Anti-G8-Bewegungen Ein internationaler Vergleich - Centre for Civil ...
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<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong> – <strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
Die globalen transnationalen <strong>Bewegungen</strong> können in fünf ideologische<br />
Ausrichtungen differenziert werden: Globale Gerechtigkeitsbewegungen,<br />
Dritte-Welt-Nationalismen, der Post-<br />
Washington-Konsens (oftmals eine begrenzte Version der Sozialdemokratie<br />
unterstützend), der Washington-Konsens (Neoliberalismus)<br />
sowie die neue Rechte (Neokonservativismus).<br />
Globale Transnationale <strong>Bewegungen</strong>, De-Globalisierung, <strong>G8</strong><br />
Transglobal movements can be differt in five directions: Global<br />
justice movements, Third World Nationalism, the Post-<br />
Washington Consensus (often espousing a limited version of<br />
social democracy), the Washington Consensus (neoliberalism)<br />
and the resurgent Rightwing (neoconservativism).<br />
Global Transnational Movements, De-globalization, <strong>G8</strong><br />
Patrick Bond, geb. 1961, ist Professor für Politische<br />
Ökonomie an der Graduiertenschule für Öffentliches<br />
und Entwicklungs-Management der University of<br />
KwaZulu-Natal, Durban. Forschungsschwerpunkte<br />
sind Energie, Wasser und Wirtschaftsrecht.<br />
Publikationen: Talk Left, Walk Right, University of<br />
KwaZulu-Natal Press, 2004; Against Global Apartheid,<br />
Zed Books, 2003; Unsustainable South Africa,<br />
Merlin Press, 2002.<br />
E-Mail: bondp@ukzn.ac.za<br />
<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong><br />
<strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
Patrick Bond<br />
WeltTrends 55 (Sommer) • 15. Jahrgang • 2007 • S. 37–52 • © WeltTrends<br />
37
38 Patrick Bond<br />
Wir 1 sind Kritiker der <strong>G8</strong> und all dessen, was diese „Gruppe der<br />
Acht“ repräsentiert. Laufen wir aber nicht auch Gefahr, unseren<br />
Halt zu verlieren und auf dem – von Ronnie Munck so bezeichneten<br />
-“schlüpfrigen Pfad sozialer <strong>Bewegungen</strong> (zu geraten), die - von der<br />
neoliberalen Globalisierung ausgetrickst - in eine kontrollierte Umwelt agieren,<br />
in der sogar kritische Stimmen dem übergeordneten Zweck der zu stabilisierenden<br />
Ordnung dienen?“ 2<br />
Der Weg der <strong>G8</strong> führt überwiegend über die Institutionen von Bretton<br />
Wood, der Welthandelsorganisation und den Agenturen der Vereinten Nationen.<br />
Dieses sind die Kernstücke der ‘global governance’ in den meisten<br />
Konzepten der ‘cosmopolitan democracy’. Die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft<br />
liegt - um eine provokative Analyse von James Petras und Henry<br />
Veltmeyer zu zitieren - „im Dienst des Imperialismus“.<br />
Man kann auch - wie von Karl Polanyi erwartet - eine „doppelte Bewegung”<br />
auf globaler Ebene ausmachen, eine Art Gegenreaktion, in der “die<br />
Ausdehnung der Marktorganisation in Bezug auf natürliche Ressourcen (wie<br />
Luft, Wasser etc.) … von deren Restriktion (begleitet wird)”. Inwiefern ist es<br />
denkbar, dass Aktivisten – manchmal über die UN - Druck aus die Neoliberalen<br />
in Washington, Genf und in den internationalen Finanzzentren<br />
ausüben können? 3<br />
Dann würden wir – nach den Vorstellungen von Antonio Gramsci – auf<br />
Gräben und die scheinbar permanente Stärkung multilateraler Institutionen<br />
und des internationalen Rechts sowie der geopolitischen Absprachen stoßen.<br />
Für Aktivisten, die für den sozialen Wandel kämpfen, scheint dies auf<br />
den ersten Blick ein unvorteilhafter Kampfplatz zu sein. Allerdings bestehen<br />
viele der großen NGOs und Bürgernetzwerke weltweit darauf, dass<br />
diese Institutionen, Wirtschaftsregime und Geopolitiken re<strong>for</strong>miert werden<br />
können. Diese spielen insofern eine Rolle “im Dienste des Imperialismus”<br />
im Sinne von James Petras und Henry Veltmeyer. 4<br />
Aus analytischer Sicht und aus strategischen Gründen ist jedoch eine<br />
klare Darstellung der Unterschiede seit langem überfällig. Letztendlich hat<br />
sich angesichts der scheinbar etablierten politisch-wirtschaftlichen Dyna-<br />
1 Vorabdruck in deutscher Übersetzung eines Beitrags in H. Melber und C. Wilß<br />
(Hrsg.), <strong>G8</strong> Macht Politik: Wie die Welt beherrscht wird. Berlin, Brandes und<br />
Apsel, 2007. WeltTrends dankt für die Möglichkeit des Vorabdrucks.<br />
2 Ronaldo Munck (2006), ‘Global <strong>Civil</strong> Society: Royal Road or Slippery Path?’,<br />
Plenary address to the Seventh International Conference of the International<br />
Society <strong>for</strong> Third-Sector Research, Bangkok, 12 July, p.1, neu publiziert in<br />
Voluntas, Dezember 2006.<br />
3 Karl Polanyi (1957), The Great Trans<strong>for</strong>mation: The Political and Economic<br />
Origins of Our Time, Boston, Beacon, p. 76.<br />
4 Petras, J. und H.Veltmeyer (2002), Globalisation Unmasked, London, Zed Books
<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong> – <strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
mik und der geopolitischen Machtbeziehungen die Zusammenarbeit mit<br />
den dominanten neoliberalen Eliten in der <strong>G8</strong> und den multilateralen Organisationen<br />
während der Re<strong>for</strong>mversuche in den vergangenen 25 Jahren<br />
