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Islam In Baden-WürttemBerg - Robert Bosch Stiftung

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ei uns daheim<br />

<strong>Islam</strong> <strong>In</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>WürttemBerg</strong><br />

Ein Magazin der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl<br />

Eine Beilage der Zeitungen


editorial<br />

Meist ist Aufregung mit im Spiel, wenn Medien über Muslime<br />

in Deutschland berichten. Da wird eine evangelische Vikarin<br />

entlassen, weil sie einen Muslim zum Ehemann hat; da wird<br />

eine muslimische Lehrerin entlassen weil sie ein Kopftuch<br />

trägt; da wird der Bau jeder neuen Moschee als Störung des<br />

Normalbetriebs notiert.<br />

Dieses Medienbild steht allerdings im Kontrast zur Wirklich-<br />

keit in unserem Land, in dem Christen, Muslime, Juden und<br />

Nicht-Gläubige doch fast überall und immer friedlich und<br />

mit Respekt voreinander zusammenleben. Und dennoch: die<br />

Lebenswelt vieler Muslime bleibt den meisten Nicht-Muslimen<br />

vielfach fremd. Daher haben junge Reporter, allesamt Absolventen<br />

der Reutlinger Journalistenschule, <strong>Baden</strong>-Württemberg<br />

von Freiburg bis Ulm durchstreift, um nach Alltagsgeschichten<br />

von muslimischen Mitbürgern zu suchen.<br />

Gefunden haben sie zum Beispiel die junge Modemacherin<br />

Yasemin Yesil in Karlsruhe, die auf einer Modeschule ihr<br />

Handwerk lernte und jetzt trendy fashion für Musliminnen<br />

macht – bald in ihrer eigenen Firma. Sie haben eine Lamm-<br />

Schlachterei besucht, in der nach islamischem Recht geschlachtet<br />

wird und dennoch alle Tierschutzbestimmungen<br />

eingehalten werden. Und sie haben <strong>Baden</strong>-Württembergs<br />

kleinste Moschee auf der Schwäbischen Alb entdeckt – ausgerechnet<br />

in einem ehemaligen, umgebauten Schweinestall.<br />

Übrigens hatten die meisten jungen Muslime, denen die<br />

Reporter begegneten, ein recht entspanntes Verhältnis<br />

zum <strong>Islam</strong> – und unterschieden sich damit kaum von ihren<br />

christlichen Altersgenossen. Es gibt, so das Fazit der jungen<br />

Journalisten, eine spannende Welt in unserer Nachbarschaft<br />

zu entdecken – jenseits der Aufgeregtheit.<br />

Dr. Ulrich Bausch<br />

Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl<br />

an der Volkshochschule Reutlingen<br />

Dr. Olaf Hahn<br />

<strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong><br />

dr. Ulrich Bausch dr. Olaf Hahn


Liebe Leserinnen und Leser,<br />

das Angebot an klassischen und neuen Medien war noch nie<br />

so groß wie heute. Diese wachsende Vielfalt hat viele positive<br />

Seiten. Jedoch bringt der immer schärfere Wettbewerb<br />

um das knappe Gut der Aufmerksamkeit ein gravierendes<br />

Problem mit sich: Das Spektakuläre und Extreme verdrängt<br />

viel zu oft das Alltägliche und Gewöhnliche.<br />

Minderheiten generell, und gerade auch Muslime, sind da­<br />

von in unserem Land besonders betroffen. Der kleine Anteil<br />

an Menschen mit gravierenden <strong>In</strong>tegrationsproblemen, extremeren<br />

Einstellungen und traditioneller Kleidung dominiert<br />

oft die Berichterstattung. Die große Mehrzahl der Muslime,<br />

die ihren Weg in unsere Gesellschaft längst gefunden<br />

hat und Religion ganz unterschiedlich oder auch gar nicht<br />

lebt, findet sich in diesen Darstellungen nicht wieder. Der<br />

Nobelpreisträger Amartya Sen hat diese Blickverengung<br />

der Öffentlichkeit als „Identitätsfalle“ erkannt. Er hat davor<br />

gewarnt, dass über solche Vereinfachungen Menschengruppen<br />

gegeneinander abgeschottet und die Freiheiten<br />

der Einzelnen eingeschränkt würden. Im Alltag äußert sich<br />

dies in Klischees – etwa, wenn Muslime erklären müssen,<br />

warum sie nicht fünfmal täglich beten oder versichern<br />

sollen, dass sie sich ihren Ehepartner durchaus selbst<br />

aussuchen dürfen.<br />

Daher begrüße ich es sehr, dass sich Absolventen der<br />

„Zeiten spiegel­Reportageschule Günter Dahl“ in Reutlin­<br />

gen der Aufgabe gestellt haben, die real existierende und<br />

alltägliche Vielfalt hinter dem Sammelbegriff des „<strong>Islam</strong> in<br />

<strong>Baden</strong>­Württemberg“ darzustellen. Hier kommen jene zu<br />

Wort und Bild, die Klischees widerlegen: die junge Modedesignerin,<br />

die selbstbewusst ihren Weg geht, der schwäbisch­muslimische<br />

Banker oder die alte Dame, die mit<br />

dem Dorf­Imam Kaffee trinkt. Der <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong><br />

ist es zu verdanken, dass diese Berichterstattung abseits<br />

der manchmal übersteigerten Schlagzeilenwettbewerbe<br />

möglich geworden ist. Sie setzt durch ihr Engagement ein<br />

wichtiges Zeichen.<br />

Hannah Arendt hat uns erinnert: „Nicht der Mensch be­<br />

wohnt diesen Planeten, sondern Menschen. Die Mehrzahl<br />

ist das Gesetz der Erde.“ <strong>In</strong>dem diese Vielfalt eine Stimme<br />

erhält, wird dieser Reichtum unserer Gesellschaft sichtbar.<br />

Daher danke ich allen Beteiligten dieses Projektes und allen<br />

Leserinnen und Lesern, die dem Ergebnis ihre Aufmerksamkeit<br />

schenken.<br />

Winfried Kretschmann<br />

Ministerpräsident des Landes <strong>Baden</strong>­Württemberg<br />

Foto: Julia Grudda<br />

1


<strong>In</strong>haltsverzeichnis<br />

Editorial und Grußwort Seite 1<br />

Was junge Muslime über Religion denken Seite 4<br />

Im Bilde Seite 6<br />

Allahs Bank<br />

Der <strong>Islam</strong> verbietet Zinsen. Für die Kuveyt Türk Bank ist das nicht nur ein frommer Wunsch Seite 12<br />

Auf Respekt kommt es an<br />

Der Unternehmer Turgay Güngormus kam als Einwandererkind nach Deutschland Seite 16<br />

Die Moschee im Dorf lassen<br />

<strong>In</strong> Oberstetten liegen Kirche und Moschee in Rufweite. Geschichte einer Annäherung Seite 18<br />

Von Elefanten und türkischen Gärten<br />

Die Kulturgeschichte zwischen Württemberg, <strong>Baden</strong> und dem Orient Seite 21<br />

Imam made in Tübingen<br />

Deutsche Hochschulen bilden muslimische Geistliche aus. Über ein Fach mit Vorbildcharakter Seite 23<br />

„Wir sollten Andersgläubige als Bereicherung begreifen“<br />

<strong>In</strong>terview mit <strong>In</strong>tegrationsministerin Bilkay Öney Seite 26<br />

Der Teufel & die Töchter<br />

Gewalt gegen Frauen hat nichts mit Religion, aber viel mit Tradition zu tun Seite 28<br />

Glaube, Liebe, Hochzeit<br />

Besuch bei einem christlich-muslimischen Ehepaar Seite 32<br />

„Wir glauben an den einen Gott“<br />

Über Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Muslimen Seite 34<br />

Der <strong>Islam</strong> in Zahlen Seite 36<br />

Locker 30 Kopftücher<br />

Die Modemacherin Yasemin Yesil entwirft Kleider für junge Musliminnen Seite 38<br />

2


Allahs Bank S 12 Imam made in Tübingen S 23 Locker 30 Kopftücher S 38<br />

Verboten verboten verboten<br />

Die deutsche Friedhofsordnung und islamische Beerdigungsriten passen nicht immer zusammen Seite 42<br />

Gelernte Toleranz<br />

Was lernen junge Muslime in einer Koranschule? Seite 44<br />

Ausnahme nur für Profis<br />

Fußballspieler, die sich an die Fastenregeln halten, sind eindeutig im Nachteil Seite 46<br />

Auf Messers Schneide<br />

Wie in einem Schlachthof religiöse Regeln und deutsches Tierschutzgesetz beachtet werden Seite 48<br />

Die friedliche Tour<br />

<strong>In</strong> Nürtingen vermitteln Bürgermentoren in Konfliktfällen zwischen Besuchern und Nachbarn einer Moschee Seite 51<br />

Die Entscheidung<br />

Zwei Konvertiten erzählen, warum sie die Religion gewechselt haben Seite 54<br />

<strong>Islam</strong> in aller Kürze Seite 56<br />

Impressum Seite 57<br />

Fotos Titel: Rainer Kwiotek, Antonia Zennaro, Eric Vazzoler, Christoph Püschner, Thomas Kienzle, Benny Ulmer<br />

Fotos <strong>In</strong>haltsverzeichnis (v.l.n.r.): Eric Vazzoler, Thomas Kienzle<br />

3


Was junge Muslime über Religion<br />

Amin Mahgoub, 25,<br />

arbeitet als Zahnarzt<br />

in Pforzheim<br />

Der <strong>Islam</strong> ist für mich von zentraler<br />

Bedeutung. Mit seinen Geboten und<br />

Verboten ist er der Leitfaden für mein<br />

Leben und alles, was mich nach dem<br />

Tod erwartet. Als frommer Mensch<br />

muss ich in manchen Bereichen zurückstecken,<br />

aber das tue ich gern, denn im<br />

Jenseits erwartet mich die Belohnung.<br />

Eigentlich ist es total banal, die Gebote<br />

und Verbote einzuhalten. Wenn ich<br />

unterwegs bin, fahre ich eben auf den<br />

Auto bahnparkplatz und bete dort. Und<br />

in anderen Städten suche ich die nächs­<br />

te Moschee übers Handy im <strong>In</strong>ternet.<br />

Früher war mir nicht klar, warum ich auf<br />

dieses oder jenes verzichten, dieses<br />

oder jenes tun sollte. Aber seitdem ich<br />

mich mit dem <strong>Islam</strong> beschäftige, wird<br />

mein Glaube immer fester. Je mehr<br />

Wissen ich sammle, desto stabiler<br />

wird das Fundament. Gott zu preisen<br />

gibt mir innere Ruhe.<br />

Viele Menschen rennen dem Glück<br />

hinterher. Sie kaufen etwas, um glücklich<br />

zu sein und merken dann: das ist<br />

es doch nicht. Was nicht heißen soll,<br />

dass man auf alles Weltliche verzichten<br />

sollte. Wer den Koran verstanden<br />

hat, ob arm oder reich, ist glücklich.<br />

4<br />

Ayten Bulut, 29,<br />

studiert Jura in Heidelberg<br />

Kurz vor dem Abitur entschied ich<br />

mich, das Kopftuch zu tragen. Meine<br />

Mutter fragte: „Möchtest du nicht noch<br />

ein Jahr warten?“ Sie hatte Angst,<br />

dass sich das auf meine Noten auswirken<br />

könnte. Meine Freundinnen waren<br />

ein wenig überrascht, haben sich aber<br />

schnell daran gewöhnt.<br />

Ich habe mich schon immer als Deutsche<br />

und als Muslimin gefühlt. Das ist<br />

für mich kein Widerspruch, ich bin ja<br />

auch Tochter, Ehefrau, Studentin und<br />

vieles mehr zugleich. Kein Mensch hat<br />

nur eine einzige Identität. Dennoch: <strong>In</strong><br />

zwei Kulturen zuhause zu sein, heißt<br />

mitunter auch, in keiner richtig zuhause<br />

zu sein. Alkohol und Beziehungen etwa<br />

waren nie ein Thema für mich – anders<br />

als für viele Jugendliche um mich herum.<br />

Wenn ich in der Türkei bin, vermisse<br />

ich wiederum die Ordnung und Verlässlichkeit,<br />

die ich aus Deutschland kenne.<br />

Als gläubige Muslimin muss ich Kompromisse<br />

eingehen. Mit meinem Kopftuch<br />

kann ich zum Beispiel nicht als<br />

Staatsanwältin arbeiten. Also werde<br />

ich Rechtsanwältin. Umgekehrt ist es in<br />

islamisch geprägten Ländern nicht üblich,<br />

Männern zur Begrüßung die Hand<br />

zu geben. Ich mache es aber trotzdem,<br />

einfach weil es hier in Deutschland eine<br />

höfliche Geste ist.<br />

Demet Bozkurt, 19,<br />

macht Abitur in Stuttgart<br />

Jeder lebt seinen Glauben doch so,<br />

wie er es in der Familie gelernt hat. Das<br />

schaut man sich ab. Wir Aleviten gehen<br />

zum Beispiel nicht in die Moschee,<br />

um zu beten, sondern in ein Cemhaus,<br />

ein Gemeindehaus. Im Grunde kann<br />

ich mich Gott aber überall nahe fühlen.<br />

Eigentlich spüre ich kaum, dass ich in<br />

diesem Land einer Minderheit angehöre.<br />

Ich gehe mit Freundinnen und<br />

Freunden weg, ins Kino oder in die<br />

Stadt und trinke auch mal ein Glas<br />

oder zwei, das ist eine Sache zwischen<br />

mir und Gott. Okay, würde ich mit<br />

deutschen Freunden in ein Restaurant<br />

gehen und alle bestellen Schweineschnitzel,<br />

wäre ich halt die Ausnahme.<br />

Dann esse ich eben Pizza, na und?<br />

Alle paar Wochen gehe ich mal in<br />

unsere Gemeinde, wenn ein Fest ist<br />

zum Beispiel. Oft brauchen sie dann<br />

jemanden der mit anpackt. Später<br />

wird gekocht, gegessen und Musik<br />

gemacht, das gefällt mir. Im Alevitischen<br />

Fastenmonat Muharrem faste<br />

ich tagsüber. Das gehört für mich einfach<br />

dazu.


denken<br />

Fotos: Thomas Kienzle, Christoph Püschner<br />

Özgün Göcer, 17,<br />

ist Schüler in Stuttgart<br />

Ich muss gestehen: Das letzte Mal<br />

habe ich kurz vor einer Prüfung gebetet.<br />

Dabei ist mein Vater ein religiöser<br />

Mensch und so etwas wie ein Geistlicher<br />

in der Alevitischen Gemeinde.<br />

Wenn ich die Gemeinde besuche, dann<br />

eher um Freunde zu treffen. Aber im<br />

Grunde ist es für uns Aleviten bereits<br />

eine Form von „Gebet“, sich auszutauschen,<br />

gemeinsam Zeit zu verbringen.<br />

<strong>In</strong> meinem Freundeskreis sind Jungen<br />

und Mädchen aus vielen Ländern<br />

– Deutsche, Türken, Italiener, Araber,<br />

mein bester Freund ist Grieche. Am<br />

Wochenende spielen wir Poker oder<br />

gehen auf ein Bier in die Stadt. Ich achte<br />

allerdings darauf, dass ich nicht zuviel<br />

trinke, weil ich nicht die Kontrolle<br />

verlieren möchte. Es gibt eine Regel im<br />

Alevitentum, sie lautet übersetzt quasi:<br />

„Achte auf deine Lende, deine Hände<br />

und deine Zunge!“ Im Kern geht es<br />

darum, seinen Mitmenschen und sich<br />

selbst nicht zu schaden. Also bestelle<br />

ich nach dem dritten Bier nur noch<br />

Cola. Bin ich deshalb schon religiös?<br />

Vielleicht.<br />

Kübra Kücük, 22,<br />

studiert Kultur- und<br />

Medienbildung in<br />

Ludwigsburg<br />

Ich verstehe nicht, warum ein Kopftuch<br />

so viele Menschen irritiert. Es<br />

hat doch eine lange Tradition, auch<br />

in Europa. Doch die Medien haben es<br />

für „fremd“ erklärt und den Menschen<br />

die Entscheidung abgenommen selbst<br />

über seine Fremd­ oder Vertrautheit zu<br />

reflektieren. Einerseits fühle ich mich<br />

zuhause in Deutschland, schließlich<br />

bin ich hier aufgewachsen. Aber es<br />

gibt immer wieder Menschen, die mich<br />

ansehen als wollten sie sagen: Du<br />

gehörst hier nicht her!<br />

Eine zeitlang habe ich sogar eine Mütze<br />

getragen und gemerkt, dass die Menschen<br />

mir dann offener begegnen. Oder<br />

ich habe mir zum Kopftuch ein Kreuz um<br />

den Hals gehängt, um Nachfragen zu<br />

provozieren. Die Leute sollten erfahren,<br />

warum ich das Kopftuch trage und mich<br />

nicht nach meinem Äußeren beurteilen.<br />

<strong>In</strong> der Türkei ist es auch nicht überall<br />

einfach. <strong>In</strong> einigen Gegenden ist das<br />

Kopftuch normal, aber in Izmir etwa falle<br />

ich noch viel mehr auf als hier. Und<br />

als ich ein Praktikum beim Fernsehen<br />

gemacht habe und mich über die Arbeitsbedingungen<br />

beklagte, meinten die<br />

Kollegen schmunzelnd: „Die Deutsche<br />

probt wieder den Aufstand.“<br />

Dieses ständige Reflektieren über Wertesysteme<br />

ist ein Teil meines Lebens –<br />

und hilft mir schon jetzt bei meiner Arbeit<br />

in der Kultur­ und Medienbildung.<br />

Man könnte sagen: Ich habe es zu meinem<br />

Beruf gemacht.<br />

Yassin Günther, 18,<br />

macht eine Ausbildung<br />

zum <strong>In</strong>dustriemechaniker<br />

in Pforzheim<br />

Seit ich meinen Glauben ausübe, gibt<br />

er mir Zuversicht und Hoffnung, innere<br />

Ruhe und Frieden. Das hat mir bei der<br />

Ausbildungssuche geholfen. Ich bin<br />

sehr selbstbewusst in die Vorstellungsgespräche<br />

gegangen. Früher hatte ich<br />

Ängste, habe mir Gedanken gemacht,<br />

ob das alles stimmen kann. Aber ich<br />

weiß inzwischen, dass ich auf Allah vertrauen<br />

sollte, und dass er mir hilft.<br />

Mir ist klar geworden, dass die Wissenschaft<br />

den Koran bestätigt. Über<br />

den Ursprung des Universums haben<br />

die Wissenschaftler ja die Urknalltheorie.<br />

Genauso gibt es im Koran einen<br />

Vers, der besagt, dass Himmel und<br />

Erde eins waren und sich dann teilten.<br />

Das bestätigte meinen Glauben. Im<br />

Koran ist alles so detailliert erklärt,<br />

das kann sich niemand vor 1.400 Jahren<br />

ausgedacht haben.<br />

Ich bin solo und noch nicht verheiratet,<br />

deshalb enthalte ich mich. Das ist<br />

in Ordnung. Ich komme damit klar. Ich<br />

finde es auch viel schöner, jungfräulich<br />

in die Ehe zu gehen. Die Ehe läuft dann<br />

viel besser und das Familienleben wird<br />

dadurch geschützt.<br />

5


Sehnaz Korkmaz arbeitet beim<br />

„<strong>In</strong>terkulturellen Pflegedienst Can“,<br />

sie besucht täglich bis zu 15 Patienten.<br />

6


Foto: Benny Ulmer<br />

Kenan Can<br />

Kulturpflege<br />

Viel kann Sehnaz Korkmaz heute nicht für ihre Klientin tun.<br />

Deren Diagnose lautet: Multiple Sklerose im Endstadium.<br />

Und obwohl der Koran Kranke von bestimmten religiösen<br />

Pflichten ausnimmt, besteht die 60­jährige Türkin darauf zu<br />

fasten. Es ist Ramadan – wichtiger als jeder medizinische<br />

Ratschlag ist ihr, dass Sehnaz Korkmaz ihr einige Suren aus<br />

dem Koran vorliest.<br />

Sehnaz Korkmaz, 23, arbeitet beim „<strong>In</strong>terkulturellen Pflegedienst<br />

