Magazin #22 - Der Club zu Bremen
Magazin #22 - Der Club zu Bremen
Magazin #22 - Der Club zu Bremen
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6,00 Euro<br />
<strong>Magazin</strong> <strong>#22</strong><br />
2013<br />
Wiedereröffnung der <strong>Club</strong>-Gastronomie<br />
Wols – ein geheimnisvoller Künstler<br />
Kakao und die Nachhaltigkeitsdebatte<br />
Graben für Germania<br />
Friedrich Engels in <strong>Bremen</strong><br />
Jubiläum 50 Jahre Haase & Knels<br />
Inselbesuch St. Helena<br />
Ladenhüter: Ein Bremer Möbelhändler erzählt
Manche Kunden sind seit<br />
Jahren bei uns. Andere schon<br />
seit Generationen.<br />
Private Exzellenz. Seit 1825.<br />
Exzellentes Private Banking beginnt mit einem Anruf:<br />
0421 179-1825<br />
g
Themen<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Bremen</strong><br />
Dr. Rüdiger Grube 2<br />
Dirk Roßmann 8<br />
Veranstaltungen 12<br />
<strong>Der</strong> Juniorenkreis 14<br />
Neujahrsempfang 16<br />
Mitgliederversammlung 18<br />
Wiedereröffnung <strong>Club</strong>-Gastronomie 20<br />
ABC Interview: Christian Weber 28<br />
<strong>Der</strong> geheimnisvolle Wols 30<br />
Die Karin und Uwe Hollweg-Stiftung 38<br />
Alle Wege führen in die Böttcherstraße 42<br />
Wirtschaft<br />
Reisen<br />
Kultur<br />
<strong>Der</strong> Ladenhüter 48<br />
Kakao als Krisenbarometer 52<br />
<strong>Der</strong> siebte Kontinent: St. Helena, mon amour 58<br />
Archäologie unterm Hakenkreuz 66<br />
Bremer Geschichte<br />
Friedrich Engels in <strong>Bremen</strong> 70<br />
Literatur<br />
Gerald Sammet rezensiert 76<br />
Impressum<br />
Herausgeber und Chefredakteur<br />
Rüdiger Hoffmann<br />
Autoren<br />
Gerald Sammet, Pia Schreiber, Johannes C. Schmid,<br />
Rüdiger Hoffmann, Milan Unglaub, Frederiece Baack,<br />
Franz Ganss, Haase & Knels<br />
Titelbild<br />
Wols, Tête fantastique, um 1936/37, Karin und Uwe Hollweg-<br />
Sammlung<br />
Fotos<br />
Frank Pusch, Michael Bahlo, Peter de Lippe, Kunsthalle<br />
<strong>Bremen</strong>, Focke-Museum, Rüdiger Hoffmann, Gerald Sammet,<br />
Haase & Knels, Bremer HACHEZ Chocolade GmbH & Co. KG<br />
Gestaltungskonzept<br />
rahe+rahe design<br />
Satz<br />
Kolorit <strong>Bremen</strong> GmbH<br />
Druck<br />
BerlinDruck GmbH + Co KG, Achim<br />
Verlag und Redaktion<br />
media projects<br />
public relations GmbH<br />
Feldmannstraße 4, 28355 <strong>Bremen</strong><br />
Tel. 0421 3648000, Fax. 0421 3648002<br />
dr.hoffmann@media-projects-bremen.de<br />
www.media-projects-bremen.de<br />
1<br />
Be<strong>zu</strong>gspreis: 6,00 Euro<br />
Nächste Ausgabe: Dezember 2013<br />
Dieses <strong>Magazin</strong> und alle in ihm enthaltenen<br />
Beiträge sind urheberrechtlich geschützt.<br />
Nachdruck, auch aus<strong>zu</strong>gsweise, nur mit<br />
Genehmigung des Herausgebers.<br />
Bei Veröffentlichung wird nur presserechtlich<br />
Verantwortung übernommen.<br />
Die Lieferung des <strong>Magazin</strong>s „<strong>Club</strong>“ ist im<br />
Mitgliedsbeitrag des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> enthalten.<br />
Mit freundlicher Unterstüt<strong>zu</strong>ng des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong><br />
<strong>Bremen</strong> e.V.
2<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Bahnchef <strong>zu</strong>m Anfassen<br />
Dr. Rüdiger Grube
Rüdiger Hoffmann<br />
Wer diesen Mann einmal live vor Publikum erlebt hat, vergisst<br />
alle Vorurteile über dröge Manager in langweiligen Nadelstreifen.<br />
Dr. Rüdiger Grube hat ein in seiner Gilde äußerst seltenes<br />
Kommunikationstalent. Er spricht fehlerfrei und wortgewandt.<br />
Sein Vortrag ist fakten-, vor allem zahlensicher. Ein Manuskript<br />
hat er, legt es aber beiseite. Sein waches Gespür für dramaturgische<br />
Effekte, gespickt mit rhetorischen Finessen bezieht sein<br />
Publikum stets ein und spart nicht an artigen Komplimenten.<br />
Sprachartistik vermeidet er. Seine Sprache ist direkt und schnörkellos,<br />
drastische Formulierungen sind ihm nicht fremd. Die mehr<br />
als einhundertfünfzig <strong>Club</strong>mitglieder hatte er nach wenigen Minuten<br />
auf seine Seite gezogen. Über eine Stunde lang bombardierte<br />
er sie mit einer Kanonade aus Zahlen, Zusammenhängen,<br />
Geschichten und Geschichtchen, immer den <strong>Bremen</strong>-Be<strong>zu</strong>g im<br />
Auge, fast könnte man den Eindruck gewinnen, <strong>Bremen</strong> gehöre<br />
<strong>zu</strong> den Top Themen der Bahnpolitik. „Meine Damen und Herren,<br />
an <strong>Bremen</strong> führt kein Weg vorbei.“ Die Bremer Häfen seien, wie<br />
alle norddeutschen Seehäfen, die <strong>zu</strong>kunftsträchtigen Wachstumssäulen<br />
für die deutsche Wirtschaft. Innerhalb des Transport-<br />
und Logistikbereichs der Deutschen Bahn sei die Seefracht<br />
derzeit neben der Kontraktlogistik das Geschäft mit den stärksten<br />
Wachstumsraten. Allein im vergangenen Jahr hat die Deutsche<br />
Bahn von und nach <strong>Bremen</strong> 8 Millionen Tonnen Güter auf<br />
der Schiene transportiert. Auch die Zahlen des Personenverkehrs<br />
könnten sich sehen lassen, unterstrich der Bahnchef. Allein in<br />
<strong>Bremen</strong> hätten im vergangenen Jahr über 4 Millionen Fahrgäste<br />
den Regionalverkehr genutzt. Im Fernverkehr seien es <strong>zu</strong>sätzlich<br />
2,2 Millionen. Die Achse Hamburg – <strong>Bremen</strong> – Köln – Stuttgart<br />
sei die erste Fernverkehrslinie, auf der die modernisierten, komfortablen<br />
IC-Wagen im Einsatz seien. Nur in <strong>Bremen</strong> seien im<br />
vergangenen Jahr rund 44 Millionen Euro in das Schienennetz,<br />
die Bahnhöfe und die Energieanlagen investiert worden. Insgesamt<br />
beschäftige die Deutsche Bahn 2600 Mitarbeiter in<br />
<strong>Bremen</strong>. Erinnert man sich noch an den Vorgänger von Rüdiger<br />
Grube, an den Poltergeist Mehdorn, der jetzt den Flughafen Berlin<br />
<strong>zu</strong> Ende bauen darf?<br />
3<br />
„Im knien kann man sich nicht die Hose anziehen“ und „mit<br />
einem Wattebauschschieber können Sie keine Bahn sanieren, da<br />
müssen sie schon einer sein, auf dessen Pfiff man hört und wenn<br />
es nicht so ist, dann rumpelt es im Karton“, das war Originalton<br />
Hartmut Mehdorn, als er sich noch öffentlich beklagen durfte,<br />
immer nur Bahnchef Mehdorn genannt <strong>zu</strong> werden und nicht Hartmut<br />
Mehdorn. Sein Job habe ihn seinen Vornamen gekostet, hatte<br />
er sich beschwert. Seit Mai 2009 heißt der neue Bahnchef Dr.<br />
Rüdiger Grube. Und der wirkt wie ein pfiffiger Gegenentwurf <strong>zu</strong><br />
dem robusten Mehdorn, dessen hemdsärmlige Prosa Freund und<br />
Feind nicht selten vor den Kopf gestoßen hat. Kaum aus<strong>zu</strong>denken,<br />
wie sich die Debatte um Stuttgart 21 entwickelt hätte,<br />
wenn der „Schienenrambo“ Mehdorn den Chefsessel bei der Bundesbahn<br />
wegen einer Spitzel-Affäre im Unternehmen nicht vorzeitig<br />
hätte räumen müssen. Und jetzt Dr. Rüdiger Grube. Er<br />
scheint bisher im Stuttgarter Bahnhofsstreit alles richtig gemacht<br />
<strong>zu</strong> haben. Als Bahnchef hält er sich weitgehend raus aus<br />
dem Kampfgetümmel mit immer neuen Fronten. Ist kaum an-
4<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Bahnchef <strong>zu</strong>m Anfassen<br />
greifbar. Hat sich aus der Schusslinie genommen. Das Bahn-Gesicht<br />
für Stuttgart 21 heißt Volker Kefer und ist Infrastrukturvorstand<br />
im Unternehmen. Krisenkommunikation aus dem Lehrbuch.<br />
<strong>Der</strong> Chef bleibt in Deckung. Die Prügel bekommen andere. Raum<br />
und Zeit für den Vorstandsvorsitzenden, die Dinge unter der<br />
Decke voran<strong>zu</strong>treiben. Und das kann er. Geduldig <strong>zu</strong>hören. Verständnis<br />
für andere Positionen und Interessen haben, die Dinge<br />
nicht übers Kreuz brechen. „Man muss immer so fahren, dass<br />
man arbeits- und dialogfähig bleibt, das gilt für Freund und<br />
Feind“, davon ist Rüdiger Grube überzeugt. Mit Hartmut Mehdorn<br />
ist er nach wie vor befreundet. Von Anfang an hat er eben<br />
alles anders gemacht als Mehdorn. Ein Gegenentwurf eben. Er,<br />
der gerne mit den Leuten redet, kaum eine Gelegenheit auslässt,<br />
seine Mitarbeiter auf Bahnhöfen, in Zügen oder Büros an<strong>zu</strong>sprechen,<br />
nach ihren Sorgen <strong>zu</strong> fragen, war von Anfang an und aus<br />
Überzeugung auch freundlich <strong>zu</strong> Politikern, die beim Thema<br />
Bahn etwas <strong>zu</strong> sagen haben. Das Verhältnis <strong>zu</strong>m Bundesverkehrs-<br />
minister pflegt er, parlamentarischen<br />
Ausschüssen begegnet er mit Respekt.<br />
<strong>Der</strong> SPIEGEL schrieb in diesem Jahr: „Bis<br />
heute ist es fast unmöglich, jemanden in<br />
Berlin <strong>zu</strong> treffen, der ein böses Wort über<br />
den Bahn-Chef verliert.“ Rüdiger Grube<br />
scheint ein feines Gefühl dafür <strong>zu</strong> haben,<br />
wie Politik tickt. Dass die Entscheidungswege<br />
in der Politik lang sind, weiß er aus<br />
seiner früheren Tätigkeit als Chairman<br />
des Boards of Directors beim europäischen<br />
Luft- und Raumfahrtunternehmen<br />
EADS. Rüdiger Grube kommt aus kleinen<br />
Verhältnissen, hat sich mit Fleiß und<br />
Disziplin hochgearbeitet. Mit einem<br />
Stolz, dem viel Selbstverständliches anhaftet,<br />
aber auch Dank, dass das Schicksal<br />
es mit ihm am Ende so gut gemeint<br />
hat, erzählt er von seiner Mutter und dem Bauernhof, davon,<br />
dass er nie Abitur gemacht habe, aber neun Jahre die Hauptschule<br />
besuchen konnte. Mit anpacken musste er. „Schule war so<br />
überflüssig wie irgendetwas. Dann habe ich meinen Realschulabschluss<br />
gemacht und eine Lehre begonnen. Durch eine Jugendzeitung,<br />
für die ich geschrieben habe, wurde die Inhaberfamilie<br />
von Blohm & Voss auf mich aufmerksam. Als diese hörte, dass<br />
ich gerne Fahrzeugbau- und Flugtechnik studieren würde, aber<br />
das Geld fehlte, weil ich meine Familie unterstützen musste, rief<br />
mich der Alte an und bot mir 300 DM monatlich an, wenn ich in<br />
den Semesterferien für Blohm & Voss arbeiten würde. Ich habe<br />
dann studiert, habe mir selbst das beigebracht, was fehlte, Mathematik<br />
und Sprachen. Damals habe ich meiner Mutter übel genommen,<br />
dass der Weg für mich so schwer war. Heute weiß ich,<br />
damals, auf dem Bauernhof meiner Mutter, habe ich etwas mitbekommen,<br />
was man in der Schule nur begrenzt lernen kann.<br />
Glaubwürdigkeit, Respekt, Leidenschaft, Authentizität und die
Wertschät<strong>zu</strong>ng dem Anderen gegenüber.“<br />
Werte, die Rüdiger Grube als Bahnchef<br />
jetzt auch seinem Unternehmen verordnet<br />
hat. „Ganz an der Spitze meiner Aufgaben<br />
steht der Auftrag, das Vertrauen<br />
der Mitarbeiter und der Kunden <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>gewinnen.“<br />
Wie aus dem Ei gepellt<br />
steht der Herr über mehr als 200 000<br />
Mitarbeiter an diesem Abend vor uns.<br />
Dezente Klassik in der Kleidung, Kümmerer-Charme<br />
bei allen Fragen der <strong>Club</strong> mitglieder.<br />
Rüdiger Grube gilt als Arbeitstier,<br />
als Mann der Zahlen, als Systematiker<br />
und als Freund der Folienpräsentation.<br />
Rund zwei Tage in der Woche ist er in<br />
seinem Berliner Büro, die restlichen Tage<br />
unterwegs. „Ich bin Workaholic und da<strong>zu</strong><br />
stehe ich. Freizeit kenne ich kaum. Wenn<br />
es sein muss, kann der Manager Grube auch beinhart reagieren.<br />
Beim personellen Umbau der Bahnführung infolge des Datenskandals<br />
hat er gezeigt, dass in diesem Unternehmen kein Stein<br />
auf dem anderen bleiben muss. Den gesamten Vorstand hat er<br />
ausgetauscht. Die auf Mehdorn <strong>zu</strong>geschnittenen Strukturen hat<br />
er aufge brochen. Früher musste, wie er kopfschüttelnd erzählt,<br />
„jede Einstellung eines Lockführers“ und „jeder Beratervertrag<br />
über 25000 Euro Honorar“ im Vorstand entschieden werden. Bis<br />
<strong>zu</strong> 100 Tagesordnungspunkte haben jede Vorstandssit<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> einer<br />
Marathonveranstaltung gemacht. Jetzt wird delegiert. Einmal<br />
im Monat trifft die gesamte Führungsebene (Vorstand und<br />
Geschäftsfeldleiter), inklusive Personalchef <strong>zu</strong>sammen und wenn<br />
es Probleme gibt, dann, so Grube, „steuern wir gemeinsam gegen.“<br />
Keine leichte Aufgabe in einem solchen Mammutunternehmen.<br />
Mittlerweile ist der Deutsche Bahn Konzern weltweit mit<br />
290 000 Mitarbeitern in 130 Ländern aufgestellt. Allein in<br />
Deutschland beschäftigt das Unternehmen 190 000 Menschen.<br />
5<br />
Für die nächsten zehn Jahre sucht die Bahn 38 000 Mitarbeiter.<br />
Und Probleme gibt es genug. Probleme mit der Zugtechnik, veralterten<br />
Modellen, brummigem Personal und einem Schienennetz,<br />
das mit veraltert beinahe liebevoll beschrieben ist. Für den<br />
Fahrgast läuft dies alles am Ende auf zwei Reizthemen hinaus:<br />
Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Wer hätte dabei nicht schon<br />
seine eigenen Erfahrungen auf der Schiene gemacht. Rüdiger<br />
Grube rechnet vor: „Wenn wir nur 1 % unpünktlich wären, dann<br />
hätten wir die beste Pünktlichkeit auf der ganzen Welt. Aber was<br />
bedeutet das? Wir transportieren jeden Tag 7,3 Millionen Menschen,<br />
das sind genauso viel Menschen wie die Lufthansa in<br />
einem ganzen Jahr transportiert. Wenn wir diese 7,3 Millionen<br />
Menschen mal 365 Tage nehmen, kommen wir auf die stolze Zahl<br />
von 2,7 Milliarden Menschen, das sind mehr als alle Chinesen<br />
und alle Inder auf einem Haufen. Da<strong>zu</strong> kommen im Übrigen noch<br />
1,5 Millionen Tonnen Fracht pro Tag, aber bleiben wir bei den<br />
Menschen. 1 % Unpünktlichkeit bei 7,3 Millionen Fahrgästen pro
6<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Bahnchef <strong>zu</strong>m Anfassen<br />
Tag bedeuten 73000 Menschen pro Tag, die eine schlechte Erfahrung<br />
gemacht haben. Wenn man dann in Rechnung stellt, dass<br />
der Mensch geneigt ist, schlechte Erfahrungen intensiver in Erinnerung<br />
<strong>zu</strong> behalten als den Normalfall, so ist dies eine gar nicht<br />
so schlechte Erklärung für eine gewisse negative Grundstimmung<br />
in der Bevölkerung.“ Dass im Sommer ausgefallene Klimaanlagen<br />
und im Winter ausgefallene Hei<strong>zu</strong>ngen für die Presse stets ein<br />
gefundenes Fressen sind, vergisst Rüdiger Grube nicht <strong>zu</strong> erwähnen.<br />
Nur, das sage ich ihm, dass muss jeder aushalten, der sich<br />
in der Öffentlichkeit bewegt. Hund beißt Briefträger ist eben<br />
keine Meldung, aber Briefträger beißt Hund, macht Schlagzeilen.<br />
Und wenn dann die Bahn, so wie in der Vergangenheit, sei es<br />
über das Personal vor Ort oder über die Konzernkommunikation,<br />
nicht unbedingt geschickt reagiert, gelegentlich sogar tölpelhaft,<br />
muss sich die Bahnführung nicht wundern. Rüdiger Grube<br />
weiß, neben Technik und Schienennetz ist das Verhalten der<br />
Bahnmitarbeiter im Kontakt mit dem Fahrgast immer noch die<br />
Achillessehne des Unternehmens. Den Schlüssel <strong>zu</strong> einem besseren<br />
Image haben die Mitarbeiter selbst in der Hand. „Gelingt es<br />
uns“, sagt er, „die Mitarbeiter<strong>zu</strong>friedenheit <strong>zu</strong> steigern, haben<br />
wir automatisch positive Effekte auf den Kunden.“<br />
Eine Marathonaufgabe für den Marathonläufer Grube. Dieser<br />
Mann läuft jeden Tag. „Für weitere Hobbys habe ich keine Zeit<br />
mehr“, erzählt er. „Ich laufe möglichst jeden Tag mindestens<br />
10 Kilometer, und dabei zweimal in der Woche einen Halbmarathon.“<br />
<strong>Der</strong> einundsechzigjährige Grube hat so in den letzten<br />
40 Jahren die Welt mehr als dreimal umrundet. Laufen ist wie<br />
Meditation, meint er. „Beim Laufen werden die Gedanken klar,<br />
wer läuft trifft bessere Entscheidungen“, behauptet er, um am<br />
Ende seines Vortrages noch einmal <strong>zu</strong> betonen, „meine Damen<br />
und Herren, an <strong>Bremen</strong> führt kein Weg vorbei.“
DIE BEREIT KÜRZESTE FÜR GROSSE VERBINDUNG AUFGABEN. JE-<br />
IST DIE GERADE<br />
DERZEIT. ÜBERALL. BLG<br />
www.blg.de
8<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Der</strong> Drogeriekönig<br />
Dirk Roßmann
Franz Ganss<br />
Weil der Vortragssaal im Schütting <strong>zu</strong> klein war, musste der <strong>Club</strong><br />
<strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> für den Vortrag von Dirk Roßmann, Gründer und Geschäftsführer<br />
der inhabergeführten Drogeriekette Rossmann in<br />
den Konferenzsaal des Hilton Hotels ausweichen. Knapp 200 Mitglieder<br />