schlichtweg nicht ausgezahlt. Denkt man allein an die Windungen und<br />
Wendungen der Weltbank zu Themen wie Transparenz, Partizipation,<br />
Umwelt, Gleichberechtigung, Korruption im Rahmen des Post-Washington-<br />
Konsens, so wird offenbar, dass multilaterale Organisationen hin und her<br />
bewegen. Dabei bleiben die Machtbeziehungen und die neoliberalen Entwicklungsstrategien<br />
weitgehend unberührt. Gleichzeitig dienen die von<br />
diesen Institutionen arrangierten halbherzigen Treffen dazu, grundsätzliche<br />
makroökonomische und sozialpolitische Fragen eher zu verdecken als zu<br />
klären. Im Kontext des erfolglosen Paktierens der Eliten ist es angesichts der<br />
vielen Launen und Moden schwierig, eine Ideologie auszumachen. Das<br />
Thema <strong>Anti</strong>korruption z.B. ist einer der letzten Kunstgriffe des Präsidenten<br />
der Weltbank, dieser einen legitimen Anstrich zu verschaffen.<br />
Die Linken, deren Blickwinkel auch der meine ist, sehen sich als globale<br />
Gerechtigkeitsbewegung. Viele ihrer Organisationen und Sprecher sind<br />
gespalten zwischen “autonomer” und „sozialistischer“ Politik. Andere Kräfte<br />
der Zivilgesellschaft haben sich den nationalistischen Ideen der Dritten<br />
Welt verschrieben. Darüber hinaus kann ein großer Teil – möglicherweise<br />
die Mehrheit – von NGOs, Gewerkschaften, progressiven religiösen Organisationen<br />
und Akademikerkreisen, die sich mit der Zivilgesellschaft befassen,<br />
im besten Fall zu den „Post-Washington“ Sozialdemokraten gezählt<br />
werden. Führende Bürgerrechtsorganisationen der letzteren Gruppe beteiligen<br />
sich an der globalen Elitendebatte einschließlich der Millennium<br />
Development Goals (MDGs) 5 und der ‘Make Poverty History’-Kampagne.<br />
Seit den Treffen auf dem Welt-Sozial<strong>for</strong>um (WSF) 2001 ist ein globales<br />
Zusammengehen von Aktivisten und Strategen festzustellen. Innerhalb und<br />
auch über das WSF hinaus wird Friedensarbeit und globale Gerechtigkeit<br />
assoziiert mit einem länderübergreifenden sektoralen Prozess. Angesichts<br />
der sich verändernden Analysen, Strategien, Taktiken und Allianzen mit<br />
diversen transnationalen <strong>Bewegungen</strong> ist die ideologische Analyse dieser<br />
vielen unterschiedlichen „Kampfebenen“ kompliziert. Mindestens fünf ideologisch<br />
weitgehend übereinstimmende Kategorien mit einer – wenn nicht<br />
historisch, aber zumindest zunehmend universalen politischen Orientierung<br />
– lassen sich feststellen:<br />
– Globale Gerechtigkeitsbewegungen (oftmals in Kombination mit sozialistischer<br />
Tradition und Anarchie/Autonomismus);<br />
– Dritte-Welt-Nationalismen (mit variierenden politischen Traditionen);<br />
5 Dabei handelt es sich um die acht Entwicklungsziele für das Jahrtausend. Siehe<br />
http://www.un.org/millenniumgoals/index.html<br />
39
40 Patrick Bond<br />
Politische Strömung Tradition Hauptagenda<br />
Globale<br />
Gerechtigkeitsbewegung<br />
Dritte-Welt-<br />
Nationalismus<br />
Post-Washington-<br />
Konsens<br />
Washington<br />
Konsens<br />
Sozialismus,<br />
Anarchismus<br />
Nationaler<br />
Kapitalismus<br />
Sozialdemokratie<br />
(im weiteren<br />
Sinne)<br />
Neo-<br />
Liberalismus<br />
Neue Rechte Neo-<br />
Konservatismus<br />
+ De-Globalisierung des Kapitals (nicht der<br />
Menschen)<br />
+ Globalisierung „von unten“ und internationale<br />
Solidarität<br />
+ Gegen Kriege<br />
+ Gegen Rassismus<br />
+ Rechte indigener Völker<br />
+ Frauenbefreiung<br />
+ Ökologie<br />
+ De-Kommodifizierung staatlicher Leistungen<br />
+ Radikale partizipatorische Demokratie<br />
+ zunehmende (aber faire) globale Integration<br />
durch die Re<strong>for</strong>m des internationalen<br />
zwischenstaatlichen Systems<br />
+ Verbesserung „unvollkommener Märkte“<br />
+ Nachhaltige Entwicklung soll existieren<br />
kapitalistischen Rahmenbedingungen hinzugefügt<br />
werden (durch UNO und andere globale<br />
Staatsbildungsprogramme)<br />
+ für begrenzten globalen Keynesianismus<br />
+ Gegen US-Unilateralismus und Militarismus<br />
+ Umbenannter NeoLiberalismus (mit<br />
Armutsbekämpfung, Entschuldung armer Länder,<br />
Public Private Partnership) mit Hang zur<br />
Transparenz, Selbstregulierung und<br />
Zwangsverkaufs-Mechanismen;<br />
+ <strong>Ein</strong>grenzen des Widerstandes potentieller<br />
Entwicklungsmärkte<br />
+ Finanzielle Unterstützung für das US-dominierte<br />
Imperium<br />
+ Unilateraler Petro-militärischer Imperialismus<br />
+ crony deals<br />
+ Subventionen, Protektionismus und Tarife zum<br />
Schutz der Unternehmen<br />
+ Globalisierung der Menschen durch Rassismus<br />
und Fremdenfeindlichkeit umkehren<br />
+ Religiöser Extremismus<br />
+ Patriarchat und bio-soziale Macht
<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong> – <strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
Politische Strömung Führende Institutionen<br />
Globale Gerechtigkeitsbewegung<br />
Dritte-Welt-<br />
Nationalismus<br />
Post-Washington-<br />
Konsens<br />
+ Soziale <strong>Bewegungen</strong><br />
+ Umweltgerechtigkeitsaktivisten<br />
+ Indigene Völker<br />
+ Autonomisten<br />
+ Radikale Netzwerkaktivisten<br />
+ Linke Gewerkschafter<br />
+ Befreiungstheologen<br />
+ Radikale think-tanks (Focus on the Global South, Global<br />
Exchange, IBASE, IFG, IPS, Nader centres, TNI)<br />