Can“ in Stuttgart. Das von Kenan Can gegründete<br />

Unternehmen ist auf die Pflege und Betreuung von Migranten<br />

spezialisiert. Darunter sind viele Türken, aber<br />

auch Albaner, Iraner, <strong>In</strong>der oder Afghanen. Gerade Muslime<br />

schätzen die Dienste von Cans Mitarbeitern, die selbst<br />

meist Migranten sind, verschiedene Sprachen sprechen und<br />

sich in der Kultur ihrer Klienten auskennen. „Es fängt schon<br />

damit an, dass man die Schuhe auszieht, bevor man eine<br />

Wohnung betritt“, sagt Kenan Can. Oder, dass man weiß,<br />

wie die rituelle Gebets waschung funktioniert.<br />

Als Kenan Can nach seiner Ausbildung zum Kranken­ und<br />

Alten pfleger und einer Weiterbildung zum Pflegemanager<br />

einen ambulanten Dienst für Migranten aufmachen woll­<br />

te, rieten ihm seine Dozenten ab. Statistiken zufolge nahm<br />

kaum ein Ausländer Pflegedienste in Anspruch. „Das hat<br />

einen einfachen Grund“, weiß Can heute. „Es gab kein<br />

vergleichbares Angebot.“ Der Erfolg gibt ihm Recht: Zwei<br />

Jahre nach der Gründung beschäftigt Kenan Can 50 Mitarbeiter,<br />

demnächst macht er eine Zweigstelle in Heilbronn<br />

auf, zum Ende des Jahres ist die Eröffnung eines Altenheims<br />

geplant. Als Sehnaz Korkmaz ihre Stelle antrat, erinnerten<br />

Freunde sie daran, dass es im <strong>Islam</strong> tabu sei, fremde Männer<br />

zu berühren. „Aber in Notlagen ist es erlaubt“, entgegnete<br />

sie. „Und wenn ein Mensch niemanden hat, der ihn pflegt,<br />

dann ist das eine Notlage.“<br />

7


Freitagsgebet in der Yavuz­Sultan­Selim­<br />

Moschee in Mannheim. Das größte muslimische<br />

Gotteshaus <strong>Baden</strong>­Württembergs bietet Platz<br />

für bis zu 2.500 Gläubige.<br />

8


Fotos: Rainer Kwiotek (links), Antonia Zennaro (rechts)<br />

Mesut Palanci<br />

Grenzgänger<br />

Das Freitagsgebet ist Mesut Palanci, 43, ebenso vertraut<br />

wie die Sitzungen des CDU­Ortsverbandes Karlsruhe­Oststadt.<br />

Palanci ist Muslim – und Christdemokrat. Wie geht<br />

das zusammen?<br />

„Ich kann mich mit den Werten der CDU identifizieren“, sagt<br />

Palanci. Familie, Umweltschutz, Frömmigkeit: <strong>In</strong> dieser Kombination<br />

finde er das in keiner anderen Partei. Doch es gibt<br />

auch Stoff für Diskussionen: Doppelte Staatsbürgerschaft,<br />

Kopftuchdebatte, <strong>In</strong>tegrationsfragebogen und zuletzt Thilo<br />

Sarrazin. Der ist zwar in der SPD, erntete aber auch im Ortsverband<br />

von Mesut Palanci viel Applaus. „Es müssen ja nicht<br />

immer alle einer Meinung sein“, sagt der und lächelt milde.<br />

Er hat sich daran gewöhnt, auch mal quer zu schlagen.<br />

Schließlich findet sich in seiner Moschee auch kein zweiter<br />

Vater, der seine Kinder auf eine Waldorfschule schickt.<br />

Mesut Palanci wurde 1969 in Mardin in der Türkei nahe der<br />

syrischen Grenze geboren, in einer Stadt, in der Christen<br />

ebenso zu Hause sind wie Muslime. Als er zwei Jahre alt<br />

war, zog die Familie nach Deutschland. Grundschule, Hauptschule,<br />

Realschule, Technisches Gymnasium, Studium der<br />

Elektrotechnik. Heute ist er Programmierer bei einer Telefonfirma.<br />

Palanci arbeitete sich geduldig nach oben in der<br />

neuen Heimat, die immer ein wenig Fremde blieb. „Mein Leben<br />

hätte leicht anders verlaufen können“, sagt er in klarstem<br />

Hochdeutsch – aber eben nicht in Karlsruher Mundart.<br />

Aus den ersten Kontakten mit CDU­Mitgliedern, die Palanci<br />

1998 im Anschluss an ein Stadtteiltreffen knüpfte, haben<br />

sich zum Teil gute Freundschaften entwickelt. Seither steht<br />

auf dem Stammtisch zwischen lauter Biergläsern eben auch<br />

eine Apfelschorle. Klar habe es Leute gegeben, die ihn<br />

raushaben wollten aus der CDU. Palanci denkt nicht dran:<br />

„Dann hätten die ja gewonnen!“<br />

9


Alltag im Karlsruher Kinderspielhaus:<br />

Das Kopftuch stört die Kleinen nicht.<br />

10


Foto: Thomas Kienzle<br />

Stoff<br />

für<br />

Konflikte<br />

Ein ganz normaler Vormittag bei den „Burgzwergen“ in<br />

Karlsruhe­Grünwinkel. Dass ihre Erzieherinnen Rabia Okumus,<br />

27, und Ayten Yazici, 29, Kopftuch tragen, stört die<br />

Krippenkinder nicht – anders als den Gesetzgeber. Seit 2006<br />

verbietet das Kindertagesbetreuungsgesetz für <strong>Baden</strong>­<br />

Württemberg „religiöse Bekundungen“ von Kindergartenpersonal.<br />

Privaten Einrichtungen steht es zwar frei, Erzieherinnen<br />

mit Kopftuch einzustellen, doch kaum jemand tut<br />

es. Manchmal stehen eigene Vorurteile im Weg, meist die<br />

Angst vor Elternprotesten.<br />

„Ich kenne viele türkischstämmige Erzieherinnen, die zu<br />

Hause sitzen“, sagt Ayten Yazici. Und das, obwohl sie wegen<br />

ihrer Zweisprachigkeit eigentlich gefragt sind. Rabia<br />

Okumus musste gar fünf Jahre warten, bis sie ihr Anerkennungsjahr<br />

absolvieren konnte, das auf die dreijährige<br />

Fachschulausbildung folgt. Es fand sich schlicht niemand,<br />

der sie einstellte. „Einmal hat man mir sogar mehr Lohn<br />

als üblich angeboten, wenn ich ohne Kopftuch zur Arbeit<br />

komme“, erzählt sie. Schließlich bekam sie ihre Chance im<br />

Karlsruher Halima­Kindergarten. Die Einrichtung wurde<br />

1999 von Muslimen gegründet, betreut aber auch Kinder<br />

von Deutschen.<br />

Auch Ayten Yazicis Karriere begann im Halima­Kindergarten,<br />

im Anschluss bekam sie eine Stelle im Kinderspielhaus<br />

in Karlsruhe­Grünwinkel, dessen pädagogische Leiterin sie<br />

heute ist. Mittlerweile arbeitet hier auch Rabia Okumus, anderthalb<br />

Stunden Arbeitsweg zum Trotz. „Religion bleibt<br />

draußen“, stellt Geschäftsführer Holger Roolf klar. Was<br />

seine Mitarbeiterinnen auf dem Kopf tragen, ist ihm jedoch<br />

egal. Den Eltern nach anfänglichem Zögern auch. Nur die<br />

„Burgzwerge“ sehen es kritischer: Rabias graues Kopftuch<br />

finden sie ein bisschen langweilig. „Aber das pinke“, sagen<br />

sie, „steht dir richtig gut!“<br />

11


Ertugrul Erden, 37, aus Mannheim möchte ein gottgefälliges<br />

Leben führen. „Doch ich kann ja nicht<br />

einfach zur Commerzbank gehen und sagen: Ich<br />

will keine Zinsen mehr!“ Zinsen zu nehmen ist laut<br />

Koran verboten. Jetzt hat in Mannheim eine neue Bank eröffnet,<br />

für die genau das selbstverständlich ist: die Kuveyt Türk<br />

Beteiligungsbank, die erste islamische Bank Deutschlands.<br />

Die Filiale in einem Altbau am Ende der Einkaufsstraße<br />

liegt nur wenige hundert Meter entfernt vom türkischen<br />

12<br />

ALLAHS<br />

BANK<br />

Kein Dispo, keine Umfinanzierung, keine Konsumkredite:<br />

Woran andere Banken verdienen, ist für die Kuveyt Türk Bank tabu.<br />

Sie arbeitet nach islamischen Regeln, was Sicherheit in turbulenten<br />

Zeiten verspricht. Das entdecken jetzt auch deutsche Kunden<br />

„Diejenigen, die Zins nehmen, werden nicht<br />

anders dastehen als wie einer, der vom Satan erfasst<br />

und geschlagen ist.“ (Koran, Sure 2, Vers 275)<br />

Viertel, zwischen Apotheke und „Eriks Holland-Blumenladen“.<br />

Der helle Geschäftsraum ist menschenleer: links vier<br />

unbesetzte Schalter, auf einem Bildschirm darüber läuft türkisches<br />

Fernsehen. Auf den Tischen: Kugelschreiber, Tassen,<br />

Bonbons mit dem Logo der Bank, eine goldene Palme auf<br />

grünem Grund, ein Hinweis auf den Haupteigentümer der<br />

Bank: das Emirat Kuwait.<br />

Geschäftsführer Ugurlu Soylu, 42, ist ein gemütlicher Mann<br />

mit sanfter Stimme, Vollbart und roter Krawatte. Das Ausbleiben<br />

der Kunden erklärt er so: „Wir haben noch keine<br />

Vollbanklizenz. Das kann noch ein oder zwei Jahre dauern.“<br />

Bisher dürfe er Kunden nur an die Mutterbank in der Türkei<br />

vermitteln. Noch brüten die deutschen Behörden offenbar<br />

über den Besonderheiten der muslimischen Finanzwelt.


Geschäftsführer Ugurlu<br />

Soylu vor der Kuveyt Türk<br />

Bank in Mannheim.<br />

13


„Hinter jedem Geldfluss muss ein reales Gut stehen“, erklärt<br />

Soylu das Prinzip islamischen Bankwesens. Der Handel mit<br />

Geld an sich ist verboten – und damit jede Art von Zinsen.<br />

„Wir verleihen grundsätzlich kein Geld.“ Bei der Kuveyt<br />

Türk gibt es keinen Dispo, keine Umfinanzierungen und<br />

keine Konsumkredite.<br />

Soylu erklärt das Geschäftsmodell an einem Beispiel: Kauft<br />

man einem Fischer alle am Tag gefangenen Fische ab, ist das<br />

ein normales Geschäft – allerdings nur, wenn sie schon gefangen<br />

wurden. Schwimmen sie noch im Meer und man vereinbart<br />

vorab, den Fang des Tages zu kaufen, ist das ein zu<br />

unsicheres Geschäft: Der Fischer könnte nichts fangen oder<br />

viel mehr als erwartet. Die Lösung: Man beteiligt sich am<br />

Unternehmen des Fischers, zahlt den Preis für die Arbeit der<br />

Besatzung, Benzin und Verschleiß – und hat am Ende des<br />

Tages de facto trotzdem den gesamten Fang. Oder eben gar<br />

nichts, falls die Netze leer bleiben oder das Schiff sinkt.<br />

So gibt es auf Sparkonten bei der Kuveyt Türk zwar keine<br />

festen Zinsen, aber am Ende des Jahres steht ein Ertrag: der<br />

Anteil am Erfolg der Unternehmen, in die die Bank investiert.<br />

Das Risiko wird zwischen Anleger und Bank geteilt – machen<br />

die Unternehmen Verlust, verliert auch das Sparkonto. „Theoretisch“,<br />

sagt Soylu, „real kommt das nie vor.“<br />

Noch geschickter umgangen werden die Verbote der Scharia,<br />

wenn ein Kunde Geld braucht, zum Beispiel um ein<br />

Haus zu kaufen. Allah hat zwar die Zinsleihe verboten – aber<br />

das Kaufgeschäft erlaubt. Also kauft die Bank das Haus –<br />

und verkauft es sogleich an den Kunden weiter. Der Betrag<br />

wird in Raten abbezahlt, die Höhe des Aufschlags, den die<br />

Bank erhebt, unterscheidet sich dabei kaum von den Zinsen<br />

westlicher Immobilienkredite. Ähnlich funktionieren die<br />

Kreditkarten: Hier wird der Kunde kurzfristig zum Vertreter<br />

der Bank, kauft in ihrem Namen zum Beispiel eine Armbanduhr<br />

– und verkauft sie im selben Moment an sich selbst<br />

weiter.<br />

Wie wettbewerbsfähig die islamischen Banken sind, zeigte<br />

eine Studie des <strong>In</strong>ternationalen Währungsfonds (IWF) zur<br />

Entwicklung islamischer Banken in der Finanzkrise: Während<br />

konventionelle Banken im Jahr 2008 durchschnittlich<br />

über 30 Prozent Verlust machten, waren es bei den islamischen<br />

Banken weniger als zehn Prozent. Größere Einbrüche<br />

14<br />

kamen erst im Jahr danach, als die Finanzkrise die Realwirtschaft<br />

traf. Doch keine einzige islamische Bank musste<br />

Konkurs anmelden, keine musste verstaatlicht werden. <strong>In</strong>sgesamt,<br />

so das Fazit der Studie, waren islamische Banken in<br />

der Krise stabiler. Auch die aktuelle Euro-Krise werden sie<br />

wohl deutlich besser überstehen: Die Staatsanleihen, die den<br />

Geldinstituten derzeit zu schaffen machen, sind Zinsgeschäfte,<br />

an denen sich islamische Banken nicht beteiligen.<br />

Wie hoch die Nachfrage nach einer solchen Bank in<br />

Deutschland tatsächlich ist, hat die Unternehmensberatung<br />

Booz & Company untersucht. Rund 15 Prozent der in<br />

Deutschland lebenden Muslime, so ihr Ergebnis, würden<br />

ihr Geld bei einer islamischen Bank anlegen. Andere Experten<br />

halten diese Zahlen für utopisch, schließlich sei die<br />

Nachfrage nach islamischen Produkten bei konventionellen<br />

Banken verschwindend gering. Zudem liege der Marktanteil<br />

in der Türkei, aus der die meisten deutschen Muslime<br />

stammen, gerade einmal bei sechs bis sieben Prozent. Die<br />

Skepsis scheint berechtigt. Doch ebenso die Hoffnung.<br />

„Die entscheidende Frage ist, ob auch wir Nicht-Muslime<br />

eine faire, ethische Bank wollen“, sagt Dirk Müller-Tronnier,<br />

Bankenexperte von der Wirtschaftsprüfungsfirma<br />

Ernst & Young. „Plausible, nachvollziehbare Produkte sind<br />

auch etwas für Sie und mich.“<br />

Sogar für Menschen wie Philipp Strunz, einen 22-jährigen<br />

Gastronomen aus Mannheim, scheint die muslimische Banker-Version<br />

vielversprechend. Strunz war zufällig auf die<br />

neue Filiale mit der goldenen Palme in der Mannheimer <strong>In</strong>nenstadt<br />

gestoßen. Was ihn am meisten überzeugt hatte, als<br />

er die Filiale als Neukunde verließ, waren allerdings weder<br />

die religiösen Prinzipien noch der ethische Grundgedanke.<br />

Während ihn andere Banken mit Telefonschleifen, Schlangestehen<br />

und mürrischem Personal verschreckten, habe<br />

er hier die typisch orientalische Gastfreundschaft gespürt.<br />

„Hier kommt man rein und wird sofort freundlich beraten.“<br />

Nun wartet er auf die Vollbanklizenz, um auch mit seinem<br />

Girokonto zur Kuveyt Türk umzuziehen. Wenn die Geschäfte<br />

so laufen, wie Geschäftsführer Soylu es sich vorstellt,<br />

könnte es allerdings sein, dass Philipp Strunz auch hier bald<br />

Schlange stehen muss.<br />

Autor: Julius Schophoff<br />

Fotograf: Eric Vazzoler


Kundengespräch in der Kuveyt Türk Bank. Gerade in der Krise setzen Kunden auf Stabilität.<br />

Hochspekulative Termingeschäfte, bei denen Banker<br />

auf Kurse wetten, gelten gleich dreimal als Teufelswerk.<br />

Das wäre Glücksspiel – und das ist im <strong>Islam</strong><br />

verboten. Der Handel mit Aktien an sich ist erlaubt.<br />

Doch es wird nur in Unternehmen investiert, die aus<br />

islamischer Sicht moralisch einwandfrei sind: Waffen,<br />

Drogen, Alkohol, Pornografie oder Handel mit<br />

Schweinefleisch, egal wie profitabel, sind für islamische<br />

Banken deshalb in der Regel tabu. 1975 hat in<br />

Dubai die erste islamische Bank eröffnet, seither<br />

wächst die Branche zweistellig. Heute gibt es weltweit<br />

über 500 Banken, ihre Bilanzsumme lag 2010 bei<br />

über einer Billion Dollar; das Potential wird auf das<br />

Vierfache geschätzt.<br />

15


Am Wochenende kommt Turgay Güngormus<br />

dem Himmel manchmal ein wenig näher. Dann<br />

steigt er in eine Cessna und dreht er ein paar<br />

Runden über dem Remstal. „Da obe kann ich<br />

abschalde“, sagt er mit schwäbischem Zungenschlag. Aber es<br />

geht auch etwas bodenständiger, etwa wenn der 50-Jährige<br />

eine Spritztour in seinem himmelblauen VW Bulli, Baujahr<br />

65, unternimmt. Rechts Weinberge, links Weinberge, das<br />

macht durstig, und wenn der Oldtimer wieder in der Garage<br />

steht, gießt der Fahrer sich schon mal ein Glas Lemberger<br />

ein. Durchatmen. Die Woche wird anstrengend genug.<br />

Turgay Güngormus wurde 1961 in Samsun in der Türkei geboren.<br />

Als er elf Jahre alt war, folgte die Familie dem Vater<br />

nach Deutschland, der Arbeit in einem Lederwerk in Backnang<br />

gefunden hatte. Turgay sprach kaum ein Wort Deutsch,<br />

16<br />

Auf Respekt<br />

kommt es an<br />

Turgay Güngormus ist den langen Weg vom Einwandererkind<br />

zum schwäbischen Unternehmer gegangen. Die Kulturen und<br />

Religionen sollten sich mehr für einander interessieren, findet er.<br />

Dann falle es leichter, sich gegenseitig zu akzeptieren<br />

den Hauptschulabschluss schaffte er mit Ach und Krach, begann<br />

eine Lehre zum Elektroinstallateur. Halt gaben ihm die<br />

Sportvereine: erst Fußball, dann Taekwondo, später Tennis,<br />

Squash, Radfahren. Auf Jahre als Monteur, Vertriebler und<br />

Selbstständiger folgte eine Stelle als Geschäftsführer bei der<br />

Triumph Adler Gruppe. Seit 2001 lenkt er die Geschicke des<br />

Anlagenbauers Keress in Backnang. Ein kleiner Mittelständler,<br />

familiär, aufrichtig, „genau mein Ding“, sagt Güngormüs.<br />

Als das Unternehmen verkauft werden sollte, griff er zu.<br />

Über die Jahre wuchs sein Anteil, heute ist der Geschäftsführer<br />

auch Mehrheitsgesellschafter der Firma mit 47 Angestellten<br />

und weltweit rund 300 verkauften Anlagen im<br />

Jahr. Dass in den vollautomatischen Edelstahlschränken<br />

mit Sicherheit auch jede Menge Schweinefleisch geräuchert<br />

oder zu Wurst verarbeitet wird, stört den Muslim nicht.


