Platon und Hegel - Friedrich Kümmel
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eine Erscheinung (oder ein Ereignis) kann ja in der Regel nicht lediglich<br />
ihr selbst entnommen werden. Sie wird verständlich, wenn eine<br />
allgemeinere Ursache für sie vermutet werden kann <strong>und</strong> die Bedingungen<br />
gef<strong>und</strong>en sind, unter denen diese hier so wirken konnte. Das<br />
Hypothesenbilden ist hier notwendig, um den Sachverhalt überhaupt<br />
bestimmt wahrnehmen <strong>und</strong> einsehen zu können. Weder wird hier die<br />
Erklärung vorgegeben <strong>und</strong> der »Fall« einfach subsumiert noch ist sie<br />
ebenso einseitig an der vereinzelten Gegebenheit abgelesen. Ihre Erkenntnis<br />
vollzieht sich vielmehr in einem Zusammentreffen verschiedener<br />
Wissensgründe, das in sich selbst schon eine Bestätigung <strong>und</strong><br />
Korrektur seiner Wahrheit enthält.<br />
Und darauf kommt es nun auch in bezug auf das in der Stoa thematisierte<br />
Verhältnis von logischer Form <strong>und</strong> empirischem Inhalt an:<br />
nicht die analytische Notwendigkeit des Schließens im Blick auf eine<br />
ihr nicht gehorchende Wirklichkeit selbst aufzuweichen, sondern sie<br />
wieder in den weiteren Prozeß der Erkenntnisgewinnung einzubeziehen<br />
<strong>und</strong> hier in ihrer unentbehrlichen, wenngleich für sich allein nicht<br />
zureichenden Funktion wahrzunehmen. Die formale Ableitung in einem<br />
logisch durchgebildeten Erkenntniszusammenhang ist in ihrer Gültigkeit<br />
unabhängig von den Bedeutungen der in ihr benützten Ausdrücke.<br />
11 Durch diese Formalität des Schließens ist es möglich, gegebene<br />
Aussagen so umzuformen <strong>und</strong> weitere Aussagen aus ihnen abzuleiten,<br />
daß der in Frage stehende Sachverhalt dabei in seinem Inhalt<br />
nicht verändert wird. In der »tautologischen« Umformbarkeit liegt<br />
der positive Sinn des streng analytischen Verfahrens, dessen Äquivalenzen<br />
die formale Logik feststellt. Um das Wissen in einen Zusammenhang<br />
zu bringen, ist eine formale Modifikation unentbehrlich. Sie<br />
betrifft nicht nur seine nachträgliche sprachliche Ausformulierung <strong>und</strong><br />
geht vielmehr in den Prozeß seiner Gewinnung selbst ein. Denn nur so<br />
ist es möglich, Antworten in neue Fragen umzuwandeln <strong>und</strong> unerwartete<br />
Ergebnisse nicht einfach liegenzulassen, sondern rückwirkend für<br />
eine Neuinterpretation des Erkenntniszusammenhangs selbst fruchtbar<br />
zu machen. Zugleich ist deutlich, daß die formale analytische Umformung<br />
im Finden <strong>und</strong> Darstellen von Erkenntnis nur eine Teilfunktion<br />
sein kann. Der Skeptiker wird mit Recht darauf hinweisen können,<br />
daß im pro et contra dicere die beidemal logisch unanfechtbare Begründung<br />
einer Sache diese gerade unentscheidbar mache. Das widerspruchsfreie<br />
System garantiert ebensowenig die Wahrheit seiner Sätze<br />
wie der Rückgriff auf eine vermeintlich an sich selbst unmittelbar<br />
<strong>und</strong> für alle gleich gegebene Wirklichkeit. Mit der logischen Richtigkeit<br />
einer Ableitung ist gleichsam nur eine Mini-<br />
11 Vgl. Lukasiewicz, Zur Geschichte der Aussagenlogik. In: Erkenntnis V,<br />
1935, S. 119.<br />
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