des <strong>Club</strong>s und ihre Gäste waren gekommen, um den Chef<br />
der zweitgrößten Drogeriemarktkette Deutschlands, den Herren<br />
über 1800 Filialen mit 26 000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz<br />
von fast 6 Milliarden Euro kennen <strong>zu</strong> lernen.<br />
Und der 1946 in Hannover Geborene entschuldigte sich erst einmal,<br />
dass er kein Manuskript mitgebracht habe. Er hätte so viel<br />
Interessantes <strong>zu</strong> erzählen, dass er stundenlang vortragen könnte<br />
über sein Leben, seine Arbeit, seine Geschäfte, sein unternehmerisches<br />
Selbstverständnis, seine Moral und sein Verhältnis <strong>zu</strong>r<br />
Politik und, und, und. „Bitte Herr Vorsitzender, unterbrechen Sie<br />
mich, wenn ich <strong>zu</strong> lang oder ausschweifend werde.“ Um es vorweg<br />
<strong>zu</strong> nehmen, Dirk Roßmann wurde nicht unterbrochen. Als er<br />
nach knapp eineinhalb Stunden selbständig <strong>zu</strong>m Ende kam, war<br />
eher Bedauern der Zuhörer <strong>zu</strong> spüren. Gerne hätte man ihm, der<br />
so lebendig und unverstellt sein Publikum mit immer neuen Geschichten<br />
traktiert, noch weiter <strong>zu</strong>gehört.<br />
Wie er 1972 seinen ersten Drogeriemarkt mit Selbstbedienung<br />
nahe der Lister Meile in Hannover gründete und selbst überrascht<br />
war, dass die Monatsumsätze von Anfang an das Zehnfache<br />
dessen betrugen, was er vorsichtig kalkuliert hatte. <strong>Der</strong><br />
Mann, der sich <strong>zu</strong>m Frühstück am liebsten ein Müsli und einen<br />
grünen Tee gönnt, habe schon als Kind gewusst, dass er später<br />
einmal etwas Großes machen werde. Sein erstes Geld im Handel<br />
verdiente er als Schüler mit dem Verkauf von Drogeriewaren aus<br />
der elterlichen Drogerie an Nachbarn. Gewinn 10 Prozent, das<br />
hat Appetit auf mehr gemacht. Nach der Volksschule absolvierte<br />
er eine Lehre im elterlichen Geschäft, um nach dem Tod des früh<br />
verstorbenen Vaters die Verantwortung in der kleinen Drogerie<br />
<strong>zu</strong> übernehmen. Dass er ein eigenständiger, nicht selten auch<br />
eigenwilliger Kopf ist, bekam die Bundeswehr <strong>zu</strong> spüren. Weil er<br />
9<br />
mit Erreichen der Volljährigkeit von der Bundeswehr ohne Rücksicht<br />
auf seine Verantwortung im elterlichen Betrieb eingezogen<br />
wurde, leistete er subtilen Widerstand. „Angesichts der Tatsache,<br />
dass ich der einzige Ernährer meiner Familie war, fühlte ich mich<br />
<strong>zu</strong> Unrecht eingezogen“, erzählt er. Seine Klage gegen den Einberufungsbescheid<br />
zog sich hin und so führte er in der Kaserne<br />
grundsätzlich keine Befehle seiner Vorgesetzten aus. Statt dessen<br />
wiederholte er Tag ein Tag aus seine stereotype Ansage: „Mein<br />
Name ist Dirk Roßmann und ich klage gegen die Bundesrepublik<br />
Deutschland.“ Daraufhin sei er in die Nervenklinik Langenhagen<br />
verbracht worden, wo er nach vier Wochen entlassen wurde,<br />
nicht nach Hause, sondern <strong>zu</strong> seiner Einheit. Dort stieg er, so<br />
erzählt er schmunzelnd seinen Bremer Zuhörern, auf den höchsten<br />
Baum der Kaserne, um den Feldjägern, die ihn <strong>zu</strong>m Abstieg<br />
veranlassen wollten, mit<strong>zu</strong>teilen, dass er freiwillig erst herunterkäme,<br />
wenn er die Zusage hätte, in seine Drogerie entlassen <strong>zu</strong><br />
werden. Das geschah an seinem Geburtstag.<br />
Diese Geschichte erzählt Roßmann gerne, um Mut <strong>zu</strong> machen,<br />
dem Staat auch einmal Paroli <strong>zu</strong> bieten. Die Kasernenepisode<br />
erzählt aber auch viel über Dirk Roßmann, seine Kämpfernatur,<br />
seine Unerschrockenheit, steile Wege <strong>zu</strong> gehen und sein schier<br />
grenzenloses Selbstbewusstsein. Wenn andere Romane gelesen<br />
hätten, habe er Kant, Hegel und andere deutsche Geistesgrößen<br />
studiert. Und nicht nur ein Buch. Wenn ihn ein Philosoph gepackt<br />
hätte, habe er nicht ruhen können, bevor er alle bedeutenden<br />
Werke dieses Klassikers gelesen hätte. Offen erzählt er<br />
auch von schweren Stunden. 1996 habe die Expansion seiner<br />
Drogeriemarktkette so viel Kapital verschlungen, dass die Banken<br />
unruhig wurden und angesichts der „hohen Verschuldung“<br />
einen „tierischen Druck“ gemacht hätten. <strong>Der</strong> erfolgverwöhnte<br />
Roßmann bekam einen Herzinfarkt. Die Lektion aus diesen Tagen<br />
habe er gelernt.<br />
Seine Beziehung <strong>zu</strong> dem ehemaligen Konkurrenten Anton Schlecker<br />
sei nach wie vor gut. „Unser Verhältnis ist freundschaft-
10<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Der</strong> Drogeriekönig<br />
lich“, erzählt der 67-Jährige, dessen jugendli ches Temperament<br />
so gar nicht <strong>zu</strong> seinem seniorigen Aussehen <strong>zu</strong> passen scheint.<br />
Zum Jahreswechsel 1990/91 wollte Roßmann für zwei Millionen<br />
DM Hilfspakete nach Russland schicken. Damals habe er Anton<br />
Schlecker angerufen, ob er mit 250.000 DM mitmache. „Dirk“,<br />
habe der gesagt, „morgen hast Du das Geld auf dem Konto“; und<br />
obendrein habe Schlecker auch noch fünf Sattelschlepper für<br />
den Transport bereitgestellt. Und dann zitiert er Dostojewsky.<br />
„Menschen können verschiedene Seiten haben.“ Anton Schlecker<br />
habe letztendlich einen ähnlichen Fehler gemacht wie das Management<br />
von Karstadt. Karstadt sei einst eine Macht gewesen<br />
in Deutschland und eine starke Marke. Aber es fehlte der nötige<br />
Respekt vor der Zukunft, um die notwendigen Veränderungsprozesse<br />
ein<strong>zu</strong>leiten. „Wie heiße es so schön“, fragt der Drogeriekö-<br />
Im ATLANTIC Grand Hotel · Bredenstr. 2 · 28195 <strong>Bremen</strong><br />
Telefon (0421) 620 62-533 · www.restaurant-alto.de<br />
nig sein Bremer Publikum. „Nur wenn wir uns verändern, bleibt<br />
alles so, wie es ist.“ Das gelte nicht nur für die Arbeit, sondern<br />
auch für das Leben. Beides sei ein Prozess. Roßmann nennt ein<br />
Beispiel aus seinem Geschäft.<br />
Als Ende der neunziger Jahre die Eigenmarken aufkamen, war das<br />
eine Revolution. Er habe voll auf diesen Trend gesetzt. „Alles in<br />
Allem haben wir uns neu erfunden“, berichtet er. Bioprodukte,<br />
Wein, Spiel- und Schreibwaren haben wir in unser Sortiment genommen<br />
und dabei die Filialen vergrößert und modernisiert.“<br />
Früher sei eine Filiale oft nur 200 Quadratmeter groß gewesen,<br />
heute seien es gut 650 Quadratmeter. „Wir haben immer noch <strong>zu</strong><br />
viele kleine Läden und so machen wir jedes Geschäft mit unter<br />
100 000 Euro Umsatz im Jahr <strong>zu</strong>. Dafür eröffnen wir größere, die<br />
viel mehr Umsatz machen können.“ Gerne gibt Roßmann <strong>zu</strong>, dass<br />
HEIMWEH<br />
Vertrautes, das überrascht. Erinnerungen an<br />
Lieblingsgerichte, die sich mit kulinarischer<br />
Neugier mischen. Willkommen daheim im alto.
auch er, um Arbeitsprozesse, wie Regale befüllen, so effizient<br />
wie möglich <strong>zu</strong> organisieren, mit Subunternehmern <strong>zu</strong>sammen<br />
arbeite, legt jedoch Wert auf die Feststellung, dass immerhin<br />
93 Prozent seiner Mitarbeiter fest angestellt sind. Dass ihm<br />
seine Familie sehr viel bedeutet, erwähnt er immer wieder. Die<br />
beiden Söhne nähmen ihre Verantwortung im Unternehmen selbständig<br />
wahr. <strong>Der</strong> Jüngere, Raoul, kümmere sich um den Non-<br />
Food-Einkauf in Asien und der Ältere, Daniel, sei für die Expansionspläne<br />
des Unternehmens verantwortlich.<br />
Ungeachtet seines Alters, „ich bin top fit“ möchte er noch eine<br />
Weile die Zügel im Unternehmen in der Hand behalten, strebt<br />
gleichwohl einen „weichen“ Übergang <strong>zu</strong>r Generation seiner<br />
Söhne an. Oft werde ihm vorgeworfen, er stehe <strong>zu</strong> häufig in der<br />
Öffentlichkeit, mische sich in Interviews und Talk Shows in die<br />
FERNWEH<br />
À la carte die Welt bereisen. Von den entferntesten Orten<br />
kosten. Bleiben, wo es schmeckt.<br />
Willkommen unterwegs im alto.<br />
11<br />
Tagespolitik ein. Ja, da<strong>zu</strong> stehe er. „Ich stehe gerne in der<br />
Öffentlichkeit und übernehme Verantwortung für das, was ich<br />
sage.“ Es gehe in diesen Zeiten darum, dass Deutschland und<br />
sein Gesellschaftssystem „ein total fragiles Gebilde“ sei. Die<br />
Euro-Krise habe dies gezeigt. Insofern sei es wichtig, dass<br />
erfolgreiche Unternehmer sich öffentlich <strong>zu</strong>r Politik äußern, egal<br />
ob in Talk-Shows oder Interviews. Das habe nichts mit Eitelkeit<br />
<strong>zu</strong> tun. Es zeige lediglich, dass solche Unternehmer sich als ein<br />
in der Verantwortung stehender Teil der Gesellschaft verstehen.<br />
Dirk Roßmann hat noch viel vor. Allein in diesem Jahr möchte er<br />
250 neue Drogeriemärkte im In- und Ausland eröffnen. Noch<br />
scheint der umtriebige Vorzeigeunternehmer nicht aufgegeben<br />
<strong>zu</strong> haben, seinem Rivalen DM nicht nur auf den Fersen <strong>zu</strong> bleiben,<br />
sondern irgendwann einmal die eine Milliarde Euro mehr an<br />
Umsatz <strong>zu</strong> machen, die ihm DM <strong>zu</strong>rzeit noch voraus hat.<br />
Im ATLANTIC Grand Hotel · Bredenstr. 2 · 28195 <strong>Bremen</strong><br />
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12<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Veranstaltungen<br />
Klaus-Peter Siegloch<br />
Präsident des Bundesverbandes der<br />
Deutschen Luftverkehrswirtschaft<br />
Herausforderungen für den Luftverkehr<br />
6. Februar 2013<br />
Einführung: Dr. Rüdiger Hoffmann<br />
Dr. Henrik Jäger<br />
Sinologe, Philosoph und Autor<br />
Konfuzius als Katalysator der Aufklärung<br />
27. Februar 2013<br />
Einführung: Prof. Dr. Wiebke Ahrndt<br />
Jürgen L. Born<br />
Zwischen Werder <strong>Bremen</strong> und Südamerika<br />
6. März 2013<br />
Einführung: Dr. Martin Klinkhammer
KUNSTHALLE BREMEN<br />
WOLS<br />
Mit freundlicher Unterstüt<strong>zu</strong>ng der<br />
Kunsthalle<br />
<strong>Bremen</strong><br />
13. 4. bis<br />
11. 8. 2013<br />
13<br />
Wols: Le fantôme bleu (Das blaue Phantom) (Detail), 1951, Museum Ludwig Köln, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, © VG Bild-Kunst, Bonn 2013
<strong>Der</strong> Juniorenkreis im <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Juniors meet Senators<br />
Erfolgreiche neue Vortragsreihe im Juniorenkreis<br />
Von Pia Schreiber (mit freundlicher Unterstüt<strong>zu</strong>ng von Annabel Brown)<br />
Viele große Projekte und interessante Innovationen beginnen<br />
mit einer fixen Idee. Genauso war es bei der neuen Vortragsreihe<br />
des Juniorenkreises: Im Vorstand kam Mitte 2012 der Gedanke<br />
auf, den Mitgliedern die Möglichkeit <strong>zu</strong> geben, sich direkt und<br />
regelmäßig mit Bremer Politikern aus<strong>zu</strong>tauschen. Und warum<br />
nicht gleich ganz oben anfangen und die Senatoren ansprechen?<br />
Gewagt? Ja, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt ... Sie wissen<br />
ja ...<br />
<strong>Der</strong> Vorstand entschied sich für eine direkte Ansprache der<br />
(damaligen) SenatorInnen Karoline Linnert, Dr. Joachim Lohse,<br />
Ulrich Mäurer, Anja Stahmann, Martin Günthner, Jens Böhrnsen<br />
und Renate Jürgens-Pieper. Annabel Brown übernahm es als<br />
Vorstandsvorsitzende des Juniorenkreises, den SenatorInnen<br />
<strong>zu</strong>nächst das schon etablierte Format „Juniors meet Seniors“,<br />
bei dem Mitglieder des Juniorenkreises auf Mitglieder des <strong>Club</strong><br />
<strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> treffen und sich mit ihnen austauschen, vor<strong>zu</strong>stellen,<br />
um dann <strong>zu</strong>m eigentlichen Anliegen <strong>zu</strong> kommen: Die geplante<br />
Reihe „Juniors meet Senators“ solle nach dem gleichen Schema<br />
ablaufen und die SenatorInnen wären alle herzlich als Gesprächsgäste<br />
eingeladen.<br />
Die Ansprache hatte einen überraschend großen Erfolg: Mit<br />
großer Begeisterung empfing der Vorstand nach und nach innerhalb<br />
kürzester Zeit telefonisch sowie per Mail Zusagen der SenatorInnen.<br />
Sogar die erst später ins Amt getretene und demnach<br />
auch erst nachträglich angesprochene Prof. Dr. Eva Quante-<br />
Brandt sagte <strong>zu</strong>. Senatorin Jürgens-Pieper hatte <strong>zu</strong>vor die Einladung<br />
des Juniorenkreises abgelehnt. Die einzige und später unschwer<br />
nachvollziehbare Absage.<br />
Selbst von Seiten des Senators und Bürgermeisters Jens Böhrnsen<br />
kam eine positive, wenn auch eingeschränkte Rückmeldung: Man<br />
bat darum, dass erst alle anderen SenatorInnen empfangen werden<br />
sollten und dass Herr Böhrnsen dann den Abschluss bildet.<br />
Ein Wunsch, dem der Juniorenkreis gerne nachgekommen ist. Als<br />
alle Termine feststanden, wurde Herr Böhrnsen erneut angeschrieben.<br />
Nun konnte er nicht mehr ablehnen und willigte ein,<br />
die letzte Veranstaltung der Reihe „Juniors meet Senators“ im<br />
August <strong>zu</strong> übernehmen.<br />
Die Mitglieder des Juniorenkreises nahmen die Veranstaltungsreihe<br />
begeistert an und konnten <strong>zu</strong>nächst gar nicht glauben,
dass wirklich alle SenatorInnen höchstpersönlich erscheinen<br />
würden. Doch genauso war es: Alle Geladenen stellten sich hochmotiviert<br />
den Fragen der Mitglieder. Sie zeigten großes Interesse<br />
an den Junioren und der Arbeit des Juniorenkreises und signalisierten<br />
eine große Freude darüber, einmal in entspannter Atmosphäre<br />
über Themen wie <strong>Bremen</strong>, Politik und Gesellschaft <strong>zu</strong><br />
sprechen, ohne dass man Gefahr laufen musste, zitiert <strong>zu</strong> werden.<br />
Aber ein/zwei Zitate aus dem Gästebuch des Juniorenkreises können<br />
und möchten wir Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten:<br />
Senatorin Linnert:<br />
„Wir kommen aus Staub, wir werden <strong>zu</strong> Staub und zwischendurch<br />
haben wir eine Menge Auslagen und Kosten. Für einen Rationalisten<br />
macht das überhaupt keinen Sinn. Nur ein Romantiker<br />
sieht den Regenbogen, der sich zwischen dem Anfang und dem<br />
Ende spannt – Leonard Kohl. In diesem Sinne ganz herzlich Ihre<br />
Karoline Linnert“<br />
Senator Dr. Joachim Lohse:<br />
„Liebe Juniorinnen und Junioren, ohne die Erhaltung unserer<br />
natürlichen Lebensgrundlagen, die auch Grundlage unserer Gesundheit<br />
und Wohlbefinden sind, ist aller wirtschaftliche Erfolg<br />
nicht wert. Es war eine nette Diskussion mit euch – danke für<br />
euer Interesse + alles Gute. Joachim Lohse“<br />
Senator Ulrich Mäurer:<br />
„Zur Erinnerung an unser Treffen „Juniors meet Senators“ im<br />
Hause des Handelskammer. Ich hoffe, daß Ihnen der Abend einen<br />
kleinen Einblick in die Tiefen der Politik gegeben hat. Ulrich<br />
Mäurer“<br />
Senatorin Prof. Dr. Eva Quandte-Brandt:<br />
„Vielen Dank für die spannende Diskussion und das freundliche<br />
Gespräch. Es war sehr anregend für mich. Eva Quandte-Brandt“<br />
In diesem Sinne möchte sich der Vorstand des Juniorenkreises<br />
sehr herzlich bei allen SenatorInnen dafür bedanken, dass sie<br />
bei unserer Vortragsreihe so bereitwillig und engagiert mitgewirkt<br />
haben und uns derart bereichernde Einblicke in ihre Arbeit<br />
gegeben haben.<br />
„Juniors meet Senators“ – Ein voller Erfolg, der unbedingt entsprechende<br />
Folgeprojekte nach sich ziehen sollte. Was meinen<br />
Sie? Haben Sie Ideen? Was könnte unsere nächste „Juniors<br />
meet…“-Reihe sein? <strong>Der</strong> Vorstand des Juniorenkreises freut sich<br />
immer über Anregungen.<br />
Sie erreichen uns am besten per Mail unter junioren@dczb.de.<br />
Weitere Termine der Vortragsreihe „Juniors meet Senators“:<br />
15.08.2013: Bürgermeister Jens Böhrnsen<br />
09.10.2013: Senatorin Anja Stahmann (Nachholtermin)
Neujahrsempfang<br />
Rund 200 <strong>Club</strong>mitglieder und ihre Gäste, erfreulich viele Junioren, nahmen an dem 4. Neujahrsempfang<br />
des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> in den Gesellschafträumen des Schütting teil. Martin Günthner, Senator für Wirtschaft,<br />
Häfen und Verkehr referierte als Ehrengast über „Lage und Perspektiven der Bremischen Wirtschaft“. Die<br />
wirtschaftlichen Rahmendaten in der Hansestadt seien durchaus bemerkenswert, ja, wenn es dieses Schuldenproblem<br />
nicht gäbe, führte der Senator aus, nicht ohne auf die ersten, durchaus bemerkenswerten<br />
Anstrengungen des rot-grünen Senats hin<strong>zu</strong>weisen, im Rahmen der bundesweiten Schuldenbremse den<br />
Haushalt ein Stück weit <strong>zu</strong> konsolidieren.