Oben: Rauchanlagen wie diese vertreibt Turgay Güngormus in der ganzen Welt.<br />

Links: Produktionshalle beim Anlagenbauer Keress.<br />

„Das Verbot stammt aus in einer Zeit, in der Fleisch schnell<br />

verdarb und Krankheiten verursachte“, sagt Güngormus –<br />

und fügt hinzu: „Also, das ist meine Meinung, ich würde nie<br />

versuchen, jemanden davon zu überzeugen.“<br />

Überhaupt müsse jeder Mensch seinen Glauben leben dürfen,<br />

findet Güngormus, der mit einer Katholikin verheiratet<br />

ist, die gemeinsamen Töchter sind heute 18 und 24 Jahre alt.<br />

„Weder die eine, noch die andere Religion hat bei ihrer Erziehung<br />

eine große Rolle gespielt“, sagt er. Werte wie Fleiß<br />

und Ehrlichkeit schon eher. „Meine Kinder sollen fürs Leben<br />

gewappnet sein, das sehe ich als meine Aufgabe.“<br />

„Trotzdem glaube ich an eine höhere Macht“, sagt Turgay<br />

Güngormus. Doch näher als in der Moschee fühlt er sich ihr,<br />

wenn er Spenden für Kinder aus bettelarmen Familien in<br />

der Türkei sammelt oder sich im Lions Club für Jugendliche<br />

engagiert. „Trotzdem gratuliere ich natürlich zum Opferfest,<br />

wenn ich auf Dienstreise in der Türkei bin.“ Respekt anderen<br />

gegenüber, darauf kommt es ihm an.<br />

Ob der Glaube eines Tages eine größere Rolle für ihn spielen<br />

wird? Er weiß es nicht. Bei seiner Mutter hat er gesehen, dass<br />

sowas möglich ist. Nach dem Tod des Vaters entdeckte sie,<br />

die selten gebetet und nie ein Kopftuch getragen hatte, plötzlich<br />

die eigene Frömmigkeit. „Der Glaube gibt ihr Halt“, sagt<br />

er. Wer weiß, was ist, wenn er nicht mehr im Sportflugzeug<br />

abheben kann.<br />

Autor: Mathias Becker<br />

Fotograf: Christoph Püschner<br />

17


Die<br />

Moschee<br />

im Dorf<br />

lassen<br />

Blick vom Friedhof auf die Moschee.<br />

<strong>In</strong> Oberstetten, einem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Alb,<br />

haben sich Muslime häuslich eingerichtet, inklusive einer Moschee.<br />

Nicht allen gefällt das<br />

18<br />

Freitagsgebet in<br />

der Moschee im<br />

schwäbischen<br />

Oberstetten.


Der Muezzin erhebt sich aus einer Gruppe von<br />

fünfzig knienden Greisen, Männern und Jungen,<br />

die Köpfe gen Mekka gewandt. Er schließt<br />

die Augen, hält sich ein Ohr zu und beginnt zu<br />

singen. Da schlägt eine Kirchenglocke, viermal hell, einmal<br />

dunkel. Durch das Fenster der Moschee starrt der Turm<br />

der benachbarten Heilig-Kreuz-Kirche. Oberstetten auf der<br />

Schwäbischen Alb war einmal streng katholisch. Doch der<br />

größte Arbeitgeber der Region, der Fertighaus-Hersteller<br />

Schwörer, lockte auch Andersgläubige in das 1.200-Seelen-<br />

Dorf, darunter viele Muslime. Heute stehen die Gotteshäuser<br />

hier direkt nebeneinander.<br />

<strong>In</strong> den Händen halten die betenden Männer ihre Tasbih,<br />

Ketten mit 99 Perlen, anhand derer sie die Gebete zählen.<br />

33mal Subhana Allah, gepriesen sei Gott, 33mal Alhamdulillah,<br />

gelobt sei Gott, 33mal Allahu akbar, Gott ist groß.<br />

Imam Mustafa Sener im<br />

Gebetsraum. Im Hintergrund<br />

die katholische Kirche.<br />

Am Vorabend saßen etwa fünfzig Gläubige in der Rosenkranzandacht,<br />

überwiegend ältere Frauen. Auf kalten Holzbänken,<br />

in dicke Winterjacken vergraben, beteten sie laut in<br />

einem zweistimmigen Chor. <strong>In</strong> den Händen hielten sie ihre<br />

Rosenkränze, Kreuzketten mit 59 Perlen, anhand derer sie<br />

ihre Gebete zählten. Sechsmal Vater Unser, sechsmal Ehre<br />

sei dem Vater, 53mal Ave Maria. Heilige Maria, Mutter Gottes,<br />

bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.<br />

Amen.<br />

Der Muezzin, der die muslimische Gemeinde von Oberstetten<br />

mit seinem Gesang zum Freitagsgebet gerufen hatte,<br />

sitzt wenig später in der Teestube der Moschee. Er heißt Yasar<br />

Yüce, ist 39 Jahre alt und <strong>In</strong>genieur für Getriebetechnik<br />

in Esslingen. Als er mit acht Jahren nach Deutschland kam,<br />

verstand er kein Wort Deutsch; in der fünften Klasse sprach<br />

19


er fließend Schwäbisch. Heute ist er stellvertretender Vorsitzender<br />

der Türkisch-<strong>Islam</strong>ischen Gemeinde von Oberstetten.<br />

Eine Idealbesetzung. „Wir leben im Schwabenländle“, sagt<br />

er, „wir haben die Kultur angenommen.“ Aber nicht die Religion.<br />

Als immer mehr Mitarbeiter muslimischen Glaubens<br />

bei Schwörer anfingen, suchten sie in der Umgebung nach<br />

einem Raum, in dem sie beten konnten. Was sie schließlich<br />

vor 20 Jahren fanden, war ausgerechnet ein leerer Schweinestall<br />

mit der Adresse „Kirchstraße 6“.<br />

<strong>In</strong>zwischen gehören Stall und Bauernhaus dem Verein, die<br />

bäuerliche Vergangenheit des Gebäudes lässt sich nur noch<br />

erahnen. Von außen wirkt das Gotteshaus wie das Zuhause<br />

eines Schwaben, der die Kehrwoche sehr ernst nimmt:<br />

strahlend-weiße Wände, blitzblanke rote Dachziegel und<br />

rundherum eine akkurate Anordnung von Ziersteinen.<br />

Gegenüber, auf dem Friedhof, der die kleine Kirche umgibt,<br />

steht eine Rentnerin am frisch bepflanzten Grab ihrer Eltern<br />

und zündet eine Kerze an. „Wir haben überhaupt keine Probleme<br />

mit denen“, sagt sie, „aber ihre Moschee müsste nicht<br />

direkt neben unserer Kirche stehen.“<br />

„Der Bau war rechtens“, sagt Gerhard Sauter, 53, zweiter<br />

Vorsitzender der katholischen Kirchengemeinde Heilig<br />

Kreuz, ein bulliger Landwirt mit Getreidefeldern und einer<br />

Schweinemast. Er steht auf dem Vorplatz der Kirche und<br />

blickt hinüber zur Moschee. Alle Anwohner hätten damals<br />

zugestimmt und unterschrieben, er selbst habe mit seinem<br />

Radlader geholfen, die Terrasse frei zu schaufeln.<br />

„Unser Verhältnis ist gut“, sagt er heute, „die <strong>In</strong>tegration<br />

nicht.“ Die Türken nähmen nicht am Dorfleben teil, nie treffe<br />

man sie im Gasthaus „Zum Hirsch“, und beim jährlichen<br />

Dorffest habe er schon lange keinen Dönerstand mehr gesehen.<br />

Kein einziger Türke sei bei der Feuerwehr, keiner im<br />

Musikverein, und auch keiner bei der CDU, deren Vorsitzender<br />

er ist. „Die bleiben lieber für sich.“<br />

Ähnliches hatte Yasar Yüce über die Schwaben gesagt. Oft<br />

schon habe er die Vorbeigehenden hereingebeten, „aber viele<br />

trauen sich nicht“. Doch dann, im Juli 2011, gingen sie alle<br />

hinein – zusammen mit Gerhard Sauter, der Pfarrerin des<br />

Nachbardorfes und dem Ortsvorsteher. Der islamische Verein<br />

hatte, gut zwei Jahre nach Fertigstellung, zur offiziellen<br />

Eröffnung der Moschee eingeladen. Fast alle Dorfbewohner<br />

sahen die Moschee zum ersten Mal von innen und staunten<br />

über die fein gemusterten Fliesen und die funkelnden Kristallkronleuchter<br />

an der Decke.<br />

20<br />

„Nobel, wie in einem Schlössle“, erinnert sich eine Dorfbewohnerin.<br />

„Man musste sich die Schuhe ausziehen“, sagt<br />

eine andere verwundert. „Es gab gutes Essen und Tee“, sagt<br />

eine dritte, „ich war ganz überrascht, wie gastfreundlich die<br />

waren!“ Der Graben, der sich zwischen den Religionen auftut<br />

und der in Oberstetten entlang der Kirchstraße verläuft,<br />

schien für einen Tag überwunden.<br />

Echte Freundschaften aber entstehen vor allem dort, wo der<br />

Glaube keine Rolle spielt: unter den Kindern in der Schule,<br />

unter den Kollegen „beim Schwörer“, und im einzigen Verein,<br />

bei dem die Türken mitmachen: dem TSV Oberstetten<br />

1922, Kreisliga A.<br />

Und dann gibt es da noch eine dieser kleinen Geschichten,<br />

die Hoffnung machen, dass die Gemeinsamkeiten am Ende<br />

überwiegen. Im Bäckergässle 3, gleich unterhalb der Kirchstraße,<br />

liegt der einzige Supermarkt des Dorfes. Die 85-jährige<br />

Magdalena Raach, die dort hinter der Theke steht, holte<br />

hier schon in den Dreißigern ihre Brötchen, später heiratete<br />

sie den Bäckersohn. Der Laden ist gleichzeitig ihr Wohnhaus,<br />

ihre Terrasse liegt gleich neben der Terrasse der Moschee.<br />

Tagsüber sieht Magdalena Raach dort oft nur einen einzigen<br />

stillen Mann sitzen: den Imam. Im Mai hat der 45-Jährige<br />

seine Familie in der türkischen Heimat zurückgelassen und<br />

wohnt seitdem im Dachgeschoss über der Teestube.<br />

„Guten Tag“, sagt er, wenn er die alte Frau auf ihrer Terrasse<br />

sieht. Viel mehr Deutsch hat er bisher nicht gelernt. „Grüß<br />

Gott“, sagt die alte Frau dann und winkt ihn zu sich herüber.<br />

Und so sitzen die beiden beieinander und trinken Kaffee,<br />

obwohl keiner die Sprache des anderen versteht.<br />

Autor: Julius Schophoff<br />

Fotograf: Thomas Kienzle<br />

Nicht nur in großen Städten, auch in kleinen<br />

Gemeinden <strong>Baden</strong>­Württembergs gibt es Gebetsräume<br />

und Moscheen – nicht selten in<br />

unscheinbaren Gebäuden. Das nächste muslimische<br />

Gotteshaus findet man nach ein paar<br />

Klicks auf www.moscheesuche.de


Von ElEfantEn<br />

und türkischEn GärtEn<br />

Das wechselvolle Aufeinandertreffen<br />

von muslimischer Kultur mit <strong>Baden</strong>ern<br />

und Württembergern<br />

Eine Geschichte, geprägt von Bewunderung,<br />

Kriegen, Irrtümern, Vorurteilen, Bereicherungen,<br />

Respekt und Toleranz<br />

Nach Ludwig Uhlands Gedicht „Der wackere<br />

Schwabe“ hat wohl das erste Aufeinandertreffen<br />

zwischen Schwaben und Muslimen unter dem<br />

alten Kaiser Barbarossa auf dessen Kreuzzug<br />

ins Heilige Land im Jahre 1189 stattgefunden. Martialisch<br />

beschreibt Uhland die Schlacht mit dem Schwert und lässt<br />

„zur Rechten wie zur Linken/ einen halben Türken herunter<br />

sinken“. Doch schon der Enkel von Barbarossa, der Stauferkaiser<br />

Friedrich II., sah im <strong>Islam</strong> mehr als einen religiösen<br />

Feind, er schätzte dessen Errungenschaften in Wissenschaft<br />

und Kultur. Nicht zuletzt darum wurde er leicht abfällig<br />

als „Sultan von Lucera“ bezeichnet. Einem orientalischen<br />

Brauch folgend brachte Friedrich II. bei einem Besuch auf<br />

dem Hohenstaufen exotische Tiere mit, darunter auch einen<br />

Elefanten. Die Legende sagt, das habe bei den Adligen<br />

um den Hohenstaufen einen solchen Eindruck hinterlassen,<br />

dass sie das seltsame Tier in ihre Wappen aufnahmen:<br />

Wiesensteig, Deggingen, Hohenstadt und Kuchen haben<br />

den Elefanten bis heute in ihrem Ortschaftswappen. Nach<br />

einer anderen Legende haben diese Gemeinden ihr Wappen<br />

von den Grafen von Helfenstein erhalten, diese wiederum<br />

haben ihren Wappen-Elefanten aber ebenfalls aus einem<br />

Zusammentreffen mit dem Orient bekommen. Die orientalische<br />

Tradition des Zoos breitete sich in den folgenden<br />

Jahrhunderten in ganz Europa aus. So verwundert es auch<br />

nicht, dass Graf Ulrich V. von Württemberg, der Vielgeliebte,<br />

1451 einen solchen in seiner Landeshauptstadt Stuttgart<br />

anlegen ließ.<br />

<strong>In</strong> den folgenden Jahrhunderten bestimmten dagegen kriegerische<br />

Auseinandersetzungen das Verhältnis von Europa<br />

und dem Orient. Vom 15. bis 17. Jahrhundert kämpften<br />

viele badische und württembergische Adlige an der so genannten<br />

„Türkenfront“, um den Osmanen den Einmarsch<br />

ins Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu verwehren.<br />

Besonders der „Türkenlouis“, Markgraf Ludwig Wilhelm<br />

von <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>, tat sich als Kriegsherr hervor. Er<br />

stand am Ende des 17. Jahrhunderts, als Oberbefehlshaber<br />

aller kaiserlichen Truppen, an der Osmanenfront und ist<br />

bis zum heutigen Tag im Badischen Landesmuseum Karls-<br />

21


uhe zu bewundern. Aller Feindschaft zum Trotz schätzte<br />

er die kulturellen Vorzüge seiner Gegner und prahlte mit<br />

seiner Beute. Bald galt es in Adelskreisen als schick, etwas<br />

„Türkisches“ zu besitzen.<br />

Aber nicht nur türkische Beutekunst war begehrt, auch orientalische<br />

Gärten und osmanische Architektur kamen in<br />

Mode. Bereits 1776 begann man im Schwetzinger Schlossgarten,<br />

einen „Jardin Turc“ (frz.: türkischen Garten) anzulegen.<br />

Neben Wasserspielen wurde eine Moschee mit<br />

Minaretten errichtet, die „Rote Moschee“, die allerdings<br />

nicht den Gläubigen zum Gottesdienst diente, sondern<br />

allein der Lustbarkeit des Fürsten, seiner Familie und Gäste.<br />

Parallel bahnte sich ein türkisches Genussmittel seinen Weg<br />

auf deutsche Tafeln: der Kaffee. Zunächst blieb er allerdings<br />

ein Luxusgut. Das erste deutsche Kaffeehaus eröffnete 1694<br />

in Leipzig, und langsam verbreiteten sich die Kaffeeröstereien<br />

und Kaffeestuben auch in anderen deutschen Kleinstaaten.<br />

Die große Mehrheit trank aber nach wie vor „Muckefuck“,<br />

also Malzkaffee, oder löffelte eine dünne Biersuppe<br />

zum Frühstück. Zum Getränk für die breite Masse wurde<br />

Kaffee erst nach 1945.<br />

22<br />

Ludwig Wilhelm I., der „Türkenlouis“, in der Schlacht bei Slankamen<br />

im heutigen Serbien am 19. August 1691. Stahlstich.<br />

Der Blick auf die muslimische Kultur blieb über viele Jahrhunderte<br />

hinweg von Vorurteilen gekennzeichnet. Dies<br />

änderte sich grundlegend, als der württembergische Buchverlag<br />

Cotta (heute Klett-Cotta) in den Jahren 1823/24 die<br />

orientalische Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“<br />

in der ersten deutschen Ausgabe herausbrachte. Zwar hatte<br />

es schon zuvor Märchen mit orientalischen Bezügen gegeben,<br />

doch mit diesem Band wuchs das <strong>In</strong>teresse für den<br />

Orient, seine Bewohner und deren Religion sprunghaft.<br />

Allerdings wurde das Bild orientalischer Kultur durch die<br />

Märchensammlung auch bis zur Unkenntlichkeit verklärt.<br />

Vom Trend angesteckt, gab der württembergische König<br />

Wilhelm I. den Bauauftrag zu einem Badehauskomplex bei<br />

den Mineralquellen im Park des Stuttgarter Rosensteinschlosses.<br />

1846 wurde das ganz im maurischen Stil errichtete<br />

Gebäude auf den Namen „Wilhelma“ getauft. Heute<br />

besuchen mehr als zwei Millionen Gäste jährlich den gleichnamigen<br />

Stuttgarter Zoo – die wenigsten wissen von seinen<br />

orientalischen Wurzeln.<br />

Autor: Matthias Hofmann, Historiker und Orientalist<br />

Quelle Abbildung: akg­images


<strong>Islam</strong>ische Theologie wird mit anderen Religionswissenschaften vernetzt:<br />

Das Tübinger <strong>In</strong>stitut soll zu einem Musterzentrum werden.<br />

Imam<br />

made in<br />

Tübingen<br />

Die Universität Tübingen ist die erste Hochschule in Deutschland,<br />

die konfessionsgebundene <strong>Islam</strong>ische Studien in den Lehrplan aufnimmt.<br />

