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<strong>Utcrodcr</strong> <strong>gJampfboot</strong><br />

DIE HEIMATZEITUNG<br />

gegr. 1849<br />

ALLER MEMELLANDER<br />

H4694<br />

161. Jahrgang Oldenburg, 20. Januar 2010 Nummer 1<br />

In dieser Ausgabe:<br />

Grußwort des Vorstands<br />

In seiner Grußbotschaft zum Neuen<br />

Jahr richtet der Bundesvorsitzende<br />

der AdM, Uwe Jurgsties, den Blick<br />

nach vorn auf die weitere Perspektive<br />

der landsmannschaftlichen Arbeit.<br />

Weihnachtsfeiern der Vereine<br />

Karin Gogolka hat in der Adventszeit<br />

unsere Deutschen<br />

Vereine in Memel und Heydekrug<br />

besucht und berichtet eindrucksvoll<br />

von den stimmungsreichen<br />

Tagen in der Heimat.<br />

Im Land der Ahnen<br />

Heimatforscher Bernd Dauskardt<br />

war ebenfalls im Memelland<br />

unterwegs und besuchte u.<br />

a. Walter Wallenschus in Bismarck.<br />

Mit dem Museum Heydekrug<br />

wird eine spannende Kooperation<br />

vereinbart.<br />

Traumhafter<br />

Nehrungssommer<br />

In der Rückschau auf den vergangenen<br />

Sommer werden<br />

schöne Erinnerungen geweckt,<br />

gleichzeitig ist nun schon wieder<br />

die Zeit, den kommenden<br />

Urlaub zu planen. Dazu liegen<br />

auch einige interessante Angebote<br />

an Busreisen aus dem<br />

Kreis der Memelländer vor.<br />

Memelland sind wir<br />

160 Jahre<br />

Memeler Dampfboot<br />

Das Memeldelta -<br />

seltene Flussmündung Europas<br />

Die Mündungsarme des Russ-Stroms nach der „Landtafel" von<br />

Caspar Henneberger (hier in der Fassung von 1595). Zur Verdeutlichung<br />

sind die Mündungsarme des Russ-Stroms farblich hervorgehoben.<br />

VON MICHAEL JÜRGING,<br />

ANDREAS TANGEN UND<br />

T1LMAN UNBEHAUN<br />

Die Memel (lit. Nemunas, russ.<br />

Neman) ist 937 km lang und<br />

gehört zu den wenigen Strömen<br />

Europas, die im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte<br />

ein Mündungsdelta<br />

ausgebildet haben.<br />

Das Memeldelta beginnt etwa<br />

50 knf vor dem Kurischen Haff<br />

mit der Aufteilung des Mutterstromes<br />

in den nördlichen Russ<br />

Strom (lit. Rusne) und die südliche<br />

Gilge (russ. Matrosovka, lit.<br />

Gilija). Die beiden teilen sich das<br />

Wasser der Memel etwa im Verhältnis<br />

4:1, das heißt der Russ-<br />

Strom ist der bei weitem größere<br />

Arm. Auf Höhe des Städtchens<br />

Russ (lit. Rusne) teilt sich dann<br />

auch der Russ-Strom, und zwar in<br />

die beiden Hauptmündungsarme<br />

Atmath (lit. Atmata) und Skirwiet<br />

(lit. Skirvyte) sowie die kleinere<br />

Pokalina (lit. Pakalne) als<br />

dritten Arm. Die beiden Hauptmündungsarme<br />

umschließen in<br />

einem Halbkreis eine 46 km 2<br />

große Deltainsel, den so genannten<br />

„Russer Wasserwinkel". Dieser<br />

wird außer von der Pokalina<br />

noch von einer Vielzahl weiterer<br />

Gewässerarme durchzogen. In<br />

den Kartenwerken des 20. Jahrhunderts<br />

tragen 25 bis 30 dieser<br />

Arme auch einen eigenen<br />

Namen. Mit einigen davon werden<br />

wir uns im Folgenden näher<br />

beschäftigen.<br />

Ein faszinierender,<br />

dynamischer Prozess<br />

Die Entwicklung eines Deltas ist<br />

ein faszinierender dynamischer<br />

Prozess. Dabei schiebt sich der<br />

Strom - hier die Memel - im Verlauf<br />

von Jahrhunderten trichterförmig<br />

in ein Küstengewässer<br />

oder ein Binnenmeer - hier das<br />

Kurische Haff - hinaus. Dazu<br />

transportiert er aus seinem Einzugsgebiet<br />

fortwährend Sedimente<br />

aus Kies, Sand und Lehm<br />

heran, die er an seiner Mündung<br />

ablagert. Im Wechselspiel zwischen<br />

Wasser und Land bilden<br />

sich im Laufe der Zeit immer wieder<br />

neue Mündungsarme, andere<br />

werden versanden, Inseln entstehen<br />

