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ÖPNV-Paradies im Land der aufgehenden Sonne - derFahrgast

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Fahrgast aktuell<br />

<strong>ÖPNV</strong>-<strong>Paradies</strong> <strong>im</strong> <strong>Land</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>aufgehenden</strong> <strong>Sonne</strong><br />

Liniennetzplan Osaka.<br />

Blick über die dicht bebaute Ebene Osakas vom Zug nach Nara aus aufgenommen<br />

(am Anstieg zu den Ikoma-Bergen). Das Häusermeer reicht bis zum Horizont.<br />

In <strong>der</strong> Ferne das Rokko-Gebirge bei Kobe.<br />

2 <strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009<br />

Fotos: Markus Eßer


Bus und Bahn, wie sie überall sein sollten:<br />

<strong>ÖPNV</strong>-<strong>Paradies</strong> <strong>im</strong> <strong>Land</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>aufgehenden</strong> <strong>Sonne</strong><br />

ein reisebericht aus japan<br />

Von Markus Eßer<br />

Die große Buddha-Halle des Todaiji in Nara ist das größte Holzgebäude <strong>der</strong> Welt und erreicht eine Höhe von<br />

50 Metern. Das Weltkulturerbe in Nara lässt sich mit <strong>der</strong> Kintetsu-Bahn von Osaka aus in ca. 35 Minuten erreichen.<br />

➢ Den meisten europäischen Eisenbahn- und <strong>ÖPNV</strong>-<br />

Interessierten sind aus verschiedenen Medien und<br />

vom Hörensagen sicherlich einige Details des japanischen<br />

Bahnwesens bekannt. Den Spitzenplatz <strong>im</strong> Bekanntheitsgrad<br />

n<strong>im</strong>mt aufgrund <strong>der</strong> relativ häufigen<br />

Berichterstattung <strong>im</strong> Fernsehen und den Printmedien<br />

das für seine legendäre Pünktlichkeit gerühmte Hochgeschwindigkeitsbahnsystem<br />

Shinkansen ein. Neben<br />

diesen meist eher technisch geprägten Berichten<br />

kursieren Anekdoten über ein <strong>der</strong> Selbstaufopferung<br />

nahes Bahnpersonal, das für aus europäischer Sicht<br />

geringste Verspätungen gemaßregelt wird. Zuverlässige<br />

Informationen zum ganz normalen <strong>ÖPNV</strong>-<br />

Alltag in Japan sind dagegen eher selten zu finden.<br />

Umso größer die Freude des Autors, für einige Zeit<br />

das Privileg eines Aufenthalts <strong>im</strong> <strong>Land</strong> <strong>der</strong> <strong>aufgehenden</strong><br />

<strong>Sonne</strong> genießen zu dürfen und dabei den öffentlichen<br />

Nahverkehr <strong>der</strong> Region rund um die Großstadt<br />

Osaka in seiner ganzen Bandbreite erleben zu können<br />

– Anlass für einen Vergleich mit <strong>der</strong> Qualität des<br />

<strong>ÖPNV</strong>-Angebots unserer Ballungsräume in Nordrhein-Westfalen.<br />

■ Millionenstadt Osaka<br />

Die Hafenstadt Osaka („großer Abhang“) liegt <strong>im</strong> Westteil<br />

<strong>der</strong> japanischen Hauptinsel Honshu gut 500 km südwestlich<br />

<strong>der</strong> Hauptstadt Tokio. Die schon seit dem 6. Jh.<br />

n. Chr. prosperierende und auf <strong>der</strong> Schwemmlandebene des<br />

Flusses Yodo an einer Einbuchtung des Pazifiks angelegte Stadt<br />

ist <strong>der</strong> Mittelpunkt Kansais. Diese Region mit ihren drei bedeutenden<br />

Zentren Osaka, Kobe und Kyoto, heute mit ca.<br />

17,5 Millionen Einwohnern zweitgrößter Ballungsraum des<br />

<strong>Land</strong>es, ist das historische und spirituelle Herz Japans. Hier<br />

wurden die ersten Kaiserreiche begründet und hier wurde <strong>der</strong><br />

Buddhismus <strong>im</strong> 6. Jh. n. Chr. von Korea über Osaka nach<br />

Japan eingeführt. Die unmittelbar benachbarten früheren Kaiserstädte<br />

Nara und Kyoto weisen eine beson<strong>der</strong>s hohe Dichte<br />

an Stätten des Weltkulturerbes auf. Die Innenstadt Osakas mit<br />

heute 2,7 Millionen Einwohnern ist ein bedeutendes Geschäftszentrum,<br />

das Arbeitsplätze für 1,5 Millionen Menschen,<br />

zahlreiche Kultur- und Bildungsstätten, kilometerlange<br />

Einkaufsstraßen und eine hervorragende Infrastruktur bietet.<br />

■ Superlative <strong>im</strong> öffentlichen Verkehr<br />

Lenkt man den Blick auf den öffentlichen Verkehr, so erscheint<br />

Osaka als Stadt <strong>der</strong> Superlative. Sie besitzt von allen<br />

Thema<br />

<strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009 5<br />

Fotos: Markus Eßer<br />

reiSeBericht auS jaPaN


<strong>ÖPNV</strong> in Japan<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