Ein Besuch im Zentrum für <strong>Islam</strong>ische Theologie<br />

23


Es gibt Tage, da kommt sich der Direktor vor wie der<br />

Hausmeister. An diesem Novembermorgen zum<br />

Beispiel: Omar Hamdan, 49, Leiter des neu gegründeten<br />

Zentrums für <strong>Islam</strong>ische Theologie der<br />

Universität Tübingen, beantwortet in seinem Büro Journalistenfragen,<br />

als ein Handwerker hereinplatzt: „Mir habe’ die<br />

Schränk’ unten hingestellt, isch des recht?“, fragt der Mann,<br />

der im Erdgeschoss gerade neue Schließfächer für die Studierenden<br />

aufgebaut hat. „Wunderbar“, sagt Hamdan, bedankt<br />

sich und sucht den Faden des Gesprächs wieder zu finden.<br />

Kaum ist der Blaumann weg, klingelt Hamdans Handy: die<br />

Universitätsverwaltung. Der Professor drückt auf lautlos.<br />

Würde er das nicht hin und wieder tun, käme er zu gar nichts<br />

mehr. Der Koranwissenschaftler Hamdan hat einen Arbeitsmarathon<br />

hinter sich: Bevor das <strong>In</strong>stitut im vergangenen<br />

Oktober in eine alte Stadtvilla einzog, musste er <strong>In</strong>ternetanschlüsse<br />

organisieren, Möbel und Computer bestellen, Anträge<br />

und Stundenpläne schreiben, die Wandfarbe auswählen.<br />

Bis heute schiebt Hamdan oft 16-Stunden-Schichten. Und<br />

dann noch der Presserummel.<br />

24<br />

Professor Omar<br />

Hamdan ist Spezialist<br />

für alte Koranschriften.<br />

Zumindest der Schritt von Berlin nach Tübingen dürfte dem<br />

Deutsch-Palästinenser keine Probleme bereitet haben. Er lebte<br />

hier schon in den neunziger Jahren, promovierte in vergleichender<br />

Religionswissenschaft. Zuletzt forschte er an der<br />

Freien Universität Berlin über die Verbindungen zwischen<br />

<strong>Islam</strong>, Christentum und Judentum im Mittelalter. Sein neuer<br />

Job sorgt für mehr Aufmerksamkeit: Als erste deutsche<br />

Universität bietet Tübingen seit dem Wintersemester 2011/12<br />

konfessionsgebundene <strong>Islam</strong>studien an, das heißt: Es lehren<br />

und studieren hier ausnahmslos Muslime. Bisher konnte man<br />

in Tübingen, wie an vielen anderen Universitäten, die sozial-<br />

und kulturwissenschaftlich geprägten <strong>Islam</strong>wissenschaften<br />

studieren. Doch in den neuen <strong>Islam</strong>studien spielen theologische<br />

Fragen die Hauptrolle. Nach acht Semestern, eines<br />

davon im Ausland, können die Absolventen als Imame, als<br />

muslimische Geistliche, arbeiten. Ein Novum in der deutschen<br />

Hochschullandschaft.<br />

Bislang werden Imame, die das Freitagsgebet in der Moschee<br />

leiten und als Mediatoren, Seelsorger sowie Lehrer tätig


sind, stets aus dem Ausland eingeflogen. Wenn sie nach<br />

ein paar Jahren ein wenig Deutsch sprechen, ist ihr Einsatz<br />

meist vorbei und sie kehren zurück in ihre Heimat. Der<br />

Dialog mit der Welt außerhalb der Gemeinden scheiterte<br />

daher oft schon an der Sprachbarriere. Woher sie kommen,<br />

wer sie sind, was sie predigen und für welche Werte sie stehen<br />

– die Imame selbst konnten es Nicht-Muslimen bislang<br />

nicht vermitteln.<br />

Die Absolventen des Tübinger Bachelorstudiengangs könnten<br />

diese Kommunikationslücke schließen – als Imame,<br />

Seelsorger, Sozial- oder Öffentlichkeitsarbeiter. Die meisten<br />

von ihnen hoffen aber, an ihrem <strong>In</strong>stitut künftig auf Lehramt<br />

studieren zu können, um in deutschen Schulen islamischen<br />

Religionsunterricht zu erteilen. Was bisher nur an rund 20<br />

Schulen in <strong>Baden</strong>-Württemberg geleistet wird, könnte eines<br />

Tages Normalität sein.<br />

2.000 Imame und Religionslehrer würden künftig in Deutschland<br />

gebraucht, verkündete Bildungsministerin Annette Schavan,<br />

als im Herbst 2010 die Entscheidung für die Studiengänge<br />

und ihre Standorte fiel. <strong>In</strong> diesem Jahr sollen drei weitere Zentren<br />

an den Doppelstandorten Osnabrück/Münster, Erlangen/<br />

Nürnberg und Frankfurt/Gießen eröffnet werden. Für Professuren<br />

und Mitarbeiterstellen steuert der Bund in den kommenden<br />

fünf Jahren insgesamt fast 20 Millionen Euro bei.<br />

<strong>In</strong> Tübingen haben sich 36 Studierende eingeschrieben, 13<br />

Männer und 23 Frauen. Eine von ihnen ist Serap Aydin. Die<br />

24-Jährige steht in der Bibliothek im Erdgeschoss der Villa<br />

zwischen Kistenstapeln und sortiert bunte Buchbände in<br />

die Regale. Fast 3.000 Bücher aus seinem privaten Fundus hat<br />

Professor Hamdan dem Zentrum gespendet. „Anfangs kamen<br />

wir uns schon ein wenig verloren vor“, erzählt Aydin, deren<br />

Eltern aus der Türkei stammen. Doch mittlerweile fühle<br />

sie sich richtig wohl. Bevor sie ihr Religionsstudium begann,<br />

hatte sie <strong>Islam</strong>wissenschaften studiert. „Da wurde im Seminar<br />

schon mal die Frage gestellt, ob Mohammed überhaupt<br />

gelebt habe“, sagt sie kopfschüttelnd.<br />

Neben der Bibliothek, in einem der frisch geweißten Seminarräume,<br />

sitzt Mona Baydaoui, 22, Jeans, Strickjacke, schwarzes<br />

Kopftuch, und sagt, sie könne sich Gemeindearbeit gut vorstellen.<br />

„Oder eine akademische Karriere.“ Nach dem Abitur<br />

hat die gebürtige Stuttgarterin zwei Semester Sozialwissenschaften<br />

studiert. „Aber das hat mich schnell gelangweilt“,<br />

sagt sie. Privat beschäftigte sich die Tochter eines Libanesen<br />

und einer Deutschen schon länger mit dem <strong>Islam</strong>. Der neue<br />

Studiengang kam ihr gerade recht. „Mit dem Zentrum öffnen<br />

Angehende Religionslehrerinnen beim Studium des Koran.<br />

wir Muslime uns der deutschen . . .“, sagt Baydaoui – und hält<br />

inne. „Naja, eigentlich bin ich ja selbst ein Teil der deutschen<br />

Gesellschaft“, schiebt sie lächelnd ein. „Das Ziel wäre, wenn<br />

beide sich öffnen würden“, sagt sie. „Die Muslime und die<br />

deutsche Gesellschaft.“<br />

Der Rektor der Tübinger Universität, Professor Bernd Engler,<br />

hat sich für das neue Studienfach stark gemacht, „nachdem<br />

der Impuls von der Evangelischen und der Katholischen Theologischen<br />

Fakultät ausgegangen ist“, sagt er. Doch er weiß,<br />

dass der Erfolg des Studiengangs von etwas anderem abhängt:<br />

„Wir sind auf die Akzeptanz der Gemeinden in Deutschland<br />

angewiesen.“ Früh holte Engler die Vertreter islamischer<br />

Verbände und Moscheen ins Boot. Ein Beirat begleitet den<br />

Studiengang, um Streitigkeiten unter den unterschiedlichen<br />

muslimischen Verbänden zu vermeiden. „Mit einer breiteren<br />

Kenntnis des <strong>Islam</strong>“, so hofft Rektor Engler, „erreichen wir ein<br />

besseres Verständnis, und mit einem besseren Verständnis<br />

eine größere Offenheit.“<br />

Im Laufe des Jahres sollen zwei weitere Professuren sowie zwei<br />

Juniorprofessuren in Tübingen entstehen. Bis 2015 soll der<br />

neue Studiengang zu einer „<strong>Islam</strong>ischen Fakultät“ ausgebaut<br />

werden – in einem eigenen Neubau direkt neben den christlichen<br />

Fakultäten. „Ich will ein Musterzentrum für Deutschland,<br />

Europa und die arabische Welt formen“, sagt Professor<br />

Hamdan. Er träumt von einer gemeinsamen Bibliothek<br />

mit den Fakultäten der evangelischen und der katholischen<br />

Theologie. „Das“, so Hamdan, „wäre beispielhaft.“<br />

Autor: Johan Kornder<br />

Fotograf: Thomas Kienzle<br />

25


Bei Ihrer Vereidigung zur baden­württembergischen<br />

<strong>In</strong>te grationsministerin haben Sie auf den Zusatz verzichtet:<br />

„So wahr mir Gott helfe.“ Warum?<br />

Bilkay Öney: Wie Sie wissen, stamme ich aus der Türkei und<br />

bin Muslimin. Ich bin durchaus ein gläubiger Mensch, aber ich<br />

wollte mir die Diskussion ersparen, die dann mit Sicherheit<br />

entstanden wäre: Welchen Gott meint sie denn nun? Es gibt<br />

eben unterschiedliche Zugänge zu ein und demselben Gott.<br />

Wenn man von <strong>In</strong>tegration spricht, meint man ja meist<br />

Menschen mit muslimischem Hintergrund. Bedeutet<br />

das Thema <strong>In</strong>tegration für Türken etwas anderes als<br />

beispielsweise für Italiener?<br />

Öney: <strong>In</strong>tegration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.<br />

Die Migranten sollen, können und dürfen sich integrieren.<br />

Politik muss dafür sorgen, dass ihnen dabei keine Steine in<br />

den Weg gelegt werden. Selbstverständlich spielen kulturelle<br />

Unterschiede dabei eine große Rolle, und die sind nun<br />

mal größer zwischen Türken und Deutschen als zwischen<br />

Italienern und Deutschen.<br />

Fast so groß wie zwischen <strong>Baden</strong>ern und Württembergern?<br />

Öney (lacht): Auch ich als Berlinerin musste mich erst einmal<br />

in <strong>Baden</strong>­Württemberg integrieren. Aber im Ernst:<br />

Die Migranten in <strong>Baden</strong>­Württemberg sind in der komfortablen<br />

Lage, dass es anders als in Berlin Vollbeschäftigung<br />

gibt. Arbeit ist der Schlüssel zur <strong>In</strong>tegration. Wenn wir es<br />

26<br />

„Wir sollten<br />

Andersgläubige<br />

als Bereicherung<br />

begreifen“<br />

<strong>In</strong>tegration heißt nicht, seine Herkunft abzulegen.<br />

Der Schlüssel zum Zusammenleben der Kulturen und<br />

Religionen sind Bildung und Arbeit: Ein Gespräch<br />

mit <strong>In</strong>tegrationsministerin Bilkay Öney<br />

schaffen, Sprach­ und Bildungsdefizite abzubauen, die Erwerbstätigkeit<br />

unter Migranten zu steigern, die Akademikerquote<br />

zu erhöhen, dann haben wir viel erreicht. Aber zu<br />

einer gelungen <strong>In</strong>tegration gehört auch ein aktiver Beitrag<br />

der Migranten: Sie müssen die Angebote, beispielsweise im<br />

Bildungsbereich, auch annehmen.<br />

<strong>Baden</strong>­Württemberg hat schon vor Jahren bundesweit<br />

Schlagzeilen gemacht, als das Kopftuch in öffentlichen<br />

Einrichtungen verboten wurde. Wie stehen Sie dazu?<br />

Öney: Ich war und bin der Auffassung, dass das Kopftuch<br />

im öffentlichen Dienst nichts verloren hat. Ich kann aber<br />

die Frage verstehen: Wollen wir den Musliminnen, die aus<br />

religiösen Gründen und mit Überzeugung ein Kopftuch tragen,<br />

den Weg in die Emanzipation und in die Arbeitswelt<br />

verschließen, oder wollen wir ihnen den Weg ebnen?<br />

Wo sehen Sie für die nächsten Jahre die größten Heraus­<br />

forderungen bei der <strong>In</strong>tegration muslimischer Migranten?<br />

Öney: Ganz klar im Bildungsbereich, um Migrantenkindern<br />

die gleichen Ausgangschancen für das Berufsleben zu<br />

ermöglichen. Leider ist die Zahl der Arbeitslosen mit ausländischem<br />

Hintergrund auch in <strong>Baden</strong>­Württemberg noch<br />

viel zu hoch. Das liegt vor allem am schlechten Ausbildungsniveau<br />

mancher Migranten. Dazu kommen dann noch<br />

Sprachdefizite, Probleme mit der Religion und die Distanz<br />

vieler Migranten zur Mehrheitsgesellschaft.


Spielt die Religion beim Thema <strong>In</strong>tegration<br />

eine wichtige Rolle?<br />

Öney: Wir leben, Gott sei Dank, in einem Land mit Religionsfreiheit.<br />

Jeder darf an das glauben, was er möchte. Trotzdem<br />

muss man immer wieder an die Toleranz appellieren,<br />

Andersgläubige als Bereicherung und nicht als Bedrohung<br />

zu begreifen. Ein Beispiel ist die kultursensible Pflege: Ich<br />

trete dafür ein, dass die alternde erste Einwanderergeneration<br />

etwa in Altersheimen ein Nahrungsangebot erhält,<br />

das mit islamischen Essensvorschriften übereinstimmt.<br />

Auf diese Anregung bekomme ich Beschwerdebriefe aus<br />

der Mehrheitsgesellschaft. Die Absender fragen, warum<br />

Mi granten eine Extrawurst brauchen.<br />

Sind es nicht gerade streng religiöse Muslime, die sich<br />

einer <strong>In</strong>tegration am ehesten verweigern?<br />

Öney: <strong>In</strong>tegration heißt doch nicht, seine Herkunft, seine<br />

Tradition oder gar seine Religion zu vergessen oder abzulegen.<br />

Ich stehe im Dialog mit muslimischen Gemeinden<br />

in <strong>Baden</strong>­Württemberg und sehe, wie viele von ihnen hervorragend<br />

integriert sind. Mit religiösen Menschen arbeite<br />

ich gut und gerne zusammen. Ich stehe auch nicht für eine<br />

radikale Position.<br />

<strong>In</strong> der öffentlichen Wahrnehmung wird der <strong>Islam</strong> meist<br />

mit Terror, Unterdrückung der Frauen und mittelalter lichen<br />

Rechtsvorstellungen in Verbindung gebracht.<br />

Öney: Es existiert leider oftmals ein Zerrbild vom <strong>Islam</strong>.<br />

Dadurch werden Vorurteile verstärkt und Klischees weiterverbreitet.<br />

Ich wünsche mir, dass man mehr über die positiven<br />

Aspekte muslimischen Lebens bei uns erfährt. Je besser<br />

man sich kennt, desto weniger Vorurteile wird es geben.<br />

Bilkay Öney kam 1970 in der Türkei zur Welt, wuchs in West­<br />

berlin auf, studierte Betriebswirtschaft und arbeitete unter<br />

anderem als Bankangestellte und Fernsehredakteurin. 2006<br />

zog sie für die Grünen in das Berliner Abgeordnetenhaus<br />

ein und wechselte 2009 zur SPD. Öney arbeitet mit Berlins<br />

Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit in der Steuerungsgruppe<br />

<strong>In</strong>tegration beim SPD­Bundesvorstand. Im<br />

Mai 2011 wechselte sie von Berlin nach Stuttgart und wurde<br />

Ministerin für <strong>In</strong>tegration im Kabinett von Ministerpräsident<br />

Winfried Kretschmann.<br />

<strong>In</strong>terview: Philipp Maußhardt<br />

Fotograf: Uli Reinhardt<br />

27


28<br />

dEr<br />

tEufEl<br />

&<br />

diE<br />

töchtEr<br />

Zwangsheirat und Gewalt gegen muslimische Frauen<br />

gibt es auch hierzulande. Doch ist es wirklich die<br />

Religion, die Männer dazu treibt, ihre Töchter oder<br />

Schwestern zu misshandeln?


Samira* kann nicht schwimmen. Am Schwimmunterricht<br />

durfte sie nicht teilnehmen, nackte Haut,<br />

sagte der Vater, präsentiert man nur dem Ehemann.<br />

Samira war auch nie auf einer Klassenfahrt. Wenn<br />

ihre deutschen Freundinnen ins Kino gingen oder Fußball<br />

spielten, saß sie zu Hause vor dem Fernseher. Ihre Eltern,<br />

eingewandert aus Pakistan, beteten fünfmal täglich. Wenn<br />

sie sonntags gemeinsam in die Moschee gingen, hatte die<br />

Tochter ein Kopftuch zu tragen und lange, weite Kleider<br />

über den Hosen. Als Samira 17 ist, soll sie nach Pakis tan<br />

fliegen, um dort verheiratet zu werden.<br />

Fatma*, 17, gläubige Muslima, trägt kein Kopftuch, dafür<br />

einen schwarzen Jogginganzug. Sie spielt Handball. Mit<br />

ihrer Mannschaft war sie schon in Österreich und in der<br />

Schweiz. Wenn ihr Team gewonnen hat, dann trinkt Fatma<br />

mit den anderen ein Glas Sekt. „Meine Tochter entscheidet<br />

selbst, was für sie richtig ist“, sagt die Mutter. Fatmas Familie<br />

kommt aus einem türkischen Dorf, der Vater arbeitet als<br />

Monteur bei einer großen Firma. Fatma möchte Polizistin<br />

werden oder Chemie studieren. Ihr Traum ist es, ein Jahr als<br />

Au-pair in den USA zu verbringen.<br />

Während Samiras Geschichte alle Vorurteile über unterdrückte<br />

Frauen im <strong>Islam</strong> zu bestätigen scheint, ist Fatma<br />

behütet, aber unbeschwert aufgewachsen. Die Geschichten<br />

der beiden zeigen, wie schwierig es ist, pauschal die Frage<br />

nach der gesellschaftlichen Stellung der Frau im <strong>Islam</strong> zu<br />

beantworten.<br />

Im Koran gibt es viele Passagen, die sich auf die Rolle der<br />

Frau beziehen: Sie wird hauptsächlich im Kontext der Familie<br />

beschrieben, als Mutter, Ehefrau und Tochter. Einige Stellen<br />

verheißen den Frauen nichts Gutes: „Die Männer stehen<br />

über ihnen“, beginnt ein Vers. Auch gibt es eine Vielzahl von<br />

frauenfeindlichen Hadithen, also überlieferten Geschichten<br />

aus dem Leben des Propheten Mohammed, die als moralischer<br />

Leitfaden für Muslime gelten. „Ich hinterlasse dem<br />

Mann keine schädlicheren Unruhestifter als die Frauen“,<br />

heißt es etwa in einem der Hadithe. Andererseits existieren<br />

Überlieferungen, die den Mann ermahnen, seine Frau gut zu<br />

behandeln: „Der ist der beste unter euch, der am besten zu<br />

seiner Frau ist“, steht im Koran. Außerdem heißt es, sowohl<br />

Männer als auch Frauen sollen „nach Wissen streben“. Ein<br />

Aufruf, sich zu bilden – an beide Geschlechter.<br />

„Was in den religiösen Schriften steht, wissen die meisten<br />

gar nicht so genau“, sagt Aisha Kartal von der Hilfsorganisation<br />

„Rosa“ der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart, die<br />

sich um Frauen und Mädchen in Schwierigkeiten kümmert.<br />

„Aber im Alltag wird der <strong>Islam</strong> herangezogen, um alles<br />

Mögliche zu begründen.“<br />

Ein unverheiratetes Mädchen darf ihr Elternhaus nicht verlassen.<br />

Nur schlechte Mädchen sprechen mit Männern. Mit<br />

solchen Sätzen ist Samira aufgewachsen. Sie selbst ist in<br />

der Schule gern mit Jungs zusammen und mag es, im Mittelpunkt<br />

zu stehen. Doch sobald der Unterricht aus ist, geht<br />

Samira nach Hause, wo sie den Rest des Tages verbringt.<br />

Ihr Vater, studierter Physiker, arbeitet in einem Fast-Food-<br />

Restaurant. Die Mutter, eigentlich Künstlerin, kümmert sich<br />

nun um den Haushalt. Die Eltern haben fast nur pakistanische<br />

Freunde, in Deutschland fühlen sie sich fremd.<br />

„<strong>In</strong> so einer Situation gewinnt die Tradition für viele Migranten<br />

