10.10.2013 Aufrufe

Stadt wohin - das ist die Frage

Stadt wohin - das ist die Frage

Stadt wohin - das ist die Frage

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wohnungswirtschaft<br />

28.10. 2011 Frankfurt am Main<br />

Professor Dr. Michael Stürmer<br />

Chefkorrespondent WELT-Gruppe, Berlin<br />

<strong>Stadt</strong> <strong>wohin</strong> – <strong>das</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> <strong>Frage</strong><br />

Die kurze Antwort lautet: Die Städte werden im Großen und Ganzen da bleiben, wo sie immer<br />

waren, allerdings höher und tiefer, dichter und teurer. Wo heute wenige Menschen wohnen,<br />

werden in Zukunft noch weniger sein. Wo heute viele wohnen, werden es noch mehr. Die Land-<br />

schaft wird zunehmen, wie der deutsche Wald, der in den letzten Jahren, entgegen allen Ge-<br />

rüchten vom finalen Waldsterben, deutlich mehr geworden <strong>ist</strong>.<br />

Der Grund <strong>die</strong>ser Prognose: Wohnen und Wohlsein, Heimatgefühl mit anderen Worten, braucht<br />

kritische Masse: Schulen, Kindergärten, Ärzte, Apotheker, Kneipe und, zuletzt und vor allem,<br />

funktionierende Verwaltung. Kultur und Zivilisation tragen einander, aber sie brauchen eine ge-<br />

wisse Dichte. Wo <strong>die</strong> tragenden sozialen Gemeinschaften verkümmern und <strong>die</strong> Menschen<br />

sterben oder abwandern, kommt es irgendwann zum „tipping point“ – <strong>das</strong> <strong>ist</strong> der Umschlag-<br />

punkt, und der letzte macht <strong>das</strong> Licht aus.<br />

Ist <strong>das</strong> eine neue Erfahrung? Hat es derlei schon einmal gegeben? Man braucht nur offenen<br />

Auges durch deutsche Wälder in Halbhöhenlage zu streifen, dann trifft man auf Stufenhaine, wo<br />

im Hohen Mittelalter Felder in Randlage angelegt waren, mit Blut, Schweiß und Tränen, bis<br />

nach drei, vier Generationen der Wald sich wieder zurückholte, was ihm seit der Schöpfung ge-<br />

hört hatte. Die Namen <strong>die</strong>ser Rodungen sind vielfach geblieben, unzählig <strong>die</strong> Dörfer, <strong>die</strong> mit -<br />

Roda enden, <strong>die</strong> Menschen sind gegangen. Der Grund für <strong>die</strong>se Wüstungen? Im Hohen Mittelal-<br />

ter war <strong>das</strong> Land in Mitteleuropa voll wie ein Ei, <strong>die</strong> Städtekultur blühte, <strong>die</strong> Agrikultur dehnte<br />

sich aus und rodete <strong>die</strong> Wälder. Und dann kam, Mitte des 14. Jahrhunderts, aus dem Südosten<br />

<strong>die</strong> Pest, <strong>die</strong> Menschen starben und <strong>die</strong> Überlebenden, <strong>die</strong> irgendwann Antikörper gebildet hat-<br />

ten, Reinlichkeit lernten und besser genährt waren, zogen sich in <strong>die</strong> Täler, auf <strong>die</strong> fetten Wei-<br />

den und in <strong>die</strong> Städte zurück. Der Wald aber kam dahin zurück, wo er seit der Schöpfung gewe-<br />

sen war. Heute und morgen wird es nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht der Schwarze<br />

Tod sein, der <strong>die</strong> Menschen mit sich nimmt und <strong>das</strong> Verhältnis von <strong>Stadt</strong> und Land verändert,<br />

sondern eine Fülle von Faktoren, <strong>die</strong> man im Einzelnen analysieren kann, <strong>die</strong> aber in der Le-<br />

benswirklichkeit miteinander und gegeneinander reagieren.<br />

Am wichtigsten sind und bleiben <strong>die</strong> langen Wellen der Bevölkerungsgeschichte.<br />