und verbinden sich allmählich<br />

mit dem Ufer zu neuem<br />

Land. Einen plastischen Eindruck<br />

von dieser Entwicklungsdynamik<br />

erhalten wir, wenn wir<br />

die aktuelle geographische Situation<br />

des Memeldeltas mit historischen<br />

Kartendarstellungen vergleichen.<br />

Bitte umblättern


Nr. 1 -Januar 2010 Ul cra der 3 arapfbo ot Seite 3<br />

Das Memeldelta<br />

Ein Pfarrer als<br />

kartografischer Pionier<br />

im ehemaligen Land<br />

der Prußen<br />

Fortsetzung von Titelseite<br />

Die älteste Karte, die das Memeldelta<br />

relativ präzise und ohne<br />

große Fehler darstellt, ist die<br />

Prussia-Karte des Pfarrers Caspar<br />

Henneberger aus dem Jahre<br />

1576. Henneberger hatte von<br />

1570 bis 1576 Reisen und Arbeiten<br />

zur Vermessung Preußens<br />

vorgenommen. Das Ergebnis war<br />

mit lauter Nicht-Deutschen<br />

[wörtlich: „undeutschen"] besiedelt<br />

wurden, nachdem sie lange<br />

Zeit wüst gelegen hatten, findet<br />

man die Namen noch, und kein<br />

Bach ist zu klein, als dass er nicht<br />

seinen eigenen Namen hat. [Diese<br />

Namen] stimmen gemeinhin<br />

auch mit den alten Namen überein,<br />

obschon sie verfremdet<br />

[wörtlich: „corrupte"] ausgesprochen<br />

werden. Wo aber Deutsche<br />

wohnen (was mich doch ziemlich<br />

verwundert), kennt man oftmals<br />

die Gewässernamen gar nicht;<br />

und wenn man sie nicht in alten<br />

Handschriften und Beschreibungen<br />

auffinden würde, wären viele<br />

So präsentierte sich die Stromteilung bei Russ um 1915 vom Brionischker<br />

Ufer aus: Die Atmath fließt unter der Petersbrücke (1914-1944) hindurch,<br />

die Skirwiet zweigt nach links ab.<br />

tete. Insbesondere in den ost- Siedler nicht aus, um das Vakuprußischen<br />

Gauen Schalauen und um zu füllen, so dass viele Gebie­<br />

Sudauen wurden die Bewohner te „lange Zeit wüst" lagen. Erst<br />

durch Krieg, Zwangsumsiedlun­ nach und nach durften sich dort<br />

gen und Pestepidemien derart de­ auch Zuwanderer aus den östlich<br />

zimiert, dass Ende des 13. Jahr­ benachbarten, litauischstämmihunderts<br />

ein etwa hundert Kilogen Gebieten ansiedeln. Deren<br />

meter breiter Grenzstreifen na­ ostbattische Sprache ist dem<br />

hezu entvölkert war. Darüber westbaltischen Prußisch ver­<br />

hinaus wurden die prußische wandt. Vermutlich haben die<br />

Sprache und Kultur vom Deut­ Neusiedler die alten Ortsbezeichschen<br />

Orden unter Androhung nungen von der prußischen Rest­<br />

härtester Strafen radikal unterbevölkerung übernommen, sie<br />

drückt. Der Unterlauf und das aber in ihre eigene Mundart über­<br />

Delta der Memel gehörten vor führt. So ließe sich jedenfalls die<br />

der Ordenszeit zu Schalauen, verfremdete („corrupte") Aus­<br />

dem nordöstlichsten Prußengau. sprache der Gewässernamen er­<br />

In der Henneberger'schen Karte klären, die Henneberger seiner­<br />

ist die latinisierte Bezeichnung zeit aufgefallen war. Darüber<br />

„Schalavonia" eingetragen. Das hinaus mag es sein, dass auch die<br />

Gebiet war außerdem auch von Unterdrückung der prußischen<br />

den nördlich benachbarten (Alt-)<br />

Abendstimmung an der Pokalina bei Russ Foto: Michael Jürging (2008)<br />

Kuren kulturell beeinflusst.<br />

Sprache selbst zur verfremdeten<br />

Aussprache der überlieferten Na­<br />

seine in Königsberg gedruckte von den alten Namen verloren,<br />

mensbezeichnungen beigetragen<br />

„Große Landtafel von Preußen". denn die Leute achten nicht son­ Nach der weitgehenden Entvöl­ hat.<br />

Die Pionierleistung, die Caspar derlich darauf. Solange sie [von kerung des Grenzlandes reichte<br />

Henneberger damit vollbracht den Gewässern] den Nutzen ha­ der Zuzug deutschstämmiger Bitte lesen Sie weiter aufS. 11<br />

