Graf Anton W. von Faber - Der Club zu Bremen
Graf Anton W. von Faber - Der Club zu Bremen
Graf Anton W. von Faber - Der Club zu Bremen
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4,50 Euro<br />
Magazin #7<br />
2005<br />
<strong>Club</strong> spezial: <strong>Graf</strong> <strong>Anton</strong> W. <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell<br />
Kai Dieckmann, BILD-Chefredakteur<br />
<strong>Bremen</strong>: Reich, aber arm gerechnet<br />
Konjunkturbarometer BLG<br />
OHB - Bremer Satellitenbau<br />
Libero Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum<br />
<strong>Club</strong>test: BMW 1er<br />
Bischof Willehad, Gründer <strong>Bremen</strong>s
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Aufgespießt:<br />
Zwei Bremer Herolde, auch Rathauswächter<br />
genannt, in die<br />
Abstellkammer eines Reparaturbetriebes<br />
verbannt, nachdem am<br />
Neujahrstag ein städtisches Reinigungsfahrzeug<br />
den einen<br />
umgefahren hat und der zweite<br />
aus Fürsorge gleichmiteingeliefert<br />
wurde beim Kupferdoktor in<br />
Findorff.<br />
Dort stehen die stolzen Rösser<br />
mit dem Gesicht <strong>zu</strong>r Wand.<br />
Ein Reiter musste absteigen.<br />
Beklagenswert der Blick auf die<br />
morschen Stützen im metallernen<br />
Innern. Keiner weiß, wann die<br />
geharnischten Herolde, die den<br />
Osteingang des Rathauses<br />
bewachten, restlos wiederhergestellt<br />
sein werden, um ihren<br />
Dienst vis à vis des Bremer Doms<br />
wieder auf<strong>zu</strong>nehmen.<br />
Zahlt die Versicherung, zahlt sie<br />
genug, und wer kommt für die<br />
nicht unbeträchtlichen Restkosten<br />
in der Metallklinik auf?<br />
Erst einmal gehen alle Beteiligten<br />
da<strong>von</strong> aus, die Sache werde<br />
sich schon irgendwie regeln.<br />
Wie? Keiner kann es so recht<br />
sagen. Das Ziel allerdings wird<br />
mit fester Stimme artikuliert. Die<br />
Rathauswächter müssen ihre<br />
Funktion erhalten.<br />
Das Rathaus kann schließlich<br />
nicht unbewacht bleiben.<br />
Wer wird da nicht an die Politik<br />
und an Politiker in der Hansestadt<br />
erinnert und ihr rastloses<br />
und engagiertes Eintreten für die<br />
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<strong>Club</strong>-Kommentar<br />
Bremer Politik 1<br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Club</strong>-Veranstaltungen 10<br />
Junioren 14<br />
<strong>Club</strong> jetzt online 20<br />
Domizile in 222 Jahren 22<br />
<strong>Club</strong> spezial<br />
<strong>Graf</strong> <strong>Anton</strong> W. <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell 4<br />
Kai Dieckmann 16<br />
<strong>Bremen</strong><br />
Reich, aber arm gerechnet 28<br />
Nordwestregion 30<br />
Schaffer 2005 36<br />
Bremer Grenzgänger 40<br />
Wirtschaft<br />
Finanzsenator als Libero 32<br />
Konjunkturbarometer BLG 48<br />
OHB - Bremer Satellitenbau 56<br />
Wasserfonds 62<br />
<strong>Club</strong>test<br />
BMW 1er 66<br />
Bremer Geschichte<br />
Bischof Willehad 70<br />
Literatur<br />
Operation Rubikon 76<br />
Impressum 80<br />
3<br />
Inhalt
4 <strong>Club</strong> spezial<br />
<strong>Der</strong> Herr der Bleistifte<br />
<strong>Graf</strong> <strong>Anton</strong> W. <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell<br />
Fotos: Frank Pusch
Silke Sackmann<br />
<strong>Der</strong> Herr der Bleistifte<br />
Es sind manchmal die kleinen Dinge, die uns Menschen richtig<br />
freuen: <strong>Der</strong> Bleistift <strong>zu</strong>m Beispiel, den <strong>Anton</strong> W. <strong>Graf</strong> <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-<br />
Castell seinen Vortragsgästen an diesem Abend im Dezember als<br />
kleines Geschenk mitgebracht und auf die Stühle gelegt hat.<br />
Mit strahlenden Augen wurde der „Grip“ gedreht und gewendet,<br />
seine Noppen mit den Fingerkuppen befühlt, das Wappen – die<br />
beiden mit Bleistiften kämpfenden Ritter – gründlich betrachtet<br />
und mit verstohlenem Blick suchte manch einer nach leeren<br />
Plätzen – auf dass vielleicht irgendwo einer dieser schönen Stifte<br />
liegen bliebe.<br />
Wen wundert´s, ist dieser silberfarbene Noppenbleistift, der<br />
„Grip 2001“, als gutes Beispiel für das Qualitätsverständnis <strong>von</strong><br />
<strong>Faber</strong>-Castell, doch wirklich ein kleines Wunderwerk: <strong>zu</strong>rückhaltend<br />
schön, rutschfest durch seine Wasserlacknoppen, angenehm<br />
<strong>zu</strong> halten durch seine dreieckige Form und inzwischen <strong>zu</strong><br />
einer Art „Kultobjekt“ avanciert, das sich in fast jeder Schultasche<br />
findet.<br />
Als einziger Bleistift der Welt gewann er fünf internationale<br />
Designpreise. „Exzellente Qualität“, sagt <strong>Graf</strong> <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell,<br />
„das ist unser Ziel. Das ist das Wesen unserer Produkte. Nur<br />
damit können wir auf dem Weltmarkt bestehen.“<br />
Sein Aussehen, sein Auftreten, seine Ausstrahlung – unser Gast<br />
verkörpert das Image, das er seinen Produkten in den vergangenen<br />
Jahren gab: Er wirkt <strong>zu</strong>rückhaltend und manchmal fast<br />
ein wenig scheu, sein gepflegt längeres Haar nimmt ihm das<br />
Sachliche eines Geschäftsmannes, seine maßgeschneiderte Kleidung<br />
erzählt <strong>von</strong> großer Liebe <strong>zu</strong>m Feinen und sorgfältig Ausgewählten.<br />
Ganz anders, als man sich die Kindheit eines so<br />
erfolgreichen Unternehmers vorstellt, erzählte er seine eigene<br />
5<br />
Geschichte vor einigen Jahren in der ZEIT: Er kränkelt als Kind,<br />
bekommt Tuberkulose, muss <strong>zu</strong>r Erholung in die Schweizer<br />
Berge, später ins Engadin, im Knabeninternat Briner in Flims ist<br />
er schüchtern und hat Heimweh, später im Lyceum Alpinum<br />
Internat in Zuoz lernt er sich durch<strong>zu</strong>setzen – er ist „schmächtig,<br />
aber fest entschlossen“.<br />
Dem deutschen Abitur und der Schweizer Matura folgen ein<br />
Jurastudium in Zürich, verschiedene Praktika und einige Berufsjahre<br />
als Investmentbanker in London und New York. Doch als<br />
sein Vater stirbt, folgt der heute 63-Jährige dem Ruf in die Heimat<br />
nach Stein bei Nürnberg. 1978 wird er alleiniger geschäftsführender<br />
Gesellschafter der <strong>Faber</strong>-Castell Unternehmensgruppe.<br />
In der achten Generation. Unter zehn Geschwistern hatte ihn<br />
sein Vater <strong>zu</strong> seinem Nachfolger bestimmt.<br />
Er spricht vom „Bestehen“ und nicht <strong>von</strong> seinen Erfolgen, und<br />
doch kennt man sie: Seiner strategischen Neuausrichtung des<br />
traditionellen Familienbetriebes seit Beginn der 90er Jahre verdankt<br />
<strong>Faber</strong>-Castell den Wandel vom einfachen Stifte-Hersteller<br />
<strong>zu</strong>m Weltkonzern. Heute ist <strong>Faber</strong>-Castell als Anbieter <strong>von</strong> hochwertigen<br />
holzgefassten Blei- und Buntstiften und anderen Produkten<br />
rund um das kreative Gestalten sowie einer Kollektion<br />
wunderbarer, <strong>von</strong> der Vergangenheit inspirierter, zeitlos schöner<br />
Bleistifte, Füllhalter und Tintenroller und den da<strong>zu</strong> passenden<br />
ausgewählten Accessoires in rund 120 Ländern vertreten.<br />
In 15 Produktions- und 18 Vertriebsgesellschaften arbeiten rund<br />
5500 Menschen. <strong>Der</strong> konsolidierte Gruppenumsatz betrug im<br />
vergangenen Geschäftsjahr 272 Millionen Euro.<br />
Bestehen: Zwei schwere Krisen hatte das Unternehmen <strong>zu</strong> meistern.<br />
Anfang der 70er Jahre brach das Rechenstabgeschäft, das<br />
25 Prozent des Umsatzes ausmachte, völlig <strong>zu</strong>sammen und seit<br />
Ende der 80er Jahre geht auch der manuelle technische Zeichenbedarf<br />
immer stärker <strong>zu</strong>rück. Da<strong>zu</strong> kommt die Billigkonkurrenz<br />
aus Fernost. Wie das Unternehmen diesen Herausforderun-
gen begegnet, das war das Thema seines Vortrags „<strong>Faber</strong>-Castell:<br />
Auf dem Weg <strong>zu</strong>r Weltmarke“. Seine Essenz: „Weg vom Massenmarkt,<br />
hin <strong>zu</strong>m Premiummarkt“! – mit allem, was <strong>zu</strong> einer<br />
international erfolgreichen Marke gehört: Weltweit einheitliche<br />
Markenauftritte und damit verbunden eine hohe Wiedererkennbarkeit<br />
der Produkte, Präsenz in den wichtigsten Märkten, ständige<br />
Produktinnovationen und auch die Schaffung eines „emotionalen<br />
Mehrwerts“: In Design und Nutzen einzigartige Produkte.<br />
Die größte Gefahr bestehe für sein Unternehmen in einer<br />
Abhängigkeit vom „preiswerten allgemeinen Schreiben“. Ein<br />
besonderer Fokus solle daher auf den Kompetenzfeldern „Spielen<br />
und Lernen“ und „Premium“ liegen.<br />
„Since 1761“ verrät der „Grip“ und spielt damit auf das Selbstverständnis<br />
des Unternehmens an. Auf der einen Seite steht<br />
eine fast 250-jährige Unternehmensgeschichte, auf der anderen<br />
versteht sich <strong>Faber</strong>-Castell heute als internationales Unternehmen<br />
– mit deutschem Ursprung.<br />
Einen seiner Vorfahren, seinen Ururgroßvater, Lothar <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>,<br />
hebt <strong>Graf</strong> <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell besonders hervor. Ihm war es nach<br />
Lehrjahren in London und Paris gelungen, den kleinen väterlichen<br />
Betrieb in Stein weltberühmt <strong>zu</strong> machen.<br />
In wenigen Jahren modernisierte er die Produktionsverfahren<br />
und entwickelte die ersten Qualitätsstifte. Aus der flachen, <strong>von</strong><br />
zwei Brettchen eingefassten Graphitmine, wurde der heute noch<br />
übliche Sechskantstift, den er mit der ebenfalls heute noch gängigen<br />
Härtegradskala versah.<br />
Dieser Bleistift, den der Schrift<strong>zu</strong>g „A.W. <strong>Faber</strong>“ zierte, wurde<br />
<strong>zu</strong>m ersten Markenartikel der Branche. Er war so erfolgreich,<br />
dass Lothar <strong>von</strong> <strong>Faber</strong> 1874 das deutsche Markenschutzgesetz<br />
auf den Weg brachte, um sich vor Nachahmern <strong>zu</strong> schützen. Sein<br />
Ziel war „das Beste <strong>zu</strong> machen, was überhaupt in der Welt<br />
gemacht wird“.<br />
Lange bevor das Schlagwort „Globalisierung“ die Runde machte,
gründete er die erste Niederlassung jenseits des Atlantik, 1849<br />
in New York. Schon <strong>zu</strong> dieser Zeit sah er die ganze Welt als<br />
Markt.<br />
„Von Lothar <strong>von</strong> <strong>Faber</strong> können wir noch heute vieles lernen“,<br />
sagt <strong>Graf</strong> <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell: „Die Grundlagen für langfristigen<br />
Erfolg sind auch heute die Segmentierung der Märkte, die Notwendigkeit,<br />
sich vom Sortiment her vom Mitbewerber <strong>zu</strong> unterscheiden,<br />
die Bereitschaft der Mitarbeiter, nicht nur für den<br />
Handel, sondern auch für den Endverbraucher den notwendigen<br />
Service <strong>zu</strong> leisten.“<br />
Eines jedoch hat sich grundlegend geändert: Man müsse das<br />
lange Zeit dominante Stammhaus-Denken ablegen. „Die Sonne<br />
dreht sich nicht um die Erde!“ Es habe großer Anstrengungen<br />
und Mühen bedurft, das traditionelle Denken, nur <strong>von</strong> Deutschland<br />
aus Ideen verkünden <strong>zu</strong> wollen, in ein internationales<br />
Gruppen-Denken <strong>zu</strong> verwandeln.<br />
Von zentraler Bedeutung sei es heute, den Sachverstand, die<br />
Kreativität und die Erfahrungen zahlreicher Länder vor Ort auf<strong>zu</strong>greifen<br />
und <strong>zu</strong> nutzen. Dabei spielen für sein Unternehmen<br />
vor allem Brasilien und Malaysia eine große Rolle:<br />
„Die Dezentralisierung in der Produktentwicklung und das<br />
gleichzeitige Fördern <strong>von</strong> Kompetenzzentren weltweit haben <strong>zu</strong><br />
einem Kreativitätsschub geführt, der mit rein deutscher Entwicklungskapazität<br />
nicht hätte realisiert werden können.“<br />
Mit drei großen Vermarktungseinheiten – Europa/Nordamerika,<br />
Lateinamerika und Asien – sucht <strong>Faber</strong>-Castell die lokalen Konsumgewohnheiten<br />
auf<strong>zu</strong>nehmen und <strong>zu</strong> berücksichtigen. So<br />
werden in Deutschland hochwertige Produkte für die gehobenen<br />
Preissegmente hergestellt, während die Werke in Brasilien und<br />
Indonesien Amerika und Asien mit preiswerteren Produkten versorgen.<br />
Große Wachstumschancen sieht das Unternehmen heute<br />
im asiatischen Raum.<br />
7<br />
Mit einer Jahresproduktion <strong>von</strong> rund 1,8 Milliarden Blei- und<br />
Buntstiften ist <strong>Faber</strong>-Castell weltweit der größte Einzelproduzent.<br />
„Daraus leiten wir auch eine besondere Verantwortung<br />
ab“, sagt <strong>Anton</strong> <strong>Graf</strong> <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell: Seit über 20 Jahren leistet<br />
das Unternehmen Pionierarbeit in der brasilianischen Holzwirtschaft<br />
und erhielt dafür das hochangesehene FSC-Zertifikat<br />
für „umweltschonende, sozial faire und nachhaltige Waldwirtschaft“.<br />
Für seine mit der Industriegewerkschaft Metall geschlossene<br />
„Sozialcharta“, in der <strong>Graf</strong> <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell sich selbst <strong>zu</strong>m Verbot<br />
<strong>von</strong> Kinderarbeit, <strong>zu</strong> Chancengleichheit und Gleichbehandlung<br />
seiner Mitarbeiter, <strong>zu</strong>r Zahlung angemessener Löhne und <strong>zu</strong><br />
anständigen Arbeitsbedingungen in allen Werken verpflichtet,<br />
wurde er mit Auszeichnungen und Preisen überhäuft. Im vergangenen<br />
Jahr wurde sein international wegweisendes Engagement<br />
für soziale und ökologische Produktionsrichtlinien mit<br />
dem Unternehmerpreis der deutschen Wirtschaft gewürdigt.<br />
Großen Beifall gab es auch an diesem Abend, Worte der Anerkennung<br />
und Bewunderung für den Gast und auch für die wunderbaren<br />
Stifte, die die Vitrinen im Schütting <strong>zu</strong>m Strahlen<br />
brachten: Ausgewählte Materialien, hervorragende Verarbeitung,<br />
faszinierendes Design – die Prachtstücke der „Collection <strong>Graf</strong>
8 <strong>Club</strong> spezial<br />
<strong>Der</strong> Herr der Bleistifte<br />
<strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell“ weckten Geschenkideen und Weihnachtswünsche.<br />
Kalifornisches Zedernholz, gravierte Silberkrönchen, Rhodium<br />
und Platin – und doch kein Pomp, sondern <strong>zu</strong>rückhaltende<br />
Eleganz. Darunter so ein kleines Faszinosum wie der „Perfekte<br />
Bleistift“ mit eingebautem Metallspitzer:<br />
Schreiben, korrigieren, anspitzen – alles ist wohldurchdacht im<br />
Bleistiftverlängerer untergebracht. Die größte Aufmerksamkeit<br />
aber weckte an diesem Abend der „Pen of the Year 2004“, ein<br />
Füllfederhalter, der in kleiner Stückzahl in den Petersburger<br />
Werkstätten der Baumeister des Bernsteinzimmers veredelt<br />
wurde. Bernstein - der Stoff aus dem die Mythen sind, der den<br />
Griechen als versteinerter Sonnenstrahl galt und den Römern als<br />
Träne der Götter. Vor 45 Millionen Jahren <strong>zu</strong> Boden getropft!<br />
Inzwischen aber ist auch das Geheimnis um den mit großer<br />
Spannung erwarteten „Pen of the Year 2005“ gelüftet: Und wieder<br />
hatte das Unternehmen eine atemberaubende Idee: in über<br />
30 Arbeitsschritten entsteht aus der Rückenhaut des Perlro-<br />
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chens, einer in asiatischen Gewässern beheimateten und dem<br />
Hai verwandten Rochenart, durch kunstvolle Bearbeitung das<br />
Perlrochenleder, auch „Galuchat“ genannt.<br />
Dieses ungewöhnliche, in unterschiedlichen Farben schimmernde,<br />
wunderbar sanfte und geschmeidige Material ziert den Schaft<br />
des neuen Pen of the Year. Da<strong>zu</strong> ein platinierter Längssteg am<br />
Schacht. Aber, und das gilt für alle seine Stifte: „Sie sind nicht<br />
nur schön! Sie sind auch äußerst zweckmäßig! So, wie die Samurai<br />
bestrebt waren, mit ihren meisterhaften mit Perlrochenleder<br />
verzierten Waffen „den Geist <strong>von</strong> jeglicher willkürlichen Anstrengung<br />
<strong>zu</strong> befreien“, so solle auch dieser Füllfederhalter ein Gefühl<br />
vollkommener Leichtigkeit vermitteln. Und als eine Art geistigen<br />
Mentor zitiert <strong>Graf</strong> <strong>von</strong> <strong>Faber</strong>-Castell den legendären Samurai<br />
Yagyu Munenori: „Ein Schwert benutzen, ein Pferd reiten,<br />
schreiben – tue das so, als würdest du kein Schwert benutzen,<br />
kein Pferd reiten, nicht schreiben. Dann wird alles ohne Widerstände<br />
vollbracht, schwungvoll und mit Leichtigkeit”.<br />
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10 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Veranstaltungen<br />
Ole <strong>von</strong> Beust<br />
Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt<br />
Hamburg<br />
„Hamburger Politik im Nordwestraum”<br />
03. November 2004<br />
Einführung: Dr. Rüdiger Hoffmann<br />
Dr.-Ing. Heinz Dürr<br />
„Unternehmensführung<br />
und Moral”<br />
10. November 2004<br />
Einführung: Thomas Christian Buchbinder<br />
Hans Kemner, Text<br />
Ralf Probst, Trompete<br />
„Weihnachtlicher Lyrikabend”<br />
15. Dezember 2004<br />
Einführung: Prof. Dr. Klaus Berthold
Prof. Manfred Fuchs<br />
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<strong>Bremen</strong>-System AG<br />
„Satelliten aus <strong>Bremen</strong> -<br />
Wie ein Bremer Unternehmen<br />
<strong>zu</strong>m Weltmarktführer wurde“<br />
02. Februar 2005<br />
Einführung: Jan G. Freysoldt<br />
Eike Besuden<br />
Filmproduzent, <strong>Bremen</strong><br />
„Verrückt nach Paris:<br />
Die Geschichte einer Filmproduktion“<br />
23. Februar 2005<br />
Einführung: Dr. Rüdiger Hoffmann<br />
11<br />
Heinz-Dieter Ziesmann<br />
Riedel Tiroler Glashütte GmbH<br />
Glasweinprobe<br />
„Wie Weingläser den Geschmack<br />
<strong>von</strong> Wein verändern können“<br />
23. Februar 2005<br />
Einführung: Prof. Dr. Klaus Berthold
12 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Veranstaltungen<br />
Dr. Volker Stanzel<br />
Deutscher Botschafter in Peking<br />
„Die Deutsch-Chinesischen<br />
Beziehungen“<br />
02. März 2005<br />
Einführung: Klaus Ziegler<br />
„Um sechs im <strong>Club</strong>“<br />
Neumitgliederabend<br />
Kommunikationsabend für<br />
<strong>Club</strong>mitglieder und die „Neuen“<br />
09. März 2005<br />
Moderation: Dr. Matthias Fonger<br />
Wolfgang van Betteray<br />
Insolvenzverwalter<br />
„Insolvenz: Ende oder Neubeginn?“<br />
16. März 2005<br />
Einführung: Peter Braun
Dr. Patrick Wendisch<br />
Präses der Handelskammer <strong>Bremen</strong><br />
„<strong>Bremen</strong>s Selbstständigkeit<br />
und öffentliche Finanzen“<br />
06. April 2005<br />
Einführung: Prof. Dr. Klaus Berthold<br />
Rudolf Seiters<br />
Präsident Deutsches Rotes Kreuz<br />
„Das Deutsche Rote Kreuz zwischen<br />
Inlands- und Auslandseinsätzen“<br />
13. April 2005<br />
Einführung: Dr. Rüdiger Hoffmann<br />
13<br />
Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth<br />
Institut für Hirnforschung<br />
Universität <strong>Bremen</strong><br />
„Wer entscheidet wenn ich entscheide?“<br />
20. April 2005<br />
Einführung: Dr. Rüdiger Hoffmann
14 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Junioren<br />
Patrick Wendt<br />
Auf Tauchstation beim Weltmarktführer<br />
<strong>Der</strong> Besuch bei der ATLAS ELEKTRONIK GmbH war der gelungene<br />
Auftakt für die Veranstaltungen des Juniorenkreises des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong><br />
<strong>Bremen</strong> in diesem Jahr.<br />
Das ist unser Fazit – wie kam es da<strong>zu</strong>?<br />
Donnerstag, also mitten in der Woche, 13 Uhr, regnerisches<br />
Januarwetter... das sah nach nur einer Handvoll Interessierter<br />
aus, die sich am Tor 1 der ATLAS ELEKTRONIK GmbH einfinden<br />
würden. Doch es wurden 16 Junioren, die sich den interessanten<br />
Blick hinter die Kulissen nicht entgehen lassen wollten.<br />
Wer ist ATLAS ELEKTRONIK eigentlich? Stellt die Bremer Firma<br />
Panzersimulationen oder gar ganze Panzer her? Oder werden<br />
hinter den Werktoren U-Boote gebaut?<br />
Mit viel Engagement stellte Klaus Stapmans, einer der beiden<br />
Geschäftsführer, das Unternehmen und seine Produkte in einer<br />
spannenden Präsentation vor. Es werden zwar keine Panzer hergestellt<br />
und ganze konventionelle U-Boote auch nicht, aber<br />
ohne die Produkte des Unternehmens wären die meisten konventionellen<br />
U-Boote nur sehr eingeschränkt bewegungsfähig.<br />
ATLAS ELEKTRONIK liefert Systeme, mit denen sich die Marine<br />
unter Wasser fast so orientieren kann, als ob sie über Wasser<br />
operieren würde. Das Bremer High Tech Unternehmen ist Weltmarktführer<br />
in der Sonartechnik; stellt aber auch elektronische<br />
Systeme ganz unterschiedlichster Art für den maritimen Bereich<br />
her.<br />
In der anschließenden Führung zeigte Jörg Huthmann, der für<br />
die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Unternehmen verantwortlich<br />
ist, was sich hinter Begriffen wie Seafox, towed array<br />
sonar, remotely operated vehicle und AUV in der Praxis verbirgt.<br />
Ingenieurkunst und EDV verbinden sich hier <strong>zu</strong> Produkten, die<br />
in ihrer Art und Qualität auf der Welt häufig einmalig sind. Kein<br />
Wunder, kaum ein Industrieunternehmen in <strong>Bremen</strong> hat einen<br />
so hohen Anteil an Akademikern.<br />
Nach dem Besuch war den Teilnehmern klar, dass das Unternehmen<br />
mit der über 100jährigen Geschichte ein gutes Beispiel<br />
dafür ist, warum das maritime <strong>Bremen</strong> einer der führenden<br />
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16 <strong>Club</strong> spezial<br />
Bild-Chef<br />
Chefredakteur<br />
Bild<br />
Bild am Sonntag<br />
Kai Diekmann<br />
Fotos: Frank Pusch
Frederice Hoffmann<br />
Seine Markenzeichen: dunkles, gegeltes Haar, schwarzes Brillengestell,<br />
dezenter Designeran<strong>zu</strong>g. Was erwartet man vom einen<br />
Treffen mit dem Blattmacher der größten, aber auch umstrittensten<br />
Boulevardzeitung Deutschlands? Was hält man <strong>von</strong><br />
einem, der sich in Interviews als Teamplayer und Choleriker<br />
<strong>zu</strong>gleich beschreibt?<br />
Als er die Kaffeestube des <strong>Club</strong>s betritt, wirkt Kai Diekmann,<br />
Chefredakteur <strong>von</strong> Bild und Herausgeber <strong>von</strong> Bild und BamS, wie<br />
ein Sohn aus gutem Hause. Höflich, den Gastgebern <strong>zu</strong>gewandt<br />
und gut gelaunt. Während des Essens gibt er sich aufgeschlossen,<br />
lebendig, beweist sich als aufmerksamer Zuhörer und<br />
moderater Gesprächspartner. Kur<strong>zu</strong>m, Kai Diekmann macht<br />
einen sympathischen Eindruck.<br />
Vom Praktikanten <strong>zu</strong> einem der einflussreichsten Journalisten<br />
Deutschlands. Kai Diekmann ist vierzig Jahre alt und kommt aus<br />
Bielefeld, wo er eine Jesuitenschule besucht hat. Die Bild-Zeitung<br />
war in seinem Elternhaus, Zitat Diekmann: „wie sich das<br />
gehört“, tabu. Nach einer zweijährigen Zeit beim Bund absolvierte<br />
er eine Ausbildung bei der Bild-Zeitung mit Stationen in<br />
Hamburg, New York und der Parlamentsredaktion in Bonn. Es<br />
folgt ein Ausflug als Chefreporter bei „Bunte“ und die Rückkehr<br />
<strong>zu</strong>m Axel Springer Verlag, dem er und der ihm bis heute die<br />
Treue hält.<br />
Kai Diekmann beginnt seinen exzellent strukturierten Vortrag im<br />
<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> mit Zahlen. Imponierende, gelegentlich ein<br />
wenig effekthascherisch präsentierte Zahlen. Zahlen, die den<br />
wirtschaftlichen Erfolg der Bild-Zeitung gleichwohl eindrucksvoll<br />
dokumentieren. Zahlen, die allein plausibel nicht erklären,<br />
warum auch gebildete, intelligente Menschen mit Interesse an<br />
der Welt und Lust am Lesen <strong>zu</strong> dem reißerischen Boulevardblatt<br />
„Ja“ sagen. Auf den Vortrag <strong>von</strong> Bildchef Kai Diekmann warten<br />
kritische Zuhörer des <strong>Club</strong>s, aber auch solche, die den Top-Journalisten<br />
des Axel Springer Verlages gerne einmal aus der Nähe<br />
kennen lernen wollen. Bei ihm hört man genau <strong>zu</strong>, gerade dann,<br />
wenn die „Philosophie“ des Boulevardjournalismus à la Bild aus<br />
17<br />
erster Hand <strong>zu</strong> erfahren ist. Eine „Philosophie“, die sich laut<br />
Diekmann durch fünf Kernkompetenzen definiert. Sie lägen tagtäglich<br />
der Blattgestaltung <strong>zu</strong> Grunde. Die Exklusivität der<br />
Nachricht soll den skeptisch geneigten Leser anziehen und<br />
überzeugen. So sei man schneller und dichter an den Geschichten<br />
als jedes andere Medium. Dabei will Diekmann über Regierung<br />
und Opposition gleichermaßen kritisch berichten. Alle Parteien<br />
sollen sich über Bild beschweren, dann wisse er sich am<br />
richtigen Platz, zwischen den Stühlen, da scheint sich Diekmann<br />
am wohlsten <strong>zu</strong> fühlen. Bild schaffe Exklusivität durch Informationsvorsprung,<br />
sei damit <strong>zu</strong>m Pflichtblatt für alle Entscheider<br />
geworden. Wer Wichtiges <strong>zu</strong> sagen habe, sage es <strong>zu</strong>erst in Bild,<br />
behauptet schlank der Blattmacher. So habe sich Wladimir Putin<br />
nach dem 11. September 2001 für Kai Diekmann und ein Interview<br />
mit Deutschlands auflagenstärkster Zeitung entschieden.<br />
Ein Termin, der einen Besuch im Ferienhaus <strong>von</strong> Putin mit<br />
anschließendem gemeinsamen Baden mit dem russischen<br />
Staatsoberhaupt, und wohlgemerkt in dessen Badhose, <strong>zu</strong>r<br />
Folge hatte. Diekmann beschreibt die Begebenheit in der Attitüde<br />
des Alltäglichen, ohne dass er den persönlichen Stolz, der<br />
mitschwingt, völlig unterdrücken kann. <strong>Der</strong>, der die Personalisierung<br />
im Journalismus perfektioniert hat, profitiert persönlich<br />
<strong>von</strong> der Nähe <strong>zu</strong> den Prominenten. Ein Kompensationsgeschäft,<br />
in dem Prominenz und der Kontakt <strong>zu</strong> den Mächtigen für Defizite<br />
in der Rangreihe journalistischen Tuns entschädigen.