+ Radikale Medien (GreenLeft Weekly, Indymedia Pacifica,<br />
Pambazuka, zmag.org);<br />
+ Semi-befreite Zonen (Bolivaran projects, Kerala);<br />
+ Sektorbasierte oder lokale Koalitionen im WSF<br />
+ Nichtpaktgebundenenbewebung, G77 und South <strong>Centre</strong><br />
+ Selbstbestimmte Regime (oft autoritär): Argentinien, Brasilien,<br />
China, Ägypten, Indien, Indonesien, Kenia, Libyen, Malaysia,<br />
Nigeria, Pakistan, Palästina, Russland, Südafrika, Türkei, Uganda,<br />
Simbabwe, weiter einige linksorientierte Regime - Bolivien, Kuba,<br />
Ekuador and Venezuela<br />
+ AlJazeera, unterstützende NGOs (z. B. Seatini, Third World<br />
Network)<br />
+ <strong>Ein</strong>ige UN-Agenturen (UNICEF, UNIFEM, UNRISD, WIDER)<br />
+ <strong>Ein</strong>ige internationale NGOs (Care, Civicus, IUCN, Oxfam, TI)<br />
+ Große Umweltgruppen (Sierra and WWF)<br />
+ Große Gewerkschaften (ICFTU, AFL-CIO)<br />
+ Liberale Stiftungen (Carnegie, Ford, MacArthur, Mott, Open<br />
Society, Rockefeller)<br />
+ Wirtschaftsdepartment der Columbia Universität<br />
+ die Sozialistische Internationale<br />
+ Norwegen<br />
Washington Konsens + der US-Staat (Fed, Treasury, USAid)<br />
+ BBC, CNN, Sky, andere private Medien, IT und Finanziers<br />
+ World Bank, IMF, WTO<br />
+ Eliteclubs (Bilderburgers, Trilateral Commission, World<br />
Economic Forum)<br />
+ <strong>Ein</strong>ige UN-Agenturen (UNDP, Unctad, Global Compact)<br />
+ Universitäten und think-tanks (U. of Chicago economics,<br />
Cato, Council on Foreign Relations, Adam Smith Inst., Inst. of<br />
International Economics, Brookings)<br />
+ Die meisten <strong>G8</strong>-Staaten<br />
Neue Rechte + Republikanische Parteipopulisten und liberale Flügel<br />
+ Project <strong>for</strong> a New American Century<br />
+ Rechte think-tanks (AEI, CSIS, Heritage, Manhattan)<br />
+ Rechte christliche Institutionen und Medien<br />
+ Pentagon, petro-militärischer Komplex und Industriefirmen<br />
+ Rechtsgerichtete Medien (Fox, National Interest, Weekly<br />
Standard, Washington Times)<br />
+ Proto-faschistische europäische Parteien, aber auch Zionism<br />
und islamisch Extremismus<br />
41
42 Patrick Bond<br />
Politische Strömung Interne Konflikte<br />
Globale<br />
Gerechtigkeitsbewegung<br />
Dritte-Welt-Nationalismus<br />
Post-Washington-Konsens<br />
+ Rolle des Staates+ Parteipolitik<br />
+ Arrangieren mit oder Ablehnen von internationalen Agenturen<br />
+ Macht zwischen Geschlechtern und Rassen<br />
+ Unterschiedliche Interessen (z. B. Arbeit im Norden oder<br />
Umwelt vs. Souveränität des Südens und die Rechte der<br />
indigenen Völker)<br />
+ Taktische Fragen (z. B. Anerkennung für symbolische<br />
Zerstörung von Eigentum)<br />
+ Grad der Militanz gegenüber dem Norden<br />
+ Unterschiedliche regionnale Interessen<br />
+ Religion<br />
+ Große vs. kleine Staaten<br />
+ Vernichtende Rivalitäten<br />
+ <strong>Ein</strong>ige suchen Allianzen mit Links andere mit dem<br />
Washington Konsensus (auf der Suche nach Ressourcen,<br />
Legitimität und Deals)<br />
+ Welche Re<strong>for</strong>men sind optimal?<br />
Washington Konsens + Differenzierte Reaktionen auf das US-Imperium entsprechend<br />
der unterschiedlichen national-kapitalistischen Interessen und<br />
der innenpolitischen Dynamik<br />
Neue Rechte + Auseinandersetzungen über die Reichweite des US-<br />
Imperiums, den religiösen <strong>Ein</strong>fluss<br />
+ Wie kann Kultur, Patriarchat und staatliche Souveränität am<br />
besten geschützt werden?
<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong> – <strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
– Der Post-Washington-Konsens (oftmals eine begrenzte Version der Sozialdemokratie<br />
unterstützend);<br />
– Der Washington-Konsens (Neoliberalismus);<br />
– Die neue Rechte (Neokonservativismus).<br />
Diese fünf Kategorien sind erkennbar an ihrer politischen Tradition, politisch-wirtschaftlichen<br />
Agenda, ihren führenden Institutionen, internen Disputen<br />
und ihren wahrnehmbaren öffentlichen Unterstützern. (Siehe Tabelle<br />
sowie Anhang)<br />
Ohne uns in diesem Stadium mit Semantik aufzuhalten, sei jedoch kritisch<br />
angemerkt, dass diese Kategorien fließend sind. Weltweit sind viele<br />
Aktivisten nicht nur rhetorisch, sondern auch substanziell von einem Lager<br />
ins andere gewechselt. Der Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz vollzog<br />
beispielsweise Ende der 1990er Jahre einen zügigen Linksruck, während<br />
der brasilianische Präsident Luis Ignacio da Silva sich vom sozialistischen<br />
Stahlarbeiter zum Staatsmann rechts außen seiner Arbeiterpartei-Basis<br />
positionierte. Manche (wie der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki) sind<br />
in der Lage, sich rhetorisch in mehreren Lagern gleichzeitig zu bewegen. 6<br />
Die Anschauung vieler hängt teilweise davon ab, was sie politisch verachten<br />
– sei es auf globaler, kontinentaler, nationaler oder lokaler Ebene.<br />
Kräfte der Zivilgesellschaft finden sich natürlich in jedem Lager, aber<br />
die Kernfrage ist, unter welchen Umständen Zusammenschlüsse jene kritische<br />
Masse hervorbringen, um soziale Ressourcen mobilisieren zu können.<br />
Abgesehen vom Auftauchen staatlicher Führer wie Fidel Castro (Kuba), Hugo<br />
Chavez (Venezuela) und Evo Morales (Bolivien) werden globale Gerechtigkeitsideologien<br />
