Leseprobe - Ch. Links Verlag
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Alexander Osang<br />
Tamara Danz . Legenden
Alexander Osang<br />
Tamara Danz<br />
Legenden<br />
Mit Fotos von Ute Mahler<br />
und anderen<br />
<strong>Ch</strong>. <strong>Links</strong> <strong>Verlag</strong>, Berlin
Fotonachweis<br />
Ute Mahler/Ostkreuz: S.29, 39, 45, 51, 59, 69, 79, 87, 95, 100–105, 106 u., 107–115,<br />
117, 119, 127, 130 u., 135, 141, 145, 151, 157, 165, 177, 183, 188, Cover<br />
Thomas Böhme/SPOT: S. 83, 130 o., 158, 159, 169<br />
Jim Rakete: S.97<br />
Sybille Bergemann: S.64<br />
Hartmut Schorsch: S.75<br />
Alex Becher: S.137<br />
Oliver Ziebe: S. 106 o.<br />
Harry Schmitger: S. 143<br />
Archiv Tamara Danz: S. 56, 61, 73, 81, 129, 131<br />
Privat: S.41, 47, 53, 71, 122<br />
Sabine Lenz: Umschlagrückseite<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />
http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />
4., durchges. Auflage, Juni 2008<br />
© <strong>Ch</strong>ristoph <strong>Links</strong> <strong>Verlag</strong> – <strong>Links</strong>Druck GmbH, 1997<br />
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0<br />
Internet: www.linksverlag.de; mail@linksverlag.de<br />
Umschlaggestaltung: KahaneDesign Berlin unter Verwendung<br />
eines Fotos von Ute Mahler<br />
Satz und Reproduktionen: LVD GmbH, Berlin<br />
Druck- und Bindearbeiten: Druckerei F. Pustet, Regensburg<br />
ISBN 978-3-86153-505-8
Inhalt<br />
Ein später Traum<br />
Gib mir Asyl. Hier im Paradies.<br />
Ein letztes Interview<br />
Verschiedene Welten<br />
Totensonntag bei Erich Danz<br />
Zwei ungleiche Mädchen<br />
Monika Richter hat ihre Freundin Tamara Danz lange beneidet.<br />
Um ihre Eltern, ihre Unabhängigkeit und ihre hohen, weißen Stiefel<br />
»Venus«<br />
Der Gitarrist Uwe Kropinski war Tamaras erste große Liebe<br />
Der kleinste gemeinsame Nenner<br />
Wolfgang Lippert konnte Tamara Danz einen Sommer lang begeistern<br />
»Eine kulturpolitische Herausforderung«<br />
René Büttner holte Tamara Danz zum Oktoberklub und betreute sie<br />
als AMIGA-<strong>Ch</strong>efredakteur<br />
Familie Silly<br />
Mathias Schramm wollte aus Tamara Danz eine Tina Turner<br />
des Ostens machen<br />
Harte Zeiten<br />
Der Schlagzeuger Herbert Junck über das Ende einer Idylle<br />
Ostbräute<br />
Die Sängerin Angelika Weiz war die beste Freundin von Tamara Danz<br />
Der Onkel aus Amerika<br />
Jim Rakete hat in den achtziger Jahren versucht,<br />
Silly für den Westmarkt ein anderes Image zu geben<br />
Ritchies Welt<br />
Rüdiger Barton war über sechs Jahre an der Seite von Tamara Danz<br />
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»Gott ist gemein«<br />
Gregor Gysi, Tamara Danz und die Schwäche für Politik<br />
Berliner Tag<br />
Ein Sonnabend zwischen Klingbeils Villa und Castorfs Prater<br />
Kranke Nachbarn<br />
Professor Wolfram Wermke war Tamaras Freund und Arzt<br />
»Finalbetreuung«<br />
Zwei junge Ärztinnen begleiteten Tamara Danz bis zu ihrem Tod<br />
Markt, Männer und Moral<br />
Ein Fernsehabend mit Uwe Hassbecker und Ritchie Barton<br />
Der letzte Mann<br />
Kurz vor ihrem Tod heiratete Tamara Danz<br />
ihren Freund Uwe Hassbecker<br />
Jenseits von Eden<br />
Manfred Stolpe versucht sich an Tamara Danz zu erinnern<br />
Es sollte ein Spielraum bleiben<br />
Die Rostocker Bildhauer Susanne und Joachim Jastram<br />
