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Grenzüberschreitung und Identitätskonstruktion in Daniel ... - werkstatt

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Natália Kasko:<br />

<strong>Grenzüberschreitung</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitätskonstruktion</strong> <strong>in</strong> <strong>Daniel</strong> Kehlmanns 'Ruhm'<br />

kontrollieren kann <strong>und</strong> der vielleicht sogar mehr weiß als der Erzähler<br />

selbst.<br />

Am Ende des Kapitels nutzt der Erzähler se<strong>in</strong>e Macht <strong>und</strong> verändert sehr<br />

entschlossen se<strong>in</strong>e Geschichte: „Jetzt ru<strong>in</strong>iere ich es. Ich reiße den Vorhang<br />

weg, werde sichtbar, ersche<strong>in</strong>e neben Freytag vor der Lifttür. […] Rosalie,<br />

du bist ges<strong>und</strong>. Und wenn wir schon dabei s<strong>in</strong>d, sei auch wieder jung. Fang<br />

von vorne an!” Der Erzähler greift also e<strong>in</strong>, er wird sogar „sichtbar”, er ersche<strong>in</strong>t<br />

selber <strong>in</strong> der Geschichte. Es ist e<strong>in</strong>e ganz prägnante <strong>in</strong>nere Metalepse,<br />

weil der Erzähler zugleich e<strong>in</strong>e Figur der ersten narrativen Ebene<br />

ist, es handelt sich also um e<strong>in</strong>en narrativen Kurzschuss zwischen den zwei<br />

Fiktionsebenen. Der Erzähler gibt Rosalie sogar e<strong>in</strong>e Schönheit, die niemals<br />

für sie charakteristisch war. Aber wozu dient das alles? Die Geschichte geht<br />

bald zu Ende <strong>und</strong> damit vergeht auch Rosalie, denn sie existiert nur im<br />

Rahmen dieser B<strong>in</strong>nenerzählung. Darauf reflektiert der Erzähler auf folgende<br />

Weise:<br />

[…] so wie eben jetzt, da ich diese Geschichte endgültig verlasse, Rosalies Dase<strong>in</strong> erlischt.<br />

Von e<strong>in</strong>em Moment zum nächsten. Ohne Todeskampf, Schmerz oder Übergang.<br />

Eben noch e<strong>in</strong> seltsam angezogenes Mädchen, wirr vor Staunen, jetzt nur mehr e<strong>in</strong>e<br />

Kräuselung <strong>in</strong> der Luft, […] e<strong>in</strong>e verblassende Er<strong>in</strong>nerung <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Gedächtnis <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

Ihrem, während sie diesen Absatz lesen. 28<br />

Für die letzte Geschichte In Gefahr ist e<strong>in</strong>e totale Vermischung der Fiktionsebenen<br />

charakteristisch. Als ihre Fortsetzung hängt sie mit dem zweiten<br />

Kapitel mit dem gleichen Titel eng zusammen. Die Protagonisten s<strong>in</strong>d Leo<br />

Richter, der empf<strong>in</strong>dliche Schriftsteller <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Fre<strong>und</strong><strong>in</strong> Elisabeth, die<br />

Ärzt<strong>in</strong>. Elisabeth ist im Gegensatz zu Leo auf der mittelamerikanischen Reise<br />

<strong>in</strong> dem zweiten Kapitel selbstsicher, sie hat schon e<strong>in</strong>ige gefährliche<br />

Situationen erlebt, da sie früher auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kriegsgebiet als Ärzt<strong>in</strong> tätig<br />

war. Elisabeth möchte nie als Figur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erzählung von Leo vorkommen,<br />

aber ihr ist die Ähnlichkeit zwischen sich selbst <strong>und</strong> Lara Gaspard,<br />

der berühmten „Hauptheld<strong>in</strong>” Leos verdächtig. Lara Gaspard ist eigentlich<br />

e<strong>in</strong> Alter Ego von Elisabeth, was die folgende Stelle nahelegt:<br />

Sie hatte den gleichen Beruf wie se<strong>in</strong>e Held<strong>in</strong> Lara Gaspard, sie war im gleichen Alter<br />

wie sie, <strong>und</strong> wenn sie sich richtig an die spärlichen Beschreibungen ihres Äußeren<br />

er<strong>in</strong>nerte, sah sie ihr sogar ähnlich. […] Immer wieder bemerkte sie, daß se<strong>in</strong> Blick ihr<br />

mit e<strong>in</strong>er fast wissenschaftlichen Aufmerksamkeit folgte <strong>und</strong> sich dabei se<strong>in</strong>e Lippen bewegten,<br />

als machte er <strong>in</strong>nerlich Notizen. 29<br />

In dem zweiten Kapitel werden drei ehemalige Mitarbeiter von Elisabeth<br />

entführt <strong>und</strong> sie sei die e<strong>in</strong>zige Person, die dabei helfen kann. Diese Geschichte<br />

gehört noch völlig zu der „primären” Welt von Leo Richter <strong>und</strong><br />

28 Ebd. S. 77.<br />

29 Ebd. S. 31.<br />

Werkstatt, 7 (2012)<br />

35

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