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Die Geschichte der Heilberufe - Ö1 - ORF

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DIE RADIODOKTOR-INFOMAPPE<br />

Ein Service von:<br />

<strong>ORF</strong><br />

A-1040 Wien, Argentinierstraße 30a<br />

Tel.: (01) 50101/18381<br />

Fax: (01) 50101/18806<br />

Homepage: http://oe1.<strong>ORF</strong>.at<br />

Österreichische Apothekerkammer<br />

A-1091 Wien, Spitalgasse 31<br />

Tel.: (01) 404 14-600<br />

Fax: (01) 408 84 40<br />

Homepage: www.apotheker.or.at<br />

Österreichisches Bundesministerium für Gesundheit<br />

A-1030 Wien, Radetzkystr. 2<br />

Tel.: (01) 71100-4505<br />

Fax: (01) 71100-14304<br />

Homepage: www.bmg.gv.at/<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 1


RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT<br />

<strong>Die</strong> Sendung<br />

<strong>Die</strong> Sen<strong>der</strong>eihe „Der Radiodoktor“ ist seit 1990 das Flaggschiff <strong>der</strong><br />

Gesundheitsberichterstattung von <strong>Ö1</strong>. Jeden Montag von 14.05 bis 14.40 Uhr<br />

werden interessante medizinische Themen in klarer informativer Form<br />

aufgearbeitet und <strong>Ö1</strong>- Hörerinnen und -Hörer haben die Möglichkeit, telefonisch<br />

Fragen an das hochrangige Expertenteam im Studio zu stellen.<br />

Wir über uns<br />

Seit September 2004 mo<strong>der</strong>ieren Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz, Univ.-Prof. Dr.<br />

Karin Gutiérrez-Lobos, Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und Dr. Christoph<br />

Leprich die Sendung.<br />

Das Redaktionsteam besteht aus Mag. Xaver Forthuber, Mag. Nora Kirchschlager,<br />

Dipl. Ing. Eva Obermüller, Dr. Doris Simhofer, Dr. Michaela Steiner, Dr. Ronny<br />

Tekal und Dr. Christoph Leprich.<br />

Das Service<br />

Seit dem 3. Oktober 1994 gibt es das, die Sen<strong>der</strong>eihe flankierende, Hörerservice,<br />

das auf größtes Interesse gestoßen ist.<br />

<strong>Die</strong> zu je<strong>der</strong> Sendung gestaltete Infomappe mit ausführlichen<br />

Hintergrundinformationen, Buchtipps und Anlaufstellen wird kostenlos zur<br />

Verfügung gestellt und ist bereits am Sendungstag auf <strong>der</strong> <strong>Ö1</strong>-Homepage zu<br />

finden. <strong>Die</strong>se Unterlagen stellen in <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> behandelten Themen ein Medizin-<br />

Lexikon für den Laien dar.<br />

<strong>Die</strong> Partner<br />

Ermöglicht wird die Radiodoktor-Serviceleiste durch unsere Partner: die<br />

Österreichische Apothekerkammer und das Österreichische<br />

Gesundheitsministerium<br />

An dieser Stelle wollen wir uns ganz herzlich bei unseren Partnern für die gute<br />

Zusammenarbeit bedanken!<br />

Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Gründen <strong>der</strong> besseren Lesbarkeit in dieser Infomappe<br />

zumeist auf die weiblichen Endungen, wie z.B. PatientInnen, ÄrztInnen etc. verzichtet haben<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 2


STARSTECHER, STEINSCHNEIDER UND DOCTORES<br />

MEDICINAE – EIN STREIFZUG DURCH DIE<br />

GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

Mit Dr. Christoph Leprich<br />

7. Jänner 2013, 14.05 Uhr, <strong>Ö1</strong> (WH v. 27.8.2012)<br />

Sendungs- und Infomappengestaltung: Mag. Nora Kirchschlager<br />

Redaktion: Dr. Christoph Leprich<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 3


INHALTSVERZEICHNIS<br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

STARSTECHER, STEINSCHNEIDER UND DOCTORES MEDICINAE – EIN STREIFZUG<br />

DURCH DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE 6<br />

NEUROCHIRURGIE DER STEINZEIT 7<br />

PRIESTERINNEN, PRIESTER UND GÖTTER IM DIENSTE DER GESUNDHEIT 8<br />

DIE ERSTEN GELEHRTEN MEDIZINER 9<br />

KLOSTERMEDIZIN 9<br />

MEDIZINSCHULEN UND UNIVERSITÄTEN 10<br />

<strong>Die</strong> Pest 10<br />

DIAGNOSE- UND BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN VON ÄRZTEN AUS DEM 16. UND<br />

17. JAHRHUNDERT 11<br />

<strong>Die</strong> Harnschau 11<br />

Frühe Antibiotika 11<br />

Chemische Experimente 12<br />

Das „Aspirin des Mittelalters“ 12<br />

HEILEN OHNE DOKTORTITEL 12<br />

Der Steinschnei<strong>der</strong> 12<br />

Zahnärzte, Starstecher und Chirurgen 13<br />

<strong>Die</strong> „Volksheiler“ 14<br />

Hexen 14<br />

AUFBRUCH IN EINE NEUE ZEIT 15<br />

Das Verschwinden <strong>der</strong> nicht akademischen Heiler 15<br />

Gesundheit und Politik 16<br />

DER ARZT DES 18. UND 19. JAHRHUNDERTS 16<br />

<strong>Die</strong> Arzttasche des 18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts 17<br />

Geringes Honorar 17<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 4


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Spezialisierungen in <strong>der</strong> Medizin 17<br />

Frauen an die Unis! 17<br />

INFOLINKS 19<br />

BUCHTIPPS 20<br />

SENDUNGSGÄSTE 21<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 5


EIN STREIFZUG DURCH DIE GESCHICHTE DER<br />

HEILBERUFE<br />

DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

Wann hatten Sie zuletzt Zahnschmerzen? Bzw. sehen Sie schlecht o<strong>der</strong> haben sich<br />

in letzter Zeit mal den Fuß verstaucht? Wahrscheinlich haben Sie dann einen<br />

Zahnarzt, einen Augenarzt o<strong>der</strong> einen Allgemeinmediziner aufgesucht. Vor rund<br />