18 <strong>Club</strong> spezial<br />
Bild-Chef<br />
Immer sieht er Menschen, Personen, Persönlichkeiten im Mittelpunkt<br />
als Dreh- und Angelpunkt der Berichterstattung. Für Kai<br />
Diekmann ist dies die Konsequenz aus der „kollektiv verbindenden<br />
Kraft des Klatsches“. Leute wie Boris Becker, Uschi Glas und<br />
Olli Kahn hätten, so Diekmanns Begründung, Vorbildcharakter,<br />
seien „Identifikationsfiguren und Taktgeber für die Gesellschaft“.<br />
Das Bedürfnis nach „lebensnaher Orientierung“ als<br />
Rechtfertigung für die Öffnung des Privaten? Geht lebensnahe<br />
Orientierung nicht auch anders? Und wenn nicht, braucht der<br />
Mensch Schlagzeilen, wie „Vom Ballon in die Luft gerissen, ihr<br />
Horror-Tod wird endlich gesühnt“ (Bild-Bundesausgabe, 11.<br />
Februar 2005)? Kai Diekmann verteidigt seinen „emotionalen<br />
Ansatz“. Er konzentriert eine Debatte, macht sie spannend,<br />
nimmt ihr das Abstrakte. Menschen stünden im Raum mit Motiven,<br />
Zielen und Absichten. Wie im wahren Leben, wo es auch<br />
nicht immer um sachliche Argumente gehe, sondern Eitelkeiten,<br />
Macht, Ehrgeiz und Einfluss den Lauf der Dinge bestimmten, sei<br />
eine „saftige, emotionale Schlagzeile“ nicht nur legitim, sondern<br />
habe „jedes Recht für sich“. Fragezeichen kommen auf, als<br />
Diekmann betont, er habe Probleme mit der Vorführung <strong>von</strong><br />
nicht-prominenten Opfern. Jeder Bild-Zeitungsleser weiß, dass<br />
der Alltag dieses Boulevardblattes eine andere Sprache spricht.<br />
Die Nachfrage nach Unterhaltung, dritte Kernkompetenz des<br />
Blattes, und danach ebenfalls menschliches Grundbedürfnis,<br />
spiegele, so Diekmann, die Lust am Lesen und Leben wider.<br />
Reißerische Überschriften seien „Fröhlicher Unsinn“. Unterhaltung<br />
und gute Laune hätten schließlich noch keinem geschadet,<br />
man solle nicht immer alles so bierernst nehmen.<br />
Ein Unterschied zwischen Bild und anderen Tageszeitungen<br />
liege unumstritten in der Visualisierung. Was Kritiker als Marketingstrategie<br />
<strong>zu</strong>r Erreichung weniger gebildeter Leserschichten<br />
auslegen, erklärt Diekmann als logische Konsequenz, die sich<br />
aus der psychischen Konstitution des Menschen ableiten ließe.<br />
So speichere der Mensch Geschichten in Bildern ab, habe Lust<br />
am Schauen, am optischen Erlebnis. Das Beispiel Ackermann im<br />
Mannesmann-Prozess beweise die Kraft <strong>von</strong> Bildern, „ein Bild<br />
sagt mehr als tausend Worte, reduziert Sachverhalte und<br />
Geschichten auf ihre Essenz“, argumentiert Diekmann. Warum<br />
nicht lieber Fernsehen? Das Angebot sei mittlerweile atomisiert,
19<br />
erklärt Diekmann, wenn der eine in eine Sendung einsteige,<br />
steige der andere gerade aus. Eine gemeinsame Basis für ein<br />
Gespräch könne so nicht mehr entstehen. Bild sei in Deutschland<br />
das letzte gemeinsame Forum in einer immer schnelleren<br />
und unübersichtlicheren, in einer medial zersplitterten Welt.<br />
„Bild hat die höchste tägliche Einschaltquote“, erzählt Diekmann<br />
stolz. Mit täglich 12 Millionen Lesern habe Bild eine<br />
Quote, die nur noch „Wetten, dass?“ erreiche, und das lediglich<br />
sechs Mal im Jahr, Bild dagegen jeden Tag, 365 Mal im Jahr. Ein<br />
Vergleich zwischen Print und Fernsehen? Ein Vergleich der imposant<br />
sei, auch wenn er hinke.<br />
Informieren, Orientieren, Personalisieren, Unterhalten und<br />
Visualisieren, die fünf Grundpfeiler der Bild-Zeitung, intelligent<br />
und witzig dargestellt, und mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein<br />
vorgetragen, das bleibt in Erinnerung. Kai Diekmann<br />
ist nicht nur ein geschickter Selbstdarsteller, sondern auch ein<br />
blendender Vermarkter seiner Blatt-Ideologie. Nicht ohne das<br />
wohl kalkulierte Eingeständnis, „dass wo gearbeitet wird, auch<br />
Fehler gemacht werden“, vermarktet der Bildchef professionell<br />
das reichweitenstärkste Boulevardblatt Europas. „Schlagzeilen<br />
müssen auch mal Schläge sein“, dieser Satz steht wie in Stein<br />
gemeißelt. Wer einen Tag nach seinem Vortrag im <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
die Bild-Zeitung <strong>zu</strong>m Kaffee aufschlägt, erfährt im Titel:<br />
„Charles heiratet Camilla - Was hat DIE was DI nicht hatte?“<br />
Nächste Überschrift „Februar-Schock! Noch mal 100.000<br />
Arbeitslose mehr?“, und der Sportteil schreit „Das Elends-<strong>Der</strong>by<br />
- Kein Geld gegen keine Punkte“. Ausführliche Informationen<br />
muss man lange suchen, dafür erfährt der Leser, dass Moni, das<br />
barbusige „Girl auf Seite 1“, nicht lange warten will auf den<br />
„Stammgast mit den hungrigen Augen“. An diesem Morgen, nach<br />
dem Vortrag des Herrn Chefredakteur, hat uns die Realität wieder<br />
und wir erinnern uns an den Satz <strong>von</strong> Kai Diekmann: „Guter<br />
Boulevard muss laut sein, muss auch mal schreien…bei uns<br />
badet man mal heiß, mal kalt, aber nie lauwarm.“<br />
Was gemeint ist, kann man am Tag nach Diekmanns Vortrag<br />
lesen: „<strong>Der</strong> Porno-Trompeter…und hier jagt schon wieder ein<br />
Perverser junge Mädchen.“ Heiß, kalt, oder einfach geschmacklos?<br />
Harald Schmidt hat jüngst anschaulich vorgeführt, wie das<br />
Bild-Wechselbad der Gefühle angerichtet wird. Die ersten sechs<br />
Wochen diesen Jahres waren ausschließlich mit Schlagzeilen<br />
über „Tsunami“, „Mosi“ und „Schiri“ auf den Titelseiten der<br />
Bild-Zeitung vertreten. Dieser Kampagnenjournalismus, der ein<br />
Thema, eine Person über Tage, manchmal über Wochen in den<br />
Schlagzeilen traktiert und so seine eigene Nachfrage schafft, ist<br />
ein erprobtes Erfolgsrezept in der Strategie der Bild-Macher.<br />
„Ein Massenmedium <strong>zu</strong> führen, heißt auch viel Verantwortung<br />
<strong>zu</strong> haben“, erklärt Diekmann. Dass ihm gelegentlich Kampagnenjournalismus<br />
unterstellt wird, weist er <strong>zu</strong>rück. „Wer den Hintern<br />
aus dem Fenster hängt, der muss auch mal damit rechnen,<br />
dass es draufregnet.“ Wie recht er hat. Wer im <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
einen Vortrag hält, muss auch damit rechnen, dass ihm kritisch<br />
<strong>zu</strong>gehört wird.
20 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> jetzt online<br />
Aus<strong>zu</strong>bildende der hanke multimediahaus AG realisieren<br />
Online-Auftritt des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> geht online. Durch den Internetauftritt<br />
erfahren Besucher nun auch virtuell, was der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
heute ist, wie er sich in seiner 222 Jahre alten Geschichte entwickelt<br />
hat und welche Veranstaltungen er aktuell anbietet. Zu<br />
den Programmen können sich <strong>Club</strong>-Mitglieder jetzt ganz bequem<br />
am heimischen PC anmelden. Die Website haben die Aus<strong>zu</strong>bildenden<br />
Benjamin Hemken, Daniel Kuhnke (beide Programmierung),<br />
Janine Wachendorf (Design) und Kerstin Sandelmann<br />
(Design und Konzeption) der Bremer e-commerce- und Multimediaagentur<br />
hanke multimediahaus AG realisiert. Sie konzipierten,<br />
gestalteten und programmierten den kompletten Internetauftritt<br />
des <strong>Club</strong>s.<br />
Die jungen multimedia A<strong>zu</strong>bis, die mit vielen inhaltlichen Informationen<br />
und neuen Softwarekomponenten umgehen mussten,<br />
hatten so die Möglichkeit, projektnah und kundenorientiert <strong>zu</strong><br />
lernen und selbstständig ein Projekt <strong>zu</strong> führen und fertig <strong>zu</strong><br />
stellen.<br />
Die Site zeigt sich in einem übersichtlichen Design, das auf dem<br />
Corporate Design des <strong>Club</strong>s basiert. Stimmungsbilder mit Fotos<br />
der Mitglieder zeigen, worum es dem <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> geht. Die<br />
Navigation ist übersichtlich und klar, so dass die User sich<br />
schnell auf der Website <strong>zu</strong>recht finden. Außerdem sorgte das<br />
hmmh-Team dafür, dass eine Anmeldung <strong>zu</strong> Veranstaltungen des<br />
<strong>Club</strong>s einfach und schnell über das Internet möglich ist.<br />
Insgesamt ist die Website gut strukturiert und leicht <strong>zu</strong> bedienen,<br />
ebenso wie das dahinter liegende Content Management<br />
System (CMS). Die Hauptziele des Projektes waren ein schnell <strong>zu</strong><br />
erlernendes, leichtgewichtiges System <strong>zu</strong> entwerfen, damit Vorstand<br />
und Geschäftsführung des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> schnell und<br />
ohne großen Aufwand jederzeit aktuelle Informationen selbst<br />
weitergeben können. Das Layout des CMS wurde gezielt an die<br />
Seiten angepasst (Struktur, Farben, CI), so dass sich die <strong>Club</strong>-<br />
Redaktion schnell <strong>zu</strong>recht findet und die Inhalte der Seite pflegen<br />
kann.<br />
Die technische Umset<strong>zu</strong>ng wurde ausschließlich auf Basis <strong>von</strong><br />
lizenzfreier Open Source Software realisiert. Für den Image-Auftritt<br />
wurde der Webserver Apache in Kombination mit dem<br />
Datenbanksystem MySQL und der Skriptsprache PHP ausgewählt.<br />
Das Content Management System, mit dem die Inhalte der Seiten<br />
<strong>von</strong> der Redaktion eingegeben werden, wurde auf Basis des<br />
freien Webapplikationsservers ZOPE erstellt.<br />
Die hanke multimediahaus AG zählt <strong>zu</strong> den 20 erfolgreichsten<br />
Multimedia-Agenturen Deutschlands. Zu ihren Kunden gehören<br />
u. a. Otto, Tchibo, bonprix, Conrad Electronic, Stilwerk, die<br />
Aktion Mensch sowie Pfizer, B.O.C und der Bundesverband Druck<br />
und Medien.<br />
Dem <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> ist die hanke multimedia AG mit diesem<br />
Projekt als Sponsor verbunden.
22 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Eine lange Tradition<br />
Domizile in 222 Jahren
Klaus Berthold<br />
In drei Jahren feiert der „<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“ sein 225-jähriges<br />
Bestehen. Anlass genug, sich mit der Geschichte des <strong>Club</strong>s <strong>zu</strong><br />
beschäftigen. Ein 72 Jahre altes Buch leistet Hilfestellung.<br />
1933 vom „<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“ herausgegeben, trägt es den Titel<br />
„150 Jahre Bremer <strong>Club</strong>leben – Ein Beitrag <strong>zu</strong>r Kulturgeschichte<br />
<strong>Bremen</strong>s“. In der Stadtbibliothek <strong>Bremen</strong> und der Staats- und<br />
Universitätsbibliothek <strong>Bremen</strong> kann man es einsehen. Mit ein<br />
wenig Glück ist es antiquarisch <strong>zu</strong> erwerben. Das umfangreich<br />
illustrierte, 463seitige Werk schärft den Blick für Höhen und Tiefen,<br />
die der <strong>Club</strong> in der langen Zeit seines Bestehens durchlaufen<br />
hat und vermittelt gleichzeitig spannende Einblicke in die<br />
Geschichte <strong>Bremen</strong>s.<br />
Nach Ende des zweiten Weltkrieges hatte der „<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“<br />
seine neue Heimat im Herzen der Stadt, in den Kellergewölben<br />
des Schütting gefunden. In der Kaffeestube erinnern zwei Bilder<br />
und eine hohe, dekorierte Porzellanvase an frühere <strong>Club</strong>gebäude<br />
und lassen die Bedeutung des traditionsreichen <strong>Club</strong>s für<br />
das geistige und gesellschaftliche Leben <strong>Bremen</strong>s auch in den<br />
vergangenen Jahrhunderten erahnen.<br />
Vorgänger des „<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“ war eine nach 1774 gegründete<br />
„Historische Lesegesellschaft“, die abwechselnd in den Häusern<br />
ihrer Mitglieder tagte. Am 10. Januar 1776 wurde eine<br />
zweite Privatgesellschaft, die „Physikalische Gesellschaft“<br />
gegründet, die sich vor allem mit Physik und Naturgeschichte<br />
befasste und die Sammlung <strong>von</strong> naturwissenschaftlichen<br />
Büchern, Objekten und Kunstwerken betrieb.<br />
Für 40 bis 50 Reichstaler mietete die Physikalische Gesellschaft<br />
zwei Zimmer in der Altstadt. Dort fanden die ersten fünf Vorlesungen<br />
statt. Schnell wurden diese Räume <strong>zu</strong> klein. Weitere Mitglieder<br />
konnten nicht aufgenommen werden. Gegen Zahlung <strong>von</strong><br />
27 Reichstalern und 18 Groten beendete man den Mietvertrag,<br />
um im Mai 1776 ein Haus mit Garten in der Großen Johannis-<br />
23<br />
straße <strong>von</strong> Mitglied Ältermann Johann Rouwe <strong>zu</strong> beziehen. Für<br />
dieses Haus in der Neustadt waren jährlich 120 Reichstaler fällig.<br />
Es hatte sechs kleine, aber helle Zimmer. Das größte war für<br />
das Thema Vögel bestimmt, das weiße für Kunstgegenstände,<br />
das hintere für die Versteinerungen und die drei übrigen für die<br />
Aufstellung der Bibliothek, für Vorlesungen und Zusammenkünfte.<br />
Da jetzt genug Platz vorhanden war, konzentrierte man sich insbesondere<br />
auf den Ausbau der Sammlungen. Ankäufe, zahlreiche<br />
Schenkungen und Leihgaben vermehrten rasch deren Bestand.<br />
Jeden Montag traf man sich <strong>zu</strong> Vorlesungen, Versuchen oder<br />
Erklärungen <strong>von</strong> Exponaten mit anschließenden Gesprächen im<br />
kleinen Kreis. Spielen war nicht gestattet.<br />
An Dienstagen waren die Bibliothek und der Lektüresaal <strong>von</strong> 14<br />
bis 16 Uhr geöffnet.<br />
Im März 1783 gaben sich die bereits seit 1781 vereinigten<br />
Gesellschaften unter dem Namen „Das Gesetz <strong>von</strong> 1783“ eine<br />
neue Verfassung. Die Zahl der Mitglieder nahm weiter <strong>zu</strong>. Es<br />
musste ein neues <strong>Club</strong>haus gesucht werden. Im Juli 1785 konn-
24 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Eine lange Tradition<br />
te man nach langen Verhandlungen auf 20 Jahre das an der Ostseite<br />
des Domshof gelegene Lutherische Waisenhaus für jährlich<br />
220 Reichstaler anmieten.<br />
Nach dem Umbau <strong>zu</strong>m „Physikalischen Institut“ erhob der Vorstand<br />
eine Umlage <strong>von</strong> 4 Reichstalern, um dessen Einrichtung<br />
<strong>zu</strong> finanzieren. Uhrmacher Thiele wurde als Ökonom verpflichtet.<br />
Er wohnte im Haus und hatte für das leibliche Wohl der 40<br />
Mitglieder <strong>zu</strong> sorgen.<br />
Ein Jahr später eröffnete Dr. Arnold Wienholt das „neue Museo“<br />
mit einem Vortrag über die Geschichte der Gesellschaft. Die Mitglieder<br />
Kulenkamp und Gildemeister führten Experimente mit<br />
Phosphor vor, die der Arzt und Astronom Dr. Heinrich Wilhelm<br />
Matthias Olbers den staunenden <strong>Club</strong>mitgliedern erläuterte.<br />
1789 hatte die Gesellschaft bereits 200 Mitglieder. Das Gesuch,<br />
ein größeres <strong>Club</strong>haus auf einer der seit 1802 geschleiften Bastionen<br />
errichten <strong>zu</strong> dürfen, wurde jedoch vom Rat abgelehnt.<br />
Für 28.000 Taler ersteigerte man am 31. Mai 1805 die früher <strong>zu</strong><br />
den Besit<strong>zu</strong>ngen des Erzbischofs gehörige Intendantur Ecke<br />
Domshof und Schüsselkorb.<br />
Kauf, Umbau und Einrichtung des neuen Domizils wurden wie<br />
folgt finanziert: 20.000 Taler durch Subskription der Mitglieder<br />
gegen Aktien, 21.704 Taler 48 Groten aus dem Fond der Gesellschaft<br />
und 65.000 Taler durch Anleihen.<br />
<strong>Der</strong>zeit hieß die Gesellschaft inoffiziell schon lange „Museum“.
