchte trägt und Blüten<br />
treibt.<br />
Im Jahre 1882 lässt Richard<br />
Wagner seinen „<strong>Parsifal</strong>“ mit<br />
einem ausgedehnten Vorspiel<br />
beginnen, indem eine erhaben<br />
irisierende Klangaura über der<br />
durch Synkopen bewegten Ruhe<br />
und schwebenden Unbestimmtheit<br />
im As-Dur des<br />
Abendmahlmotivs strahlt. Der<br />
mystische Abgrund des verdeckten<br />
Orchestergrabens in<br />
Bayreuth mischt die schillernden<br />
Klangfarben zu einer Vision<br />
für die Ohren, die Wagner dann<br />
in einer Notiz für eine Privataufführung<br />
für Ludwig II. (12.<br />
November 1880 München) mit<br />
„Liebe –Glaube–: Hoffen?“ versprachlicht<br />
hat. Dieser Mischklang<br />
ist nicht verortbar; doch<br />
die sinnliche Wahrnehmung ist<br />
beseelt und es verlangt einen<br />
nicht nach der Analyse, die Instrumente<br />
individuell herauszuhören.<br />
Dieses eröffnende Moment<br />
ist lediglich musikalischer<br />
Ausdruck eines vielschichtigen<br />
Synkretismus, einer Vermischung<br />
von philosophischen<br />
Voraussetzungen und religiös<br />
symbolischen Bedingungen, die<br />
Wagners letztes Werk auf vielfache<br />
Art bestimmen – oder<br />
vielmehr im Unbestimmbaren<br />
vergegenwärtigen.<br />
Vergegenwärtigung impliziert<br />
eine Auflösung der Grenzen<br />
von Vergangenheit und<br />
Gegenwart, von Symbol und<br />
Konkretem, von Tod und Leben.<br />
Im christlichen Kontext<br />
steht dabei die Abendmahlfeier<br />
im Zentrum; bei Wagner erklingt<br />
diese Verschränkung von<br />
menschlichem Tod und Teilhabe<br />
am ewigen Leben durch die<br />
Enthüllung des Grales in symbolträchtiger<br />
Umkehrung: „Blut<br />
und Leib der heil’gen Gabe /<br />
wandelt heut’ zu eurer Labe /<br />
sel’ger Tröstung Liebesgeist /in<br />
den Wein, der euch nun floß, /<br />
in das Brot, das heut’ ihr<br />
speist.“ Diese Wandlung stärkt<br />
die irdische Kraft der Ritter<br />
durch konkrete Nahrung und<br />
nicht deren geistige durch spirituelle<br />
Zeichen. Die geheiligten<br />
Maßnahmen stehen hier im<br />
Dienst des Kompensationsprogramms<br />
eines korrumpierten<br />
Glaubens, der auch musikalisch<br />
mitreißend marschiert.<br />
Leben und Tod sind bei Richard<br />
Wagner biographisch auf<br />
besondere Weise miteinander<br />
verknüpft. Er betonte in einem<br />
Brief an König Ludwig II. die<br />
Bedeutung, „die Stätte genau<br />
zu kennen und täglich zu pflegen,<br />
die uns zur göttlichen Ruhe<br />
empfangen soll“. Damit war<br />
das Grab für ihn und Cosima<br />
gemeint, das sich von Anfang<br />
an hinter dem großen Rund im<br />
Garten seiner dreigeschossigen<br />
luxuriösen Familienvilla am<br />
Bayreuther Hofgarten befand.<br />
Wagner hatte das Domizil für<br />
seine Familie selbst entworfen<br />
und mit abgeänderten Plänen<br />
des Architekten Wilhelm Neumann<br />
vom Baumeister Carl<br />
Wölfel bis zum Frühjahr 1874<br />
errichten lassen. Über dem<br />
Hauseingang ließ Wagner eine<br />
Erlösung verheißende Inschrift<br />
anbringen: „Hier wo mein<br />
Wähnen Frieden fand –Wahnfried<br />
–sei dieses Haus von mir<br />
benannt.“ Im Zentrum war die<br />
oft als Konzertraum dienende<br />
Halle angelegt, in der über viele<br />
Jahre auch die Festspielproben<br />
stattfanden. Daran schloss sich<br />
der große Saal an, der als re-<br />
präsentativer Wohn-, Bibliotheks-<br />
und gerade zu Festspielzeiten<br />
illustrer Empfangsraum<br />
diente und dessen Rotunde den<br />
Blick in den Garten freigab, in<br />
dem sich die Stätte zur göttlichen<br />
Ruhe, das zunächst noch<br />
leere Grab, befand und nun<br />
seiner Bestimmung gehorchend<br />
immer noch befindet.<br />
Als musiktheatraler Reifungsprozess<br />
über Leben und<br />
Tod erzählt „<strong>Parsifal</strong>“ die Geschichte<br />
eines reinen Toren, der<br />
Auswirkungen von Gewalt zu<br />
erkennen und somit seine eigene<br />
Biographie zu reflektieren<br />
lernt. Betrachtet man diese Reflektion<br />