Seite 1 von 6


An zweiter Stelle steht <strong>die</strong> Verfügung über ausreichende, erschwingliche, umweltverträgliche,<br />

nachhaltige, zukunftsfähige Energie.<br />

An dritter Stelle <strong>ist</strong> spätestens <strong>die</strong> Bewahrung der Umwelt zu nennen, an vierter <strong>die</strong> Technik, an<br />

fünfter <strong>die</strong> Staatsintervention, eingeschlossen öffentliche Infrastruktur und Sicherheit, an sechs-<br />

ter der Kapitalmarkt, der Preis des Geldes, <strong>die</strong> Formen der Baufinanzierung. Zuletzt und vor<br />

allem muss man den Faktor X, X-plus und X-Doppelplus einsetzen: Das können Katastrophen<br />

sein, wie Erdbeben und Tsunami in Fukushima, <strong>die</strong> <strong>die</strong> deutsche Politik als Menetekel der indus-<br />

triellen Zivilisation begreift, während global Übergang zur Tagesordnung angesagt <strong>ist</strong>. Zu den X-<br />

Plus-Faktoren aber können auch technische Durchbrüche gehören, wie im letzten Jahrzehnt <strong>die</strong><br />

Verbindung von LNG – Liquefied Natural Gas mit der Erschließung unkonventioneller Gasfelder<br />

in vielen Teilen der Welt. Der Faktor X-Doppelplus endlich kann aus Kriegen und Konflikten ent-<br />

stehen, globaler Terror, oder kann kommen aus dem Universum von Cyberspace, Cybercrime<br />

und Cyberwar. Bei alledem gilt, <strong>das</strong>s schon <strong>die</strong> Vergangenheit, <strong>das</strong> Reich der H<strong>ist</strong>oriker,<br />

schwer genug zu begreifen <strong>ist</strong>; <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Analyse der Gegenwart höchst kontrovers bleibt, und<br />

<strong>das</strong>s <strong>die</strong> Zukunft vorauszusagen, noch immer mehr dem Kaffeesatzlesen verwandt <strong>ist</strong> als ernst-<br />

hafter methodischer Vergewisserung. Weiterhin gilt <strong>die</strong> Warnung des berühmten Mark Twain:<br />

Vor Voraussagen soll man sich hüten, ganz besonders solche, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Zukunft betreffen.<br />

1. Und damit sind wir bei der langen Antwort und dem Wagnis, aus Vergangenheit und Gegen-<br />

wart vernünftige Annahmen, tragfähige Hypothesen über <strong>die</strong> Zukunft zu finden. Fehler sind<br />

möglich, und je weiter in <strong>die</strong> Zukunft projiziert, desto teurer. Strategische Fehler werden in<br />

Wohlstandsverlust, Glückszerstörung und sozialen Konflikten abgerechnet. Deshalb <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Un-<br />

terfangen, etwas über <strong>die</strong> Zukunft zu sagen, ebenso notwendig wie gewagt. Dies vorausge-<br />

schickt, geht es um <strong>das</strong>, was man landläufig Demographie nennt, während man Geborenwer-<br />

den, Leben und Sterben meint. Die Weltbevölkerung steigt, und <strong>die</strong> Zahlen sind dort am größ-<br />

ten, wo <strong>das</strong> Leben am mühsamsten und gefährlichsten <strong>ist</strong>. Das schafft wachsende Ungleichge-<br />

wichte, denn in Europa <strong>ist</strong> es einzig Frankreich, <strong>das</strong> langfr<strong>ist</strong>ig stabil <strong>ist</strong>, wobei <strong>die</strong> rund sieben<br />

Millionen Muslime der ersten und zweiten Einwandergeneration deutlich mehr Kinder bekommen<br />

als <strong>die</strong> eingesessenen Franzosen. Aber Frankreich hat auch seit den Menschenopfern des Ers-<br />

ten Weltkriegs eine Bevölkerungspolitik, <strong>die</strong> weit kinderfreundlicher <strong>ist</strong> als der Rest Europas.<br />

Vom Nordkap bis Sizilien wird <strong>die</strong> Bevölkerung Tag um Tag, wenn man <strong>die</strong> Befunde der Demo-<br />

graphen nimmt, älter und grauer. In Deutschland gab es nach den Völkerwanderungen des<br />

Zweiten Weltkriegs – um Massenmorde und Massensterben, Fluchten und Vertreibungen auf<br />

einen neutralen Begriff zu bringen – den noch immer jeder Katastrophe folgenden Babyboom,<br />

als wolle <strong>die</strong> Natur sich zurückholen, was <strong>die</strong> Menschen ihr genommen haben. Aber der Kinder-<br />

segen dauerte nicht lange. Mitte der 1960er Jahre tauchten in den Stat<strong>ist</strong>iken, noch bevor <strong>die</strong><br />