nahezu ausschließlich von nichtstaatlichen Akteuren verfochten.<br />
Es gibt allerdings wichtige Verbindungen von NGOs zum progressiven<br />
Dritte-Welt-Nationalismus, insbesondere zum von Malaysia aus operierenden<br />
Dritte-Welt-Netzwerk und Agenturen wie dem Südcenter, die<br />
beide Seiten gelegentlich verbinden. Die meisten großen transnationalen<br />
zivilgesellschaftlichen Interessengruppen, Gewerkschaften und Umweltgruppen<br />
können dem Post-Washington-Prozess zugerechnet werden.<br />
Macht und Verletzbarkeit des Establishments<br />
Das größte Problem der letzten Jahre ist die überraschend enge Allianz<br />
zwischen neoliberalen und neokonservativen Ideologien innerhalb der regierenden<br />
Eliten. Diese ‚neolib-neocon’-Verbindung wird personifiziert<br />
6 Mbeki popularisierte eine global apartheid, obgleich er eine wichtige Rolle bei<br />
deren Abschaffung im eigenen Land spielte.<br />
43
44 Patrick Bond<br />
durch die neue Führerschicht der multilateralen Institutionen. 7 <strong>Ein</strong>ige Beispiele<br />
sollen diese Verbindung belegen:<br />
– der spanische Neokonservative Rodrigo Rato wurde mit Hilfe der EU<br />
Mitte 2004 zum leitenden IMF-Direktor gewählt;<br />
– Ann Veneman (Bush’s ehemalige Landwirtschaftsministerin), wurde im<br />
Januar 2005 zur UNICEF-Chefin gewählt, obwohl die USA zusammen<br />
mit Somalia die beiden einzigen von 191 Ländern waren, die die UN-<br />
Konvention für Kinderrechte nicht ratifiziert hatten;<br />
– der thailändische Neoliberale Supachai Panitchpakdi, nahm im Februar<br />
2005 eine weitere Schlüsselposition der UN ein, nämlich die Leitung<br />
der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung übernahm, nachdem er<br />
als WTO-Chef von 2003 bis 2005 die Interessen der USA und EU vertrat;<br />
– Paul Wolfowitz (Architekt der illegalen US-amerikanisch-britischen Koalition<br />
der Kriegsbefürworter gegen den Irak), wurde mit Hilfe von US-<br />
Präsident Bush im März 2005 Chef der Weltbank;<br />
– Pascal Lamy, einer der EU-Hardliner bei den Welthandelsverhandlungen,<br />
übernahm einige Wochen später einen WTO-Direktorenposten;<br />
– John Bolton stellte als US-Botschafter bei den UN seit Mitte 2005 sicher,<br />
das Washingtons Direktiven von Kofi Annan so weit wie möglich umgesetzt<br />
wurden; 8<br />
– Zalmv Khalilzad (Boltons Nachfolger), wurde von US-Präsident Bush ernannt,<br />
um den Nachfolger von Annan, den ehemaligen südkoreanischen<br />
Außenminister Pak Bi-moon zu kontrollieren. 9<br />
Die Fusion von Neoliberalismus und Neokonservativismus ist keineswegs -<br />
so scheint es jedenfalls - hegemonial und krisenfrei. Walden Bello benennt<br />
drei Probleme des Machterhalts, angefangen mit der ‘Überdehnungskrise’<br />
oder der wachsenden Lücke zwischen imperialer Reichweite und imperialem<br />
Zugriff (the growing gap between imperial reach and imperial grasp).’ 10<br />
Nach Bello wäre Hugo Chavez’s schillernde Verhöhnung der amerikanischen<br />
Macht nicht möglich, wenn nicht der irakische Widerstand erfolg-<br />
7 Vgl. Siehe auch Toussaint, E. und D.Millet (2005), ‘Multilateral Institutions Taken<br />
Hostage’, Le Soir, 15. April 2005 und Deen, T. (2005), ‘ UN Faces New Political<br />
Threats From US’, Inter Press Service, http://www.ipsnews.net/news.asp?<br />
idnews=31152, 23 November.<br />
8 Bolton wurde Ende 2006 zum Rücktritt gezwungen, weil der Kongress ihn nicht<br />
in seinem Amt bestätigte.<br />
9 Khalilzad kontrollierte zuvor als US-Botschafter im Irak das Ölgeschäft.<br />
10 Bello, W. (2005), ‘The Global Crisis of Legitimacy of Liberal Democracy,’ Speech<br />
at Dalhousie University, St. Francis Xavier University und York University,<br />
Canada, October; Bello, W. (2005), Dilemmas of Domination, London, Zed<br />
Books.
<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong> – <strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
reich die US-Angriffstruppen auf einen endlosen Krieg festnageln würde.<br />
Zum Zweiten setzt sich die Überakkumulierung von Kapital weiter <strong>for</strong>t,<br />
basierend auf einer allgemeinen Überproduktion aber unter den veränderten<br />
Bedingungen einer wachsenden chinesischen und indischen Produktion.<br />
Gemäß Bello haben die Bemühungen des globalen Kapitals, die Profitabilität<br />
durch intensivere Ausbeutung der Arbeitskräfte im Norden oder durch<br />
Verlagerung wegen deutlich niedrigerer Arbeitslöhne wieder zu gewinnen,<br />
die Krise kaum verschlimmert, da die neoliberalen Sparmaßnahmen die<br />
Wachstumsrate der globalen Nachfrage im <strong>Vergleich</strong> zu früheren Dekaden<br />
gesenkt haben.<br />
Drittens reflektiert die Legitimitätskrise der US-amerikanischen Hegemonialmacht<br />
deren Wunsch, nicht mehr länger als „Erster unter Gleichen“<br />
in WTO, Weltbank und IMF zu agieren, sondern ihre Interessen auch durch<br />
diese Mechanismen direkt zu verfolgen. Dabei schmälern sie allerdings<br />
ernstlich deren Glaubwürdigkeit, Legitimität und Funktion als globale Institutionen.<br />
Die USA unterminieren des Weiteren ihre eigene Glaubwürdigkeit<br />
durch ihren engstirnigen Patriot Act, der neue Wege ebenen soll, um<br />
den Widerstand zu unterdrücken, und durch „die massive Beeinflussung<br />
von Wahlen durch Firmenfinanzierung, die sowohl die republikanische wie<br />
auch demokratische Parteien korrumpiert, und die systematische Aberkennung<br />