an Bedeutung“, sagt Aisha Kartal, „die Familienehre<br />

wird dann zum Lebensmittelpunkt, der ihnen Halt gibt.“<br />

Diese Ehre gilt es zu verteidigen, in einer Gesellschaft, in der<br />

man vieles nicht versteht und sich wenig willkommen fühlt.<br />

„Wenn ich zu spät von der Schule heimkam, hat meine Mutter<br />

mich schon mal geschlagen“, erzählt Samira, „ich lebte<br />

isoliert.“ Nur einmal in der Woche darf sie Zeit im nahe<br />

gelegenen Jugendzentrum verbringen, immer donnerstags,<br />

denn da ist „Girls Day“.<br />

Mit 15 entdeckt Samira das <strong>In</strong>ternet für sich. Ein Jahr später<br />

lernt sie in einem Fan-Forum der US-Fernsehserie „Charmed“,<br />

in der es um die Abenteuer von drei jungen Hexen geht,<br />

ein Mädchen kennen. Die beiden chatten, schicken sich Fotos,<br />

schreiben sich lange Mails, telefonieren. Samira bleibt nachts<br />

wach, um mit ihrer Freundin zu sprechen. Die Familie darf<br />

nichts mitbekommen. „Ich hatte mich verliebt“, sagt sie.<br />

Eines Tages entdeckt die Mutter eine SMS auf Samiras Handy.<br />

„Ich liebe dich, mein Schatz“, steht da, unterschrieben<br />

mit dem Namen Tanja. Die Mutter stellt die Tochter zur<br />

Rede. „Der Teufel ist in dir“, schreit sie. Nicht nur, dass die<br />

Tochter eine heimliche Liebschaft pflegt, schlimmer noch:<br />

Es ist die Liebe zwischen zwei Frauen, eine unmögliche Liebe,<br />

die es nicht geben darf. „Du ruinierst die Ehre deiner Familie“,<br />

wirft sie Samira vor, „du stürzt uns alle ins Unglück.“<br />

29


„Meine Eltern glauben, sie hätten bei meiner Erziehung<br />

versagt.“ Damals beginnen ihre Eltern, in Pakistan nach einem<br />

Ehemann für Samira zu suchen und erkundigen sich,<br />

wieviel Strafe sie bezahlen müssten, wenn sie ihre Tochter<br />

von der Schule nehmen würden, denn die ist damals erst<br />

17 und noch schulpflichtig. Schließlich buchen sie einen<br />

Urlaub in Pakistan. „Wenn du dich nicht änderst, wirst du<br />

in der Hölle schmoren“, droht der Vater. Die Tochter müsse<br />

in die Heimat, um auf den rechten Weg zurückzukommen.<br />

„Religion wird benutzt, um psychische oder physische Gewalt<br />

auszuüben“, sagt Aisha Kartal. <strong>In</strong> Wahrheit entspringen<br />

Glaubenssätze wie „Die Frau hat dem Mann zu gehorchen“<br />

einer patriarchalen Tradition, die von Generation zu Generation<br />

weitergegeben wird. Die Männer sind es gewohnt,<br />

immer Recht zu haben und über die Frauen zu bestimmen.<br />

Dass eine Kindheit in einem muslimischen Elternhaus auch<br />

ganz anders verlaufen kann, zeigt die Geschichte von Fatma.<br />

Sie kann einige Verse aus dem Koran auswendig und betet vor<br />

dem Einschlafen. „Fünfmal am Tag würde ich nicht schaffen“,<br />

sagt sie. Früher hat sie sich geärgert, wenn ihre deutschen<br />

Freundinnen abends länger raus durften als sie selbst.<br />

„Heute weiß ich, dass meine Eltern sich einfach Sorgen gemacht<br />

haben.“ Mit ihrer älteren Schwester zusammen geht<br />

Fatma in Bars oder auf den Cannstatter Wasen. Sie hatte<br />

schon mal einen Freund, den traf sie allerdings heimlich. Als<br />

ihre Eltern davon erfuhren, blieb der große Ärger aus.<br />

<strong>In</strong> einem Punkt ist sie streng mit sich selbst: „Ich möchte bis<br />

zu meiner Hochzeit Jungfrau bleiben.“ Fatma kann sich gut<br />

vorstellen, einen deutschen Mann zu heiraten und glaubt,<br />

dass auch ihre Eltern nichts dagegen hätten. „Nur beschneiden<br />

müsste man ihn, darauf würden meine Eltern bestehen.“<br />

Fatmas Familie hat einen Weg gefunden, ihren Glauben mit<br />

den Regeln einer modernen, freien Gesellschaft zu verbinden.<br />

Traditionen sind ihnen wichtig, aber sie müssen auch<br />

zu ihrem Leben in Deutschland passen.<br />

Samira ist heute 20, eine junge Frau, die ihr langes, schwarzes<br />

Haar zeigt und dazu Jeans und ein buntes T-Shirt trägt.<br />

Mit 17 hat sie geschafft, was wenige Mädchen in ihrer Situation<br />

schaffen: Sie hat ihre Familie verlassen und bei<br />

der Organisation Rosa in Stuttgart Zuflucht gefunden.<br />

Weil ihr und den anderen Mädchen, die Rosa betreut, Gewalt<br />

durch ihre eigenen Verwandten droht, leben sie anonym<br />

in Wohngemeinschaften, deren Adressen niemand<br />

wissen darf.<br />

Samira macht eine Therapie. <strong>In</strong> den letzten drei Jahren war<br />

sie oft traurig und hat sich immer wieder gefragt, ob sie<br />

die richtige Entscheidung getroffen hat. Doch sie hat auch<br />

begonnen, ihr Leben in Freiheit zu genießen. Sie will ihr<br />

Abitur nachholen und Psychologie studieren.<br />

Achtzig Prozent der Frauen, die bei Rosa Hilfe suchen, kommen<br />

aus muslimischen Familien. Doch die Sozialarbeiter<br />

sprechen bewusst von „Gewalt im Namen der Ehre“ und nicht<br />

von „Gewalt im Namen des <strong>Islam</strong>“, so Aisha Kartal.<br />

<strong>In</strong> den Wohngemeinschaften feiern sie gemeinsam Feste<br />

wie Id al-Fitr, das Zuckerfest am Ende des Fastenmonats<br />

Ramadan oder Id al-Adha, das Opferfest. Sie kochen dann<br />

zusammen, essen Süßigkeiten, trinken Chai und beschenken<br />

sich. Samira trägt noch immer zwei silberne, mit Sprüchen<br />

ihrer religiösen Gemeinde gravierte Ringe. Jedes Mal,<br />

bevor sie etwas isst, flüstert sie „bismillah“, dankt Gott für<br />

die Mahlzeit.<br />

Sie habe verstanden, dass Religion immer auch eine Frage<br />

der <strong>In</strong>terpretation sei, dass man Bücher wie die Bibel oder<br />

den Koran im Kontext ihrer Zeit sehen müsse. „Menschen<br />

haben sie aufgeschrieben und übersetzt, damit sind sie fehlbar.“<br />

Auch eine Religion müsse sich weiterentwickeln.<br />

Ihren Glauben an Gott aber hat Samira nicht verloren. Sie<br />

sagt: „Er nimmt mich so an, wie ich bin.“<br />

*Fatma und Samira heißen in Wirklichkeit anders.<br />

Ihre Namen wurden von der Redaktion geändert.<br />

Autorin: Nicola Abé<br />

31


GLAUBE,<br />

LIEBE,<br />

HOCHZEIT<br />

Eine Ehe von Muslimen und Christen<br />

hat nur Vorteile, sagen deren Kinder.<br />

Man feiert doppelt so viele Feste<br />

Wenn er groß ist, das hat Malik seinem Freund<br />

aus der ersten Klasse versprochen, nimmt er<br />

ihn einmal mit in die Türkei. <strong>In</strong>s schönste<br />

Land der Welt. Meer, Berge – und bei Urgroßmutter<br />

auf dem Dorf laufen die Hühner sogar über die<br />

Straße, ohne überfahren zu werden. Malik ist sieben Jahre<br />

alt und spricht genauso wie seine drei Jahre ältere Schwester<br />

Melissa fließend Türkisch und Deutsch. Mama ist Muslima,<br />

Papa kommt aus einer schwäbisch-katholischen Familie.<br />

Als sich Emel Aydin und Markus Sigloch vor 15 Jahren auf<br />

einer Party kennen lernten, fragten sie weder den Iman<br />

noch einen Pfarrer, ob ihre Liebe den Regeln entspricht.<br />

„Meine Mutter war am Anfang etwas skeptisch, heute<br />

nennt sie Markus ‚Ogul‘, ihren Sohn“, sagt Emel Aydin.<br />

„Traditionell und doch weltoffen“, nennt sie ihr Elternhaus,<br />

in dem sie aufwuchs, nachdem sie die ersten acht Jahre bei<br />

32<br />

der Großmuter in der Türkei verbracht hatte. Aus Respekt<br />

vor seinen christlichen Nachbarn habe ihr Vater sein Tabakgeschäft,<br />

das er auf den Fildern betrieb, an Weihnachten<br />

immer besonders schön dekoriert.<br />

Für Markus Sigloch, von Beruf Außendienstmitarbeiter einer<br />

großen Getränkefirma, öffnete sich mit der Heirat eine<br />

völlig neue Welt. Auf seiner eigenen Hochzeit in der Türkei<br />

traf er auf Menschen, „die so tolerant waren, wie man es sich<br />

kaum vorstellen kann“. Niemals habe man ihn darauf angesprochen,<br />

auch zum <strong>Islam</strong> überzutreten. „Ich war früher<br />

nicht besonders christlich geprägt“, sagt er, „aber heute mache<br />

ich mir viele Gedanken über Religion. Es ist doch eigentlich<br />

ein und derselbe Gott.“<br />

Familie Aydin-Sigloch wohnt in einem schmucken Reihenhaus<br />

in Filderstadt bei Stuttgart. Bringt die Mutter die


Markus Sigloch und Emel Aydin beim<br />

abendlichen Tavla in ihrem Wohnzimmer.<br />

Kinder zu Bett, liest sie ihnen Geschichten von Mohammed<br />

vor. Bringt der Vater sie ins Bett, spricht er ein christliches<br />

Gebet. „Für unsere Kinder ist das kein Widerspruch“, sagt<br />

Emel Aydin, „sie kennen ja nichts anderes und Gott ist für<br />

sie weder katholisch noch evangelisch noch muslimisch,<br />

sondern einfach nur ihr Beschützer.“<br />

Nach den Regeln des <strong>Islam</strong> sind Kinder aus gemischten Ehen<br />

automatisch Muslime. Es bedarf dafür keiner Taufe oder<br />

eines anderen Ritus. Die Heirat muslimischer Männer mit<br />

Die Zahl gemischt­konfessioneller Ehen ist in <strong>Baden</strong>­<br />

Württemberg in den vergangenen Jahren stetig angestiegen.<br />

Allein 2010 registrierte das Statistische<br />

Landesamt 448 Eheschließungen, in denen ein Partner<br />

muslimisch, der andere evangelisch oder katholisch<br />

war. Darunter ist die Zahl der muslimischen Männer<br />

fast dreimal so hoch wie derjenige muslimischer Frauen.<br />

Denn aus muslimischer Sicht ist die Heirat eines<br />

einer Christin gilt im <strong>Islam</strong> allerdings als unproblematisch,<br />

da die Frau in Religionsfragen ihrem Ehemann zu folgen<br />

hat. Komplizierter ist der umgekehrte Fall. Hier streiten islamische<br />

Gelehrte bis heute über die Zulässigkeit, auch wenn<br />

im Koran dazu keine Silbe steht.<br />

Würde man Malik oder seine Schwester Melissa fragen, hat<br />

die christlich-muslimische Ehe ihrer Eltern nur Vorteile: <strong>In</strong><br />

ihrer Familie feiern sie alle Feste, das Zuckerfest zum Ende<br />

des Ramadan ebenso wie Weihnachten.<br />

Muslims mit einer Christin oder Jüdin eher unproblematisch.<br />

Umgekehrt, wenn also eine Muslima einen<br />

Christen oder Juden heiraten will, sehen vor allem<br />

konservative Imame einen Hinderungsgrund. Auch<br />

die evangelische Kirche in <strong>Baden</strong>­Württemberg steht<br />

interkonfessionellen Ehen kritisch gegenüber. Im vergangenen<br />

Herbst wurde eine Vikarin entlassen, nachdem<br />

sie einen Muslim geheiratet hatte.<br />

33<br />

Foto: Rainer Kwiotek


Ilka Sobottke, Pfarrerin.<br />

Von der Stirnseite des Raumes fällt ein wenig Licht auf<br />

die Gesichter der etwa zwanzig Männer und Frauen, die im<br />

Halbdunkel sitzen. Ein Beamer projiziert Bilder aus dem<br />

Libanon auf die Wand: Kirchen, schroffe Berglandschaften,<br />

Moscheen, Geschäfte auf einem Basar. Als nach einer guten<br />

Stunde das Licht angeht, sieht man Frauen in schwarzem<br />

Ordensgewand neben schnauzbärtigen Männern: Im Turmsaal<br />

der Mannheimer Citykirche tagt die Christlich­<strong>Islam</strong>ische<br />

Gesellschaft Mannheim (CIG). Einige ihrer Mitglieder<br />

waren im Libanon und berichten jetzt den Daheimgebliebenen.<br />

„Einmal hörten wir den Muezzin einer Moschee und<br />

das Glockenläuten einer Kirche gleichzeitig“, erzählt eine<br />

Mitreisende in schönstem Kurpfälzer Dialekt.<br />

Ilka Sobottke, 45, ist Pfarrerin der Citykirche und Vorsitzende<br />

der CIG. „Mannheim hat eine ganz eigene Tradition<br />

der Offenheit gegenüber anderen Religionen“, sagt sie.<br />

Was wohl daran liegt, dass man sich hier früh an den Anblick<br />

Fremder gewöhnt hat. Seit den 1950er Jahren packen<br />

Gastarbeiter – unter ihnen viele Türken – in <strong>In</strong>dustrie und<br />

Dienstleistung mit an. Zum Beten gingen sie jahrelang<br />

in Hinterhofmoscheen. Erst 1989 kaufte die „Türkisch­<br />

<strong>Islam</strong>ische Gemeinde zu Mannheim“ ein 1.200 Quadratmeter<br />

großes Grundstück im Stadtteil Jungbusch. Hier entstand<br />

die Yavuz­Sultan­Selim­Mochee – lange Zeit die größte<br />

Moschee Deutschlands.<br />

34<br />

Die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee ist die größte<br />

Moschee in <strong>Baden</strong>-Württemberg. Als sie gebaut<br />

werden sollte, gab es Widerstände – aus denen sich<br />

ein Dialog entwickelte, der bis heute hält<br />

„Wir<br />

glauben an<br />

den einen<br />

Gott“<br />

Die Yavuz­Sultan­Selim­Moschee.<br />

Keine fünfzig Meter entfernt liegt die katholische Liebfrauenkirche.<br />

Die Mitglieder der Gemeinde waren „not amused.“<br />

Sie sträubten sich gegen eine Moschee so dicht an der<br />

Kirche. Erst als sich Oberbürgermeister und Kirchenobere<br />

einschalteten, legten sich die Wogen: aus Ablehnung wurde<br />

eine gute Nachbarschaft. Die CIG war geboren.