Mitgliederversammlung am 7. Mai 2013<br />
Die Mitgliederversammlung stand ganz im Zeichen der Insolvenz des <strong>Club</strong> Gastronom, der<br />
Madaus GmbH, und der Suche nach einem neuen Gastronom. <strong>Der</strong> Vorsitzende, Dr. Rüdiger Hoffmann,<br />
berichtete von seinen Gesprächen mit mehreren Interessenten. Mittlerweile seien die<br />
Verhandlungen mit dem ehemaligen Sterne-Koch Arnd Feye und seinem Partner Oliver Rößler<br />
abgeschlossen. Die Verträge seien am 29. April 2013 unterzeichnet worden.<br />
Beabsichtigt sei, die <strong>Club</strong> Gastronomie um eine Außengastronomie vor dem Schütting <strong>zu</strong><br />
erweitern. Die Unterstüt<strong>zu</strong>ng des Denkmalpflegers und der Handelskammer sei <strong>zu</strong>gesagt. Jetzt<br />
müsse das Genehmigungsverfahren bei den <strong>zu</strong>ständigen Behörden der Stadt eingeleitet werden.<br />
Das öffentlich <strong>zu</strong>gängliche Restaurant, ehemals Bistro à point, solle den Namen „Restaurant<br />
1783“ tragen. Mit dem Gründungsjahr des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> im Schild leiste das neue<br />
Restaurant auch ein Stück externe Kommunikation für den <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>. Prof. Dr. Klaus<br />
Berthold, ehemaliger Vorsitzender und Ehrenmitglied des <strong>Club</strong>s bedankt sich im Namen der<br />
Mitglieder für das erfolgreiche Krisenmanagement des Vorstandes, der bei den anschließenden<br />
Wahlen einstimmig für ein weiteres Jahr im Amt bestätigt wird.<br />
Vorstand <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>:<br />
Dr. Rüdiger Hoffmann, Vorsitzender<br />
Dr. Claudia Nottbusch, Stv. Vorsitzende<br />
Dr. Martin Klinkhammer, Schatzmeister<br />
Joachim Linnemann, Schriftführer<br />
Prof. Dr. Wiebke Ahrndt<br />
Melanie J. Köhler<br />
Annabel Brown, Juniorenkreis<br />
Klaus Ziegler<br />
Dr. Stefan Offenhäuser
Die neue Mannschaft:
21<br />
Wiedereröffnung <strong>Club</strong>-Gastromie<br />
14. Juli 2013<br />
Gastronomischer Kopf ist der ehemalige Sternekoch Arnd Feye (1. v. r.). Chef in der Küche ist Florian Pohl (2. v. r.), der u. a. im<br />
Sternerestaurant Aspicitiua gearbeitet hat. Oliver Rößler (3. v. r.) ist der kaufmännische Partner von Arndt Feye in der Betreibergesellschaft<br />
von Restaurant 1783 und der <strong>Club</strong> Gastronomie. Heiko Maciolek (1. v. l.) schließlich sorgt als Restaurantleiter für reibungslose<br />
Abläufe und den Service.
22<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Wiedereröffnung <strong>Club</strong>-Gastronomie<br />
Wiedereröffnung <strong>Club</strong>-Gastronomie<br />
Trotz Ferienzeit waren rund 180 <strong>Club</strong>mitglieder und Gäste <strong>zu</strong>m Empfang anlässlich<br />
der Wiedereröffnung der <strong>Club</strong> Gastronomie in die Gesellschaftsräume des Schütting<br />
gekommen. <strong>Der</strong> Vorsitzende, Dr. Rüdiger Hoffmann, erinnerte an den traditionell<br />
hohen Stellenwert der Gastronomie für Identität und Kultur des <strong>Club</strong>s. Auch wenn<br />
sich der <strong>Club</strong> mit der beantragten Außengastronomie für das öffentlich <strong>zu</strong>gängliche<br />
Restaurant 1783 mehr öffne, solle an dem exklusiven Charakter des <strong>Club</strong>s im<br />
Inneren nicht gerüttelt werden. Mit Arndt Feye, seinem Partner Oliver Rößler und<br />
deren Mannschaft sei ein hochkarätiges Team in die Räume des <strong>Club</strong>s eingezogen.<br />
<strong>Der</strong> neue Name des Restaurants, der an die Gründung des <strong>Club</strong>s vor 230 Jahren<br />
erinnert, sei ein selbstbewusstes Zeichen für eine gute Zukunft. Prof. Dr. Klaus<br />
Berthold, Ehrenmitglied des <strong>Club</strong>s, dankte dem Vorsitzenden für das erfolgreiche<br />
Krisenmanagement. Im Anschluss an den Empfang luden Gastronomie und Vorstand<br />
in die <strong>Club</strong>räume, wo ein Buffet mit ausgesuchten kleinen Köstlichkeiten aus der<br />
neuen Küche auf die <strong>Club</strong>mitglieder und ihre Gäste wartete.
24<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Wiedereröffnung <strong>Club</strong>-Gastronomie
26<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Wiedereröffnung <strong>Club</strong>-Gastronomie
28 <strong>Bremen</strong><br />
Christian Weber<br />
ABC Interview<br />
ABC <strong>Club</strong> Interview Christian Weber, Präsident der Bremischen Bürgerschaft<br />
Christian Weber, 1946 in Krobsdorf in Schlesien geboren, gehört mittlerweile <strong>zu</strong> den populärsten Politikern <strong>Bremen</strong>s, wobei seine<br />
Popularität durchaus parteiübergreifend ist. Seit 1972 ist Christian Weber Mitglied der SPD, nach verschiedenen Funktionen in Ortsvereinen<br />
und Beiräten wurde der ausgebildete Bankkaufmann mit dem Studium für das Lehramt 1990 Abgeordneter der Bremischen<br />
Bürgerschaft. Von 1955 bis 1999 war er Vorsitzender der SPD-Fraktion. Am 7. Juli 1999 übernahm er als Nachfolger von Reinhard<br />
Metz (CDU) das Amt des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft, das er seitdem engagiert und streitbar wahrnimmt.
Aufrichtigkeit Da halte ich es frei nach Goethe – aufrichtig<br />
will ich gerne sein, unparteiisch aber nein.<br />
Bürgersinn Das Fundament einer Zivilgesellschaft, das allein<br />
mit Geld nicht <strong>zu</strong> bezahlen ist.<br />
Courage Wer hat nicht schon Angst vor der eigenen<br />
Courage gehabt. Zu Widerspruch und Widerstand,<br />
so berechtigt sie sein mögen, gehört<br />
jede Menge Mut.<br />
Demut Ich bin nicht so hochmütig <strong>zu</strong> glauben, dass<br />
die Macht des Menschen über allem steht.<br />
Ehrfurcht Leider nicht immer die Lösung eines Problems.<br />
Freundschaft Freund, Feind, Parteifreund.<br />
Geduld Abwarten und Tee trinken, denn eine gute<br />
Tasse Tee inspiriert.<br />
Humor Das beste Ventil, wenn einem der Kragen <strong>zu</strong><br />
platzen droht.<br />
Idole Die Suche nach Deutschlands „Superstar“<br />
und „next Topmodel“, da wird’s mir ganz<br />
hohl im Kopf.<br />
Jugendsünde Die Farbe Rot kam schon vor der SPD: Als kleiner<br />
Feuerteufel hätte ich einmal fast einen Brand<br />
gelegt; mein Vater konnte rechtzeitig löschen<br />
und mir danach noch den Hintern versohlen.<br />
Kommuni- Reden ist Silber, Schweigen ist Gold: Es gibt<br />
kation nichts schlimmeres, als Stellungnahmen nach<br />
Wahlen.<br />
Laster Das ist wie ein heranrollender großer Truck,<br />
gegen den die guten Vorsätze geringe Chancen<br />
haben.<br />
Medien Soziale Netzwerke, Youtube, Twitter, Nachrichtenportale<br />
– nicht wirklich für mich, als traditioneller<br />
Zeitungsleser wünsche ich mir das<br />
Weltgeschehen auf gedrucktem Papier und<br />
Qualitätsjournalismus.<br />
29<br />
Normen Wie ein Korsett, die Norm reduziert unseren<br />
Alltag in eine Standardgröße.<br />
Optimismus Werder <strong>Bremen</strong> wird wieder meisterlich, alles<br />
nur eine Frage der Zeit.<br />
Perspektiven Mir gefällt die Diagnose von Keynes, dessen<br />
Ideen nicht tot<strong>zu</strong>kriegen sind: Die lange Frist<br />
ist ein schlechter Führer in Be<strong>zu</strong>g auf die laufenden<br />
Dinge; auf lange Sicht sind wir alle tot.<br />
Querulanten Sie nicken nicht alles ab, bei ihnen läuft ständig<br />
etwas quer; Querköpfe und Querdenker sind selten<br />
Weltverbesserer, aber häufig unheimlich<br />
kreativ.<br />
Realismus Er hat mit der Wirklichkeit nicht viel <strong>zu</strong> tun,<br />
sondern eher mit Ideologie, wenn ich etwa an<br />
den sozialistischen Realismus denke, der die<br />
Menschen und die Gesellschaft gerne überhöhte.<br />
Ist ja Gott sei Dank alles vorbei.<br />
Solidarität Ein teures Gut, ist notwendig für Gerechtigkeit<br />
und damit für den sozialen Frieden in unserem<br />
Lande.<br />
Taktik Sie wird gerne mit Salami und Hinhalten in<br />
Zusammenhang gebracht, für die Politik eher<br />
unbrauchbar, weil sie sie inhalts- und gesichtsleer<br />
macht.<br />
Ungeduld Können wir endlich mal <strong>zu</strong>m nächsten Buchstaben<br />
übergehen …<br />
Vorbilder <strong>Der</strong> politisch unbeugsame Gustav Heinemann<br />
gehört für mich da<strong>zu</strong>, vor allem deshalb, weil<br />
er eigentlich gar kein Vorbild sein wollte und<br />
mit seinen Fähigkeiten und Un<strong>zu</strong>länglichkeiten<br />
lieber auf dem Teppich blieb.<br />
Werte Als Christ habe ich mit den zehn Geboten ein<br />
ganz ordentliches, altbewährtes Fundament für<br />
meinen Seelenfrieden.<br />
Zeit Man hat keine Zeit, man muss sie sich nehmen.
<strong>Der</strong> geheimisvolle Wols<br />
Ausstellung in der Kunsthalle<br />
Rüdiger Hoffmann<br />
Wols ist ein Künstler, dessen Werk sich nicht leicht erschließt.<br />
Eher schon sein Leben, das romanhafte Züge trägt, stets pendelnd<br />
zwischen der Banalität des Alltags und den großen Tragödien,<br />
zwischen intellektuellem Vagantentum und bürgerlicher<br />
Banalität. Ein Stück Zerrissenheit Europas zwischen den beiden<br />
Weltkriegen spiegelt das getriebene Leben dieses großen Künstlers<br />
wider, der mit bürgerlichem Namen Alfred Otto Wolfgang<br />
Schulze hieß. 1913 in Berlin als Sohn eines hohen Regierungsbeamten<br />
geboren, starb er bereits mit 38 Jahren in Paris. Er gilt<br />
mittlerweile als wichtiger Wegbereiter des Informal.<br />
Als 16-Jähriger beeindruckte den in Dresden Wohnenden eine<br />
umfangreiche Ausstellung <strong>zu</strong>m 50. Geburtstag von Paul Klee. In<br />
seinem Elternhaus verkehrten Otto Dix und andere Künstlergrößen<br />
der damaligen Zeit. Als 19-Jähriger verließ er Dresden<br />
und bekam in Paris Kontakt <strong>zu</strong> einem Kreis von Surrealisten,<br />
in den ihn seine spätere Frau, die rumänische Modeschneiderin<br />
Hélène Marguerite Dabija eingeführt hatte. In Paris verdiente er<br />
seinen Lebens unterhalt als Fotograf. Als Dokumentarist der<br />
Weltausstellung verkaufte er, für damalige Zeiten ungewöhnliche<br />
Raum- und Modefotografien als Postkarten. Diese wurden in<br />
vielen internationalen Modemagazinen abgedruckt. Unmittelbar<br />
nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Wols <strong>zu</strong>sammen mit<br />
anderen deutschen Künstlern als „feindliche Ausländer“ in verschiedene<br />
französi sche Internierungslager verbracht. Dort hatte<br />
er auch Kontakt <strong>zu</strong> dem Dadaisten und Surrealisten Max Ernst.<br />
Während dieser Zeit entstand eine Vielzahl von surreal anmutenden<br />
Zeichnungen und Aquarellen, die den Alltag des Lagerlebens<br />
thematisieren. Sein Versuch, in die USA <strong>zu</strong> emigrieren,<br />
schlug fehl. Über 100 Aquarelle sind so nach Amerika gelangt<br />
und wurden u. a. in der Ga lerie Betty Parson in New York gezeigt.<br />
Die Bilder sollten die Einwanderungsbehörden von der künstlerischen<br />
Qualität seiner Arbeiten überzeugen. Letztlich sind sie<br />
so der Nachwelt erhalten geblieben, im Gegensatz <strong>zu</strong> den vielen<br />
Bildern, die während der unruhigen Zeiten in Frankreich verloren<br />
gegangen sind. Bereits in dieser Zeit belastete die <strong>zu</strong>nehmende<br />
Alkoholabhängigkeit das Leben und die Gesundheit des vielsei-<br />
Ohne Titel, 1942/43<br />
Tuschfeder und Aquarell auf Papier, 19,9 x 12,8 cm,<br />
Karin und Uwe Hollweg Stiftung, <strong>Bremen</strong>, Foto: Joachim Fliegner<br />
31<br />
31<br />
tigen Künstlers, der 1945 <strong>zu</strong>m ersten Mal in Paris, in der Galerie<br />
von René Drouin, seine Aquarelle ausstellen konnte. Hier lernte<br />
er Jean-Paul Sartre kennen, der ihn in dieser, von erheblichen<br />
psychischen und finanziellen Schwierigkeiten belasteten Lebensphase<br />
unterstützte. Von seinem Galeristen Drouin mit Leinwänden<br />
und Farbe ausgerüstet, schuf Wols in kürzester Zeit über<br />
40 Ölbilder. Die Aus stellung 1947 bei Drouin schockierte das Pariser<br />
Publikum und machte den Künstler schlagartig bekannt. Es<br />
folgten Ausstellungen in Paris, Mailand und New York. Trotz<br />
schwerer gesundheitlicher Probleme arbeitete er weiter an Ölbildern<br />
und Aquarellen. Im August 1951 wurde er mit einer Lebensmittelvergiftung<br />
in ein Pariser Krankenhaus eingeliefert. Den<br />
Tod vor Augen ließ er sich von seiner Frau Gréty in das Luxus-<br />
Selbstporträt, Paris 1938<br />
Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
32<br />
<strong>Bremen</strong><br />
<strong>Der</strong> geheimnisvolle Wols<br />
La ville abrupte, 1943, Tuschfeder und Aquarell, 12,7 x 17,4 cm, Privatbesitz, Hamburg, Foto: Hauswedell & Nolte, Hamburg<br />
hotel „Hotel de Motalembert“ bringen, wo er am nächsten Tag verstarb.<br />
Es hat lange gedauert, bis die Kunstszene den Rang dieses<br />
ungewöhnlichen Künstlers und die außergewöhnlich formale<br />
Vielfalt seines Wer kes aus Fotografien, Zeichnungen, Aquarellen<br />
und Gemälden erkannt hat, wobei die stilistische Entfaltung<br />
seiner Motive in den lediglich 15 Jahren seines Schaffens eine<br />
spektakuläre Wandlung durchlaufen hat. Ausgangspunkt der Bremer<br />
Werkschau ist eine Auswahl von Schwarz-Weiß-Fotografien<br />
aus den 1930er und 1940er Jahren. In diesen Arbeiten bereits<br />
lässt sich Wols’ Entwicklung <strong>zu</strong>m Künstler des Gegenstandslosen<br />
erahnen. Durch das surreale Arrangement verlieren die figurativen<br />
Motive ihre ursprüngliche Bedeutung und fordern <strong>zu</strong> einer<br />
neuen Wahrnehmung der dargestellten Objekte auf. Die Mitte der<br />
1930er Jahre entstandenen Zeichnungen und Aquarelle stehen<br />
erkennbar unter dem Einfluss des Pariser Surrealismus. Dass Wols<br />
die Begegnung mit dem Werk von Paul Klee in Dresden nicht vergessen<br />
hat, kann unterstellt werden. Allen Bildern gemein ist die<br />
Suche nach neuen Bildwelten und Ausdrucksformen. Im Laufe<br />
der Jahre wird Wols’ Bildsprache <strong>zu</strong>nehmend abstrakter. In den<br />
reliefartigen Oberflächentexturen seiner Ölbilder findet seine expressive<br />
Formensprache ihren Höhepunkt. Diese neue Form gegenstandsloser<br />
Kunst begründet das neue Kunstgenre „Informal“.<br />
Und so gilt Wols als einer der bedeutendsten europäischen Wegbereiter<br />
des „Informal“, als den ihn die Kunsthalle <strong>Bremen</strong> in<br />
einer umfangreichen Retrospektive noch bis <strong>zu</strong>m 15. August 2013<br />
würdigt. Es ist die umfangreichste Wols-Präsentation und mit über<br />
200 Werken die größte ihrer Art seit fast 25 Jahren. Ohne die<br />
Sammelleidenschaft und die Impulse der Bremer Kunst- und Kultur-Mäzene<br />
Karin und Uwe Hollweg, die mehr als 40 Wols-Werke<br />
in ihre gleichnamige Stiftung eingebracht haben, hätte das Werk<br />
<strong>zu</strong>m 100. Geburtstag dieses großartigen Künstlers mit der traurigen<br />
Biografie den Weg in die Kunsthalle wohl kaum gefunden.<br />
Mademoiselle docteur, um 1937/39<br />
Tuschfeder und Aquarell auf strukturiertem Papier aufgezogen,<br />
30,3 x 22,5 cm, Karin und Uwe Hollweg Stiftung, <strong>Bremen</strong>,<br />
Foto: Joachim Fliegner, <strong>Bremen</strong>
34<br />
<strong>Bremen</strong><br />
<strong>Der</strong> geheimnisvolle Wols<br />
Le bateau ivre, 1951, Öl, Grattage und Tubenabdrücke auf Leinwand, 92 x 73 cm, Kunsthaus Zürich, Foto: Kunsthaus Zürich
L’oiseau (<strong>Der</strong> Vogel), 1949, Öl, Grattage und Tubenabdrucke auf Leinwand, 92,1 × 65,1 cm,<br />
The Menil Collection, Houston, Foto: Hickey-Robertson, Houston<br />
35
36<br />
<strong>Bremen</strong><br />
<strong>Der</strong> geheimnisvolle Wols<br />
(La dernière) Composition, 1951, Öl, Grattage und Tubenabdrücke auf Leinwand, 73 x 60 cm, Sammlung Ströher, Darmstadt,<br />
Foto: Olaf Bergmann, Witten
Frischer Wind<br />
für erneuerbare Energien<br />
Innovative Windenergie-Projekte von EWE<br />
Als eines der fortschrittlichsten Energieunternehmen Deutschlands<br />
machen wir uns auch für die erneuerbaren Energien stark. So bieten wir<br />
z. B. ein großes Leistungsspektrum für die Umset<strong>zu</strong>ng erfolgreicher<br />
Windkraftprojekte sowohl im Offshore- als auch im Onshore-Bereich.<br />
Als Windkraftpionier sind wir am ersten deutschen Offshore-Windpark<br />
alpha ventus beteiligt. Mit RIFFGAT nehmen wir in diesem Sommer den<br />
ersten kommerziellen Windpark in der Nordsee in Betrieb. Und das sind<br />
nur zwei unserer Projekte für eine Zukunft mit der richtigen Energie.<br />
Energie. Kommunikation. Mensch. | www.ewe.de
Die Karin und Uwe Hollweg-Stiftung<br />
und der Künstler Wols
Seit rund 40 Jahren sammeln Karin und Uwe Hollweg moderne<br />
Kunst. 1996 gründeten sie ihre gleichnamige Stiftung. Im Jahr<br />
2011, als den beiden die renommierte Maecenas Ehrung verliehen<br />
wurde, übergaben sie ihre gesamte private Sammlung mit<br />
Kunst des 20. Jahrhunderts (fast 600 Gemälden, Zeichnungen,<br />
Druckgrafiken und Skulpturen) ihrer Stiftung, der sie am Alten Wall,<br />
vis à vis der Kunsthalle, ein standesgemäßes und öffentlich <strong>zu</strong>gängliches<br />
Domizil gespendet haben. Neben Künstlern aus Deutschland,<br />
dabei immer wieder Künstler aus <strong>Bremen</strong> und dem norddeutschen<br />
Raum, glänzt die Sammlung mit großen Namen der internationalen<br />
Kunstszene. Günther Uecker, John Cage, Salvador<br />
Dali, Richard Hamilton, <strong>zu</strong> dem das Bremer Ehepaar eine freundschaftliche<br />
Beziehung pflegt, David Hockney und Mark Tobey,<br />
dessen Werke in allen großen Museen der Welt hängen. Allein<br />
von ihm hat das Ehepaar Hollweg im Laufe der Jahre gut 30 Bilder<br />
und Druckgrafiken erworben.<br />
Mit mehr als 40 Bildern ist der deutsch-französische Künstler<br />
Wols, alias Alfred Otto Wolfgang Schulze, der heimliche Favorit<br />
von Karin und Uwe Hollweg, auch wenn die beiden immer wieder<br />
betonen, dass ihre Sammelleidenschaft weniger von den großen<br />
Namen, vielmehr von der Faszination ganz bestimmter Werke,<br />
Motive oder Malweisen angeregt wurde. In dem Vorwort <strong>zu</strong> dem<br />
im DUMONT Verlag erschienenen großen Bildband „Karin und<br />
Uwe Hollweg Sammlung“ erzählt Karin Hollweg, die selbst erfolgreich<br />
als Malerin und Illustratorin arbeitet, wie sich ihre<br />
Sammelleidenschaft entwickelt hat. „Unser gezieltes Sammeln<br />
setzte nicht plötzlich ein, sondern wir tas te ten uns langsam an<br />
unsere Vorlieben heran. Nie haben wir wirklich aktiv nach etwas<br />
gesucht. Uns interessiert nicht so sehr der Name des Künstlers,<br />
sondern seine Arbeit, was er macht oder gemacht hat. Die Bilder<br />
liefen uns über den Weg, wurden angeboten von Galerien, von<br />
Kunsthändlern oder auf Auktionen. Schwerpunkte haben sich<br />
erst im Nachhinein entwickelt und wurden dann ausgebaut. Unsere<br />
Sammlung umfasst Werke, die während unseres Lebens entstanden<br />
sind, die wir also im wahrsten Sinne miterlebt haben.“<br />
Zu Wols hat Karin Hollweg eine ganz besondere Beziehung. Bereits<br />
<strong>zu</strong>r Konfirmation in den fünfziger Jahren bekam sie ein<br />
Buch mit Wols Bildern geschenkt. Seitdem lässt sie die Faszination<br />
seiner Bilder nicht los. „Le fantôme bleu“, das Bild, an das<br />
sie sich heute noch aus ihrer Zeit als Konfirmandin erinnert,<br />
hängt jetzt im Museum Ludwig in Köln. In <strong>Bremen</strong> hat „Le<br />
fantôme bleu“ jetzt Karriere als Plakatmotiv für die Ausstellung<br />
in der Kunsthalle gemacht. Auch mit dem Werk von Mark Tobey,<br />
dem US amerikanischen Maler, Wegbereiter des amerikanischen<br />
„Abstrakten Expressionismus“, kamen die Hollwegs eher <strong>zu</strong>fällig<br />
39<br />
39<br />
<strong>zu</strong>sammen. Aufmerksam wurden sie auf Mark Tobey in einer Galerie<br />
in St. Gallen. „Eigentlich“, erzählt Karin Hollweg, „waren<br />
wir dort nur <strong>zu</strong>m Zigarrenkaufen hingefahren – im Laden hing<br />
ein Plakat der Erker-Galerie. Spontan entschieden wir, hin<strong>zu</strong>gehen,<br />
lernten Franz Larese und Jörg Janett kennen, die dann gute<br />
Freunde von uns wurden. Bei der Eröffnung ihrer Frank Tobey<br />
Ausstellung haben wir unser erstes Bild von ihm gekauft.“<br />
Und so fügen sich von Namen <strong>zu</strong> Namen Geschichten, die Karin<br />
und Uwe Hollweg von „ihren“ Künstlern erzählen können. Und<br />
dann fragt man sich schnell, was imponiert mehr? Die gelassene<br />
Bestimmtheit bei der Auswahl ihrer Bilder und ihren Bekenntnissen<br />
<strong>zu</strong> „ihren“ Künstlern oder die Bescheidenheit dieses Ehepaars,<br />
die gleich Philemon und Baucis in der Antike, mit sich genug <strong>zu</strong><br />
haben scheinen und der Freude, anderen Freude <strong>zu</strong> schenken.<br />
Große Mäzene sind die Beiden und wenn nicht ab und <strong>zu</strong> eine<br />
große Ehrung die Öffentlichkeit schaffen würde, die bei der<br />
Verleihung der Ehrenbürgerschaft <strong>Bremen</strong>s o. ä. wohl kaum vermeidbar<br />
ist, nur wenige würden von dem vielen Guten, was dieses<br />
Ehepaar nicht nur mit ihrer Stiftung dem Gemeinwesen, aber<br />
auch Einzelnen Jahr für Jahr angedeihen lässt, überhaupt etwas<br />
erfahren. Öffentliche Aufmerksamkeit ist ihre Sache nicht. Da<br />
mag das Temperament des erfolgreichen hanseatischen Kaufmanns<br />
Uwe Hollweg mit der Gelassenheit der Künstlerin Karin<br />
Hollweg eine äußerst seltene Liaison eingegangen sein.<br />
Und genau so verhält es sich am Ende auch mit der Wols-Ausstellung<br />
in der Kunsthalle. Ohne die großzügige Unterstüt<strong>zu</strong>ng der<br />
Hollwegs hätte diese umfangreiche Präsentation von über 200<br />
Wols Werken mit Leihgaben aus aller Welt schon allein aus finanziellen<br />
Gründen in der Bremer Kunsthalle nicht realisiert werden<br />
können.