Städten weltweit mit gut sechs Milliarden Reisenden pro Jahr<br />

nach Tokio das zweitgrößte Fahrgastaufkommen <strong>im</strong> <strong>ÖPNV</strong>.<br />

Allein die Nahverkehrszüge, die über das Stadtgebiet hinaus<br />

verkehren, also nur <strong>der</strong> SPNV ohne U-Bahn und ohne Busverkehr,<br />

transportieren <strong>im</strong> Jahr eineinhalbmal so viele Fahrgäste,<br />

wie in ganz Nordrhein-Westfalen in sämtlichen öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln unterwegs sind. Bezieht man die<br />

kommunalen Verkehrsmittel ein, werden in Osaka gar zweieinhalbmal<br />

so viele Reisende wie in ganz Nordrhein-Westfalen<br />

und 13-mal so viele Fahrgäste wie <strong>im</strong> kompletten Verkehrsverbund<br />

Rhein-Sieg transportiert! Interessant wirkt<br />

auch ein Vergleich <strong>der</strong> Stadt mit dem <strong>ÖPNV</strong>-Entwicklungsland<br />

USA. Das Fahrgastaufkommen Osakas beträgt sage und<br />

schreibe zwei Drittel des gesamten <strong>ÖPNV</strong>-Reisendenaufkommens<br />

<strong>der</strong> Vereinigten Staaten (2).<br />

Es ist dann auch keine Überraschung, dass Osaka nach Hongkong<br />

und noch vor Tokio mit ca. 60 % den zweithöchsten<br />

Marktanteil („modal split“) am <strong>ÖPNV</strong> weltweit hat. Im Fernverkehr<br />

erreicht <strong>der</strong> Tokaido-Shinkansen zwischen Osaka und<br />

Tokio traumhafte Marktanteile von über 80 %. Die extrem<br />

zuverlässigen und bis 270 km/h schnellen Züge verkehren<br />

zwischen den beiden Metropolen in <strong>der</strong> Hauptverkehrszeit <strong>im</strong><br />

sechs-Minuten-Takt.<br />

■ Das <strong>ÖPNV</strong>-System <strong>im</strong> Großraum Osaka<br />

Das schienengebundene öffentliche Verkehrssystem in<br />

<strong>der</strong> Kansai-Region besitzt eine extrem hohe Netzdichte<br />

und verteilt sich organisatorisch und betrieblich auf drei<br />

wichtige Säulen:<br />

● Die Züge <strong>der</strong> Westsektion <strong>der</strong> ehemaligen Staatsbahn JR<br />

(JR-West)<br />

● Die Nahverkehrszüge privater Eisenbahngesellschaften<br />

● Das städtische U-Bahn-System<br />

Daneben existieren einige von privaten Bahngesellschaften<br />

betriebene Straßenbahnlinien und eine Einschienenbahn<br />

(Osaka Monorail).<br />

JR-West betreibt in Osaka zehn Linien, darunter die wichtige<br />

„loop line“, die einen geschlossenen Ring um das Stadtzentrum<br />

bildet.<br />

Das gesamte übrige SPNV-System mit etwa 20 Linien und<br />

1.000 Bahnhöfen verteilt sich auf ein gutes Dutzend privater<br />

Bil<strong>der</strong>läuterungen :<br />

1 Ein Triebwagen <strong>der</strong> Kintetsu-Nara-Linie <strong>im</strong> Bahnhof<br />

Kintetsu-Namba zur Fahrt nach Saidaiji.<br />

2 Starzug „Rapit“ <strong>der</strong> Nankai-Bahnlinie zwischen Osaka<br />

und dem Flughafen Kansai International.<br />

3 Nachdem er einer <strong>im</strong> Rollstuhl sitzenden Dame <strong>im</strong> Tosabori-Viertel<br />

Osakas be<strong>im</strong> Ausstieg geholfen hat, bereitet sich<br />

<strong>der</strong> Fahrer eines Stadtbusses auf die Weiterfahrt vor.<br />

4 Eine Straßenbahn <strong>der</strong> Hankai-Bahngesellschaft an <strong>der</strong><br />

Haltestelle Sumiyoshi-Tori-Mae. Diese Linie verbindet seit<br />

1910 Osakas Ebisucho-Viertel mit den südlich gelegenen<br />

Vorstädten. In unmittelbarer Nähe <strong>der</strong> <strong>im</strong> Bild gezeigten<br />