500 Jahren vertrauten die Menschen bei solchen Beschwerden unter an<strong>der</strong>em auf<br />

Gesundheitssegenssprüche, von denen eine Vielzahl überliefert ist. Drei seien an<br />

dieser Stelle erwähnt:<br />

Segen gegen Augenleiden:<br />

„Und Herrgott sein Athem vertreibt dir dein Blattern, und Herrgott sein Blut ist für<br />

die Augen gut“.<br />

Segen gegen Zahnweh:<br />

„Lieber Mond, ich sehe dich mit deinen zwei Spitzen, hilf, dass meine Zähne<br />

we<strong>der</strong> reißen noch ritzen“.<br />

Segen gegen Verrenkungen und Verstauchungen:<br />

„Du hast dein Bein verrenkt, man hat Jesus Christus ans Kreuz gehenkt; thut ihm<br />

sein Henken nichts, thut dir dein Verrenken nichts“.<br />

In den meisten Fällen behandelten sich die Menschen im Krankheitsfall selbst.<br />

Reichte dies nicht aus, gab es die Möglichkeit, Gesundheitsexpertinnen und -<br />

experten aufzusuchen – im Mittelalter und in <strong>der</strong> frühen Neuzeit waren das zum<br />

Beispiel Personen, die sich mit Heilkräutern beson<strong>der</strong>s gut auskannten o<strong>der</strong><br />

Barbiere, die auch chirurgische Eingriffe durchführten. Den Arzt, <strong>der</strong> an einer<br />

Universität Medizin studiert hatte, gab es zwar auch damals schon, mehr<br />

Bedeutung für die Masse <strong>der</strong> Bevölkerung erlangte er aber erst im Laufe des 18.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

Von den frühen Tagen <strong>der</strong> Menschheit bis heute existierten eine Vielzahl an<br />

unterschiedlichen Heilerpersönlichkeiten.<br />

In dieser Infomappe begeben wir uns auf <strong>der</strong>en Spuren und wollen herausfinden,<br />

mit welchen Methoden sie die Krankheiten <strong>der</strong> Menschen, die sie aufsuchten, zu<br />

heilen versuchten.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 6


NEUROCHIRURGIE DER STEINZEIT<br />

DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

Wer die Heilerinnen und Heiler <strong>der</strong> Frühzeit des Menschen waren, lässt sich –<br />

aufgrund fehlen<strong>der</strong> schriftlicher Zeugnisse – nur schwer sagen. Knochenfunde mit<br />

Frakturen aus <strong>der</strong> Frühsteinzeit deuten darauf hin, dass <strong>der</strong>artige Brüche damals<br />

noch nicht geheilt werden konnten. Aus <strong>der</strong> jüngeren Steinzeit – also vor rund<br />

12.000 Jahren – stammen so genannte „Trepanationsschädel“. Sie weisen<br />

münzgroße Öffnungen in <strong>der</strong> Schädeldecke auf – und zwar verheilte! <strong>Die</strong><br />

Patientinnen und Patienten sind we<strong>der</strong> an einer Blutung während <strong>der</strong> Operation,<br />

noch an einer anschließenden Infektion gestorben. Ausgeklügelte operative<br />

Techniken dürfte es also schon damals gegeben haben. Was genau man aber mit<br />

den Schädelöffnungen therapieren wollte, bleibt im Dunkeln.<br />

Wollte man möglichweise einen bösen Geist durch diese Öffnung im Schädel<br />

entfernen? O<strong>der</strong> glaubte man, auf diese Weise einer bestimmten Krankheit Herr zu<br />

werden?<br />

Der Ethnologe und Facharzt für Allgemein- und Tropenmedizin, Univ.-Prof. Dr. Dr.<br />

Armin Prinz, hält dies durchaus für möglich.<br />

Während seiner Forschungsreisen zu indigenen Völkern in den Kongo erlebte er<br />

mit, welche medizinischen Methoden dort von den örtlichen Heilern – man könnte<br />

sie als Schamanen bezeichnen – angewendet werden. „Oft ginge es darum,<br />

Ursachen wie Hexerei o<strong>der</strong> Magie zu bekämpfen“, so <strong>der</strong> Mediziner.<br />

Rheuma etwa wird dort als eine magische Krankheit angesehen, die sich langsam<br />

in den Körper einschleicht. Zur Behandlung machen die Schamaninnen und<br />

Schamanen so genannte Skarifikationen, also Schnitte, in die Haut <strong>der</strong><br />

Betroffenen. Anschließend reiben sie spezielle Mixturen, häufig Erdnussöl mit<br />

Chayennepfeffer, in die Öffnungen. Das führt dazu, dass sich die geritzten Stellen<br />

entzünden, die Haut also stärker durchblutet wird - ein Effekt, <strong>der</strong> auch bei<br />

mo<strong>der</strong>nen Rheumasalben zu Tage tritt. Ganz so abwegig, wie man auf den ersten<br />

Blick meinen könnte, sind die Methoden <strong>der</strong> Heilerinnen und Heiler aus dem<br />

Kongo also nicht.<br />

Übrigens: Mittlerweile geht man davon aus, dass auch beim „Ötzi“ <strong>der</strong>artige<br />

Hautritzungen gemacht wurden – und zwar um ihn von <strong>der</strong> Lyme-Borreliose, jener<br />

Erkrankung, die neben FSME durch einen Zeckenbiss übertragen werden kann, zu<br />

kurieren.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 7


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

PRIESTERINNEN, PRIESTER UND GÖTTER IM<br />

DIENSTE DER GESUNDHEIT<br />

Medizin und Gesundheit waren von jeher eng verknüpft mit magischen und<br />

religiösen Vorstellungen. So verwun<strong>der</strong>t es auch nicht, dass die ersten<br />

Heilkundigen, über die es auch schriftliche Aufzeichnungen gibt, unter an<strong>der</strong>em<br />

Priester waren. Und zwar in Mesopotamien, das Teil des heutigen Iraks und<br />

Syriens umfasste, und in Ägypten.<br />

„Unter den ägyptischen Ärzten gab es die bizarrsten Berufsbezeichnungen“,<br />

erzählt Philipp Osten, Medizinhistoriker am Institut für <strong>Geschichte</strong> und Ethik <strong>der</strong><br />

Medizin <strong>der</strong> Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. „So lautete die<br />