Le fantôme bleu (Das blaue Phantom), 1951, Öl, Grattage, Tuben- und Fingerabdrücke auf Leinwand,<br />
73 x 60 cm, Museum Ludwig, Köln, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
AZ Berlin-Druck
42<br />
<strong>Bremen</strong><br />
Haase & Knels Atelier für Gestaltung<br />
1963 gründeten Fritz Haase und Sibylle Knels das Atelier Haase & Knels in<br />
der Bremer Böttcherstraße und begannen für die Böttcherstraße Drucksachen<br />
<strong>zu</strong> gestalten. Nach 50 Jahren sind sie immer noch für „<strong>Bremen</strong>s heimliche<br />
Hauptstraße“ tätig. Dieses ist Anlass für eine Ausstellung in den Räumen<br />
der Kunstsammlungen Böttcherstraße.<br />
Titel: Alle Wege führen in die Böttcherstraße<br />
Alle Wege führen in die Böttcherstraße
Wie es anfing?<br />
„Da war die Wohnung der Eltern Haase in der Böttcherstraße. Da<br />
gab es die Studenten an der Staatlichen Kunstschule <strong>Bremen</strong><br />
Fritz Haase und Sibylle Knels und Hans Tallasch aus der Böttcherstraße.<br />
Hans Tallasch leitete in den 60er Jahren den Glas-<br />
und Porzellanladen der Bremer Werkschau, ein Tempel guter Gestaltung<br />
– führend in Deutschland. Das Wort Design war im<br />
Sprachgebrauch noch nicht verankert.<br />
Bei einem Besuch von Hans Tallasch 1961 in der elterlichen<br />
Wohnung fiel der Satz:<br />
„Mensch Kinners, könnt ihr mir nicht mal ein Plakat für den<br />
großartigen Puppenspieler Albrecht Roser machen. Das Plakat<br />
entstand im Kartoffeldruck in einer Auflage von 5 Exemplaren.<br />
Bald folgte eine weitere Anfrage für die Kunstschau Böttcherstraße,<br />
für die Hans Tallasch auch <strong>zu</strong>ständig war, ein Plakat<br />
<strong>zu</strong> entwerfen. Eine Künstlergruppe aus Finnland stellte aus.<br />
Man brauchte 20 Exemplare. Geld für Druckkosten war nicht da.<br />
Das war schon schwieriger. In Handarbeit mit Pappschablonen<br />
gelang es uns, diese Aufgabe <strong>zu</strong> meistern. Durch eine Ausstellung<br />
im Amerika-Haus, damals im Gebäude der Glocke an der<br />
Domsheide, erfuhren wir <strong>zu</strong>m ersten Mal etwas über die in<br />
Amerika angewandte Technik des Siebdrucks im künstlerischen<br />
Bereich.<br />
Beim nächsten „Kinners könnt ihr nicht mal...“ überzeugten wir<br />
Hans Tallasch, der immer aufgeschlossen war, wenn es um gestalterisches<br />
Neuland ging, 250 DM <strong>zu</strong> investieren, um eine<br />
Siebdruckanlage <strong>zu</strong> bauen. Hans Tallasch wusste warum er uns<br />
diese Investition genehmigte. Er wollte Horst Janssen ausstellen,<br />
den er entdeckt hatte und brauchte mehr Plakate. Das Janssen-Plakat<br />
gelang in einer ziemlich archaischen Anmutung.<br />
Horst Janssen gefielen seine „Sargträger“.<br />
Er bedankte sich mit einem exzessiven Trinkgelage im damaligen<br />
Restaurant „Martini“ in der Böttcherstraße.<br />
43<br />
43
44<br />
<strong>Bremen</strong><br />
Alle Wege führen in die Böttcherstraße<br />
Wir haben von Anfang an versucht, autonom <strong>zu</strong> arbeiten, unabhängig<br />
von Setzereien, Druckereien und Lithoanstalten. Mit<br />
einem selbstentwickelten Fotosatzgerät und einer immer mehr<br />
perfektionierten Drucktechnik setzten wir unsere Gestaltungsideen<br />
um und druckten mehr als ein Jahrzehnt Plakate für die<br />
„Kunstschau Böttcherstraße“, die „Große Kunstschau Worpswede“<br />
und für die „Crusoe-Halle“, Böttcherstraße, einem in<br />
Deutschland einmaligen Ausstellungsraum für deutsche und<br />
europäische Gestalter. Die frühe Nachkriegsavantgarde fand hier<br />
ein Forum, das weit über <strong>Bremen</strong> hinausstrahlte.<br />
Unsere Plakate fanden nationale und internationale Beachtung<br />
und wurden mit vielen Preisen bedacht. In den 90er Jahren<br />
setzte Susanne Gerlach als Nachfolgerin von Hans Tallasch die<br />
Ausstellungsreihe fort.<br />
In dieser Zeit vollzog sich der Wechsel von der analogen Gestaltung<br />
in das Zeitalter der digitalen Gestaltung. Nach den Aufgaben<br />
für den Kulturbereich entwickelten wir auch die Werbung<br />
für den Gesamtauftitt der Böttcherstraße. In den 70er Jahren<br />
kreierten wir das Straßenschild „Zur Böttcherstraße“ <strong>zu</strong>m Logo.<br />
Wir montierten es selbst auf Sonntagsausflügen mit Kindern<br />
rund um <strong>Bremen</strong> an Schuppen und Scheunen. Die Schilder transportierten<br />
wir auf dem Dach unseres R4. Manchmal montierten<br />
wir die Schilder sogar auf Berggipfeln, im Watt oder im Frankfurter<br />
Palmengarten. Guerilla-Marketing in den 70er Jahren. Als<br />
Aufkleber gelangte das Schild in die ganze Welt. Reisende<br />
Bremer schickten Fotos mit dem Schild von den originellsten<br />
Fundorten rund um den Globus. Diese Straßenschild-Idee machte<br />
die Böttcherstraße <strong>zu</strong>r Marke.<br />
Unsere Arbeit für die Böttcherstraße in einer Ausstellung <strong>zu</strong> präsentieren<br />
ist eine schöne Würdigung unserer 50jährigen Zusammenarbeit.<br />
Ohne die Böttcherstraße hätte es das Atelier (offizielle<br />
Gündung 1963) so nicht gegeben. Unsere Tätigkeit hat sich<br />
vom Profit her zwar nicht immer gerechnet, wir hatten aber absolute<br />
Gestaltungsfreiheit und das ist der höchste Lohn, den<br />
man sich als Gestalter wünschen kann.
Und wie ging es weiter?<br />
Veröffentlichungen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften<br />
führten da<strong>zu</strong>, dass auch Industrieunternehmen auf uns<br />
aufmerksam wurden. Erster Großkunde nach der Böttcherstraße<br />
war der Bremer Flugzeugbauer VFW, später VFW-Fokker.<br />
Wir betreuten die Werbung für das erste deutsche Verkehrsflugzeug<br />
nach dem Kriege, die VFW 614. <strong>Der</strong> Umfang der vergebenen<br />
Aufträge führte da<strong>zu</strong>, dass wir die Werbeagentur „Brasilhaus No 8“<br />
gründeten. Namensgeber war das Haus im Schnoorviertel, das<br />
wir von einem Zigarrenmacher erworben hatten.<br />
Später haben wir noch einmal mit einem Mitarbeiter eine neue<br />
Werbeagentur gegründet „Haase & Knels + Schweers“. Die Liste<br />
unserer Auftraggeber ist lang. So zählten <strong>zu</strong> ihnen u. a. der<br />
Thomson Konzern mit den Unterhaltungselektronik Marken<br />
Nordmende,Telefunken Saba und Dual, die KPS Firmengruppe, die<br />
Porzellanhersteller Dibbern und Fürstenberg und das Bremer Unternehmen<br />
Stanwell mit Pfeifentabaken und Zigarren. Für die<br />
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland,<br />
Bonn und die Kunsthalle <strong>Bremen</strong> gestalteten wir Plakate und<br />
andere Werbemittel wie auch für Theater und Musicals. Für den<br />
Handel betreuten wir die Bremer City und Einkaufszentren in<br />
<strong>Bremen</strong> und anderen Städten. Rund 120 gedruckte Briefmarken<br />
erschienen von uns für die Deutsche Post.<br />
Die Aufgaben verteilten sich in der langen Firmengeschichte immer<br />
zwischen Kommerz und Kultur. Eine Ausstellung <strong>zu</strong>m 40jährigen<br />
Firmenjubiläum im Wagenfeld Haus, <strong>Bremen</strong>, 2003 zeigte<br />
die ganze Bandbreite unseres Schaffens.<br />
Dass das 50jährige Jubiläum sich mit den Wurzeln beschäftigt,<br />
hat seinen besonderen Reiz. Letztlich sind wir in unserer Arbeit<br />
<strong>zu</strong> unserem Ursprung <strong>zu</strong>rückgekehrt. Klein und fein.<br />
So gestalten wir heute mit drei Mitarbeitern <strong>zu</strong>m Beispiel für<br />
den Martinshof die „Bremer Senatsprodukte“, betreuen den Feinkosthändler<br />
Grashoff, die Berliner Freiheit, kommunizieren für<br />
exclusive Mode, für die Wilhelm Kaisen Bürgerhilfe erfanden wir<br />
das „Bremer Loch“ und wie seit über 30 Jahren entwerfen wir<br />
Briefmarken für die Deutsche Post.“<br />
Mal sehen, was noch kommt.<br />
45
46<br />
<strong>Bremen</strong><br />
Alle Wege führen in die Böttcherstraße<br />
Viele Wege führen... Viele Wege führen...<br />
Fotograf Fritz Haase am Sylvenstein, Oberbayern 1971 Motive aus der Anzeigenserie „Viele Wege führen ...“ für die Böttcherstraße (1971)
48<br />
Wirtschaft<br />
Hans-Jürgen Hofmann<br />
<strong>Der</strong> Ladenhüter
Milan Unglaub<br />
Einzelhandel, das ist ein Geschäft, das von zwei Prämissen lebt,<br />
mit denen irgendetwas nicht stimmt. Bei der einen geht es<br />
darum, dass, wer einzeln handelt, schon vom Begriff her nicht<br />
darauf aus sein kann, in großer Gesellschaft bella figura <strong>zu</strong><br />
machen. Angeblich belebt ja, noch so ein Lehrsatz, nicht das<br />
Miteinander, sondern die Konkurrenz das Geschäft. Weiter ist da<br />
dann auch noch die Überzeugung, nicht der Einzelhändler als<br />
solcher, sondern der Kunde sei König. Leider, das wissen eigentlich<br />
alle Einzelhändler, kommt es nicht selten da<strong>zu</strong>, dass der sich<br />
auch wie so einer benimmt.<br />
Konfrontiert man Hans-Jürgen Hofmann mit solchen Einsichten,<br />
gibt er sich ausgesprochen milde. Er führt in der Bremer Innenstadt<br />
ein Möbelgeschäft, handelt, was das angeht, einzeln,<br />
soweit sich das eben einrichten lässt und weiß gut genug, dass<br />
auch die Einzelhändler, wie Angler, Jäger und Seenotretter für<br />
das, was sie sich vorgenommen haben, einen Zusammenhalt<br />
brauchen. <strong>Der</strong> Starke ist am mächtigsten allein: Friedrich Schiller<br />
hatte gut reden und steckte mit Goethe und ein paar anderen<br />
aus dem Beritt der Weimarer Klassik so gut wie festge<strong>zu</strong>rrt in<br />
einem Verein. Auch Dichterfürsten wirken, im Nachhinein besehen,<br />
irgendwie gewerkschaftsaffin.<br />
Hofmann ist, das macht ihn in gewisser Weise einzigartig, auch<br />
Doktor der Philologie. Das hilft einem nicht unbedingt, wenn mal<br />
wieder bei einer Kundenpräsentation eine Schublade klemmt und<br />
man dasteht wie Loriot in Ödipussi, dänischer Funktiona lismus,<br />
sehen Sie nur, aber das Ding will nicht, geht einfach – rüttel,<br />
rüttel – nicht auf. Glaubt man Hans-Jürgen Hofmann, passiert so<br />
etwas auch einem Möbelhändler nicht alle Tage, aber er ist auf<br />
dem Gebiet durchaus im Bild.<br />
Medien machen Möbelhändler, seit Loriot dieses Genre für sich<br />
entdeckte. Das liegt, man spürt es, wenn man mit Hofmann redet,<br />
auch daran, dass die Sprache der Möbelhändler eine für jede<br />
Parodie offene Fachsprache ist. Selbiges gilt natürlich auch für<br />
49<br />
49<br />
jede Art von Werkzeugverleih,<br />
Resteposten-<br />
Abverkauf und den<br />
Handel mit Hustenbonbons.<br />
Bei Dr. Hans-Jürgen<br />
Hofmann schaut man in<br />
der Bremer Langenstraße<br />
entweder von unten<br />
<strong>zu</strong> der hinauf oder von<br />
oben auf sie hinunter.<br />
Zwei Etagen, sein Büro<br />
steckt obenauf in einer<br />
Ecke, so unscharf getrennt<br />
vom Ladengeschäft,<br />
dass man sich<br />
fragt, ob er das Laptop<br />
auf dem Tisch bloß für seine inneren Geschäftsabläufe nutzt<br />
oder ob er es einem bei Bedarf auch v erkauft, mitsamt der auf<br />
der Festplatte hängen gebliebenen Kundendatei. Es hat ihm die<br />
aller dings noch keiner ab<strong>zu</strong>schwatzen versucht. Hofmann ist ein<br />
verhaltener, aber, wenn es darauf ankommt, spürbar ironischer<br />
Mensch. Sonst wäre er wohl kaum darauf gekommen, darüber <strong>zu</strong><br />
schreiben, wie es deutschen Möbelhändlern ergeht. Weil sie ihre<br />
Läden hüten wie Optiker ihre Augäpfel, hat er sein Buch, das er<br />
übers Einzelhandelsgeschäft schrieb, „<strong>Der</strong> Ladenhüter“ genannt.<br />
Manchmal, räumt er ein, fühle er sich auch genauso. Man muss<br />
auf der Hut sein in einem Laden wie seinem.<br />
König Kunde ist einer der Gründe dafür. Hofmann hält nicht besonders<br />
viel von diesem Titel. Die Monarchie, gibt er <strong>zu</strong> erkennen,<br />
sei in Deutschland nicht ohne Grund im Jahr 1918 abgeschafft<br />
worden. Weil er Philologe ist, weiß er natürlich, dass das<br />
in der täglichen Lebenspraxis nicht ganz so hilft, wie man sich
50<br />
Wirtschaft<br />
Hans-Jürgen Hofmann<br />
das vielleicht wünscht. Es sind ja immer noch genug Könige<br />
der Landstraße auf den Autobahnen unterwegs. Jeder, der beim<br />
Tischfußball sechs Bälle als erster ins Loch zirkelt, hält sich für<br />
einen Monarchen, und König Kunde, der gleicht manchmal ja<br />
wirklich einem Hohenzollern, der sich ganz viele Kriegsschiffe<br />
wünscht und ganz wenig Geld dafür hinlegen will. König Kunde,<br />
das ist, vom Ladenhüter her betrachtet, auch einer der Räuber<br />
mit Adelsprivileg, die sich daran gewöhnt haben, den Zehnten<br />
beim Volk ein<strong>zu</strong>treiben.<br />
Ein wenig gleichermaßen komplizierter wie einfacher liegen die<br />
Dinge allerdings schon, vor allem, seit es das Internet gibt.<br />
Erster Auftritt des Königs, in der Welt der schönen Dinge, der er<br />
sich nähert wie ein Flaneur, einer dieser urbanen Genussmenschen,<br />
die das 19. Jahrhundert hervorbrachte. Nur, dass <strong>zu</strong> der<br />
Zeit noch kein Smartphone im Bratenrock steckte.<br />
„Dieses sehr schöne, sehr ansprechende Objekt, sagen Sie, was<br />
müsste ich dafür bezah len?“ <strong>Der</strong> Möbelhändler ist an dieser Stelle<br />
bereits alarmiert. <strong>Der</strong> Preis, früher durchaus Verhandlungssache,<br />
in einem allerdings festen Gefüge, ist ja längst dem alle Einzelhandelsaktivitäten<br />
durchdringenden und am Ende schädigenden<br />
Geiz ist geil-Prinzip unterworfen. Bevor dem Verkäufer überhaupt<br />
eine Ant wort gelingt, ist schon von einem möglichen Ab-<br />
schlag die Rede. Stocken die Verhandlungen, wird es sich König<br />
Kunde vielleicht noch einmal überlegen. Er bleibt dann aber<br />
doch, bis <strong>zu</strong> dem unbeobachteten Moment, in dem er das Objekt<br />
mit dem Smartphone fotografiert. Im Internet wird er sich dann<br />
den Anbieter suchen, der ihm versichert, dass, sollte er auf ein<br />
noch günstigeres Angebot stoßen, der Preis verhandelbar bleibt.<br />
Irgendwann, gibt sich Hans-Jürgen Hofmann überzeugt, werden<br />
alle, ändert sich nichts an diesem Geschäftsgebaren, mit leeren<br />
Händen dastehen.<br />
Bevor man ihm, solcher Entwicklungen wegen, einen Hang <strong>zu</strong>m<br />
Kulturpessimismus unterstellt, sollte man lernen, dass er vor<br />
allem ein guter Beobachter ist. Frauen und Männer beim Möbelkauf,<br />
da könnten Genderforscher bei ihm einiges lernen. Auch<br />
über Geschlechterklischees. Manchmal stimmen die nämlich.<br />
Männer fokussieren sich beim Einrichten auf ihr Büro. Frauen<br />
aufs Heim. Stimmt und stimmt doch wieder nicht, aber dass<br />
Geschlechterrollen ausschließlich sozial konstruiert sein könnten<br />
… es stehen immer Möbel und vor allem auf sie gerichtete<br />
Wünsche dazwischen.<br />
Arbeiten im deutschen Einzelhandel, im Möbelhandel in seinem<br />
Fall, sagt Hans-Jürgen Hofmann, das sei eines der letzten Abenteuer<br />
der Menschheit.