Aufgrund ihrer regen und erfolgreichen Sammlungstätigkeit<br />
wurde die „Physikalische Gesellschaft“ am 19. Oktober 1805<br />
offiziell in „Museum“ umbenannt. Am 24. Oktober 1808 fand die<br />
Eröffnung des Hauses mit Experimenten und Festgedichten, die<br />
<strong>von</strong> zwei Mitgliedern verfasst wurden, statt.<br />
Geöffnet hatte man <strong>von</strong> täglich <strong>von</strong> 9 bis 23 Uhr. Im Lesezimmer<br />
lagen die wichtigsten in- und ausländischen Zeitungen und<br />
Zeitschriften aus. Die ausgestopften Vierfüßer, Vögel, Insekten<br />
und anatomischen Präparate sowie kleinere Maschinen und exotische<br />
Gegenstände aus Übersee, beeindruckten Mitglieder und<br />
auswärtige Besucher gleichermaßen.<br />
Einige Jahre später versuchte der napoleonische Präfekt Comte<br />
d´Arberg erfolglos, das „Museum“ <strong>zu</strong> seinem Amtssitz <strong>zu</strong><br />
machen. Auf seinen Befehl jedoch wurde es am 12. Januar 1813<br />
geschlossen. Am 9. November des Jahres, drei Wochen nach der<br />
Schlacht bei Leipzig, erhielt die Gesellschaft das Haus <strong>zu</strong>rück.<br />
1817 wurde hier eine der ersten Gasbeleuchtungen installiert,<br />
die lebhaft bestaunt wurde.<br />
In den folgenden Jahren gelang es aller Anstrengungen <strong>zu</strong>m<br />
Trotz nicht, den Vorlesungsbetrieb aufrecht<strong>zu</strong>erhalten. <strong>Der</strong><br />
ursprünglich rein wissenschaftliche Verein wandelte sich, bei<br />
ständig steigender Mitgliederzahl, <strong>zu</strong> einem „<strong>Club</strong> für Lektüre<br />
und Geselligkeit“. Das „Museum“ ließ nun auch Bälle, Konzerte<br />
und Spiele <strong>zu</strong>. Die Forderung nach Einrichtung einer „Börsenhalle“<br />
wurde zwar abgelehnt, ein Zimmer aber wurde <strong>zu</strong>r Vorbörse.<br />
Von 1838 bis 1864 wurden mehrere Räume in der Bel-<br />
Étage an acht Assekuranz-Compagnien vermietet. Hierfür setzte<br />
man eigens ein weiteres Stockwerk auf.<br />
1873 wurde das Gebäude erneut verändert. <strong>Der</strong> <strong>zu</strong>nehmende<br />
Wohlstand ließ die Ansprüche der 722 Mitglieder steigen. Im<br />
Januar 1875 weihte der Vorsitzende Senator Dr. Pauli das Gebäude<br />
mit einem Festessen ein. Das Haus mit Front <strong>zu</strong>m Domshof<br />
war für 400.000 Mark im Stil der italienischen Renaissance fer-<br />
25<br />
tig gestellt worden. In den neuen Räumen entfaltete sich für<br />
drei Jahrzehnte das Leben eines vornehmen Herrenklubs, ganz<br />
unbeschwert <strong>von</strong> wissenschaftlichen und merkantilen Belangen.<br />
Bis 1870 konnten die Bibliothek und die Sammlungen weiter<br />
ausgebaut werden. Bald darauf erkannte man, dass „die Doppelnatur<br />
der Gesellschaft“ auf Dauer nicht haltbar war. Eine<br />
Kommission „<strong>zu</strong>r Beratung der Frage, ob und wie sich eine Ausscheidung<br />
der naturhistorischen und ethnographischen Sammlungen<br />
und der damit in engem Zusammenhang stehenden Teile<br />
der Bibliothek empfehle“ wurde eingesetzt.<br />
Fünf Jahre später übergab das Museum 13.000 Bücher an die<br />
Stadtbibliotheken in <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven. Die Sammlungen<br />
im geschätzten Wert <strong>von</strong> 200.000 Mark wurden dem Staat<br />
„ohne Beschränkung und ohne Verpflichtung“ geschenkt. Sie<br />
bildeten den Grundstock des späteren Städtischen Museums für<br />
Natur-, Völker- und Handelskunde.<br />
1876 hatte die Gesellschaft „Museum“ ihren Zenit überschritten.<br />
Die Kosten für das stattliche Domizil am Domshof drückten.<br />
Dennoch wurde 1883, nach anfänglichem Zögern, das 100jährige<br />
Stiftungsfest bei einem üppigen Festmahl mit anschließendem<br />
Tanz begangen. Die Mitgliederzahl war jedoch weiter rückläufig.<br />
Im Jahre 1906 zählte die Gesellschaft „Museum“ nur noch 323<br />
Mitglieder. Auf Beschluss der Generalversammlung musste das<br />
Haus 1911 für 335.000 Mark verkauft werden. Neue Räume fand<br />
der <strong>Club</strong> am Wall, gegenüber vom Theater, in der ersten Etage<br />
des Neubaus der Firma Stallmann & Harder.<br />
Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse und eine weiter<br />
sinkende Mitgliederzahl begründeten die Fusionierung mit der<br />
„Bremer Gesellschaft <strong>von</strong> 1914“, die bis Oktober 1926 eigene<br />
<strong>Club</strong>räume im Obergeschoß der Ratsstuben hatte. Später konnte<br />
sie <strong>von</strong> dem großzügigen Angebot eines ihrer Mitglieder, Ludwig<br />
Roselius, dem Gründer <strong>von</strong> Kaffee HAG, Gebrauch machen<br />
und übernahm die Gesellschaftsräume im neu gebauten St.-
26 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Eine lange Tradition<br />
Petrus-Haus in der Böttcherstraße. Ludwig Roselius als großer<br />
Förderer bot den Gesellschaften im Fall einer Vereinigung an,<br />
repräsentative Räumlichkeiten im Haus Atlantis und im Robinson-Crusoe<br />
Haus <strong>zu</strong>r Verfügung <strong>zu</strong> stellen.<br />
1931 schließlich wurde aus der altehrwürdigen Gesellschaft<br />
„Museum“ und der jungen „Bremer Gesellschaft <strong>von</strong> 1914“ der<br />
„<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“.<br />
<strong>Der</strong> Zusammenschluss beider Gesellschaften erwies sich als richtig.<br />
<strong>Der</strong> Zustrom neuer Mitglieder war, dank der einzigartigen<br />
<strong>Club</strong>räume und des umfangreichen, für die damalige Zeit ausgesprochen<br />
attraktiven Vortragsprogramms, beachtlich. Ein Jahr<br />
nach der Verschmel<strong>zu</strong>ng beider Gesellschaften hatte der „<strong>Club</strong><br />
<strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“ bereits deutlich mehr als 1000 Mitglieder. Erster<br />
Präsident war Dr. Friedrich Carl, Vorsitzer der jüngeren Gesellschaft.<br />
Sein Nachfolger wurde 1932 der Kaufmann Friedrich<br />
Roselius, der Bruder <strong>von</strong> Ludwig Roselius.<br />
Politische Veränderungen zwangen auch den „<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“<br />
in die Knie. 1934 musste auf Druck der Obersten SA-Führung der<br />
Name des <strong>Club</strong>s in „Haus der Hanse <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“ geändert werden.<br />
Schon in der Mitgliederversammlung <strong>von</strong> 1935 konnte<br />
jedoch die Wiedereinführung des alten Namens erreicht werden.<br />
Während des Dritten Reichs 1944 fielen mit der Böttcherstraße<br />
auch die attraktiven <strong>Club</strong>räume den Bomben <strong>zu</strong>m Opfer.<br />
Nach zwei Weltkriegen und ein paar ereignisreichen Jahrhunderten<br />
<strong>Club</strong>geschichte konnten 1952 die ersten beiden Räume<br />
im wieder aufgebauten Schütting bezogen werden. Die Kellergewölbe<br />
in dem traditionsreichen Renaissance-Gebäude der Handelskammer<br />
sind bis heute das Domizil des „<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“.<br />
Bildhinweis:<br />
Seite 22: Erstes <strong>Club</strong>haus des Museums 1785-1808<br />
Seite 23: <strong>Club</strong>lokal bis 1785<br />
Seite 24 oben: <strong>Club</strong>haus Museum seit 1808<br />
Seite 24 unten: Museum mit dem Aufbau <strong>von</strong> 1838<br />
Seite 26: Museum nach dem Umbau 1875, Domshof<br />
Quelle:<br />
„150 Jahre Bremer <strong>Club</strong>leben“<br />
Herausgegeben vom <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> 1933
28 <strong>Bremen</strong><br />
Reich, aber arm gerechnet<br />
Reich, aber arm gerechnet<br />
Dr. Patrick Wendisch<br />
Präses der Handelskammer <strong>Bremen</strong><br />
Plädoyer für einen starken Stadtstaat <strong>Bremen</strong><br />
und ein gerechteres föderales Finanzausgleichssystem<br />
Zugegeben – es ist schwarz gezeichnet, was Ambrose Bierce<br />
1911 in „Des Teufels Wörterbuch“ über die Gerechtigkeit<br />
geschrieben hat: sie sei „ein Gegenstand, den der Staat in mehr<br />
oder minder verdorbenem Zustand dem Bürger verkauft, als Entgelt<br />
für dessen Treue, Steuerzahlung und persönlichen Dienste“.<br />
Diese Einschät<strong>zu</strong>ng klingt düster, ganz <strong>von</strong> der Hand <strong>zu</strong> weisen<br />
ist sie – <strong>zu</strong>mindest angesichts des Zusammenspiels der deutschen<br />
Bundesländer – allerdings nicht.<br />
Im föderalen Finanzausgleich haben wir in Deutschland mittlerweile<br />
<strong>zu</strong>mindest einen ungerechten, eigentlich fast schon verfassungswidrigen<br />
Zustand erreicht. Ein Stadtstaat wie <strong>Bremen</strong><br />
steht bundesweit im Ruf, das Armenhaus der Nation <strong>zu</strong> sein.<br />
Hinter – noch – vorgehaltener Hand wird diskutiert, wie lange<br />
der „reiche Süden“ diesen „armen Norden“ denn durchfüttern<br />
soll. Wenn wir allerdings die objektiven Fakten dagegenhalten –<br />
ein über Jahre hinweg über dem Bundesdurchschnitt liegendes<br />
Wirtschaftswachstum in <strong>Bremen</strong> mit entsprechender Steuerkraft<br />
– können wir nur <strong>zu</strong> einem Schluss kommen: An dieser Finanzausgleichsstruktur<br />
in Deutschland muss es einen grundlegenden<br />
Systemfehler geben, wenn überproportional wirtschaftstarke<br />
Stadtstaaten <strong>zu</strong> so genannten Nehmerländern im Länderfinanzausgleich<br />
klein gerechnet werden.<br />
Falsch verstandenes Prinzip<br />
Ein deutsches Sprichwort sagt: „Wenn man die Gerechtigkeit<br />
biegt, dann bricht sie.“ Im föderalen Finanzausgleich ist die<br />
Sollbruchstelle bis kurz vor dem Durchbrechen belastet. Die<br />
Ergebnisse des Koalitionsausschusses in den vergangenen<br />
Wochen haben deutlich gezeigt, dass es <strong>Bremen</strong> auch durch weitere<br />
Einsparungen bei den konsumtiven Ausgaben nicht gelin-<br />
gen kann, <strong>zu</strong> konsolidierten öffentlichen Haushalten <strong>zu</strong> kommen<br />
– schon gar nicht, wenn nach einem falsch verstandenen Prinzip<br />
der „gerechten Kür<strong>zu</strong>ngen“ der Rotstift auch bei den Investitionen<br />
angesetzt wird: Ausgaben, die nicht um ihrer selbst<br />
willen oder für einzelne privilegierte Bevölkerungsgruppen<br />
getätigt werden, sondern da<strong>zu</strong> gedacht sind, die Wirtschaftskraft<br />
<strong>Bremen</strong>s <strong>zu</strong> steigern und dadurch <strong>zu</strong>sätzliche Arbeitsplätze<br />
<strong>zu</strong> schaffen.<br />
Wenn Kür<strong>zu</strong>ngen bei den beiden großen Ausgabeposten „Personal“<br />
und „Soziales“ anstehen, wird gewiss niemand ernsthaft<br />
auf einen ungerechten Sozialstaat hinarbeiten wollen. Was aber<br />
sollte gerechter sein, als darauf ab<strong>zu</strong>zielen, Arbeit und nicht die<br />
Arbeitslosigkeit <strong>zu</strong> finanzieren. Um dies <strong>zu</strong> erreichen, muss in<br />
den Köpfen aber spürbarer als bisher der Gedanke verankert werden,<br />
dass sparen im Konsumtiven und Investieren in standortstärkende<br />
Infrastrukturen keine unvereinbaren Widersprüche<br />
darstellen, die gegeneinander ausgespielt werden müssten. Das<br />
Eine wie das Andere trägt da<strong>zu</strong> bei, unseren Stadtstaat nach<br />
vorne <strong>zu</strong> bringen. Bei den Investitionen <strong>zu</strong> sparen, wäre wie der<br />
Versuch, den Spritverbrauch <strong>zu</strong> senken, indem ein billigeres<br />
Auto gekauft wird. Nicht der Anschaffungspreis oder die Finanzierung<br />
zählen, sondern das Ergebnis unter dem Strich aus Aufwand<br />
und Ertrag.<br />
<strong>Bremen</strong> gehört <strong>zu</strong> den Starken<br />
Um es einmal plakativ <strong>zu</strong> sagen: <strong>Bremen</strong> ist nicht arm. Durch die<br />
Steuerverteilung und anschließend den Finanzausgleich wird es<br />
stattdessen arm gerechnet. Fakt ist, dass <strong>Bremen</strong> durch die<br />
Steuerzerlegung <strong>von</strong> 140 Prozent des Bundesdurchschnitts der<br />
Flächenländer auf 106 Prozent heruntergezogen wird. Dadurch<br />
verliert die Freie Hansestadt also rund 36 Prozent ihrer eigentlichen<br />
Finanzkraft und befindet sich in einer absurden Situation:<br />
Im Wettbewerb mit den anderen Ländern gehört <strong>Bremen</strong> <strong>zu</strong><br />
den Starken. Den Wettlauf kann es aber nicht gewinnen, wenn<br />
die Startlinie für jedes Bundesland an einer anderen Stelle gezo-
gen ist. <strong>Bremen</strong> rennt, obwohl die Wurst nicht vorne, sondern<br />
hinten hängt. Aber es rennt, weil es seine einzige Chance ist,<br />
überhaupt etwas <strong>zu</strong> bewegen. Möglicherweise ist ja auch dies<br />
eine Stärke der Jahrhunderte langen Selbstständigkeit. Wenn<br />
man mit dem Rücken an der Wand steht, muss man handeln und<br />
den Standort nach vorn bringen. „Handele oder Du wirst gehandelt“,<br />
heißt ein Sprichwort.<br />
Die Diskussion um Geber und Nehmer im Länderfinanzausgleich<br />
befindet sich in Deutschland also in einer erheblichen Schieflage:<br />
<strong>Bremen</strong> ist nicht Haushaltsnotlage-Land, weil es ein Stadtstaat<br />
ist, sondern die Haushaltsnotlage resultiert aus einer eklatanten<br />
Benachteiligung der Stadtstaaten im föderalen Finanzausgleichssystem.<br />
Wer sich in Deutschland ernsthaft daran<br />
machen möchte, die Vorzeichen <strong>zu</strong> mehr Wachstum und Gerechtigkeit<br />
<strong>zu</strong> verändern, darf hier Ursache und Wirkung nicht verwechseln.<br />
Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder die leider<br />
gescheiterte Föderalismus-Debatte jetzt endlich mit Erfolgen<br />
versehen möchte, dürfen diese Aspekte nicht aus dem Blick<br />
geraten.<br />
Maritime Stärke für Deutschland<br />
Größe mit Stärke und Kleinheit mit Schwäche gleich<strong>zu</strong>setzen –<br />
das lehrt schon die biblische Fabel <strong>von</strong> David und Goliath – ist<br />
ohnehin der falsche Weg. Für <strong>Bremen</strong> kann man sagen, dass die<br />
Industrie und der Mittelstand auch in der aktuell schwierigen<br />
Konjunktur durchaus robust sind. Die Arbeitsplätze im Mittelstand<br />
wachsen gegen den Bundestrend. Zwischen 1999 und<br />
2003 hat der bremische Mittelstand sogar mehr <strong>zu</strong>sätzliche<br />
Arbeitsplätze geschaffen, als in den Großunternehmen verloren<br />
gegangenen sind. Erst im November 2004 hat eine Studie des<br />
iwd-Instituts wieder deutlich gezeigt, das <strong>Bremen</strong> unter 97<br />
deutschen Arbeitsmarktregionen an der Spitze der Regionen mit<br />
der höchsten Arbeitsplatzdichte steht, obwohl insgesamt die<br />
Anzahl der Arbeitsplätze im Bund wie in <strong>Bremen</strong> nicht herausragend<br />
ist.<br />
29<br />
Das Wirtschaftswachstum des gesamten maritimen Sektors trägt<br />
einen wesentlichen Anteil <strong>zu</strong>m mageren Wirtschaftswachstum<br />
Deutschlands bei. Könnten alle das Wachstum des bremischen<br />
Hafenumschlags und des Groß- und Außenhandels aufweisen –<br />
immerhin 8,2 Prozent in 2004 –, bräuchten wir uns um Arbeitsplätze,<br />
Steuerkraft und wirtschaftliche Dynamik in Deutschland<br />
wenig Sorgen <strong>zu</strong> machen.<br />
Tradition der Unabhängigkeit<br />
<strong>Bremen</strong> – das zeigen harte und weiche Standortfaktoren und<br />
zeigt vor allem auch seine lange Tradition der Unabhängigkeit –<br />
hat sich in schwierigen Zeiten vor allem darum so erfolgreich<br />
behauptet, weil es als Stadtstaat gewohnt war, seine Zukunft<br />
mit erheblicher emotionaler Beteiligung seiner Bürger selbst in<br />
die Hand <strong>zu</strong> nehmen. <strong>Bremen</strong>s Reichtum – vor allem auch in<br />
ideeller Hinsicht – ist unbezahlbar. Und dies ist gewiss kein Plädoyer,<br />
sich selbst <strong>zu</strong> genügen und die aktuellen Herausforderungen<br />
klein <strong>zu</strong> reden – im Gegenteil: <strong>Bremen</strong>s Zukunft wird<br />
darin bestehen, dass es sich als selbstständiger Stadtstaat und<br />
Metropole einer wirtschaftsstarken, zentral gelegenen und<br />
lebenswerten Region stärkt und sich nicht auf ein Mittelmaß<br />
nivellieren lässt.<br />
Alles andere wäre der Geschichte <strong>Bremen</strong>s unangemessen und<br />
wäre – auch dies muss gesagt sein – für die Zukunft Deutschlands<br />
kontraproduktiv. Denn auch auf Bundesebene muss es<br />
gelingen, die Stärken der Länder <strong>zu</strong> fördern, um die Schwächen<br />
<strong>zu</strong> überwinden. Und gelingen würde dies gewiss nicht, wenn der<br />
Bundesstaat aus einer definierten Anzahl gleichgroßer Länder<br />
bestünde. Gerechtigkeit für den Bürger wird am ehesten<br />
erreicht, wenn dieser auf Sozialleistungen verzichten kann, weil<br />
er einen Arbeitsplatz hat. Und dies <strong>zu</strong> schaffen, ist wichtiger,<br />
als das Heil im Verschieben <strong>von</strong> Ländergrenzen <strong>zu</strong> suchen!
30 <strong>Bremen</strong><br />
Region als Dachmarke<br />
Nordwestregion<br />
Franz Ganss<br />
Region als Dachmarke<br />
Wenn der Nordwesten mit seinen beiden Metropolen <strong>Bremen</strong><br />
und Oldenburg auf dem europäischen Spielfeld im Standortwettbewerb<br />
der Regionen noch eine Chance haben will, dann<br />
muss er sich ganz schnell auf die Beine machen, meint Professor<br />
Rolf Heinze, der Experte für Standortpolitik <strong>von</strong> der Ruhr<br />
Universität Bochum. „<strong>Der</strong> Nordwestraum muss sich als attraktiver<br />
Standort mit Zukunft präsentieren“, fordert er in seinem <strong>von</strong><br />
der Bremer Landesbank in Auftrag gegebenen Gutachten „<strong>Der</strong><br />
Nordwestraum – Eine Region formiert sich für den Standortwettbewerb“<br />
und plädiert in einer Pressekonferenz Anfang März<br />
dafür, <strong>zu</strong>allererst einmal die administrativen Grenzen im Nordwesten<br />
<strong>zu</strong> vergessen und das Ganze als Wirtschaftsregion <strong>zu</strong><br />
sehen, die auch im europäischen Vergleich der Regionen ganz<br />
selbstbewusst auf ganz unterschiedliche Stärken verweisen<br />
kann.<br />
„Die Globalisierung hat da<strong>zu</strong> geführt, dass <strong>zu</strong>nehmend nicht<br />
mehr Nationen sondern Wirtschaftsregionen miteinander konkurrieren“,<br />
meint Heinze. Im Fokus seiner Studie steht vor allem<br />
die Frage, was die Region Nordwest <strong>von</strong> anderen regionalen<br />
Erfolgsmodellen lernen kann und welche konkreten Ansätze sich<br />
daraus für eine koordinierte Standortpolitik im Nordwesten<br />
ergeben.<br />
Thomas Christian Buchbinder, der Vorstandschef der Bremer Landesbank,<br />
die diese Studie bei Prof. Heinze in Auftrag gegeben<br />
hat, erwartet, „dass diese Arbeit einen Beitrag <strong>zu</strong> den europaweit<br />
laufenden Regionalisierungsprozessen leistet, in denen<br />
sich regionale Standorte nationenübergreifend für den Wettbewerb<br />
der Zukunft positionieren.“ Analysen herausragender innovativer<br />
Standorte, wie z.B. des Rhein-Neckar-Raums, der sich<br />
staatsvertraglich über drei Ländergrenzen hinweg konstituiert<br />
hat, zeigen, wie erfolgreich solche Kooperationsstrukturen sein<br />
können, wenn sie sich nicht primär an administrativen Grenzen<br />
und Gewohnheiten orientieren. „<strong>Der</strong> Nordwestraum hat viele<br />
Stärken, die kommunikativ gebündelt werden können“, meint<br />
Professor Heinze und verweist auf die maritime Wirtschaft und<br />
Forschung, die Energiewirtschaft, die Logistik, die Nahrungsmittelindustrie,<br />
die Fahrzeugindustrie, die Luft und Raumfahrtindustrie.<br />
Begleitet werden diese ökonomischen Strukturen <strong>von</strong><br />
einem Netz kompetenter Universitäten, Fachhochschulen und<br />
Forschungseinrichtungen. „Aus den traditionellen Wertschöpfungsketten<br />
müssen Wertschöpfungsnetze („Cluster“) werden,<br />
um fruchtbare Allianzen zwischen Politik, Verwaltung, Arbeitgeber-<br />
und Arbeitnehmerorganisationen, Wirtschaftsunternehmen,<br />
Kreditinstitutionen sowie Wissenschaft und Forschung <strong>zu</strong> bilden.“<br />
<strong>Der</strong> Nordwesten mit seinen Küstenlandschaften hat einen<br />
unvergleichlich hohen Erlebniswert. Diese Lebensqualität in<br />
Verbindung mit den gegenüber anderen Metropolen geringeren<br />
Lebenshaltungskosten markiert einen Standortvorteil, den man<br />
gezielt vermarkten kann, um qualifizierte Nachwuchskräfte an<br />
den Nordwesten <strong>zu</strong> binden.<br />
„<strong>Der</strong> Nordwestraum hat bereits eine Reihe hervorragender Kompetenzen,<br />
die sich in guten Quoten der Standort-Rankings<br />
niederschlagen. Um all das, Lebensqualität und Standortqualität,<br />
als Marke im Wettbewerb der Regionen etablieren <strong>zu</strong> können,<br />
bedarf es vor allem eines integrierten und effizienten<br />
Standortmanagements“, fordert Professor Heinze und schlägt als<br />
ersten Meilenstein die Erarbeitung einer regionalen Vision vor.<br />
Darauf könnte ein zielgenaues Marketing aufbauen, mit dem der<br />
Nordwesten als regionale Dachmarke europaweit kommuniziert<br />
werden soll.<br />
„Die Region braucht mehr Profil und Kooperation“, meint Thomas<br />
Christian Buchbinder und der Diepholzer Landrat Gerd Stöt-
Prof. Dr. Rolf Heinze, Ruhr-Universität Bochum Thomas Christian Buchbinder, Bremer Landesbank<br />
zel, ein bekennendes Nichtparteimitglied, kritisiert: „Egal, ob<br />
man das Gebilde nun Metropolregion <strong>Bremen</strong>/Oldenburg oder<br />
Oldenburg/<strong>Bremen</strong> oder Nordwest nennt und die Grenzen bis<br />
nach Ostfriesland und ins Emsland zieht, es mangelt an Selbstbewusstsein<br />
im Norden. Wir müssen frech in die Offensive<br />
gehen. Baden Württemberg macht sogar in Berliner Bussen Werbung.“<br />
Und Professor Heinze fordert: „Es ist keine Zeit mehr für<br />
Reden und Konzepte, jetzt müssen konkrete Taten folgen. Wer<br />
es nicht schafft, seine regionalen Kompetenzen <strong>zu</strong> bündeln und<br />
professionell <strong>zu</strong> vermarkten, wird den Kürzeren ziehen.“ Die Bremer<br />
Landesbank als größte Regionalbank zwischen Ems und Elbe<br />
mit ihren Standorten <strong>Bremen</strong> und Oldenburg fühlt sich der<br />
Nordwestregion traditionell verbunden.<br />
„Wir werden deshalb in Folge dieses Gutachtens <strong>von</strong> Professor<br />
Heinze einen Regionalpreis ausloben, der jährlich für ein besonderes<br />
Engagement <strong>zu</strong>m Thema Nordwestregion vergeben wird.<br />
Eine hochkarätige Jury wird diesen mit zwanzigtausend Euro<br />
ausgestatteten Preis vergeben.“ Keinen Zweifel ließen alle<br />
Beteiligten an der Überzeugung, dass eine erfolgreiche Positionierung<br />
der Nordwestregion fernab <strong>von</strong> Ländergrenzen und<br />
administrativen Zuständigkeiten die Diskussion über eine Neuordnung<br />
des Föderalismus in den Hintergrund drängen würde.<br />
31<br />
Ein entscheidender Schritt in Richtung der notwendigen<br />
Positionierung ist getan: Am 27.04.2005 hat die Ministerkonferenz<br />
für Raumordnung den Raum <strong>Bremen</strong>/Oldenburg in den Kreis<br />
der Metropolregionen aufgenommen. Ein Erfolg für den Nordwesten,<br />
für die Initiatoren und Wegbegleiter des Prozesses (RAG,<br />
Projekte wie RIS oder Arbeitsgemeinschaft der Weser Anlieger,<br />
Handelskammern und INTRA des Kommunalverbundes <strong>Bremen</strong>/Niedersachsen,<br />
um nur einige <strong>zu</strong> nennen). Ein wichtiger<br />
Meilenstein in der laufenden regionalen Zusammenarbeit ist<br />
gesetzt.<br />
Ein nächster Meilenstein wird folgen, da sind sich alle Akteure<br />
einig, seien es Politiker, Vertreter der Wirtschaft (Industrie- und<br />
Handelskammern) und die Vertreter der regionalen Interessensverbünde.<br />
Die gemeinsame Entwicklung muß jetzt durch die<br />
Verabredung konkreter, verbindlicher Maßnahmen vorangetrieben<br />
werden.<br />
Das Zusammenwachsen der Region ist politisch anerkannt - jetzt<br />
gilt es, die Strukturen <strong>zu</strong> schaffen, die andere Regionen bereits<br />
stark gemacht haben. Und es gilt, die Stärken und Schwächen<br />
der Region Nordwest exakt <strong>zu</strong> analysieren, Implikationen ab<strong>zu</strong>leiten,<br />
Handlungsfelder <strong>zu</strong> identifizieren und Maßnahmenpakete<br />
<strong>zu</strong> konkretisieren und priorisieren.