Seite 2 von 6


Pille zum Konsumartikel wurde, steigende Zahlen auf, was Scheidungen, Einzelkinder, alleiner-<br />

ziehende Mütter betraf. Konrad Adenauer war vielleicht Vater des Vaterlandes, aber pro-<br />

aktive Kinderförderung war seine Sache nicht: Er war der Meinung, der Kindersegen mache sich<br />

von allein, und der deutsche Generationenvertrag sei langfr<strong>ist</strong>ig gesichert und stabil genug für<br />

<strong>die</strong> dynamische Rentenversicherung, <strong>die</strong> entsprechend dem Erfolg der Wirtschaft den Alten gibt<br />

und den Jungen nimmt. Inzwischen weiß man, <strong>das</strong>s der große Mann in beiden Punkten irrte, wie<br />

<strong>die</strong> Sozialpolitiker nach ihm noch lange sich irrten. Was den deutschen Generationenvertrag<br />

betrifft, so lassen sich seit Jahrzehnten <strong>die</strong> Befunde des Stat<strong>ist</strong>ischen Bundesamtes in zwei<br />

Halbsätzen zusammenfassen: Erst wollen <strong>die</strong> Leute keine Kinder zeugen, dann wollen sie nicht<br />

sterben.<br />

Hat <strong>das</strong> alles Bedeutung für <strong>die</strong> Wohnungswirtschaft? Demographie <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Koordinatensystem,<br />

in dem alle Planer denken müssen, und es <strong>ist</strong> ein hochdynamisches System, in dem oft schon<br />

heute nicht mehr gilt, was gestern noch gesichert schien, und was morgen kommt, voller Über-<br />

raschungen steckt, möglicherweise begleitet von ungeprüften Arbeitshypothesen, Fehlplanun-<br />

gen und Kapitalverschwendung.<br />

Was sich absehen lässt, kann man in Stichworten zusammenfassen. Der Auszug der Familien<br />

aus der Großstadt wird abnehmen, schon weil es weniger davon gibt. Das Haus im Grünen er-<br />

we<strong>ist</strong> sich für viele als vorübergehende Erscheinung. Einpersonenhaushalte, deren Zahl wächst,<br />

drängen nicht nach draußen, sondern in <strong>die</strong> Mitte. Ältere und Alte werden zusammenrü-<br />

cken und Wohngemeinschaften eröffnen, um einander zu helfen und der Einsamkeit zu entge-<br />

hen. Sie werden dorthin gehen, wo alles in Reichweite <strong>ist</strong>, möglichst Gehentfernung, vom Arzt<br />

bis zum Italiener und zum Zeitungskiosk. Man wird nicht in der kinderlosen grünen Einsamkeit<br />

bleiben, sondern Gesellschaft suchen – und <strong>das</strong> nicht nur im Internet. Innerstädtisches Wohnen<br />

wird wieder begehrt sein – und im Preis ansteigen. Gated communities, wie in New York, wer-<br />

den <strong>die</strong> Reichen vor den Armen schützen. Der gesellschaftliche Abstieg der Innenstadtquartiere<br />

wird sich vielfach umkehren. Das aber bedeutet, <strong>das</strong>s Investitionen in Infrastruktur, weil sie nicht<br />

überall finanzierbar sind, sorgfältig mit den neuen Lebensgewohnheiten einer alternden Bevölke-<br />

rung abzustimmen sind. Um Fehlinvestitionen in der Pampa zu vermeiden, wird man beizeiten<br />

Bewegungsprofile erstellen müssen, Meinungsumfragen in Gang setzen, Alternativmodelle<br />

durchrechnen und auf ihre Akzeptanz prüfen müssen. Man wird auch statt des Ein- oder Zwei-<br />

Generationen Haushalts <strong>die</strong> Phantasie in Richtung Großväter und Großmütter, wirkliche oder<br />

adoptierte, lenken müssen und ihre Einbeziehung in <strong>die</strong> Lebensformen des Alltags. Der Staat<br />

wird aufwendige Umstellungsarbeiten, <strong>die</strong> noch dazu politisch heiß umstritten sind, finanzieren<br />

und durchführen müssen, S-Bahn-Netze werden ausgedünnt, Buslinien geschrumpft, Schulen,<br />