Er schaut auch manchmal bei IKEA vorbei. Nicht der Notnägel<br />
wegen, die man sich bei Billy & Co. abholen kann, sondern weil<br />
die auch schwedische Lebensmittel verkaufen, die man sonst,<br />
von einem Laden in der Berliner Bundesallee abgesehen, nirgendwo<br />
kriegt.<br />
Er ist nicht der einzige auf diesem Gebiet. Er kann außerdem alte<br />
Vorurteile relativieren. Er hat für eine recht lange Zeit IKEA<br />
für ein Unternehmen gehalten, das sich der Bauhaus-Tradition<br />
verpflichtet fühlte. Tatsächlich hat Ingvar Kamprad, was das<br />
Bauhaus wollte, der Nivellierung unterworfen. Schneller wohnen,<br />
nur bei Billy hat das einmal nicht funktioniert, in Deutschland<br />
jedenfalls, weil Büchernarren Wert darauf legten, ihren Bestand<br />
bis an den Rand des Grabs im angestammten Regal<br />
aus<strong>zu</strong>weiten.<br />
Dogmen, da steht der Philologe Hofmann manchmal regellos<br />
hilflos vor dem, was die auf seine Branche gerichteten Erwartungen<br />
ausmacht. Form follows function, aber woher denn,<br />
der Gropius hat doch in Dessau, wo Hofmann sich das eigens<br />
angeschaut hat, sogar die Heizkörper unter die Decke gehängt,<br />
weil sie unten bloß störten. Gegen alle Gesetze der Physik, die<br />
ihn für den Fall nicht interessierten. Gegen jede Vernunft, und<br />
da wird es dann richtig spannend.<br />
51<br />
Einzelhandel, da geht die Vernunft nahe<strong>zu</strong> jeden Tag baden, und<br />
weil er das aushalten muss, hat er all die vernunftwidrigen Geschichten<br />
mitsamt der vernünftigen Wendungen, die sie manchmal<br />
nahmen, in einem Buch aufgeschrieben, das es sogar bis auf<br />
einen hinteren, aber gleichwohl einträglichen Platz in der SPIE-<br />
GEL-Bestsellerliste schaffte. Damit, steht <strong>zu</strong> hoffen, ist es dann<br />
auch gegen eine Positionierung in den Blindband-Beständen irgendwelcher<br />
Billy-Regalmeterware gefeit.<br />
Hans-Jürgen Hofmanns Buch „<strong>Der</strong> Ladenhüter“ ist erschienen im<br />
Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf Berlin. Es kostet 9,95 € und<br />
ist auch bei wohnen & ideen im Kontorhaus in der Bremer Langenstraße<br />
erhältlich.<br />
Wem danach ist, der darf es dort auch mit seinem Smartphone<br />
abfotografieren und mit den Aufnahmen eine Debatte über die<br />
Buchpreisbindung im deutschen Buchhandel anzetteln.
52<br />
Wirtschaft<br />
Das Geschäft mit der Nachhaltigkeit<br />
Kakao als Krisenbarometer<br />
Fotos: Bremer HACHEZ Chocolade GmbH & Co. KG
Frederiece Baack<br />
Schokolade gehört immer noch <strong>zu</strong> den beliebtesten Süßigkeiten<br />
auf der Welt. Elf Kilogramm pro Kopf vernascht der Deutsche<br />
durchschnittlich in einem Jahr. Das sind knapp dreizehn Prozent<br />
des weltweit angebauten Kakaos. Während der Schokoladenkonsum<br />
sich in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt hat, kämpfen<br />
die Hersteller mit Ernterückgängen, Qualitätsproblemen sowie<br />
Gewalt und Willkür in vielen Erzeugerländern.<br />
Zudem zählt Kakao, das braune Gold, nach Erdöl und Kaffee <strong>zu</strong><br />
den meistgehandelten Rohstoffen auf dem Weltmarkt. Die Weltmarktpreise<br />
für Kakao werden vorwiegend an den Rohstoffbörsen<br />
von London und New York fixiert. Sie sind höchst volatil. Spekulanten<br />
rund um den Globus bewegen den Kakaopreis, losgelöst<br />
53<br />
53<br />
von der Situation der überwiegend kleinbäuerlichen Familienbetriebe,<br />
die immer noch für neunzig Prozent der weltweiten<br />
Kakao-Ernte verantwortlich sind. So hat beispielsweise im Jahr<br />
2010 ein einziger Spekulant sieben Prozent der Welternte aufgekauft,<br />
was <strong>zu</strong> einem, vom Marktgeschehen losgelösten, künstlichen<br />
Preisanstieg führte.<br />
Wie immer in solchen Fällen gingen die Gewinne an den Erzeugern<br />
in aller Welt vorbei. Kein Wunder, immerhin kontrollieren<br />
lediglich fünf Unternehmen allein achtzig Prozent des Welthandels.<br />
Fünfundsiebzig Prozent des jährlich gehandelten Kakaos<br />
kommen aus westafrikanischen Staaten, 2/3 davon aus der<br />
Elfenbeinküste und Ghana. Knapp dreißig Prozent des Weltka-
54<br />
Wirtschaft<br />
Das Geschäft mit der Nachhaltigkeit<br />
kaos stammt aus Asien (Indonesien) sowie aus Mittel- und Südamerika.<br />
Gleichgültig, wo in der Welt Kakao angebaut wird, die<br />
Bedingungen für die Produzenten sind, wenige Ausnahmen ausgenommen,<br />
schwierig, nicht selten menschenunwürdig. Selbst<br />
Sklaverei und Kinderarbeit sind in vielen Ländern immer noch an<br />
der Tagesordnung. Die Arbeit auf den Plantagen ist Knochenarbeit.<br />
Mit Macheten müssen die reifen Kakaofrüchte, gut ein Kilo<br />
schwer, von den Bäumen geschlagen werden. Direkt vor Ort werden<br />
die Früchte mit der Machete geteilt, um die Kakaobohnen<br />
heraus<strong>zu</strong>schälen. In großen Körben, die in der Regel auf dem<br />
Kopf getragen werden, transportieren die Arbeiter die rohen<br />
Bohnen <strong>zu</strong> den Fermentierplätzen, wo das weiße, <strong>zu</strong>ckerhaltige<br />
Fruchtfleisch, die so genannte Fruchtpulpe, <strong>zu</strong> gären beginnt.<br />
Ein höchst willkommener Vorgang, wird doch die beginnende<br />
Keimung der Bohnen durch den Gäralkohol gestoppt und die<br />
Bohnen verlieren so ein Gutteil der unerwünschten Bitterstoffe<br />
und entwickeln dabei ihre typischen Geschmacks- und Aromastoffe,<br />
sowie ihre Farbe.<br />
Die Trocknung besorgt dann in der Regel die Sonne. Jetzt erfolgt<br />
die Verpackung in Säcke und der Transport <strong>zu</strong> einem Seehafen.<br />
Den prall gefüllten Säcken in den westafrikanischen Häfen sieht<br />
man nicht an, wie viel Elend an der Produktion des kostbaren<br />
Inhalts bis hier hin nicht selten beteiligt war.<br />
Das Beispiel Elfenbeinküste, weltweit größte Kakao-Nation, soll<br />
Anschauungsunterricht liefern: Fast ausschließlich Kleinbauern<br />
und Kooperativen von Kleinbauern produzieren Kakao auf Farmen,<br />
die lediglich 1 – 3 Hektar groß sind. 2/3 der Dörfer haben<br />
keinerlei Zugang <strong>zu</strong> einer Gesundheitsversorgung. Die Hälfte lebt<br />
ohne Strom und ohne Zugang <strong>zu</strong> sauberem Trinkwasser. Keines<br />
der 3700 Kakaodörfer hat eine weiterführende Schule. Kinderarbeit<br />
ist an der Tagesordnung. Mehr als 200 000 Kinder arbeiten<br />
in den Kakaoplantagen, nur die Hälfte besucht eine Schule. Jedes<br />
zweite Kind hat sich innerhalb eines Jahres schon einmal<br />
verletzt. 80 Prozent klagen über das Tragen schwerer Lasten und<br />
die Arbeit mit den schweren, scharfen Macheten und <strong>zu</strong> allererst<br />
natürlich über die geringe Entlohnung. Die Menschen in den Kakaodörfern<br />
verfügen pro Tag und Kopf gerade einmal über 0,63<br />
US Dollar, davon 0,43 US Dollar aus dem Kakaoanbau (Stand<br />
2010, Quelle: Südwind). Und so investieren viele nicht mehr, die<br />
Bäume in den Plantagen werden immer älter und ertragsärmer,
das Geld für Pestizide fehlt, der Preisdruck verhindert bessere<br />
Arbeitsbedingungen. Und so verfällt eine Farm nach der anderen,<br />
weil es sich nicht mehr lohnt für die Kakao Farmer.<br />
In dieser Situation, steigende Kakao Nachfrage bei stagnierenden<br />
Erträgen, melden sich auf einmal die Schokogiganten aus<br />
Europa und Amerika <strong>zu</strong> Wort. Jahrelang haben sie die Fair Trade<br />
Ermahnungen von Nichtregierungsorganisationen überhört. Jetzt<br />
setzen sie <strong>zu</strong>nehmend auf „politisch korrekten“ Kakao. Auf einmal<br />
plant der Weltkonzern Nestlé, über die nächsten zehn Jahre<br />
siebzig Millionen Euro in den nachhaltigen Anbau, die Entwicklung<br />
robusterer Pflanzen und die Schulung und Unterstüt<strong>zu</strong>ng<br />
der Kakaobauern <strong>zu</strong> investieren. Auch garantierte Fair-Trade-<br />
Mindestpreise werden nicht mehr rundweg abgelehnt. Hinter all<br />
diesen Selbstverpflichtungen steckt eine gehörige Portion<br />
Selbstzweck. Auch wenn sich das Produkt „Handelsethik“<br />
zeitgeist gemäß gut verkaufen mag, die fünf Großen der Weltschokoladenindustrie<br />
haben erkannt, dass die Kakao Bauern dieser<br />
Welt ohne ihre Hilfe gar nicht in der Lage sein werden, die<br />
steigende Nachfrage nach dem braunen Gold <strong>zu</strong> decken. Erst fünf<br />
Jahre nachdem ein Kakao Baum gepflanzt wurde, kann die erste<br />
Bohne geerntet werden. Die Schokoladenkonzerne müssen also<br />
im eigenen Interesse anfangen, langfristig und kooperativ <strong>zu</strong><br />
55<br />
denken, wenn sie ihren eigenen Bedarf <strong>zu</strong>künftig noch decken<br />
wollen.<br />
Kein Wunder also, dass sie versuchen, sich im Nachhaltigkeitswettbewerb<br />
gegenseitig <strong>zu</strong> übertrumpfen. <strong>Der</strong> Spiegel zitiert in<br />
diesem Zusammenhang Nick Lin-Hi, einen Professor für Unternehmensethik,<br />
der nüchtern konstatiert: „Das Produkt Ethik verkauft<br />
sich beim Thema Nachhaltigkeit richtig gut“. Aber eher<br />
doch nur an der Oberfläche. Friedel Hütz-Adams, der Kakao-Experte<br />
von Südwind, dem Institut für Ökonomie und Ökumene,<br />
räumte auf einem Bremer Kakao-Fachgespräch Anfang Dezember<br />
2012 ernüchtert ein, dass Fairer Handel mit Kakao in Deutschland<br />
bislang kaum mehr als ein Prozent des Umsatzvolumens<br />
ausmache. Aber immerhin sei ein Anfang gemacht. So lässt sich<br />
das Bremer Unternehmen Kraft Foods, jetzt Mondelez International,<br />
von Rainforest Alliance (www.rainforest-alliance.de) kontrollieren,<br />
ob die Maßstäbe dieser Organisation für Fair Trade bei<br />
den Kakao Handelsgeschäften auch eingehalten werden. Noch<br />
fehlen allerdings belastbare Erfahrungen, ob und inwieweit solche<br />
internationale Kontrollinstanzen, auf die die Schokoladenhersteller<br />
nicht nur ein wachsames Auge haben, in der Lage<br />
sind, die Bedingungen für die Kakaoproduzenten in den Ursprungsländern<br />
dauerhaft <strong>zu</strong> verändern.
56<br />
Wirtschaft<br />
Das Geschäft mit der Nachhaltigkeit<br />
<strong>Der</strong> Bremer, Hasso Nauck, gilt als vielfach ausgewiesener Schokoladenfachmann.<br />
<strong>Der</strong> ehemalige Marketingchef von Jacobs<br />
Suchard, verantwortlich für die Schokoladenmarke Milka, hatte im<br />
Jahr 2000 <strong>zu</strong>sammen mit seinem Partner Wolf Kropp-Büttner die<br />
Bremer Schokoladenmanufaktur Hachez gekauft und damit das<br />
Unternehmen, das Naucks Urgroßvater, der belgische Chocolatier<br />
Joseph Hachez 1890 gegründet hatte, <strong>zu</strong>rück in die Hände der<br />
Familie gebracht.<br />
Als Inhaber-Manager gelang es ihm und seinem Partner recht<br />
schnell, Hachez <strong>zu</strong>r Nummer zwei im Markt der Premiumschokoladen<br />
<strong>zu</strong> machen. Im Januar 2013 trat Nauck als Geschäftsführer<br />
des Unternehmens <strong>zu</strong>rück. 2012 hatten er und sein Mitgesellschafter<br />
Kropp-Büttner Hachez an den dänischen „Toms“-<br />
Konzern verkauft. <strong>Der</strong> meinungsfreudige Oldtimer-Liebhaber<br />
Nauck hielt seiner Branche, aber auch der Politik nicht selten<br />
den Spiegel vor. Seine Branche überraschte der Marketingexperte<br />
immer wieder mit süßen Innovationen.<br />
<strong>Der</strong> Nachhaltigkeitsdiskussion, der sich auch die Schokoladenindustrie<br />
seit eini gen Jahren stellen muss, begegnete er mit einem<br />
ungewöhnli chen Projekt. <strong>Der</strong> in der Branche auch Schokoladenprinz<br />
genannte kreierte ein Wildkakaoprojekt, das nicht nur bei<br />
ökologisch enga gierten Konsumenten auf viel Sympathie stieß.<br />
In Südamerika, im Amazonasdelta, kaufte er Wildkakao, um daraus<br />
eine ganz besonders exklusive Schokolade <strong>zu</strong> produzieren.<br />
Die Kakaobohnen müssen mühsam per Hand von den wild zwischen<br />
anderen Urwald pflanzen wachsenden Kakaobäumen geerntet<br />
werden. Sie sind wesentlich kleiner als die von Plantagenbäumen<br />
aber sehr viel intensiver im Aroma. Nauck vergleicht den<br />
Unterschied zwischen dem einer Walderdbeere und einer Planta-<br />
generdbeere, räumt gleichwohl ein, dass diese Form nachhaltiger<br />
Produktion für den Massenmarkt nicht wirtschaftlich sein<br />
kann. Auf einem Schokoladen-Symposium Ende 2012 in <strong>Bremen</strong><br />
noch hatte Nauck sich kritisch über Nachhaltigkeit als Marketinginstrument<br />
der Kakaobranche geäußert.<br />
Herr Nauck, was stört Sie an dem Boom der Nachhaltigkeitsdiskussion<br />
in der Schokoladenbranche?<br />
<strong>Der</strong> Anteil an ehrlich nachhaltig produzier tem Kakao<br />
auf der Welt ist, allen Marketingbekenntnissen<br />
<strong>zu</strong>m Trotz, immer noch verschwindend gering. Bei<br />
allen Bemühungen, Nachhaltigkeits-Natürlichkeits-<br />
und Ehrlichkeitskomponenten in die Produkte <strong>zu</strong><br />
bringen, die Erwartungshaltung der Konsumenten werde dadurch<br />
zwar bedient, die Konsumenten sind in der Breite aber kaum<br />
bereit, den erforderlichen Mehrpreis an der Ladentheke <strong>zu</strong> bezahlen.<br />
Das ist die eine Seite. Nachhaltig produzierter Kakao ist<br />
teuer. Die andere Seite, das sind die Produzenten in den Ursprungsländern<br />
des Kakao, denen schlicht das Geld fehlt, die eigenen<br />
Plantagen <strong>zu</strong> kultivieren, rechtzeitig nach<strong>zu</strong>pflanzen, um<br />
die Baumqualität <strong>zu</strong> erhalten und letztendlich auf Pestizide, die<br />
einen Mehrertrag sichern, <strong>zu</strong> verzichten.<br />
Und wie sieht es mit einer Verbesserung der sozialen Bedingungen<br />
für die vielen kleinen Kakaobauern aus, wie kann man die Kinderarbeit<br />
in diesen Regionen abbauen?<br />
Viele Firmen initiieren für einige der Plantagen,<br />
von denen sie Kakao beziehen, Sozialprojekte, indem<br />
sie in Bildungseinrichtungen investieren und<br />
dafür sorgen, dass die Kinder eine Schulausbildung<br />
erhalten, dass Kinderarbeit nicht mehr statt findet.<br />
Aber, wie gesagt, das sind einzelne Projekte, das sind keine flächendeckenden<br />
Maßnahmen. Wir müssen dabei ja auch sehen,<br />
dass vieles, was für uns Europäer mittlerweile nicht mehr akzeptabel<br />
ist, in den Produzentenländern nichts Verwerfliches ist.<br />
Kinderarbeit sichert nicht selten das Existenzminimum für eine<br />
ganze Familie. Wer auf die Abschaffung dringt, muss einen sozialen<br />
Ausgleich schaffen. Da ist die Schokoladenindustrie alleine<br />
hoffnungslos überfordert.<br />
Wo sehen Sie die Lösung?<br />
Das kann nur von den jeweiligen Regierungen in<br />
den Erzeugerländern gelöst werden. Dabei kommt<br />
unseren Regierungen in den Nachfrageländern eine<br />
besondere Verantwortung <strong>zu</strong>. Die müssen auf die<br />
Erzeugerländer einwirken, auch mit gezielten Entwicklungshilfen,<br />
damit diese in die Lage versetzt werden, die<br />
Bedingungen anders <strong>zu</strong> gestalten.