Haltestelle liegt die weitläufige Anlage des bekannten<br />

Sumiyoshi-Taisha-Hauptschreins.<br />

6 <strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009


Bahnunternehmen und erhält keinerlei<br />

öffentliche Betriebs- o<strong>der</strong> Fahrzeugkostenzuschüsse.<br />

Der jeweils bedeutendste<br />

Bahnhof <strong>der</strong> Privatbahngesellschaften<br />

übertrifft häufig die Größe des<br />

Kölner Hauptbahnhofs bei Weitem. In<br />

den zentralen Bereichen liegen Verbundbahnhöfe<br />

<strong>der</strong> einzelnen Verkehrsunternehmen,<br />

die gigantische Ausmaße<br />

erreichen und <strong>der</strong>en einzelne<br />

Betriebsteile über unterirdische Passagen<br />

miteinan<strong>der</strong> verbunden sind.<br />

Angeschlossen an die großen Bahn höfe<br />

sind riesige Einkaufszentren sowie<br />

Hotels, die ebenfalls den Bahnunternehmen<br />

gehören.<br />

Das städtische U-Bahn-System ist das<br />

Herzstück des Transports in den innerstädtischen<br />

Bereichen: Es besteht aus<br />

acht Linien und 101 Haltestellen, die<br />

häufig direkt mit den Bahnhöfen des<br />

SPNV vernetzt sind.<br />

Zu den schienengebundenen Verkehrsmitteln<br />

gesellt sich ein dichtes Netz von<br />

Buslinien, das nahezu alle denkbaren Verkehrsrelationen abdeckt<br />

und ebenfalls von den Bahnunternehmen betrieben<br />

wird.<br />

■ Fahrgast in japan – ein Vergnügen<br />

Reist man als Europäer zum ersten Mal nach Japan, hat<br />

man natürlich Bedenken, ob man die üblichen Zugangshürden<br />

<strong>der</strong> <strong>ÖPNV</strong>-Nutzung wie Entschlüsseln<br />

<strong>der</strong> Fahrpläne, Auffinden des korrekten Bahnsteigs und Fahrkartenkauf<br />

in einem so fremden und exotischen <strong>Land</strong> bewältigen<br />

kann. Schon bei diesem ersten Schritt wird jedoch ein<br />

Ein Blick in die Verbindungsgänge <strong>der</strong> U-Bahn in Osaka zur Rushhour.<br />

Man erkennt die Disziplin <strong>der</strong> Japaner, die den Linksverkehr auch als<br />

Fußgänger strikt einhalten.<br />

In <strong>der</strong> U-Bahn: beachtlich die Sauberkeit und Ordnung <strong>im</strong> Waggon.<br />

gewaltiger Qualitätsunterschied zum Kölner Nahverkehrssystem<br />

deutlich, denn die Sorgen zerstreuen sich nach kürzester<br />

Zeit. Der Zugang des Fahrgasts zur Nutzung des Angebots<br />

in den Stationen wird durch eine wohldurchdachte<br />

mehrsprachige und farblich eindeutig markierte Beschil<strong>der</strong>ung<br />

und Nutzerführung erleichtert. Gleichgültig, an welcher<br />

Stelle man die riesigen Bahnhöfe betritt, man wird <strong>im</strong>mer<br />

zum richtigen Bahnsteig und umgekehrt zum korrekten<br />

Ausgang finden – einfach indem man <strong>der</strong> Beschil<strong>der</strong>ung folgt.<br />

U-Bahnstationen haben am Boden <strong>der</strong> ins Freie führenden<br />

Treppe eine Windrose mit <strong>der</strong> Nordrichtung, sodass man seinen<br />

Stadtplan direkt richtig ausrichten kann.<br />

Thema<br />

reiSeBericht auS jaPaN<br />

<strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009 7


<strong>ÖPNV</strong> in Japan<br />

■ Fahrkartenkauf – ganz einfach<br />

Das Tarifsystem ist bei allen Bahngesellschaften gleichartig<br />

aufgebaut, erstaunlich transparent und auch für<br />

Fremde unmittelbar verständlich. Man sucht einfach<br />

auf einer großen Leuchttafel, die das komplette Liniennetz<br />

zeigt, seine Zielhaltestelle heraus und liest den darunter verzeichneten<br />

Fahrpreis ab. Die in großer Zahl vorhandenen<br />

Fahrkartenautomaten funktionieren <strong>im</strong>mer, lassen sich mit<br />

Display eines Fahrkartenautomaten <strong>der</strong><br />

U-Bahn Osakas. Nach dem Einwurf von<br />

1.000 Yen und <strong>der</strong> Wahl „1 Ticket“ für eine<br />

Person zeigen die Tasten <strong>im</strong> unteren Teil<br />

des Geräts verschiedene Fahrpreise an.<br />

Die Auswahl einer Taste führt unmittelbar<br />

zur Ausgabe <strong>der</strong> entsprechenden Fahrkarte.<br />

Das teuerste Einzelticket für die weitest<br />

mögliche Fahrt <strong>im</strong> U-Bahn-Netz kostet<br />

310 Yen (ca. 2 Euro).<br />

Ausgeworfenes Ticket und Wechselgeld am<br />

U-Bahn-Fahrkartenautomaten.<br />

... und<br />

Mehrfahrtenkarten<br />

Münzgeld, aber auch mit größeren Banknoten nutzen, besitzen<br />

eine englischsprachige Erläuterung und sind selbst für<br />

Auslän<strong>der</strong> sehr einfach zu bedienen. Man gibt lediglich einen<br />

