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Nordbayerischer Kurier<br />

8 <strong>Parsifal</strong> 2008 Nordbayerischer Kurier - Freitag, 25. Juli 2008<br />

Die Kunst ist nur der Spiegel, der einer Zeit vorgehalten ist.<br />

Hermann Raschning<br />

Kunst ist wie ein Spiegel, der „vorausgeht“ wie eine Uhr –manchmal.<br />

Franz Kafka<br />

Kunst ist nicht ein Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern<br />

ein Hammer, mit dem man sie gestaltet.<br />

Zweiter Aufzug<br />

Karl Marx<br />

Hymne an die Schönheit<br />

Charles Baudelaire<br />

Kommst Du vom Himmel herab, entsteigst Du den Schlünden?<br />

Aus Deines teuflischen, göttlichen Blickes Schein<br />

Strömen in dunkler Verwirrung Tugend und Sünden,<br />

Schönheit, und darin gleichst Du berauschendem Wein.<br />

Du trägst im Aug‘ der Sonne Sinken und Steigen,<br />

Du birgst den Duft gewitterschwüler Nacht,<br />

Deine Lippen sind leuchtende Schalen, und wenn sie sich neigen,<br />

Haben sie Helden schwach und Kinder zu Helden gemacht.<br />

Entfliehst Du zum Abgrund, steigst auf Du zu himmlischen<br />

Strahlen.<br />

Der bezauberte Geist folgt hündisch der Spur Deines Lichts!<br />

Du schüttest nach Laune Freuden aus oder Qualen,<br />

Beherrschst uns alle und verantwortest nichts.<br />

Du trittst auf Leichen, Schönheit, und lachst unsrer Qualen,<br />

Entsetzen umschmiegt Deine Brust wie Juwelen und Gold,<br />

Auf dem stolzen Leib seh‘ ich zärtlich tanzen und strahlen<br />

Den Meuchelmord, kostbar Geschmeid, dem vor allem Du hold.<br />

Die scheuen Falter Dein Leuchten, Kerze, umschweben,<br />

Die Flamme segnend büßen sie ihr Gelüst,<br />

So gleicht, wer sein Lieb umarmt mit Keuchen und Beben,<br />

Dem Todgeweihten, der seine Bahre küßt.<br />

Ob Du vom Himmel kommst, ob aus nächtigen Orten,<br />

Gleichviel, oSchönheit, dem Dämon, dem Kinde verwandt,<br />

Öffnet Dein Auge, Dein Lächeln mir nur die Pforten<br />

Des unendlichen Alls, das ich liebe, doch nimmer gekannt.<br />

Von Gott oder Satan, Engel oder Sirene,<br />

Gleichviel, nur gib mir, oHerrin, samtäugige Fee,<br />

Du Wohlklang und Leuchten und Duft, daß verschönert ich<br />

wähne<br />

Die häßliche Erde und leichter den Augenblick seh‘.<br />

Wie in diesem Akt aus dem frommen<br />

Mönchsgewand der alte prächtige<br />

Theaterteufel herausspringt, der Wagner des<br />

Venusberges, das ist übrigens gar zu reizend.<br />

Eduard Hanslick<br />

Sinnliche Sünde und sündiger Sinn<br />

Aus: Egon Voss, „Wagners ,<strong>Parsifal</strong>‘ –das Spiel von der Macht der Schuldgefühle“<br />