Kliniken, Verwaltungsapparate werden zusammengelegt. Renten und Pensionen zurückzufüh-<br />

Seite 3 von 6


en, wird nur um den Preis eines Aufstands möglich sein. Also wird <strong>die</strong> Infrastruktur zurückge-<br />

nommen. Das hat enorme Folgen für <strong>die</strong> Wohnungswirtschaft.<br />

2. Energie wird knapper und teurer und immer mehr staatlich bewirtschaftet. Es wird nicht rei-<br />

chen, ein paar warme Pullover zu kaufen, sich Bewegung zu machen, Lampen und Geräte aus-<br />

zuschalten – eingeschlossen den Heim-PC und den Fernseher. Knappheit der Energie betrifft<br />

nicht nur <strong>die</strong> Heizung der Wohnquartiere, es betrifft auch <strong>das</strong> ehrgeizige Programm der Bundes-<br />

regierung in Sachen Isolierung. Vor allem aber reduziert der steigende Energiepreis <strong>die</strong> Beweg-<br />

lichkeit, und nicht überall und nicht bei jedem Wetter und auch nicht für jeden und jede <strong>ist</strong> <strong>das</strong><br />

Fahrrad <strong>die</strong> Antwort. Elektromobil und Elektrofahrrad, nicht anders als <strong>die</strong> allgemein als Wun-<br />

derwaffe gepriesene Brennstoffzelle – ohne Elektrizität funktioniert <strong>das</strong> alles nicht. Bei der Ta-<br />

geszeitung DIE WELT gibt es eine Serie unter dem Titel „Was wären wir ohne…“. Man kann<br />

eine Menge OHNE durchstehen. Ohne Elektrizität zu auskömmlichen Preisen und möglichst<br />

überall würde <strong>die</strong> Zivilisation, wie wir sie kennen, binnen weniger Stunden zum Stillstand kom-<br />

men. Das Handy aufladen? Den Laptop? Das alles setzt verlässliche, ununterbrochene Strom-<br />

versorgung voraus. Ob <strong>die</strong> Bundeskanzlerin bei ihrem jähen Entschluss, <strong>die</strong> Atomkraftwerke<br />

stillzulegen, daran gedacht hat? Wenn <strong>die</strong> Deutschen nicht <strong>die</strong> einzig Klugen in der Welt sind,<br />

dann muss es gute Gründe geben, warum <strong>die</strong> anderen nicht desgleichen tun. Der öffentliche<br />

Nah- und Fernverkehr wird mehr Investitionen brauchen, zumal <strong>die</strong> Tage des billigen Massen-<br />

flugverkehrs, <strong>die</strong> vor 20 Jahren begannen, wahrscheinlich schon wieder gezählt sind. Stillgeleg-<br />

te Strecken werden wieder aufgerüstet werden, ihnen entlang wird noch gebaut – Trotzdem<br />

muss man vorsichtig sein, nicht ins Leere zu planen. Wie viele Autobahnbrücken ohne Auto-<br />

bahn stehen in Deutschland West? Sie sind eine Warnung. Die Städte werden sich konzentrie-<br />

ren und verdichten, <strong>das</strong> Land wird wieder ländlicher werden.<br />

3. Die Bewahrung der Umwelt, noch 2010 „alternativlos“ <strong>das</strong> durchschlagende Argument für<br />

<strong>die</strong> Verlängerung der Atomlaufzeiten und <strong>die</strong> Reduzierung des CO2 Treibhauseffekts, <strong>ist</strong> seit<br />

Fukushima, jedenfalls für Deutschland, amtlich von minderer Bedeutung. Doch <strong>die</strong> erneuerbaren<br />

Energien, von Solar und Biomasse bis Wind und Wellen, sind noch lange nicht wirtschaftlich<br />

tragfähig, und immer werden Öl- und Gaskraftwerke auf Standby gebraucht für den Fall, <strong>das</strong>s es<br />

stürmt oder Windstille herrscht oder <strong>die</strong> Sonne hinter Regenschleiern verschwindet. Und jedem<br />

Tag folgt noch immer <strong>die</strong> Nacht. Auch tragen <strong>die</strong> Windmühlen, anders als ihre neuzeitlichen<br />