schlagen Tamaras Grabstein<br />
Lucy in the sky<br />
Schwarzer Kater<br />
Anhang<br />
Tamara Danz: Ein rollender Stein setzt kein Moos an<br />
Die »Gammler«-Jahre<br />
Tamara Danz: »Ich möchte alles versucht haben«<br />
Der Ausreiseantrag<br />
Tamara Danz: Ein Höchstmaß an Freiheit<br />
Das stürmische Jahr 89<br />
Lebensdaten Tamara Danz<br />
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Markt, Männer und Moral<br />
Ein Fernsehabend mit Uwe Hassbecker und Ritchie Barton<br />
Tamara redet dem Schimpansen gut zu. Er heißt Sammy und trägt Hosen sowie<br />
ein gestreiftes T-Shirt. Tamara redet mit einer hohen, lieben Kinderstimme. Die<br />
benutzt sie auch, wenn sie Silly ruft, ihren dicken alten Kater. Jetzt aber sitzt sie<br />
in diesem Zirkuswagen, und Sammy rudert mit den Armen, guckt blöd, kommt<br />
dann aber schließlich doch zu ihr. Tamara umarmt ihn und lacht ihr Lachen. Ein<br />
echtes Lachen, eines mit viel Zahnfleisch. Sie ist älter geworden und weicher.<br />
Ihre Haare spreizen sich nicht mehr nach allen Richtungen ab. Sie fallen nach<br />
hinten, gehalten von einem Reif. Neben ihr im Wagen sitzt eine rauchende Frau<br />
vor einem Glas Wein. Das ist die Zirkusdirektorin Frau Samel, die in den letzten<br />
Jahren immer mal wieder in den Zeitungen stand, weil sie gerade eine wirklich<br />
allerletzte Vorstellung ihres Zirkus »Aeros« ankündigte. Jedes Jahr aufs neue.<br />
Uwe sagt, es habe eine Seelenverwandtschaft zwischen ihr und Tamara bestan -<br />
den. 1994 war Silly zusammen mit dem Zirkus »Aeros« auf Tour. Tamara hat sich<br />
sofort in Sammy verliebt, obwohl er ihr einmal auf die Hose pinkelte.<br />
Dunkel, Wackeln, dann erscheint ein unscharfer Wintergarten in Münchehofe.<br />
Das Bild wird schärfer, zeigt Tamara, Helene Danz sowie die beiden Söhne von<br />
Uwe Hassbecker. Es ist Sommer 92, sie reden über Exhibitionismus, über eine<br />
Bekannte, die an Krebs erkrankte, und über das Für und Wider von Esoterik.<br />
Helene Danz glaubt daran, Tamara ein bißchen. Helene Danz schaut ihre Tochter<br />
vorwurfsvoll an, als sie sich eine Zigarette ansteckt. Sie sollte wenigstens die<br />
Fenster aufmachen. Tamara gehorcht.<br />
Wackeln, Flimmern, dann ein kleines Flugzeug. Eine schmale Gangway. Ritchie,<br />
Uwe, Tamara, Herbie, Fritzsching und Jäcki brechen zu einer Mugge nach Göh -<br />
ren auf. Strand, Wind, Tamara verschränkt fröstelnd die Arme vorm Körper.<br />
Jäcki springt nackend ins kalte Meer. Rückflug, Berlin flimmert in der Nacht.<br />
Aus.<br />
Winter in Münchehofe, Tamara vorsichtig auf Langlaufski balancierend. »Mit<br />
den Dingern kommt man ja überhaupt nicht vorwärts«, sagt sie. »Da kann ick ja<br />
gleich loofen.«<br />
»Dit ist typisch Tamara«, sagt Ritchie, der auf der Couch sitzt. »Alles, was Arbeit<br />
macht, war nicht ihr Ding. Und wenn es nicht gleich geklappt hat, ging gar nichts<br />
mehr.« Uwe hockt auf dem Fußboden, die Fernbedienung des Videorecorders in<br />
der Hand. Draußen auf dem Gendarmenmarkt ist es seit ein paar Stunden dun -<br />
kel. Der Dom glänzt, es ist Oktober.<br />
156
Der Schnee taut, es ist Sommer in Münchehofe. Tamara Danz hantiert im Badeanzug<br />
in der Küche. Als sie merkt, daß Uwe filmt, verscheucht sie ihn ärgerlich.<br />
»Hör endlich uff mit dem Mist, ick will nich gefilmt werden.« Schnitt. Liebevolle<br />
Kamerafahrt über Hassbeckers neue Gitarre. Das Auge gleitet langsam den Hals<br />