Amtsbezeichnung eines Pharao-Arztes zum Beispiel „Wächter des königlichen<br />

Darmausganges““.<br />

Wie im Mittelalter arbeiteten auch bereits die Ägypter und Assyrer <strong>der</strong> Antike mit<br />

unterschiedlichen Beschwörungsformeln. Eine dieser Formeln wurde angewendet,<br />

um den so genannten „Zahnwurm“, <strong>der</strong> für Zahnschmerzen verantwortlich<br />

gemacht wurde, zu bekämpfen.<br />

Auch im antiken Griechenland – und zwar schon in seiner Frühzeit ab dem achten<br />

vorchristlichen Jahrhun<strong>der</strong>t - waren es Priesterärzte und auch -ärztinnen, die man<br />

im Krankheitsfall aufsuchte.<br />

Beson<strong>der</strong>e Bedeutung gewann etwa zu dieser Zeit auch Asklepios, <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong><br />

Heilkunst. Der Kult um den Sohn des Apollon und <strong>der</strong> Koronis hielt sich über<br />

mehrere Jahrhun<strong>der</strong>te.<br />

„Das war eine Medizin für Wohlhabende“, sagt <strong>der</strong> Medizinhistoriker Philipp<br />

Osten.<br />

Dabei reisten die Erkrankten zu einem Asklepios-Heiligtum, das oft an einer<br />

Quelle bzw. einem landschaftlich reizvollen Ort, aber in jedem Fall in <strong>der</strong> Nähe<br />

größerer Handelszentren lag. In diesem „Asklepeion“ wurde man dann von einem<br />

Tempelarzt empfangen, <strong>der</strong> einen bat, einen Tempelschlaf durchzuführen. In<br />

diesem Schlaf träumte die erkrankten Personen schließlich die für sie jeweils<br />

passende Behandlung.<br />

<strong>Die</strong>se Behandlung konnten etwa Bä<strong>der</strong> o<strong>der</strong> aber eine Diät sein. Darunter<br />

verstand man im antiken Griechenland kein Programm zum Abnehmen, son<strong>der</strong>n<br />

eine Art neue Lebensweise. Erreicht werden sollte ein Gleichgewicht <strong>der</strong> vier Säfte<br />

schwarze Galle, gelbe Galle, Schleim und Blut. För<strong>der</strong>lich dafür waren – so die<br />

damalige Vorstellung – ausreichend Schlaf und frische Luft, gesunde Ernährung<br />

sowie ein ausgeglichener Gemütszustand.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 8


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

<strong>Die</strong>se Aspekte sind eigentlich absolut mo<strong>der</strong>n und besitzen im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

mindestens dieselbe Bedeutung wie damals.<br />

DIE ERSTEN GELEHRTEN MEDIZINER<br />

Um 500 vor Christus entwickelten sich in Griechenland die ersten Schulen, an<br />

denen medizinisches Wissen unterrichtet wurde – und zwar ausschließlich an<br />

Männer. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Lehre stand <strong>der</strong> Corpus Hippocraticum – ein 70 Bände<br />

umfassendes Werk des von <strong>der</strong> Insel Kos stammendes Arztes Hippokrates.<br />

<strong>Die</strong> Medizin <strong>der</strong> Antike - insbeson<strong>der</strong>e die Texte von Hippokrates und Galen,<br />

einem im zweiten nachchristlichen Jahrhun<strong>der</strong>t in Rom wirkenden Arztes - verloren<br />

auch während des Mittelalters nicht an Bedeutung. Hinzu kamen die Medizinkunst<br />

aus dem arabischen Raum sowie das Heilwissen des Byzantinischen Reiches.<br />

KLOSTERMEDIZIN<br />

<strong>Die</strong> Zentren <strong>der</strong> medizinischen Ausbildung im Mittelalter waren die Klöster. Kranke<br />

zu behandeln und zu pflegen, war Teil des Gottesdienstes. Sehr gut<br />

veranschaulicht ist dies im „Sankt Galler Klosterplan“ aus dem neunten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, den man sich noch heute in <strong>der</strong> Stiftsbibliothek des Schweizer<br />

Klosters St. Gallen ansehen kann. „Das ist ein Idealplan, das Kloster ist nie so<br />

errichtet worden“, sagt <strong>der</strong> Heidelberger Medizinhistoriker Philipp Osten.<br />

Zu erkennen ist darauf eine große Kirche, ein Krankensaal, dessen Betten auf den<br />

Altar hin ausgerichtet sind, sowie ein Kräutergarten.<br />

Mit Krankenhäusern, wie wir sie heute kennen, könne man – so Philip Osten -<br />

diese mittelalterlichen Klöster-Hospitäler aber nicht vergleichen. „Ihr vordringlicher<br />

Zweck war ein karitativer“, meint auch Univ.-Prof. in Dr. in Elisabeth <strong>Die</strong>trich-Daum<br />

vom Institut für <strong>Geschichte</strong> und Ethnologie <strong>der</strong> Universität Innsbruck.<br />

Aufgenommen und betreut wurden arme, alte und gebrechliche Menschen,<br />

Waisenkin<strong>der</strong>, aber auch Reisende.<br />

Vorläufer <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Krankenhäuser waren die Blattern- und Syphilisspitäler.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 9


MEDIZINSCHULEN UND UNIVERSITÄTEN<br />

DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

Ein an<strong>der</strong>er Ort, an dem medizinisches Wissen im Mittelalter gebündelt vorhanden<br />

war, war die Medizinschule von Salerno, <strong>der</strong>en Blütezeit zwischen dem 10. und<br />

13. Jahrhun<strong>der</strong>t lag.<br />

Man könnte sagen, sie war die erste Universität, auch wenn sie nie als eine<br />

solche bezeichnet wurde. In jedem Fall hatte man die Möglichkeit, hier Medizin zu<br />

studieren.<br />

<strong>Die</strong> ersten richtigen medizinischen Universitäten waren jene von Bologna, Paris<br />

und Padua. Sie wurden bereits zwischen dem 11. und 13. Jahrhun<strong>der</strong>t gegründet.<br />

Erst im 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t stieg die Zahl <strong>der</strong> medizinischen Fakultäten dann<br />

stärker an.<br />

<strong>Die</strong> Pest<br />

Ausgebildete Ärzte wurden einerseits aufgrund <strong>der</strong> verheerenden Pestepidemien<br />

des Mittelalters und <strong>der</strong> Neuzeit benötigt. An<strong>der</strong>seits zur so genannten<br />