hat, kann gar nicht hoch genug ben und noch eine Kanne Bier<br />

eingeschätzt werden. Eckhard Jä­ dabei, sind sie schon zufrieden."<br />

ger (1982) hat die Entstehungsgeschichte<br />

dieser Karte im Einzelnen<br />

beschrieben.<br />

(Henneberger 1595; sprachliche<br />

Übertragung M.J.)<br />

Was hat es mit den Gewässerna­<br />

Im Jahr 1595 ist ein Nachschnitt men auf sich? Zum Verständnis<br />

der Erstausgabe erschienen. der „undeutschen" Bewohner<br />

Henneberger hat ihm einen um­ und der „lange Zeit wüst gelegefangreichen<br />

Textband mit ausnen" Gebiete lohnt sich ein Blick<br />

führlichen Erläuterungen beige­ auf die Vorgeschichte. Wir orienfügt.<br />

Im Hinblick auf die Flüsse tieren uns dabei an den Veröf­<br />

und Bäche, die in der Karte darfentlichungen von Heinrich Gergestellt<br />

sind, schreibt er: „Es halach (1978) und Lothar Kilian<br />

ben mir die Fließgewässer auch (1982): Die ursprüngliche Bevöl­<br />

nicht wenig Mühe gemacht, nicht kerung des Westbaltikums, die<br />

allein wegen ihrer Quellen und verschiedenen prußischen Stäm­<br />

Mündungen, sondern auch wemen angehörte, war im 13. Jahrgen<br />

ihrer jetzigen und früheren hundert nach und nach vom<br />

Namen. In den Gebieten um In- Deutschen Ritterorden untersterburg<br />

und Ragnit und in etliworfen worden, der dort einen ei­ Der Marktplatz von Russ auf einer Postkarte um 1910. Zur Zeit der<br />

chen anderen Ämtern, die doch genständigen Ordensstaat errich- Ordensritter f loss hier die Sklade entlang. Bilder (2): Memellandarchiv