hinauf und wieder hinunter. Tamara schneidet Ritchie die Haare. Er liegt rücklings<br />
auf der Couch, Tamara läuft um ihn herum, guckt, hockt sich neben ihn und<br />
schneidet. »Sie hatte da sehr spezielle Methoden«, sagt Ritchie.<br />
Ein Studio. Aufnahmen des Liedes »Wenn ich wär« von Gerhard Gundermann.<br />
Uwe Hassbecker und Ritchie Barton stehen hinter dem Mischpult, das Paul Kra -<br />
mer bedient. Die Kamera bohrt sich durch die Scheibe bis zu Gerhard Gundermann,<br />
der große Kopfhörer trägt. Er fängt immer wieder an zu singen, wird unterbrochen,<br />
fährt sich mit der Zunge über die großen Zähne, singt weiter. Einmal<br />
popelt er. Er fühlt sich unbeobachtet. Uwe und Ritchie lachen aus dem Off.<br />
157
Im Zirkus »Aeros« mit Direktorin Samel (l.), mit Gerhard Gundermann (r.), 1994<br />
Die Aufnahmen entstanden im Sommer 1993 in den »Schreier & Kramer-Studios«<br />
in Berlin-Wilhelmshagen. Weit weg von der Mitte.<br />
Was hat Tamara in der Zeit gemacht? frage ich.<br />
»Sie hat zu Hause gesessen«, sagt Uwe. »Texte geschrieben. Sowas.«<br />
»Komm, es hat sie schon ziemlich geärgert«, sagt Ritchie. »›Seid ihr nicht endlich<br />
mal fertig mit der Scheiße?‹ hat sie gesagt. ›Blutspende‹ hat sie das genannt.<br />
Wir würden uns zu sehr engagieren, hat sie uns vorgeworfen. Zuviel Energie verschwenden.<br />
Unser Blut Gundi geben. Sie war schon ein bißchen eifersüchtig.«<br />
»Ja, das stimmt. Zumal die Produktion immer länger dauerte als geplant. Und<br />
sie saß hier und wartete. Dazu kam, daß wir dort verschwindend wenig verdien -<br />
ten. Aber, was soll’s, wir waren bei Gundi in der Schuld. Er war ja damals so kurzfristig<br />
als Texter eingesprungen bei der ›Februar‹. Nach dem Split mit Karma. Er<br />
hatte was gut bei uns«, sagt Hassbecker. »Das sah Tamara aber eigentlich ganz<br />
genauso. Sie hat ja bei dem letzten Song auch mitgesungen.«<br />
Gerade jetzt sind sie wieder mit Gundermann im Studio. Diesmal aber in ihrem<br />
eigenen. Als der Entschluß dazu fiel, hat Tamara noch gelebt. Auch diesmal gab<br />
es Diskussionen. »Tamara hatte ja durchaus ein gespaltenes Verhältnis zu Gundi«,<br />
sagt Uwe Hassbecker. »Sie hat nicht gestört, daß er bei der Stasi war. Sie hat ge-<br />
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stört, wie er heute damit umgeht. Diese Selbstverständlichkeit hat sie genervt.<br />
Und dann hatte sie auch ein Problem mit dem <strong>Ch</strong>ef des Labels, bei dem er seine<br />
Plat ten veröffentlichte. Der kam irgendwie vom FDJ-Zentralrat. Es ging, glaube<br />
ich, um Geld. Jedenfalls war sie nicht sehr begeistert, daß wir unsere erste Fremdproduktion<br />
nun ausgerechnet für ein ›Buschfunk‹-Produkt machten. Aber sie hat<br />
dann zähneknirschend zugestimmt.«<br />
»Wir haben sie mehr oder weniger überredet«, sagt Ritchie. »Wir hatten ja seit<br />
gut einem Jahr nicht mehr gearbeitet. Wir mußten wieder mal was tun. Vor allem<br />
aus finanziellen Gründen. Denn was Uwe da jeden Tag aus der Apotheke holte,<br />
war der blanke Wahnsinn.«<br />
»Stimmt. Wir haben ein bißchen Angst bekommen. Ich meine, die Kosten liefen<br />
ja alle weiter. Das letzte Konzert hatten wir im Mai 1995 gemacht. Wir mußten ein -<br />
fach sehen, wie es weitergeht. Und die Gundi-Platte ist ja die erste Fremd album-<br />
Produktion in unserem Studio. Wir verdienen zum erstenmal richtig Geld damit.<br />