Vorgänger, nicht zur Verschönerung der Landschaft bei. Die Umweltsünden der Braunkohle sind<br />

erst einmal, ebenso wie <strong>die</strong> des Öls, vergeben und vergessen. Umso wichtiger wird <strong>die</strong> Staats-<br />

intervention in Sachen Heizungseffizienz, Isolierung und Einsparen. In Frankreich gab es vor<br />

zwei Wintern Plakate mit der Mahnung, 23 Grad Celsius seien genug – man kann sich auch<br />

noch Schlimmeres denken, Strickwesten, Pullover, Schafsfellmäntel und dergleichen werden<br />

Seite 4 von 6


wieder à la mode. Viel wichtiger aber <strong>ist</strong>, <strong>die</strong> Schonung der Umwelt und der natürlichen Res-<br />

sourcen in <strong>Stadt</strong>planung, insbesondere Verkehrsplanung umzusetzen. Dabei wird es Zielkonflik-<br />

te geben: Man denke an Kliniken, Schulen, Verwaltungsgebäude: Viele kleine oder jeweils ein<br />

großes Zentrum? Hier greifen Bevölkerungsprognose, Energieplanung, <strong>Stadt</strong>planung ineinan-<br />

der. Man kann viel richtig machen – oder auch falsch.<br />

4. Technik kann viel, aber nicht alles. Sie kann zum Beispiel nicht <strong>die</strong> Grundlagen von Chemie<br />

und Physik verändern, auch wenn <strong>die</strong> Politik <strong>das</strong> gern so hätte. Forschung und Technik haben<br />

<strong>die</strong> Atomkraft geliefert, <strong>die</strong> Gasturbinen, hocheffiziente Kohlekraftwerke, demnächst vielleicht<br />

Carbon Storage, um CO2 in <strong>die</strong> Erde zu pumpen und zu lagern. Man kann Schwefel in <strong>die</strong> At-<br />

mosphäre befördern, um <strong>das</strong> Sonnenlicht zu reflektieren und damit den Prozess der Erderwär-<br />

mung zu verlangsamen. Technik kann auch verfeinerte Messverfahren bereitstellen, neue Werk-<br />

stoffe entwickeln, Produktionsprozesse verschlanken. Die Technik wird weiter voranschreiten,<br />

dafür sorgen schon steigende Energiepreise. Aber tun wir genug für Forschung? Halten wir <strong>die</strong><br />

besten Forscher im Land? Weiterhin und noch mehr als bisher gilt für alle <strong>Stadt</strong>planung und<br />

Wohnungswirtschaft, <strong>das</strong>s Energie und Energiebewirtschaftung der Schlüssel bleiben für <strong>die</strong><br />

Zukunft der Industriegesellschaft und – <strong>die</strong> „Occupy Wallstreet“ Bewegung hat weltweit Potenzi-<br />

al - ihren inneren Frieden. Die Zeit drängt. Aber Wunder kann auch <strong>die</strong> best dotierte Forschung<br />

nicht vollbringen. Und jedes Forschungswunder, bis es industriell nutzbar wird, braucht Jahre<br />

und Jahrzehnte. Was im Übrigen auch für <strong>die</strong> deutsche Energiewende gilt.<br />

5. Staatsintervention wird nicht bescheidener werden, sondern nachdrücklicher, teurer und in-<br />

novativer. Wenn es nicht zur großen Steuervereinfachung kommt – und <strong>das</strong> kann lange dauern<br />

– wird der Staat weiterhin mit Belohnungen und Strafen in <strong>das</strong> Planungs- und Baugeschehen<br />

eingreifen. Wie <strong>das</strong> deutsche System beschaffen <strong>ist</strong>, wird <strong>das</strong> mehr nach der Kraft der Interes-<br />

senvertreter gehen als nach Regeln lenkender Vernunft. Darüber hinaus wird alles großge-<br />

schrieben werden, was Bio oder Öko heißt. Man wird uns nicht gerade Strickjacken verordnen<br />

und Ohrenschützer, aber von der grünen Ökodiktatur als Vision des perfekten Menschen in der<br />

perfekten Gesellschaft sind wir nicht mehr weit entfernt. Sie kann sich heute modernster Kon-<br />

trollmethoden be<strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> wir noch kaum erahnen. Die Privatheit <strong>ist</strong> längst zu einem sentimen-<br />

talen Restwert bürgerlicher Verhältnisse geworden. My home is my castle? Dafür müsste man in<br />

der Tat Einsiedler werden und der Welt abschwören.<br />

6. Und damit zum Nervus rerum, Geld und Kapital. Die besten Zeiten sind vorbei, <strong>die</strong> Kommu-<br />

nen sind, mit wenigen Ausnahmen, überfordert vom Ausbau der zivilisatorischen Netze, noch<br />

mehr von deren Rückbau. Dazu kommt, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Reallöhne in Deutschland in den letzten fünf<br />