Das zentrale Problem der<br />

Männer im „<strong>Parsifal</strong>“ ist ihr<br />

Umgang mit der eigenen Sexualität,<br />

ganz unabhängig von<br />

den Frauen, ihren Reizen und<br />

der Verführung, die von ihnen<br />

ausgeht. Das Verlangen nach<br />

Sinnlichkeit, nach sexueller<br />

Lust wird buchstäblich am<br />

eigenen Leib erfahren. Klingsor<br />

spricht von „ungebändigten<br />

Sehnens Pein! Schrecklichster<br />

Triebe Höllendrang.“<br />

Die Formulierungen zeigen,<br />

wie heftig und überwältigend<br />

dieses Verlangen nach Sinnlichkeit<br />

ist, wie selbstverständlich<br />

strikt aber auch die Über-<br />

zeugung von seiner Verwerflichkeit,<br />

und wie quälend, ja<br />

existenzbedrohend es in Konsequenz<br />

dessen erlebt wird.<br />

Die Sehnsucht nach dem Ausleben<br />

der Sinnlichkeit, nach<br />

Befriedigung der sexuellen<br />

Bedürfnisse und Wünsche<br />

kann ja nur dann als Hölle erlebt<br />

werden, wenn diese Sehnsucht<br />

für böse und verwerflich<br />

gehalten wird.<br />

<strong>Parsifal</strong>, der die eigene Sexualität<br />

zum ersten- und vermutlich<br />

auch zum einzigen<br />

Mal bewußt nach Kundrys Kuß<br />

zu spüren bekommt, charakterisiert<br />

das Verlangen nach<br />

Hass als Treibmittel der Gesellschaft<br />

Aus: Hannah Arendt, „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“<br />