Rituelle Waschung im Vorraum der Moschee.<br />

Was haben sich Muslime und Christen zu sagen?<br />

Ilka Sobottke: Wir sitzen doch in einem Boot, weil wir als<br />

Religionsgemeinschaften verantwortlich gemacht werden<br />

für den Unfrieden in der Welt.<br />

Über was wird gestritten?<br />

Sobottke: Bei den Begriffen Frieden und Gerechtigkeit gibt<br />

es kaum Unterschiede. Im Detail gibt es natürlich immer<br />

wieder Diskussionen. Aber Christen und Muslime haben<br />

mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes. So wollen wir beide<br />

als Gläubige in der Gesellschaft gehört werden und sie mitgestalten.<br />

Auch unsere Probleme ähneln sich: Muslimische<br />

Jugendliche kommen so wenig in die Moschee wie unsere<br />

Jugendlichen in die Kirche.<br />

Was haben Sie in den Jahren des<br />

Dialogs von den Muslimen gelernt?<br />

Sobottke: Ich war überrascht, wie protestantisch der <strong>Islam</strong><br />

ist. Auch im Koran gibt es keine Mittlerfigur zwischen dem<br />

Einzelnen und Gott. Das Wort steht im Mittelpunkt, und Hierarchien<br />

gibt es auch kaum. Wenn es dagegen um die Verehrung<br />

von Heiligen geht, oder das Gebet für die Verstorbenen,<br />

sind sich <strong>Islam</strong> und Katholizismus näher.<br />

Hat die Radikalisierung in Teilen<br />

des <strong>Islam</strong>s dem Dialog geschadet?<br />

Sobottke: Nicht erst seit 2001 kommen immer wieder Menschen<br />

zu uns, die kritische Fragen stellen. Fragen stellen darf<br />

jeder. Nur wer alle Muslime dafür verantwortlich machen will,<br />

was al­Qaida macht, der hat bei uns nichts zu suchen.<br />

Können Christen und Muslime gemeinsam beten?<br />

Sobottke: Wir glauben an den einen Gott. Wir beten gemeinsam<br />

und nennen es Friedensgebet.<br />

Autor: Thomas Krause<br />

Fotograf: Rainer Kwiotek<br />

35


dEr<br />

<strong>Islam</strong><br />

<strong>In</strong><br />

ZahlEn<br />

36<br />

45% Rund der<br />

Muslime sind deutsche<br />

Staatsangehörige. *<br />

70% Rund der<br />

Musliminnen im Alter ab 16 Jahren<br />

tragen nie ein Kopftuch. *<br />

Rund<br />

4Millionen<br />

Muslime leben in Deutschland.<br />

Die Angehörigen der drittgrößten<br />

Glaubensgemeinschaft nach Katholiken<br />

und Protestanten stammen aus<br />

mindestens 49 Ländern. *<br />

Mehr als die Hälfte<br />

der Muslime ist<br />

Mitglied in einem<br />

deutschen Verein. *


98%<br />

der Muslime in Deutschland leben in den<br />

alten Bundesländern und Berlin. *<br />

650.000<br />

Muslime leben in <strong>Baden</strong>-Württemberg **<br />

20% Ein Drittel der Muslime betet täglich, beten nie.<br />

Knapp 70% begehen religiöse Feste und Feiertage.<br />

* Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,<br />

Muslimisches Leben in Deutschland (im Auftrag der<br />

Deutschen <strong>Islam</strong> Konferenz), 2009<br />

Etwa 50% beachten die Fastenregeln. *<br />

** Quelle: Tätigkeitsbericht des<br />

<strong>In</strong>tegrationsbeauftragten der Landesregierung<br />

<strong>Baden</strong>­Württemberg, 2008–2010<br />

37


LOCKER 30<br />

KOPFTÜCHER<br />

38<br />

Yasemin Yesil ist Modedesignerin.<br />

Fashion und Frömmigkeit sind<br />

für die junge Frau aus Karlsruhe<br />

kein Widerspruch


Sie sind gläubige Muslima und Modedesignerin.<br />

Ist das nicht ein Widerspruch?<br />

Yasemin Yesil: Viele denken das vielleicht, aber ich habe<br />

ja die Möglichkeit, mit Farben, Silhouetten und Stoffen zu<br />

spielen und bestimmte Trends islamisch tragbar zu machen.<br />

Wenn zum Beispiel <strong>In</strong>dianerlook angesagt ist, kann<br />

ich Fransen an ein Maxikleid nähen.<br />

Welche Kleidervorschriften gelten denn für eine Frau?<br />

Yesil: Der Hijab sollte den ganzen Körper bedecken, ausgenommen<br />

Gesicht, Füße und Hände. Er darf weder eng anliegen<br />

noch durchsichtig sein. Abgesehen davon kommt es<br />

auch auf die innere Haltung an, mit der ich mich kleide.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Yesil: Man kann mit einem schönen Kleid angeben oder<br />

genau das gleiche Kleid bescheiden tragen, wenn es nicht<br />

als protziger Schmuck, sondern einfach als Gebrauchsgegenstand<br />

gedacht ist.<br />

40<br />

Yasemin Yesil<br />

im Atelier der<br />

Modeschule.<br />

Sie tragen Lidstriche . . .<br />

Yesil: Ja, ab und zu, aber ich schminke mich immer nur dezent.<br />

Ich finde es nicht in Ordnung, wenn man als Muslima<br />

in der Öffentlichkeit übertrieben geschminkt rumläuft. Es<br />

kommt auf den Anlass an, im Alltag sollte es nicht verführerisch<br />

sein. Aber Wimperntusche gehört bei mir einfach dazu.<br />

Und was müssen Männer beachten?<br />

Yesil: Die Kleidung muss den Bereich vom Bauchnabel bis<br />

zu den Knien bedecken. Goldschmuck ist verboten, und sie<br />

dürfen keine Seide tragen. Es sei denn, sie vertragen keine<br />

anderen Stoffe.<br />

Es gibt also Ausnahmen.<br />

Yesil: Ja, die Gesundheit geht immer vor!<br />

Und beim Sport?<br />

Yesil: Unter Frauen kann man auch engere oder kurzärmlige<br />

Sachen tragen. <strong>In</strong> der Schule hatten wir zum Beispiel<br />

getrennten Sportunterricht, das war also kein Problem.<br />

Später habe ich Taekwondo gemacht: Der Anzug bedeckt<br />

und liegt nicht eng an.<br />

Und beim Schwimmen – tragen Sie dann einen Burkini?<br />

Yesil: Der Burkini ist zwar eine Möglichkeit, aber ich würde<br />

damit nicht in ein öffentliches Schwimmbad gehen. Es gibt<br />

hier in der Nähe einmal in der Woche Schwimmen für muslimische<br />

Frauen, das ist mir lieber.<br />

Wann haben Sie angefangen, sich den<br />

islamischen Traditionen gemäß zu kleiden?<br />

Yesil: <strong>In</strong> der sechsten Klasse.<br />

Weil es von Ihnen erwartet wurde?<br />

Yesil: Nein, weil ich es selbst so wollte. Ich mache das ja für<br />

Gott und sonst niemanden!<br />

Wieviele Kopftücher besitzen Sie?<br />

Yesil: Locker 30.<br />

Wie sind Sie auf die Idee gekommen,<br />

an eine Modeschule zu gehen?<br />

Yesil: Ich hatte schon früh eine Nähmaschine, an der ich viel<br />

ausprobiert habe. Ich fand es außerdem schade, dass es für<br />

junge Muslime so wenig an Kleiderauswahl gibt.


Bedeckend<br />

und bescheiden:<br />

der Overall.<br />

Aber an der Modeschule war es doch sicher<br />

sehr kompliziert für Sie und die Lehrer, oder?<br />

Yesil: Nein, eigentlich nicht, meine Lehrer waren immer sehr<br />

verständnisvoll. Für die Modenschauen konnte man zudem<br />

zwischen verschiedenen Themen wählen. Als wir für eine<br />

Kollektion wadenlange Röcke entwerfen sollten, habe ich<br />

eben passende Stiefel dazu eingeplant.<br />

Gibt es muslimische Stardesigner, die Sie inspirieren?<br />

Yesil: Ich mag die Sachen von Rabia Zargarpur aus Dubai<br />

sehr gern. Sie ist vielleicht keine Stardesignerin, aber schon<br />

sehr bekannt.<br />

Gab es schon mal ein Kleidungsstück, für das Sie<br />

Kopftuchregeln und Co. gern einen Tag vergessen hätten?<br />

Yesil: Eher nicht. Wenn ich unbedingt etwas tragen möchte,<br />

muss ich eben kombinieren: Zu einer engen Röhrenjeans zum<br />

Beispiel ziehe ich einfach ein längeres Oberteil an. Oder ich<br />

trage solche Sachen zur nächste Henna­Nacht – einer Feier,<br />

die Freundinnen und weibliche Verwandte der Braut vor der<br />

Hochzeit veranstalten. Unter Frauen ist das Kopftuch nicht<br />

zwingend nötig, Ärmel und Röcke dürfen da ruhig mal kürzer<br />

sein.<br />

<strong>In</strong>terview: Dagny Riegel<br />

Fotograf: Eric Vazzoler<br />

Kleider aus<br />

fließenden<br />

Stoffen.<br />

Yasemin Yesil aus Karlsruhe lernte schon<br />

früh, Kleidung kreativ zu kombinieren: Sie<br />

zieht sich gern modisch an, achtet aber<br />

als Muslima türkischer Herkunft darauf,<br />

bedeckt zu sein. Von 2007 bis 2010 machte<br />

sie an der Modeschule der Balthasar­<br />

Neumann­Schule in Bruchsal eine Ausbildung<br />

zur staatlich geprüften Designerin<br />

(Mode). Jetzt spart die 24­Jährige mit einer<br />

ehemaligen Mitschülerin auf ein eigenes<br />

Label mit <strong>In</strong>ternetshop.<br />

41


VERBOTEN<br />

Manchmal bekommt sie Ärger, wenn sie hier<br />

so rumläuft. Enge schwarze Hose und ein T-<br />

Shirt, tief ausgeschnitten. Die langen schwarzen<br />

Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz<br />

zurückgebunden. Die dunklen Augen liegen hinter einer<br />

großen Sonnenbrille.<br />

Hier, das ist das muslimische Gräberfeld des Hauptfriedhofes<br />

in Stuttgart-Bad Cannstatt. Und sie, das ist Fatma Gül,<br />

deren Vater hier liegt und dessen Grab sie alle zehn Tage<br />

besucht. Sie gießt dann die Pflanzen und wischt mit einem<br />

feuchten Lappen über den großen weißen Marmorstein. Es<br />

ist ein Tag im Frühsommer, und die Sonne scheint schon<br />

kräftig aus dem blauen Himmel. Gül erzählt, und sie schwäbelt<br />

dabei. „Manchmal werde ich angesprochen, dass ich einen<br />

Tschador anziehen soll und dass ich sündige, so wie ich<br />

herumlaufe”, sagt sie. Fatmas Familie gehört zu den Aleviten,<br />

einer Minderheit im <strong>Islam</strong>.<br />

Die Geschichte ihres Vaters ist die eines typischen Einwanderers<br />

aus den 1960er Jahren – aber mit einem ungewöhnlichen<br />

Ende: Er kam aus Anatolien nach Deutschland und<br />

schuftete auf dem Bau. Dann fand er eine bessere Arbeit bei<br />

42<br />

Die deutsche Friedhofsordnung<br />

macht es Muslimen schwer, ihre Toten<br />

zu beerdigen<br />

VERBOTEN<br />

der Bahn und holte seine Familie nach, die Frau und vier<br />

Kinder – zwei weitere kamen in Stuttgart zur Welt, auch Fatma.<br />

Vor einigen Jahren wurde er krank, und seine Tochter<br />

saß oft im Krankenhaus an seinem Bett. Eines Tages sagte er<br />

ihr, dass er in seiner Heimat beerdigt werden wolle, lächelte<br />

und fügte hinzu: „<strong>In</strong> Stuttgart.“<br />

Immer mehr Angehörige von eingewanderten Familien<br />

sehen das so, und das ist der Moment, in dem Michael Elsas<br />

ins Spiel kommt. Elsas ist Aufseher des Hauptfriedhofes,<br />

des einzigen Ortes in Stuttgart, wo sich Angehörige<br />

nicht-christlicher Religionen bestatten lassen können. Seit<br />

1982 ist das so, bislang wurden rund 440 Muslime hier<br />

begraben.<br />

Vom Eingang aus gesehen liegen die Muslime ganz hinten<br />

rechts, es sieht dort alles ein bisschen anders aus: nur wenige<br />

Blumen auf den Gräbern, ein Grabstein hat die Form<br />

einer Pyramide, ein anderes Grab schmücken dünne Holzscheiben.<br />

„Sieht stellenweise aus wie Kraut und Rüben. Die<br />

Angehörigen pflegen die Gräber nicht so intensiv, wie man<br />

es hierzulande gewöhnt ist”, sagt Elsas.


VERBOTEN<br />

Elsas hat einen schwierigen Job: Er muss die Besonderheiten<br />

fremder Beerdigungsrituale mit der Friedhofsordnung in<br />

Einklang bringen. Irgendwie gelingt es ihm auch, aber eben<br />

nur irgendwie. Laut Friedhofsordnung muss ein Grabstein<br />

mindestens 18 Zentimeter dick sein. „Aber die stellen da<br />

manchmal Brotscheiben hin”, sagt Elsas.<br />

Manchmal kommen Angehörige mit Backsteinen und Fertigzement<br />

zu den Gräbern und bauen kleine Mauern um das<br />

Grab. Dann weiß Elsas, dass sich die benachbarten Steinmetze<br />

wieder bei ihm beschweren werden, denn nur die dürfen<br />

das machen. „Es sind halt alles Menschen“, sagt er dann,<br />

„und wo Menschen sind, da menschelt’s.“<br />

„Wir müssten eigentlich viel mehr durchsetzen, aber wir<br />

haben doch nichts davon, wenn wir hier einen Aufstand<br />

machen”, sagt Elsas. Ein Friedhof sei schließlich ein Ort der<br />

Trauer, „und jeder Mensch trauert eben anders.“ Bei Kindergräbern<br />

verstoßen oft alle gegen die Friedhofsordnung,<br />

Christen wie Muslime. Kuscheltiere oder sogar ein Bobbycar<br />

– alles eigentlich nicht erlaubt. Eigentlich.<br />

Riad Ghalaini ist Vertreter der arabischen Moschee in Stuttgart<br />

und kann viel darüber erzählen, was eine Friedhofsordnung<br />

für Probleme aufwirft. „Im <strong>Islam</strong> soll ein Toter so<br />

schnell wie möglich begraben werden”, sagt Ghalaini. Aber<br />

hierzulande dauert es schon mal zwei, drei Tage, bis alle Formalitäten<br />

erledigt sind und das Grab ausgehoben ist. Ghalaini<br />

lebt seit 1956 in Stuttgart, aber wie man hier mit dem<br />

Tod umgeht, das irritiert ihn noch immer. Als eine Nachbarin<br />

starb, kam niemand aus dem Haus zur Beerdigung, nur<br />

er und seine Frau. „Die Deutschen sind sehr menschlich zu<br />

den Lebenden, sie kämpfen um jedes Leben. Aber Tote sind<br />

für sie wie Gegenstände”, sagt er.<br />

Stirbt ein Mitglied seiner Gemeinde, wird die Leiche in die<br />

Moschee gebracht und dort im Kühlraum gewaschen. „Die<br />

Körper, die aus dem Krankenhaus kommen, sind verpackt<br />

wie Gegenstände und noch voll mit Nadeln und Pflastern”,<br />

sagt er. Aber man müsse die Toten behandeln wie die Leben-<br />

den: mit Respekt. Mehrmals waschen sie den Toten, bevor<br />

sie ihn in ein Tuch wickeln: Männer dreimal, Frauen fünfmal.<br />

Dann schließen sie den Sarg und halten in der Moschee<br />

das Totengebet.<br />

Auf dem Friedhof verlangt es die islamische Tradition, dass<br />

Angehörige den Sarg bis zum Grab tragen – verboten. Auch<br />

das Hinunterlassen würden die Muslime gern selbst erledigen<br />

– verboten. Muslime begraben ihre Toten ohne Sarg, nur<br />

in Tücher gewickelt – in Deutschland verboten.<br />

Erlaubt ist hingegen die besondere Ausrichtung der Gräber.<br />

Die Toten liegen alle auf der rechten Schulter, mit Blick<br />

nach Mekka. „Einmal hatte ich einen Streit mit dem islamischen<br />

Geistlichen, wie der Tote liegen sollte”, erzählt Elsas.<br />

„Ich sagte, er gehört so herum, er sagte, nein, anders herum.<br />

Als das Grab zur Hälfte mit Erde gefüllt war, fiel ihm auf,<br />

dass ich Recht hatte. Er war untröstlich. Ich antwortete ihm<br />

‚Guter Mann, jetzt muss er halt a bissle weiter nach Mekka<br />

gucken – einmal um die ganze Erdkugel’.”<br />

Fatma Gül sitzt gerne noch eine Weile still neben dem Grab<br />

ihres Vaters, wenn sie den Grabstein sauber gewischt und<br />

die Blumen gegossen hat. „Eigentlich war Religion bei uns<br />

in der Familie nie wichtig. Mein Vater hat immer gesagt, es<br />

sei wichtig, dass man einfach ein guter Mensch ist“, sagt sie.<br />

„Aber als er gestorben ist, da habe ich doch gemerkt, dass ich<br />

die Religion brauche. Durch die Beerdigung mit ihren religiösen<br />

Zeremonien ist mir der Abschied leichter gefallen.“<br />

Gül muss los. Sie geht auf hochhackigen Schuhen in Richtung<br />

Ausgang, dreht sich dann aber noch einmal um. „Mein<br />

Vater hat noch etwas gesagt, es wäre schön, wenn Sie das<br />

schreiben würden. Er hat gesagt, die wahre Religion ist doch<br />

die Liebe.“<br />

Autor: Patrick Hemminger<br />

Fotograf: Eric Vazzoler<br />

43


Gelernte<br />

Toleranz<br />

44<br />

Allein in Stuttgart gibt es ein Dutzend Koranschulen.<br />

Hier lernen Jugendliche in ihrer Freizeit die Grundlagen<br />

des <strong>Islam</strong>


Oben: Dass er sonntags in die Schule muss, stört Hasan<br />

nicht: „Hier treffe ich meine Freunde!“ Rechts: Nach vier<br />

Jahren können die Schüler den Koran fehlerlos lesen und<br />

vortragen. Unten: Im ersten Jahr stehen die 28 Buchstaben<br />

des arabischen Alphabets auf dem Lehrplan.<br />

Keine Kuppel, kein Minarett: Von außen deutet<br />

nichts darauf hin, dass in dem ockerfarbenen<br />

Gewerbekasten in Stuttgart-Nord eine Moschee<br />

zuhause ist. Mit dem Schritt hinein wandelt sich<br />

das Bild: Im großen Saal, der als Gebetsraum dient, fällt das<br />

Morgenlicht durch schlichte Fenster auf ornamentverzierte<br />

Wände. Auf dem weichen, sandfarbenen Teppichboden sitzt<br />

ein Dutzend Jugendlicher schweigend im Schneidersitz. Vor<br />

jedem von ihnen steht ein kleines Holzbänkchen, darauf liegt<br />

der Koran. So lässt sich die heilige Schrift besser lesen, außerdem<br />

soll sie nicht den Boden berühren. Auf Arabisch rezitiert<br />

der Imam Sure 3, Vers 104: „Und aus euch soll eine Gemeinde<br />

werden, die zum Guten einlädt und das gebietet, was Rechtens<br />

ist, und das Unrecht verbietet; und diese sind die Erfolgreichen.“<br />

Es ist Sonntagmorgen, Koranunterricht.<br />

<strong>In</strong> dem ausgedienten <strong>In</strong>dustriegebäude ist der Verband <strong>Islam</strong>ischer<br />