32 Wirtschaft<br />
Senator für Finanzen<br />
Dr. Ulrich Nußbaum<br />
Senator<br />
für Finanzen<br />
<strong>Der</strong> Libero<br />
Fotos: Yasmin Opielok Enge
Yasmin Opielok Enge<br />
Vielleicht war die Beset<strong>zu</strong>ng mit Ulrich Nußbaum als Finanzsenator<br />
ein kluger Schach<strong>zu</strong>g <strong>von</strong> Bürgermeister Henning Scherf:<br />
Als parteiloser und selbstständiger Unternehmer erscheint er<br />
nicht nur glaubwürdiger, sondern konnte mit seinen Sparvorstellungen<br />
mehr Tabus brechen als bisher jeder Parteisoldat. Als<br />
er vor 20 Monaten das schwierige Amt aus staatsbürgerlicher<br />
Verantwortung übernahm, wusste er, was auf ihn <strong>zu</strong>kam, erzählt<br />
Ulrich Nußbaum. Seinen Amtssitz hat der parteilose Finanzsenator<br />
in einem der schönsten Gebäude der Stadt, dem „Haus des<br />
Reichs“, einem Gesamtkunstwerk der Gildemeister-Architektur.<br />
Noch immer ist das Dienstzimmer im ehemaligen Kontorhaus der<br />
Nordwolledynastie in rötlichem Mahagoniholz getäfelt und mit<br />
den originalen Art déco Büromöbeln der Lahusen-Brüder <strong>von</strong><br />
1930 ausgestattet. Eigentlich ist der promovierte Jurist Inhaber<br />
des weltweit erfolgreichen Fischhandelsunternehmen Sea Life<br />
Harvesting. Bevor er Finanzsenator wurde, führte er gemeinsam<br />
mit seinem Partner die Geschäfte der SLH Gruppe und deren<br />
Tochterfirmen. Ein Unternehmen, das sein Geld mit internationalem<br />
Handel <strong>von</strong> Tiefkühlfisch, Schiffsmanagement und technischem<br />
Handel für Fischereifahrzeuge macht. Man könnte<br />
Ulrich Nußbaum also verstehen, wenn er jetzt seinen Senatorenposten<br />
hinschmeißt und nach Bremerhaven <strong>zu</strong>rückkehrt, um<br />
sich fern ab <strong>von</strong> Rampenlicht und Kritik wieder seinem Unternehmen<br />
<strong>zu</strong> widmen. Denn seit Wochen steht der 49jährige Familienvater<br />
<strong>von</strong> zwei Kindern in der Öffentlichkeit als Prügelknabe<br />
da. Mit seinen rigiden Sparmaßnahmen hat er sowohl den<br />
öffentlichen Dienst als auch Vertreter aller Parteien und viele<br />
Bürger gegen sich aufgebracht. Hinschmeißen aber kommt für<br />
einen Mann wie ihn, der in seinem Leben immer wieder auf der<br />
Suche nach Herausforderungen war, nicht in Frage. „Ich kann<br />
und will nicht weglaufen“, und fügt schmunzelnd hin<strong>zu</strong>: „Mitten<br />
im Orkan <strong>zu</strong> stehen, entspricht meinem Naturell noch am<br />
besten.“ Nachdem er Kassensturz gemacht, die finanzielle Wahrheit<br />
offengelegt und der Koalitionsausschuss sich über ein Sparkonzept<br />
geeinigt hat, scheint er Verständnis dafür <strong>zu</strong> haben,<br />
33<br />
dass viele gegen ihn schießen. „Ein gerechter Vorschlag in der<br />
Politik endet meist damit, dass sich alle gegen einen verbünden“,<br />
erklärt er. Dabei habe er nur versucht, den Rotstift so<br />
an<strong>zu</strong>setzen, das es sozial verträglich und sowohl politisch als<br />
auch wirtschaftlich sinnvoll sei. Für ihn als Kaufmann wäre es<br />
ein Drama, sich Jahr für Jahr weiter <strong>zu</strong> verschulden. Im Gegensatz<br />
<strong>zu</strong> anderen Politikern klebt er nicht an seinem Stuhl und<br />
malt sich im Voraus aus, wie die gewaltige Last der Zinsen der<br />
rund 11,5 Milliarden Euro Schulden jede Gestaltungsfähigkeit<br />
der Stadt <strong>zu</strong> ersticken droht. „Mit jedem Jahr, wo wir die Maßnahmen<br />
herauszögern, werden wir noch drastischere Einschnitte<br />
für unsere Kindergärten, Schulen und Hochschulen haben“,<br />
sagt er. Und was niemand wahrhaben möchte: „Die guten Zeiten,<br />
in denen alles finanziert werden konnte, sind erst einmal<br />
vorbei.“ Das Ausbleiben der vom sogenannten Kanzlerbrief<br />
erwarteten Bundesmittel <strong>von</strong> 500 Millionen Euro hat ihn nicht<br />
ernsthaft schockiert. „Es war immer klar, dass die Fragen, die<br />
gelöst werden müssen, nicht mit dem Kanzlerbrief <strong>zu</strong>sammen<br />
hängen“, erklärt er. Er trat sein Amt mit dem Ziel an, dass der<br />
Stadtstaat seine hausgemachten Probleme aus eigener Kraft<br />
lösen und seine Haushaltsnotlage selbstständig verändern muss.<br />
Die Benachteiligung beim Länderfinanzausgleich, bei der Zerlegung<br />
der Steuern, ist für Ulrich Nußbaum der Schlüssel, warum<br />
<strong>Bremen</strong> eigentlich Nehmerland und kein Geberland ist. „Wenn es<br />
in absehbarer Zeit keine Modifizierung dieses feststehenden<br />
Systems gibt, werden wir Klage beim Bundesverfassungsgericht<br />
einreichen müssen“, erklärt er. Im Finanzministerium lässt er<br />
die notwendigen Schritte vorbereiten. Im Gegensatz <strong>zu</strong> anderen<br />
redet der Finanzsenator aber nur <strong>von</strong> einer einzigen Klage und<br />
will sie auch nur als Ultima Ratio verstanden wissen: „Mein<br />
Hauptziel ist es nicht, auf lange Sicht Geld ab<strong>zu</strong>kassieren, sondern<br />
die ungerechte Benachteiligung unseres Stadtstaates <strong>Bremen</strong><br />
<strong>zu</strong> beenden.“ Dass Politik ein Haifischbecken sein kann,<br />
hat er schnell gelernt. Doch Ulrich Nußbaum verfügt über genügend<br />
Selbstbewusstsein, um damit klar <strong>zu</strong> kommen. Er weiß,<br />
dass er all das hat, was die Politik <strong>zu</strong>r Zeit dringend braucht:<br />
Wirtschaftliche Sachkompetenz, Durchset<strong>zu</strong>ngs- und Kompro-
34 Wirtschaft<br />
Senator für Finanzen<br />
missfähigkeit. „Politiker“, stellt er fest, „sind oft <strong>zu</strong> statisch,<br />
was mir als Unternehmer unverständlich ist. Sie denken immer,<br />
dass jede Entscheidung für die Ewigkeit ist. Nach einer zehn<br />
Jahre dauernden Investitionsphase fällt doch niemandem ein<br />
Zacken aus der Krone, wenn wir uns jetzt in den nächsten zehn<br />
Jahren stärker auf die Schuldentilgung <strong>zu</strong> bewegen.“ Am meisten<br />
wundert ihn, dass aus jedem Thema eine ideologische<br />
Grundsatzfrage gemacht wird, anstatt schnell und pragmatisch<br />
auf eine Krise <strong>zu</strong> reagieren. Die politische Sichtweise <strong>zu</strong> akzeptieren,<br />
fällt ihm nicht immer leicht: „Als Unternehmer habe ich<br />
eine Gewinn- und Verlustrechnung, die sich in Geld ausdrückt.<br />
Bei Politikern drückt sie sich dagegen in Zustimmung und<br />
Abweisung durch die Bevölkerung bei Wahlen aus.“ Er verlangt<br />
mehr Mut und noch mehr Ehrlichkeit dem Wähler gegenüber:<br />
„Wir müssen lernen, dass die Leistung eines Politikers nicht<br />
mehr darin besteht, mit dem Füllhorn herum<strong>zu</strong>laufen.“ Er<br />
wünscht sich mehr kreative Politiker, die auch mit knappen Geldern<br />
auskommen. Manchmal ist es für ihn ein schwieriger Spagat,<br />
in einem Gemeinwesen wie <strong>Bremen</strong> Entscheidungen <strong>zu</strong> treffen.<br />
„Man kann ein Land nicht wie einen Konzern führen“, sagt<br />
er. Aber er wüsste sofort, was er alles als „Alleininhaber“ durchziehen<br />
würde, um ein Unternehmen wie <strong>Bremen</strong> effizienter und<br />
kostengünstiger arbeiten <strong>zu</strong> lassen: Vorantreibung der Entbürokratisierung,<br />
Entschlackung der Genehmigungsverfahren, Vereinfachung<br />
des Steuerveranlagungsverfahrens, endlos könnte<br />
Ulrich Nußbaum die Liste fortsetzen. Nie strebte der parteilose<br />
Unternehmer, der auch Eiswettgenosse und Schaffer ist, einen<br />
Senatorenposten an: „Ich gehörte eher <strong>zu</strong> denen, die nur wählten<br />
und sich darüber aufregten, wie die Politiker unser Steuergeld<br />
fröhlich rausknallen.“ Woher dieser plötzliche Gesinnungs-<br />
wandel? „Natürlich könnte ich jetzt ein ruhiges Leben führen<br />
oder mit meinen Unternehmen Geld verdienen“, sagt er, „aber<br />
das ist nicht alles.“ Verlässlichkeit, Treue und Loyalität sind die<br />
Säulen seines Lebens. Und weil er seine Firma in Bremerhaven<br />
erfolgreich aufgebaut hat, war für ihn der Zeitpunkt gekommen,<br />
sich als Bürger an diesem Standort aktiv politisch <strong>zu</strong> engagieren.<br />
„Die Grundfrage war, weg<strong>zu</strong>gehen und Steuern <strong>zu</strong> sparen<br />
oder in Deutschland <strong>zu</strong> bleiben und an<strong>zu</strong>packen.“ Er habe sich<br />
<strong>zu</strong>r Verantwortung für den Standort bekannt. Seine Vita weist<br />
aus, dass er sich nie auf einen bestimmen Rollentyp festlegen<br />
ließ. Er ist in der Nähe <strong>von</strong> Trier geboren, auf einem katholischen<br />
Internat bei Düsseldorf groß geworden und hat in England,<br />
Straßburg und der Schweiz studiert. Trotz guter Zukunftsaussichten<br />
wollte er nicht an der Hochschule bleiben, sondern<br />
ein Leben als Unternehmer aufbauen. Während seiner<br />
Zugehörigkeit <strong>zu</strong>m Senat hat er in seiner Firma auf die unternehmerische<br />
Leitung und sein Zustimmungsrecht bei Geschäftsentscheidungen<br />
verzichtet und ist nur noch auf der Vermögensebene<br />
beteiligt. „Als ich dies unterschrieb, sagte der Notar <strong>zu</strong><br />
mir, Sie haben sich gerade entmündigt.“ Er dagegen empfindet<br />
es als das richtige Engagement für diese Stadt und unser Land:<br />
„Es müsste viel mehr Unternehmer geben, die über ihren privaten<br />
Bereich hinaus ein öffentliches Amt ausüben. Und zwar<br />
nicht nur im sozialen Bereich, sondern vor allem in der Politik,<br />
um mit<strong>zu</strong>gestalten.“
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36 <strong>Bremen</strong><br />
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Dieter Ammer<br />
Carl-G. Berninghausen<br />
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Schaffer 2005<br />
Foto: Jochen Stoss
37<br />
Vorempfang der Handelskammer im Schütting<br />
Gastgeber: <strong>Der</strong> Präses der Handelskammer, Dr. Patrick Wendisch<br />
Während der erste Schaffer, Dieter Ammer mit dem zweite Schaffer, Carl-G. Berninghausen<br />
und dem dritten Schaffer, Eduard Dubbers-Albrecht in der Oberen Rathaushalle, dem Schauplatz<br />
der Schaffermahlzeit, als Ausrichter der Schaffermahlzeit letzte Hand anlegen bei den<br />
Vorbereitungen, begleiten die “Alt-Schaffer” (schwarze Fliege) eine Schar ausgewählter<br />
Gäste (weiße Fliege) <strong>zu</strong> dem der Schaffermahlzeit vorgeschalteten Empfang der Handelskammer,<br />
<strong>zu</strong> dem auch der Ehrengast der Schaffermahlzeit, Sachsens Ministerpräsident Georg<br />
Milbrand erschienen war.
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42 <strong>Bremen</strong><br />
Ein Leben zwischen<br />
hier und da<br />
Bremer Grenzgänger<br />
Claus Spitzer-Ewersmann<br />
Dörfliches Idyll und großstädtische Geschäftigkeit liegen am<br />
Bremer Stadtrand häufig nah beieinander. Städte sind ja nicht<br />
nur in ihrer Mitte Stadt, in ihren wirtschaftlichen, kulturellen<br />
und urbanen Zentren, sondern auch weiter draußen, da wo sie<br />
zerfasern und ausfransen. Wo sie ihre Fühler ins Umland ausstrecken,<br />
an den Rändern knabbern und über natürliche und<br />
administrative Grenzlinien hinweglappen. <strong>Der</strong> Prozess der flächenhaften<br />
Ausdehnung städtischer Siedlungsweise und Bevölkerung<br />
in die direkte Umgebung einer Stadt ist unter dem<br />
Begriff Suburbanisierung bekannt und eines der größten Probleme<br />
verantwortungsbewusster Stadtplanung. Die Visionäre,<br />
die ihre Metropolen am Reißbrett planen und Bauten, Betriebshöfe<br />
und Verkehrstrassen verschieben wie Bauklötzchen, vergessen<br />
in ihren Zukunftsskizzen gelegentlich, dass auch hier<br />
Menschen leben. Einige nehmen ihren Wohnsitz sogar ganz<br />
bewusst in diesen Grauzonen. Wir haben einige dieser Grenzgänger<br />
im „Niemandsland“ zwischen <strong>Bremen</strong> und Niedersachsen<br />
besucht.<br />
Etwa Reinhard Herkules. Bewegt sich der 45-jährige ein paar<br />
Schritte nach rechts über die Ochtum, steht er in Niedersachsen.<br />
Wendet sich sein Weg nach links, bleibt er in <strong>Bremen</strong>. <strong>Der</strong><br />
Filialleiter beim Discounter Aldi wohnt an der Kattenturmer<br />
Heerstraße direkt am Ortsausgang in Richtung Brinkum. Sein<br />
kleines, in fröhlichem Gelb gestrichenes Haus ist das letzte auf<br />
dem Gebiet der Hansestadt. Gleich dahinter verläuft die Trennlinie<br />
der beiden Bundesländer. Dass vor seiner Tür der Verkehr<br />
ohne Unterlass rollt, stört ihn nicht weiter. Nur einmal, da<br />
preschte ein Porsche in die Front seines Heims. <strong>Der</strong> betrunkene<br />
Fahrer wollte vor der nahen Ampel noch mal richtig Gas geben<br />
und verlor die Kontrolle über den schmucken Flitzer. <strong>Der</strong> Wagen<br />
hat’s einigermaßen überstanden, der Schaden am Gebäude war<br />
größer. Nach dem ersten Schrecken nahm Hausbesitzer Herkules<br />
die Sache gelassen: „Da wollte ich sowieso was dran machen.“<br />
Herkules genießt sein Leben zwischen hier und da. Die Frage, ob<br />
er sich eher als Bremer oder als Niedersachse fühlt, ringt ihm<br />
ein Lächeln ab: „Weder, noch, ich war immer mobil, da spielt<br />
das keine Rolle.“ Er gewinnt den Dingen in der Regel ihre guten<br />
Seiten ab – selbstverständlich auch dem durchaus gewöhnungsbedürftigen<br />
Wohnort: „Die Verkehrsverbindungen sind erstklassig,<br />
Einkaufsmöglichkeiten habe ich <strong>zu</strong>hauf. Und wenn ich mich<br />
<strong>zu</strong>rückziehen oder feiern will, geht’s an die Ochtum oder raus in<br />
den Garten.“ Hinterm Haus hat er sich ein kleines Refugium<br />
geschaffen. Da beschwert sich kein Nachbar, wenn der Grill<br />
angeworfen oder die Musik etwas lauter gedreht wird.<br />
Rolf Frerks, der in Timmersloh das erste oder – je nach Standpunkt<br />
– letzte Haus auf Bremer Boden bewohnt, lobt dagegen<br />
den Zusammenhalt im Grenzgebiet: „Es gibt hier noch so etwas<br />
wie eine gewachsene Dorfgemeinschaft und ein funktionierendes<br />
Vereinsleben.“ Man scheint am Stadtrand einen gesunden<br />
Hang <strong>zu</strong>m Pragmatismus <strong>zu</strong> entwickeln und Vergnügen am<br />
Dasein als Grenzgänger gefunden <strong>zu</strong> haben. Computerspezialist<br />
Frerks, der sich selbst als „typisches Landei“ charakterisiert, hat<br />
seine Kinder in Borgfeld <strong>zu</strong>r Schule geschickt, fährt <strong>zu</strong>m Einkaufen<br />
aber nach Lilienthal: „Das liegt einfach näher.“ Sophie
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43
44 <strong>Bremen</strong><br />
Ein Leben zwischen<br />
hier und da<br />
Ratjens wiederum, deren Grundstück in der Schwaneweder Straße<br />
fünf Meter vor dem gelben Ortsausgangsschild endet, kokettiert<br />
bei telefonischen Bestellungen stets mit ihrer besonderen<br />
Lage: „Ich sage immer, liefern Sie bitte ins letzte Haus <strong>von</strong> <strong>Bremen</strong>.“<br />
„Man muss sich ja was einfallen lassen, wenn es ans Eingemachte<br />
geht“, sagt Friedrich Osmers. Mit seiner Frau Meta<br />
erzählt er die bekannte Geschichte <strong>von</strong> Asterix und den widerspenstigen<br />
Galliern – nur dass die Römer diesmal feine Anzüge<br />
trugen, in schicken Autos vorfuhren und mit den Schecks wedelten.<br />
Die Eheleute indes störte dieser Auftritt nicht weiter. Ihre<br />
Entscheidung stand fest. Nie und nimmer wollten die Beiden<br />
den Grund und Boden, auf dem schon ihre Vorfahren gelebt hatten,<br />
hergeben. Schon wahr, die Landwirtschaft lief nicht mehr<br />
so gut wie einst. Und das Anwesen war tatsächlich arg groß.<br />
Aber alles opfern für eine ungewisse Zukunft irgendwo in einem<br />
anonymen Neubaugebiet? Die eigenen Wurzeln einfach so kappen?<br />
Niemals. Erst recht nicht, wo sie sich doch gerade erst entschlossen<br />
hatten, die Landwirtschaft fortan nur noch nebenher<br />
<strong>zu</strong> betreiben und stattdessen ihren Lebensunterhalt mit Taxifahren<br />
<strong>zu</strong> verdienen. Und damit war man schließlich im frisch<br />
entstehenden Gewerbegebiet genau am richtigen Ort.<br />
Die Familie bewohnt jenen Bauernhof <strong>von</strong> 1778, der direkt an<br />
der Grenze zwischen <strong>Bremen</strong> und Achim liegt. „Damals waren<br />
hier nur Wald und Wiesen“, weiß Friedrich Osmers aus den<br />
Erzählungen der Eltern und Großeltern. Heute dagegen stehen<br />
hohe, dunkle Lagerhallen bis dicht ans Grundstück und Verkehrslärm<br />
dringt <strong>von</strong> den viel befahrenen Straßen herüber. <strong>Der</strong><br />
inzwischen 74-Jährige und seine 70-jährige Ehefrau haben alles<br />
mitgemacht: den Autobahnbau am Ende der fünfziger, die<br />
ersten Ansiedlungen <strong>von</strong> Unternehmen <strong>zu</strong> Beginn der siebziger,<br />
den Ausbau des Areals <strong>zu</strong>m Gewerbegebiet Mahndorf bis weit in<br />
die neunziger Jahre hinein. „Gefallen hat uns das nicht, aber<br />
was sollten wir machen?“ Doch als dann diese adretten Boten<br />
der neuen Zeit vor der Tür standen, und ihnen Haus, Hof und<br />
Heimat abschwatzen wollten, da erwachte ihr Stolz: „Dass wir<br />
hier bleiben wollten, stand nie infrage.“<br />
Den Planern waren die renitenten Eheleute ein Dorn im Auge.<br />
Aber die hatten mit der Gründung ihres Taxibetriebes erst einmal<br />
Zeit gewonnen. Also versuchte man es auf anderem Wege.<br />
Plötzlich hieß es, für die paar Droschken bräuchte man keine<br />
drei Hektar Land, sondern käme auch mit weniger Fläche aus.<br />
Osmers’ Antwort: Sie erweiterten das Angebot ihrer kleinen<br />
Firma um eine innovative Dienstleistung – um Hubschrauberflüge<br />
nämlich. Zwar fanden sich <strong>zu</strong>nächst keine Kunden, die diesen<br />
<strong>zu</strong>kunftsträchtigen Service in Anspruch nehmen wollten,<br />
und über einen eigenen Helikopter verfügte man auch nicht.<br />
Aber der neu eingerichtete Start- und Landepunkt rechtfertigte<br />
den erhöhten Platzbedarf und bescherte der Familie die ersehnte<br />
Ruhe. Asterix hatte damit gesiegt, die Römer gaben klein bei.<br />
Für Meta und Friedrich Osmers waren es turbulente Jahre. Heute<br />
hat sich das Paar freilich längst mit seinen neuen Nachbarn ausgesöhnt.<br />
„Dass wir so beharrlich waren, hat uns viel Respekt<br />
eingebracht“, sagen sie. Und so verbringen sie ihren Lebensabend<br />
genau dort, wo sie all die Zeit geschuftet und geruht,<br />
gelacht und gestritten haben. Und Sohn Harry fegt weiter den<br />
Hof, Pekinesin Trixi kläfft die Besucher an und die Katzen räkeln<br />
sich auf den heißen Pflastersteinen.