Und was könnte die Rolle der Schokoladenindustrie sein?<br />
Gemeinsames Handeln für ein gemeinsames Nachhaltigkeitsziel.<br />
Die Großen der Branche haben als Nachfrager <strong>zu</strong>sammen eine<br />
gigantische Marktmacht. Wenn diese Nachfragemacht<br />
solidarisch gegenüber den Ursprungsländern<br />
eingesetzt würde, käme einiges in Bewegung. Mittlerweile<br />
ist der Druck auf die Schokoladenindustrie<br />
so groß, dass <strong>zu</strong>mindest der Verband der Deutschen<br />
Süßwarenindustrie für seine Mitglieder <strong>zu</strong>r, allerdings freiwillig<br />
<strong>zu</strong> erfüllenden, Auflage gemacht hat, dass diese bis 2020 einen<br />
erheblichen Teil ihres Kakaos ausschließlich von nachhaltig bewirtschafteten<br />
Kakaofarmen beziehen. Die Frage ist nur, wird es<br />
bis 2020 überhaupt genug Kakao auf dieser Welt geben, der<br />
nachhaltig produziert wird?<br />
57
58<br />
Reisen<br />
Auf den Spuren Napoleons<br />
<strong>Der</strong> siebte Kontinent: St. Helena, mon amour
Text und Fotos:<br />
Gerald Sammet<br />
Manchmal ereignen sich zwei Dinge gleichzeitig, obwohl Stunden,<br />
Tage, Wochen, Monate, sogar Jahre zwischen den Geschehnissen<br />
liegen. So geht das auf Inseln. <strong>Der</strong> Fortgang der Zeit ist<br />
keine feste Größe auf ihnen. Man redet über das, was sich in der<br />
Vergangenheit abspielte mit derselben Leidenschaft, die auch<br />
dem gilt, was sich gerade <strong>zu</strong>trägt. Gestern und heute bleiben auf<br />
jede nur denkbare Weise einander verbunden.<br />
Nicht vor ein, zwei Tagen, auch nicht vor einer Woche, aber des<br />
Erinnerns wert in jedem Fall fiel im Lokal von Anne, am Rand der<br />
Castle Gardens, über Tisch 2 einmal eine Katze vom Himmel. Sie<br />
hatte sich im Gewirr der Flaggen verkrochen, die die untere Seite<br />
des flachen Dachs schmücken. Die Besat<strong>zu</strong>ngen der Segelyachten,<br />
die Jamestown anlaufen, hinterlassen sie bei jeder sich bietenden<br />
Gelegenheit im Lokal. Ein<br />
ganzes Gewölk von Bannern und<br />
Flaggen aus aller Herren Länder<br />
spannt sich über die Tische.<br />
Das Tuch über Tisch 2 muss schon<br />
älteren Datums gewesen sein,<br />
oder schlecht vernäht. Die österreichischen<br />
Farben hielten der<br />
Katze, die sie sich als Schlafplatz<br />
ausgesucht hatte, nicht stand.<br />
Man erkennt noch an ein paar<br />
Kratzspuren und Einrissen im<br />
Stoff, wie sie versucht haben<br />
muss, sich in der ihr angestammt<br />
geglaubten Höhe <strong>zu</strong> halten. Indes,<br />
es hat nicht geholfen. Das<br />
Tier musste herunter, und es wurde,<br />
wenn man es genau nimmt,<br />
exakt dafür gebraucht. Kein großer<br />
Vorfall, aber wenigstens mal<br />
wieder eine Geschichte. Ganz so<br />
59<br />
59<br />
viele davon sind in dem Städtchen Jamestown über Jahr und Tag<br />
nicht <strong>zu</strong> haben.<br />
Am anderen, dem oberen Ende der Main Street, erlebt Kristian,<br />
der Norweger, in dem einen der zwei Pubs des Städtchens in<br />
et wa <strong>zu</strong>r selben Zeit eine Niederlage, die er nicht leicht verwindet.<br />
812 Touristen haben sich im Jahr 2012 auf die Insel verlaufen,<br />
und auch jetzt, mit dem zweiten Schiff in 2013, sind<br />
keine dreißig gekommen. Drei davon allerdings sind Schweden,<br />
die sich, am Ende ihres Berufslebens angelangt, einen Jugendtraum<br />
erfüllen. Den Traum von einer langen Reise <strong>zu</strong> einem der<br />
entlegensten Orte der Erde, mehr als ein wenig außerhalb der<br />
Grenzen von Zeit und Raum. Ausgerechnet an sie gerät Kristian<br />
an diesem Tag.
60<br />
Reisen<br />
Auf den Spuren Napoleons<br />
Eigentlich geht es bei ihm nicht darum, dass er Norweger ist.<br />
Michelle, die Barfrau im Standard, bedeutet jedem, dem er sich<br />
nähert, dass man sich von ihm fernhalten sollte. Nicht, dass irgendetwas<br />
gefährlich wäre an ihm. Er ist nur ein Angeber und<br />
Schnorrer, der vom Englischen einigermaßen virtuos ins Norwegische<br />
wechselt, wobei jeder, der sich auch nur ein paar Tage in<br />
der Kapprovinz aufgehalten hat, schnell begreift, dass es sich<br />
dabei nur um ein verschludertes Afrikaans handelt, ein Idiom,<br />
das er auch nicht wirklich beherrscht und das einzig <strong>zu</strong> dem<br />
Zweck von ihm eingesetzt wird, sich ein Bier <strong>zu</strong> erschleichen.<br />
Meistens gelingt das sogar.<br />
Die Schweden allerdings gehen ihm nicht auf den Leim. Sie fragen,<br />
in ihrer Sprache, ein paar norwegische Ortsnamen ab, und<br />
schon ist das nachbarliche Verhältnis zwischen ihnen und dem<br />
im Südatlantik gestrandeten Skandinavier getrübt. Kristian sieht<br />
allerdings auch nicht wie einer aus ihrer Nachbarschaft aus. In<br />
jedem der kapmalaiischen Bezirke von Capetown könnte er spurlos<br />
verschwinden. Hier eigentlich auch. In Trondheim, Oslo oder<br />
Stavanger dagegen würde er auffallen wie ein Bär, den es <strong>zu</strong>m<br />
Försterball zieht.<br />
Kristian gibt, nach dem Debakel mit den Schweden, so schnell<br />
nicht auf. Schließlich liegt ja, schräg gegenüber vom Standard,<br />
auf der anderen Seite von The Market noch das White Horse. Er<br />
wankt schon ein wenig und verfehlt ums Haar den Bordstein am<br />
Clock Tower, schafft es dann aber doch bis hinter die Tür. Sie<br />
steht ohnehin offen. Die Schweden schauen ihm amüsiert nach.<br />
Jamestown hat an dem Abend noch eine Geschichte, die ein<br />
paar Tage im Umlauf bleiben wird, bevor sie sich wieder in der<br />
ganzen Insel eigenen Gleichklang verliert. Eine österreichische<br />
Flagge, aus der eine Katze fällt, und drei Schweden, die einem<br />
Norweger bedeuten, dass es sich bei ihm um keinen handelt, das<br />
ist schon mal was im erst zweiten Monat in einem Jahr.<br />
Kleine Insel, große Fahrt<br />
Man kann St. Helena bis heute nur auf einem einzigen Weg erreichen.<br />
RMS St. Helena, das einzige noch im Liniendienst verkehrende<br />
Royal Mail Ship unter britischer Flagge, fährt mehr oder<br />
weniger einmal im Monat von Kapstadt <strong>zu</strong>r Insel, liegt dort drei<br />
oder vier Tage auf Reede, setzt die Reise fort nach Ascension<br />
Island und absolviert sie in umgekehrter Richtung, mit noch ein-
mal zwei Tagen auf Jamestown Reede, wo man das Schiff <strong>zu</strong><br />
jeder Zeit sehnlichst erwartet. Ein kombiniertes Passagier- und<br />
Frachtschiff, das auch als Hochseeschlepper eingesetzt werden<br />
kann, in einem Seegebiet, in dem sich außer fliegenden Fischen<br />
und Delphinen kaum eine Abwechslung findet. Entsprechend gedrängt<br />
ist das Bordprogramm, was sonderlich die auf jede Spielerei<br />
versessenen Briten entzückt. Jede Aktion bedarf selbstverständlich<br />
der dafür geeigneten Kleidung. Keine leichte Übung<br />
bei maximal 23 Kilo Gepäck.<br />
St. Helena erweist sich, je nach Interessenlage und Offenheit,<br />
entweder als das, womit man ohnehin rechnete, oder als das<br />
gerade Gegenteil davon. Französische Pilger, die es seit den<br />
Zeiten von Napoleons Verbannung auf St. Helena zog, beschreiben<br />
die Insel als ein düsteres, abweisendes Verlies, eine, so<br />
übernimmt es der eine vom anderen, aus dem Meer aufsteigende<br />
Warze, irgendwie der Hölle entstiegen, was, weil es sich um<br />
einen aus dem 6000 Meter tiefen Angolabecken aufsteigenden<br />
Vulkanschlot handelt, nicht einmal völlig abwegig ist. Nur anders<br />
gemeint. Auf dieses dunkle Stück Erde hat man den Kaiser<br />
der Vergessenheit überantwortet. Jeder, der <strong>zu</strong> seiner Entourage<br />
gehörte, hat danach allerdings so lautstark vom Leben und Treiben<br />
im wurmstichigen, ungeschützt dem Südost-Passat preisgegebenen<br />
Longwood berichtet, dass St. Helena <strong>zu</strong>r bekanntesten<br />
unbekannten Insel der Welt avancierte.<br />
Wen es nach napoleonischen Eingebungen verlangt, der hat es<br />
heute nicht leicht. Franzosen schauen kaum noch vorbei. Die<br />
Grand Nation leistet sich allerdings nach wie vor einen Konsul<br />
auf dem Eiland. Napoleons erste Residenz, The Briars, Longwood<br />
House, der eigentlich Verbannungsort und die Grabstelle im<br />
Geranium Valley, von der er 1840 nach Paris überführt wurde,<br />
befinden sich in ihrem Besitz. An jedem dieser Orte knattert<br />
makellos die Trikolore im Wind. Fragt man allerdings unter dem<br />
Katzenhimmel von Anne’s Place nach dem, was die Saints, wie<br />
sie sich nennen, noch mit dem Mann verbindet, dem sie ihren<br />
ungewissen Weltruhm verdanken, erntet man meistens nur Spott:<br />
„You’re talkin‘ about Boney? Boney like Boney M.?“<br />
Colin, Betreiber einer Garage am Community Center, das tatsächlich<br />
an der Napoleon Street liegt, fährt, falls Nachfrage bestehen<br />
sollte, Touristen <strong>zu</strong> den Pilgerstätten, in einem sehenswerten<br />
Chevrolet Kabrio Baujahr 1928, der einem auf den halsbrecherischen<br />
Straßen, die die Insel erschließen, gelegentlich um Leib und<br />
Leben fürchten lässt. Colin fährt nicht, er chauffiert, dabei ist das<br />
Fahrzeug nicht mehr als eine Bretterbude auf Rädern mit einem<br />
Verdeck. Vor Longwood House lässt er ihn stehen. Das Gebäude ist<br />
nicht einmal mehr die Gruft, als die sie die Bonapartisten beschrieben.<br />
Die Replik einer Replik. St. Helena hat, seit die Einwohner<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts die Holzladung eines aus Brasilien<br />
angetriebenen Sklavenschiffs bargen, ein Problem mit den Termiten.<br />
Das Sterbebett, der Billardtisch, der dem Kaiser als Kartentisch<br />
diente, alles war und ist nicht von Dauer. Selbst die Löcher in<br />
den Fensterläden, durch die er mit seinem in Austerlitz erprobten<br />
Fernrohr spähte, werden ein ums andere Mal neu gebohrt. Sterbebetten<br />
existieren ohnehin zwei, eines, das originale in Paris, und<br />
eines, genau so authentisch, auf Deadwood Plain, der Hochebene,<br />
die Longwood House krönt. Unsere Rückfahrt führt uns an einer<br />
von Flachs umwucherten Behindertenwerkstatt vorbei, einem<br />
Sozialprojekt, das, wie Colin meint, der Beachtung verdiene. Sie<br />
stellen dort winzige Büsten des Kaisers her, Seifenstücke, <strong>zu</strong> drei<br />
St. Helena Pound pro Exemplar. Mehr als diese Hommage und<br />
eine Schneiderpuppe mit seinen Gesichtszügen auf dem Balkon<br />
des Consulate in der Main Street sind von ihm nicht <strong>zu</strong> haben.<br />
Südatlantische Reflexionen<br />
61<br />
Paul Hickling, bei ihm sollten wir vorbeischauen. Er ist einer von<br />
denen, die auf St. Helena wirklich etwas bewegen. Wir nehmen<br />
das wörtlich, weil einen Jamestown, 700 Einwohner, kaum ist<br />
man drin und auch schon durch, an eine englische Kleinstadt in<br />
den Dreißigerjahren erinnert. Die beiden Pubs, Anne’s Place, The<br />
Consulate, das führende Haus am Platz, wo zwei Stunden nach<br />
der Ankunft des Schiffs die Rezeption dichtgemacht wurde.<br />
Gegenüber das Wellington, eher Guesthouse als Hotel, in dem<br />
1805 Sir Arthur Wellesley, auf der Reise von Indien nach England,<br />
logierte. Er erkannte, bei allen Nachteilen, die Vorzüge der<br />
Abgelegenheit dieser Insel und machte zehn Jahre später, als<br />
Duke of Wellington und Sieger von Waterloo, davon Gebrauch.<br />
Bemerkenswert, weil kaum auffindbar, sind die Grocery Stores.
62<br />
Reisen<br />
Auf den Spuren Napoleons<br />
Wo<strong>zu</strong> etwas bewerben, was es sowieso nur gibt, wenn das Schiff<br />
pünktlich eintrifft.<br />
Wir sind in Harris’s Guesthouse abgestiegen, bei Irene und Don,<br />
in einem Haus im georgianischen Stil, das so viktorianisch wirkt,<br />
dass man nachts, wenn die Dielen knarren und der Passatwind<br />
sein Inneres kühlt, jederzeit damit rechnet, dass Queen Victoria<br />
dort draußen mit rauschenden Röcken ihren Staatsgeschäften<br />
nachgeht. Don und Irene haben auf Ascension Island, der Himmelfahrtsinsel,<br />
wo sich eine britische, eine US-amerikanische<br />
Luftwaffenbasis und eine Dependance der NASA befinden, genug<br />
Geld für ihr weiteres Leben gemacht. Auf den Insel gelingt das<br />
nur wenigen, von denen im öffentlichen Dienst abgesehen. Seit<br />
zehn Jahren betreiben sie ihre Pension.<br />
Paul Hickling kam von einer anderen der Inseln, die den siebten,<br />
südatlantischen Kontinent ausmachen. Er wurde in Wales geboren,<br />
folgte einem Ruf auf die Falklands, wo er nach dem Krieg im Jahr<br />
1982 Spielautomaten wartete und reparierte. Er begegnete dort<br />
seiner heutigen Frau. Die arbeitete im Servicegeschäft, stammte,<br />
wie sie ihm erzählte, von einer Insel nicht weit von hier, also<br />
nicht mehr als ein paar tausend Meilen. Paul hatte von St. Hele-<br />
na <strong>zu</strong>vor nie etwas gehört. Ob er es nicht dort versuchen wolle<br />
mit ihr. Paul stimmte <strong>zu</strong>, schaute sich die Insel an und gelangte<br />
<strong>zu</strong> dem Schluss, dass er in dieser überproportional von Zuwendungen<br />
aus dem Königreich abhängigen Kolonialökonomie nie<br />
Fuß fassen würde. Am Ende gründete er eine Schnapsbren nerei.<br />
Die Ironie, die in dieser Entscheidung steckt, ist ihm entgangen.<br />
St. Helena war, bevor im Jahr 1869 der Suezkanal die Seefahrtrouten<br />
der Ostindienfahrer entscheidend verkürzte, eine der<br />
Schaltstationen im globalen Warenaustausch. Übernahmeort für<br />
Wasser, Obst und Gemüse, größtes Bordell im südlichen Atlantik,<br />
seit Napoleons Ankunft bis an die Zähne bewaffnete Garnison<br />
und ein Eldorado der Alkoholdestillation. Dem Ehrgeiz der Brenner<br />
fiel das meiste der Wälder in den höheren Lagen <strong>zu</strong>m Opfer,<br />
den Rest verarbeiteten die Schiffszimmerleute. Paul Hickling<br />
kennt keine dieser Geschichten. Er war nur auf der Suche nach<br />
einem Produkt, das her<strong>zu</strong>stellen sich lohnte.<br />
Irgendwann fiel ihm eine der Kaktusfeigen in die Hände, die man<br />
an jedem Straßenrand findet. Außer Bananen und Fisch nutzen<br />
die Saints bis heute keine der eigenen Ressourcen. Das Mutterland<br />
sorgte in allen Zeiten für sie. Margret Thatcher hatte das
eigentlich beenden wollen, aber nach dem von Argentinien angezettelten<br />
Falkland-Krieg kam eine Aufgabe der südatlantischen<br />
Besit<strong>zu</strong>ngen nicht mehr in Frage. Ein Gouverneur, der in einem<br />
allerdings nicht für ihn erbauten 40-Zimmer-Haus residiert, ein<br />
Gerichtshof, die Notenbank, ein Board of Customs, Board of Immigration,<br />
Board of Education, ein Gefängnis, eine Inselpolizei,<br />
das Tourismusbüro, Archive, ein eigenes, sehenswertes Inselmuseum,<br />
und im Nordosten, auf der Properous Bay Plain, wird<br />
seit anderthalb Jahrzehnten an einem Flughafen gebaut. 12 %<br />
ihrer Einnahmen erzielen die Insulaner aus dem Briefmarkengeschäft.<br />
Sie produzieren die gefragtesten Postwertzeichen der Welt.<br />
In diesem System einer überlebensnotwendigen Überversorgung<br />
sah Hickling für sich keinen Platz.<br />
In Deutschland, in Kiel, ließ er sich <strong>zu</strong>m Destillateur ausbilden.<br />
Eine Maschinenfabrik am Bodensee lieferte ihm die Anlagen<br />
da<strong>zu</strong>, bei einem italienischen Hersteller bestellte er Flaschen,<br />
die Jacob’s Ladder, eines der Wahrzeichen der Insel, nachbilden.<br />
In die füllte er seinen Tungi, einen Brand, den er aus der Aufbereitung<br />
der überall verbreiteten Kaktusfeigen gewann. Er startete<br />
damit in Donny’s Place, einer Bar an der Waterfront von<br />
Jamestown, mit deren Betreiber als Geschäftspartner, und brach-<br />
te es innerhalb weniger Jahre <strong>zu</strong> einem Haus in Half Tree Hollow,<br />
dem mit 900 Einwohnern mittlerweile bevölkerungsreichsten Ort<br />
auf St. Helena, dem es, auf schierer Lava gegründet, ein wenig<br />
an Charme fehlt. Dafür schaut man von dort oben in die schönsten<br />
Sonnenuntergänge hinein und sorgt sich nicht, dass vor der<br />
Tür nicht groß was wächst.<br />
Hoch hinaus<br />
63<br />
Jacob’s Ladder sollte man gleich am ersten Tag hinaufsteigen, weil<br />
man sonst, wegen der Muskelverspannungen, die einem des we gen<br />
drohen, einige Mühe beim Ausbooten hat. Jamestown hat keinen<br />
Hafen, nur diese Reede vor einer winzigen Flussmündung, einen<br />
Ankerplatz, der kaum Schutz bietet vor den Rollers genannten<br />
langen Wellen, die der Atlantik manchmal hereinträgt. Läuft man die<br />
Insel von Norden kommend an, liegt Jacob’s Ladder an der westlichen<br />
Kerbe der Talflanke, in die Jamestown hinein gebaut wurde.<br />
Das Bauwerk, das selbst von See her eine markante Größe aufweist,<br />
wurde 1829 von der St. Helena Railway Company errichtet.<br />
Es handelte sich tatsächlich um eine Eisenbahn, mit allerdings<br />
einer Neigung von bis <strong>zu</strong> 44 Grad im Hang. Ein talwärts
64<br />
Reisen<br />
Auf den Spuren Napoleons<br />
und ein bergwärts an Seilen hängender, auf Gleisen geführter<br />
Wagen sorgten dafür, dass Waren von den landwirtschaftlichen<br />
Flächen hinunter <strong>zu</strong> den Lagerhäusern und weiter hinaus auf die<br />
Seeschiffe gebracht werden konnten. Geblieben sind von diesem<br />
Meisterwerk der Ingenieurkunst nur die für die Wartung in den<br />
Fels gehauenen Stufen. 699 davon muss man erklimmen. Wer es<br />
dann vom Ladder Hill wieder herunter schafft, kann sich im St.<br />