als einen kulturgeschichtlichen<br />
Prozess im Spiegel<br />
einer kollektiven Identitätsund<br />
Heilssuche, so erscheint<br />
„<strong>Parsifal</strong>“ als die Geschichte<br />
einer Nation, die sich auch politisch<br />
immer wieder Erlöserfiguren<br />
verschrieben hat und nun<br />
Vergangenheiten aufarbeiten<br />
muss, soll die Zukunft zu einer<br />
scheinbar erlösten Gegenwart<br />
werden. Das Bühnenweihfestspiel<br />
löst am Ende alle Subjektivität<br />
auf und strahlt so in absoluter<br />
Reinheit, doch die<br />
Sehnsucht nach Identität treibt<br />
das Prinzip der mitleidigen Erlösung<br />
auf immer wieder neue<br />
Weise aus. Somit ist „<strong>Parsifal</strong>“<br />
auch die Geschichte einer globalen<br />
Gesellschaft, die sich bis<br />
auf den heutigen Tag kollektive<br />
Erlösung und Frieden vom individuellen<br />
Wähnen in Bayreuth<br />
erhofft.<br />
Das Scharnier dieser vermeintlich<br />
erlösenden Opernkonstruktion,<br />
die Wagner als<br />
Bühnenweihfestspiel zusammengeschraubt<br />
hat, ist der<br />
Gral. Auf <strong>Parsifal</strong>s Frage „Wer<br />
ist der Gral?“ antwortet Gurnemanz:<br />
„Das sagt sich nicht; /<br />
doch bist du selbst zu ihm erkoren,<br />
/ bleibt dir die Kunde<br />
unverloren. –/Und sieh’! –/<br />
Mich dünkt, dass ich dich recht<br />
erkannt: / kein Weg führt zu<br />
ihm durch das Land /und niemand<br />
könnte ihn beschreiten, /<br />
den er nicht selber möcht’ geleiten.“<br />
Jenseits von Sprache<br />
hat sich also das Wunder des<br />
Grals zu vollziehen; das Nicht-<br />
Sagbare nimmt Gestalt für den<br />
Auserwählten an. Mehr noch –<br />
die physische Welt des tatsächlichen<br />
Schreitens entspricht<br />
nicht mehr der Erfahrung,<br />
wenn <strong>Parsifal</strong> staunt: „Ich<br />
schreite kaum, –/doch wähn’<br />
ich mich schon weit.“ Gurnemanz<br />
bestätigt ihm diese Auflösung<br />
der uns seit Kant als<br />
reine Anschauungen vertrauten<br />
Kategorien, die für unser Denken<br />
konstituierend sind: „Du<br />
sieh’st mein Sohn, /zum Raum<br />
wird hier die Zeit. /Nun achte<br />
wohl; und lass mich seh’n, /<br />
bist du ein Tor und rein, /<br />
welch Wissen dir auch mag beschieden<br />
sein. –“ Das rationale<br />
Denken ist nicht die angestrebte<br />
Art der Erfahrung, sondern<br />
vielmehr ein Verschmelzen von<br />
Ästhetik und Ethik: Die Entgrenzung<br />
der Rationalität ist<br />
die Voraussetzung für eine Begegnung<br />
mit dem Gral. Gurnemanz’<br />
Antwort verquickt<br />
sprachlich das Sehen mit dem<br />
Wissen –eine zentrale Zusammenfügung,<br />
da es im ganzen<br />
Stück nicht nur um die sinnliche<br />
Wahrnehmung durch die<br />
Augen, das visuelle Sehen,<br />
geht, sondern auch um „visio“,<br />
die Erkenntnis –dem etymologischen<br />
Ursprung des Wortes<br />
„Wissen“. Das Sehen und Verstehen,<br />
die Perspektivierung<br />
und die daraus destillierte Erkenntnis<br />
strukturieren das gesamte<br />
Werk, doch besonders<br />
eng ist das Netz aus Sehen und<br />
Erkennen zwischen <strong>Parsifal</strong><br />
und den ihn belehrenden Gurnemanz<br />
geknüpft. Als der junge<br />
Held den Schwan erlegt hat,<br />
schlicht weil er es vermag, ermahnt<br />
ihn Gurnemanz: „Hier –<br />
schau’ her! –hier traf’st du ihn:<br />
/dastarrt noch das Blut, matt<br />
hängen die Flügel; / das<br />
Schneegefieder dunkel befleckt,<br />
–/gebrochen das Aug’,<br />
siehst du den Blick? / Wirst<br />
deiner Sündentat du inne? –/<br />
Sag’, Knab’! Erkennst du deine<br />
große Schuld? /Wie konntest<br />
du sie begeh’n?“ <strong>Parsifal</strong> soll<br />
sich seine Tat ansehen („schau’<br />
her!“), die ebenfalls mit einer<br />
visuellen Metaphorik versinnbildlicht<br />
wird: das gebrochene<br />
Auge des toten Tieres, der starre<br />
Blick. Aus dieser optisch<br />
sinnlichen Erfahrung soll sich<br />
nun eine ethische Erkenntnis<br />
gewinnen lassen – die von<br />
Sünde und Schuld. <strong>Parsifal</strong> be-<br />
Fortsetzung auf Seite 5