Grenzüberschreitung und Identitätskonstruktion in Daniel ... - werkstatt
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Natália Kasko:<br />
<strong>Grenzüberschreitung</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitätskonstruktion</strong> <strong>in</strong> <strong>Daniel</strong> Kehlmanns 'Ruhm'<br />
Fiktionsebenen <strong>und</strong> <strong>Grenzüberschreitung</strong>en<br />
Der Roman ist aus zwei Fiktionsebenen aufgebaut, wie bei der klassischen<br />
Technik Roman im Roman, oder Geschichte <strong>in</strong> der Geschichte. Die erste<br />
narrative Ebene bildet die Welt des Schriftstellers Leo Richter. Die anderen<br />
Protagonisten auf dieser Ebene s<strong>in</strong>d: Ebl<strong>in</strong>g, Elisabeth, Ralf Tanner, Maria<br />
Rub<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>, Miguel Auristos Blancos, Mollwitz <strong>und</strong> der Abteilungsleiter.<br />
Zur sek<strong>und</strong>ären narrativen Ebene gehören Rosalie <strong>und</strong> Lara Gaspard, die<br />
fiktive Figuren aus Leo Richters Romanen s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>nenhandlung bildet<br />
das Kapitel Rosalie geht sterben, e<strong>in</strong>e andere das letzte Kapitel In Gefahr; <strong>in</strong><br />
diesem Fall ist aber nicht e<strong>in</strong>deutig, um welche Fiktionsebene es geht. Die<br />
Grenzen zwischen den Fiktionsebenen s<strong>in</strong>d nicht scharf, <strong>in</strong> dem letzten<br />
Kapitel werden sie vermischt. E<strong>in</strong>e gewisse Verwischung der Grenzen der<br />
Fiktionsebenen <strong>und</strong> deren Verschmelzung lassen sich aber <strong>in</strong> dem ganzen<br />
Roman beobachten. Die <strong>Grenzüberschreitung</strong>en zwischen ihnen werden<br />
Metalepsen genannt.<br />
Den Begriff der narrativen Metalepse verwendet Gérard Genette <strong>in</strong> Die<br />
Erzählung im S<strong>in</strong>ne der <strong>Grenzüberschreitung</strong> zwischen den narrativen<br />
Ebenen. In der E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Erzähltheorie von Mart<strong>in</strong>ez/Scheffel<br />
steht: „[…] mit der Trennl<strong>in</strong>ie zwischen Erzählen <strong>und</strong> Erzähltem [wird]<br />
auch die Grenze zwischen zwei Welten überschritten: der Welt, <strong>in</strong> der man<br />
erzählt, <strong>und</strong> der Welt, von der erzählt wird.” 14 Weiter: „Zu den Freiheiten<br />
e<strong>in</strong>er fiktionalen Erzählung gehört jedoch, daß auch diese, eigentlich kategoriale<br />
Grenze durchaus nicht immer respektiert zu werden braucht.” 15<br />
Zur narrativen Metalepse braucht man m<strong>in</strong>destens zwei narrative Ebenen,<br />
bei denen die e<strong>in</strong>e meist als „fiktiv” im Vergleich zu den anderen gilt, welche<br />
im Roman als „Wirklichkeit” ersche<strong>in</strong>t, genau wie <strong>in</strong> unserem Fall die<br />
Welt von Leo Richter als Realität <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Geschichten als Fiktionen. Zur<br />
Metalepse gehört, wenn die Figuren aus der B<strong>in</strong>nenerzählung <strong>in</strong> die<br />
„außertextuelle Welt” h<strong>in</strong>austreten, oder umgekehrt der Erzähler oder e<strong>in</strong>e<br />
Figur aus der „außertextuellen Welt” <strong>in</strong> die Geschichte h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tritt. Die<br />
außertextuelle Welt ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em narrativen Text natürlich mit der ersten<br />
Fiktionsebene identisch. Dorrit Cohn unterscheidet <strong>in</strong> ihrem Aufsatz<br />
Metalepse <strong>und</strong> mise en abyme die <strong>in</strong>nere <strong>und</strong> die äußere Metalepse. 16 Von<br />
e<strong>in</strong>er äußeren Metalepse sprechen wir, wenn es sich um e<strong>in</strong>e Rahmenüberschreitung<br />
zwischen der extradiegetischen <strong>und</strong> der <strong>in</strong>tradiegetischen Ebene<br />
handelt. Diese besteht meistens bei heterodiegetischen Erzählern, wenn der<br />
Erzähler <strong>in</strong> die von ihm erzählte Geschichte h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tritt oder mit den Figuren<br />
kommuniziert <strong>und</strong> umgekehrt. Dazu gehört auch, wenn die Figuren <strong>in</strong><br />
14 Mart<strong>in</strong>ez, Matias/Scheffel, Michael: E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Erzähltheorie. München: Verlag C.H.<br />
Beck, 2007, S. 79.<br />
15 Ebd. S. 79.<br />
16 Cohn, Dorrit: Metalepszis és mise en abyme. In: Thomka, Beáta (Hrsg.): Narratívák 6.<br />
Narratív beágyazás és reflexivitás. Budapest: Kijárat Kiadó, 2007, S. 113-122.<br />
Werkstatt, 7 (2012)