46 <strong>Bremen</strong><br />
Ein Leben zwischen<br />
hier und da<br />
Ähnlich wie Familie Osmers haben auch Ilse und Heinrich Brenning<br />
ihre Erfahrungen mit der expandierenden Stadt gemacht.<br />
Genügend Platz für allerlei Getier wäre auf ihrem Hof an der<br />
Uphuser Heerstraße ebenfalls vorhanden. „Katzen und Hunde<br />
überleben bei all den Autos hier allerdings nicht“, fürchten sie<br />
und halten deshalb nur noch ein paar Hühner. Durch den Weserpark<br />
ist der Verkehr in diesem Viertel in den letzten Jahren rapide<br />
angestiegen. Brennings haben sich der Entwicklung nicht<br />
verschlossen. Durch ihren schönen Garten müsste die Straße<br />
<strong>zu</strong>m Einkaufszentrum geführt werden, hatte man ihnen mitgeteilt.<br />
Da wussten sie, was die Stunde geschlagen hat. Wenn<br />
solch eine Entscheidung erst einmal gefallen war, dann gab es<br />
nicht mehr viele Möglichkeiten. Sie würden ihr Grundstück wohl<br />
oder übel verkleinern müssen. „Wir kannten das schon“, sagt die<br />
76-jährige Ilse Brenning. Als einst nebenan die Eisenbahnstrecke<br />
gebaut worden war, hatte man schon einmal Land abgegeben.<br />
Und nun musste die angrenzende Straße verbreitert, eine<br />
weitere Fahrspur geschaffen werden. So war eben der Lauf der<br />
Zeit.<br />
Die alten Leute zierten sich nicht, wollten sich aber auch nicht<br />
über den Tisch ziehen lassen. Ein Großprojekt wie der Ausbau<br />
der Thalenhorststraße <strong>zu</strong>m Weserpark würde nicht an ihrem<br />
Widerspruch scheitern, soviel war klar. Ein Vertrag wurde<br />
gemacht, Geld wechselte den Besitzer, Sträucher wurden ausgegraben,<br />
Bäume gefällt – nur an einer kleinen, wackeligen Mauer<br />
aus dem 19. Jahrhundert schieden sich die Geister. Brennings<br />
hatten in den Verkaufsverhandlungen durchgesetzt, dass die nur<br />
noch unvollständig vorhandene Klinkerumrandung ihres Anwesens<br />
wieder errichtet werden müsse. Und nun hatte man zwei<br />
junge Handwerker geschickt, die ausgerechnet dem gelernten<br />
Maurer Heinrich Brenning mit Pfusch kommen wollten. Als dieser<br />
sich nach den ersten Arbeiten das Werk besah, wurde er<br />
böse. „Nicht mit mir“, schimpfte der heute 82-jährige und nahm<br />
sich die Kollegen <strong>zu</strong>r Brust. „Denen habe ich dann erstmal<br />
gezeigt, wie man so was richtig macht.“ Heute begrenzt eine<br />
vorbildlich hochgezogene Klinkerwand sein Grundstück. „Wir<br />
haben viel Glück gehabt in unserem Leben und immer das Beste<br />
aus der Situation gemacht“, sagt er.
„Investition in Wissen bringt<br />
immer noch die besten Zinsen.“<br />
Als Bremer muss man nicht weit laufen, um europäische Raumfahrttechnologie<br />
der absoluten Spitzenklasse <strong>zu</strong> erleben. Denn mit OHB Technology ist einer der<br />
großen internationalen Player auf diesem Zukunftssektor in der Hansestadt<br />
beheimatet. Die weltweit einzigartige Bündelung <strong>von</strong> Raumfahrt- und Telematik-<br />
Know-how haben uns <strong>zu</strong> einem der erfolgreichsten Unternehmen der Branche<br />
gemacht – und <strong>zu</strong>m ersten deutschen Raumfahrtunternehmen an der Börse.<br />
Ihr Ansprechpartner: Michael Vér, Investor Relations<br />
Tel. +49 (0) 421 2020-727, ir@ohb-technology.de,<br />
www.ohb-technology.de<br />
Benjamin Franklin
48 Wirtschaft<br />
Konjunkturbarometer BLG<br />
Autoterminal Bremerhaven
50 Wirtschaft<br />
Konjunkturbarometer BLG<br />
Autoterminal Bremerhaven<br />
Franz Ganss<br />
Erfreuliche Zeichen für eine Frühjahrsbelebung <strong>von</strong> Europas großer<br />
Autodrehscheibe liefern die Zahlen der BLG LOGISTICS<br />
GROUP vom März 2005: 143 000 umgeschlagene Fahrzeuge signalisieren<br />
eine deutlich gestiegene Automobilnachfrage nach<br />
Import- und Exportfahrzeugen und belegen mit einem Zuwachs<br />
<strong>von</strong> 9,6 Prozent gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres<br />
die Erfolgsgeschichte einer Branche, die der Hafenwirtschaft in<br />
der Seestadt starke Impulse verleiht.<br />
<strong>Der</strong> Erfolg trägt einen Namen. Detthold Aden. Seit 1999 ist der<br />
Mann, der das Speditionsgewerbe <strong>von</strong> der Pike auf gelernt hat,<br />
Vorsitzender des Vorstandes der BLG LOGISTICS GROUP. Konsequent<br />
hat er die Entwicklung des Unternehmens vom traditionellen<br />
Hafenunternehmen <strong>zu</strong>m internationalen Logistikdienstleister<br />
vorangetrieben.<br />
„Die Globalisierung mit ihrer weltweiten Arbeitsteilung und<br />
einem dynamisch wachsenden Welthandelsvolumen ist Herausforderung<br />
und Chance <strong>zu</strong>gleich für uns“, meint Aden, der 1976<br />
Gründungsgeschäftsführer des Paketdienstes UPS Deutschland<br />
war, um anschließend bei Bertelsmann, der Union-Transport-<br />
Gruppe, der Thyssen Haniel Logistic GmbH und der Thyssen Handelsunion<br />
AG als Geschäftsführer und Mitglied des Vorstandes<br />
Logistikerfahrungen in ganz unterschiedlichen Unternehmen<br />
sammeln <strong>zu</strong> können.<br />
Detthold Aden ist in den knapp 6 Jahren seiner Tätigkeit als<br />
Vorstandsvorsitzender der BLG LOGISTICS GROUP <strong>zu</strong> einem<br />
bekennenden Bremer geworden und die Bremer haben ihn ungewöhnlich<br />
schnell aufgenommen. 2004 wurde der gerade mal vor<br />
vier Jahren Zugereiste in den Kreis der ehrwürdigen Schaffer<br />
aufgenommen, im selben Jahr wählte ihn das Plenum der Handelskammer<br />
<strong>zu</strong> seinem Vizepräsidenten.<br />
Detthold Adens Wort hat Gewicht in der Hansestadt. Als Redner<br />
punktet der Mittfünfziger mit beziehungsreichen Pointen. Dass<br />
ihm der öffentliche Auftritt keine Qual ist, merkt man ihm an.<br />
„Er ist ein begnadeter Kommunikator“, sagt ein Mitbewerber,<br />
um nicht ohne Bedauern hin<strong>zu</strong><strong>zu</strong>fügen: „Aus diesem Holz könnte<br />
nicht nur die Logistikbranche ein paar mehr gebrauchen.“<br />
Dass die Politik längst ein Auge auf den Neubremer geworfen<br />
hat, ist ein offenes Geheimnis, nachdem Josef Hattig als ehemaliger<br />
Becks-Chef bewiesen hat, dass ökonomischer Sachverstand<br />
und unternehmerisches Denken in der Politik nicht fehl<br />
am Platz sind.
<strong>Der</strong> Geschäftsbereich BLG LOGISTICS AUTOMOBILE gehört mit<br />
3,75 Millionen Fahrzeugen pro Jahr die Nummer 1 in der Fertigfahrzeug-Logistik.<br />
Stärkster Knoten im Terminal- und Transportnetzwerk<br />
ist Bremerhaven mit über 1,4 Millionen umgeschlagenen<br />
Fahrzeugen im vergangenen Jahr. Damit gehört Bremerhaven<br />
<strong>zu</strong> den größten Autohäfen der Welt.<br />
Die Produkte europäischer Hersteller werden über das BLG-Terminal<br />
hauptsächlich in die USA, nach Ostasien und Nahost verschifft.<br />
Die Importe kommen vor allem aus Asien und den USA.<br />
So werden allein aus Japan und Korea über 200 000 Fahrzeuge<br />
pro Jahr importiert. Mit chinesischen Automobilproduzenten<br />
wurden erfolgreich Verhandlungen geführt, damit demnächst<br />
auch Fahrzeuge aus dem Land der aufgehenden Sonne über Bremerhaven<br />
nach Europa rollen. Aber auch deutsche Autos erreichen<br />
Bremerhaven aus dem Ausland. <strong>Der</strong> BMW X5 <strong>zu</strong>m Beispiel,<br />
den die Bayern in ihrem Werk in Spartanburg im US-Bundesstaat<br />
South Carolina genauso bauen lassen wie ihren Roadster Z4, um<br />
diese dann in ganz Europa auf die Straße <strong>zu</strong> bringen. Ebenso ist<br />
es bei der ML-Klasse <strong>von</strong> DaimlerChrysler.<br />
Alle namhaften Auto-Reeder bedienen Bremerhaven regelmäßig.<br />
Jedes Jahr laufen fast 1.500 Autoschiffe den BLG-Terminal an.<br />
Diese Giganten der Meere nehmen bis <strong>zu</strong> 6500 Autos auf 13<br />
Decks an Bord. Eine Schiffsladung alleine ergäbe eine über 30<br />
51<br />
Kilometer lange Autoschlange. Das web-basierte IT-System<br />
C@RIN unterstützt die weltweiten Bewegungen der Fahrzeuge<br />
und kontrolliert den Transport <strong>von</strong> der Herstellung bis <strong>zu</strong>m<br />
Händler im Bestimmungsland. Alle Beteiligten sind in den<br />
Informationsfluss integriert.<br />
Über Bremerhaven verschiffen Hersteller wie DaimlerChrysler,<br />
BMW, Ford, VW, Audi, Porsche, Opel und andere ihre Fahrzeuge<br />
in alle Welt. Neben Freiflächen stehen für die Zwischenlagerung<br />
der Automobile mehrstöckige Parkhäuser <strong>zu</strong>r Verfügung. Sie bieten<br />
mehr als 10.000 Autos Schutz bis <strong>zu</strong>r Verladung auf die<br />
Schiffe.<br />
Fünf weitere Parkhäuser schützen über 30.000 Importfahrzeugen<br />
bis <strong>zu</strong>r Weiterverladung in das Binnenland. Unter den<br />
Importen ist seit kurzem auch Jaguar dabei. Insgesamt finden<br />
120.000 Fahrzeuge auf dem Auto-Terminal der BLG in Bremerhaven<br />
Platz. In eigenen Technikzentren am Auto-Terminal werden<br />
Fahrzeuge gereinigt und die PDI (Pre-Delivery Inspection)<br />
vorgenommen. Transportschäden werden repariert. Anschließend<br />
erfolgt die technische Umrüstung nach den Zulassungsbestimmungen<br />
in den Bestimmungsländern.<br />
Auch Sonderausstattungen werden in Bremerhaven eingebaut –<br />
<strong>zu</strong>m Beispiel Sonnendächer, Klimaanlagen, Ledersitze, Sportfel-
52 Wirtschaft<br />
Konjunkturbarometer BLG<br />
gen oder Spoiler. Das ist für Hersteller <strong>von</strong> Großserien kostengünstig,<br />
und Import-Autos sind schneller beim Kunden, wenn<br />
sie in Bremerhaven endgefertigt werden und nicht erst um die<br />
halbe Welt reisen müssen. In Bremerhaven arbeitet praktisch<br />
die größte Autowerkstatt Deutschlands und kaum einer spricht<br />
darüber. Detthold Aden räumt ein, dass „in der Kommunikation<br />
unserer Leistungen noch jede Menge nach<strong>zu</strong>holen ist, aber was<br />
die Hafenlogistik für <strong>Bremen</strong> angeht, identifizieren die Bremer<br />
sich gerne mit der positiven Entwicklung der BLG, da haben wir<br />
eine Leuchtturmfunktion.“<br />
Zur Autodrehscheibe des Mittelmeeres entwickelt die BLG Gioia<br />
Tauro (Süditalien). Die zentrale mediterrane Lage ist ideal. Gioia<br />
Tauro ist mit Bremerhaven vernetzt. So sind Operation und Leistungsqualität<br />
an beiden Standorten identisch. Gioia Tauro ist<br />
auch Teil der Oststrategie <strong>von</strong> BLG LOGISTICS AUTOMOBILE.<br />
Zusammen mit einem Engagement im slowenischen Hafen<br />
Koper, einem Joint Venture in Wien und mehreren Auto-Terminals<br />
in Polen partizipieren die Bremer an der steigenden Autonachfrage<br />
in Osteuropa.<br />
Teil des Netzwerkes der BLG LOGISTICS AUTOMOBILE ist die E.H.<br />
Harms Automobile-Logistic, an der die BLG mit 50 Prozent<br />
beteiligt ist. E.H. Harms beschäftigt über 1.000 Mitarbeiter und<br />
versorgt unter anderem mit einer Flotte <strong>von</strong> 350 Autotransportern<br />
regelmäßig mehr als 7.000 Händler in Deutschland.<br />
Gemeinsam bieten BLG und E.H.H. damit alle relevanten Dienstleistungen<br />
in der Fahrzeug-Logistik. Neben Umschlag, Lagerung<br />
und technischer Aufbereitung in Bremerhaven, Hamburg, Cuxhaven,<br />
Danzig, Gioia Tauro und Koper werden Speditions- und<br />
Transportdienstleistungen per Schiene, Straße, Binnen- und<br />
Küstenschifffahrt geboten, <strong>zu</strong>dem zahlreiche Inlands-Terminals<br />
in Deutschland, Österreich und Polen.<br />
Damit ist die logistische Leistungskette <strong>von</strong> den Autoherstellern<br />
bis <strong>zu</strong>m Endkunden komplett. Mit ihrem Standort-Netzwerk wird<br />
den Kunden der BLG im Bereich Fertigfahrzeuge sowie auch für
andere rollende Ladung ein vollständiges logistisches Leistungs-<br />
Netzwerk geboten und damit innovative Komplettlösungen für<br />
den Automobilmarkt. Detthold Aden legt Wert darauf, dass die<br />
Qualität des gesamten BLG-Leistungsspektrums „selbstverständlich<br />
zertifiziert“ ist.<br />
„Die Automobilindustrie verringert ständig ihre Fertigungstiefe,<br />
auch dank unserer Angebote in der Contract Logistik“, erläutert<br />
Aden nicht ohne Stolz. „Früher haben die Hersteller 60% der<br />
Teile eines Fahrzeuges selbst produziert. Heute sind es weniger<br />
als 25%. Ich kann mir visionär vorstellen, dass Automobilhersteller<br />
ein Auto nur noch designen und verkaufen. Die Produktion<br />
der Teile und die Montage machen dann andere Dienstleister<br />
und <strong>von</strong> diesem Kuchen wollen wir in <strong>Bremen</strong> uns ein gutes<br />
Stück abschneiden.“<br />
„Zum Jahresanfang 2005 liegt die BLG weiter auf Wachstumskurs.<br />
Mit der fortschreitenden Globalisierung sind die Chancen<br />
für die Logistik unverändert positiv. Die Wachstumsbranche ist<br />
mit über zwei Millionen Beschäftigten in Deutschland mittlerweile<br />
der größte Arbeitgeber“, so BLG-Chef Detthold Aden. „Wir<br />
53<br />
haben das Jahr 2004 mit einem EBT <strong>von</strong> über 29 Mio. Euro (Vorjahr:<br />
15) abgeschlossen. Das ist bei unserer Eigenkapitalquote<br />
<strong>von</strong> 30% eine Eigenkapitalverzinsung <strong>von</strong> 17%. Damit sind wir<br />
im Kreise der Logistikdienstleister ein sehr gut aufgestelltes<br />
Unternehmen.“ Und in diesem Jahr steigen die Gewinne weiter.<br />
Sorgen machen dem BLG-Chef die massiven Eingriffe der Automobilindustrie<br />
in Kosten und Tarifstrukturen. „Das geht nicht<br />
spurlos an uns vorbei“, meint Aden, ist jedoch optimistisch:<br />
„Wir haben gerade mit unseren Arbeitnehmervertretern und den<br />
Gewerkschaften hervorragende Pakete schnüren können, um uns<br />
den Herausforderungen der Automobilmärkte <strong>zu</strong> stellen.“<br />
Die Gelassenheit des obersten Bremer Logistikers beim Thema<br />
Auto überrascht nicht. BLG LOGISTICS AUTOMOBILE und BLG<br />
LOGISTICS CONTRACT, die beiden Geschäftsbereiche, die mit<br />
Autos <strong>zu</strong> tun haben, sind wachsende Geschäftsbereiche der BLG<br />
LOGISTICS GROUP. Umsatz- und Ergebnisstar aber ist <strong>zu</strong>r Zeit der<br />
Geschäftsbereich BLG LOGISTICS CONTAINER, der durch das<br />
Gemeinschaftsunternehmen EUROGATE entwickelt wird.
54 Wirtschaft<br />
Konjunkturbarometer BLG
56 Wirtschaft<br />
Bremer Satellitenbauer<br />
Fuchs-Dreigestirn
58 Wirtschaft<br />
Bremer Satellitenbauer<br />
Fuchs-Dreigestirn<br />
Silke Sackmann<br />
Wie der Mond um die Erde,<br />
so kreisen bei Familie Fuchs (fast) alle Gedanken um sie:<br />
die Satelliten <strong>von</strong> OHB<br />
Kein Zutritt für Fotografen – das Interessanteste ist geheim.<br />
Dennoch: einen Blick dürfen wir hineinwerfen in die neue Integrationshalle<br />
<strong>von</strong> OHB: Wissenschaftler in weißen Schutzanzügen<br />
– Haube, Kittel, Gummihandschuhe – , aufwendig verkabelte<br />
Apparaturen auf fahrbaren Plattformen, auf der einen Seite<br />
ein „Engineering Model“, auf der anderen ein erster flugfähiger<br />
Satellit: Hier, im Technologiepark an der Universität entsteht in<br />
der Halle mit dem großen, weißen „Fußball“ das erste satellitengestützte<br />
Aufklärungssystem der Bundeswehr: Fünf baugleiche<br />
Satelliten, die die Erde ab dem nächsten Jahr auf 500 Kilometer<br />
entfernten Bahnen umkreisen werden und der Bundeswehr<br />
bei Tag und bei Nacht auf den Meter genaue Radarbilder<br />
liefern sollen. OHB entwickelt und baut diese Satelliten, errichtet<br />
die Bodenstation und rüstet sie aus. Da<strong>zu</strong> hat das Unternehmen<br />
weltweit mehr als 20 hochspezialisierte Partner mobilisiert.<br />
Mit Hilfe der erfolgreichen russischen Cosmos-3M-Rakete<br />
wird es die Satelliten auch ins All befördern und anschließend<br />
zehn Jahre lang betreiben.<br />
Hineingefuchst: „Das ist Management <strong>von</strong> Wissen“, sagt Marco<br />
R. Fuchs, 42, der vor 10 Jahren in das Unternehmen seiner<br />
Eltern eingetreten ist und inzwischen der Holding OHB Technology<br />
AG, dem ersten deutschen börsennotierten Technologieund<br />
Raumfahrtunternehmen vorsteht. Dabei deutet der frühere<br />
Rechtsanwalt mit deutschem und amerikanischem Abschluss auf<br />
die lange Liste <strong>von</strong> Partnerunternehmen, an denen OHB <strong>zu</strong>m Teil<br />
große Beteiligungen hält: „Wir bieten maßgeschneiderte Systemlösungen<br />
aus einer Hand an, natürlich auch Standardprodukte,<br />
aber: unser Schwerpunkt liegt auf dem Projektgeschäft.<br />
Wir mischen unser eigenes Know-how immer wieder aufs Neue,<br />
und – darin liegt unsere besondere Fähigkeit – wir suchen die<br />
am besten geeigneten und günstigsten Komponenten auf dem<br />
Weltmarkt und kombinieren sie durch unsere Entwicklungsarbeit<br />
<strong>zu</strong> innovativen und hochtechnologischen Produkten.“ Mit großem<br />
Erfolg. Und: Ganz entgegen dem allgemeinen Abwärtstrend<br />
in der europäischen Raumfahrt. Mit dem Auftrag, die „SAR-<br />
Lupen“ für die Bundeswehr <strong>zu</strong> bauen, ist es dem Unternehmen<br />
gelungen, als erstes deutsches Unternehmen in den Zukunftsmarkt<br />
militärischer Satellitenprojekte ein<strong>zu</strong>steigen. „Da sehen<br />
wir unsere Zukunft“, sagt Marco Fuchs und beschreibt die Technologie<br />
dieser Kleinsatelliten als einzigartig: Klein, gerade mal<br />
770 kg schwer, mit sehr hoher Leistung und preiswert – „so<br />
etwas haben nicht einmal die Amerikaner!“ Das SAR-Lupe-Projekt<br />
ist mit 300 Millionen Euro der bisher größte Auftrag.<br />
Wie konnte das gelingen?, fragen wir Prof. Manfred Fuchs, den<br />
Mann, der das Unternehmen <strong>zu</strong> dem gemacht hat, was es heute<br />
ist: Zur Nummer 1 auf dem europäischen Markt für Kleinsatelliten,<br />
<strong>zu</strong>r Nummer 2 weltweit, nach den USA. Allerdings: „Das hab<br />
ich nicht allein geschafft!“, lacht er; die Geschichte des Unternehmens<br />
beginnt mit seiner Frau. Ihr ist <strong>zu</strong> Hause langweilig als<br />
die Kinder flügge werden und so beginnt sie wieder <strong>zu</strong> arbeiten.<br />
Bei OHB, was damals für Otto Hydraulik <strong>Bremen</strong> steht. Sie übernimmt<br />
den 5-Mann-Betrieb und beginnt ihn <strong>zu</strong> erweitern.<br />
„Eine knallharte Kauffrau“, nennt Manfred Fuchs seine Frau<br />
schmunzelnd, hebt respektvoll die Brauen und deutet mit dem<br />
Daumen an, wie streng sie in ihrer Zeit als kaufmännische Leiterin<br />
über die Finanzen <strong>von</strong> OHB gewacht habe. Um die Hierarchie<br />
klar<strong>zu</strong>stellen: „Zuerst kommt heute mein Sohn – als Vorstandsvorsitzender<br />
der Holding OHB Technology AG, dann komm<br />
ich – als Vorsitzender der OHB-System AG, und über allem wacht<br />
meine Frau – als Aufsichtsratsvorsitzende. Die kann uns beide<br />
entlassen“, scherzt er und wirkt rundum <strong>zu</strong>frieden: „Das ist doch<br />
toll!“ – wenn man so <strong>zu</strong>sammenwirkt. Schade nur, dass Romana,<br />
seine Tochter, nicht dabei ist. Die Rechtsanwältin lebt in<br />
München und wäre, wie auch der Sohn Marco „eine sehr gute<br />
Unternehmerin“.