Nr. 1 -Januar 2010 SU cm der 3 atupfb o ot Seite 11<br />

Die Mündungsarme<br />

des Russ-Stroms<br />

Auf den Spuren der<br />

13 Mündungsarme<br />

Fortsetzung von S. 3<br />

Konzentrieren wir uns nun auf die<br />

Mündungsarme des Russ-Stroms<br />

und ihre kartografische Darstellung<br />

von 1576 (s. Karte auf dem<br />

Titelblatt). Caspar Henneberger<br />

hat hier besondere Sorgfalt walten<br />

lassen. Weil der Platz in der<br />

Karte selbst nicht ausreichte, um<br />

die Mündungsarme im Einzelnen<br />

zu beschriften, hat er am oberen<br />

Rand eine kleine Tafel mit den<br />

„Namen der Ausgeng des Stromes<br />

Russe'' platziert. Daraufsind<br />

13 Namen aufgelistet, denen<br />

Buchstaben von „A" bis „N" zugeordnet<br />

sind. Mit diesen Buch-<br />

Mündungsarme anhand von Namensähnlichkeiten<br />

in einer Karte<br />

aus dem Jahre 1932 wiederzufinden.<br />

Dabei übersah er allerdings<br />

die von Henneberger vorgegebene<br />

Reihenfolge. Dennoch konnte<br />

er immerhin sieben von 13 Mündungsarmen<br />

korrekt identifizieren<br />

(s. Tabelle). Unzutreffend waren<br />

Willoweits Deutungen:<br />

G Kalanippe = Kallnüpszoge<br />

LSclada-Skatuli<br />

Sowohl die Kallnüpszoge als auch<br />

die Skatuli münden nämlich zwischen<br />

der Skirwiet und der Warruss<br />

ins Kurische Haff. Nach der<br />

Hennebergerschen Reihenfolge<br />

müssten sie sich folglich zwischen<br />

den Buchstaben „B" und „C" be-<br />

Ausschnittvergrößerung aus der „Landtafel" von Caspar<br />

Henneberger, hier in der Fassung von 1595. Zur Verdeutlichung<br />

sind die Mündungsarme des Russ-Stroms farblich hervorgehoben.<br />

staben sind wiederum in der Karte<br />

die Mündungen der Arme bezeichnet,<br />

und zwar in einer bestimmten<br />

Reihenfolge: Der<br />

südwestlichste Arm trägt die Bezeichnung<br />

„A", dann folgen im<br />

Uhrzeigersinn die einzelnen<br />

Mündungen bis zum nordöstlichsten<br />

Arm mit dem Buchstaben<br />

„N". Wir müssen allerdings genau<br />

hinsehen:. Auf der Karte sind die<br />

Buchstaben „L u und „M" vertauscht.<br />

Für die Identifizierung<br />

der Mündungsarme ist das von<br />

Bedeutung, weil sich deren Lage<br />

erst über die Reihenfolge der<br />

Buchstaben erschließen lässt.<br />

Gerhard Willoweit (1974) hat versucht,<br />

die Henneberger'schen<br />

finden, aber nicht an den Stellen<br />

„G" und „L". Tatsächlich waren<br />

Kallnüpszoge und Skatuli Ende<br />

des 16. Jahrhunderts noch gar<br />

nicht vorhanden. Die Deltaentwicklung<br />

war zu der Zeit noch<br />

nicht so weit vorangeschritten.<br />

Der Hauptstrom -<br />

und was von ihm blieb<br />

Im Unterschied zur heutigen Situation<br />

waren Atmath und Skirwiet<br />

nach der Karte von 1576 keine<br />

Hauptmündungsarme, sondern<br />

lediglich Abzweigungen wie<br />

andere auch. Die Fließrichtung<br />

des breiten Hauptstroms führte<br />

damals geradeaus nach Nordwesten,<br />

ließ den Ort Russ am rechten<br />

Der Helenawerder in der Skirwiet-Mündung lässt sich nur mit<br />

dem Boot erreichen. Foto: Michael Jürging (2009)<br />

Ufer liegen und mündete unter<br />

dem unveränderten^) Namen<br />

Russe in das Kurische Haff. (Die<br />

synonyme Bezeichnung Holm ist<br />

zweifellos deutschen Ursprungs,<br />

war aber nicht von Bestand. In<br />

späteren Kartenwerken, soweit<br />

sie nicht unmittelbar auf Henneberger<br />

zurückgehen, taucht dieser<br />

Name nicht wieder auf.) Anhand<br />

der Fließrichtung lässt sich nachweisen,<br />

dass der breite Hauptstrom<br />

Russe aus der Karte von<br />

Henneberger mit dem jetzigen<br />

Flüsschen Pokalina (lit. Pakalne)<br />

identisch ist. Wie ist es zu dieser<br />

dramatischen Verkleinerung gekommen?<br />

Die Ursache war eine<br />

weitgehende Versandung des alten<br />

Hauptstroms im 17. und<br />

18. Jahrhundert. In dieser Zeit<br />

verengte sich das ehemals 400 Meter<br />

breite Flussbett auf das bescheidene<br />

Maß von nur noch<br />

20 Metern. Das zufließende Wasser<br />

suchte sich fortan seinen Weg<br />

hauptsächlich durch die Atmath.<br />

Mündungsarme bei Caspar<br />

HENNEBERGER 1576<br />

Obwohl der alte Hauptstrom Russe<br />

also mit der heutigen Pokalina<br />

identisch ist, stimmt deren Mündung<br />

nicht mit dem Hennebergerschen<br />

Flussarm „F" („Russe oder<br />

Holm") überein. Letzterer entspricht<br />

