Das Haus des Afrikaforschers Nachtigal - Kurstadt Bad Berka
Das Haus des Afrikaforschers Nachtigal - Kurstadt Bad Berka
Das Haus des Afrikaforschers Nachtigal - Kurstadt Bad Berka
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Aus der Stadtgeschichte.<br />
Häuser in unserer Stadt.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Haus</strong> <strong>des</strong> <strong>Afrikaforschers</strong> <strong>Nachtigal</strong>.<br />
Johann Wolfgang von Goethe hatte nach der <strong>Bad</strong>egründung 1813 den <strong>Berka</strong>ern<br />
vorgeschlagen, Häuser mit Wohnungen und Quartieren für die <strong>Bad</strong>egäste, in der Nähe <strong>des</strong><br />
<strong>Bad</strong>eplatzes im heutigen Kurpark, zu errichten. Damit sollten ihnen lange Wege aus der<br />
Stadt zu den <strong>Bad</strong>eanlagen erspart werden. In <strong>Berka</strong> verwirklichte man nach und nach<br />
Goethes Vorschläge. Neben dem <strong>Bad</strong>egesellschaftshaus (heute Coudray – <strong>Haus</strong>)<br />
entstanden zunächst die heutige <strong>Bad</strong>egasse und nachfolgend Villen und Pensionshäuser<br />
unterhalb <strong>des</strong> Arlsberges, dem heutigen Adelsberg und beim Felsenkeller. Man errichtete<br />
aber auch kleine Villen als Sommerhäuser, in denen ihre Besitzer oder Mieter die Ferien<br />
bzw. den ganzen Sommer verbrachten. Die Häuser waren im damaligen Landhausstiel<br />
gebaut und mit viel Holz verkleidet. Eines dieser Häuser befand sich am heutigen Martha-<br />
Stein-Weg 1 und war im Besitz von Herrn Johann Philipp Thöl, einem Engländer. Vermutlich<br />
wurde es zwischen 1868 - 69 erbaut. Im unteren Teil <strong>des</strong> Grundstückes <strong>des</strong> Herrn Thöl<br />
befand sich noch ein kleineres Gartenhaus, welches vermutlich 1870 errichtet wurde.<br />
1875, nach der Rückkehr von einer seiner großen Forschungsreisen durch Afrika, erwarb Dr.<br />
Gustav <strong>Nachtigal</strong> von Frau Gillmann aus London, Tochter <strong>des</strong> Thöl, den unteren Teil <strong>des</strong><br />
Grundstückes mit Gartenhaus. Er ließ sich ein Sommerhaus, das heutige <strong>Haus</strong> Parkstraße<br />
10, errichten.<br />
<strong>Haus</strong> Parkstraße 10 im Januar 2013
Wer war der neue Gast am Adelsberg? Gustav <strong>Nachtigal</strong> wurde am 23.2.1834 in Eichstädt<br />
Kreis Stendal, als Sohn <strong>des</strong> Pfarrers Karl Friedrich <strong>Nachtigal</strong> und der Pfarrerstochter<br />
Friederike Köppen geboren. Nachdem der Vater 1839 an Lungenschwindsucht starb, verzog<br />
die Familie nach Stendal. 1852 legte <strong>Nachtigal</strong> sein Abitur mit der Note 1 ab. Anschließend<br />
folgte ein Medizinstudium in Berlin, Halle und Würzburg. <strong>Das</strong> Staatsexamen und den Doktor<br />
legte er in Greifswald ab. Die Militärzeit absolvierte er in Lazaretten in Köln. Mit finanzieller<br />
Hilfe seines Onkels J. Dietrich <strong>Nachtigal</strong> eröffnete der junge Arzt eine eigene Praxis in<br />
Rotterdam. Leider bekam ihm das feuchte Klima nicht und er erkrankte schwer an<br />
Tuberkulose. Heilung fand <strong>Nachtigal</strong> 1862 in der trockenen Luft von Bona in Algerien. Aus<br />
diesem Grunde siedelte er 1863 nach Tunis über und war dort als sehr geschätzter Arzt bis<br />
1866 tätig. Er machte als Arzt eine Expedition gegen Aufständische im Süden <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />
mit und wurde zum 1. Marinearzt befördert. Nachfolgend wurde er Leibarzt <strong>des</strong> Kaschnadars<br />
von Tunis und wurde wegen der erfolgreichen Heilung <strong>des</strong> Sohnes <strong>des</strong> Beys von Tunis von<br />
diesem angestellt.<br />
Nach kurzem Aufenthalt in Deutschland wurde <strong>Nachtigal</strong> allerdings sehr schnell nach Tunis<br />
zurück gerufen, weil dort eine Hungertyphusepidemie ausgebrochen war. Neben<br />
umfangreichen ärztlichen Tätigkeiten befasste sich <strong>Nachtigal</strong> auch mit geografischen,<br />
geschichtlichen und sprachlichen Studien und Expeditionen in das Lan<strong>des</strong>innere. Er lernte<br />
den Afrikaforscher Rohlfs kennen. Dieser gab ihm den Auftrag, Geschenke von König<br />
Wilhelm von Preußen an den Sultan Omar von Bornu zu überbringen. Man hielt <strong>Nachtigal</strong> für<br />
diese Aufgabe besonders geeignet auf Grund seiner hervorragenden ärztlichen Tätigkeit im<br />
Land, der Kenntnis mehrerer Stammessprachen und den Beziehungen zu zahlreichen<br />
Stammesfürsten.<br />
Mit Kamelen, Dienern, seiner gesamten Habe und den Geschenken begann er am 18.2.1869<br />
die beschwerliche Reise durch die Sahara. Zunächst wurde die Oase Fessan aufgesucht<br />
und dann die Stadt Mursuk. Hier musste er das Eintreffen weiterer Karawanen abwarten,<br />
weil man nun wegen der Gefährlichkeit nur in einer großen Gruppe reisen konnte. Obwohl<br />
gewarnt, nutzte <strong>Nachtigal</strong> die Gelegenheit mit einer kleinen Gruppe das unerforschte<br />
Gebirgsvolk von Tibesti aufzusuchen. Er entdeckte dabei als erster das Saharagebirge. Von<br />
seinen Bewohnern, dem räuberischen Volk der Teda, wurde er gefangen genommen,<br />
ausgeraubt und mehrere Monate festgehalten. Nur mit Hilfe seiner Diener und Begleiter<br />
konnte er flüchten. Unter größten Strapazen durch die Wüste gelangten <strong>Nachtigal</strong> und seine<br />
Begleiter nach Kuka, der Hauptstadt Bornus und wurde hoch erfreut von Sultan Omar<br />
empfangen. Er überreichte die Geschenke, und der Sultan ermöglichte ihm eine Expedition<br />
zum Tschadsee und seinen Zuflüssen sowie in mehrere angrenzende Länder. Wo <strong>Nachtigal</strong><br />
konnte, übte er ärztliche Tätigkeiten an der Bevölkerung aus. Dies verhalf ihm bei den<br />
Stammesfürsten zu hohem Ansehen. Eine geplante Reise zum Äquator musste er<br />
abbrechen, weil er selbst schwer erkrankte. Voll Abscheu erlebte er die grausamen<br />
Sklavenjagden <strong>des</strong> König Mohammed von Baghirmi in seinem eigenen Land. Nur unter<br />
größten Anstrengungen schaffte er die Rückkehr nach Kuka zum Sultan Omar. Auch hier<br />
war er erneut als Arzt tätig. Besonders häufig musste er Zähne ziehen, die durch die<br />
Ernährung mit Datteln oft in sehr schlechtem Zustand waren. Erneut unternahm er<br />
Expeditionen in das Innere <strong>des</strong> Sudan, um Land und Leute kennenzulernen und Kontakte für<br />
Deutschland zu knüpfen.<br />
1873 begann <strong>Nachtigal</strong> die Heimreise. Dabei durchstreifte er als erster das unbekannte<br />
Wadai. Bei seinen umfangreichen Forschungen über das Land, seine Geschichte, Sprachen<br />
und die Bevölkerung, musste er mehrfach vom Herrscher <strong>des</strong> Wadai, König Ali, vor den oft<br />
fanatischen mohammedanischen Untertanen geschützt werden. Sein Weg führte ihn noch<br />
nach Darfur und Kordofan sowie in die Nilländer. Auch hier setzte er seine Forschungen fort.