Geldbetrag in den Automaten, woraufhin dann einige Tasten<br />

mit Fahrpreisen aufleuchten. Nun kann mit einer zusätzlichen<br />

Taste noch die Anzahl <strong>der</strong> Reisenden gewählt werden. Anschließend<br />

drückt man die Leuchttaste, die den vorher von<br />

<strong>der</strong> Tafel abgelesenen Preis zeigt. Innerhalb von einer Sekunde<br />

werden <strong>der</strong> Fahrschein und das Wechselgeld ausgegeben. Im<br />

Einzelfahrschein ...<br />

8 <strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009


Liniennetz-Leuchttafel mit Fahrpreisangaben<br />

in <strong>der</strong> U-Bahn Osaka.<br />

Vergleich zu den oft kompliziert und umständlich erscheinenden<br />

Aktionen, die an unseren VRS-Automaten notwendig<br />

sind, um an den gewünschten Fahrschein zu kommen, ist das<br />

eine regelrechte Offenbarung. Natürlich sind auch Mehrfahrtenkarten,<br />

Tages- und Son<strong>der</strong>tickets auf genauso einfache<br />

Weise erhältlich. Obwohl kein Verkehrsverbund in unserem<br />

Sinne existiert, kann man auch durchgängige Fahrscheine<br />

zwischen U-Bahn und Eisenbahnen o<strong>der</strong> zwischen verschiedenen<br />

Privatbahnen erhalten. In den größeren Bahnhöfen<br />

hält sich in unmittelbarer Nähe <strong>der</strong> Automaten Bahnpersonal<br />

in Form adrett gekleideter junger Damen auf, die auf unsicher<br />

wirkende Reisende zugehen und Hilfe anbieten. Die Freundlichkeit<br />

und Hilfsbereitschaft <strong>der</strong> Mitarbeiter kann überhaupt<br />

nur als außergewöhnlich bezeichnet werden. Auch die kleineren<br />

Bahnhöfe des Umlands sind (noch?) mit je<strong>der</strong>zeit ansprechbarem<br />

Personal besetzt.<br />

■ japan – ein teures reiseland?<br />

Ein Vorurteil über Japan besagt, dass es ein teures Reiseland<br />

sei. Der Individualreisende merkt jedoch schnell,<br />

dass dies so pauschal nicht st<strong>im</strong>mt. Die Benutzung <strong>der</strong><br />

Shinkansen-Züge ist tatsächlich nicht gerade ein billiges Vergnügen.<br />

Auch längere Fahrten mit JR-Expresszügen über<br />

<strong>Land</strong> sind nicht preiswerter als entsprechende Reisen in<br />

Deutschland, dafür ist allerdings das Preis-Leistungs-Verhältnis<br />

wesentlich besser. Die Fahrpreise <strong>der</strong> Privatbahnen sind<br />

demgegenüber teilweise sagenhaft günstig. So kostet beispielsweise<br />

die einfache Fahrt in einem bequemen und schnellen<br />

Expresszug <strong>der</strong> Hankyu-Bahngesellschaft von Osaka nach<br />

Kyoto (40 km) nur etwa 2,50 Euro.<br />

In jedem Bahnhof und selbst jedem U-Bahnhof (!) findet man<br />

eine benutzbare, saubere und kostenlose Toilette. Verpflegung<br />

und Getränke sind überall erhältlich und sogar in großen<br />

Bahnhöfen gibt es keine Preisaufschläge gegenüber entsprechen<strong>der</strong><br />

Supermarktware.<br />

■ Komfort in vollen Zügen<br />

Hat man seinen Fahrschein gelöst und ist damit durch die<br />

Sperre zum Bahnsteig gegangen, kann die Fahrt beginnen.<br />

Fahrtmöglichkeiten bestehen auf allen SPNV-Hauptstrecken<br />

<strong>der</strong> Kansai-Region tagsüber ungefähr alle fünf Minuten, zu<br />

den Stoßzeiten auf Teilstrecken alle 90 Sekunden. Das von<br />

Elektrotriebwagen geprägte Zugangebot ist hoch differenziert<br />

und nach <strong>der</strong> Häufigkeit <strong>der</strong> Zwischenhalte geglie<strong>der</strong>t. Es gibt<br />

ganz allgemein Lokal-, Regional-, Semi-Express-, Express-<br />

und L<strong>im</strong>ited-Express-Züge. Für die Benutzung <strong>der</strong> obersten<br />

Kategorie muss bei einigen Bahngesellschaften ein Zusatzticket<br />

gelöst werden. Man kann aber überall stets davon ausgehen,<br />

ungefähr alle 15 Minuten einen zuschlagfreien Zug<br />

mit nur wenigen Zwischenhalten nutzen zu können.<br />

Die Züge sind mit zehn bis zwölf voll kl<strong>im</strong>atisierten Wagen<br />

außergewöhnlich lang und halten exakt an den am Bahnsteig<br />

angebrachten Türmarkierungen. Die Halteplätze beson<strong>der</strong>er<br />

Wagen, etwa für Rollstuhlfahrer o<strong>der</strong> Frauen (in <strong>der</strong> Hauptverkehrszeit<br />

zum Schutz vor Belästigungen), sind ebenfalls am<br />

Bahnsteigboden markiert. Zu den Stoßzeiten werden Wagen<br />

mit durchgehenden gepolsterten Sitzreihen entlang <strong>der</strong> Fensterfronten<br />

eingesetzt, damit genügend Stehplätze vorhanden<br />

sind. Außerhalb <strong>der</strong> Hauptverkehrszeit werden dagegen zweireihig<br />

bestuhlte Fahrzeuge mit weich gepolsterten Sitzen angeboten.<br />

Alle Sitzplätze werden in den Endbahnhöfen stets in<br />

Fahrtrichtung zurückgestellt.<br />

Um den Fahrgastwechsel zu entzerren, sind in den großen<br />

Bahnhöfen an beiden Seiten Bahnsteige vorhanden. Es werden<br />

erst die Türen <strong>der</strong> einen Zugseite zum Aussteigen geöffnet.<br />