vielmehr - das hatte auch<br />

Gerhard WILLOWEIT (1974)<br />

richtig erkannt - der Russneit (lit.<br />

Rusnaite). Das bedeutet soviel<br />

wie Kleine. Russe. Die Mündung<br />

der Pokalina liegt hingegen südlich<br />

benachbart zur Russneit. Sie<br />

trägt bei Henneberger den Namen<br />

Theuppe (sprich: Thä-upe; lit.<br />

upe = Fluss) mit dem Buchstaben<br />

„E". Wir haben in historischen<br />

Karten aus der Zeit um 1800 für<br />

den Mündungsabschnitt der Pokalina<br />

die Bezeichnungen Theip-<br />

Fluss und Taup-Fluss gefunden.<br />

Hierbei handelt es sich um verballhornte<br />

- Caspar Henneberger<br />

hätte gesagt: „corrupte" - Fassungen<br />

des alten Namens Theuppe.<br />

Teil 2 folgt nächsten Monat<br />

Identifizierung von Gerhard<br />

WILLOWEIT 1974<br />

A Ackmena Ackminge<br />

B Schirwinde Skirwiet<br />

C Alt Russe Warruss<br />

D Neucuppe Neukuppstrom<br />

E Theuppe<br />

F Russe oder Holm Russneit<br />

G Kalanippe<br />

H Tazaszagis<br />

I Ulmis Ulm<br />

K Bunduluppe<br />

L Sei ada<br />

M Stilbeck<br />

N Athmath Atmath


Seite 20 lllt m d er 3 ampfb o ot Nr. 2-Februar 2010<br />

Das Memeldelta -<br />

seltene Flussmündung Europas (2)<br />

Fortsetzung aus MD 1-2010<br />

Atmath und Skirwiet mausern<br />

sich zu Hauptmündungsarmen<br />

des Russ-Stroms<br />

Als die Atmath vom alten Hauptstrom<br />

Russe nach und nach die<br />

Rolle des größten Mündungsarmes<br />

übernahm, hatte das bedeutende<br />

Folgen für die weitere Deltaentwicklung.<br />

Denn mit der<br />

Verlagerung des Wasserabfluss<br />

wurden zugleich auch immer<br />

größere Sedimentfrachten, also<br />

Kies, Sand und Schlamm durch<br />

die Atmath transportiert und an<br />

ihrer Mündung abgelagert. Die<br />

Mündung verschob sich dadurch<br />

immer weiter nach Nordwesten.<br />

Innerhalb von drei Jahrhunderten<br />

hat sich der Flusslauf der Atmath<br />

um fast 10 km in Richtung<br />

Kurisches Haff verlängert!<br />

Etwa Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

setzte in der Atmath der gleiche<br />

Versandungsprozess ein wie<br />

zweihundert Jahre zuvor im alten<br />

Hauptstrom Russe. Wegen ihrer<br />

Bedeutung für die Schifffahrt und<br />

den Hochwasserabfluss wurde<br />

das Strombett der Atmath jedoch<br />

durch Baggerarbeiten freigehalten.<br />

Andernfalls wäre sie heute<br />

womöglich auch nur noch ein<br />

Mündungsarm von den bescheidenen<br />

Ausmaßen der Pokallna.<br />

Die Skirwiet, der zweite bedeutende<br />

Mündungsarm unserer<br />

Zeit, verdankt ihre heutige<br />

Größe nicht allein der natürlichen<br />

Deltaentwicklung, sondern<br />

einem baulichen Eingriff des<br />

Menschen. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

wurde sie in den Kartenwerken<br />

deutlich schmaler als<br />

die Atmath und darüber hinaus<br />

mit einer ungeteilter Mündung<br />

dargestellt. Danach setzte die zügige<br />

Entwicklung eines eigenen<br />

Mündungsfächers ein, gewissermaßen<br />

die Bildung eines „Deltas<br />

im Delta". Auslöser war der Bau<br />

des Dommaschkanals im Jahr<br />

1758 bei der Siedlung Raggeningken.<br />

Er sollte eigentlich die<br />

Schifffahrt vom Russ-Strom in<br />

die Skirwiet erleichtern. Der Bau<br />

hatte jedoch Folgen, die man<br />

nicht vorhergesehen, geschweige<br />

denn beabsichtigt hatte. Darüber<br />

berichtet Jenny Kopp (1911):<br />

„Der Wasserstand der Atmath<br />

nahm ständig ab, während das<br />

Bett der Skirwiet sich erweiterte<br />

und diese sich (an ihrer Mündung)<br />

in eine große Anzahl kleiner<br />

Arme spaltete. Es blieb also<br />

nichts anderes übrig, als den unlängst<br />

gegrabenen Dommaschkanal<br />

mittels Sperrwerke zu verschließen<br />

und so die Wasserfluten<br />

wieder nach der Atmath zu<br />

lenken. Die Naturkräfte ließen<br />

sich aber nicht bezwingen und<br />

alle Versuche blieben ohne den<br />

Die Atmath ist heute der größte<br />

gewünschten Erfolg! Schließlich<br />

musste man sich darauf beschränken,<br />

die Atmath mit planmäßigen<br />

und kostspieligen Regulierungswerken<br />

zu versehen und die kleinen<br />

Seitenabflüsse der Versan-<br />

Lithographische Ansicht des Memelstroms vom Karalisberg bei Ober-Eisseln mit Ragnit am linken Ufer<br />

rechts der Willischker Höhenzug. Wer hat Vermutungen über den Ursprung dieses Fundstückes?<br />