Als er endlich in Kairo ankam und in Gasthäuser einkehren wollte, wurde er überall<br />
abgewiesen. Man vermutete in ihm einen Bettler oder Räuber wegen seiner zerrissenen<br />
Kleidung. Dazu war er völlig abgemagert, erschöpft und krank. Erst als er die deutsche<br />
Botschaft um Hilfe bat, wurde er ehrenvoll im besten Hotel empfangen. Der Aufenthalt in den<br />
Schwefelbädern von Heluan bei Kairo brachte ihm Heilung und Erholung von den schweren<br />
Strapazen.<br />
1875 kehrte <strong>Nachtigal</strong> endlich wieder nach Berlin zurück. Man bereitete ihm einen<br />
begeisterten Empfang. Die Afrikanisch- Geografische- Gesellschaft richtete ihm zu Ehren ein<br />
großes Fest aus, und er wurde zum Vorsitzenden gewählt. In <strong>Bad</strong> Ems wurde er von Kaiser<br />
Wilhelm empfangen und mit hohen Auszeichnungen geehrt.<br />
Zwischen 1875 und 1884 hatte <strong>Nachtigal</strong>l seinen Wohnsitz in Berlin. Er arbeitete an seinem<br />
dreibändigen Werk „Sahara und Sudan“, schrieb Reiseerlebnisse, hielt wissenschaftliche<br />
Vorträge und musste immer wieder hohen Gästen <strong>des</strong> Kaisers Berichte über Afrika geben.<br />
In dieser Zeit ließ er sein Sommerhaus in <strong>Berka</strong> errichten. Er floh mehrfach aus dem Trubel,<br />
den vielen Empfängen und Ehrungen in Berlin, um in der Ruhe <strong>Berka</strong>s arbeiten zu können.<br />
Wir wissen nicht wie oft <strong>Nachtigal</strong> in <strong>Berka</strong> weilte. Wir wissen aber, dass er vermutlich 1882<br />
einen ganzen Sommer hier lebte, um den 3. Band seines großen Werkes „Sahara und<br />
Sudan“ fertigzustellen. Da <strong>Nachtigal</strong> unverheiratet geblieben war, wurde er bei seinen<br />
Aufenthalten in <strong>Berka</strong> von der Justizratswitwe Frau Groddeck versorgt. Sie verwaltete auch<br />
seinen Besitz bei seiner Abwesenheit und war an der Herausgabe seines Werkes beteiligt.<br />
Vom Kaiser 1884 zum Generalkonsul in Tunis berufen, war <strong>Nachtigal</strong> maßgebend an den<br />
Verhandlungen beteiligt, die zur Gründung der deutschen Kolonien Kamerun und Togo<br />
führten. Obwohl nicht in seinem Sinne, wurde er immer mehr in das Kolonialsystem <strong>des</strong><br />
Deutschen Reiches eingebunden. Wegen ausgebrochener Unruhen erhielt er im April 1884<br />
von Bismark den Auftrag, die Ordnung an der Westküste Afrikas zu untersuchen. Zum<br />
Schutz der Hamburger- und Bremer Handelsfaktoreien musste er im Auftrag <strong>des</strong> deutschen<br />
Kaisers Verträge mit den eingeborenen Häuptlingen abschließen. Für die Bremer Firma<br />
Lüderitz reiste er mit Ochsenkarren weit ins Lan<strong>des</strong>innere, um mit dortigen Stämmen zu<br />
verhandeln. Auf der Rückreise im Dezember 1884 traten Grenzstreitigkeiten auf. Erneut<br />
erhielt er den Auftrag diese zu schlichten.<br />
Der Aufenthalt in den ungesunden Flussniederungen im Kamerungebiet schwächte<br />
<strong>Nachtigal</strong> immer mehr. Er hatte bedrohliche Fieberanfälle, auch sein Nierenleiden machte<br />
sich bemerkbar. Der Kapitän <strong>des</strong> Schiffes „Möwe“ brachte ihn <strong>des</strong>halb am 10.4.1885 auf<br />
hohe See, wo er bei Sonne und Luft Erleichterung finden sollte. <strong>Nachtigal</strong>s Befinden<br />
verschlechterte sich jedoch weiter. Am 19. April diktierte er seinem Freund, dem Kapitän,<br />
seinen letzten Willen. In den Morgenstunden <strong>des</strong> 20. April 1885 verstarb der Afrikaforscher<br />
und Arzt Dr. Gustav <strong>Nachtigal</strong>. Er wurde auf einer Felsspitze <strong>des</strong> Gebirges Cap Palmas mit<br />
Blick auf die See beigesetzt. Als To<strong>des</strong>ursache nahm man Lungenschwindsucht und<br />
Nierenbluten infolge der nicht behandelten Malaria an.<br />
Sein <strong>Haus</strong> in <strong>Berka</strong> erbte <strong>Nachtigal</strong>s Schwester Frau Marie Pritze. Sie schrieb an ihren<br />
Mann, den Pfarrer Pritze, von einem Aufenthalt in <strong>Berka</strong> am 4. Juli 1886 „…. ist es hier sehr<br />