Und das Geld fließt ins Studio. Das hat auch Tamara eingesehen. Ohne daß sich<br />
ihr Verhältnis zu Gundi nun gebessert hätte.«<br />
Ein paar dieser Spannungen leben in den beiden Männern weiter. Neulich sind<br />
Ritchie und Uwe mit Gundermann wieder ganz schön aneinandergeraten. Es<br />
ging um Tamara.<br />
»Gundi hat sich zum Beispiel die ganze Zeit, als sie so krank war, nicht einmal<br />
159
gemeldet«, sagt Uwe Hassbecker. »Wir haben ihn dann trotzdem zur Beerdigung<br />
eingeladen, weil, naja, ich habe ja auch Lutz Bertram eingeladen. Obwohl der<br />
sich auch monatelang nicht gemeldet hatte. Und dann hat er ein paar Wochen vor<br />
Tamaras Tod angerufen und gesagt: ›Hör mal zu, wenn du mit jemandem ein Gespräch<br />
machst, dann mit mir. Das versteht sich ja wohl von selbst.‹ Da war Tamara<br />
sehr sauer drüber. Wirklich sehr sauer. Aber was soll’s. Ich habe gedacht, in<br />
so einer Stunde sollte man nicht nachtragend sein. Und sowohl Gundi als auch<br />
Bertram hatten mal mit uns zu tun. Beide haben uns geholfen.«<br />
Tamara sitzt mit Angelika Weiz an einem dicken Holztisch in einer Baude. Sie<br />
spielen mit zwei anderen Frauen Karten. Aus dem Off lachen angetrunkene<br />
Män ner. Die Kamera schwenkt von den Frauen weg an einer Holzwand vorbei<br />
auf eine Bar, Schnapsflaschen, Männer, Musik. Ein trunkener Vlady Slesak singt<br />
»I saw her standing there«. Die Frauen fallen ein. Sie singen ein Beatles-Medley.<br />
Die Musikanten machen Winterurlaub im Riesengebirge. Am Bildschirmrand<br />
steht das Datum. 23.1.95.<br />
Ein Tag später. Tamara und Angelika Weiz malen den Models auf den Titelbildern<br />
der Zeitschriften Bärte an. Sie zeigen ihre Werke stolz in die Kamera. Wie<br />
kleine Mädchen.<br />
»Da war Tamara schon krank«, sagt Uwe. »Der Krebs war schon in ihrem Kör -<br />
per. Aber du hast nichts gemerkt. Im Gegenteil. Auf der Rückfahrt hatte ich einen<br />
Kreislaufzusammenbruch. Tamara hat sich Sorgen um mich gemacht. Nicht ich<br />
um sie.«<br />
Man sieht Tamara an einer Autogrammpostkarte herumschnippeln. »Moment<br />
ma’, ick muß hier jemanden entfernen«, sagt sie. Dann schaut die Kamera auf das<br />
Bild. Es ist ein Gruppenfoto von Silly, aus dem der Kopf von Thomas Fritzsching<br />
geschnitten wurde.<br />
»So Bastelarbeiten hat sie gern gemacht«, sagt Ritchie Barton.<br />
Es ist kurz nach Mitternacht. Morgen früh um sechs werden die beiden von einem<br />
Taxi abgeholt und zum Berliner »SAT 1«-Studio gefahren. Interview im Frühstücks -<br />
fernsehen. In zwei Tagen erscheint die »Best-of-Silly»-CD »Bye bye«. Die muß promotet<br />
werden. Gestern und vorgestern waren sie für zwei Tage in Bayern und<br />
Baden-Württemberg. Interviews bei Radiostationen, Zeitungen und lokalen Fern -<br />
sehsendern. Heute haben sie den ganzen Tag für die Berliner Presse Fragen beantwortet.<br />
Was fragen die Leute denn?<br />
»Wie es weitergeht mit Silly«, sagt Uwe.<br />
Und wie geht es weiter?<br />
»Es wird natürlich keine neue Sängerin geben. Wir werden versuchen als Musi -<br />
ker zusammenzubleiben. Wie das aussehen wird, wissen wir noch nicht. Vielleicht<br />
machen wir mal ’ne Filmmusik oder was fürs Theater«, sagt Uwe Hass becker.<br />
»Wir könnten uns auch vorstellen, mal was mit einem Interpreten zu machen,<br />
der aus einem ganz anderen Kunstbereich kommt. Irgendwas Überraschendes.<br />