düng zu überlassen." Ein Ergebnis<br />

der ungewollten Entwicklung:<br />

In der Mündung der Skirwiet bildeten<br />

sich durch die Sedimentablagerungen<br />

mehrere kleine Inseln,<br />

die im 19. Jahrhundert zum<br />

Helenawerder, dem bekannten<br />

Elchrevier, zusammenwuchsen.<br />

Die Sklade - der Vagabund<br />

unter den Mündungsarmen<br />

In der Henneberger'schen Karte<br />

zweigt die Sclada - mit dem<br />

Mündungsarm des Memeldeltas.<br />

Foto: Michael Jürging 1999<br />

Buchstaben „L" versehen - unmittelbar<br />

hinter der Ortschaft<br />

Russ nach rechts aus dem Russ-<br />

Strom ab. Auf den Karten des<br />

20. Jahrhunderts finden wir aber<br />

nur südlich von Kuwertshof einen<br />

Gewässerabschnitt mit dem<br />

gleich lautenden Namen Sklade.<br />

Diese Stelle ist nicht nur sechs Kilometer<br />

vom Ort Russ entfernt,<br />

sondern hat darüber hinaus zu<br />

Hennebergers Zeiten noch inmitten<br />

der Krakerorther Lank gelegen.<br />

Wie passt das zusammen?<br />

Einen ersten Anhaltspunkt lieferte<br />

Willy Aschmann (1974). Er<br />

weist auf einen 300 Meter langen,<br />

schmalen Teich am nordwestlichen<br />

Ortsrand von Russ hin.<br />

Nach seiner Erinnerung wurde<br />

dieses Gewässer einschließlich<br />

der umliegenden Häuser „als Sklade<br />

oder ,an der Sklade' (Skloda)"<br />

bezeichnet. Willy Aschmann<br />

vermutete deshalb, dass es<br />

sich um ein altes Teilstück der<br />

Henneberger'schen Sclada handeln<br />

könnte. Der Teich existiert<br />

auch heute noch. Weitere Fingerzeige<br />

ergaben sich aus zwei Artikeln<br />

im ,Grenzgarten' und im<br />

,Memeler Dampfboot'. Im erstgenannten<br />

Artikel aus dem Jahr<br />

1936 verweist der - namentlich<br />

nicht genannte - Autor darauf,<br />

dass in Hennebergers Karte die


Nr. 2-Februar 2010 jlttmrfcr AJampfboot Seite 21<br />

Sclada durch Russ fließt, „etwa<br />

über den heutigen Marktplatz,<br />

wie es uns auch ein Bild in der<br />

Aula der Herderschule in Heydekrug<br />

richtig zeigt" (Welches Bild<br />

hier gemeint ist, ließ sich bisher<br />

leider nicht klären.) In dem anderen<br />

Artikel berichtet Eva Witte<br />

(1980) aus ihrer Jugendzeit, dass<br />

der Russer Pfarrer gelegentlich<br />

von seinem Studium der Kirchenakten<br />

erzählte: „Aus dieser<br />

mündlichen Überlieferung ist mir<br />

noch erinnerlich, dass die Ordensritter<br />

unsere Kirche am Ufer<br />

der Skladd errichteten, deren<br />

Flussbett später den Marktplatz<br />

bildete. ... Auch hieß der Weg<br />

mit den schönen alten Ahornund<br />

Kastanienbäumen vom<br />

Pfarrhof bis zum Amtsgericht immer<br />

noch ,Kirchendamm\"<br />

Nach diesen Hinweisen können<br />

wir nachvollziehen, wo die Sklade<br />

zu Hennebergers Zeiten ihren<br />

Ausgang aus dem Russ-Strom genommen<br />

hat und mit welchem<br />

Verlauf sie durch den Ort Russ<br />

geflossen ist. Die Linie verläuft<br />

exakt längs der heutigen Taikos<br />

gatve (dtsch. Friedensstraße) in<br />

Russ/Rusne, an der Kirche und<br />

dem Gebäude des ehemaligen<br />

Amtsgerichts vorbei in nordwest-<br />

licher Verlängerung zu dem von<br />

Willy Aschmann bezeichneten<br />

Teich am Ortsrand. Aber wie<br />

ging es von dort weiter? Das entscheidende<br />

Bindeglied in der Beweiskette<br />

fanden wir schließlich<br />

bei unseren Recherchen im Geheimen<br />

Staatsarchiv der Stiftung<br />

Preußischer Kulturbesitz in Berlin.<br />

Dort ist ein „Situations-Plan<br />

vom Flecken Russ und der umliegenden<br />

Gegend" aus dem Jahr<br />

1814 archiviert. Und in diesem<br />

Plan sind gleich zwei Skiaden verzeichnet:<br />

eine alte Sklad und eine<br />

[neue] Sklad. Wir gehen davon<br />

aus, dass die alte Sklad von 1814<br />

mit dem Mündungsarm Sclada<br />

von Henneberger identisch ist.<br />

Die „neue" Sklad von 1814 wurde<br />

aus Gründen, die wir nicht kennen,<br />

später noch einmal umbenannt.<br />

In den Karten des 20. Jahrhunderts<br />

finden wir sie unter der<br />

Bezeichnung Abrahamszoge (lit.<br />

Abramziogis; lit. ziogis = Wiesenflüsschen)<br />

wieder. Die Abrahamszoge<br />

beginnt in der Nähe<br />

des Russer Friedhofs, fließt von<br />

hier nach Nordwesten zum Dumbelteich<br />

und dann weiter in Richtung<br />

Kuwertshof. Hier - und nur<br />

hier, südlich von Kuwertshof -<br />

taucht der Name Sklade (lit. Sklade)<br />

auch in den neueren Kartenwerken<br />

auf. Die heutige Mündung<br />

befindet sich am Leuchtturm<br />

von Kuwertshof (lit. Uostadvaris).<br />

Die Sklade fließt hier<br />

zusammen mit dem Ulm, der uns<br />

im nächsten Kapitel beschäftigen<br />

wird, in die Atmath.<br />

Ulm und Co. - das Chaos<br />

entpuppt sich als Ordnung<br />

Jetzt geht es noch darum, die fehlenden<br />

Mündungsarme Kalanippe,<br />

Tazaszagis, Bunduluppe und<br />

Stilbeck zu identifizieren. Wie<br />

wir gleich sehen werden, ist es<br />

sinnvoll, diese vier gemeinsam<br />

mit dem Ulm abzuhandeln. Es sei<br />

noch einmal darauf hingewiesen,<br />

dass Henneberger in seiner Kartendarstellung<br />

die streng alphabetische<br />

Reihenfolge bei der Bezeichnung<br />

der Mündungsarme in<br />

einem Fall unterbrochen hat, indem<br />

er die Buchstaben „L" und<br />

„M" getauscht hat. Das bedeutet,<br />

dass die gesuchte Stilbeck („M")<br />

westlich und nicht östlich von der<br />

Sklade („L") verlaufen sein muss.<br />

WeiteraufS. 27<br />

Denis Loeffke bettet den Sarg seines Großonkels zur letzten Ruhe in<br />

Solobugowka. Mit Hilfe der Deutschen Kriegsgräberfürsorge fand eine<br />

fünfjährige Mission ihren erfolgreichen Abschluss. Foto: privat<br />

Ende einer Mission<br />

Im MD 6/2003 berichtete ich über<br />

meine Reise nach St. Petersburg<br />

auf der Suche nach der Grablage<br />

von Michel Loeffke aus Wersmeningken<br />

(„Wersmeningken-<br />

Leningrad und kein zurück").<br />

Seinerzeit hatten wir anhand<br />

alter Fotos und Skizzen den Regimentsfriedhof<br />

unter der „Elektroschneise"<br />

lokalisieren können.<br />

Fast genau fünf Jahre später<br />

erhielt ich von der zuständigen<br />

Volksbund-Mitarbeiterin Lisa<br />

Lemke den erlösenden Anruf<br />

„Wir haben ihn gefunden".<br />

Wie ich am Telefon erfuhr konnte<br />

Michels Grab und die seiner<br />

Kameraden in einem Datschengebiet<br />

ausgebettet werden.<br />

Sofort stand fest - wir fahren<br />

2008 wieder nach Russland. Im<br />

Sommer war es soweit. Mit meinen<br />

Eltern und unseren Schweizer<br />

Freunden Ernst und Edith,<br />

deren Vater bereits auf dem<br />

Deutschen Soldatenfriedhof<br />

Kaum zu glauben, aber wahr: Die Stilbeck war zu Hennebergers Zeiten Sologubowka bestattet ist, fuh­<br />