Kulturzentren zuhause – und mit ihm eine von<br />

etwa zehn größeren Koranschulen der Landeshauptstadt.<br />

Rund 250 Schülerinnen und Schüler aus Stuttgart und umliegenden<br />

Gemeinden lernen hier die heilige Schrift des <strong>Islam</strong><br />

auf Arabisch lesen und verstehen. Der Unterricht findet<br />

nach Geschlechtern getrennt statt, Mädchen werden von<br />

Frauen unterrichtet, Jungen von Männern.<br />

„Mir macht es nichts aus, sonntags auch noch in die Schule<br />

zu gehen“, sagt Hasan, ein 15-jähriger Junge mit feinen<br />

Gesichtszügen. Er trägt Jeans, Kapuzenpulli und eine Gebetsmütze<br />

auf dem Kopf. „Hier treffe ich meine Freunde!“<br />

Gepaukt wird samstags oder sonntags von zehn bis vierzehn<br />

Uhr. Und wer am Wochenende keine Zeit hat, kann den Stoff<br />

in den Sommerferien nachholen. Sechs Wochen lang, täglich<br />

vier Stunden. Die jüngsten Schüler sind zwischen acht und<br />

zehn Jahren alt, sie lernen zunächst die 28 Buchstaben des<br />

arabischen Alphabets, später bekommen sie Lehrbücher mit<br />

bunten Bildern, unter die sie die richtigen Wörter schreiben.<br />

Erst wenn die Schüler Schrift und Sprache in Grundzügen<br />

beherrschen, beginnt das Studium des Korans. Wer, wie<br />

Hasan, im vierten und letzten Jahr ist, kann das Buch der<br />

Bücher schon selbstständig lesen.<br />

Hasan liest auch zu Hause fast jeden Tag im Koran. Am<br />

Ende des Schuljahres wird er die Schrift fehlerlos rezitieren<br />

können. Und er wird den geschichtlichen Kontext der Suren<br />

kennen. Nach dem Abitur will er sich neben dem Studium<br />

der Luft- und Raumfahrttechnik zum Imam ausbilden<br />

lassen – eine Besonderheit in Deutschland: Bisher kommen<br />

Prediger und Koranlehrer überwiegend aus dem Ausland.<br />

Sie können das Freitagsgebet leiten und bringen fundiertes<br />

Wissen über die heilige Schrift mit. Deutsch sprechen die<br />

wenigsten. Mit Hasans Generation könnte sich das ändern.<br />

„Es geht uns darum, Werte wie Toleranz, Güte, Mitgefühl<br />

und Friedfertigkeit zu vermitteln“, sagt Kazim Per, der Leiter<br />

des Zentrums. <strong>In</strong> Zeiten, in denen viele Muslime mit Terroristen<br />

gleichgesetzt werden, kann er das gar nicht oft genug<br />

wiederholen. „Je religiöser ein Mensch ist, desto toleranter ist<br />

er auch“, sagt Kazim Per. Er sieht die Schule als Brücke zwischen<br />

den Kulturen. Im Unterricht wird Türkisch gesprochen<br />

– wenn nicht gerade der Koran zitiert wird. Daneben<br />

gibt es Nachhilfeangebote in Mathe, Englisch und Deutsch.<br />

Der Unterricht ist vorbei an diesem Sonntag, und auf dem<br />

Parkplatz vor der Moschee geht es zu wie auf jedem anderen<br />

Schulhof in Deutschland: Die Jüngeren kicken oder spielen<br />

Fangen. Die Älteren tippen auf ihren Handys herum oder<br />

schlendern über die Straße zur Dönerbude. Hasan hat es eilig<br />

nach Hause zu kommen, sein Rennrad wartet. Für heute<br />

hat er genug gelesen. Jetzt freut er sich darauf, die Hügel<br />

rund um seine Heimatstadt zu erklimmen.<br />

Autor: Nico­Elliot Kälberer<br />

Fotografin: Antonia Zennaro<br />

45


AUSNAHME<br />

NUR FÜR PROFIS<br />

<strong>In</strong> der Fastenzeit<br />

haben es muslimische<br />

Fußballer schwer<br />

Beim Sport, und dort vor allem<br />

im Profi-Fußball, ist Deutschland<br />

längst interkulturell und<br />

interkonfessionell. Ein gutes<br />

Beispiel ist die deutsche Nationalelf: Dort<br />

spielt der Deutsch-Türke Mesut Özil<br />

neben Cacau aus Brasilien; der dunkelhäutige<br />

Jerome Boateng neben dem<br />

Deutsch-Tunesier Sami Khedira.<br />

Wie zum Beweis läuft seit 2008 ein<br />

Werbespot im deutschen Fernsehen,<br />

der die Eltern der Nationalspieler beim gemütlichen<br />

Grillen zeigt – mit Kebab und Kartoffelsalat. Zum Ende, als<br />

alle andächtig der Hymne lauschen, kommt die Synchronstimme<br />

von <strong>Robert</strong> Redford aus dem off: „más integración“<br />

– mehr <strong>In</strong>tegration. Der Deutsche Fußball-Bund ist stolz auf<br />

sein „Multi-Kulti-Team“, lobt es bei jeder Ge legenheit in den<br />

Himmel. „Unser Spiel wäre eintöniger, weniger abwechslungsreich,<br />

weniger fantasievoll“, sagte Manager Oliver Bierhoff<br />

kürzlich. „Unsere Spieler mit Migrations hintergrund<br />

bringen durch ihre Spielweise andere Einflüsse mit ein. Das<br />

wirkt bereichernd.“<br />

Auch in vielen Sportvereinen auf Amateurebene spielen<br />

heute junge Einwanderer. Sie bringen aber nicht nur die<br />

vermeintlich andere Spielweise mit, sondern auch ihren<br />

46<br />

Fallou Diagné,<br />

SC Freiburg<br />

kulturellen und religiösen<br />

Hintergrund. Dazu gehört,<br />

dass sie bei der Feier nach<br />

dem Sieg über den VfL<br />

Pfullingen II vielleicht<br />

kein Bier mittrinken und<br />

in keine Bratwurst beißen.<br />

Zudem haben in vielen<br />

Gemeinden Migranten<br />

ihre eigenen Sportvereine gegründet.<br />

<strong>In</strong> Ligen der unteren Klassen spielen Vereine, die „Türkspor“<br />

oder „FC Bosporus“ heißen. Die meisten Spieler haben<br />

zwar einen deutschen Pass, sie fühlen sich dennoch in einem<br />

Verein wohler, in dem sie Mitspieler mit gleichen ethnischen<br />

Wurzeln finden. Was aber machen diese Spieler,<br />

wenn sie religiös sind und die Gesetze des Korans einhalten<br />

wollen? Vor allem während des Fastenmonats Ramadan<br />

geraten manche von ihnen in einen Konflikt: Volle Leistung<br />

auf dem Spielfeld erfordert eine ausreichende Ernährung.<br />

„Während des Ramadan machen wir nur leichtes Training“,<br />

sagt Serkan Diler. Diler ist Trainer von Ermstal Türkspor.<br />

Das Vereinsheim des Reutlinger Kreisligisten ist ein weißer<br />

Container im Schatten einer Tennishalle. An einem der zwei<br />

Holztische sitzt Diler, an der linken Wand hängt eine türkische<br />

Flagge, rechts die Pokale und ein Wimpel von Borussia<br />

Dortmund.


Fuat Bayrakat, der stellvertretende Vereinsvorsitzende,<br />

trinkt ein Becks, sein<br />

Feierabendbier. Nur während des Fastenmonats<br />

verzichtet er auf Alkohol.<br />

Auch während des Ramadan muss Türkspor<br />

antreten. Ein echter Wettbewerbsnachteil.<br />

Vor Jahren baten die Vereinsvorsitzenden<br />

darum, die Spiele in dieser Zeit abends<br />

nach Sonnenuntergang anzusetzen, doch dafür<br />

hatte der Staffelleiter nur ein müdes Lächeln übrig. Im<br />

Team von Türkspor gibt es zwar nur wenige Strenggläubige,<br />

die anderen trinken nach dem Spiel gerne ein Bier. Doch<br />

auch ihnen ist der Ramadan heilig. Viele im Team fasten.<br />

Besprechung im Türkspor­Vereinsheim: mit leerem Magen<br />

spielen oder aussetzen?<br />

Khalid Boulahrouz,<br />

VfB Stuttgart<br />

Auch im Profibereich gab es lange keine<br />

Regelung, wie Muslime sich im Fastenmonat<br />

verhalten sollten. Jeder Profi<br />

musste entscheiden, wem er sich mehr<br />

verpflichtet fühlt: dem Glauben oder<br />

dem Geldgeber. „An freien Tagen<br />

faste ich, da geht das ohne Probleme“,<br />

sagt der Deutsch-Türke Serdar<br />

Tasci vom VfB Stuttgart. „Ansonsten<br />

ist es natürlich schwer umzusetzen.“<br />

Tascis ehemaliger Mitspieler<br />

Sami Khedira sieht das ähnlich, es sei „unmöglich zu fasten,<br />

da wir eine extrem hohe körperliche Belastung haben“.<br />

Seit 2010 gelten für Profis Ausnahmen. <strong>In</strong> einer Vereinbarung<br />

haben sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland<br />

mit dem Deutschen Fußball-Bund und der Deutschen Fußball<br />

Liga darauf geeinigt, die Bundesliga-Kicker in der Spielzeit<br />

von den Fastenregeln zu befreien. Sie können das Fasten<br />

nach Saisonende nachholen. Dazu hatte der Zentralrat extra<br />

ein theologisches Rechtsurteil bei führenden Autoritäten<br />

des <strong>Islam</strong>s eingeholt. Sinngemäß steht darin: Wer mit Sport<br />

sein Geld verdient und Höchstleistungen bringen muss, darf<br />

das Fasten brechen. Amateurfußballer sind die Ausnahme<br />

der Ausnahme. Für sie heißt es entweder mit leerem Magen<br />

spielen oder aussetzen.<br />

Autor: Dominik Drutschmann<br />

Fotografen: Helge Prang/GES­Sportfoto (Diagné),<br />

Daniel Ulmer/Pressefoto Ulmer (Boulahrouz),<br />

Christoph Püschner<br />

47


Schlachterei in Gärtringen:<br />

Nach der Betäubung leiden<br />

die Tiere 48 nicht.


Auf Messers<br />

Schneide<br />

Der Koran schreibt vor, dass Schlachtvieh noch leben muss,<br />

wenn ihm die Kehle aufgeschnitten wird, damit es vollständig<br />

ausblutet. Das Gesetz befiehlt, die Tiere nicht zu quälen.<br />

Ein Dilemma – und seine Lösung<br />

Überall noch Schweineblut. Auf dem Fließband,<br />

auf den Wannen, auf dem Boden und an den<br />

Wänden. Süleyman Karatepe lehnt mit einem<br />

Wasserschlauch in der Tür des Schlachtraums<br />

und zielt auf rote Flecken. Einen nach dem anderen spült er<br />

sie von den Fliesen und vom Metall.<br />

Erst als kein Spritzer Blut mehr verrät, dass im Gärtringer<br />

Schlachthof vor einer halben Stunde Schweine geschlachtet<br />

wurden, legt er den Schlauch weg und wartet vor dem Fließband<br />

auf die Lämmer.<br />

Jedem Tier wird der muslimische Schlachter mit seinem<br />

Messer die Kehle durchschneiden und vorher „bismillah“<br />

ausrufen – „im Namen Gottes“. Das Tier wird noch zucken,<br />

„doch das sind reine Reflexe“, erklärt Natalia Quindt, die<br />

ständige Tierärztin des Schlachthofs, „nach der Betäubung<br />

empfinden die Tiere keine Schmerzen mehr“.<br />

Süleyman Karatepe schlachtet nach den Regeln des Korans.<br />

Sein Vater hat es ihm in der Türkei beigebracht. Seit<br />

15 Jahren arbeitet er in Deutschland bei Murat Lamm,<br />

einem türkischen Fleischproduzenten im schwäbischen Gärtringen.<br />

Die überwiegend türkischen Kunden kaufen dort<br />

Halal-Fleisch, was so viel bedeutet wie „erlaubtes Fleisch“.<br />

Um halal zu sein, darf das Schlachtvieh keinen Kontakt<br />

mit Schweineblut, Alkohol oder Ungläubigen gehabt haben.<br />

Schlachter Karatepe muss dazu den Namen Gottes anrufen,<br />

das Tier beim Töten nach Mekka wenden und es anschließend<br />

vollständig ausbluten lassen.<br />

Für Muslime – wie auch für Juden – ist Blut unrein. Ihre<br />

Religionen schreiben daher das Schächten von Tieren vor.<br />

Nur wenn das Schlachtvieh beim Schnitt durch die Kehle<br />

noch lebt, könne garantiert werden, dass sein Herz genügend<br />

Blut aus dem Körper pumpe und nichts davon das Fleisch<br />

verunreinige.<br />

Zum Schächten gehört laut Koran und Thora das betäubungslose<br />

Schlachten. Das aber ist vom deutschen Tierschutzgesetz<br />

klar verboten: „Ein warmblütiges Tier darf nur<br />

geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzugs<br />

betäubt worden ist.“ Die Bundestierärztekammer kommt<br />

49


in einem Gutachten zu dem Schluss, dass „betäubungsloses<br />

Schlachten zu erheblichem Leiden und Schmerzen“ führt.<br />

Ihr Vorsitzender Ernst Breitling spricht in einem solchen<br />

Fall von „klarer Tierquälerei“.<br />

Für Muslime und Juden ist das ein Problem. Auf der einen<br />

Seite stehen die Gebote ihrer Religion, auf der anderen<br />

Seite die Gesetze ihres Landes. Für dieses Dilemma gibt es<br />

drei Lösungen:<br />

Die einfachste Lösung ist der Import von Halal- bzw. Koscher-Fleisch.<br />

Die Einfuhr ist erlaubt, und das Fleisch ist oft<br />

billiger als in Deutschland. Der Haken an der Sache: Der<br />

Kunde kann unmöglich überprüfen, ob die halal-Kriterien<br />

vor Ort eingehalten wurden.<br />

Die zweite Lösung beruft sich auf das Grundrecht freier Religionsausübung.<br />

<strong>In</strong> ganz Deutschland gibt es allerdings nur<br />

eine Handvoll muslimischer und einen einzigen jüdischen<br />

Schlachthof, in dem betäubungslos geschlachtet wird.<br />

Die dritte und gängigste Lösung ist ein Kompromiss zwischen<br />

den Geboten der Religion und den Gesetzen des<br />

Staates. Dazu wird – wie bei Süleyman Karatepe – das Tier<br />

mit einem Stromstoß betäubt, bevor es getötet wird. Es lebt<br />

noch, sagen die Muslime; es empfindet keine Schmerzen<br />

mehr, sagen die Tierschützer. Legal und halal. Vertreter aller<br />

schiitischen und der vier großen sunnitischen Rechtsschulen<br />

haben zugestimmt.<br />

Auf diesen Kompromiss setzt auch Murat Lamm in Gärtringen.<br />

Stundenweise mietet der Fleischproduzent den<br />

Schlachtraum des benachbarten Schlachthofes an, um dort<br />

nach den Regeln des Korans zu schlachten. <strong>In</strong> der übrigen<br />

Zeit arbeiten dort andere Schlachter. Für Außenstehende<br />

unterscheidet sich ihre Arbeit nur gering von der Süleyman<br />

Karatepes. Auch bei ihnen schreien und treten die Tiere,<br />

auch bei ihnen fließt Blut.<br />

Süleyman Karatepe hat seine 41 Lämmer für heute geschlachtet.<br />

Nun übernimmt ein deutscher Kollege den<br />

Dienst am Messer. Ein Rind steht bereits in der Einfahrt und<br />

wartet mit dampfendem Atem im Nieselregen.<br />

Autor: Holger Fröhlich<br />

Fotograf: Martin Stollberg<br />

50<br />

Suche nach Kompromissen: zwischen islamischen Regeln<br />

und deutschem Tierschutz.<br />

<strong>In</strong> <strong>Baden</strong>­Württemberg leben heute schätzungsweise<br />

650.000 Muslime. Nicht alle richten<br />

sich nach den streng ausgelegten Speisegeboten<br />

des <strong>Islam</strong>. Die in Deutschland lebenden<br />

Sunniten (größte Gruppierung innerhalb des<br />

<strong>Islam</strong>) kaufen zu 90 Prozent Halal­Fleisch; unter<br />

Schiiten hingegen sind es 60 Prozent; und<br />

unter Aleviten nur 50 Prozent. Schweinefleisch<br />

lehnen alle Muslime ab. Der Begriff halal beschränkt<br />

sich im Übrigen nicht nur auf Fleisch.<br />

Jedes Essen muss rein sein, darf also nicht in<br />

Kontakt mit Schweineblut oder Alkohol gekommen<br />

sein. Das gilt auch für Kosmetik und Alltagsgegenstände.


Die<br />

friedliche<br />

Tour<br />

Eine Moschee mitten in einer beschaulichen<br />

Eigenheimsiedlung – monatelang herrschte<br />

in Nürtingen ein hitziger Nachbarschaftsstreit.<br />

Bis sich ein pensionierter Seemann und ein<br />

türkischer Fabrikarbeiter der Sache annahmen<br />

„Das mit den Parkplätzen läuft mittlerweile super“: Wilfried Stelzmann und<br />

Yasar Keskin (v.l.) sprechen mit einem Anwohner der Mevlana­Moschee.<br />

Freitagstermin. Wilfried Stelzmann, 66, holt den Schirm<br />

aus dem Kofferraum. Die dunklen Wolken verheißen nichts<br />

Gutes. Der Rentner in knitterfreier Hose stützt sich auf den<br />

Schirm wie auf einen Gehstock, doch für einen Spaziergang<br />

ist er nicht gekommen. Stelzmann ist einer der zwei Männer,<br />

die dafür sorgen, dass in einer Siedlung am Stadtrand von<br />

Nürtingen Frieden herrscht.<br />

Als die Mevlana-Moschee 1997 in das Erdgeschoss der alten<br />

Schreinerei an der Tiefenbachstraße einzog, war rundherum<br />

Brache. 2003 wurde auf dem Bauland die Siedlung „Drei<br />

Linden“ gegründet, mehr und mehr Eigenheime entstanden.<br />

Manche der Zugezogenen fühlten sich gestört in ihrer Idylle,<br />

klagten über Lärm und fremde Menschen. Zu den Gebeten<br />

und Festen kamen nicht nur die achtzig Mitglieder<br />

der Gemeinde in die Moschee, sondern auch viele Muslime<br />

aus den Nachbarorten. Die Lokalzeitung druckte wütende<br />

51


<strong>In</strong> der Schweiz zogen islamfeindliche Parolen: Nein zum Bau von Minaretten.<br />