Helena Museum eine Urkunde<br />
ausstellen lassen.<br />
Irene Harris, draußen auf der<br />
Holzbank vor ihrer viktorianischen<br />
Pension, mit Jacob’s<br />
Ladder im Rücken, versteht<br />
manchmal die Welt nicht mehr.<br />
Seit sie droben in den Bergen<br />
ein ganzes Tal für den geplanten<br />
Flughafen <strong>zu</strong>schütten,<br />
kurven die blitzblank gewienerten<br />
Pickups und Trucks der<br />
südafrikanischen Baufirma Basil<br />
Read die Main Street hinauf<br />
und herunter. Sogar die Eisenbahn<br />
auf den Ladder Hill, hat<br />
sie gehört, wolle man rekonstruieren,<br />
um damit ein im<br />
ehemaligen Fort untergebrachtes<br />
Hotel <strong>zu</strong> erschließen. Ein<br />
anderes, mit Zimmerpreisen bis <strong>zu</strong> 250 Pfund, soll irgendwo in<br />
den Bergen hinter Fort Knoll entstehen. Dabei haben sie auf der<br />
Insel nicht einen Meter Sandstrand, der diesen Namen verdient,<br />
sind also nicht unbedingt das, was ein Urlaubs paradies genannt<br />
werden darf.<br />
Es gibt dann, als wir schon <strong>zu</strong>rück auf dem Schiff sind und Kapstadt<br />
anlaufen, noch eine der Inselgeschichten, in denen es um<br />
Katzen geht und warum die auf St. Helena bei ein paar Leuten<br />
plötzlich so viel Anstoß erregen. Sie waren uns, unabhängig von<br />
der, die bei Anne vom Himmel fiel, bei Irene aufgefallen, wo sie<br />
einen festen Platz im Haus einnahmen, sie hatten vor der Küche<br />
des Consulate ausgehalten, bis man ihnen gegen neun Uhr am<br />
Abend die Speisereste servierte, im White Horse war eine in<br />
einem der Plastikstühle in einen Tiefschlaf gefallen, dem noch<br />
so viel Hardrock Music aus den Lautsprechern nichts anhaben<br />
konnte, und bei Anne pflegte ein Exemplar zwischen Küchentür<br />
und Essensausgabe <strong>zu</strong> sitzen wie die ägyptische Sphinx.<br />
Die Kabine A 8 auf der RMS, Purple Patch genannt, weil sie üblicherweise<br />
der anglikanische Bischof der Insel frequentiert, hatte<br />
auf der Hinfahrt ein Engländer bewohnt, der später in James town<br />
im Consulate logierte, bei Anne den eigenen Hotspot der Insel für<br />
sündhaft teuren E-Mail-Verkehr nutzte und der wie ein <strong>zu</strong> jeder<br />
Tageszeit vollendet gekleideter Regierungsvertreter mit nicht immer<br />
ganz nachvollziehbaren Ambitionen auf uns wirkte. Auf der<br />
Rückreise stellten ein französischer und ein südafrikani scher Manager<br />
aus der Hotelbranche den Passagieren vor, welche touristischen<br />
Entwicklungsmöglichkeiten ihnen für die Insel vorschwebten.<br />
Die Gelegenheit für den Briten, einmal die Omnipräsenz der
leidigen Katzen in den Restaurants,<br />
Bars und Hotelflu ren <strong>zu</strong><br />
beklagen. Irene, unsere Gastgeberin,<br />
hatte schon am ersten Tag<br />
be kundet, worum es dabei nur<br />
ging: „These cats are protecting<br />
and defending the food and the<br />
kitchen since hundreds of years.“<br />
Nicht mehr, nicht weniger.<br />
Zwei Lebensstile, der eine so, wie<br />
St. Helena, diese Zeitmaschine<br />
im Südatlantik, noch ist, und<br />
der andere gänz lich davon unberührt,<br />
vorausgesetzt, dass es ihm<br />
gelingt, Fuß <strong>zu</strong> fassen auf diesem<br />
siebten Kontinent von vorläufig<br />
noch unbestimmter Ausdehnung<br />
in eine gänzlich andere<br />
Zukunft hinüber.<br />
Oldenburgische Landesbank AG:<br />
Hier <strong>zu</strong> Hause<br />
Die OLB ist die größte private Regionalbank<br />
Deutschlands – gemessen an Bilanzsumme,<br />
Mitarbeiterzahl und Filialnetz. Das Geschäftsgebiet<br />
mit mehr als 170 Niederlassungen<br />
erstreckt sich von der Nordsee<br />
bis <strong>zu</strong>r Ems und inzwischen weit über die<br />
Weser hinaus. Seit 2009 ist die OLB auch<br />
in <strong>Bremen</strong> <strong>zu</strong> Hause. Von hier aus ist das<br />
stetig wachsende Team um den Niederlassungsleiter<br />
Carl Kau für die kontinuierlich<br />
steigende Zahl an Kunden und Volumina<br />
erfolgreich im Einsatz. Die OLB hat sich in<br />
der Bremer Bankenlandschaft ihren festen<br />
Platz erarbeitet und wird inzwischen bei<br />
relevanten Finanzthemen stets angefragt.<br />
Das auf Persönlichkeit, Zuverlässigkeit,<br />
Vertrauen sowie Know-how basierende<br />
Geschäfts-Modell kommt insbesondere<br />
bei hanseatischen Kunden gut an. Aus<br />
regionaler Verbundenheit und ihrem<br />
Selbstverständnis füllt die OLB ihr soziales<br />
und gesellschaftliches Engagement mit<br />
Leben – u.a. als Mitglied im ehrwürdigen<br />
<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> sowie generell als großzügiger<br />
Förderer der Bremer Kultur-,<br />
Wirtschafts- und Wissenschaftsszene.<br />
So engagiert sich eine Bank, die hier <strong>zu</strong><br />
Hause ist.<br />
65<br />
Oldenburgische Landesbank AG<br />
Carl Kau<br />
OLB-Niederlassung <strong>Bremen</strong><br />
Am Wall 146<br />
28195 <strong>Bremen</strong><br />
Tel. 0421 47 88 58 -10<br />
carl.kau@olb.de<br />
www.olb.de
66<br />
Kultur<br />
Focke-Museum<br />
Archäologie unterm Hakenkreuz
„Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz“, damit<br />
wird eine Ausstellung im Bremer Focke-Museum beschrieben, in<br />
der <strong>zu</strong>m ersten Mal das Verhältnis von Politik und Archäologie im<br />
Nationalsozialismus beleuchtet wird. Schirmherr der Ausstellung<br />
ist Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der anerkennend feststellt:<br />
„Diese Ausstellung leistet einen Beitrag <strong>zu</strong>r Aufarbeitung<br />
des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte und verdeutlicht darüber<br />
hinaus den hohen Stellenwert der Freiheit der Wissenschaft<br />
und Forschung.“<br />
Während des Nationalsozialismus waren Politik und Archäologie<br />
besonders eng miteinander verflochten. Beide haben sich gegenseitig<br />
stark beeinflusst und die Idee eines germanischen Volkes,<br />
das Griechen und Römern überlegen sei, massiv verbreitet. Damit<br />
hat die Archäologie wesentlich <strong>zu</strong> den ideologischen Grund lagen<br />
des Nationalsozialismus beigetragen. <strong>Der</strong> daraus erwachsene<br />
Glaube an eine überlegene arisch-germanische Rasse war eine<br />
der zentralen Rechtfertigungen für die Verbrechen des Holocaust.<br />
Dem Kuratorenteam des Focke-Museums ist es ein Anliegen,<br />
diese besondere Rolle der Archäologie umfassend <strong>zu</strong> beleuchten<br />
und dabei auch die Entwicklung in <strong>Bremen</strong> wahrend der<br />
Zeit des Nationalsozialismus überregional ein<strong>zu</strong>ordnen“, meint<br />
Dr. Frauke von der Haar, die Direktorin des Focke- Museums. Dabei<br />
spielte die personelle Kontinuität der Handelnden eine ganz<br />
besondere Rolle.<br />
Fast alle deutschen Archäologen haben sich zwischen 1933 und<br />
1945 an der Verbreitung nationalsozialistischer Ideen und Plünderung<br />
von fremden Kulturgütern beteiligt. Kaum eine Branche<br />
hat sich so nahtlos in die ideologischen Dienste des Nationalsozialismus<br />
stellen lassen wie die der Archäologen. Nach dem<br />
zweiten Weltkrieg konnten die meisten Archäologen ähnlich den<br />
Juristen ihre Karrieren weiterverfolgen, eine kritische Auseinanderset<strong>zu</strong>ng<br />
mit ihrem Einsatz für „Germanien“ blieb aus. Auch<br />
waren die in der NS-Zeit von den Archäologen verfestigten Germanenbilder<br />
noch lange in Schulbüchern und Ausstellungen der<br />
67<br />
67<br />
Nachkriegszeit <strong>zu</strong> finden. Bis heute noch werden aufgeladene Vorstellungen,<br />
Zeichen und Symbole in der rechten Szene propagiert,<br />
Versatzstücke des nationalsozialistischen Germanenbildes<br />
finden sich immer wieder in den Massenmedien, in der rechtsextremen<br />
Jugendkultur und in speziellen Musikszenen. Das Internet<br />
erleichtert die weltweite Verbreitung und Vermarktung<br />
solcher nationalen und rassistischen Ideologien.<br />
Die Ausstellung „Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz“<br />
gliedert sich in fünf große Abschnitte, die das Konstrukt<br />
Germanien und seine Wirkungsweise chronologisch beleuchten.<br />
„Mit Germanien verbinden sich bis heute verschiedenste<br />
Vorstellungen und Assoziationen. Dabei gab es kein Volk, das<br />
sich selbst Germanen nannte oder seine Heimat als Germanien<br />
bezeichnete“, berichtet Dr. Karin Walter, Kuratorin und Leiterin<br />
des Ausstellungsprojekts, „die Römer hatten diese Bezeichnung<br />
für die auf der rechten Rheinseite lebenden Bevölkerungsgruppen<br />
erfunden.“ Über die Jahrhunderte hinweg erlebte der Begriff<br />
„Germanien“ verschiedene ideologische Aufladungen. Während<br />
der Zeit des Nationalsozialismus arbeiteten Archäologen der Po-
68<br />
Kultur<br />
Focke-Museum<br />
litik selbständig <strong>zu</strong> und lieferten vermeintlich wissenschaftliche<br />
Belege für eine germanische Hochkultur und ihr großes Siedlungsgebiet.<br />
Diese Belege nutzte das NS-Regime, um die eigene<br />
Überlegenheit <strong>zu</strong> beweisen und Besitzansprüche auf Territorien<br />
in den Nachbarländern <strong>zu</strong> legitimieren. Mit Kriegsbeginn 1939<br />
waren Archäologen schließlich in allen von den deutschen Truppen<br />
eroberten Gebieten, von Norwegen bis Griechenland, von<br />
Frankreich bis in den Kaukasus intensiv tätig.<br />
Mit 750 Exponaten – sowohl nationale wie internationale Leih -<br />
ga ben als auch eigene Bestände – zeigt das Focke-Museum auf<br />
800 qm Ausstellungsfläche wie eng Politik und Archäologie damals<br />
verzahnt waren. So dienten Ausgrabungsfunde nicht selten der medial<br />
verbreiteten Propaganda, etwa eine 1400 Jahre alte Urne mit<br />
Hakenkreuzmotiv aus dem Gräberfeld <strong>Bremen</strong>-Mahndorf, die in der<br />
NS-Presse und in populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie „Germanen-Erbe“<br />
als historische Reminiszenzen dargestellt wurden.<br />
Schulwandbilder, Abzeichen und Sammelbilder verdeutlichen,<br />
wie diese ideologisch bestimmten Vorstellungen über Germanen<br />
und Germanien im Alltag und Unterricht vermittelt wurden. Originalgetreue<br />
Repliken von Bronze- und Goldobjekten sollten das<br />
Bild von einer germanischen Hochkultur stützen genauso wie<br />
Filme, Fotos, Plakate und Zeitschriften.<br />
Die Bremer Ausstellung greift ein immer noch aktuelles gesellschaftliches<br />
Thema auf, das die Ursprünge dieses Germanen-<br />
Kults mit der Gegenwart verknüpft. Dass das Focke-Museum dabei<br />
keinen schamhaften Bogen um die eigene Vergangenheit macht,<br />
belegt die dokumentierte Geschichte von Dr. Ernst Grohne, der<br />
von 1924 bis 1953 Direktor des Focke Museums und <strong>zu</strong>gleich<br />
Landesarchäologe war. Als solcher hat er durch intensive Ausgrabungen<br />
in der Nordwest-Region die ur- und frühgeschichtliche<br />
Sammlung des Bremer Landesmuseums entscheidend ausgebaut<br />
und sicherlich auch seinen ganz eigenen Beitrag <strong>zu</strong>m Thema „Archäologie<br />
unterm Hakenkreuz“ geleistet.<br />
Im Begleitprogramm <strong>zu</strong>r Ausstellung finden Vorträge von Wissenschaftlern<br />
statt. Neben Themenführungen bietet das Focke-<br />
Museum auch einen satirischen Zugang <strong>zu</strong>m Thema an. <strong>Der</strong> Kabarettist<br />
Pago Balke macht eine Führung durch die Ausstellung,<br />
in der geschmunzelt, gelacht und nachgedacht werden kann.<br />
<strong>Der</strong> römische Schriftsteller Tacitus (58 – 120) veröffentlichte im<br />
Jahr 98 nach Christus ein länderkundliches Buch über Germanien,<br />
obwohl er selbst nie vor Ort war und Germanien nur vom Hörensagen<br />
kannte. Er beschreibt die Germanen als unzivilisiert, betont<br />
aber deren Tugendhaftigkeit, die bei den Römern abhanden<br />
gekommen sei.
Tacitus über die Germanen:<br />
„Obwohl es sehr viele Menschen sind, sehen alle gleich aus: blaue<br />
Augen mit wildem Ausdruck, rötliches Haar, riesige Gestalten, die<br />
aber nur <strong>zu</strong>m Angriff taugen.“<br />
„Das für alle übliche Kleidungsstück ist ein Mantel … Im Übrigen<br />
verbringen sie den ganzen Tag ohne Kleider an Herd und Feuer.“<br />
„Gleichwohl sind die Ehen dort streng…Denn sie sind fast die einzigen<br />
unter den Barbaren, die sich mit je einer Frau begnügen.“<br />
„So leben sie denn in den Schranken des Anstandes und sind weder<br />
durch unsittliche Darbietungen noch durch Fressorgien verdorben.“<br />
Meine Versicherung<br />
ist da, wenn meine<br />
mal was anstellen.<br />
69<br />
„Gleich nach dem Schlaf, den sie meist bis in den Tag ausdehnen,<br />
waschen sie sich gewöhnlich warm, da bei ihnen die meiste Zeit<br />
Winter herrscht.“<br />
„Tag und Nacht ununterbrochen <strong>zu</strong> saufen ist für keinen eine<br />
Schande.“<br />
„Ihr Essen ist einfach. Wildes Obst, frisches Wild oder gestockte<br />
Milch. Ohne besondere Zubereitung, ohne Gewürze stillen sie ihren<br />
Hunger.“<br />
„Die übrigen häuslichen Dienstleistungen besorgen Frauen und<br />
Kinder.“
70<br />
Bremer Geschichte<br />
Friedrich Engels<br />
Friedrich Engels in <strong>Bremen</strong>
Johannes C. Schmid<br />
Das 19. Jahrhundert brachte eine außerordentliche geistige<br />
Blüte über Europa. Musik, Malerei, Philosophie, Literatur, alles<br />
war im Aufbruch begriffen. Bedeutende neue Erfindungen wie<br />
die Dampfmaschine, die Eisenbahn und die Fotografie wurden<br />
gemacht. In der Wirtschaft stellte ein freier, schrankenloser<br />
Wettbewerb immer neue Anforderungen und veränderte die Lebensweise<br />
der Menschen und trieb sie in steigende Unrast.<br />
Das Maschinenzeitalter nahm seinen Anfang. Für viele bedeutete<br />
das steigenden Reichtum und für zigtausende Armut und Abhängigkeit.<br />
Das war die Geburtsstunde des Sozialismus. Profilierte Köpfe,<br />
meist aus bürgerlichen Kreisen, erhoben ihre Stimme, um die<br />
Widersprüche des Jahrhunderts <strong>zu</strong> beseitigen bzw. durch soziale<br />
Reformen <strong>zu</strong> verändern. Die Idee war es, die herrschende Ordnung<br />
neu <strong>zu</strong> gestalten.<br />
In Deutschland waren es Karl Marx und Ferdinand Lassalle.<br />
Lassalle gründete 1863 in Leipzig die SPD, die in diesem Jahr<br />
ihr hundertjähriges Bestehen feiert. Karl Marx verfasste 1847 das<br />
sogenannte „Kommunistische Manifest“ mit Friedrich Engels,<br />
einem der größten Theoretiker des Sozialismus. Dieser Friedrich<br />
Engels verbrachte in seiner Jugend entscheidende Jahre in <strong>Bremen</strong>.<br />
Hier erlernte er den Beruf des Kaufmanns.<br />
Lehrjahre in <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Bremen</strong>, den 10. August 1838. Eine Kutsche passierte das Wachhaus<br />
am Ansgariitor und erreichte wenig später ihr Ziel, das Hotel<br />
Frankfurt. Dieses Hotel, benannt nach dem Sitz des Deutschen<br />
Bundes in Frankfurt, war eine erste Adresse in der Freien<br />
Hansestadt <strong>Bremen</strong>.<br />
Ein junger Mann, schlaksig, modisch gekleidet, springt elastisch<br />
aus der Kutsche, gefolgt von einem beleibten älteren Herrn, von<br />
Aussehen und Gebaren, sichtlich ein Mann von Stand.<br />
71<br />
71<br />
„So, mein Sohn“, wandte dieser sich an den Jungen, dessen wache<br />
Augen das rege Treiben vor dem Hotel betrachteten. „Hier in<br />
dieser Stadt wirst Du nun deine Ausbildung fortführen. Morgen<br />
werden wir Pastor Gottfried Treviranus im Martiniviertel aufsuchen.<br />
Du wirst dich sicher bei ihm wohl fühlen. Er ist hier in der<br />
Stadt ein bibelfester, angesehener Mann und ich weiß Dich bei<br />
ihm in guten Händen. Nach der langen Reise lass uns jetzt ein<br />
gutes Abendessen einnehmen.“ Er klopft seinem Sohn aufmunternd<br />
auf die Schulter und sie betreten das Hotel, gefolgt von<br />
einem Pagen, mit ihrem Gepäck. Stunden später sitzt der junge<br />
Engels in seinem Zimmer, beschäftigt damit, seiner Mutter <strong>zu</strong><br />
schreiben.<br />
Liebe Mutter!<br />
Unsere Reise verlief ziemlich glücklich. Lass mich Dir einige Einzelheiten<br />
berichten…<br />
Engels sieht vom Schreiben auf und blickt <strong>zu</strong>m Fenster hinaus<br />
auf den gegenüberliegenden Dom. Warum war er hier? War die<br />
Entscheidung des Vaters richtig, die in Wuppertal begonnene<br />
Ausbildung hier in <strong>Bremen</strong> fort<strong>zu</strong>setzen? Warum habe ich es so<br />
widerstandslos hingenommen, geht es ihm durch den Kopf, fühle<br />
ich mich doch ohnehin nicht berufen <strong>zu</strong> diesem Krämerseelendasein,<br />
diesem Wühlen in Akten und Konten. Literatur, Philosophie,<br />
das sind die geistigen Reiche, die es für mich <strong>zu</strong> erkunden,<br />
<strong>zu</strong> erobern gilt. Ich werde Marie, meiner Schwester, von meinem<br />
Verdruss schreiben, sie ist ohnehin die Einzige, der ich vertrauen<br />
kann, die mich ganz versteht.<br />
Er kommt immer mehr ins Grübeln. Aber kann ich Vater denn<br />
enttäuschen, lebt er nicht in seiner Welt von Bibel und Börse,<br />
hat er nicht großen Erfolg als Fabrikant, eine Baumwollspinnerei<br />
in Wuppertal, eine Fabrik in Manchester, ein stattliches Patrizierhaus<br />
in Barmen. Er tut einen tiefen Seufzer. Aber man muss<br />
ihn verstehen, den Alten. Er will einen Nachfolger, will mich <strong>zu</strong><br />
Seinesgleichen machen.