„Lepraschau“, also um zu diagnostizieren, ob jemand von <strong>der</strong> Krankheit betroffen<br />

war. Lepraerkrankte galten damals als Heilige, weil sie das Martyrium, dass man<br />

nach mittelalterlicher Vorstellung nach dem Tod, im Fegefeuer, zu erwarten hatte,<br />

bereits im <strong>Die</strong>sseits erlebten. Anstecken wollte man sich aber trotzdem nicht und<br />

verwahrte die Erkrankten daher außerhalb <strong>der</strong> Stadt in so genannten Leprosorien.<br />

„Es waren in <strong>der</strong> Regel übrigens nicht die bereits promovierten Ärzte, die mit den<br />

Lepra- und Pestkranken Menschen in Kontakt kamen“, erzählt Armin Prinz vom<br />

Wiener Institut für <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Medizin.<br />

„Ihre Aufgabe wäre es zwar gewesen, den Tod <strong>der</strong> Pesterkrankten festzustellen,<br />

doch aus lauter Angst delegierten sie diese Angelegenheit an Medizinstudenten.<br />

Und diesen wie<strong>der</strong>um blieb wenig Wahl – denn hätten sie sich geweigert, wäre es<br />

mit dem Medizinstudium wohl vorbei gewesen.“<br />

Einer dieser bedauernswerten Wiener Medizinstudenten war <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> von<br />

Andreas Vesalius, dem berühmten, an <strong>der</strong> Universität Padua lehrenden,<br />

Anatomen. Drei Monate war Franziscus als Pestarzt in Wien im <strong>Die</strong>nst – dann<br />

starb auch er.<br />

Der „schwarze Tod“ kostete unzähligen Menschen das Leben. Allein zwischen<br />

1347 und 1353 raffte er geschätzte 25 Millionen Menschen, also etwa ein Drittel<br />

<strong>der</strong> damaligen Bevölkerung Europas dahin.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 10


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

Und auch noch in den darauffolgenden drei Jahrhun<strong>der</strong>ten gab es immer wie<strong>der</strong><br />

große Epidemien.<br />

Seit dem Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts ist <strong>der</strong> Auslöser <strong>der</strong> Pest bekannt: das<br />

Bakterium Yersinia pestis, das durch einen Biss von damit infizierten Insekten,<br />

häufig Flöhen, auf den Menschen übertragen wird.<br />

Übrigens gibt es diese Erkrankung nach wie vor, wenn auch nicht in unseren<br />

Breiten. <strong>Die</strong> letzte Pestepidemie ereignete sich von August bis Oktober 1994 im<br />

indischen Surat.<br />

DIAGNOSE- UND BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN<br />

VON ÄRZTEN AUS DEM 16. UND 17. JAHRHUNDERT<br />

Natürlich stand man im Mittelalter und in <strong>der</strong> Neuzeit nicht nur <strong>der</strong> Pest hilflos<br />

gegenüber. Auch gegen viele an<strong>der</strong>e Krankheiten, wie Cholera, Diphterie, Pocken,<br />

Typhus, Malaria o<strong>der</strong> Ruhr gab es kaum effektive Therapien.<br />

Ein Arzt im 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t verfügte eben noch über keine <strong>der</strong> Methoden<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen, technisch hoch entwickelten Medizin.<br />

Wie aber konnte bzw. versuchte er nun seinen Patientinnen und Patienten zu<br />

helfen?<br />

<strong>Die</strong> Harnschau<br />

„Man muss wohl annehmen, dass ein Arzt <strong>der</strong> frühen Neuzeit über wenig mehr als<br />

Verbandmaterialien und ein paar Schneidwerkzeuge verfügte“, sagt Carlos<br />

Watzka, Soziologe und Historiker aus Graz. Klassisches Symbol <strong>der</strong> Ärzte von<br />

damals sei sicherlich das Uringlas gewesen. Mittels <strong>der</strong> „Harnschau“ versuchte<br />

man Rückschlüsse auf mögliche innere Erkrankungen zu ziehen.<br />

Ein scharfes ärztliches Auge alleine reichte aber nicht aus. Der Mediziner von<br />

anno dazumal musste bereit sein, auch einen weiteren Sinn im <strong>Die</strong>nste <strong>der</strong><br />

Diagnose einzusetzen, nämlich den Geschmackssinn. Schließlich musste <strong>der</strong> Urin<br />

<strong>der</strong> Patientinnen und Patienten im Zuge <strong>der</strong> Diagnose auch gekostet werden.<br />

Von dieser Praxis stammt übrigens <strong>der</strong> Ausdruck „Diabetes mellitus“, <strong>der</strong><br />

„honigsüße Diabetes“, eine Erkrankung, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Harn <strong>der</strong> Betroffenen eben<br />

süßlich schmeckt.<br />

Frühe Antibiotika<br />

<strong>Die</strong> meisten Erkrankungen konnten in <strong>der</strong> damaligen Zeit nur symptomatisch<br />

behandelt werden – zum Beispiel mit fiebersenkenden Mitteln. Denn das erste<br />

Antibiotikum sollte erst 1928 entdeckt werden.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 11


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

Ähnlich wirksame Substanzen stellte man aber auch schon in <strong>der</strong> frühen Neuzeit<br />

vornehmlich zur Versorgung von Wunden her – und zwar aus Pilzen. Aus<br />

<strong>der</strong>selben Quelle wurde Jahrhun<strong>der</strong>te später das erste Penizillin gewonnen.<br />

Chemische Experimente<br />

Eine wesentliche Neuerung in <strong>der</strong> Medizin des 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts waren die<br />

so genannte Iatrochemie und Iatrophysik, <strong>der</strong>en Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Schweiz<br />

stammende Arzt und Alchemist Theophrastus Bombastus von Hohenheim - besser<br />

bekannt als Paracelsus - und <strong>der</strong> Physiker und Astronom Giovanni Alfonso Borelli<br />

waren. Erstmals wurden Krankheiten nun nicht mehr nur im Sinne <strong>der</strong> antiken<br />