Leserbriefe, von gegenseitigen Beleidigungen und Drohungen<br />

war zu lesen, eine Protest-Website ging online. Bei der<br />

Stadt hagelte es Beschwerdebriefe. Vordergründig ging es um<br />

Parkverstöße. Kreuz und quer abgestellte Autos blockierten<br />

Einfahrten und die Straße zu den nahen Getreidefeldern.<br />

Heute, an einem Freitag im Herbst 2011, ist der Weg frei.<br />

„Kein Auto“, quittiert Stelzmann stolz. Trotzdem wartet Arbeit.<br />

Aus einer Einfahrt läuft eine Frau mit feuerroten Haaren<br />

auf ihn zu. „Herr Stelzmann, gut dass ich Sie treffe.“ Eine<br />

Mutter, die im Erdgeschoss ihres Heims eine Praxis für Physiotherapie<br />

betreibt. „Das mit den Parkplätzen läuft mittlerweile<br />

super“, sagt sie, „aber der Lärm, das geht so nicht. Bis<br />

halb zwölf stehen die vor der Moschee, zum Abschied wird<br />

noch mal gehupt, meine Tochter kann nicht schlafen.“<br />

„Gut, kümmer’ mich“, sagt Stelzmann. Die leicht nasale<br />

Aussprache verrät, dass er aus dem hohen Norden stammt:<br />

aus Brunsbüttel, wo die Elbe in die Nordsee fließt. Sechzehn<br />

Jahre lang ist er zur See gefahren, hat in Asien Schiffsbauten<br />

beaufsichtigt, auch in der Arktis ist er gewesen. 1976<br />

der Umzug nach Nürtingen, Angestellter bei den Stadtwerken,<br />

2008 die Rente. „Stelzmann, du kannst nicht jeden Tag<br />

Fenster streichen“, habe er sich damals gesagt. Er meldet<br />

52<br />

sich beim Bürgertreff für ein Ehrenamt, wird Turmwächter.<br />

Auf dem Turm der Stadtkirche trägt er Anekdoten aus der<br />

Historie Nürtingens vor.<br />

2009 fragte ihn der Leiter des Bürgertreffs, ob er Bürgermentor<br />

werden wolle; Nachbarschaftsstreitigkeiten schlichten, er<br />

könne doch so gut mit Menschen. „Wenn ihr keinen anderen<br />

Dummen findet“, antwortete Stelzmann ihm. Nicht lange im<br />

Amt, spitzte sich der Streit in der Siedlung zu.<br />

Im Frühjahr 2010 lud der damalige Bürgermeister Anwohner<br />

und Vertreter der Moschee zum Runden Tisch. Es lief<br />

eher unrund. Von „heftigen Auseinandersetzungen“ zeugen<br />

die Protokolle. „Ging aus wie das Hornberger Schießen“,<br />

sagt Stelzmann; als Bürgermentor war er beim Treffen dabei.<br />

Am Runden Tisch saß ein weiterer Mentor, Yasar Keskin.<br />

Stelzmann und Keskin beschlossen, „die Sache“ gemeinsam<br />

zu regeln.<br />

Keskin, 49, hat in seinen Schuppen geladen, um von damals<br />

zu erzählen. Beim Betreten aufgeregtes Flattern und Piepen,<br />

in den Volieren hausen Kanarienvögel, Grünfinken, Gartenstieglitze,<br />

70 Tiere momentan. „Ich kannte den Vorstand der<br />

Moschee nicht wirklich gut“, sagt er durch das Gezwitscher<br />

Foto: ddp images


hindurch. Er gehe nur ein paar Mal im Jahr zum Gebet. Keskin<br />

hat ein rundes Gesicht und freundliche Augen unter den<br />

buschigen Brauen. Dass er leicht verkniffen guckt, liegt am<br />

Schlafmangel. Nachtschicht in einer Fabrik für Autoteile.<br />

Die Vogelzucht ist sein Hobby, an der Wand kleben Urkunden<br />

vom Kanarienzüchterverein, lauter erste Plätze. Seit 32<br />

Jahren lebt er in Deutschland, auf dem Balkon wehen zwei<br />

Flaggen, schwarz-rot-gold und rot mit weißem Halbmond.<br />

„Ich bin türkischer Schwabe“, sagt er und erzählt von seinen<br />

Kindern, der Junge studiert in Australien, die Tochter macht<br />

eine Lehre zur <strong>In</strong>dustriekauffrau. „Unsere Jugendlichen<br />

können perfekt Deutsch und haben deutsche Pässe, aber Politiker<br />

sprechen immer noch von <strong>In</strong>tegration. Der Respekt<br />

fehlt“, sagt er, der Ton bleibt freundlich. „Manche kritisieren<br />

gern, gehen aber nicht auf die Menschen zu.“<br />

Anders die zwei Mentoren. Gemeinsam klapperten sie 30<br />

Haushalte ab. Drei anstrengende Wochen. Nicht nur das<br />

Parkproblem galt es aus dem Weg zu räumen. Manch ein<br />

Hausbesitzer fürchtete, sein Grundstück könne an Wert verlieren.<br />

„Oft war nach einer Viertelstunde alles geklärt“, erinnert<br />

sich Stelzmann. Bei anderen dauerte es länger. „Einer<br />

war gegen die islamische Kultur, gehört hier nicht her, hat der<br />

gesagt, da kannst du von morgens bis abends reden.“<br />

<strong>In</strong> den meisten Fällen konnten die beiden Mentoren erfolgreich<br />

vermitteln, lange schon wurde kein Beschwerdebrief<br />

mehr verfasst. Dennoch dreht Stelzmann seine Runden<br />

durch die Siedlung. Vor der Moschee stehen Männer<br />

<strong>In</strong> Hinterhöfen oder Gewerbegebieten angesiedelt,<br />

blieben die Moscheen in Deutschland – und mit ihnen<br />

die islamischen Gemeinden – lange unsichtbar. Seit<br />

den 90er Jahren aber machen sich die muslimischen<br />

Vereine verstärkt für repräsentative Bauten stark.<br />

Die Muslime wollen zeigen, dass sie dazugehören,<br />

und müssen doch immer wieder erleben, dass es<br />

Menschen gibt, die das anders sehen: <strong>In</strong> Hemmingen<br />

(Landkreis Ludwigsburg) kauften Anwohner eine<br />

Gaststätte, damit die türkisch­islamische Gemeinde<br />

dort keine Gebetsräume einrichten konnte. <strong>In</strong> Ulm<br />

zogen die Anwohner gegen die Baupläne der muslimischen<br />

Gemeinde vor Gericht, in Esslingen ist lange<br />

in Grüppchen zusammen, plaudern auf Türkisch oder<br />

Arabisch, rauchen, trinken Kaffee aus Plastikbechern. Dazwischen<br />

springen Kinder mit Schulranzen herum, gleich<br />

beginnt das Freitagsgebet. Unter dem Vordach sitzt der stellvertretende<br />

Leiter der Gemeinde, Irfan Cakal. Stelzmann<br />

gibt ihm die Hand. „Herr Cakal“, sagt er, „abgemacht war,<br />

dass die Leute bis zweiundzwanzig Uhr draußen sitzen. Eine<br />

Nachbarin hat sich beschwert, dass hier noch nach elf Betrieb<br />

herrscht.“<br />

„Ist das so? Ich rede mit dem Vorbeter, der soll darauf<br />

hinweisen.“<br />

„Wäre gut, die Frau ist ein bisschen verärgert.“<br />

„Isch klar.“<br />

„Sie denken dran“, sagt Stelzmann zum Abschied: „Ich erkundige<br />

mich in einer Woche bei der Frau, ob es besser<br />

geworden ist.“<br />

Genug für heute, zu Hause wartet das Mittagessen. „Hoppla“,<br />

ruft er, als er sein Auto öffnen will. Nicht abgeschlossen.<br />

„Passiert mir ständig.“ Aber der Wagen steht noch, und, Blick<br />

ins Handschuhfach, der Turmschlüssel ist auch da. Ist eben<br />

eine friedliche Gegend.<br />

Autor: David Krenz<br />

Fotograf: Christoph Püschner<br />

über ein Minarett gestritten worden. Den Gegnern<br />

war es 60 Zentimeter zu hoch. <strong>In</strong> der Schweiz wurde<br />

der Bau von Minaretten per Volksentscheid gar ganz<br />

verboten. Vor dem Referendum hatten die Minarett­<br />

Gegner gezielt gegen Muslime polemisiert.<br />

Es kann auch anders laufen: Als in Hechingen (Zollernalbkreis)<br />

eine Moschee gebaut wurde, setzte der dortige<br />

muslimische Verein auf Transparenz. Anwohnerproteste<br />

blieben aus, geführte Stadttouren enden<br />

heute an der Moschee, künftig will man Schulklassen<br />

Führungen durch das Haus anbieten. Sogar ein hohes<br />

Minarett schmückt das Gebäude.<br />

53


Die Entscheidung<br />

Welcher Religion man angehört, ist meist durch die Geburt<br />

bestimmt. Doch es gibt Ausnahmen. Zwei Konvertiten erzählen,<br />

warum sie ihren Weg zu Gott selbst gewählt haben<br />

54<br />

„Jesus ist bei mir“<br />

Golnaz Niavarani*<br />

Ich wurde 1968 in Teheran geboren und muslimisch erzo­<br />

gen. Meine Mutter ist sehr gläubig, wir feierten viele reli­<br />

giöse Feste zuhause. <strong>In</strong> der Schule musste ich täglich zwei<br />

Stunden im Koran lesen. Im Iran wusste ich sehr wenig<br />

über das Christentum. Nur einmal habe ich dort eine Gruppe<br />

getroffen, die viel über Jesus gesprochen hat. Aber von<br />

dem, was sie erzählt haben, habe ich nur wenig verstanden.<br />

2004 bin ich mit meinen beiden Kindern nach Deutschland<br />

gekommen.<br />

Als alleinerziehende Mutter kannte ich zunächst niemanden.<br />

Dann habe ich tolle Menschen kennengelernt, die<br />

waren nett und hilfsbereit. Sie waren Christen, durch sie<br />

habe ich zum Glauben gefunden. Anfänglich war ich selber<br />

geschockt, dass ich Christin geworden bin, schließlich ist<br />

das im <strong>Islam</strong> verboten. Das hat mir auch meine Mutter gesagt,<br />

als ich ihr am Telefon davon erzählte. Heute akzeptiert<br />

sie es. Ihr ist nur wichtig, dass ich meinen Weg gefunden<br />

habe. Es war nicht meine Entscheidung, dass ich Christin<br />

werde, sondern die von Jesus. 2006 wurde ich in Bonn getauft.<br />

Ich bin durch den Glauben ein anderer Mensch geworden.<br />

Wenn ich als Kind etwas ausgefressen hatte, habe ich<br />

immer gesagt „Ich war‘s nicht!“ Ich habe viel gelogen.<br />

Meine Familie im Iran war nicht reich, aber wir hatten alles,<br />

was wir brauchten. Dann, vor neun Jahren, wurde eine<br />

Verwandte von uns verschleppt. Sie war eine schöne Frau,<br />

Lehrerin und trat für Frauenrechte ein. Vielleicht sitzt sie im<br />

Gefängnis. Vielleicht haben Menschenhändler sie nach Dubai<br />

gebracht, wo sie arbeiten muss. Wir wissen nicht, wo sie<br />

ist und ob sie noch lebt. Aber ich weiß: Jesus ist auch bei<br />

ihr. Sollte sie tot sein, sehen wir uns im Himmel wieder.<br />

Oft, wenn ich mit meiner Familie oder mit meinen Freunden<br />

im Iran telefoniere, sagen viele: „Golnaz, bitte bete für uns!“<br />

Eigentlich müssen sie ja selber glauben und beten. Aber<br />

wenn ich dann in der Kirche bin, bete ich doch für sie. Bald<br />

bekomme ich meinen deutschen Pass, dann kann ich das<br />

erste Mal wieder in den Iran reisen. Ich muss dort über Jesus<br />

reden. Auch, wenn es gefährlich sein könnte, weiß ich:<br />

Mir wird nichts passieren, denn Jesus ist bei mir.<br />

* Name geändert<br />

Aufgezeichnet von Thomas Krause


Illustration: Christina Gransow<br />

„Der <strong>Islam</strong><br />

gibt mir Antworten“<br />

Dirk Pleil<br />

Bis vor ein paar Jahren habe ich in einer Bar gearbeitet. Dort<br />

habe ich mit einem Muslim über Religion gesprochen. Als er<br />

sagte, der <strong>Islam</strong> sei die richtige Religion, habe ich zunächst<br />

widersprochen. Er hat er mir dann Filme auf Youtube gezeigt,<br />

die mich zum Nachdenken gebracht haben. Schließlich habe<br />

ich ihn zu einem Vortrag in die Moschee begleitet.<br />

Auf der Veranstaltung haben die Brüder mich gefragt, ob<br />

mich der <strong>Islam</strong> interessiert. Sie haben mir ihre Sicht der<br />

Dinge erklärt. Zum Beispiel, dass das Wohl des Bruders<br />

wichtiger ist als das eigene. Das hat mich sehr neugierig<br />

gemacht. Ich wollte immer mehr wissen. Am selben Abend<br />

habe ich mit den Brüdern gebetet. Es war faszinierend.<br />

Jeder kennt doch „Gänsehaut“, etwa wenn man ein besonderes<br />

Lied hört. Noch nie hatte ich dieses Gefühl so intensiv<br />

verspürt wie bei dem Gebet.<br />

<strong>In</strong> der Gemeinschaft habe ich mich gleich wohl gefühlt. Ich<br />

habe eine Wärme erlebt, die mir neu war. Der <strong>Islam</strong> ist eine<br />

wunderschöne Religion, er macht mich zu einem glücklichen,<br />

zufriedenen Menschen. Früher habe ich mich oft<br />

gefragt: Wer hat das Universum erschaffen? Woher komme<br />

ich? Warum bin ich hier? Der <strong>Islam</strong> gibt mir Antworten auf<br />

diese Fragen.<br />

Früher habe ich alles getan, um Dinge zu erreichen, die<br />

in der westlichen Welt als erstrebenswert gelten. Seit ich<br />

Muslim bin, interessieren mich materielle Reichtümer nicht<br />

mehr. Früher haben mich negative Erfahrungen sehr belastet,<br />

heute weiß ich: Das ist ein Test, ich muss ihn bestehen.<br />

Am jüngsten Tag werde ich dafür belohnt.<br />

Wenn ich Freunden von früher erzähle, dass ich den <strong>Islam</strong> angenommen<br />

habe, können sie das nicht verstehen. Die haben<br />

halt diese Vorurteile. Auch meine Eltern sind überhaupt nicht<br />

glücklich damit. Für sie ist das eine Katastrophe. Sie glauben<br />

dem, was die Medien erzählen und haben Angst, dass<br />

ich zum Terroristen werde. Ich finde das lächerlich, denn im<br />

Koran steht sinngemäß: „Wenn du eine Seele tötest, tötest<br />

du die ganze Menschheit.“ Wenn ich meinen Eltern das sage,<br />

wollen sie es nicht hören. Aber ich werde alleine vor Gott<br />

stehen und Rechenschaft ablegen, da werden sie mir nicht<br />

helfen können.<br />

Aufgezeichnet von Johan Kornder<br />

55


<strong>Islam</strong> in<br />

aller Kürze<br />

Die Fünf<br />

Säulen des<br />

<strong>Islam</strong><br />

Die „Fünf Säulen des <strong>Islam</strong>“ sind die<br />

grundlegenden religiösen Pflichten<br />

der Muslime: das Glaubensbekenntnis<br />

(Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt<br />

außer Gott und Muhammad sein Prophet<br />

ist), das Gebet, die Entrichtung<br />

von Almosen, das Fasten während des<br />

Ramadan sowie die Pilgerfahrt nach<br />

Mekka.<br />

Der Koran<br />

Der Koran ist die heilige Schrift des<br />

<strong>Islam</strong>, die gemäß dem Glauben der<br />

Muslime die wörtliche Offenbarung<br />

Gottes an den Propheten Mohammed,<br />

vermittelt durch den Erzengel Gabriel,<br />

enthält. Er umfasst 114 Suren, also<br />

Kapitel, mit insgesamt 6.236 Versen,<br />

und besteht aus den Offenbarungen,<br />

56<br />

die Mohammed zwischen 610 und 632<br />

zuerst in Mekka, dann in Medina empfangen<br />

hat. Der Koran ist in Reimprosa<br />

geschrieben und gilt als das älteste<br />

arabische Prosawerk.<br />

Sharia<br />

Die Sharia ist das islamische Recht<br />

und ein Verhaltenscode für Muslime<br />

im Alltag. Seine Hauptquellen sind der<br />

Koran und überlieferte Entscheidungen<br />

des Propheten. Hierzulande wird<br />

die Sharia oft mit dem in ihr enthaltenen<br />

drakonischen Strafen gleichgesetzt.<br />

Sie finden in der Praxis jedoch<br />

so gut wie keine Anwendung.<br />

<strong>Islam</strong>ische<br />

Feste<br />

Das höchste Fest im <strong>Islam</strong> ist das<br />

Opferfest im Wallfahrtsmonat, der<br />

sich jedes Jahr um ein paar Tage<br />

verschiebt, weil er durch den islamischen<br />

Mondkalender festgelegt wird.<br />

Wer auf der Haddsch, der Pilgerfahrt<br />

nach Mekka ist, schlachtet im Gedenken<br />

an das Opfer Abrahams ein Tier.<br />

Auch daheim wird geschlachtet, das<br />

Fleisch kommt Bedürftigen zugute,<br />

doch auch der Geber muss davon essen.<br />

Das zweithöchste Fest wird zum<br />

Ende des Ramadan begangen. 30 Tage<br />

lang halten sich Muslime während des<br />

Fastenmonats von Sonnenauf­ bis<br />

Sonnenuntergang von allen Genüssen<br />

fern. Erst nach Sonnenuntergang<br />

gibt es etwas zu trinken und zu essen.<br />

Am Ende steht das dreitägige Fest des<br />

Fastenbrechens.<br />

Glaubensrichtungen<br />

im <strong>Islam</strong><br />

Nach dem Tod Mohammeds kam es zu<br />

Spaltungen unter den Muslimen. Heute<br />

stellen die Sunniten weltweit mit etwa<br />

85 Prozent die größte Gruppierung, es<br />

folgen die Schiiten mit etwa 10 Prozent<br />

und viele kleinere Untergruppen, wie<br />

Charidschiten oder Aleviten, zu denen<br />

sich in Deutschland allerdings 13 Prozent<br />

der Muslime zählen. Für sie haben<br />

die fünf Säulen des <strong>Islam</strong> keinen hohen<br />

Stellenwert, die islamische Rechtsordnung<br />

spielt für sie keine Rolle, weshalb<br />

teilweise bestritten wird, dass sie<br />

überhaupt Muslime sind. Auch unter<br />

den Aleviten selbst gehen die Meinungen<br />

auseinander: Einige sehen sich als<br />

Muslime, andere nicht.


Impressum<br />

Dieses Magazin wurde von Absolventen der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl<br />

an der Volkshochschule Reutlingen gemacht und durch die <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong> gefördert.<br />

Es liegt folgenden Tageszeitungen bei: Badische Zeitung, Südwestpresse Ulm,<br />

Reutlinger Generalanzeiger, die tageszeitung<br />

Herausgeber: Dr. Ulrich Bausch, Zeitenspiegel-Reportageschule an der VHS Reutlingen GmbH,<br />

Spendhausstr. 6, 72764 Reutlingen, www.reportageschule.de<br />

Chefredaktion: Philipp Maußhardt (Päd. Leiter der Zeitenspiegel-Reportageschule)<br />

CvD: Mathias Becker / Zeitenspiegel Reportagen Reinhardt & Partner<br />

Mitarbeit: Nicola Abé, Mathias Becker, Dominik Drutschmann, Holger Fröhlich,<br />

Patrick Hemminger, Matthias Hofmann, Nico-Elliot Kälberer, Johan Kornder, Thomas Krause,<br />

David Krenz, Julius Schophoff, Dagny Riegel<br />

Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Hermann Bausinger, Dr. Michael Blume, Patrick Hemminger<br />

Fotografie: Julia Grudda, Thomas Kienzle, Rainer Kwiotek, Christoph Püschner, Uli Reinhardt, Eric Vazzoler,<br />

Antonia Zennaro (alle Zeitenspiegel Reportagen Reinhardt & Partner), Martin Stollberg, Benny Ulmer<br />

Illustration: Christina Gransow<br />

Bildredaktion: Barbara Bylek / Zeitenspiegel Reportagen Reinhardt & Partner<br />

Art Director: Patrick Reinhardt<br />

Druck: Freiburger Druck GmbH & Co KG<br />

Leserzuschriften bitte an: Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl, Spendhausstr. 6, 72764 Reutlingen,<br />

Email: info@reportageschule.de<br />

Schulen können weitere Exemplare über die Zeitenspiegel-Reportageschule bestellen.<br />

zenith – Zeitschrift für den Orient ist das führende deutschsprachige Magazin zum<br />

Nahen Osten, dem Maghreb und der islamischen Welt. Die 1999 gegründete, zweimonatlich<br />

erscheinende Zeitschrift berichtet kritisch, ausgewogen und kenntnisreich – und begleitet<br />

neben der großen Politik auch den Alltag der Menschen.<br />

Neben Reportagen, Hintergrundberichten und <strong>In</strong>terviews bietet zenith starke, preisgekrönte<br />

Foto-Reportagen und Illustrationen. Die Schwerpunkt-Dossiers des Magazins beleuchten<br />

Themen des Zeitgeschehens auf unkonventionelle Art und Weise.<br />

Für Abonnenten von zenith liegt der BusinessReport bei, der kritische Wirtschaftsberichterstattung<br />

zum Nahen Osten, Afrika und Zentralasien bietet. Täglich aktuell berichtet zenith<br />

auf www.zenithonline.de<br />

Die nächste Ausgabe mit dem Schwerpunktthema “<strong>Islam</strong> in Deutschland” erscheint<br />

Anfang März.<br />

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