„bequemst zu schiffen". Foto: Michael Jürging2005 ren wir mit der ,,Finnjet"-Fähre<br />

von Rostock nach Helsinki. Weiter<br />

ging es mit dem Sibelius-Sonderzug<br />

nach St. Petersburg. Insgesamt<br />

eine sehr komfortable<br />

und entspannende Anreise, wenn<br />

man auf das Flugzeug verzichten<br />

möchte. Nach einigen Tagen<br />

Besichtigungs-Programm fuhren<br />

wir dann nach Sologubowka.<br />

Durch glückliche Umstände fand<br />

gerade in diesen Tagen die Einbettung<br />

Tausender geborgener<br />

Gefallener statt. Einer von ihnen<br />

war unser Michel. Im persönlichen<br />

Gespräch mit den Volksbund-Mitarbeitern<br />

erfuhren wir,<br />

dass sein Grab in einem Vorgarten<br />

lag, den wir auch besichtigten.<br />

Langwierige Gespräche mit der<br />

um ihre Obstbäume besorgten<br />

Besitzerin führten letztendlich<br />

zum Erfolg, und die Grabungen<br />

durften stattfinden. Leider war -<br />

wie so oft - die Erkennungsmarke<br />

nicht mehr aufzufinden.<br />

Das alte Foto der Kameraden aus<br />

dem Jahr 1943, das aus dem<br />

Memelland über die Flucht gerettet<br />

worden war, tat nunmehr<br />

gute Dienste. Hierauf war der<br />

Name des Nachbarn Wilhelm<br />

Musebrink zu erkennen (siehe<br />

MD6/2003). Diesem wiederum<br />

war bei der Bestattung eine<br />

Grabflasche mir allen persönlichen<br />

Daten mitgegeben worden,<br />

so dass auf diesem Wege Michels<br />

Identifizierung eindeutig möglich<br />

Kurz darauf konnten wir individuell<br />

Abschied von meines<br />

Vaters Onkel nehmen. Er hat ihn<br />

nicht mehr kennen gelernt, trägt<br />

aber seinen Vornamen als Zweitnamen.<br />

Vielleicht wollte meine<br />

Oma Meta damit ihrem Bruder<br />

ein kleines Denkmal setzen.<br />

Mir war es nach den langen Jahren<br />

intensiver Suche nunmehr<br />

vergönnt, den kleinen Holzsarg<br />

in die Erde zu senken. Ein Kreis<br />

hat sich geschlossen. Wir kennen<br />

Michels Ruhestätte nun ganz<br />

genau, und er liegt geschützt vor<br />

Plünderern und Vandalen auf<br />

dem großen deutschen Sammelfriedhof<br />

Sologubowka. Wieder<br />

einmal hat Beharrlichkeit zum<br />

Ziel geführt.<br />

Denis Loeffke


Seite 28 illttodcr Zlatftfjfboot Nr. 2-Februar 2010<br />

Farbige Übertragung der Henneberger'schen Mündungsarme<br />

auf eine Kartengrundlage von 1899.<br />

Das Memeldelta<br />

Fortsetzung von S. 21<br />

Wir kommen der Lösung durch<br />

das Kartenwerk von Friedrich<br />

Leopold von Schroetter aus den<br />

Jahren 17964802 wesentlich<br />

näher. Die Karten sind in der<br />

Berliner Staatsbibliothek archiviert.<br />

Darin sind Bundulup-Fluss<br />

und Stilbeck-Fluss als namentlich<br />

bezeichnete Abzweigungen aus<br />

dem Ulm-Fluss dargestellt. Dass<br />

sie hier nicht bzw. nicht mehr -<br />

wie bei Caspar Henneberger - in<br />

die Krakerorther Lank münden,<br />

sondern zur Nordspitze des Dumbelteichs<br />

fließen, ist einmal mehr<br />

das Ergebnis der fortgeschrittenen<br />

Deltaentwicklung.<br />

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang,<br />

dass die Stilbeck<br />

im 16. Jahrhundert für die Schiffahrt<br />

offenbar noch von großer<br />

Bedeutung war. Caspar Henneberger<br />

beschreibt sie als „bequemst<br />

zu schiffen" (1576) und<br />

erläutert: „... wenn die Schifffe]<br />

nicht durch die Gilgfe] herab<br />

oder hinauf können, muss man<br />

durch die Stilbeck kommen."<br />

(1595). Folglich ist die Stilbeck<br />

seinerzeit nicht nur für das Delta<br />

des Russ-Stroms, sondern für das<br />

gesamte Memeldelta ein wichtiger<br />

Wasserweg gewesen. In den<br />

neueren Kartenwerken ist der<br />

Verlauf der Stilbeck noch nachvollziehbar,<br />

allerdings nicht<br />

mehr, wie in der Schroetter'schen<br />

Karte, mit einer Namensbezeichnung.<br />

Vertiefen wir uns wieder in die<br />

Schroetter-Karte: Die noch gesuchten<br />

Namen Kalanippe und<br />

Tazaszagis tauchen darin nirgends<br />

auf. Aber genau gegenüber<br />

vom Bundulup-Fluss zweigt aus<br />