Humoralpathologie, also <strong>der</strong> Lehre von den Körpersäften, son<strong>der</strong>n chemisch und<br />

physikalisch erklärt.<br />

Ebenfalls wurde zu dieser Zeit erstmals <strong>der</strong> Versuch unternommen, mittels<br />

chemischer Verfahren verfeinerte Medikamente zu entwickeln.<br />

Das „Aspirin des Mittelalters“<br />

Häufig wurden Arzneimittel im Mittelalter und in <strong>der</strong> frühen Neuzeit von fahrenden<br />

Händlern verkauft. Zu den Grundsubstanzen dieser Präparate zählten Chinarinde,<br />

Mohnsaft, Cannabis, Quecksilber, Eisenspäne, Knoblauch, Myrrhe, Phosphor,<br />

Wachol<strong>der</strong> etc.<br />

In <strong>der</strong> Bevölkerung sehr beliebt war <strong>der</strong> so genannte „Teriak“, eine Mischung aus<br />

bis zu hun<strong>der</strong>t verschiedenen Inhaltsstoffen. Wie an<strong>der</strong>e „Medikamente“ <strong>der</strong><br />

damaligen Zeit wurde – um den bitteren Geschmack zu vertreiben - auch dem<br />

„Allheilmittel“ Teriak Honig beigemengt.<br />

HEILEN OHNE DOKTORTITEL<br />

Akademisch ausgebildete Ärzte gab es im Europa des 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

nur in geringer Zahl, denn das Medizinstudium war nur an einigen wenigen Orten<br />

möglich und außerdem sehr teuer – eine absolute Elite-Ausbildung also. Der<br />

Großteil <strong>der</strong> medizinischen Behandlungen wurde von nicht akademischen<br />

Heilkundigen geleistet.<br />

Der Steinschnei<strong>der</strong><br />

Er war, wie <strong>der</strong> Name andeutet, für die Entfernung von Harnblasensteinen<br />

zuständig.<br />

Harnblasensteine waren damals aufgrund <strong>der</strong> fleischreichen Ernährung sehr häufig<br />

und auch viele Kin<strong>der</strong> litten darunter. Bei ihnen war <strong>der</strong> Eingriff noch<br />

vergleichsweise harmlos. Über den Anus wurde versucht, den Stein zu greifen und<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 12


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

zum Damm hin zu bewegen. Dann wurde ein kleiner Schnitt durch mehrere<br />

Gewebeschichten vorgenommen und <strong>der</strong> Stein entfernt. Bei Erwachsenen<br />

hingegen war die Operation aus heutiger Sicht geradezu abenteuerlich. <strong>Die</strong><br />

Harnröhre wurde - natürlich ohne Narkose - in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Prostata<br />

aufgeschnitten. Dann wurden durch diese Wunde - halten Sie sich fest -<br />

Instrumente in die Harnblase eingebracht und es wurde versucht, den Stein zu<br />

fassen und herauszuziehen.<br />

<strong>Die</strong>ser Eingriff wurde damals so häufig durchgeführt, dass Marin Marais, ein<br />

Pariser Gambist, im Jahre 1725 sogar ein eigenes Musikstück zu diesem Thema<br />

komponierte. Ort <strong>der</strong> Handlung ist eine Art Operationssaal. <strong>Die</strong> Komposition heißt<br />

„Der Steinschnitt“ – im französischen Original: „Tableau de l’opération de la<br />

Taille“.<br />

Hier <strong>der</strong> Text zum Stück auf Deutsch:<br />

Anblick <strong>der</strong> chirurgischen Apparatur.<br />

Zittern des Patienten.<br />

Entscheidung, den Operationstisch zu besteigen.<br />

Ankunft oben.<br />

Nie<strong>der</strong>lassen des Operationstisches.<br />

Ernsthafte Gedanken.<br />

Arme und Beine werden gebunden mit seidenen Stricken.<br />

Der Schnitt!<br />

<strong>Die</strong> chirurgische Zange wird eingeführt.<br />

Der Stein wird gezogen.<br />

Dem Patienten versagt fast die Stimme.<br />

Blut fließt.<br />

<strong>Die</strong> Fesseln werden gelöst.<br />

Der Patient wird ins Bett transportiert.<br />

Dass ein <strong>der</strong>artiger Eingriff hoch riskant war, muss wohl nicht extra dazugesagt<br />

werden.<br />

Zahnreißer, Starstecher und Chirurgen<br />

Sicher nicht lebensgefährdend, aber ähnlich unsanft wird man sich die Methoden<br />

<strong>der</strong> schon im Mittelalter praktizierenden Zahnreißer vorstellen müssen. Sie stellten<br />

eine eigene Berufsgruppe dar und waren keine Akademiker, son<strong>der</strong>n Handwerker,<br />

die, wie viele an<strong>der</strong>e Heilkundige, auf dem Marktplatz ihre Künste anboten.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 13


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

Zur Gruppe <strong>der</strong> nicht akademischen Heiler zählten neben dem Zahnarzt auch<br />

Personen, die Augenkrankheiten behandelten, zum Beispiel die Starstecher. Sie<br />

waren für die Behandlung des grauen Stars zuständig – durchgeführt wurde dies<br />

durch einen Nadelstich ins Auge, bei dem die getrübte, fast lichtundurchlässige<br />

Linse von ihrer angestammten Position verdrängt wurde.<br />

Eine ganz wichtige Berufsgruppe <strong>der</strong> damaligen Zeit waren die Chirurgen. Sie<br />

waren, wie viele an<strong>der</strong>e Handwerker auch zünftisch organisiert und hatten eine<br />

formal geregelte Ausbildung. In vielen Län<strong>der</strong>n Europas war es Chirurgen<br />

gesetzlich verboten, innere Behandlungen, also zum Beispiel Kräuteranwendungen<br />

- durchzuführen. <strong>Die</strong>s oblag einzig den akademischen Ärzten. Letztere wie<strong>der</strong>um<br />

lehnten es in <strong>der</strong> Regel ab, chirurgische Eingriffe vorzunehmen.<br />

Kleinere chirurgische Eingriffe wurden übrigens auch von Barbieren und so<br />

genannten Ba<strong>der</strong>n, die Badestuben betrieben, durchgeführt.<br />

Eine eigene medizinische Berufsgruppe, mit formal geregelten<br />

Ausbildungsstrukturen, stellten natürlich noch die Hebammen dar.<br />

<strong>Die</strong> „Volksheiler“<br />

„Bei dem Wort ‚Volksheiler‘ handelt es sich“ – so <strong>der</strong> Soziologe Carlos Watzka –<br />