Aber nur für eine bestimmte Zeit«, sagt Ritchie Barton.<br />
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Sie machen jetzt erst mal die Gundermann-Platte, danach produzieren sie ein<br />
neues City-Album. Dann ist Frühling, dann wollen sie darüber nachdenken, wie<br />
es mit ihnen weitergeht. Es wird sicher nicht einfach.<br />
Bei einigen Interviews gab es auch ein paar vorsichtige Anfragen, ob die CD<br />
nicht zu schnell komme. Zu schnell nach Tamaras Tod. Könnte da nicht der Eindruck<br />
enstehen, daß man eine Tragödie vermarkten will?<br />
Ritchie und Uwe sagen, daß Tamara diese Platten gewollt hat. »Wir haben doch<br />
mit ihr gemeinsam entschieden, daß die CDs jetzt erscheinen. Das hat mit ihrem<br />
Tod gar nichts zu tun.«<br />
Was hätte Tamara Danz gewollt?<br />
Sie hat mal gesagt, daß sie nach ihrem Tod verbrannt werden will. Ihre Asche<br />
solle der Wind wegtragen. Sie wollte sich so einfach wie möglich verabschieden.<br />
Ihre Freunde legten sie in einen weißen Sarg und organisierten eine große<br />
Trauerfeier. Mit engerem und erweitertem Gästekreis. Mit Bodyguards, Reportern<br />
und Gesang.<br />
Sie hat mal gesagt, daß es wichtig sei, auf bestimmten Gesellschaftspartys anwesend<br />
zu sein. Aber sie wähle da sehr genau aus. Zu »Super-Illu«-Feiern beispielsweise<br />
gehe sie ganz bewußt nicht.<br />
Ihre Band zelebrierte Tamaras Abschied aus der Öffentlichkeit ausgerechnet<br />
auf der Gala der »Super-Illu« im Friedrichstadtpalast. Tamaras Gesicht flimmerte<br />
von einer großen Videowand, während ihre Musiker im Vordergrund an den Instrumenten<br />
standen. Anmoderiert von Walter Plathe.<br />
Hätte sie das gewollt?<br />
Wer soll das beantworten.<br />
Wer vor allem kann nachfühlen, wie sich ihr Mann und ihr bester Freund in<br />
den Stunden und Tagen fühlten, nachdem sie gestorben war. Als das Telefon nicht<br />
aufhörte zu klingeln. Als Dinge erledigt werden mußten, die sie noch nie in ihrem<br />
Leben getan hatten. Interviewanfragen quollen aus dem Fax-Gerät. Als sie nicht<br />
darauf reagierten, als sie versuchten, den Kopf in den Sand zu stecken, druckte<br />
die »BILD-Zeitung« die ersten »Tamara-Danz – So-war-ihr-Leben«-Artikel eben<br />
ohne ihr Einverständnis. Da gingen Uwe und Ritchie dann doch runter in den<br />
»Französischen Hof« und sprachen mit dem »BILD«-Redakteur. Damit wenigstens<br />
die Wahrheit in der Zeitung steht. Am nächsten Tag begann die Zeitung den<br />
Abdruck einer Serie, die Uwe Hassbecker selbst geschrieben zu haben schien. Als<br />
würde er sich zwei Tage nach dem Tod seiner Frau hinsetzen und der »BILD-Zeitung«<br />
aufschreiben, wie das Leben und Sterben seiner Frau so vor sich gegangen<br />
war.<br />
Sie waren naiv, sie waren todtraurig, sie waren erleichtert, daß die Qualen<br />
vorbei waren, sie waren übermüdet, sie waren überfordert, und sie wollten alles<br />
in Tamaras Sinn machen.<br />
Aber was hätte Tamara gewollt?<br />
Erfolg ganz sicher. Denn sie war ein Popstar. Sie wollte, daß die Leute ihre<br />
Platten kauften.<br />
Vielleicht haben Ritchie Barton und Uwe Hassbecker ja alles richtig gemacht.<br />
161
Und wenn sie es intuitiv gemacht haben. Sie haben zusammen mit Tamara Lie der<br />
geschrieben, sie haben mit ihr Platten gemacht und auf der Bühne gestanden.<br />
Sie waren in einer Band.<br />
Sie haben die guten Jahre mit ihr erlebt, die mageren, den Applaus gefühlt und<br />