Während Christa Fuchs in der Frühzeit <strong>von</strong> OHB Hydrauliksysteme<br />
für die Bundeswehr repariert, arbeitet ihr Mann, Manfred<br />
Fuchs, bei dem Raumfahrtunternehmen ERNO, nach zahlreichen<br />
Umstrukturierungen heute EADS, entwickelt und baut dort<br />
Satelliten und wirkt an entscheidenden Entwicklungen der Weltraumlabore<br />
„Spacelab“ und „Columbus“ mit. Schon als junger<br />
Mann kann sich der aus Latsch im Südtiroler Vinschgau stammende<br />
Sohn eines Fuhrunternehmers zweier Superlative rühmen:<br />
Mit 17 ist er der jüngste Pilot Italiens, mit 21 der jüngste<br />
deutsche Flugzeugbauingenieur. „Dem Himmel gehörte immer<br />
schon meine Leidenschaft“, sagt er und winkt beim Erwähnen<br />
der großen Leistungen, die man ihm in der Luft- und Raumfahrt<br />
<strong>zu</strong>schreibt, ab. Mit Worten ist er sparsam, <strong>zu</strong>rückhaltend und<br />
bescheiden. Er lehnt sich in seinem Sessel <strong>zu</strong>rück und strahlt<br />
einen so tiefen inneren Frieden aus, wie man ihn nur selten bei<br />
Menschen findet. Sofort stellt sich Nähe und Sympathie ein und<br />
das Gefühl: Das ist ein Mensch, dem andere folgen. Einer, dem<br />
andere ihre Kraft mit Freude schenken.<br />
Rund 25 Jahre lang sammelt er Erfahrung in der Großindustrie,<br />
ehe für ihn der lang gehegte Traum „eine Art Luft-Verkehrs-<br />
Unternehmen“ <strong>zu</strong> gründen, Wirklichkeit wird. 1985 steigt er bei<br />
OHB ein und stellt fortan seine in der Fachwelt immer wieder als<br />
genial beschriebene technische Begabung in den Dienst der<br />
<strong>zu</strong>nächst noch kleinen Firma.<br />
Ein Schiffsmodell, eine Seenotrettungsboje – Exponate aus der<br />
Frühzeit: Hier beginnt unser kleiner Gang durch die Unternehmensgeschichte<br />
in der Empfangshalle der Fuchs Gruppe. Dann<br />
der erste Satellit: BremSat, der erste „Kleine“ für die Wissenschaft,<br />
den OHB <strong>zu</strong>sammen mit der Fallturmgesellschaft ZARM<br />
entwickelt hat. Es folgen Safir2, Mita, Rubin2 und andere Kommunikationssatelliten,<br />
dann – und schon sind wir in der Gegenwart<br />
– ENVISAT: Für den größten europäischen Umweltsatelliten<br />
hat OHB die gesamten mechanischen Bodenanlagen, einen Zentralrechner<br />
und Kabelbäume entwickelt und gebaut. Seit 2002<br />
ist ENVISAT unterwegs und untersucht die Erdatmosphäre: Wo<br />
entsteht das Treibhausgas? Wie viel da<strong>von</strong> schlucken Wälder und<br />
Meere?<br />
Eine drei bis vier Meter große Antennenschüssel lenkt das<br />
Thema wieder auf das derzeit größte Projekt: SAR-Lupe. „Wenn<br />
sie wüssten, was ich weiß,“ hatte Manfred Fuchs vor zwei Jahren<br />
spaßend auf die Vergabe des SAR-Lupe-Projekts angespielt,<br />
„dann würden sie unsere Aktien kaufen.“ Und wirklich: Die<br />
junge Aktie erlebte einen rasanten Kursanstieg. Vor zwei Jahren<br />
noch lag sie bei rund 5 Euro, während sie heute bereits über 9<br />
Euro geklettert ist. Eine Dividende wird in diesem Jahr erstmalig<br />
ausgeschüttet: 12 Cent pro Aktie. 65 Prozent des Gesamtpakets<br />
<strong>von</strong> knapp 15 Millionen Aktien liegen bei der Familie, der<br />
Rest geht an institutionelle und private Anleger.<br />
59
60 Wirtschaft<br />
Bremer Satellitenbauer<br />
Was sagt Manfred Fuchs seinen Anlegern heute? Na, ein Blick in<br />
den Geschäftsbericht der OHB Technology spricht <strong>zu</strong>nächst für<br />
sich: Nach einem Umsatzplus <strong>von</strong> 42 Prozent im Jahr 2003 stieg<br />
der Umsatz im vergangenen Jahr um 43 Prozent auf fast 140<br />
Millionen Euro. Dieser Umsatz wird <strong>zu</strong> über 90 Prozent in dem<br />
Unternehmensbereich „Raumfahrt und Sicherheit“, der in der<br />
OHB-System AG <strong>zu</strong>sammengefasst ist, erwirtschaftet. „Wir sorgen<br />
für Wachstum!“, sagt Manfred Fuchs, Chef dieses größten<br />
und ältesten Geschäftsbereichs. <strong>Der</strong>zeit laufen sehr aussichtsreiche<br />
Verhandlungen über eine Aufstockung des SAR-Lupe-Projekts<br />
und auch andere Folgeaufträge wie <strong>zu</strong>m Beispiel die Herstellung<br />
eines Systemverbundes zwischen dem deutschen und<br />
dem französischen Aufklärungssystem stehen in Aussicht.<br />
Außerdem fiebert das Unternehmen einer ganz großen Entscheidung<br />
entgegen: Schon bald soll der Milliarden-Auftrag für<br />
das Projekt SATCOMBwII vergeben werden, für das sich OHB<br />
<strong>zu</strong>sammen mit T-Systems und Thales beworben hat. Dabei geht<br />
es um den Aufbau und Betrieb eines neuen Satellitenkommunikationsnetzes<br />
für die Bundeswehr mit Hilfe mehrerer geostationärer<br />
Satelliten. Diese „Little Geos“ sollen den militärischen<br />
Sprachverkehr und Datenaustausch verbessern.<br />
Hier, in der Empfangshalle <strong>von</strong> OHB kreisen die „Little Geos“<br />
bereits um ein Modell. Manfred Fuchs sieht sie auch in anderen<br />
Verwendungen: Auch im Rahmen des Satellitenbusses Lux, der<br />
derzeit bei OHB entwickelt wird, sollen die „Little Geos“ die Anwendungsmöglichkeiten<br />
<strong>von</strong> Satelliten in den Bereichen Telekommunikation,<br />
Meteorologie und Erdbeobachtung erheblich<br />
erweitern.<br />
In den Unternehmensbereich „Raumfahrt und Sicherheit“ gehört<br />
auch die Mitarbeit an dem europäischen Satellitennavigationssystem<br />
GALILEO. OHB-System arbeitet in Schlüsselpositionen<br />
<strong>zu</strong>r Herstellung der Satelliten und hofft auf den Auftrag, das<br />
System ab 2008 als Kernpartner im iNAVSAT-Konsortium betreiben<br />
<strong>zu</strong> können. Die Liste weiterer Projekte in der „Raumfahrt<br />
und Sicherheit“ ist noch lang und führte <strong>zu</strong> weit – deshalb sei<br />
nur noch ein weiteres, ganz wichtiges Gebiet erwähnt: OHB hat<br />
auch in der bemannten Raumfahrt eine herausragende Stellung.<br />
So ist das Unternehmen als einziges an allen wesentlichen Forschungseinrichtungen<br />
<strong>von</strong> Columbus, dem europäischen Beitrag<br />
<strong>zu</strong>r Internationalen Raumstation, beteiligt.<br />
Neben der „Raumfahrt und Sicherheit“ umfasst die OHB Technology<br />
AG auch die Unternehmensbereiche „Telematik“ und „Satellitendienste“.<br />
Die „Telematik“, ein Kunstwort aus Telekommunikation<br />
und Informatik, befasst sich vor allem mit Lösungen für<br />
die intelligente Steuerung <strong>von</strong> LKW- , Auto- und Schiffsverkehren.<br />
Wo befindet sich welcher LKW einer Flotte, was hat er geladen,<br />
wann hat er Pausen gemacht? Das sind Fragen, deren Antworten<br />
<strong>zu</strong>m Beispiel die Effizienz einer Spedition steigern können.<br />
Jüngster Geschäftserfolg der „Satellitendienste“: <strong>Der</strong> Auftrag<br />
des US-amerikanischen Satellitenbetreibers ORBCOMM über<br />
einen neuen Satelliten <strong>zu</strong>r Überwachung des Schiffsverkehrs vor<br />
den amerikanischen Küsten. Die OHB Technology AG beschäftigt<br />
gut 280 Mitarbeiter, die gesamte Fuchs Gruppe mit ihren Tochterunternehmen<br />
und Beteiligungen in Italien, Frankreich,<br />
Luxemburg, Russland und den USA an die 500.<br />
Ein Blick <strong>zu</strong>rück auf den „Fußball“ an der neuen Halle auf dem<br />
Firmengelände: In diesem „Radom“, dem Radardome, hat OHB<br />
im Rahmen des SAR-Lupe-Projekts jüngst erste Testaufnahmen<br />
<strong>von</strong> der Internationalen Raumstation gemacht. Auch das hat es<br />
noch nicht gegeben. Bisher konnten Testaufnahmen erst aus<br />
dem All gemacht werden – mit weitaus höheren finanziellen<br />
Risiken. Immer neue Ideen, hervorragende Produkte, ein unschlagbares<br />
Team – und: ein sicherer Instinkt für Marktentwicklungen<br />
und große Flexibilität in der Fähigkeit, sich auf Neues<br />
ein<strong>zu</strong>stellen – das sind wohl die Ingredienzien, die OHB, heute<br />
„Orbitale Hochtechnologie <strong>Bremen</strong>“, in den letzten Jahren <strong>zu</strong><br />
einem deutschen Vorzeigeunternehmen haben werden lassen.<br />
Zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen wie <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
„Unternehmer des Jahres“ drücken die Leistungen eines großen<br />
Unternehmers aus. Denkt Manfred Fuchs mit 67 Jahren ans Aufhören?<br />
Natürlich nicht: „Bis 75“, lautet seine vage Prognose.
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62 Wirtschaft<br />
Wasserfonds<br />
Wasser: Öl des 21. Jahrhunderts?<br />
Fotos: Frank Pusch
Franz Ganss<br />
<strong>Der</strong> Bedarf an Süßwasser steigt mit zwei bis drei Prozent jährlich<br />
doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung.<br />
<strong>Der</strong> Rohstoff Wasser wird immer wertvoller. Zwar ist die Erdoberfläche<br />
<strong>zu</strong> zwei Dritteln mit Wasser bedeckt, doch nur ein<br />
winziger Teil da<strong>von</strong> kann als Lebensmittel oder für die Landwirtschaft<br />
genutzt werden. 97,2% der Wasservorräte auf unserem<br />
Planeten sind ungenießbares Salzwasser. 2,1% sind in Polarkappen<br />
und Gletschern als Eis gebunden.<br />
Lediglich 0,6% stehen als Süßwasser in Form <strong>von</strong> Oberflächenwasser<br />
in Seen und Flüssen und als Grundwasser unterirdisch <strong>zu</strong>r<br />
Verfügung.<br />
Experten gehen da<strong>von</strong> aus, dass im Jahr 2025 ein Drittel der<br />
Menschheit keinen Zugang <strong>zu</strong> sauberem Trinkwasser haben wird.<br />
Am verschwenderischsten geht die Landwirtschaft mit dem<br />
kostbaren Wasser um. Eine Orange benötigt 50 Liter Wasser bis<br />
<strong>zu</strong>r Reife. Ein Kilogramm Blumen saugt 1000 Liter auf, und für<br />
ein Kilogramm Fleisch werden 5000 Liter benötigt. Um in der<br />
Wüste der arabischen Staaten eine Tonne Getreide <strong>zu</strong> produzieren,<br />
müssen über 2000 Tonnen Wasser auf die Felder gepumpt<br />
werden.<br />
Das Thema Wasser birgt viel Phantasie für Techniker aber auch<br />
Investoren. Als Anlagethema ist es erst sehr spät entdeckt worden.<br />
Den weltweit ersten Wasserfonds brachte die Schweizer<br />
Privatbank Pictet auf den Markt und hatte auf Anhieb Erfolg.<br />
<strong>Der</strong> aktiv gemanagte Investmentfonds konnte nach dem Start<br />
im Januar 2000 zweistellig <strong>zu</strong>legen.<br />
Hans Peter Portner, Fondsmanager des Pictet Funds Water<br />
zeichnete bei seinem Vortrag im Rahmen der vom Bankhaus<br />
Plump veranstalteten „Gespräche am Markt“ ein faszinierendes<br />
Bild der weltweiten Wasserversorgung.<br />
Egal ob Wasser für die Industrie, die Landwirtschaft oder den<br />
Verbrauch der Bürger, ohne ein engmaschiges Netz <strong>von</strong> Wasserleitungen<br />
und komplexer Technik funktioniert die Wasserversorgung<br />
nicht. Die Lebensdauer <strong>von</strong> Trinkwasserleitungen, so Hans<br />
Peter Portner, betrage je nach Qualität und Komplexität 50 bis<br />
100 Jahre. Das sei ein weltweiter Erfahrungswert und entsprechend<br />
müssten jährlich ein bis zwei Prozent der Leitungen und<br />
der diese versorgenden technischen Systeme erneuert werden.<br />
Während Städte wie Amsterdam, Zürich oder Wien regelmäßig in<br />
ihre Infrastruktur investieren, gibt es eine Vielzahl <strong>von</strong> Städten,<br />
deren Nachholbedarf riesig ist. In London, wo jährlich weniger<br />
als 1 Prozent der Leitungssysteme erneuert werden, versickern<br />
bis <strong>zu</strong> 50% des Leitungswassers in der Erde. Ähnlich die Situation<br />
in New Orleans. Statistisch gesehen gehen in den Vereinigten<br />
Staaten jährlich rund 20% des transportierten Trinkwassers<br />
durch undichte Leitungen verloren.<br />
Um die bestehende Wasserversorgung sicherstellen und der<br />
weltweit steigenden Nachfrage nach Wasser gerecht werden <strong>zu</strong><br />
können, seien, so der Pictet Fondsmanager, gigantische Inves-<br />
63<br />
titionen nicht nur in den Industrienationen notwendig. Und<br />
diese werden immer häufiger <strong>von</strong> privaten Betreibern getätigt,<br />
an die der Staat den Auftrag <strong>zu</strong>r Wasserversorgung gegen klingende<br />
Münze delegiere. So haben Millionenstädte wie Berlin,<br />
Paris und Shanghai heute schon privatisierte Wassersysteme.<br />
Für Anleger lohne sich daher ein Blick auf Unternehmen, die ihr<br />
Geld mit der Versorgung, Aufbereitung, Reinigung und Entsorgung<br />
<strong>von</strong> Wasser sowie der Herstellung der dafür notwendigen<br />
Technologien und Anlagen verdienen. Mittlerweile rechneten<br />
Analysten mit zweistelligen Wachstumsraten für Dienstleister,<br />
Ausrüster und Versorger auf den weltweiten Wassermärkten.<br />
Fondsmanager Portner hält den Markt für Wasserversorgung vor<br />
allem deswegen für interessant, weil dieser Bereich rund um den<br />
Globus unterinvestiert sei. „In den Ländern Osteuropas beispielsweise,<br />
die der EU beigetreten sind oder vor dem Beitritt<br />
stehen, müssen auch die EU-Auflagen in punkto Wasserversorgung<br />
erfüllt werden, hier besteht noch großer Investitionsbedarf.“<br />
Aber auch die sich wandelnden Verbrauchergewohnheiten bergen<br />
Anlagephantasien für Wasser Fonds. Immer mehr Menschen<br />
beziehen ihr Trinkwasser nicht mehr aus der Leitung, sondern in<br />
verpackter Form als Markenprodukte. <strong>Der</strong> Markt für Packaged<br />
Water (Mineralwasser) boomt. Dieses Segment ist im Pictet<br />
Funds Water immerhin mit 8% vertreten. Wasserdienstleistungen<br />
machen mit 46% fast die Hälfte der Sektorallokation aus.<br />
Unternehmen der Wasser-Technologie sind mit 34% und<br />
Umwelt-orientierte Unternehmen mit 9% vertreten.<br />
„Die Wasserindustrie ist eine Insel in einer deflationären Welt“,<br />
meint Hans Peter Portner, der als Senior Investment Manager bei<br />
Pictet den Wasserfonds betreut, während sein Kollege Philippe<br />
Rohner als studierter Ingenieur schwerpunktmäßig die Technologien<br />
der Unternehmen analysiert. Das Fondsmanagement wird<br />
<strong>von</strong> einem auf Wasserthemen spezialisierten wissenschaftlichen<br />
Beirat unterstützt, dessen Fach- und Branchenkompetenz helfen<br />
soll, frühzeitig interessante Trends und Investitionschancen im<br />
Wassersektor auf<strong>zu</strong>spüren.<br />
<strong>Der</strong> Erfolg gibt den findigen Pictet Managern recht. Wasser<br />
scheint langfristig eine gute Anlage <strong>zu</strong> sein. Gegen den Trend<br />
hat der Pictet Funds Water bislang eine gute Figur gemacht und<br />
ist so <strong>zu</strong> einem guten Beispiel für Anleger geworden, dass im<br />
Fondsgeschäft nicht immer nur die großen Namen und Branchen<br />
auf dem Orderzettel stehen müssen.<br />
So hat, wie das Pictet Management <strong>zu</strong> berichten weiß, ihr Wasserfonds<br />
in den 5 Jahren seit der Auflegung den MSCI Word<br />
Index (Index aller bedeutenden Aktienmärkte der Welt) deutlich<br />
outperformed. Und die Genfer Fondsspezialisten sind sicher,<br />
dass das spannende Thema Wasser ihrem Fonds auch in Zukunft<br />
Erfolg garantieren wird.