„um einen wissenschaftlichen Begriff.“ Denn jene Menschen, die man mit dieser<br />

Beschreibung zu fassen versuchte, hätten sich damals nicht als solche bezeichnet<br />

bzw. sich ganz unterschiedlich gesehen und definiert. <strong>Die</strong> meisten dieser<br />

Menschen erwarben sich nicht an Schulen, son<strong>der</strong>n zum Beispiel durch<br />

Überlieferung innerhalb <strong>der</strong> Familie ihr Wissen. Manche waren auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Pflanzenheilkunde bewan<strong>der</strong>t, an<strong>der</strong>e setzten bei <strong>der</strong> Behandlung von<br />

Krankheiten auf rituell-symbolisch-magische Praktiken.<br />

Typisch war etwa das Abbeten von Krankheiten, eine Technik, die auch heute<br />

noch mancherorts angewendet wird. Ebenso verbreitet waren das Verabreichen<br />

von zerstampften Mumien und Voodoo ähnliche Praktiken, wie das Zerreißen<br />

eines schwarzen Huhnes über dem Kopf eines Kranken.<br />

Hexen<br />

Wer an Medizin im Mittelalter und in <strong>der</strong> frühen Neuzeit denkt, dem fallen<br />

reflexartig Frauen ein, die <strong>der</strong> Obrigkeit aufgrund ihres Wissens gefährlich<br />

erschienen und deshalb verfolgt und verbrannt wurden. <strong>Die</strong> Rede ist von so<br />

genannten Hexen.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 14


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

„Natürlich gab es im 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t Frauen, die“ – so Carlos Watzka –<br />

„unautorisiert von staatlichen Instanzen medizinische Behandlungen durchführten<br />

und verdächtigt wurden, irgendwelche bösartige Praktiken zu betreiben.“ Das<br />

seien aber absolute Ausnahmefälle gewesen, so <strong>der</strong> Soziologe weiter. „Meistens<br />

handelte es sich bei den als Hexen angeklagten Personen nicht um Hebammen<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Heilerinnen, son<strong>der</strong>n um Menschen aus den unterschiedlichsten<br />

Berufsgruppen.“<br />

Opfer von meist ungerechtfertigten Verdächtigungen und Verleumdungen waren<br />

häufig ärmere Leute, z.B. Bettler, die lästig fielen und die man einfach loswerden<br />

wollte. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite konnte es aber auch vergleichsweise begüterte<br />

Personen – meistens weibliche - treffen. Klagte man solche Menschen als Hexen<br />

an, konnte <strong>der</strong> jeweilige Richter o<strong>der</strong> eine anklagende Person <strong>der</strong>en Vermögen<br />

kassieren.<br />

AUFBRUCH IN EINE NEUE ZEIT<br />

Das 18. und 19. Jhdt. brachten medizinische Fortschritte, die vielen zuvor<br />

tödlichen Krankheiten den Schrecken nahmen. Etwa die Entdeckung von Bakterien<br />

und Viren als Krankheitsverursacher, die Einführung von Impfungen,<br />

Narkosemitteln und verbesserte hygienische Standards in Krankenhäusern.<br />

Das Verschwinden <strong>der</strong> nicht akademischen Heiler<br />

Noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts hinein gab es eine breite<br />

Palette an Heilkundigen, die ihr Wissen am medizinischen Markt anboten.<br />

Organisierte Handwerkschirurgen, Wundärzte, Tierärzte, die auch Bauern<br />

behandelten, Hebammen, Wan<strong>der</strong>chirurgen, Zahnzieher, Laienheilerinnen,<br />

Heilmittelhändler, Bauerndoktoren usw.<br />

Dann aber setzt eine neue Entwicklung ein: Langsam verschwinden die nicht<br />

akademischen Heilergruppen.<br />

„Wundärzte werden nicht mehr ausgebildet und Hebammen auf den ganz engen<br />

Bereich des Geburtsgeschäftes eingeschränkt“, erzählt Univ.-Prof. in Dr. in Elisabeth<br />

<strong>Die</strong>trich-Daum vom Institut für <strong>Geschichte</strong> und Ethnologie <strong>der</strong> Universität<br />

Innsbruck. „Wan<strong>der</strong>heiler und an<strong>der</strong>e lizensierte Heilergruppen werden streng<br />

kontrolliert, auch permanent angezeigt von Ärzten und damit allmählich vom<br />

Markt verdrängt. Erst am Ende des 19. Jhdts. dominiert <strong>der</strong> Arzt in Form des<br />

Allgemeinpraktikers, in Form des im Sanitätsdienst stehenden Arztes o<strong>der</strong> in Form<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 15


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

des Spezial-, Krankenkassa- und Spitalsarztes den medizinischen Markt“, so die<br />

Historikerin.<br />

Politik und Gesundheit<br />

<strong>Die</strong> Basis dafür bildeten <strong>der</strong> Aufschwung <strong>der</strong> Naturwissenschaften sowie eine<br />

Entwicklung, die schon in <strong>der</strong> Zeit des Absolutismus ihren Anfang nahm, sowohl<br />

in Österreich als auch in an<strong>der</strong>en europäischen Län<strong>der</strong>n. Hierzulande waren die<br />

Regierungsprogramme von Maria Theresia und später von Josephs II. Auslöser für<br />

die verän<strong>der</strong>te Situation.<br />

Für die Gesundheit <strong>der</strong> Bevölkerung waren von da an nur mehr staatlich<br />

autorisierte, also akademisch ausgebildete Ärzte, zuständig. „Ursache dieser<br />

Entwicklung war“ – so Elisabeth <strong>Die</strong>trich-Daum – „einerseits die hohe<br />

Kin<strong>der</strong>sterblichkeit. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wollte man den Gesundheitszustand <strong>der</strong><br />

Bevölkerung heben, um die Zahl <strong>der</strong> wehrtüchtigen jungen Männer zu erhöhen,<br />

aber auch, um dadurch arbeitsfähige Bürgerinnen und Bürger – also<br />

Steuerzahler/innen – zu generieren.“<br />

DER ARZT DES 18. UND 19. JAHRHUNDERTS<br />

Praktische Ärzte, wie sie heute in Städten an je<strong>der</strong> Ecke zu finden sind, gab es im<br />

achtzehnten und in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts nur sehr wenige.<br />