Seite 5 von 6


Jahren um etwa 3,5 Prozent gesunken sind – <strong>das</strong> heißt, <strong>die</strong> Leute sparen weniger und können<br />

sich weniger le<strong>ist</strong>en. Dass <strong>die</strong> gegenwärtige Finanz-, Schulden- Euro- und Vertrauenskrise <strong>das</strong><br />

verbleibende Geld in Immobilien lenkt, kann man wünschen, aber nicht voraussagen. Es stehen<br />

schwierige Zeiten bevor, und es fehlt, zuerst und zuletzt, am Vertrauen in <strong>die</strong> Währung und noch<br />

mehr in <strong>die</strong> Politik.<br />

Das alles sind Trendaussagen, <strong>die</strong> jeweils für sich plausibel sind, aber schon in ihrer Wechsel-<br />

wirkung, z.B. Energie und Lebensformen, schwer vorhersagbar. Noch mehr gilt <strong>die</strong>se Unvorher-<br />

sagbarkeit für <strong>die</strong> Brüche der Entwicklung, ob willkommen oder unwillkommen. Willkommen in<br />

Gestalt technischer Lösungen, ob im Verkehr oder in der Energiegewinnung, ob im Klimaschutz<br />

oder in der Mobilität – oder gar in der Entwicklung von Medikamenten für <strong>das</strong> ewige Leben –<br />

wenn <strong>das</strong> denn so erstrebenswert wäre. Unwillkommen in Gestalt von Desastern, z. B. Völker-<br />

wanderungen in katastrophenhafter Dimension, wie zum Ende des Römischen Reiches, als <strong>die</strong><br />

Städtekultur der Antike weggefegt wurde von barbarischen Horden. Unwillkommen beispielswei-<br />

se auch in Gestalt einer dritten Ölpreisexplosion, mit schönen Grüßen aus dem Mittleren Osten,<br />

1973 plus, oder 1979 doppelplus, als der Ölpreis, in heutigen Dollars, längere Zeit über 200 pro<br />

Barrel stand: Damals veränderten sich jedes Mal Politik, Denken und Lebensformen. Manche<br />

erinnern sich noch an den autofreien Sonntag. Das kann wieder geschehen: Was man den ara-<br />

bischen Frühling nennt, hat Saudi-Arabien noch nicht erreicht, <strong>das</strong> 9 Prozent des Welterdölbe-<br />

darfs befriedigt und den Markt dämpft, bisher. Aber <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Saudis nach Bahrein, wo <strong>die</strong> schii-<br />

tische Unterschicht den Aufstand probte, Panzer schickten und dem Volk zu Hause 100 Milliar-<br />

den Dollar aufs Konto überwiesen, und <strong>das</strong> bei freier Heilfürsorge und ohne Einkommensteuer,<br />

verrät etwas über <strong>die</strong> Angst im Königshaus. Der Ölpreis, der weltweit alles bestimmt, birgt noch<br />

Überraschungen – und mit Sicherheit keine schönen.<br />

Die <strong>Stadt</strong> <strong>wohin</strong>? Am einfachsten <strong>ist</strong> immer noch <strong>die</strong> Wetterprognose, <strong>das</strong>s es morgen ungefähr<br />

so sein wird wie heute. Me<strong>ist</strong> gilt <strong>das</strong> auch für <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong>. Aber nicht immer. Die langen Wellen<br />

der Geschichte werden unterbrochen durch Umbrüche, Aufbrüche und Zusammenbrüche: Eini-<br />

ge haben wir erlebt, von der automobilen Revolution über <strong>das</strong> Ende des Babybooms bis hin zur<br />

Implosion des Sowjetreiches und zur Informationsrevolution durch Cyberspace. Mehr werden<br />

kommen. Wer <strong>die</strong> voraussagen kann, der bekommt den ersten Preis.<br />

Seite 6 von 6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!