64<br />
„Gespräche am Markt” BANKHAUS CARL F. PLUMP & CO.<br />
Das Schweizer Bankhaus Pictet stellt ihren „Pictet Funds Water” vor
66 Wirtschaft<br />
<strong>Club</strong>-Test BMW 1er<br />
Foto: Frank Pusch<br />
Ursula Carl<br />
testet<br />
den BMW 1er<br />
Benjamin der BMW-Familie
Rüdiger Hoffmann<br />
Er sei eine Besonderheit in seiner Klasse, der BMW Einser,<br />
schreibt Auto Motor und Sport, nicht nur wegen seiner ansprechenden<br />
Statur, sondern mehr noch wegen seines Antriebskonzeptes<br />
mit Längsmotor vorne, langer Haube und Heckantrieb<br />
ganz hinten unter einem knappen, wuchtigen Karosserieüberhang.<br />
Besondere Autos verlangen nach besonderen Kulissen. Was lag<br />
näher, als Ursula Carl unseren „<strong>Club</strong>“-Einser dort <strong>zu</strong> präsentieren,<br />
wo sie beruflich engagiert ist. Die Direktorin des Atlantic<br />
Hotel Airport hat aus ihrem Restaurant Blixx im achten Stock<br />
einen atemberaubenden Panoramablick über den Bremer Flughafen<br />
und seine Rollfelder und weiß nicht so recht, wo ihr Blick<br />
als Testfahrerin <strong>von</strong> „<strong>Club</strong>“ <strong>zu</strong>erst stehen bleiben soll. Auf dem<br />
feuerroten Flugoldie mit einer Sechszylinder-Boxermaschine,<br />
luftgekühlt, 270 PS stark und produziert in Bayern <strong>von</strong> BMW,<br />
oder auf ihrem Arbeitsgerät, dem silbergrauen 116i mit 115 PS,<br />
ebenfalls produziert in Bayern <strong>von</strong> BMW. Für drei Tage sollte der<br />
kleine Viersitzer nun Dienstfahrzeug für die vielbeschäftigte<br />
Hotelmanagerin sein. Erste Reaktion: „<strong>Der</strong> sieht so knuffig aus,<br />
hat schöne runde Formen und ist sehr kompakt, ein Auto <strong>zu</strong>m<br />
Anfassen.“<br />
Chris Bangle, der Chef-Designer <strong>von</strong> BMW, hat ganze Arbeit<br />
geleistet. Seine Formensprache verkneift sich stilistische Überforderungen<br />
der anspruchsvollen Kundschaft. Was da steht, ist<br />
ein BMW. Die Familienähnlichkeit mit dem neuen Fünfer, Dreier,<br />
ja selbst mit dem heftig polarisierenden Siebener ist unübersehbar.<br />
Knappe Karosserieüberhänge, eine lange Haube, eine<br />
hohe Fensterlinie und eine Quetschfalte darunter, das macht<br />
dem Einer keiner der im Windkanal gleichgeformten Konkurrenten<br />
der Kompaktklasse nach. In der Wirtschaft heißt so etwas<br />
Alleinstellungsmerkmal. Womit wir beim Preis sind. Da ist der<br />
Einser die Nummer eins. Knapp unter 20.000 Euro fängt der<br />
Spaß mit dem motorischen BMW-Benjamin, dem 116i und 115<br />
67<br />
PS an und der 120d, der große Dieselbruder mit 163 PS beginnt<br />
bei einem Grundpreis <strong>von</strong> 24.400 Euro.<br />
Doch <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> unserem Benjamin in der Einser Palette. Metalliclackierung,<br />
Ledersitze, Radio und CD-Player, Glasschiebedach<br />
und Sitzhei<strong>zu</strong>ng, kur<strong>zu</strong>m alles an Zubehör, was das Autofahren<br />
erst so richtig schön macht, schieben den Grundpreis locker um<br />
mehrere tausend Euro nach oben. Ein Schnäppchen ist er nicht,<br />
der Einser. Eher ein Premium Angebot in einem Markt, der <strong>von</strong><br />
den etablierten Klassen-Konkurrenten a la Golf verbissen verteidigt<br />
wird.<br />
Bereits beim Platznehmen hinter dem sportlichen Volant fällt<br />
Ursula Carl die gelungene Bedien-Ergonomie auf. Das fahrerorientierte<br />
Cockpit, Knöpfe und Hebel, auch die Schaltung,<br />
alles am richtigen Fleck. Hände und Finger müssen nur <strong>zu</strong>greifen.<br />
Und dann der nostalgische Anlasserknopf. Eine Spielerei,<br />
die Ursula Carl begeistert. „Das find ich cool. Es erinnert mich<br />
an ein Sportflugzeug, da hat man das Gefühl, kaum gedrückt<br />
und schon geht die Post ab.“
68<br />
Wir fahren los und orientieren uns Richtung Autobahn. BMW<br />
setzt auf aktive Fahrer, auch beim Einser. Das sportliche Fahrwerk,<br />
das fast unverändert auch in der neuen Generation der<br />
Dreier seinen Dienst tut, begeistert mit seiner Direktheit. Ursula<br />
Carl gefällt das, wenngleich sie einräumt, dass es sicherlich<br />
Zeitgenossen geben mag, die auf diese Form <strong>von</strong> sportlichem<br />
Kontakt mit der Fahrbahn gerne verzichten würden. Auf der<br />
Autobahn zeigt sich, dass das limousinenhafte Abrollen und<br />
Dahinschweben nicht die Paradedisziplin unseres Einsers ist. Mit<br />
selbstbewusster Zuverlässigkeit werden Querfugen und Wellen<br />
im Belag <strong>zu</strong>rückgemeldet, nicht unangenehm, aber immerhin<br />
spürbar. Wie sagen die Jäger? Man kann nicht beides, den Hasen<br />
streicheln und gleichzeitig essen wollen. „Zwischen sportlich<br />
orientiert und Komfortversprechen muss man sich entscheiden.<br />
<strong>Der</strong> Einser <strong>von</strong> BMW ist eben etwas Besonderes“, meint die<br />
bekennende Dienstleisterin. „Wer ein solches Auto kauft, will<br />
sich <strong>von</strong> anderen unterscheiden.“ Für Ursula Carl, die privat<br />
einen Fünfer <strong>von</strong> BMW fährt, ist Kritik an diesem High Tech-<br />
Fahrwerk aus Leichtmetall mehr Nörgelei als Sachkunde.<br />
Wir sind auf den kurvigen Landstraßen zwischen Syke und<br />
Bruchhausen-Vilsen angelangt. Hier ist der Einser in seinem Element.<br />
So feinfühlig, so präzise fährt sich keiner seiner Konkurrenten.<br />
<strong>Der</strong> Hinterradantrieb beschert ein erstklassiges Fahrverhalten<br />
und ein überdurchschnittlich gutes Handling. Die ausgewogene<br />
Gewichtsverteilung (48,5% des Gesamtgewichts belasten<br />
die Hinterräder) macht sich beim Kurvenfahren in einer in<br />
dieser Klasse unbekannten Neutralität bemerkbar. Die fein abgestimmte<br />
ESP-Regelung sorgt für Fahrsicherheit auch dann, wenn<br />
der Fahrer es einmal in den Kurven <strong>zu</strong> heftig hat angehen lassen.<br />
Das Heck macht in solchen Grenzsituationen schon einmal<br />
programmiert einen kleinen Schwenk nach außen und fertig ist<br />
die Angelegenheit. Die Elektronik hat mitgedacht und <strong>zu</strong>verlässig<br />
korrigiert. Den kleinen Adrenalinschub für den Fahrer gibt es<br />
kostenlos da<strong>zu</strong>.<br />
Ursula Carl kann gar nicht genug bekommen vom Kurvenfahren<br />
dieser Art, auch wenn sie fahrdynamische Extreme, Grenzsituationen<br />
also, gekonnt vermeidet. Die überwiegende Mehrheit der<br />
Einser-Piloten werden das unaufgeregte gleichwohl präzise Handling<br />
schätzen, ohne unbedingt genau wissen <strong>zu</strong> wollen, warum<br />
die Lenkung des kleinen Bayern so störungsfrei, gleichsam<br />
abgekoppelt <strong>von</strong> den Straßenverhältnissen ihren Dienst tut. Die<br />
Erklärung ist einfach: Im Gegensatz <strong>zu</strong> den Fronttrieblern in dieser<br />
Klasse wie Golf, Opel, Ford und Toyota, bei denen die<br />
Antriebskräfte schon einmal nervend über die Vorderräder an der<br />
Lenkung zerren, bringt der BMW seine Kraft eben ganz unauffällig<br />
über die Hinterräder auf die Straße, während die Vorderräder<br />
sich ganz ungestört ihren lenkenden Aufgaben widmen können.<br />
Nach über 100 km Fahrt durch die landschaftlich reizvolle<br />
Umgebung im Südwesten <strong>Bremen</strong>s kommen wir auf die Platzverhältnisse<br />
dieses charmanten Kompaktautos <strong>zu</strong> sprechen.<br />
<strong>Der</strong> Neuling aus Bayern versucht gar nicht erst mit den braven<br />
Kompaktlimousinen der Golf-Klasse auf dem Gebiet der Raumökonomie<br />
<strong>zu</strong> wetteifern. Längsmotor und Heckantrieb sind eben<br />
längst nicht so platzsparend wie ein quer eingebautes Triebwerk<br />
mit Frontantrieb. Das bayerische Traditionskonzept gilt dafür<br />
eben als sportlicher und hat mit Sicherheit einen ganzen Schuss<br />
mehr automobiler Erotik <strong>zu</strong> bieten als Golf und Co. Wer häufiger<br />
mit vier Personen unterwegs sein will, sollte sich den Einser<br />
noch einmal kritisch ansehen. Was das Platzangebot angeht,<br />
punktet die Konkurrenz. Das sieht BMW gelassen und verweist<br />
auf den über die Heckklappe gut <strong>zu</strong>gänglichen Kofferraum, der<br />
sich durch das Umlegen der hinteren Rückenlehnen eindrucksvoll<br />
vergrößern lässt.<br />
Kann man sagen, dass ist eher ein Frauen-Auto, will ich <strong>von</strong><br />
Ursula Carl wissen. Sie widerspricht energisch. „<strong>Der</strong> ist geschlechtsneutral,<br />
den können Frauen als City-Auto und Männer<br />
als automobiles Spielzeug fahren oder umgekehrt. Ich finde, der<br />
ist bis auf das ein wenig eingeschränkte Platzangebot universell.<br />
<strong>Der</strong> ist, wenn man nicht mit mehr als zwei Personen verreisen<br />
muss, sogar eine vernünftige Alternative <strong>zu</strong> einem Dreier<br />
oder sogar <strong>zu</strong> einem Fünfer. Wer in einem solche Einser fährt,<br />
wird nicht in den Verdacht geraten, er könne sich etwas Größeres<br />
nicht erlauben und der hat auch nicht das Gefühl, dass sein<br />
Auto unbedingt größer sein müsste.“ Immerhin sprintet der<br />
kleinste Einser mit seinen 115 PS in gut 10 Sekunden <strong>von</strong> 0 auf<br />
Hundert und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit <strong>von</strong> 200 km/h.<br />
Im September dieses Jahres noch bekommt die Einser-Flotte<br />
Verstärkung. BMW legt einen Kraftprotz nach, der mit der neuen<br />
Sechszylindermaschine des Fünfer und 258 PS unter der Haube<br />
die Rolle des Wolfs im Schafspelz übernehmen soll. Damit dürfte<br />
die Hoheitsfrage nicht nur in dieser Klasse entschieden sein.
<strong>Der</strong> BMW 1er in Zahlen:<br />
Fünf Motorvarianten zwischen 115 und 163 PS<br />
Die Modelle 116i (115 PS), 118i (129 PS) und 120i (150 PS) verfügen über Benzinmotoren, erreichen eine Höchstgeschwindigkeit<br />
<strong>von</strong> 200 km/h, 208 km/h, respektive 217 km/h und sollen rd. 7,5 Liter/100 km verbrauchen. <strong>Der</strong> Grundpreis des 116i,<br />
der in der Käufergunst unangefochten auf Platz 1 liegt, beträgt Euro 19.900, der des nächst größeren Benzinbruders, des 118i,<br />
Euro 21.500. <strong>Der</strong> z.Zt. noch stärkste Benziner, der 120i, hat einen Grundpreis <strong>von</strong> Euro 23.700.<br />
Die beiden Diesel-Modelle, der 118d (122 PS) und der 120d (163 PS), sind mit drehmomentstarken (280 Nm und 340 Nm) Dieseltriebwerken<br />
ausgerüstet und verbrauchen rd. 5,7 Liter/100 km. <strong>Der</strong> Grundpreis des 118d, der <strong>von</strong> den Fachzeitschriften als<br />
der Einser mit dem besten Preis/Leistungsverhältnis bezeichnet wird, beträgt Euro 22.000, der große Dieselbruder, der 120d,<br />
kostet im Grundpreis Euro 24.700.<br />
Im September 2005 soll der Star unter den Einsern, der 130i, mit dem neuen 6 Zylinder-Motor aus der Fünfer Baureihe mit 258<br />
PS, ausgeliefert werden.<br />
69
70 <strong>Bremen</strong><br />
Willehad<br />
Erster Bischof <strong>von</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Bremen</strong>-Gründer
72 <strong>Bremen</strong><br />
Willehad<br />
Erster Bischof <strong>von</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Bremen</strong>-Gründer<br />
Claus Schmid<br />
Willehad aus Northumberland war der erste Bischof <strong>von</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />
Wo heute der Dom steht, weihte Willehad am Sonntag, dem<br />
1. November 789 n. Chr. dem Heiligen Petrus eine Kirche. Am<br />
13. Juli 787 n. Chr. war Willehad in Worms vom Frankenkönig Karl<br />
<strong>zu</strong>m Bischof ordiniert wurden. Für <strong>Bremen</strong> kann dieser Akt gar<br />
nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ohne Willehads Kirchenbau<br />
hätten <strong>von</strong> <strong>Bremen</strong> aus niemals Bischöfe oder Erzbischöfe<br />
Politik betrieben, wäre <strong>Bremen</strong> niemals <strong>zu</strong>r freien Reichsstadt<br />
erhoben worden. Dies ist die Geschichte des Mannes, der als Gründer<br />
<strong>Bremen</strong>s gilt.<br />
Fünf Mönche, in wollene dunkle Kutten gehüllt, sind in einem<br />
spartanisch eingerichteten Raum um ein prasselndes Kaminfeuer<br />
versammelt und verzehren schweigend aus hölzernen Schüsseln<br />
ein kärgliches Mahl, Gemüse, Brot und Fisch. Etwas abseits<br />
kauert ein älterer Mönch und starrt gedankenverloren in einen<br />
Becher, an dem er hin und wieder nippt. Die Gedanken des Mönches<br />
umkreisen den gestrigen Tag, an dem er den hölzernen<br />
Dom hier am rechten Ufer des Flusses Wisura (Weser) auf der<br />
langen Düne feierlich unter dem Gesang der Mönche und der<br />
andächtig lauschenden Menge <strong>von</strong> Bauern, Händlern, Flussschiffern,<br />
Mägden und Kindern dem Heiligen Petrus, dem ersten<br />
Jünger des Herrn, geweiht hat. Das Wetter war für diese Jahreszeit<br />
noch sehr mild und so wurden die Menschen <strong>von</strong> weither<br />
angelockt, um an dem Ereignis teil<strong>zu</strong>nehmen. Zu seiner großen<br />
Freude war die Kirche berstend voll. Dicht gedrängt lauschten<br />
sie seinen Worten. Das Kirchenschiff war erfüllt vom Duft des<br />
Weihrauchs und ein Meer <strong>von</strong> Kerzen erhellte den Altar und<br />
tauschte ihn in ein geheimnisvolles mystisches Licht. Von der<br />
Liebe Christi, <strong>von</strong> seinen Leiden und der Auferstehung hatte er<br />
ihnen gepredigt und die bange Frage quält ihn: Hatten die Menschen<br />
verstanden, wo<strong>von</strong> er gesprochen hatte? War die Saat in<br />
ihnen aufgegangen, die er in den letzten Monaten und Jahren<br />
in ihre Herzen gelegt hatte? Konnte die pausbäckige, dralle<br />
Dienstmagd, die ihn aus großen dunklen Augen anstarrte, konn-<br />
te der mürrisch schauende Händler, die blonde Bauersfrau,<br />
konnten sie alle das Mysterium der Eucharistie nachvollziehen?<br />
„Ach Herr“, seufzt der Alte. „Wie süß und verlockend ist dein<br />
Wort und wie schwer ist es doch, Seelen <strong>zu</strong> gewinnen.“ Mühsam<br />
erhebt er sich und setzt sich in den Kreis der schweigend essenden<br />
Mönche, die <strong>zu</strong>sammenrücken, um ihm Platz <strong>zu</strong> machen.<br />
Das flackernde Licht des Feuers erhellt ein <strong>von</strong> vollem grauen<br />
Haar umrahmtes asketisches Gesicht. <strong>Der</strong> graue Bart, besonders<br />
die großen dunklen Augen, die ein seltsames Feuer versprühen,<br />
aber voll Güte auf die Schar der Mönche blicken, geben dem<br />
Alten ein überlegenes, achtungsgebietendes Aussehen. Trotz<br />
seines schmächtigen Körperbaus hätte ein Beobachter ihn<br />
sofort als Führer, als den Mentor der Gruppe erkannt. Als er sich<br />
<strong>zu</strong> ihnen gesellt, beginnen die Mönche <strong>zu</strong> schwatzen und einer<br />
wendet sich an ihn. „Ehrwürdiger Vater, nachdem wir hier in<br />
Bremun (am Rande) nun das Haus des Herrn geweiht und diesen<br />
Ungläubigen, diesen Verlorenen, das Evangelium verkündet, und<br />
sie in den Schoß der Heiligen Kirche geführt haben, was sind<br />
jetzt deine Pläne? Gehen wir weiter ins Land der Sachsen bis <strong>zu</strong>r<br />
kimbrischen Halbinsel (westliches Holstein), brauchen nicht alle<br />
Menschen das Wort Gottes?“ Die Mönche blicken den Bischof<br />
erwartungsvoll an. Dieser sieht schweigend in die Runde. „Brüder“,<br />
beginnt er mit sanfter Stimme, „hier in Bremun, an diesem<br />
Fluss, in dieser Siedlung muss sich der Glaube erst festigen,<br />
müssen die alten Götter Wotan, Thor und Baldur aus den Köpfen<br />
dieser Geschöpfe. Lasst uns nur in der näheren Umgebung<br />
in Richtung Riustri (Budjardingen) missionieren. <strong>Der</strong> Herr wird<br />
uns leiten. Bedenkt auch Brüder, dass es jederzeit wieder <strong>zu</strong><br />
Aufständen der Sachsen kommen kann. Wenn das geschieht,<br />
braucht die Herde der Gläubigen und der noch Schwankenden in<br />
ihrer Mitte einen Hirten. Noch kein Jahrzehnt ist es her, dass<br />
ich in diese Gegend kam und hier an gleicher Stelle eine kleine<br />
Kirche baute. Damals brach plötzlich der Aufstand gegen die<br />
Franken los und die friedlichen Landleute und Bauern, denen ich<br />
eben noch das Wort Gottes verkündigt hatte, verwandelten sich<br />
in reißende Wölfe. Unter ihrem Anführer Widukind (Wotans<br />
Sohn) verwüsteten sie das Land, zerstörten die Kirche und mor-
deten die Gläubigen. Es war als wäre der Würgeengel des Herrn<br />
über dieses Land gekommen. Viele treue Zeugen starben den<br />
Märtyrertod.“ Seine Stimme wird brüchig, er stockt. Lange starrt<br />
er in das Feuer, eine starke Erregung hatte ihn erfasst. „Erzähl<br />
uns aus diesen Tagen, Bruder“, unterbricht ein jüngerer Mönch<br />
die Stille, „ja, erzähl uns aus deinem Leben“, ruft ein anderer.<br />
„Mein Leben“, flüstert Willehad, „was gibt es da <strong>zu</strong> sagen. Ich<br />
bin nur ein unwürdiger Diener unseres Herrn Jesus Christus. In<br />
entscheidender Stunde habe ich gefehlt und versagt.“ Erneut<br />
stockt er.<br />
Als er merkt, dass seine Brüder ihn fragend und gespannt anblicken,<br />
beginnt er wieder. „Nun gut, wisset liebe Brüder, dass ich<br />
in Northumberland, jenseits des Kanals geboren bin, ganz in der<br />
Nähe der alten Römerstadt York. Das Land ist karg und die Menschen<br />
sind arm. Arbeit und Mühe sind ihr Los, aber der Glaube<br />
ist ihr unerschütterliches Fundament. Meine Mutter erzählte mir<br />
früh Geschichten <strong>von</strong> Aposteln und Märtyrern und groß war<br />
mein Verlangen, ihnen nach<strong>zu</strong>eifern. Aber als ich heranwuchs,<br />
begannen die Dinge der Welt mich <strong>zu</strong> entzücken. Spricht nicht<br />
auch der Heilige Augustinus, dass die Verlockungen der Welt<br />
ihre eigene Süße haben, und dass diese Süße nicht gering <strong>zu</strong><br />
achten sei? Auch solle man nicht leicht mit der Welt brechen,<br />
denn schimpflich wäre es, nachher reumütig <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren.<br />
Auch in meinem Leben häuften sich damals die Sünden, aber ich<br />
habe es dem Herrn <strong>zu</strong> danken, dass ich mich nicht im Dornengestrüpp<br />
feiler Weltlust verfing. Als ich dann in York die Wissenschaften<br />
studierte, hörten wir vom Martyrium des großen<br />
Bonifatius, der <strong>von</strong> den Friesen einen schändlichen Tod erlitten<br />
hatte. In vielen <strong>von</strong> uns Studenten erwachte damals das ungestüme<br />
Verlangen, den Heiden das Evangelium <strong>zu</strong> bringen. Nachts<br />
lag ich wach, durchforschte die Schriften und erwartete ein Zeichen<br />
vom Herrn, um einer Berufung gewiss <strong>zu</strong> sein. Fasten,<br />
beten und studieren, gemäß der Ordnung des Heiligen Benedikt,<br />
waren mein Leben. Bis mir die ersehnte Klarheit endlich <strong>zu</strong>teil<br />
wurde, das Land der Friesen und Sachsen <strong>zu</strong> missionieren. Nicht<br />
den bequemen Weg wollte ich gehen, sondern den mühevollen<br />
und beschwerlichen, um mich unseres Herrn würdig <strong>zu</strong> erweisen.<br />
73
74 <strong>Bremen</strong><br />
Willehad<br />
Erster Bischof <strong>von</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Von meinem geistlichen Oberen und <strong>von</strong> unserem König Ahlred<br />
erbat ich mir Segen und Erlaubnis für meinen gefahrvollen Weg.<br />
In Dokkum (Niederlande), dort wo die Friesen gegen Bonifatius<br />
gefrevelt hatten, begann ich frohen Geistes <strong>zu</strong> predigen. Voller<br />
Aberglauben und falscher Götter sind die Länder der Friesen und<br />
Sachsen. Bäume und Steine sind ihnen heilig. In Vielen war<br />
aber schon der Samen, den Bonifatius gestreut hatte, aufgegangen,<br />
und sie empfingen mich freudig und begrüßten mich<br />
als Bruder. Trotzdem war ich oft in großer Bedrängnis. Ich wurde<br />
verjagt und verhöhnt, bespuckt und geschlagen, auch war ich in<br />
Lebensgefahr. In solchen Stunden war mir der Heilige Paulus<br />
Trost, war er doch gleichen Kümmernissen ausgesetzt. Doch<br />
allem <strong>zu</strong>m Trotz schrieb er: Ich vermag alles durch den, der mich<br />
stark macht, Christus. So kam ich missionierend und betend in<br />
diese Gegend, Gau Wigmodien genannt (Dreieck zwischen <strong>Bremen</strong>,<br />
Bremerhaven, Verden). Das Land erinnerte mich an meine<br />
Heimat. Moore wechselten mit fruchtbaren Weiden voller fetter<br />
satter Kühe. Ein kräftiger Wind wehte beständig vom Meer. Die<br />
Menschen, die hier auf der Düne am Fluss Wisura (Weser) wohnten,<br />
empfingen mich freundlich. Es sind Bauern, Händler und<br />
Torfstecher. Sie nennen ihre Siedlung Bremun, und der Fluss<br />
Wisura ist ihre wichtigste Handelsstraße. Sie erzählten mir, dass<br />
er tief im Sachsenland entspringt und dass auf ihm Waren aller<br />
Art befördert werden bis weit ins Frankenland. Auch sagten sie,<br />
dass hier in Bremun der<br />
größte Markt im<br />
Umkreis sei. Da ich kein<br />
Franke bin, sondern aus<br />
einem Land komme,<br />
dass seine Vorfahren<br />
einst eroberten, begeg-<br />
Ihr Energie-Berater<br />
für <strong>Bremen</strong> und um<strong>zu</strong><br />
Koopmann-Jindelt<br />
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Heizoel<br />
neten sie mir ohne Argwohn<br />
und luden mich in<br />
ihre geräumigen Holzhäuser<br />
ein. Viele waren<br />
begierig, aus der Welt<br />
<strong>zu</strong> erfahren. Einige<br />
fragten auch nach meinen<br />
Göttern. Nur wenn<br />
ich vom Reich der Franken<br />
sprach, sprühten<br />
ihre Augen Hass und ich<br />
spürte ihre Wildheit. Es<br />
sind freie Menschen, die<br />
sich nur ihren Göttern<br />
und ihrem Herzog beugen.<br />
Aber mit der Hilfe<br />
des Herrn gewann ich<br />
ganz langsam ihr Vertrauen.<br />
Durch Gebet<br />
Wilhadi Brunnen am Dom, aufgestellt 1883, Figur 1942 als „Metallspende”<br />
eingeschmolzen, Brunnenbecken fiel 1952 der Verkehrsplanung <strong>zu</strong>m Opfer<br />
heilte ich einige Kranke und mehr und mehr wandten sich <strong>von</strong><br />
ihren alten Göttern ab. Bald schlossen sich mir einige Brüder<br />
an. Hier, wo wir gestern die Kirche dem Heiligen Petrus weihten,<br />
bauten wir damals eine kleine Holzkirche, und voll des<br />
Geistes feierten wir das Mahl des Herrn. Auch wurde uns bald<br />
berichtet, dass das Auge des Frankenkönigs Karl wohlgefällig<br />