vermißt. Ich denke, sie haben am besten gewußt, was Tamara gewollt hätte. Über<br />
die aktuellen Verkaufszahlen der Silly-Platten jedenfalls hätte sie sich ganz bestimmt<br />
gefreut.<br />
Sie wollen noch mal ins Studio rübergehen, um zu sehen, wie die Gundermann-<br />
Musiker vorankommen. Es ist halb eins. Um sechs klingelt »SAT 1«.<br />
Wollt ihr nicht irgendwann mal schlafen?<br />
»Ich kann sowieso nicht richtig schlafen«, sagt Uwe Hassbecker. »Es sei denn,<br />
ich habe genügend Wein getrunken. In letzter Zeit trinke ich wirklich jeden Abend,<br />
um schlafen zu können.«<br />
»Da mußt du aber aufpassen«, sagt Ritchie Barton.<br />
»Vielleicht probier ich’s mal mit Melatonin«, sagt Hassbecker.<br />
Wird man davon nicht impotent?<br />
»Ach, weißte, das ist bei mir sowieso egal«, sagt er.<br />
Das Studio ist leer. »Wahrscheinlich sind sie im ›Kartoon‹«, sagt Ritchie.<br />
Wenn sie mit der Arbeit fertig sind und in der Kabarett-Kneipe »Kartoon« die<br />
Vorstellung vorbei ist, gehen sie oft hoch und trinken mit dem <strong>Ch</strong>ef, dem Barmann<br />
oder den Schauspielern noch ein bißchen. Sie bekommen Sonderpreise. Sie<br />
kommen gut klar mit den »Kartoon«-Leuten. Sie haben in ihrem Studio mal eine<br />
CD mit den Musiken der Kabarettisten aufgenommen. Tamara war oft oben und<br />
hat mit dem trinkfesten dicken Regisseur Peter Tepper gequatscht und gestritten.<br />
Wir gehen ein paar unterirdische Gänge entlang, machen ein paar Türen auf<br />
und zu, steigen eine Treppe hoch und stehen plötzlich direkt an der Bar. Tepper<br />
ist da, der Barmann, der Gundermann-Gitarrist und Angelika Weiz mit ihrem<br />
Freund Thomas Herzberg.<br />
Angelika schaut kurz von ihrem Gin Tonic auf und sagt zornig: »Habt ihr die<br />
neue ›Super-Illu‹ jesehen?«<br />
Die »Super-Illu« ist vorgestern mit dem ersten Teil einer Tamara-Danz-So-warihr-Leben-Serie<br />
erschienen. Natürlich haben Ritchie und Uwe das gesehen. Sie<br />
haben sogar versucht zu vermitteln. Das Schlimmste zu verhindern. Sie haben<br />
dabeigesessen, als Erich Danz mit einer Redakteurin sprach. Aber wie sie dem<br />
alten Mann das Fotoalbum seiner Tochter aus dem Kreuz leierten – das haben sie<br />
nicht mitbekommen.<br />
»Ja«, sagt Uwe. »Ich habe nicht gewußt, daß sie soviele Kinderfotos veröffentlichen.<br />
Und ich habe auch nicht gewußt, daß es eine fünfteilige Serie wird. Sie<br />
haben immer nur von zwei, drei Texten geredet.«<br />
»Ich möchte nicht wissen, was Tamara dazu sagen würde«, sagt Angelika Weiz.<br />
»Ihr müßt besser aufpassen.«<br />
»Ich hab das alles satt«, sagt Uwe Hassbecker. »Ich kann’s nicht mehr hören.<br />
Ich kann doch dem Erich nicht verbieten, bestimmte Sachen zu tun. Ich bin doch<br />
nicht für alles verantwortlich.«<br />
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»Wir können einfach nicht richtig damit umgehen«, sagt Ritchie Barton leise.<br />
»Als ich die ›Super-Illu‹ gesehen habe, bin ich in die Redaktion gestürmt und<br />
habe da ein Riesenfaß aufgemacht«, sagt Hassbecker. »Ich habe dem <strong>Ch</strong>efredakteur<br />
gesagt, daß diese Serie für Tamara ein Grund gewesen wäre, für immer mit<br />
ihrem Vater zu brechen.«<br />
Ritchie geht um halb zwei nach Hause. Kurz danach geht Thomas Herzberg. Um<br />
drei gehen Angelika Weiz und ich.<br />
Uwe bleibt noch einen Augenblick sitzen.<br />
163
Foto: Thomas Böhme
Foto: Thomas Böhme