Sind alle Fahrgäste ausgestiegen, werden die Türen <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite freigegeben und die hier wartenden Reisenden<br />

können ohne Gedränge zusteigen.<br />

Auf den SPNV-Nebenstrecken, z. B. in den Bergen Kyotos,<br />

wird tagsüber ein 15-Minuten-Takt mit deutlich kürzeren<br />

Zugeinheiten angeboten, ansonsten unterscheidet sich <strong>der</strong><br />

Service nicht von den „großen“ Strecken. Stundentakte sind<br />

Lose aufliegende<br />

Sitzkissen in<br />

<strong>der</strong> U-Bahn.<br />

Bahnsteigsperre<br />

mit<br />

farbiger Beschil<strong>der</strong>ung.<br />

Thema<br />

reiSeBericht auS jaPaN<br />

<strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009 9


<strong>ÖPNV</strong> in Japan<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

<strong>im</strong> Kansai-Gebiet nur bei den oft sehr schönen, liebevoll geführten<br />

Museums- und Touristikbahnen anzutreffen.<br />

Die U-Bahn Osakas verkehrt zwischen fünf Uhr morgens und<br />

etwa Mitternacht je nach Tageszeit und Linie alle 90 Sekunden<br />

bis alle sieben Minuten. Nachtverkehre werden nicht<br />

angeboten, nach Mitternacht ist man auf Taxen angewiesen.<br />

Die U-Bahn-Züge sind außerordentlich lang und verkehren<br />

mit hohem Tempo zwischen den Stationen. Je<strong>der</strong> Linie ist<br />

eine Farbe zugeordnet, die als Farbstreifen die Wagenaußenseiten<br />

markiert und <strong>im</strong> Wegeleitsystem <strong>der</strong> Stationen konsequent<br />

als Unterlegfarbe <strong>der</strong> entsprechenden Hinweisschil<strong>der</strong><br />

genutzt wird. Stationen haben eindeutige Bezeichnungen in<br />

<strong>der</strong> Form Buchstabe/Ziffer wie z. B. „M20“ für die zentrale<br />

Haltestelle „Namba“. Dies ist demnach die Station Nr. 20 <strong>der</strong><br />

Midosuji-Linie.<br />

Stationsnamen und Kennziffern erscheinen auf allen Hinweistafeln<br />

und werden <strong>im</strong> Fahrzeug vor jedem Halt auch in<br />

englischer Sprache durchgesagt.<br />

Alle Züge und Bahnhöfe sind außerordentlich sauber, Sitzflächen<br />

auch in U-Bahnen weich gepolstert. Überflüssig zu<br />

sagen, dass Graffiti und Vandalismus in Japan unbekannte Erscheinungen<br />

sind. Die Züge sind in allen Fahrtrelationen und<br />

zu allen Tageszeiten gut besetzt. In den Stoßzeiten wird es sehr<br />

eng, was jedoch aufgrund <strong>der</strong> Disziplin <strong>der</strong> Japaner erträglich<br />

ist. Bil<strong>der</strong> wie in Tokio, auf denen Bahnpersonal die Waggons<br />

mit Fahrgästen vollstopft, sieht man <strong>im</strong> Kansai seltener. Das<br />

Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Japan ist zu je<strong>der</strong><br />

Tages- und Nachtzeit angenehm und risikolos wegen <strong>der</strong><br />

hohen Sicherheit und des rücksichtsvollen Verhaltens <strong>der</strong><br />

Menschen.<br />

Straßenkr<strong>im</strong>inalität und Gewalttaten sind quasi unbekannt,<br />

Diebstähle äußerst selten. Belästigungen und Pöbeleien durch<br />

angetrunkene o<strong>der</strong> enthemmte Personen kommen so gut wie<br />

nicht vor und niemand schreit in den Zügen, spricht am<br />

Mobiltelefon o<strong>der</strong> ben<strong>im</strong>mt sich in sonstiger Weise auffällig.<br />

■ traumhafte Zuverlässigkeit<br />

Betriebstechnisch ist <strong>der</strong> japanische öffentliche Verkehr<br />

von einer für europäische Verhältnisse nicht gewohnten<br />

und unerreichten Präzision geprägt. Alles passt perfekt<br />

ineinan<strong>der</strong> und nicht das kleinste Detail bleibt unbedacht<br />

o<strong>der</strong> wird dem Zufall überlassen. Die hierzulande üblichen<br />

technischen Probleme wie Störungen von Signalen, Weichen<br />

o<strong>der</strong> Fahrzeugtüren sind unbekannt. Von Triebfahrzeugausfällen<br />

o<strong>der</strong> Problemen mit technischen Inkompatibilitäten<br />

sieht und hört man nichts.<br />

Gepaart mit <strong>der</strong> tatsächlich fast unhe<strong>im</strong>lichen Disziplin <strong>der</strong><br />