bürgerlicher Rechte der Armen“.<br />
Bush hat im Namen der US-amerikanischen Industrie das Kyoto-Protokoll<br />
torpedieren, hat an die mit seinem Vizepräsidenten verbundenen Industrienimperien<br />
wie Halliburton nicht öffentlich ausgeschriebene Verträge<br />
vergeben, ist für seine Ölkumpels in den Krieg gezogen und hat ein Paradies<br />
des freien Marktes für US-Firmen im Irak geschaffen.<br />
Im Gegensatz dazu haben diese drei Krisen dahin geführt, dass Washingtons<br />
seine verzweifelten Bemühungen intensiviert hat, um alle wichtigen<br />
multilateralen Kräfte kontrollieren zu können. In diesem Kontext des ungleichen<br />
Kräfteverhältnisses können wir die letzten Debakel globalen Regierens<br />
besser verstehen: Die Unfähigkeit, den UN-Sicherheitsrat zu erweitern<br />
(September 2005); das Scheitern der Doha-Welthandelsrunde (Juli 2006)<br />
und die Verringerung der Stimmenzahl des afrikanischen Kontinents im Board<br />
of Govenor der Weltbank (September 2006). Hier stellt sich die Frage, unter<br />
welchen Umständen Re<strong>for</strong>men des globalen Regierens überhaupt möglich<br />
sind.<br />
Elitenpakte und Top-down Re<strong>for</strong>men<br />
Was wir derzeit wahrnehmen und vorhersehen ist die Nutzlosigkeit von<br />
Re<strong>for</strong>mvorschlägen, wohingegen sich der neoliberale/neokonservative Zusammenschluss<br />
als dominanter Block durchsetzt. Dieser Ansatz wird ver-<br />
45
46 Patrick Bond<br />
körpert durch Paul Wolfowitz, der vor seiner zentralen Rolle im imperialen<br />
Diebstahl und der corporate patronage in Verbindung mit dem illegalen<br />
Irak-Krieg, in den 1980er Jahren ein enger Verbündeter von Indonesiens<br />
Diktator Suharto war. Unter seiner Führung geht die Weltbank als wichtigste<br />
interne Re<strong>for</strong>m gegen die ausufernde Projektkorruption vor, deren historische<br />
Kosten sich für die Bank konservativ geschätzt auf etwa 100 Mrd.<br />
US-Dollar belaufen. Patricia Adams von Probe International verurteilt Wolfowitz’s<br />
Verlautbarungen und Amnestiestrategie, weil diese „immunizes<br />
bribers from debarment, allows the Bank to cover-up its own negligence or<br />
complicity, and undermines the administration of justice in countries where<br />
it is a criminal offence to bribe a <strong>for</strong>eign official“. 11<br />
Diese Bankenstrategie erinnert an andere misslungenen Re<strong>for</strong>men. So<br />
scheiterte die zwischen 1998 bis 2001 tagende World Commission on Dams<br />
(WCD), 12 die von der Weltbank begleitet wurde. Deren Vorstandsmitglied,<br />
Kader Asmal, kritisierte bereits im Jahre 2003 die Thesen des von der Weltbank<br />
implementierten World Panel on Financing Infrastructure, das vom<br />
ehemaligen leitenden Direktor des IMF, Michel Camdessus, geführt wurde.<br />
Asmal stellte fest: „For an esteemed panel to effectively write off the WCD,<br />
whose core recommendations have been endorsed by many of its member<br />
organisations, is quite remarkable and raises concerns about the value of<br />
the report. Failing to address this point effectively takes us back many<br />
years.’“ 13 Weiter bemerkte Patrick McCully vom International Rivers Network:<br />
“The World Bank’s singularly negative and non-committal response<br />
to the WCD Report means that the Bank will no longer be accepted as an<br />
honest broker in any further multi-stakeholder dialogues.’ 14<br />
Die Umbenennung der Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und<br />
IWF – Poverty Reduction Strategy Papers – , die von 1999 bis heute laufen,<br />
zog zwar eine höhere öffentliche Beteiligung nach sich, führte aber in allen<br />
untersuchten Fällen in eine Sackgasse. 15 Andere konterkarierte Re<strong>for</strong>m-<br />
11 Odious Debts Online (2006), ‘Wolfowitz to Push <strong>Anti</strong>-Corruption Program at<br />
World Bank Meeting, 15 September.<br />
12 http://www2.gtz.de/dokumente/bib/04-5720.pdf<br />
13 Asmal, K. (2003), ‘Report of the World Panel on Financing Infrastructure: Letter<br />
to Dr Margaret Catley-Carson,’ Pretoria, 10 April, p. 2.<br />
14 McCully, P. (2002), ‘Avoiding Solutions, Worsening Problems,’ San Francisco,<br />
International Rivers Network, http://www.irn.org, p.40.<br />
15 See, e.g., Dembele, D. (2003), ‘PRSPS: Poverty Reduction or Poverty Rein<strong>for</strong>cement?,’<br />
Pambezuka News 136, 11 December; Bendańa, A. (2002), ‘Byebye<br />
Poverty Reduction Strategy Papers, and Hello Good Governance,’ Unveröffentlichtes<br />
Papier, Managua; Cafod, Oxfam, Christian Aid and Eurodad (2002),<br />
‘A Joint Submission to the World Bank and IMF Review of HIPC and Debt<br />
Sustainability,’ London, Ox<strong>for</strong>d and Brussels, August; and McGee, R. (2002),
<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong> – <strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
initiativen von Bretton Woods Institutionen sind die 1999-2003 erfolgte<br />
‚Structural Adjustment Participatory Review Initiative’ (Sapri), die zum Scheitern<br />
verurteilt war, nachdem die von der Bank entsandten Teilnehmer diese<br />
verlassen hatten. Richard Peet kommentierte: „The President of the World<br />
Bank did not listen to Sapri, because he could not. For he would hear, and<br />
he even might learn, that his finest, most splendid ideas had produced the<br />
worst, most harmful effects.“ 16<br />
