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Grenzüberschreitung und Identitätskonstruktion in Daniel ... - werkstatt

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Natália Kasko:<br />

<strong>Grenzüberschreitung</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitätskonstruktion</strong> <strong>in</strong> <strong>Daniel</strong> Kehlmanns 'Ruhm'<br />

e<strong>in</strong>em Roman über den Autor sprechen oder mit ihm zu kommunizieren<br />

versuchen. Die <strong>in</strong>nere Metalepse ist e<strong>in</strong> „narrativer Kurzschluß” 17 zwischen<br />

den Fiktionsebenen der Geschichte.<br />

E<strong>in</strong> charakteristisches Beispiel für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Metalepse f<strong>in</strong>det sich im<br />

Kapitel Rosalie geht sterben. Der Erzähler dieses Kapitels ist Leo Richter<br />

selbst, er stellt Rosalie, e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Hauptfiguren, vor. Dies wird ganz explizit<br />

markiert, die B<strong>in</strong>nenerzählung beg<strong>in</strong>nt folgenderweise: „Von all me<strong>in</strong>en<br />

Figuren ist sie die klügste.” 18 Auch weitere e<strong>in</strong>deutige H<strong>in</strong>weise auf die Rolle<br />

Leo Richters als Autor der B<strong>in</strong>nenerzählung s<strong>in</strong>d zu f<strong>in</strong>den: „Ich sollte<br />

wohl erwähnen, daß ich Herrn Freytag erf<strong>und</strong>en habe. […] Dazu kommt,<br />

daß ich eigentlich nicht die Art von Schriftsteller b<strong>in</strong>, bei dem die Fakten<br />

stimmen.” 19 Der fiktive Schriftsteller erzählt als e<strong>in</strong> allwissender Er-Erzähler<br />

die Geschichte von Rosalie. Sie ist e<strong>in</strong>e alte Witwe, die an Krebs erkrankt<br />

ist <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Schweizer Institut reisen möchte, das Sterbehilfe anbietet.<br />

Diese Figur, die bisher vom allwissenden Erzähler – der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

extradiegetischen Ebene im Vergleich zu dieser B<strong>in</strong>nenerzählung bef<strong>in</strong>det –<br />

beschrieben wird, bittet ihren Schöpfer um Gnade. Rosalie versucht also<br />

das sche<strong>in</strong>bar Unveränderbare ändern zu lassen. Sie spricht mit dem allmächtigen<br />

Erzähler, der ihre Bitte zuerst verweigert.<br />

Und trotzdem kann sie sich nicht ganz <strong>in</strong> ihr Schicksal ergeben. Deshalb, zur frühen<br />

Morgenst<strong>und</strong>e, wendet sie sich an mich <strong>und</strong> bittet um Gnade.<br />

Rosalie, das liegt nicht <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Macht. Das kann ich nicht.<br />

Natürlich kannst du! Das ist de<strong>in</strong>e Geschichte.<br />

Aber sie handelt von de<strong>in</strong>em letzten Weg. Täte sie es nicht, hätte ich nichts über dich zu<br />

erzählen. Die Geschichte –<br />

Könnte e<strong>in</strong>e andere Wendung nehmen!<br />

Ich weiß nichts anderes. Nicht für dich. 20<br />

Hier handelt sich um e<strong>in</strong>e sehr prägnante <strong>Grenzüberschreitung</strong>. Normalerweise<br />

wissen die Figuren nichts von dem Erzähler oder dem Autor, sie „leben”<br />

<strong>in</strong> ihrer geschlossenen Welt <strong>und</strong> sie revoltieren nicht gegen ihren Erf<strong>in</strong>der.<br />

Obwohl es eigentlich möglich ist, denn <strong>in</strong> fiktionalen Texten, besteht<br />

auch die Möglichkeit, mit den Fiktionsebenen zu spielen <strong>und</strong> ihre<br />

Grenzen zu überschreiten. Dorrit Cohn schreibt über die äußere Metalepse,<br />

bei der der Erzähler <strong>in</strong> die von ihm erzählte Geschichte h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tritt: „Damit,<br />

dass der Erzähler zur fiktiven Figur wird, verzichtet er auf se<strong>in</strong>e, über der<br />

Geschichte stehende Position, die mit Macht <strong>und</strong> Superiorität verb<strong>und</strong>en<br />

ist. Damit ermöglicht er dem Leser, die h<strong>in</strong>ter ihm stehende, ihn <strong>in</strong>s Dase<strong>in</strong><br />

17 Mart<strong>in</strong>ez, Matias/Scheffel, Michael: E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Erzähltheorie. München: Verlag C.H.<br />

Beck, 2007, S. 79.<br />

18 Kehlmann, <strong>Daniel</strong>: Ruhm. E<strong>in</strong> Roman <strong>in</strong> neun Geschichten. Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg: Rowohlt,<br />

2009, S. 51.<br />

19 Ebd. S. 53.<br />

20 Ebd. S. 55.<br />

Werkstatt, 7 (2012)<br />

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