Fahrgäste und des japanischen Betriebspersonals können deshalb<br />

zu Spitzenzeiten die Kapazitäten für ein unglaublich<br />

hohes Fahrgastaufkommen bereitgestellt und aus unserer<br />

Bil<strong>der</strong>läuterungen :<br />

Mit <strong>der</strong> Hankyu-Arashiyama-Bahn (1) gelangt man nach<br />

Arashiyama (2). Dort zweigt die Sagano Torokko Ressha<br />

(„Sagano Romantik Zug“) von <strong>der</strong> JR-Hauptstrecke ab (3),<br />

ein Touristikzug, <strong>der</strong> von Arashiyama aus eine Strecke in <strong>der</strong><br />

wilden Schlucht des Hozu-Flusses befährt (4). Man beachte<br />

den Wald aus riesigen Bambuspflanzen <strong>im</strong> Hang.<br />

10 <strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009


Sicht fantastische Taktraten (Zehn-Wagenzüge alle 90 Sekunden)<br />

ohne irgendwelche Probleme o<strong>der</strong> Verzögerungen auf<br />

den lediglich zweigleisigen Bahnstrecken realisiert werden.<br />

Anzeigen für Verspätungen gibt es übrigens nicht, da es keine<br />

Verspätungen gibt! Eine annähernde Zuverlässigkeit erreicht<br />

in Europa wohl allenfalls das Schweizer Bahnsystem, dies<br />

jedoch bei einem weitaus kleineren Verkehrsaufkommen.<br />

Inmitten <strong>der</strong> ohnehin fast übermenschlichen Leistungen finden<br />

die Bahnunternehmen Osakas noch Raum für zusätzliche<br />

Angebote zugunsten ihrer Fahrgäste. So werden in <strong>der</strong> Stoßzeit<br />

Züge aus <strong>der</strong> U-Bahn auf die Privatbahnstrecken durch-<br />

Der Kommentar:<br />

gebunden und verkehren umsteigefrei in die Vororte. In<br />

best<strong>im</strong>mten Überholungsbahnhöfen kann man punktgenau<br />

am selben Bahnsteig aus einem vorlaufenden Lokalzug (<strong>der</strong><br />

überall hält) in den überholenden Express (bzw. umgekehrt)<br />

umsteigen. Dadurch bekommt auch <strong>der</strong> an einer kleineren<br />

Station zu- o<strong>der</strong> aussteigende Fahrgast die Möglichkeit zur<br />

Nutzung des Expresszugs auf längeren Strecken. Diese anspruchsvollen<br />

betrieblichen Manöver funktionieren <strong>im</strong>mer,<br />

hierzulande würde wohl allein das Ansinnen schon zum Verkehrszusammenbruch<br />

o<strong>der</strong> Herzinfarkt <strong>der</strong> Fahrplangestalter<br />

führen.<br />

Die deutsche Dienstleistungswüste <strong>im</strong> <strong>ÖPNV</strong><br />

Zurück in Köln ...<br />

■ Zurück in Köln steht <strong>der</strong> Japanreisende nach seinen<br />

atemberaubenden <strong>ÖPNV</strong>-Erfahrungen zunächst einigermaßen<br />

fassungslos vor <strong>der</strong> Gesamtheit dessen, was hier<br />

als mo<strong>der</strong>nes Nahverkehrsangebot verkauft wird. Im Anschluss<br />

kommt Scham und letztendlich Wut über die zu<br />

beobachtende Misere auf. Natürlich ist es den hiesigen<br />

Verkehrsunternehmen aus verschiedenen Gründen nicht<br />

möglich, genauso am Markt zu agieren wie die Firmen in<br />

Osaka. Je<strong>der</strong> hat Verständnis, dass aufgrund des viel<br />

geringeren Fahrgastaufkommens an Rhein, Sieg und<br />

Ruhr und <strong>der</strong> Abhängigkeit von Zuschüssen keine beliebige<br />

Ausweitung des Angebots möglich ist.<br />

Zudem ist die extreme Disziplinierung, die für den Erfolg<br />

<strong>der</strong> Japaner maßgeblich ist, nicht <strong>im</strong> selben Maße in<br />

unserer europäischen Kultur begründet. Dennoch lässt<br />

<strong>der</strong> Verfasser nach seinen Reiseerfahrungen dem hiesigen<br />

<strong>ÖPNV</strong>-Wesen best<strong>im</strong>mte Fehlleistungen, die in Köln<br />

und Umgebung mittlerweile Alltag sind, nicht mehr durchgehen.<br />

So kann es nicht sein, dass die Deutsche Bahn es<br />

auf aufwendig und zum Teil viergleisig ausgebauten<br />

Strecken – wie zwischen Köln und Aachen – an manchen<br />

Tagen nicht schafft, auch nur einen einzigen Zug pünktlich<br />

fahren zu lassen. Es kann auch nicht sein, dass man<br />

an einer S-Bahnstation steht, seit 20 Minuten keinen Zug<br />

mehr hat fahren sehen und einem dann mittels einer Computerst<strong>im</strong>me<br />