Die wichtige ‘Extractive Industries Review’ von 2002 bis 2004 war ähnlich<br />
wie ein Projekt aus Interessensvertretern zusammengesetzt, aber die<br />
Ernsthaftigkeit der Bank gegenüber den Problemen der Mineral-, Petro- und<br />
holzverarbeitenden Industrien ließ während des Prozesses zu wünschen<br />
übrig. Nach Ansicht einiger der größten Umwelt-NGOs beinhalteten “one<br />
of the Bank’s most important environmental re<strong>for</strong>ms of the 1990s was its<br />
more cautious approach to high-risk infrastructure and <strong>for</strong>estry projects. This<br />
policy is now being reversed. The World Bank recently announced that it<br />
would re-engage in contentious water projects such as large dams in what<br />
it refers to as a “high risk/high reward” strategy. In 2002 the Bank dismissed<br />
its ‚risk-averse’ approach to the <strong>for</strong>est sector, when it approved a new <strong>for</strong>est<br />
policy. The World Bank is also considering support <strong>for</strong> new oil, mining, and<br />
gas projects in unstable and poorly governed countries, against the recommendations<br />
of its own evaluation unit.“ 17 Als diese überraschend einen<br />
Schritt weisen Ausstieg aus der fossilen Brennstoffgewinnung <strong>for</strong>derte, wies<br />
die Bank diese Option wenig überraschend zurück.<br />
Letztendlich führten nahezu alle Bürgerrechtsinitiativen mit der Weltbank<br />
und dem IMF zu keinem Ergebnis. Civicus zog sich von der von 2003<br />
bis 2005 andauernden kontroversen Initiative zurück, um die Beziehungen<br />
neu zu ordnen. Die jährlichen Treffen im Jahr 2006, die gewöhnlich eine<br />
arbeitsintensive Zusammenarbeit mit Bürgerrechtsgruppen des Mainstreams<br />
zum Inhalt hatten, waren gestört durch Polizeigewalt und <strong>Ein</strong>reiseverbote<br />
aufgrund strenger Anwendung der <strong>Ein</strong>wanderungsgesetze seitens des Gastgeberstadtstaates<br />
Singapur. <strong>Ein</strong> erfolgreicher Boykottaufruf von Bürgerrechtsund<br />
Umweltgruppen 18 war eine symbolische Anklage der gegenwärtigen<br />
politischen Machtbeziehungen: IMF und Weltbank können sich ihrer Verantwortung<br />
für die derzeitige Entwicklung nicht entziehen. Es scheint, als<br />
sei Singapur als Tagungsort für deren Jahrestreffen im Hinblick auf den rigo-<br />
‘Assessing Participation in Poverty Reduction Strategy Papers: A Desk-Based<br />
Synthesis of Experience in sub-Saharan Africa,’ Sussex, University of Sussex<br />
Institute <strong>for</strong> Development Studies.<br />
16 Peet, R. (2003), The World Bank, IMF and WTO, London, Zed Books.<br />
17 Environmental Defence, Friends of the Earth, and International Rivers Network<br />
(2003), Gambling With People’s Lives, Washington and Berkeley, 19 September.<br />
47
48 Patrick Bond<br />
rosen autoritären Regierungsstil mit Bedacht gewählt worden, um friedliche<br />
Straßenproteste wie bei früheren Treffen der Weltbank und des IMF mit<br />
der WTO zu vermeiden.<br />
Die Wahl von Singapur als Austragungsort der jährlichen Treffen wird<br />
von Bürgerrechtsorganisationen regelmäßig kritisiert, ohne jedoch IWF und<br />
Weltbank davon abbringen zu können. Wir verurteilen die repressiven<br />
Methoden der Regierung von Singapur, ebenso wie das stille <strong>Ein</strong>verständnis<br />
von Weltbank und IMF dazu!<br />
Dieser Sachverhalt ruft die Fragestellung der kosmopolitischen Demokratietheoretiker<br />
auf den Plan, wie solche machtvollen Institutionen mit so<br />
großer Reichweite gemanagt werden können. Neben den führenden Strategen<br />
plädierte Iris Marion Young für eine Schließung des IWF und der Weltbank<br />
(„die ja noch nicht einmal vorgeben, demokratisch zu sein“), um ein<br />
vernünftiges Ziel zu verfolgen, nämlich die Re<strong>for</strong>m der UN, …“the best<br />
existing starting point <strong>for</strong> building global democratic institutions... As members<br />
of the General Assembly, nearly all the world’s peoples today are<br />
represented at the UN.’ Moreover, the UN is a site where imperial powers<br />
‘seek legitimacy <strong>for</strong> some of their international actions’ and where states ‘at<br />
least appear to be cooperative and interested in justice“. So mobilisieren<br />
Bürgerrechtsbewegungen für Veranstaltungen und Themen rund um die<br />
UN. 19<br />
In letzter Zeit wurden einige vergebliche Versuche unternommen, globale<br />
Steuerungsre<strong>for</strong>men durchzuführen. So sollte die Re<strong>for</strong>m des Sicherheitsrates<br />
durch die <strong>Ein</strong>führung neuer Regierungs- und Demokratie<strong>for</strong>men<br />
(insbesondere auf lokaler Ebene) 20 unterstützt werden. Millennium Development<br />
Goals (MDG) wurden entwickelt und sollten umgesetzt werden. Keine<br />
dieser Re<strong>for</strong>men brachte zufrieden stellende Resultate. Die MDGs beispielsweise<br />
sind - aus Sicht von David Held - „das moralische Bewusstsein<br />
der Weltgemeinschaft“. 21 In Realität wurden sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />
von dem kleinen elitären Kreis der UN entwickelt, der gleichzeitig<br />
Hand in Hand geht mit den Pro-Washington-Konsensus und seinem<br />
18 <strong>Ein</strong>schließlich folgender Organisationen: Jubilee South und Jubilee USA, Focus<br />
on the Global South, Solidarity Africa Network, das World Development Movement,<br />