72<br />
Bremer Geschichte<br />
Friedrich Engels<br />
Friedrich Engels, um 1845
Müde streckt sich Engels auf dem Bett aus, lauscht den Glocken<br />
des nahen Domes und schläft ein. Sein letzter Gedanke ist, ich<br />
muss einen Ausweg finden. Eine Woche später, sein Vater war<br />
bereits wieder nach Wuppertal abgereist, hatte er Quartier bezogen<br />
bei Pastor Treviranus, Martinikirchof 2, und war vorstellig<br />
geworden beim Großhandelskaufmann und Sächsischen Konsul,<br />
Heinrich Leupold, in der Martinistraße 11, bei ihm sollte er seine<br />
Ausbildung fortsetzen.<br />
Das Martiniviertel an der Weser gefiel dem jungen Engels sofort.<br />
Die alte, im 12. Jahrhundert erbaute Kirche nebst Pfarrhaus ,in<br />
dem er wohnte, der <strong>zu</strong>r Weser gelegene Kirchgarten, in dem, wie<br />
er schnell feststellte, sich herrlich lesen und denken ließ, die<br />
prächtigen Bürgerhäuser und der nahe Ratskeller, all das versprach<br />
eine leidlich angenehme Zeit.<br />
Weniger erfreut war Engels über die Bibelsprüche und Ermahnungen<br />
des orthodoxen, calvinistischen Pastors, mit denen ihm<br />
dieser täglich begegnete. Ansonsten war der Pastor sehr umgänglich.<br />
Sogar einen Schnurrbart, der in den Kontorräumen verpönt<br />
war, und den Engels sich wachsen ließ, wurde von ihm toleriert.<br />
<strong>Der</strong> Pastor und seine Frau hatten viele Schicksalsschläge<br />
verkraften müssen, dennoch war sein Glaube unerschütterlich.<br />
Sechs Kinder waren ihm früh verstorben. Zwei Töchter, die<br />
19-jährige Katharina-Maria und die 10-jährige Margarethe gehörten<br />
noch <strong>zu</strong>r Familie. Außerdem waren häufig Gäste im Haus.<br />
Die ältere Tochter Maria betrachtete der lebenslustige Rheinländer<br />
mit Wohlgefallen, hielt sich aber <strong>zu</strong>rück, da der Pastor nachdrücklich<br />
auf Sitte und Anstand achtete. Sie entsprach so gar<br />
nicht dem Bild, welches ein Bremer Literat, Eduard Beumann in<br />
seinen Skizzen aus den Hansestädten von den Bremerinnen gezeichnet<br />
hatte.<br />
Mit großer Heiterkeit hatte Engels diese Skizzen gelesen. Beumann<br />
hatte geschrieben:<br />
„Wo die Bremerin mit dem Fuß hintritt, da wächst kein Gras<br />
mehr…“<br />
„Sie sind eher plump als graziös und haben meist niederländische<br />
Züge…“<br />
„Sie sind Blei an den Füßen ihrer Ehemänner…“<br />
Nach einigen Wochen fühlte sich der junge Engels in <strong>Bremen</strong><br />
recht heimisch. Die Monotonie des Kontorlebens ertrug er mit<br />
stoischem Gleichmut, Ebenso die frömmelnden Tischgespräche<br />
bei Treviranus. Oh, diese Religion! Schon im Elternhaus, als<br />
Schüler, hatte er innerlich aufbegehrt gegen die pietistische Erziehung<br />
und enge Auslegung der Bibel, als sei Gott ein Buchhalter.<br />
Schon mit seinem Freund Wilhelm Graeber hatte er heimlich<br />
darüber gelästert und sich früh angewöhnt, ein Doppelleben <strong>zu</strong><br />
führen. Er hatte gelernt, seine inneren Kämpfe, seine ketzerischen<br />
Gedanken sorgfältig vor der Öffentlichkeit <strong>zu</strong> verbergen.<br />
73<br />
Diese Haltung behielt Engels auch in <strong>Bremen</strong> bei. Lesend saß er<br />
häufig im neuen Caféhaus am Domshof, hier gab es sogar ein<br />
Billardzimmer. Er besuchte das alte Theater am Wall oder verbrachte<br />
ganze Abende disputierend im Ratskeller. Am liebsten<br />
aber saß er im Kirchgarten, sah den Schiffen auf der Weser nach<br />
und las, was er nur in den Buchhandlungen auftreiben konnte.<br />
Heine, Schiller, Goethe, Schelling…<br />
Buch um Buch befreite Engels sich mittels Lektüre und Zwiegespräch<br />
von der Tradition der Rechtgläubigkeit. Ich bin jetzt dahin<br />
gekommen, nur die Lehre für göttlich <strong>zu</strong> halten, die vor der<br />
Vernunft bestehen kann, gestand er sich ein.<br />
An den Freund Graeber schrieb er:<br />
……bei kostbarem Wetter im Garten gesessen, geraucht und Lusiande<br />
gelesen…<br />
es liest sich nirgends so gut als im Garten, mit einer Pfeife im<br />
Mund. Bin <strong>zu</strong> großen Erkenntnissen gelangt……..<br />
Eines Abends im Ratskeller beim flackernden Licht der Kerzen,<br />
der Wein hatte seine Phantasie angeregt, kam ihm eine zündende<br />
Idee. Seinem klaren Verstand war schon lange aufgefallen,<br />
dass in der bremischen Bürgerschaft kein revolutionärer Geist<br />
vorherrschte. Allenfalls unter den Zigarrenmachern gab es einige<br />
Arbeiter, die aufrührerischen Ideen nahe standen.<br />
<strong>Der</strong> Senat, unter Führung von Bürgermeister Smidt, einem sonst<br />
weitschauenden Politiker, betrieb eine autoritäre Politik. Was also<br />
war <strong>zu</strong> tun? Ich muss schreiben, denkt er, muss Sprachrohr neuer<br />
Ideen werden. Aber wie? Wer würde Artikel von einem unbekannten,<br />
jungen Kaufmannslehrling veröffentlichen? Wer, Wer, Wer?<br />
Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. „Oswald“, ruft er. Ab jetzt<br />
schreibe ich unter dem Namen Friedrich Oswald. „Friedrich Oswald“,<br />
flüstert er nochmals gedehnt.<br />
Ob dieses genialen Einfalls ordert er mit ausholender Geste einen<br />
weiteren Humpen Wein. Schon überschlagen sich in seinem<br />
Kopf Pläne. Für die Geheimorganisation -Junges Deutschland-<br />
werde ich Artikel schreiben. Kritische, aufwühlende Artikel wie<br />
Heine, Börne, Laube, Gutzkow. Engels ist voll entflammt. Schon<br />
bald erscheinen seine Berichte in wichtigen deutschen Publikationen.<br />
In Gutzkows „Thelegraph für Deutschland“, im „Deutschen<br />
Courier“, im „Morgenblatt für gebildete Leser und Mitternachtszeitung“.<br />
Seine Artikelserie „Briefe aus Wuppertal“ erregen schon bald die<br />
Gemüter. Er schreibt: Die Barmer Stadtschule liegt ganz in den<br />
Händen eines beschränkten, knickerigen Kuratoriums……..<br />
Leute, die zwar einen Posten sehr korrekt ins Hauptbuch übertragen<br />
können, aber von Griechisch, Latein oder Mathematik keine
74<br />
Bremer Geschichte<br />
Friedrich Engels<br />
Friedrich Engels Bremer Bleibe im Pfarrhaus an der Martinikirche<br />
Ahnung haben. Dass solche Pädagogen keine Persönlichkeiten<br />
heranbilden können, sondern nur verkümmerte Existenzen, liegt<br />
auf der Hand. Es ist ein schreckliches Leben, das diese Menschen<br />
führen. …<br />
<strong>Der</strong> Name Oswald war bald dem lesenden Publikum ein Begriff,<br />
ohne dass jemand von seinem Doppelleben etwas ahnte. Im<br />
zweiten Lehrjahr setzte eine Wandlung bei Engels ein.<br />
Das öde Kontorleben, die seichten Vergnügungen, Café, Ratskeller,<br />
Billard, verloren ihren Reiz. Engels wurde von der hegelschen<br />
Phi losophie gepackt, einer Philosophie, die den geschichtlichen<br />
sowie den geistigen Prozess als einen Kampf der Gegensätze begreift.<br />
Auch spürt Engels ein immer stärker werdendes Engagement<br />
für die Leiden und Kümmernisse des arbeitenden Volkes.<br />
Aber hatte sein Herz nicht seit seiner Jugend für das Proletariat<br />
geschlagen, fühlte er sich nicht schon immer als Anwalt der<br />
Menschen, der Weber, der Gerber, der Frauen und Kinder, die für<br />
einen geringen Lohn 12 – 16 Stunden täglich in staubigen und<br />
feuchtheißen Fabrikhallen schufteten, sich Krankheiten holten<br />
und dem Alkoholismus verfielen, auch in seines Vaters Fabriken.<br />
Und hatte er die Frömmler, die das als gottgegeben verkündeten,<br />
nicht schon immer verachtet.<br />
Voll jugendlichem Zorn schreibt er. <strong>Der</strong> Arbeitsvertrag ist ein<br />
Schein, der dem Arbeiter die Illusion vorgaukelt, er handele aus<br />
freiem Willen, als mündiger Mensch, in Wahrheit aber ist er ein<br />
Sklave der Mächtigen. Nächtelang zerbricht sich Engels den<br />
Kopf, wie diese Gegensätze <strong>zu</strong> harmonisieren sind. In ihm reift<br />
der Entschluss, ein epochales Werk über die arbeitende Klasse <strong>zu</strong><br />
schreiben.<br />
Das Ende seiner Lehrzeit rückt näher. Wieder sitzt er am Pult in<br />
seinem Zimmer und schaut gedankenvoll auf die erste Schlachtpforte.<br />
Er ist gereift, klar formulieren sich die Gedanken in seinem<br />
Kopf. Wenn nicht von unserer Generation, dann von der<br />
nächsten, diese wird <strong>zu</strong> entscheiden haben, wie sie die Gegensätze,<br />
die sich immer mehr hinaufgipfeln, lösen wird. Er zündet<br />
die Petroleumlampe an und greift <strong>zu</strong> einem Buch. Noch zwei<br />
Monate murmelt er, noch zwei Monate. Es ist gut <strong>zu</strong> neuen Ufern<br />
auf<strong>zu</strong>brechen. Hier in <strong>Bremen</strong> kann ich nichts mehr tun, außer<br />
Essen, Trinken und Schlafen.
Friedrich Engels verließ <strong>Bremen</strong> im Mai 1841. Seine hier entstandenen<br />
Schriften füllen mehr als 300 Seiten. Reisen führten ihn<br />
<strong>zu</strong>nächst in die Schweiz und nach Italien, später nach Berlin.<br />
Hier leistete er seinen Militärdienst und trieb intensive Studien.<br />
Er schloss sich einer Gruppe Junghegelianer an, den so genannten<br />
Freien. 1842 traf er mit Karl Marx <strong>zu</strong>sammen. Eine lebenslange,<br />
sich gegenseitig befruchtende Freundschaft entstand und<br />
75<br />
bald war sein Name ein Begriff in Europa. <strong>Der</strong> Vorwärts vom<br />
10.08.1895 schrieb: Keiner war mehr unterrichtet über die moderne<br />
sozialistische Bewegung. Mit Leichtigkeit sprach er die<br />
meisten europäischen Sprachen, mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit<br />
folgte er der Entwicklung seiner Lehren unter den Arbeitern.<br />
Er setzte durch seine bis in die Einzelheiten gehenden<br />
Kenntnisse die Kämpfer aller Länder in Erstauen, welche ihn in<br />
London aufsuchten.
76<br />
Literatur<br />
Betty Kolodzy<br />
<strong>Bremen</strong> Walking
Gerald Sammet<br />
Man kann in diesem Buch blättern wie in einem Album voller<br />
Scherenschnitte. Miniaturen, jede für sich <strong>zu</strong> nehmen oder in<br />
einen Zusammenhang gestellt, dessen Tragweite einzig beim<br />
Leser und bei der Leserin liegt. Wobei Tragweite Erwartungen<br />
weckt, die in dem Buch, auch wenn im Titel davon die Rede ist,<br />
nicht ganz dem entsprechen, was die Autorin auf 162 Seiten<br />
anklingen lässt. <strong>Bremen</strong> Walking ist definitiv kein Wander- und<br />
Reisebuch, keine Erzählung, die das Weite sucht und darüber<br />
Ferne gewinnt. <strong>Bremen</strong> Walking steht für eine Bewegung nach<br />
innen, ein Streben hin <strong>zu</strong> einer Mitte, in der Betty Kolodzy es<br />
sich schon eingerichtet haben muss, bevor sie mit dem Schreiben<br />
anfing. <strong>Bremen</strong> Walking nimmt sich der Dinge an, die sie<br />
schon kennt. <strong>Bremen</strong> Walking, das ist <strong>Bremen</strong> in einer Nussschale,<br />
der man nur ein Streichholz als Mast und ein Blatt von einem<br />
Baum verpassen müsste, der gerade sein Herbstlaub abwirft, und<br />
schon stünde man auf einem wirklichen Schiff oder ließe sich<br />
wenigstens, wie die Autorin, von dem Glauben nicht abbringen,<br />
man sei dabei, mit richtigen Planken unter den Füßen Kurs bis<br />
weit hinter den Horizont auf<strong>zu</strong>nehmen. Dabei schwimmt das<br />
Schiffchen doch nur auf einem Wasserglas, und hinter dessen<br />
Rand geht’s nicht weiter.<br />
Nichts von dem, was damit vorgetragen wurde, spricht gegen<br />
Betty Koldzys Methode. Ihre Beobachtungen sind präzise, ihre<br />
Momentaufnahmen vom Leben in dem begrenzen Raum, den sie<br />
als das ganze <strong>Bremen</strong> ausgibt, wirken klar umrissen, und woher<br />
sie kommt und wohin es sie zieht bei ihrem <strong>Bremen</strong> Walking,<br />
bedarf keiner weiteren Begründung. Heimat steht über dem<br />
ersten Kapitel, Vom Marktplatz ins Viertel ist das zweite überschrieben,<br />
und mit den letzten beiden Sätzen ist dann erst recht<br />
alles gesagt: „Die Haustür schlägt <strong>zu</strong> und du bist <strong>zu</strong> Hause angekommen:<br />
Daheim in <strong>Bremen</strong>.“ Fehlt nur, als diesen langen Lauf<br />
<strong>zu</strong> sich selbst bekräftigende Schlusspointe, das Ausrufezeichen.<br />
Dass Betty Kolodzy mit dem, was sie zwischen Heimat und Heimkommen<br />
ausbreitet, nicht von vorneherein havariert, liegt vor<br />
allem daran, dass es ihr die Kunst der Scherenschnitttechnik so<br />
77<br />
77<br />
sehr angetan hat. Zwar ist bei der alles entweder schwarz oder<br />
weiß angelegt, aber das diffuse Licht hinter dem Seidenpapier<br />
sorgt dann doch dafür, dass die Phantasie angeregt wird. So gelingen<br />
ihr, wenn auch meistens nur zwischen Marktplatz und<br />
einem sich nie am Ganzen messenden Viertel, immer wieder<br />
staunenswerte Geschichten.<br />
Eine, die von Herrn Blume, handelt davon, dass der auf seiner<br />
Parzelle Mäuse fängt (was wäre die Parzelle <strong>Bremen</strong> ohne ihre<br />
Parzellen?), die er für den Eichelhäher auf seinen Komposthaufen<br />
legt. Die Autorin gibt <strong>zu</strong> erkennen, wie <strong>zu</strong>wider ihr dieses<br />
Jagdfieber ist, das sich obendrein auch noch auf Schnecken richtet,<br />
aber der Eichelhäher, wird ihr dann klar, würde sich ihr ohne<br />
Herrn Blumes Mäuse so oft nicht zeigen. „Das nenne ich Recycling“,<br />
bilanziert sie versöhnlich gestimmt die Aktion und möchte<br />
Herrn Blume auch deswegen nicht missen. So lebt es sich<br />
eben im Winkel mit ein bisschen Glück. Man ist umstellt von<br />
Begriffen, die das Gute bezeichnen, aber Betty Kolodzy weiß<br />
wenigstens, dass dahinter oft nur übersehene Bosheiten stecken.<br />
Nicht alles in <strong>Bremen</strong> Walking ist freilich so satirisch gemeint,<br />
wie es häufig auf einen wirkt. Dass Werder <strong>Bremen</strong> den Beat der<br />
Stadt verkörpere, müsste denen in der Vorstandsetage mal einer<br />
näher<strong>zu</strong>bringen versuchen. Mit alle vierzehn Tage einmal Beat,<br />
einer Sommerpause da<strong>zu</strong> und der weihnachtlichen Ruhezeit als<br />
Verlängerung kriegt man nicht all<strong>zu</strong> viel Dynamik ins städtische<br />
Leben. Dass Kolodzy es in dem Kontext auch noch schafft, die<br />
gelegentlichen nächtlichen Fußballspiele von Autonomen auf<br />
der Sielwallkreu<strong>zu</strong>ng von dem ab<strong>zu</strong>leiten, was die Werder-Profis<br />
vorgelegt haben, spricht erstens für ihren schwarzen Humor und<br />
bezeugt zweitens, wie groß der Dorfplatz vom Viertel nur ist.<br />
Darin steckt allerdings auch ein Grundproblem ihres Buchs. <strong>Bremen</strong>s<br />
als Stadt der gefühlt kurzen Wege und der tatsächlich sich<br />
lang und länger hinziehenden Gegebenheiten kriegt sie nie von<br />
einer Position her in den Griff, die wirkliche Überraschungen<br />
bietet. Einmal plant die Erzählerin mit einer Freundin eine Reise
78<br />
Literatur<br />
Betty Kolodzy<br />
nach Moskau. Das Geld bleibt liegen und führt die beiden am<br />
Ende nur in die Vahr. Berliner Freiheit, fast ist das ja schon<br />
außerirdisches Terrain.<br />
<strong>Der</strong> Scherenschnitt ist eine Kunstform, die im Biedermeier ihre<br />
Blütezeit hatte. Er stand für den Rück<strong>zu</strong>g ins Idyll, die Schau auf<br />
das Innere, das Gefühl, dass man als Bürger in Ruhe seinen ersten<br />
Pflichten nachgehen sollte. <strong>Bremen</strong> Walking ist, von dieser<br />
Historie her gesehen, ein fast schon unerhörter Buchtitel. Wo<br />
Kolodzy Fahrt aufnimmt, ist bestenfalls ein Fahrrad im Spiel,<br />
exemplarisch für die kurzen Wege geeignet und konstruiert. Man<br />
muss da<strong>zu</strong> nur wissen, dass das von dem badischen Forstmeister<br />
Karl Freiherr von Drais entwickelte Laufrad unmittelbar im Biedermeier<br />
wurzelt und dass es die Menschen dieser Epoche in gerade<br />
dem Maß beflügelte, das ihnen noch vertretbar erschien.<br />
<strong>Bremen</strong> Walking wirkt, wo es ums Fortkommen in einer deutschen<br />
Stadt des 21. Jahrhunderts geht, die wie kaum eine zweite<br />
von ihrer Verkehrswirtschaft lebt, wie ein Seitenhieb auf die<br />
diesen Umstand konsequent ausblendende bremische Verkehrspolitik.<br />
Am Sielwall pendelt eine Fähre, und einmal lässt die<br />
Autorin dort sogar einen Frachter an ihrem inneren Auge vorbeiziehen.<br />
Auch das Schiff in der Flasche steht ja für ein Idyll, und<br />
die Buddelschiffbauer verfügen, wie Betty Kolodzy, beim Ausgestalten<br />
ihrer Miniaturlandschaften über eine beachtenswerte<br />
Kunstfertigkeit.<br />
Lesenswert ist <strong>Bremen</strong> Walking daher vor allem, weil es sich<br />
schonungslos ein paar der in den letzten vierzig Jahren über die<br />
Hanse- und Handelsstadt <strong>Bremen</strong> gekommenen Mentalitäten annimmt.<br />
Man vergleiche dieses von Kolodzy in Trippelschritten<br />
vermessene Viertel mit seinen nicht weiter für erwähnenswert<br />
gehaltenen Randbezirken von vielfacher Ausdehnung einmal mit<br />
dem Ostertor-Quartier, das der heute in Berlin lebende Bremer<br />
Schriftsteller Rudolf Lorenzen im Jahr 1959 beschrieb.<br />
Sein Roman „Alles andere als ein Herr“ zeichnete das Bild eines<br />
in seiner Selbstgefälligkeit wie Bewegungsarmut erstarrten Kleinbürgerbezirks,<br />
mit allerdings annähernd so vielen Menschen, die<br />
es damals aus diesen Verhältnissen zog wie heute in solche<br />
hinein. <strong>Bremen</strong> Walking schließt einen Kreis, es spiegelt eine<br />
Drehbewegung vom Gelsenkirchner Barock, der Biedermeierzeit<br />
der Nachkriegsjahre, hin <strong>zu</strong> dem, was dieser Tage wie Vielfalt der<br />
Kulturen und Lebensstile aussieht, dabei aber eine Einfalt an<br />
den Tag legt, durch die sich Betty Kolodzy wie durch einen Reisbrei<br />
hindurch <strong>zu</strong> schreiben versucht. Was soll’s, scheint sie sich<br />
<strong>zu</strong> denken, wenn einem kein fernes Schlaraffenland winkt, kann<br />
man doch auch mit einem Stückchen Heimat vorliebnehmen,<br />
einem Spielkreis mit durchaus wunderlichen und der Beschreibung<br />
werten Menschen darin. Betty Kolodzy gleicht ein wenig<br />
einer Dachstubenpoetin, die unterm löchrigen Schirm ein Lob-<br />
lied der Bescheidenheit singt. Zu ihrem Glück und dann doch<br />
auch <strong>zu</strong>m Vergnügen ihrer Leser verfügt sie über eine gewisse,<br />
nicht nur von biedermeierlicher Ergriffenheit herrührende Selbstironie.<br />
<strong>Der</strong> Einfall, eine passable Großstadt wie die Briefmarkenwelt<br />
einer Kleinstadt an<strong>zu</strong>gehen, ist ja für sich genommen schon<br />
ganz schön verrückt.<br />
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