mitgeteilt wird, dass „aufgrund dichter Zugfolge“<br />

die Bahn lei<strong>der</strong> 35 Minuten Verspätung hat. Es ist<br />

auch eine bodenlose Unverschämtheit dem teuer zahlenden<br />

Kunden gegenüber, wenn in einem fast leeren Aachener<br />

Hauptbahnhof abends <strong>der</strong> RE 1 „wegen außerplanmäßigen<br />

Rangierarbeiten“ mit 30 Minuten Verspätung<br />

bereitgestellt wird. In Japan müssten die Verantwortlichen<br />

bei <strong>der</strong>artigen Vorfällen ihre Kündigung schreiben,<br />

hierzulande wird nur mit den Achseln gezuckt nach dem<br />

Motto „Wir bitten um Ihr Verständnis“ ...<br />

Der Autor verlangt zukünftig von den Verkehrsunternehmen<br />

nicht mehr und nicht weniger als die punktgenaue<br />

Einhaltung ihres vertraglichen Versprechens, nämlich<br />

dessen, was in den Fahrplänen steht. Alles an<strong>der</strong>e ist eine<br />

mangelhafte Leistung, die endlich konsequent und auf<br />

gesetzlicher Grundlage durch die Pflicht zur Rückerstattung<br />

guten Geldes an die Fahrgäste und die Besteller geahndet<br />

werden muss. Weiterhin als völlig inakzeptabel<br />

anprangern muss man, dass selbst für einen Ortsansässigen<br />

die Orientierung in den Bahnhöfen und <strong>der</strong> Kauf von<br />

Fahrkarten <strong>im</strong> Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) manchmal<br />

ein Drama ist. Wie sollen sich da erst Gäste aus an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>n fühlen? Das alltägliche Chaos an den Haltestellen<br />

und auf den Bahnsteigen ist ein unverständliches<br />

Possenspiel, welches mit etwas gutem Willen und ohne<br />

große Finanzmittel eigentlich auch hier in Deutschland<br />

verbesserungsfähig sein dürfte. Da ist <strong>der</strong> Fahrgast als<br />

Bürger gefragt, <strong>der</strong> sich noch viel mehr über Missstände<br />

bei den Unternehmen und <strong>der</strong> Politik beschweren sollte,<br />

um Druck aufzubauen. Da ist auch <strong>der</strong> Sachverstand <strong>der</strong><br />

Zugabfertigung<br />

bei <strong>der</strong><br />

U-Bahn in<br />

Osaka.<br />

Thema<br />

reiSeBericht auS jaPaN<br />

<strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009 11


<strong>ÖPNV</strong> in Japan<br />

Verkehrsinitiativen gefragt, die noch mehr Verbesserungsvorschläge<br />

als bisher machen müssen, und da ist<br />

die Politik gefragt, die jedoch die Geister, die sie rief, wie<br />

etwa das <strong>der</strong>zeitige DB-Management, wohl lei<strong>der</strong> nicht<br />

mehr los wird o<strong>der</strong> los werden will.<br />

Deutschland – ein gutes<br />

Nahverkehrsangebot?<br />

Bereist man die japanischen Inseln mit Bus und Bahn,<br />

muss man als begeisterter <strong>ÖPNV</strong>-Befürworter zwangsläufig<br />

den Eindruck gewinnen, bislang einer Selbsttäuschung<br />

erlegen zu sein. So hat <strong>der</strong> Autor dieser Zeilen<br />

etwa unseren hiesigen DB-Schienenverkehr lange Zeit für<br />

eine <strong>im</strong> Großen und Ganzen ordentlich geführte Sache<br />

gehalten. In Wirklichkeit ist dies jedoch mitnichten <strong>der</strong><br />

Fall, schon die Qualität des ganz normalen betrieblichen<br />

Alltags erfüllt sachlich gesprochen oft noch nicht einmal<br />

grundlegende Anfor<strong>der</strong>ungen. Unverblümter ausgedrückt<br />

müsste man angesichts des Ausmaßes <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen<br />

Farce beispielsweise bei <strong>der</strong> Deutschen Bahn<br />

eigentlich von einem Schrotthaufen sprechen.<br />

Das soll nun nicht bedeuten, dass die herausragenden<br />

Verbesserungen <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte beson<strong>der</strong>s <strong>im</strong> Bereich<br />

des Nahverkehrs nicht mehr gewürdigt und gelobt<br />

werden sollen. Errungenschaften wie Verkehrsverbünde,<br />

dichte Takte <strong>im</strong> SPNV auch jenseits <strong>der</strong> Ballungsgebiete<br />

und integrale Taktfahrpläne stellen großartige Leistungen<br />

<strong>der</strong>er dar, die sich für die politische und technische Realisierung<br />

eingesetzt haben. Diese Erfolgsbilanz wird jedoch<br />

durch die mittlerweile unerträgliche Arroganz <strong>der</strong> Chefetagen<br />

in den großen Verkehrsunternehmen getrübt, die<br />

dem Kunden eine unglaublich schlechte Qualität ihrer<br />

angeblichen „Dienstleistungen“ zumuten, dabei jedoch<br />

keine Gelegenheit auslassen, um von Fahrgästen und<br />

Steuerzahlern <strong>im</strong>mer mehr Geld einzufor<strong>der</strong>n.<br />

Der glücklicherweise gescheiterte Versuch des DB-<br />

Managements zur Einführung einer sogenannten<br />

„Service-Gebühr“ zeugt von einer Unverfrorenheit, die<br />

an gesichts <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Unzuverlässigkeit und<br />