Dürftig war vor allem die Versorgung am Land. Im Westen <strong>der</strong> österreichungarischen<br />

Monarchie war ein Arzt für bis zu 10.000 Personen zuständig, im<br />

Osten, also etwa in <strong>der</strong> Bukowina und in Galizien, für bis zu 40.000!<br />

Zu betuchteren Patientinnen und Patienten aus <strong>der</strong> Stadt kam <strong>der</strong> Arzt nach<br />

Hause. Häufig wurde im Beisein <strong>der</strong> gesamten Familie und gemeinsam mit einem<br />

zweiten Arzt diskutiert, wie eine Krankheit nun zu behandeln sei. <strong>Die</strong> meist<br />

ärmeren Bewohner ländlicher Regionen machten sich hingegen selbst auf dem<br />

Weg zum Doktor.<br />

Denn gerade auf dem Land musste ein Arzt für einen Krankenbesuch oft<br />

stundenlange Fußmärsche zurücklegen, bzw. musste er ein Pferd o<strong>der</strong> eine<br />

Kutsche zur Verfügung haben, wodurch sich das Weggeld für ihn und somit für<br />

seine Patientinnen und Patienten stark erhöhte. <strong>Die</strong> Menschen zogen es deshalb<br />

also vor, selber den Arzt aufzusuchen. <strong>Die</strong>s wie<strong>der</strong>um veranlasste die Mediziner<br />

mit <strong>der</strong> Zeit, Wartezimmer einzurichten. Sie sind die Vorläufer <strong>der</strong> heute üblichen,<br />

fixen Arztpraxis.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 16


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

<strong>Die</strong> Arzttasche des 18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

Rein äußerlich unterschied sich <strong>der</strong> Arzt, <strong>der</strong> am Land tätig war, nicht von <strong>der</strong><br />

übrigen Bevölkerung. Er war gekleidet wie alle an<strong>der</strong>en auch. In <strong>der</strong> Stadt trugen<br />

die Mediziner häufig einen Zylin<strong>der</strong>, das Symbol des Gelehrten. Wie heute hatten<br />

sie eine Arztasche bei sich.<br />

„Wenn man an die medizinischen Errungenschaften des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts denkt,<br />

kann man annehmen, dass ein Arzt, <strong>der</strong> eine gewisse ökonomische Basis hatte,<br />

etwa ab 1830 ein Stethoskop mit sich führte“, sagt Univ.-Prof. in Dr. in Elisabeth<br />

<strong>Die</strong>trich-Daum von <strong>der</strong> Universität Innsbruck. Ab 1870/80 wird in <strong>der</strong> Arzttasche<br />

überdies erstmals ein Fieberthermometer zu finden gewesen sein – sowie ab 1840<br />

ein Narkosemittel für schwere Unfälle.<br />

Weiters hatte ein Arzt dieser Zeit Chinin zum Fiebersenken, Digitalis gegen<br />

Herzerkrankungen, Iod zur Behandlung von Wunden sowie Opium und Morphine<br />

gegen Schmerzen bei sich. „Möglicherweise dann noch einige einfache Geräte für<br />

die Geburtshilfe“, meint Elisabeth <strong>Die</strong>trich-Daum.<br />

Geringes Honorar<br />

Bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts konnten die allermeisten Ärzte von<br />

ihrer medizinischen Tätigkeit allein nicht leben. Sie mussten Nebenerwerbe haben<br />

o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Familie finanziell unterstützt werden bzw. reich heiraten.<br />

Zu den machtvollen „Göttern in Weiß“ wurden Ärzte erst um die Wende vom 19.<br />

zum 20. Jhdt. Einerseits aufgrund <strong>der</strong> medial äußerst aufwendig gestalteten<br />

Berichte über die sensationellen Entdeckungen <strong>der</strong> Bakteriologie (Robert Koch<br />

wurde zum Beispiel im weißen Kittel in Zeitschriften abgebildet); an<strong>der</strong>erseits<br />

wegen <strong>der</strong> Funktion <strong>der</strong> Ärzte als Gutachter bei Stellungskommissionen sowie <strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>en Befugnisse von Krankenkassaärzten. So lag bei letzteren z.B. die<br />

Entscheidung über die Zuerkennung o<strong>der</strong> Nicht-Zuerkennung von Krankengeld.<br />

Spezialisierungen in <strong>der</strong> Medizin<br />

Um 1900 entstanden unter den akademischen Ärzten immer mehr<br />

Spezialisierungen – die Facharztrichtungen entwickelten sich. Frühe Fächer waren<br />

Zahn- und Lungenheilkunde, Geschlechtskrankheiten und Frauenleiden,<br />

Radiologie, Kin<strong>der</strong>heilkunde und Psychiatrie.<br />

Frauen an die Unis!<br />

Um 1900 durften nun auch endlich Frauen Medizin studieren.<br />

Am 2. April 1897 feierte die erste österreichische Ärztin – Gabriele Possanner von<br />

Ehrenthal - im Festsaal <strong>der</strong> Universität Wien ihre Promotion.<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 17


DIE GESCHICHTE DER HEILBERUFE<br />

In bürgerlichen Kreisen war es nun nicht mehr verpönt, dass Frauen einer Arbeit<br />

nachgingen – und so stieg die Zahl <strong>der</strong> Medizinstudentinnen bzw. Ärztinnen in<br />

den folgenden Jahren auch rasch an. 1910 gab es in <strong>der</strong> gesamten<br />

Donaumonarchie 80, 1929 bereits 477 Ärztinnen.<br />

Zum Vergleich: Im Wintersemester 2010/2011 waren an Österreichs öffentlichen<br />

Medizinuniversitäten, also in Wien, Graz und Innsbruck, insgesamt 13.175<br />

Personen inskribiert.<br />

6.574 Männer – und 6.601 Frauen!<br />

2010 waren in Österreich 40.103 Medizinerinnen und Mediziner gemeldet – davon<br />

13.219 Allgemeinmediziner sowie 24.508 Fachärztinnen und Fachärzte.<br />

Quellen für alle Kapitel:<br />

Interviews mit Univ.-Prof. in Dr. in Elisabeth <strong>Die</strong>trich-Daum, Dr. med. Philipp Osten,<br />