das Europäische Netzwerk für Schulden und Entwicklung, Greenpeace,<br />
Friends of the Earth International und Oil Watch International .<br />
19 Young, I.M. (2000), Inclusion and Democracy, Ox<strong>for</strong>d, Ox<strong>for</strong>d University Press,<br />
Chapter 7. Young stützt seine UN-Orientierung auf die Studie von Erskine<br />
Childers, Brian Urquhart und Chadwick Alger, die von der Dag Hammarsjold<br />
Foundation unterstützt wurde.<br />
20 Wilson, Z. (2006), The UN and Democracy in Africa: Labyrinths of Legitimacy,<br />
New York, Routledge.<br />
21 D. Held (Ed) (2003), Debating Globalisation, Cambridge, Polity Press.
<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong> – <strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
Global-Compact-Programm unter <strong>Ein</strong>beziehung der Geschäftswelt, der<br />
Unterstützung öffentlich-privater Partnerschaften, von Privatisierungsstrategien<br />
und der Zusammenarbeit mit der Weltbank. Held betont „there may<br />
have been no point in setting these targets at all, so far are we from attaining<br />
them in many parts of the world.“ Globale Gerechtigkeitsaktivisten befürchten,<br />
die Hauptschwachstelle liege darin, dass die Institutionen so weit weg<br />
von den Menschen sind, die diese ihre Kämpfe und Siege für sich selbst<br />
reklamieren müssen. Peggy Antrobus vom feministischen Wirtschaftsnetzwerk<br />
DAWN tauft die MDGs um in ‘maximum distraction gimmicks’ um. 22<br />
Gleichermaßen ist es Zeit nachzufragen, ob und wann sich die UN dem<br />
global wichtigsten Problem - dem Klimawandel - zuwenden, um zu schaffen,<br />
was Held “ein tragfähiges Rahmenwerk für das Management der globalen<br />
Erwärmung“ nennt. Das Kyoto-Protokoll war dies definitiv nicht, wie<br />
Carbon Trade Watch, CornerHouse und das TransNational Institute belegen.<br />
23<br />
Bottom-up Strategien für De-Globalisierung und De-<br />
Kommodifizierung<br />
Im Gegensatz dazu beruht die strategische Formel der südafrikanischen<br />
unabhängigen Linken neben anderen <strong>Bewegungen</strong> auf dem Aufbau dauerhafter<br />
und relativ demokratischer Massenbewegungen, 24 kombiniert mit der<br />
Forderung an den Staat, das Kapital im Land zu halten. 25 Diese Idee hat –<br />
so nannte es Walden Bello – die „Deglobalisierung“ (des Kapitals) zur Folge.<br />
26 Darauf folgten drei Runden <strong>internationaler</strong> Massenproteste: Im September<br />
2001 mit über 10.000 Demonstranten gegen die in Durban stattgefundene<br />
UN-Weltkonferenz gegen Rassismus, weil Fragen der Reparationsleistungen<br />
und des Zionismus nicht auf der Agenda standen; im August 2002<br />
demonstrierten über 25.000 Menschen gegen den UN-Gipfel für nachhaltige<br />
Entwicklung in Johannisburg und gegen die neoliberalen Umwelt- und<br />
Sozialstrategien; schließlich gab es landesweit zwischen 2003 und 2004<br />
Proteste mit mehreren zehntausenden Teilnehmern gegen den Irakkrieg.<br />
22 Bond, P. (2006), ‘Global Governance Campaigning and MDGs: From Top-down<br />
to Bottom-up <strong>Anti</strong>-poverty Work’, Third World Quarterly, 27, 2, March.<br />
23 Bond, P. and R.Dada (Eds) (2005), Trouble in the Air, Durban, <strong>Centre</strong> <strong>for</strong> <strong>Civil</strong><br />
Society; and Carbon Trade Watch (2003), The Sky is Not the Limit: The Emerging<br />
Market in Greenhouse Gases, Amsterdam, Transnational Institute, www.tni.org.<br />
24 Viele wurden untersucht in Richard Ballard, Adam Habib und Imraan Valoodia<br />
(2006), Voices of Protest, Pietermaritzburg, University of KwaZulu-Natal Press.<br />
25 Bond, P. (2003), Against Global Apartheid, London, Zed Books.<br />
26 Bello, W. (2002), Deglobalisation, London, Zed Books.<br />
49
50 Patrick Bond<br />
Südafrikanische Aktivisten wie Dennis Brutus, Trevor Ngwane und Virginia<br />
Magwaza-Setshedi waren maßgeblich daran beteiligt, sich unter Zuhilfenahme<br />
von Analysen, Strategien und Taktiken der <strong>Anti</strong>-Apartheid der<br />
schwersten Lasten der Bretton Woods Institutionen auf der Dritten Welt zu<br />
entledigen. Der Boykott der Schuldenrückzahlung an die Weltbank in Anlehnung<br />
an die Vermögensbeschlagnahmung seinerzeit im Kampf gegen<br />
Apartheid hatte einen erstaunlichen Erfolg, eine Institution wurde abgestraft,<br />
die überall in der Dritten Welt an vorderster Front anzutreffen ist, wo neoliberale<br />
Unterdrückung herrscht. Darüber hinaus haben südafrikanische und<br />
andere Aktivisten erstaunliche Siege in der Deglobalisierung des Handels<br />
mit geistigen Eigentumsrechten errungen, indem sie Generika bei antiretroviralen<br />
Medikamenten (für die AIDS-Behandlung) anstelle der teuren monopolisierten<br />
Markenmedizin <strong>for</strong>derten und bekamen. Ähnliche Auseinandersetzungen<br />
wird es geben, um Lebensmittel zu deglobalisieren, insbesondere<br />
genmanipulierte Lebensmittel von transnationalen Konzernen, um<br />
der Biopiraterie <strong>Ein</strong>halt zu gebieten und die Privatisierung von Wasser und<br />
Energie zu verhindern. Dieses sind typische „nichtre<strong>for</strong>mistische Re<strong>for</strong>men“,<br />
die konkrete Ziele erreichen wollen und zugleich <strong>Bewegungen</strong> miteinander<br />
verbinden, das Bewusstsein schärfen, Problemstellungen entwickeln<br />
sowie demokratische Organisations<strong>for</strong>men und Impulse schaffen.<br />
Natürlich ist dies eine Politik der kleinen Schritte: herausfinden, wie lokale<br />
Gemeinschaften, subnationale, nationale oder regionale Strategien am<br />
Besten die globale Wirtschaftstyrannei lindern und partiell in ihr Gegenteil<br />
verkehren können. Hauptziel der Deglobalisation ist es, Raum zu gewinnen<br />
im Kampf gegen die neoliberale Kommodifikation. Dies zeigt die südafrikanische<br />
Dekommodifikations-Agenda anschaulich, die einen Kampf<br />
führt, um Grundbedürfnisse in echte Menschenrechte umzuwandeln wie<br />
z.B.:<br />
– freie AIDS-Medikation (was zur Entmachtung der großen Pharmakonzerne<br />
führt);<br />
– 50 Liter kostenfreies Wasser täglich (was Vertreibung von Suez u. a.<br />
Wasserprivatisierern aus Afrika führt);<br />
– eine kostenlose Kilowattstunde täglich pro Kopf (was zur Umorientierung<br />
der Energieressourcen vom export-orientierten Bergbau und Hüttenwesen<br />
hin zur Abdeckung des Grundverbrauchs führt);<br />
– umfassende Landre<strong>for</strong>m (was weg vom extensiven Anbau und exportorientierter<br />
Plantagenbewirtschaftung führt);<br />
– Verbot von Dienstleistungsunterbrechungen und Räumungen;<br />
– kostenloser Bildungszugang (Beendigung der Vereinbarungen im Dienstleistungshandel).