hübsch, die Rosen blühen vor uns, denn wir haben uns den Tisch und einige Stühle in die<br />
Veranda gesetzt…“ Frau Pritze erwähnte auch, dass im Nachbarhaus die Familie Gillmann<br />
mit ihren drei Söhnen anwesend sei.<br />
Am 1.4.1889 erwarb der Porträtmaler Prof. Max Koner aus Berlin <strong>Haus</strong> und Grundstück von<br />
Frau Pritze. Koners lebten in Berlin, hielten sich aber in den Sommermonaten oft in <strong>Berka</strong><br />
auf. Max Koner wurde von den <strong>Berka</strong>ern der „ Kaisermaler“ genannt. Er hatte Kaiser Wilhelm<br />
und seine Familie mehrfach porträtieren dürfen. 1893 stifteten Max und seine Gemahlin
Sophie Koner der <strong>Berka</strong>er Kirche einen neuen Altar. 1894 spendete Frau Koner noch einen<br />
kostbaren Behang für den Altar.<br />
1900 erwarb Max Koner auch das oberhalb liegende Grundstück mit Gartenhaus von den<br />
drei Erben <strong>des</strong> Johann Philipp Thöl. Die Grundstücke waren mit großen alten Bäumen<br />
bestanden, mit Bux-und Blumenbeeten, verschlungenen Wegen und Steinskulpturen<br />
gestaltet.<br />
Für die <strong>Berka</strong>er Schüler war es in jedem Schuljahr ein Höhepunkt, das „<strong>Haus</strong> <strong>Nachtigal</strong>“ zu<br />
besuchen. Sie besichtigten die Waffen, Schilde, Speere und andere Gebrauchsgegenstände<br />
der Afrikaner, die Gustav <strong>Nachtigal</strong> von seinen Reisen mitgebracht und die man immer noch<br />
im <strong>Haus</strong> aufbewahrt hatte. Besonders interessant fanden die Kinder ein vom Maler Koner<br />
geschaffenes großes Wandgemälde. Es zeigte einen schwarzen Stammeshäuptling im<br />
vollen Schmuck, der kniend einem weißen Mann Geschenke und Früchte überreicht. Im<br />
Hintergrund waren Krieger mit Waffen abgebildet. Die Lehrer erzählten den Kindern vom<br />
Leben und Wirken <strong>des</strong> <strong>Afrikaforschers</strong>.<br />
Nicht vergessen war auch mehrere Jahrzehnte in <strong>Berka</strong> die englische Familie Thöl. In dieser<br />
Zeit war der Adelsberghang rechts vom heutigen Martha – Stein –Weg noch nicht bebaut. Im<br />
Winter war dort eine der beliebtesten Rodelbahnen. Die Kinder bezeichneten sie aber nicht<br />
„Am Adelsberg“, sondern „Beim Engländer“.<br />
Der Porträtmaler Max Koner starb am 7.Juli 1900. Seine Erben, Frau Sophie Koner, sein<br />
Sohn und die Tochter, lebten in Berlin, kamen aber im Sommer regelmäßig nach <strong>Berka</strong>. In<br />
den 1920er Jahren war das <strong>Haus</strong> an den Arbeiter Franz Freliki und seine Familie vermietet.<br />
Nach den Adressverzeichnissen von <strong>Bad</strong> <strong>Berka</strong> wohnte ab 1929 die Malerin Saskia Sophie<br />
Koner, die Tochter <strong>des</strong> Porträtmalers Max Koner, im <strong>Haus</strong>. Sie wurde als Eigentümerin<br />
bezeichnet. Ab den 1940er Jahren wird auch ihre Gesellschafterin Frl. Filitz erwähnt. Nach<br />
dem Tod der beiden Damen verkaufte man das <strong>Haus</strong> 1982 an die LPG. Seit 1984 ist Hans<br />
Schroth Eigentümer <strong>des</strong> gepflegten Grundstückes.<br />
In <strong>Bad</strong> <strong>Berka</strong> lebte und wirkte von 1890 bis zu seinem Tod am 15. Januar 1946 der<br />
Medizinalrat und Bezirksarzt Dr. Gustav <strong>Nachtigal</strong>. Er war ein beliebter und geschickter Arzt,<br />
der Tag und Nacht für seine Patienten im Einsatz war. Seine Praxis befand sich in der<br />
Ilmstraße, ein kleines Krankenhaus, das ihm unterstand, in der Johann-Scholz-Straße.<br />
In <strong>Bad</strong> <strong>Berka</strong> gab es viele Meinungen über den evtl. Verwandtschaftsgrad der beiden<br />
<strong>Nachtigal</strong>s. Tatsächlich waren beide miteinander verwandt, haben sich auf Grund <strong>des</strong><br />
Altersunterschie<strong>des</strong> aber nie kennengelernt. Der Vater <strong>des</strong> Afrikaforscher Dr. <strong>Nachtigal</strong> und<br />
der Großvater <strong>des</strong> <strong>Bad</strong> <strong>Berka</strong>er Medizinalrats Dr. <strong>Nachtigal</strong> waren Brüder.<br />
Ludwig Häfner