Unpünktlichkeit des DB-Schienenverkehrs kaum noch<br />

überboten werden kann. Diese in <strong>der</strong> „Dienstleistungswüste<br />

Deutschland“ auch in vielen an<strong>der</strong>en Bereichen<br />

verbreitete Mentalität wird treffend und ungewöhnlich<br />

direkt durch den japanischen Unternehmensberater<br />

Minoru Tominaga aus gedrückt (1): „Je<strong>der</strong> will verdienen,<br />

keiner will dienen! Dienst am Kunden? Findet in Deutschland<br />

nicht mehr statt. Der Kunde ist König? Quatsch. Bei<br />

euch ist <strong>der</strong> Verkäufer mittlerweile Kaiser. Was ihr vergesst:<br />

Der Kunde ist Gott, denn er allein entscheidet<br />

über Leben und Tod eines Unternehmens.“ Es wäre vielleicht<br />

sogar heilsam für unseren Schienenverkehr, wenn<br />

letztere Aussage auch unter deutschen Verhältnissen einmal<br />

Realität werden könnte. Dazu müssten jedoch grundlegende<br />

Reformen des nach wie vor zu monopolistisch<br />

strukturierten deutschen <strong>ÖPNV</strong>-Wesens politisch durchgesetzt<br />

werden.<br />

Zum einen ist ein echter, eine ausgeprägte Kundenorientierung<br />

erzwingen<strong>der</strong> Wettbewerb hier offenbar nur durch<br />

striktere Trennung von Infrastruktur und Betrieb zu erreichen.<br />

Darüber hinaus scheint es notwendig, die Unternehmen<br />

endlich wesentlich stärker für mangelhafte Leistungen<br />

in die Pflicht zu nehmen. Die jüngsten Beschlüsse<br />

<strong>im</strong> EU-Rahmen, z. B. die vorgeschlagene 25-prozentige<br />

Fahrpreiserstattung bei mehr als einer Stunde Verspätung,<br />

sind jedenfalls kein echter Anreiz für mehr Leistung<br />

und Qualität. Streng genommen müssten in unserem<br />

durch Regionalisierungsmittel und Steuergel<strong>der</strong> erheblich<br />

geför<strong>der</strong>ten Nahverkehr jede durch mangelnde Wartung<br />

defekte Tür, je<strong>der</strong> funktionsunfähige Automat, je<strong>der</strong><br />

selbst verschuldete Kapazitätsengpass und beson<strong>der</strong>s<br />

die gedankenlos produzierten alltäglichen Verspätungen<br />

mit drastischen und damit schmerzhaften Abzügen bei<br />

den Finanzmitteln geahndet werden.<br />

Sanktionen nicht zumutbar?<br />

Nun kommt von allen Seiten <strong>der</strong> Einwand, dies seien unmögliche<br />

For<strong>der</strong>ungen an die Verkehrsunternehmen. Im<br />

Bahnverkehr rund um Osaka ist jedoch eine vorzügliche<br />

Qualität ohne jegliche Störungen, ohne geringste Verspätungen<br />

und mit vielen zusätzlichen kundenfreundlichen<br />

Dienstleistungen trotz des für unsere Begriffe unglaublich<br />

hohen Fahrgastaufkommens alltägliche und scheinbar<br />

selbstverständliche Realität. Zugegebenermaßen sind<br />

die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland wesentlich<br />

problematischer, sodass unsere Bahnunternehmen<br />

auch unter <strong>der</strong> Disziplinlosigkeit und insbeson<strong>der</strong>e<br />

dem mittlerweile unerträglichen Vandalismus mancher<br />

Bevölkerungsgruppen zu leiden haben. Aus diesen Gründen<br />

und aufgrund <strong>der</strong> Tatsache, dass <strong>der</strong> deutsche<br />

Verbraucher politisch <strong>im</strong> Vergleich zu den Unternehmen<br />

und ihrer Führung nur über eine sehr schwache Lobby<br />

verfügt, ist eine grundlegende Än<strong>der</strong>ung lei<strong>der</strong> (noch?)<br />

nicht zu erwarten. Nicht nur dem Kenner des <strong>ÖPNV</strong>-<br />

Dienstleistungsparadieses Japan stößt aber zumindest<br />

die hierzulande in den Managementetagen und manchen<br />

Verkehrsministerien so verbreitete Hybris eines arrogant<br />

zur Schau gestellten hohen Anspruchs bei gleichzeitig erschreckend<br />

schlechten Leistungen unangenehm auf.<br />

Diese für das nach eigenem Selbstverständnis hoch entwickelte<br />

und wirtschaftlich bedeutende Industrieland<br />

Deutschland eigentlich kaum nachvollziehbaren Vorgänge<br />

lassen sich abschließend mit nur einem einzigen Wort<br />

kommentieren: erbärmlich.<br />

Markus Eßer<br />

i<br />

(1) Aus Japan-Contact 7/2006; Ute Winkels<br />

„Der verwöhnte japanische Kunde“, S. 21–22.<br />

(2) Datengrundlagen aus Wendell Cox Consultancy,<br />

Urban Transport Fact Book.<br />

12 <strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009

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