<strong>Anti</strong>-<strong>G8</strong>-<strong>Bewegungen</strong> – <strong>Ein</strong> <strong>internationaler</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
Die Forderung nach einem freien Grundeinkommen von 15 US-Dollar<br />
monatlich findet sogar die Unterstützung von Kirchen, NGOs und Gewerkschaften.<br />
All diese Dienstleistungen sollten gleich sein (d.h. frei für alle und<br />
einkommensunabhängig) und sind insoweit realisierbar, dass sie durch höhere<br />
Preise bei Luxuskonsum finanziert werden können. Diese Agenda könnte<br />
als Grundlage für einen weit reichenden sozialen Wandel dienen, wie er<br />
kurzfristig in der skandinavischen Sozialpolitik erreicht worden ist.<br />
Augenscheinlich ist zu klären, warum die paktierenden Eliten so wenig<br />
erreicht haben und so wenig Hoffnung bieten im Kontext ungünstiger Machtverhältnisse.<br />
<strong>Ein</strong> letztes Zitat dazu aus der Schrift von Walter Rodney „How<br />
Europe Underdeveloped Africa“ aus den frühen 1970er Jahren, der unversöhnlich<br />
sowohl die Staatseliten bekämpfte aber auch jene, die heutzutage<br />
das neues NGO-Kadertum der globalen Dealer genannt werden können.<br />
Genauer gesagt, die afrikanische Minderheit, die als Transmissionsriemen<br />
zwischen den Kapitalisten der Metropolen und den Abhängigen in Afrika<br />
dient. Deren Bedeutung sollte nicht unterschätzt werden. Die Anwesenheit<br />
dieser Gruppe afrikanischer „Ausverkäufer“ ist Teil der Definition von Unterentwicklung.<br />
Jede Diagnose für Unterentwicklung in Afrika legt nicht nur<br />
ein niedriges Pro-Kopf-<strong>Ein</strong>kommen und Proteindefizit offen, sondern auch<br />
die Herrschaften, die in Abidjan, Accra und Kinshasa zur Musik aus Paris,<br />
London und New York tanzen. 27<br />
Aus dem Englischen übersetzt von Heike Imhoff-Rudolph.<br />
Anhang: Wichtige ausgewählte Exponenten<br />
Globale Gerechtigkeitsbewegung<br />
Politische Gesellschaft: R. Alarcon, F. Castro, H. Chavez, R. Correa, E.<br />
Morales<br />
Zivilgesellschaft: C. Abugre, Z. Achmat, E. Adamovsky, M. Albert, T. Ali, S.<br />
Amin, C. Augiton, D. Barsamian, A. Ben-Bela, M. Barlow, H. Belafonte,<br />
W. Bello, A. Bendana, M. Benjamin, P. Bennis, F. Betto, H. Bonafini, A.<br />
Boron, J. Bove, J. Brecher, R. Brenner, D. Brutus, N. Bullard, A. Buzgalin,<br />
L. Cagan, A. Callinicos, L. Cassarini, J. Cavanagh, C. Chalmers, N.<br />
Chomsky, T. Clarke, K. Danaher, M. Davis, D. Dembele, A. Dorfman, A.<br />
Escobar, L. Flanders, R. Fisk, E. Galeano, G. Galloway, S. Gill, S. George,<br />
D. Glover, A. Goodman, M. P. Giyose, A. Grubacic, M. Hardt, D. Harvey,<br />
D. Henwood, J. Holloway, W. Kaara, B. Kagarlitsky, J. Kelsey, N. Klein,<br />
27 Rodney, W. (1972), How Europe Underdeveloped Africa, Dar es Salaam,<br />
Tanzania Publishing House and London, Bogle L’Ouverture Publications.<br />
51
52 Patrick Bond<br />
J. Le Carré, S. Longwe, M. Lowy, M. Mamdani Marcos, A. Mittal, G.<br />
Monbiot, M. Moore, L. Nacpil, R. Nader, V. Navarro, A. Negri, T. Ngwane,<br />
N. Njehu, A. Olukoshi, O. Ongwen, G. Palast, L. Panitch, M. Patkar,<br />
J. Perkins, J. Pilger, A. Roy, E. Sader, D. Sari, J. Sen, C. Sheehan, V. Shiva,<br />
I. Shivji, J. Singh, B. Sousa Santos, W. Soyinka, A. Starr, J. Stedile, H.<br />
Sumnono, T. Teivainen, A. Traoré, V. Vargas, H. Wainwright, N. Wa-<br />
Thiong’o; L. Wallach, I. Wallerstein, P. Waterman, M. Weisbrot, R.<br />
Weissman, C. Whitaker, E. Wood, H. Zinn<br />
Dritte-Welt-Nationalismus<br />
Politische Gesellschaft: J. Aristide, M. Gaddafi, HuJ, N. Kirshner, R. Mugabe,<br />
D. Ortega, V. Putin<br />
Zivilgesellschaft: Y. Akyuz, Y. Graham, M. Khor, Y. Tandon<br />
Post-Washington-Konsens<br />
Politische Gesellschaft: M. Bachelet, G. Brundtland, S. Byers, J. Fischer, W.<br />
Maathai, T. .Mkandawire, M. Robinson, G. Verhofstadt, K. Watkins<br />
Zivilgesellschaft: A. Adedeji, N. Birdsall, Bono, B. Cassen, P. Eigen, B. Geldof,<br />
A. Giddens, W. Hutton, P. Krugman, K. Naidoo, D. Rodrik, J. Sachs, W.<br />
Sachs, A. Sen, G. Soros, N. Stern, J. Stiglitz, J. Sweeney<br />
Washington Konsens<br />
Politische Gesellschaft: B. Bernanke, T. Blair, G. Brown, M. Camdessus, E.<br />
Cardoso, J. Chirac, H. Clinton, K. Dervis, L. da Silva, V. Fox, S. Fischer,<br />
A. Greenspan, A. Krueger, P. Lamy, M. Malloch-Brown, T. Mbeki, A.<br />
Merkel, H. Poulson, R. Prodi, S. Royal, M. Singh, SupachaiP.<br />
Zivilgesellschaft: B. Clinton, T. Friedman, W. Gates, H. Kissinger, K. Rogoff,<br />
M. Yunus<br />
Neue Rechte<br />
Politische Gesellschaft: E. Abrams, K. Adelman, G. W. Bush, D. Cheney, R.<br />
Gates, N. Gingrich, J. Haider, S. Harper, J. Howard, Z. Khalilzad, B. Kimoon,<br />
I. Paisley, J. M. le Pen, J. Negroponte, E. Olmert, R. Rato, O. Reich,<br />
C. Rice, K. Rove, A. Scalia, R. Tobias, A. Veneman, P. Wolfowitz<br />
Zivilgesellschaft: Z. Brzezinski, P. Buchanan, A. Colter, J. Falwell, H. Kissinger,<br />
W. Kristol, R. Limbaugh, R. Murdoch, G. Norquist, M. Peretz, R.<br />
Perle, R. Scaife