auf unserer Arbeit ruhte. <strong>Der</strong> Herrscher ließ uns wissen, dass er<br />
das Werk des Herrn unterstütze.<br />
Viele kamen auch aus Neugier oder weil sie <strong>von</strong> unserem Glauben<br />
gehört hatten, viele aber auch, weil sie an ihren alten Göttern<br />
<strong>zu</strong> zweifeln begannen.<br />
Meine Mitbrüder und ich lehrten und tauften die <strong>zu</strong>m Glauben<br />
gelangten. Wir segneten die Neugeborenen und legten den<br />
Kranken die Hände auf. Die Gemeinde Gottes wuchs unter den<br />
Sachsen bis <strong>zu</strong> jenem grauenvollen Tage.“<br />
Willehads Gesicht verdüstert sich. „Bis <strong>zu</strong> jenem Tage, als ihr<br />
Anführer, der Herr strafe ihn, einen Aufstand unter den Sachsen<br />
anzettelte und unser Werk hier <strong>zu</strong>nichte machte.<br />
Schon seit den Jahren seiner Thronbesteigung führte unser<br />
König Karl Krieg gegen die Sachsen und versuchte sie <strong>zu</strong> unterwerfen.<br />
Viele Adlige und Würdenträger der Sachsen hatten sich<br />
schon unter seine Herrschaft gestellt, aber einer, der Herzog<br />
Widukind, erfachte immer wieder Aufruhr. Und so lange dieser<br />
lebt, ist der Friede, den unser König so sehr wünscht, brüchig.<br />
Dieser Widukind entwich den Häschern Karls immer wieder.<br />
Er floh wahrscheinlich ins Reich der Dänen, ist er doch mit der<br />
Tochter ihres Königs Siegfried verehelicht. Sein Herzogtum liegt<br />
hier ganz in der Nähe, in Wigaldinghus (Wildeshausen). Mit dem<br />
Schlachtruf „Zieht eure Schwerter Sachsen“ tauchte dieser Fürst<br />
der Finsternis plötzlich mit seinen Horden wieder auf und die<br />
Menschen folgten ihm willig, als ständen sie unter einem hypnotischen<br />
Bann. Nur wenige blieben standhaft. <strong>Der</strong> erneute<br />
Krieg war fürchterlich. An grausamer Wildheit kommt diesen<br />
bärtigen Blondschöpfen kaum ein Volk gleich. Sie mordeten und<br />
zerstörten. Wer sich nicht den alten Göttern beugte, starb einen<br />
qualvollen Tod, so meine Brüder Gerwal, Benjamin und Atreban.<br />
Das Grauen ging durchs Land und ich“, die Stimme des Bischofs
wird leiser, „ich liebe Brüder floh. Oh große Schande, wie Petrus<br />
verleugnete ich den Herrn, anstatt wie meine Mitbrüder, freudig<br />
den Märtyrertod <strong>zu</strong> sterben und den Sachsen ein Vorbild des<br />
Glaubens <strong>zu</strong> sein. Voll Reue und Scham entwich ich aus dem<br />
Frankenreich. Ich mied die Menschen und ihre Städte, hatte ich<br />
doch das Gefühl, man könne mir meinen Verrat schon <strong>von</strong> weitem<br />
ansehen wie Aussatz. Vom fahrenden Volk und Händlern,<br />
denen ich begegnete, hörte ich vom furchtbaren Blutgericht<br />
über die Sachsen, das König Karl verhängt hatte. Tausende fielen<br />
durch das Schwert. Ihre Haine wurden zerstört, ihre heilige<br />
Eiche Irminsul verbrannt. Blutgetränkt sei die Erde im Sachsenland<br />
gewesen. Zu meinem Schmerz kam noch der Schmerz über<br />
das Elend dieser gefallenen Welt. Meinen Körper nicht schonend,<br />
empfand ich Hunger, Durst und Strapazen doch als gerechte<br />
Buße, überquerte die Alpen und erreichte das Reich der Langobarden.<br />
Von hier pilgerte ich weiter nach Rom, erhoffte ich mir<br />
vom Heiligen Vater Tröstung und Absolution. Wie ihr wisst, liebe<br />
Brüder, ist die Zeit unser aller Meister und die Güte unseres<br />
Herrn ist so weit der Himmel reicht. Als ich nach Monaten voller<br />
Widrigkeiten, voller Gewissensbisse ob meines Versagens, die<br />
ewige Stadt, den Ort, wo die Apostel gelitten hatten, vor mir<br />
liegen sah im strahlenden Licht der Mittagssonne, weitete sich<br />
mein Geist und die Audienz, die der Papst Hadrian huldvoll<br />
gewährte, ließ meine Seele vollends genesen, sprach unser<br />
oberster Hirte mir brüderlich auch <strong>von</strong> eigenem Versagen und<br />
Versuchungen in seinem hohen Amte.<br />
Getröstet und voll innerer Kraft machte ich mich auf den Weg<br />
<strong>zu</strong>rück ins Reich. Im Kloster Echternach bei Trier wollte ich mich<br />
ganz dem Gebet und dem vertieften Studium der Heiligen<br />
Schrift hingeben. Hier im Kloster erfuhr ich auch <strong>von</strong> der wundersamen<br />
Bekehrung des gefürchteten Sachsenherzogs, und<br />
dass dieser jetzt ein getaufter und gehorsamer Sohn der Kirche<br />
sei. Oh Brüder, wie seltsam sind die Wege des Herrn! Oft dachte<br />
ich an Brenun, an die zerstreute Herde und an die Brüder, die<br />
den Tod erlitten hatten. Ich sehnte mich <strong>zu</strong>rück ins flache Land<br />
<strong>von</strong> Wigmodien, ich sah die flachen Häuser, spürte den kräftigen<br />
Wind, hörte das Lachen der erdverbundenen Menschen und<br />
große Sehnsucht erfasste mich. Eines Nachts, ich arbeitete an<br />
einem Kommentar <strong>zu</strong> den Schriften des Heiligen Paulus, war es<br />
mir, als hörte ich eine Stimme, die mir flüsterte, dass viele unerlöste<br />
Seelen meiner harrten. Unruhe erfasste mich, und als sich<br />
die flüsternde Stimme wiederholte, pilgerte ich <strong>zu</strong>r Eresburg.<br />
Hier hielt unser König Karl derzeit Hof. Demütig bestürmte und<br />
bedrängte ich den Fürsten, mich wieder mit der Mission in Wigmodien<br />
<strong>zu</strong> betrauen, was dieser auch freudig <strong>zu</strong>sagte. Schon<br />
bald darauf gefiel es unserer Mutter Kirche und dem König, mich<br />
in Worms <strong>zu</strong>m Bischof <strong>zu</strong> ordinieren und <strong>zu</strong>m Hirten über diesen<br />
Landstrich <strong>zu</strong> bestellen. Den Rest kennt ihr, liebe Brüder.“ <strong>Der</strong><br />
Bischof schweigt und sieht bescheiden <strong>zu</strong>r Erde. Ein Bruder füllt<br />
seinen Becher. „Gebe Gott, dass sich die Sachsen nicht wieder<br />
erheben“, sagt einer der Mönche, und die anderen murmeln<br />
Zustimmung. „Lasst uns beten“, flüstert der Bischof und faltet<br />
die Hände. Einige Tage nach diesem abendlichen Beisammensein<br />
bricht Willehad mit zwei Brüdern auf, um in Pleccateshem<br />
75<br />
(Blexen) am unteren Flusslauf <strong>zu</strong> predigen. Hier im Angesicht<br />
eines Heiligtums, des Blitzgottes Thor, will er der Bevölkerung<br />
das Evangelium verkünden. Voll Zuversicht sieht er <strong>zu</strong>m Kirchturm<br />
hinaus und lässt seine Augen über den Kirchvorplatz<br />
schweifen, der sich jetzt in der Frühe belebt, denn es ist Markttag.<br />
Ochsenkarren ziehen Wagen voller Obst und Gemüse, Händler<br />
aller Art finden sich ein, um hier Geschäfte <strong>zu</strong> machen, <strong>zu</strong><br />
handeln oder um Neuigkeiten <strong>zu</strong> erfahren. Ein noch milder<br />
Herbstwind läßt einen schönen Tag erwarten.<br />
Langsam geht Willehad den Weg <strong>zu</strong>r Fähre hinunter, um sich auf<br />
die andere Seite des Flusses bringen <strong>zu</strong> lassen. Vom Schiff aus<br />
hochaufragend blickt er auf die vielen flachen Strohdachhäuser,<br />
die am Flussufer am Rand der Düne bis hinauf an die Kirche<br />
gebaut sind. „Gebe der Herr, dass diese Siedlung wächst und<br />
<strong>zu</strong>m Ausgangspunkt der Mission in den nordischen Ländern<br />
wird“, murmelt der Bischof. Nach einer Tageswanderung, weit<br />
waren sie noch nicht gekommen, hatten sie doch an vielen<br />
Gehöften die Menschen gesegnet und im Glauben gestärkt,<br />
klagte Willehad über ein Unwohlsein. Als sie Blexen erreichten,<br />
begann ein heftiges Fieber ihn <strong>zu</strong> quälen. Willehad spürt, dass<br />
sein Ende gekommen ist. „Ich werde bald beim Herrn sein, Brüder“,<br />
flüstert er schwer atmend. „Lasst uns das Mahl des Herrn<br />
feiern.“ Willehad gibt letzte Weisungen, bittet dann um die<br />
letzte Ölung, segnet seine Brüder und mit seligem Lächeln unter<br />
dem Schluchzen und Psalmensingen seiner Brüder schläft er ein.<br />
Willehad starb in Blexen, eine Woche nach der Domweihe, sein<br />
Leichnam wurde im Bremer Dom beigesetzt. Später wurden seine<br />
Gebeine <strong>von</strong> Bischof Willerich in die Willehadkapelle (heute<br />
Haus der Bürgerschaft) überführt. Im Jahre 860 lässt Bischof<br />
Ansgar ihn wieder in den neugeweihten Bremer Dom umbetten.<br />
Ansgar bestimmte den 8. November <strong>zu</strong>m Willehadstag. Es ist<br />
überliefert, dass sich am Grabe <strong>von</strong> Willehad zahlreiche Wunder<br />
ereignet haben.
76 Literatur<br />
Operation Rubikon<br />
Gerald Sammet<br />
rezensiert:<br />
Andreas Pflüger
Gerald Sammet<br />
Die fünfzig Meter vom Aufenthaltsraum bis <strong>zu</strong> dem Container an<br />
der Position 12 wird Hannes Schrader nicht mehr schaffen. Er<br />
schaut auf die Winschen der Kräne über sich, die der Wind wie<br />
die Schnüre eines Perlenvorhangs bewegt. Er sieht, ohne <strong>zu</strong><br />
staunen, wie sich das Blech, nach einer ersten, leisen Detonation,<br />
plötzlich verbiegt. Dann geht es ab in die Hölle. Metallteile<br />
schwirren durch die Luft. Vom Himmel regnet es Glut und<br />
Asche.<br />
<strong>Der</strong> Ausleger eines Krans, hundertzwanzig Meter lang, stürzt in<br />
einen Van-Carrier und zerquetscht ihn wie einen Käfer. Schrader,<br />
oder das, woraus er noch besteht, weht es wie trockenes Laub<br />
gegen einen auf der Pier abgestellten Eisenbahnwaggon.<br />
Sechzig Kilometer entfernt zeichnet der Seismograph im Geophysikalischen<br />
Institut der Universität <strong>Bremen</strong> ein leichtes,<br />
aber vernehmliches Erdbeben auf. Vom Betriebsgebäude <strong>von</strong><br />
GlobalGate im Containerterminal <strong>von</strong> Bremerhaven und <strong>von</strong> der<br />
für den vene<strong>zu</strong>elanischen Frachter ,Santa Maria’ bestimmten<br />
Deckslast ist kaum etwas übriggeblieben. Das BKA hat mal wieder,<br />
wie es bald heißen wird, ein ziemlich ernstes Problem. Ein<br />
Problem, darum geht es in Andreas Pflügers Thriller ,Operation<br />
Rubikon’, mit dem organisierten Verbrechen.<br />
Pflügers Buch, das haben wenigstens ein paar seiner Rezensenten<br />
erkannt, ist nicht nur ein Spannungsroman. Man verschlingt<br />
es, mit etwas Glück und der nötigen Zeit, in einer Nacht. Aber<br />
man legt es nicht beiseite wie all die effektsicher in Szene gesetzte<br />
Fabrikware aus den Werkstätten <strong>von</strong> Crichton, Grisham & Co.<br />
Gute Unterhaltung <strong>zu</strong> wohlfeilen Preisen, bei der man weiß,<br />
dass man nie auch nur in die Nähe <strong>von</strong> derart unerhörten Ereignissen<br />
geraten wird. Bei Pflüger ist das ganz anders. Die Ereignisse<br />
sind auch bei ihm unerhört. Aber man hat das Gefühl, dass<br />
sie wirklich nicht all<strong>zu</strong> weit entfernt <strong>von</strong> einem liegen. Dass<br />
77<br />
man nicht nur schon einmal gehört hat <strong>von</strong> ihnen. Dass das,<br />
was er beschreibt, eigentlich schon Teil unserer Wirklichkeit ist.<br />
Sophie Wolf ist Staatsanwältin. Oberstaatsanwältin beim Generalbundesanwalt,<br />
mit gerade mal 34, couragiert, und mit einem<br />
prominenten Vater geschlagen. Einem, <strong>zu</strong> dem sie seit ihrer<br />
Jugend keine Verbindung mehr hat. Ein Vater aus ihrem Milieu:<br />
Chef des Bundeskriminalamts, unbeugsam, starr, einer <strong>von</strong> der<br />
enervierend integren Sorte, aber für sie irgendwie nicht <strong>zu</strong> fassen.<br />
Sophie Wolf hat seinetwegen nur eine Chance: die, es ihm<br />
endlich <strong>zu</strong> zeigen. Karriere <strong>zu</strong> machen, ohne sich dabei all<strong>zu</strong>sehr<br />
<strong>zu</strong> verbiegen.<br />
Als bei Güdingen im Saarland fünf junge Kurden in einen Hinterhalt<br />
türkischer Extremisten geraten, hat sie den Fall, den sie<br />
braucht. Einen politischen Fall, für den die Bundesanwaltschaft<br />
<strong>zu</strong>ständig ist. Schon wenig später, als in Bremerhaven der Container<br />
an der Position 12 der Stromkaje explodiert, ahnt sie,<br />
dass es besser wäre, sie wäre ihn los.<br />
Andreas Pflügers ,Operation Rubikon’ ist ein erstaunliches Buch.<br />
Erstaunlich vor allem, weil sich kaum einer in Deutschland darauf<br />
versteht, solche Bücher <strong>zu</strong> schreiben.<br />
Die Qualität <strong>von</strong> Thrillern rührt daher, dass einer sich mit Vereinfachungen<br />
auskennt, ohne dass die Leser das merken. Die<br />
Personen dürfen nicht <strong>zu</strong> vielschichtig sein, die Ereignisse<br />
schon. Die Handlung muss ablaufen wie in einem Film. Wer<br />
Thriller liest, produziert nicht nur Bilder in seinem Kopf. Er muss<br />
vor allem über eine plausible, das Geschehen vorantreibende<br />
Schnittechnik verfügen.<br />
Genau die beherrscht Pflüger perfekt. Er ist seinen Lesern immer<br />
den einen Schritt voraus, der ihnen gar nichts anderes übrig<br />
lässt, als ihm <strong>zu</strong> folgen. Auf, so muss man in dem Fall wohl<br />
sagen, Gedeih und Verderb.
78 Literatur<br />
Operation Rubikon<br />
Was in dem Buch im einzelnen geschieht, soll hier nicht erzählt<br />
werden. Worum es geht, sei allerdings verraten, weil die Spannung<br />
auf diese Weise nur steigt. Die Bundesrepublik Deutschland,<br />
so die Annahme, aus der sich die Romanhandlung entwickelt,<br />
ist dabei, in die Hände des organisierten Verbrechens <strong>zu</strong><br />
fallen. Nicht irgendwie und nach der Art kleiner Ganoven, die<br />
Großes wollen und es dabei doch nur <strong>zu</strong> einem mittleren Einkommen<br />
bringen. Nein, so, wie Leserbriefschreiber sich das vorstellen,<br />
damit gibt sich Pflüger gar nicht erst ab. Er schaut bis<br />
ins Kanzleramt, und dort sind die Handwerker am Auspacken.<br />
Sie verwandeln es gerade in einen Augiasstall.<br />
Auf den Kanzler kommt es an: Adenauers Wahlspruch für demokratische<br />
Idealisten hat bei Pflüger auf unvorhersehbare Weise<br />
mit Mord, Totschlag und Drogenhandel <strong>zu</strong> tun. Und mit Maulwürfen,<br />
die unerkannt in den Dienstzimmern des Staatspersonals<br />
ein- und ausgehen. Mit Sophie Wolf, der Staatsanwältin,<br />
die im Verlauf der Geschichte lernt, dass ihr Vater eben doch ein<br />
ganz anderer ist, und sie eine, die aus dem selben Holz<br />
geschnitzt wurde wie er, leidet man beträchtlich in diesem<br />
Buch. Pflügers Kunst besteht nämlich darin, dass seine Figuren<br />
zwar klare Konturen aufweisen, aber doch mehr sind als die<br />
üblichen Comicfiguren, die literarische Konfektionsromane<br />
bevölkern. Deswegen sieht man es dem Autor auch nach, dass<br />
sie, wenn was in die Luft geflogen ist, ziemlich schnell wieder<br />
aufstehen, es sei denn für den Fall, sie sind tot. Leichen, auch<br />
das darf man verraten, gibt es in dem Roman nicht <strong>zu</strong> knapp.<br />
Für eine, <strong>zu</strong> Lebzeiten noch Hannes Schrader vom BKA, lässt<br />
Pflüger in Bremerhaven ein Feuerwerk <strong>von</strong> beträchtlichen Ausmaßen<br />
los. Man darf das durchaus symbolisch verstehen: Dieses<br />
Buch erschüttert Lesegewohnheiten und eingefahrene Sichtweisen<br />
so, wie das sonst nur Erdbeben tun<br />
Andreas Pflüger, Operation Rubikon. Herbig: München 2004.<br />
EUR 19.90
Zu guter Letzt:<br />
Kanzlerbrief<br />
Was so ein wirklich großes Bundesland ist, da sieht alles doch<br />
gleich ganz anders aus. Hof in Bayern <strong>zu</strong>m Beispiel wird demnächst<br />
einen richtigen Flughafen kriegen. Einen so<strong>zu</strong>sagen falschen<br />
hat es nämlich schon. <strong>Der</strong> stammt aus der Zeit, als der<br />
Kalte Krieg und das kalte Fichtelgebirge in der Gegend noch<br />
einen Temperatursturz nach dem andern hinlegten.<br />
Hof hatte es damals wirklich nicht leicht. Im Norden alles dicht,<br />
weil dort die Ostzone lag. Im Osten alles dicht wegen der CSSR,<br />
die auch keinen aus Hof an sich heranlassen wollte. Im Süden<br />
die katholische Oberpfalz, die den Hofer Protestanten noch<br />
weniger sagte. Und wollte man nach Westen, musste man erst<br />
mal aus dem Gebirge ins Maintal hinunter, mit der Bahn, auf<br />
einer Strecke, die nicht ohne Grund Schiefe Ebene heißt.<br />
Weil das ein Zustand war, den die Hofer nicht länger hinnehmen<br />
wollten, hat man ihnen aus Mitteln, die sinnigerweise Zonenrandförderung<br />
hießen, einen Flughafen spendiert. Erster Betreiber<br />
der Fluglinie nach Frankfurt wurde die in <strong>Bremen</strong> bestens<br />
bekannte, in Emden ansässige OLT, die Ostfriesische Lufttransport<br />
GmbH. „Ostfriesen landen in Oberfranken“ titelte damals<br />
die ‚Süddeutsche Zeitung’.<br />
Irgendwann zogen sich die Ostfriesen aus dem an sich nicht<br />
schlechten Subventionsgeschäft <strong>zu</strong>rück. Die Lufthansa sprang<br />
ein. Wann immer ich nach Hof fliege, danke ich dem bayerischen<br />
Staat dafür, dass er mir gut die Hälfte <strong>von</strong> meinem Ticket<br />
bezahlt. Schließlich habe ich mir, während meiner Schulzeit als<br />
Flüchtlingskind in der Nähe <strong>von</strong> Hof, immer mal wieder den Satz<br />
„Engerling, Schmetterling und Flüchtling sind die größten<br />
Schädling“ anhören dürfen. Dafür kriege ich jetzt doch noch<br />
Schadensersatz.<br />
1989 ging der Kalte Krieg in und um Hof <strong>zu</strong> Ende. <strong>Der</strong> Flugbetrieb<br />
ging natürlich weiter. Schließlich taten sich ganz neue<br />
Märkte auf in der Gegend <strong>von</strong> Hof. Außerdem war es dort immer<br />
noch lausig kalt, außer in den, das muss gerechterweise gesagt<br />
werden, ausgesprochen heißen Sommern, die sie dort auch<br />
manchmal haben. Dummerweise sind die neuen Märkte dann<br />
aber nur in dem CSSR-Nachfolgestaat Tschechien entstanden.<br />
Hof kriegte nur Autobahnen ohne Ende und verlor fast seine<br />
gesamte Textilindustrie. Den Geschirrfabriken nebenan ging es<br />
nicht besser. Das ganze grenznahe Wirtschaftswunder, stellte<br />
sich irgendwann heraus, hatte es nur wegen der Zonenrandförderung<br />
gegeben. Man könnte auch sagen, dass der Sozialismus<br />
im Zonenrandgebiet im Vergleich <strong>zu</strong> dem in der Zone der erfolgreichere<br />
war. Als der eine verschwand, wurde der andere allerdings<br />
ebenfalls nicht mehr gebraucht.<br />
79<br />
Dass Hof jetzt einen richtigen Flughafen kriegt, hat mit Sozialismus<br />
natürlich rein gar nichts <strong>zu</strong> tun. 31 Millionen legt die<br />
bayerische Staatsregierung dafür auf den Tisch. Einmalig, versteht<br />
sich, und ohne Bürgschaft für den Fall, dass das Projekt<br />
sich nicht rechnet.<br />
Ganz Bayern steht deswegen Kopf, und das nicht ohne Grund. In<br />
den Siebzigerjahren hat Hof das Land mit seinem Werbeslogan<br />
‘In Bayern ganz oben’ schon einmal gehörig verärgert. Jetzt<br />
ärgern sich die übrigen Bayern, weil <strong>von</strong> den Hofern genüsslich<br />
aufgedeckt wurde, dass die Staatsregierung in 2004 55 Millionen<br />
Betriebsverlust des Münchner Flughafens ausgleicht. Und<br />
dass, nach gleichem Verfahren, in 2003 2.282 Millionen im Flughafen<br />
Nürnberg verschwinden. Alles in allem hat Bayern, wenn<br />
ich auf mein Ticket schaue, nicht nur die Hälfte, sondern alles<br />
bezahlt.<br />
Man fliegt <strong>von</strong> Hof über Frankfurt nach <strong>Bremen</strong> alles in allem<br />
keine drei Stunden. Das ist sehr praktisch, sehr preiswert, und<br />
man lernt dabei sehr viel. Zum Beispiel, dass <strong>Bremen</strong> den deutlich<br />
größeren Flughafen hat. So sehr viel größer, dass man den<br />
<strong>von</strong> Hof oben auf dem Dach in der <strong>Bremen</strong>-Halle aufstellen<br />
könnte.<br />
Man lernt auch etwas über das, was in den Zeiten, als noch der<br />
Kalte Krieg tobte, Systemkonvergenz genannt wurde. Nach dieser<br />
Theorie, so glaubte man damals, würden sich der Osten und<br />
der Westen immer ähnlicher werden und schließlich miteinander<br />
verschmelzen. Irgendwie ist es da<strong>zu</strong> ja auch tatsächlich gekommen.<br />
Systemkonvergenz, begreift man bei solchen Betrachtungen,<br />
gibt es aber auch zwischen Bayern und <strong>Bremen</strong>. Noch überwiegt<br />
aber das Trennende. Wenn Bayern ein Fass ohne Boden aufstellt,<br />
nennt man das dort Subvention oder Strukturnachteilsausgleich.<br />
<strong>Der</strong> Nachteil besteht in dem Fall nicht darin, dass Hof keinen<br />
richtigen Flughafen hat und München einen, der sich nicht richtig<br />
rechnet. Es handelt sich, sagt die bayerische Staatsregierung,<br />
in solchen Fällen eben um Nachteile. Gegen die muss sie<br />
was tun.<br />
Wenn die bremische Landesregierung vor solchen Problemen<br />
steht, fällt ihr einfach nicht ein, dass man im Grunde nur sagen<br />
muss, was ist, damit, was ist, so aussieht, wie es gesagt wurde.<br />
<strong>Der</strong> bremischen Landesregierung, die auch einen Flughafen hat,<br />
der sich nicht richtig rechnet, und einen, der ungefähr so winzig<br />
und bedeutungslos ist wie der <strong>von</strong> Hof, fällt nur eines ein:<br />
Sie lässt sich einen Kanzlerbrief schreiben. Wer <strong>von</strong> Hof nach<br />
<strong>Bremen</strong> fliegt, lernt vor allem eines: In Bayern sind die Luftnummern<br />
so windig, dass sie keiner mehr sieht.<br />
Simza
80 Impressum<br />
Herausgeber und Chefredakteur<br />
Dr. Rüdiger Hoffmann<br />
Redaktionsassistentin<br />
Eva-Maria Kastilan<br />
Autoren<br />
Silke Sackmann, Franz Ganss, Claus Schmid, Frederice<br />
Hoffmann, Claus Spitzer-Ewersmann,<br />
Prof. Dr. Klaus Berthold, Dr. Patrick Wendisch,<br />
Ina Malinowski, Yasmin Opielok Enge, Gerald Sammet,<br />
Patrick Wendt, Dr. Rüdiger Hoffmann<br />
Titelfoto<br />
Frank Pusch<br />
Fotos<br />
Frank Pusch, Yasmin Opielok Enge, Jochen Stoss,<br />
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ATLAS Elektronik GmbH, BMW Group,<br />
Bremer Landesbank<br />
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Verlags- und Anzeigenleitung<br />
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nächste Ausgabe: September 2005<br />
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„Top Performer“; unter den Top 15 der Königsklasse<br />
„Top Vermögensmanagement PLUS“<br />
(Fuchsreport Tops 2005)<br />
Top Ten beim Private Banking in der Kategorie<br />
„Germany – Best Private Bank“<br />
(Volume 36, Januar 2005)<br />
Eine Frage des Anspruchs.