Die Opfer fügten dem Zynismus einen kaum<br />

verborgenen, schwelenden Haß auf den normalen<br />

Lauf der Welt hinzu, der umso gefährlicher<br />

war, als weder sie, noch ihre Umgebung verstanden,<br />

was eigentlich passiert war. An Haß hat<br />

es wohl vermutlich niemals in der Welt gefehlt;<br />

aber in diesen Nachkriegsjahren wuchs er zu<br />

einem entscheidenden politischen Faktor in allen<br />

öffentlichen Angelegenheiten heran. [...]<br />

Denn der Haß konnte sich auf niemand und<br />

Sinnlichkeit noch treffender,<br />

wenn er feststellt: „Wie alles<br />

schauert, bebt und zuckt in<br />

sündigem Verlangen!“ Analog<br />

heißt es von Klingsor, der sich<br />

entmannte, weil er aus dem<br />

Zwiespalt zwischen Sinnlichkeit<br />

und Schuldgefühl keinen<br />

anderen Ausweg wußte, er<br />

sein unfähig gewesen, „in sich<br />

selbst die Sünde zu ertöten“.<br />

Der Sinnlichkeit nachzugeben,<br />

ist also nicht nur ein Vergehen<br />

im Sinne einer strafbaren<br />

Handlung oder zumindest für<br />

unmoralisch geltenden Handlung,<br />

die denjenigen, der sie<br />

begeht, gesellschaftlich in<br />

Im ersten Akt bin ich sehr sparsam<br />

mit sensitiven Intervallen gewesen,<br />

jetzt aber greife ich zu meinem alten Farbtopf.<br />

Richard Wagner<br />

Mißkredit bringt, sondern es<br />

ist eine Sünde, eine Schuld<br />

von religiöser, existentieller<br />

Bedeutung. [...]<br />

Der Begriff der Sünde erscheint<br />

im „<strong>Parsifal</strong>“ geradezu<br />

reduziert auf die Hingabe an<br />

die Sexualität. Es duldet jedenfalls<br />

keinen Zweifel, daß einzig<br />

und allein die Keuschheit<br />

die Voraussetzung für die Mitgliedschaft<br />

in der Gralsgemeinschaft<br />

bildet. Wer nicht<br />

keusch ist, findet den Weg<br />

zum Gral nicht; zu ihm gelangt<br />

man nur „auf Pfaden, die<br />

kein Sünder findet“. Andere<br />

Vergehen dagegen hindern<br />

nicht daran, Knappe, Ritter<br />

oder gar König des Grals zu<br />

werden. Wagner hat an einer<br />

ganzen Reihe von Verfehlungen,<br />

die im Laufe der Handlung<br />

vorgeführt oder erzählt<br />

werden, deutlich gezeigt, daß<br />

allein der Verstoß gegen das<br />

Gebot der Keuschheit von Gewicht<br />

ist. [...] Das unfaßbare<br />

Ausmaß der Schuld, die die<br />

Hingabe an Sinnlichkeit und<br />

Sexualität darstellt, wird<br />

schließlich daran ablesbar,<br />

daß derjenige, der sie auf sich<br />

geladen hat, Amfortas, völlig<br />

außerstande ist, selbst etwas<br />

zur Sühne zu tun. Ein anderer<br />

muß kommen, um ihn zu befreien,<br />

dieser andere aber ist<br />

kein hilfsbereiter Gralsritter,<br />

kein barmherziger Samariter,<br />

wie man ihn, aber nicht häufig,<br />

immer wieder einmal findet.<br />

Das Ausmaß dieser<br />

Schuld, der das Opfer des Heilands<br />

in Frage stellt, ist angewiesen<br />

auf einen neuen Heiland,<br />

einen Messias, jenen<br />

„Einen“, von dem Wagner<br />

nach Cosimas Tagebuch vom<br />

2. März 1878 glaubte oder<br />

hoffte, daß es ihn „durch die<br />

Äonen doch ein Mal“ gebe.<br />

Wie schwer muß eine Schuld<br />

wiegen, deren Sühne man sich<br />

nichts wirklich konzentrieren –nicht die Regierung<br />

und nicht die Bourgeoisie und nicht die jeweiligen<br />

Mächte des Auslandes. So drang er in<br />

alle Poren des täglichen Lebens und konnte sich<br />

nach allen Richtungen verbreiten, konnte die<br />

phantastischsten und unvorhersehbarsten Formen<br />

annehmen; nichts blieb von ihm geschützt,<br />

und es gab keine Sache in der Welt, bei der man<br />

sich sicher sein konnte, daß der Haß sich nicht<br />

plötzlich auf sie konzentrieren könnte.<br />

nur als Utopie vorstellen kann!<br />

[...] „<strong>Parsifal</strong>“, das Bühnenweihfestspiel<br />

dieser reinen und<br />

wahren Form des Christentums,<br />

erscheint als Versuch,<br />

die eigenen zutiefst verinnerlichten<br />

Schuldgefühle zu verklären.<br />

Maxime könnte dabei<br />

jener indische Spruch gewesen<br />

sein, den Cosima am 28. Januar<br />

1876 in ihrem Tagebuch<br />

notierte: „Wer sein Leben<br />

(hin)durch schöne Werke hervorbringt,<br />

hat die Sinnlichkeit<br />

überwunden.“ Die Musik des<br />

„<strong>Parsifal</strong>“ ist allerdings, auch<br />

wenn sie selbstverständlich –<br />

vor allem am Ende –auch dazu<br />

dient, die Überwindung von<br />

Sinnlichkeit und Sexualität zu<br />

preisen, wesentlich Ausdruck<br />

jener „Qual der Liebe“, von der<br />

<strong>Parsifal</strong> im zweiten Aufzug<br />

spricht, Ausdruck vor allem<br />

von Schmerz und Leid, wie sie<br />

die aus der Überzeugung von<br />

Verwerflichkeit der Sinnenlust<br />

folgenden Schuldgefühle hervorrufen.<br />

Es duldet überdies<br />

keinen Zweifel, daß Wagner<br />

die Darstellung von Qual und<br />

Leid –wie so häufig in seinen<br />

Werken – viel überzeugender<br />

und eindringlicher gelungen<br />

ist als diejenige von Glück und<br />

Erlösung von aller Qual. Insofern<br />

ist <strong>Parsifal</strong>, dessen Musik<br />

zudem heute gewiß allgemein<br />

viel mehr interessiert als sein<br />

Text, weniger eine Festschreibung<br />

oder Verherrlichung<br />

christlich-bürgerlicher Sexualmoral<br />

als vielmehr ein erschütterndes<br />

Zeugnis für deren<br />

Konsequenzen. „<strong>Parsifal</strong>“ ist<br />

eine Tragödie.

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