Dr. Carlos Watzka, Univ.-Prof. Dr. Dr. Armin Prinz sowie Statistik Austria<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 18


INFOLINKS<br />

INFOLINKS<br />

Eine kurze <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Heilkunst<br />

http://www.connection.de/magazintexte/schamanismus/geschichte-heilkunst.html<br />

Alte Heilkunst<br />

http://www.brauchtumsseiten.de/a-z/h/heilkunst/home.html<br />

Zum Asklepios-Kult<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Epidauros<br />

Beruf Arzt – <strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong> des Heilens<br />

http://www.planet-wissen.de/alltag_gesundheit/medizin/beruf_arzt/index.jsp<br />

Netzwerk Gesundheit und Kultur in <strong>der</strong> volkskundlichen Forschung<br />

http://www.netzwerk-gesundheit-kultur.de/index.html<br />

Der Eid des Hippokrates<br />

http://www.meduniwien.ac.at/user/michael.peintinger/literatur/eidhippo.pdf<br />

„Meister Johann <strong>Die</strong>tz erzählt sein Leben“ – Autobiographie eines Barbiers und<br />

Feldschers (Heeresarzt) aus dem 17. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

http://gutenberg.spiegel.de/buch/1845/1<br />

Vom Wundarzt, Ba<strong>der</strong> und Feldscher zur Chirurgie<br />

http://sundoc.bibliothek.uni-halle.de/diss-online/02/02H230/t3.pdf<br />

<strong>Die</strong> Anfänge <strong>der</strong> Klostermedizin<br />

http://www.klostermedizin.de/html/die_anfange_<strong>der</strong>_klostermedizin.html<br />

Der Landarzt – Krankengeschichten aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

http://www.uibk.ac.at/ipoint/news/uni_und_forschung/582628.html<br />

Der Arzt um 1900<br />

http://www.sgipt.org/medppp/gesch/arzt1900.htm<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 19


BUCHTIPPS<br />

Helen Bynum, William Bynum<br />

<strong>Die</strong> großen Entdeckungen in <strong>der</strong> Medizin<br />

Dumont Buchverlag 2012<br />

ISBN-13: 978-3832194376<br />

Wolfgang Eckart<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Medizin<br />

Verlag Springer, 6., neu bearb. Aufl. 2008<br />

ISBN-13: 978-3540792154<br />

Roy Porter<br />

Geschröpft und zur A<strong>der</strong> gelassen: Eine kurze Kulturgeschichte <strong>der</strong> Medizin<br />

Fischer Taschenbuch Verlag 2006<br />

ISBN-13: 978-3596171361<br />

BUCHTIPPS<br />

Friedemann Bedürftig<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Apotheke. Von <strong>der</strong> magischen Heilkunst zur mo<strong>der</strong>nen Pharmazie<br />

Fackelträger-Verlag 2005<br />

ISBN-13: 978-3771643270<br />

Kay Peter Jankrift<br />

Mit Gott und schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter<br />

Verlag Theiss 2005<br />

ISBN-13: 978-3806219500<br />

Michael Stolberg<br />

<strong>Die</strong> Harnschau: Eine Kultur- und Alltagsgeschichte<br />

Verlag Böhlau 2009<br />

ISBN-13: 978-3412203184<br />

Christian Katzenmeier (Hrsg.), Klaus Bergdolt (Hrsg.)<br />

Das Bild des Arztes im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

Verlag Springer 2009<br />

ISBN-13: 978-3540705314<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 20


SENDUNGSGÄSTE<br />

SENDUNGSGÄSTE<br />

In <strong>der</strong> Sendung Radiodoktor – Medizin und Gesundheit vom 7. Jänner 2013 (WH<br />

v. 27.8.2012) sprachen:<br />

Ao. Univ.-Prof. in Dr. in Elisabeth <strong>Die</strong>trich-Daum<br />

Historikerin und Germanistin<br />

Universität Innsbruck<br />

Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie<br />

Innrain 52<br />

A-6020 Innsbruck<br />

Tel.: +43/512/507/4393<br />

E-Mail: elisabeth.dietrich@uibk.ac.at<br />

Homepage: http://www.uibk.ac.at/geschichte-ethnologie/mitarbeiterinnen/aoprof/dietrich-daum-elisabeth/<br />

Dr. med. Philipp Osten<br />

Medizinhistoriker<br />

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg<br />

Institut für <strong>Geschichte</strong> und Ethik <strong>der</strong> Medizin<br />

Im Neuenheimer Feld 327<br />

Raum 107a<br />

D-69120 Heidelberg<br />

Tel.: +49/6221/54 89 58<br />

E-Mail: philipp.osten@histmed.uni-heidelberg.de<br />

Homepage: http://www.medizinische-fakultaet-hd.uniheidelberg.de/Philipp_Osten.111107.0.html<br />

Univ.-Prof. Dr. Dr. Armin Prinz<br />

Facharzt für Allgemein- und Tropenmedizin, Leiter <strong>der</strong> Reisemedizinischen<br />

Ambulanz Flughafen Wien/Schwechat, Ethnologe, Kunsthistoriker<br />

Institut für <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Medizin<br />

Währingerstr. 25<br />

A-1090 Wien<br />

Tel.: +43/1/4277/63412<br />

E-Mail: armin.prinz@meduniwien.ac.at<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 21


Homepage: http://www.meduniwien.ac.at/histmed/ethnomed.htm<br />

Priv.-Doz. Mag. Dr. Carlos Watzka<br />

Soziologe und Historiker<br />

Karl-Franzens-Universität Graz<br />

Institut für Soziologie<br />

Universitätsstraße 15/G4<br />

A-8010 Graz<br />

Tel.: +43/699/1 136 73 77<br />

E-Mail: carlos.watzka@uni-graz.at<br />

Homepage: http://www.carlos-watzka.at/<br />

Dr. Rolf Jens<br />

Facharzt für Allgemeinmedizin (alle Kassen)<br />

Penzingerstr. 36-38<br />

A-1140 Wien<br />

Tel.: +43/1/894 23 55<br />

E-Mail: rolf.jens@aon.at<br />

Homepage: http://www.praxisplan.at/doctor_details.php?id=306<br />

SENDUNGSGÄSTE<br />

RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 22

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