dem Ulm-Fluss nach links der<br />

Stadszogisch-Fluss ab. In den<br />

Kartenwerken des 20. Jahrhunderts<br />

sind diese beiden Abzweigungen<br />

unter den Bezeichnungen<br />

Bundlupp (lit. Bundulupe) und<br />

Stadszoge (lit. Statzoge) wiederzufinden.<br />

Da die Stadszoge als<br />

Name so oder so ähnlich im Verzeichnis<br />

von Caspar Henneberger<br />

nicht auftaucht, stellt sich die<br />

Frage, welchem seiner Mündungsarme<br />

sie entsprechen mag?<br />

Zur Wahl stehen noch die Kalanippe<br />

mit dem Buchstaben „G"<br />

und der Tazaszagis mit dem<br />

Buchstaben „H". Von der namentlichen<br />

Bezeichnung her<br />

kommt eher Letzterer in Betracht.<br />

Denn die Endungen ,,-szagis"<br />

und ,,-szoge" sind aus dem litauischen<br />

,,-zogis" (männlich)<br />

bzw. „-zöge" (weiblich) für „Wiesenflüsschen"<br />

abgleitet Aber<br />

noch ein anderer Grund spricht<br />

für diese Lösung, nämlich die<br />

Reihenfolge der Mündungsarme<br />

bei Henneberger: Bei ihm mündet<br />

links benachbart zum Ulm<br />

der Tazaszagis ins Kurische Haff.<br />

In den neueren Karten finden wir<br />

an derselben Position die Stadszoge.<br />

Schlussendlich bleibt noch die<br />

Kalanippe übrig. Nach Caspar<br />

Henneberger befand sie sich zwischen<br />

der Russe (heute Russneit)<br />

und der Tazaszagis (heute Stadszoge).<br />

Bei der Recherche von historischen<br />

Karten haben wir bisher<br />

keinen Mündungsarm namens<br />

Kalanippe finden können.<br />

Um sie zu identifizieren, müssen<br />

wir uns mit den Erkenntnissen<br />

der Deltaforschung etwas näher<br />

vertraut machen. Im Prinzip gibt<br />

es zwei Varianten, wie Flussverzweigungen<br />

im Delta entstehen:<br />

Zwei Varianten der<br />

Flussverzweigungen<br />

1. Mündungsverzweigungen: Der<br />

Strom lagert an seiner Mündung<br />

die mitgeführten Sedimente ab.<br />

Dadurch bilden sich Inseln, um<br />

die der Strom herum fließen<br />

muss. So gabelt er sich in mehrere<br />

Mündungsarme auf. Ein typisches<br />

Beispiel für diese Variante<br />

ist die Mündung der Skirwiet, wie<br />

sie sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

entwickelt hat.<br />

2. Dammflussverzweigungen;<br />

Der Strom lagert einen Teil der<br />

mitgeführten Sedimente schon<br />

vor seiner Mündung zu beiden<br />

Seiten des Flussbettes ab. Dadurch<br />

entstehen kleine Uferdämme,<br />

deren Oberkanten allerdings<br />

nicht so regelmäßig geformt sind<br />

wie bei Deichbauten. Wenn nun<br />

eine zeitweilige Verstopfung des<br />

Flussbettes eintritt - zum Beispiel<br />

bei Eisgang oder Hochwasser -<br />

staut sich das Wasser zunächst<br />

hinter der Barriere auf. Schließlich<br />

fließt es an den etwas flacheren<br />

Stellen über die Uferdämme<br />

und bahnt sich dahinter seinen<br />

Weg. Bleibt die Barriere im Flussbett<br />

längere Zeit bestehen, können<br />

sich solche „Notabläufe" zu<br />

neuen Gewässerbetten erweitern.<br />

Für die Dammflussverzweigungen<br />

ist aus physikalischen<br />

Gründen charakteristisch, dass<br />

sich stets nach beiden (!) Seiten<br />

ein Ablauf bildet und annähernd<br />

rechtwinklig vom Ausgangsgewässer<br />

wegstrebt. Es handelt sich<br />

also gewissermaßen um ein Zwillingsphänomen.<br />

Bundlupp und Tazaszagis/Stadszoge<br />

sind ein typisches<br />

Produkt der Dammflussverzweigung,<br />

d.h. sie sind durch eine zeitweilige<br />

Verstopfung des Ulm entstanden.<br />

Die Schroetter'sche Karte von<br />

1796/1802 belegt, dass die Stilbeck<br />

ebenfalls mit dem charakteristischen<br />

rechten Winkel vom<br />

Ulm abgezweigt ist. Wenn man<br />

sich das Muster der Dammflussverzweigung<br />

vergegenwärtigt,<br />

lässt sich bei Schroetter auch ihr<br />

linker Zwilling - als sehr feine Linie<br />

- identifizieren. Er war Ende<br />

des 18. Jahrhunderts bereits weitgehend<br />

verlandet und nur noch<br />

als schmaler Graben vorhanden.<br />

An gleicher Stelle verläuft auch<br />

heute noch ein Entwässerungsgraben.<br />

Er geht vermutlich auf<br />

den ehemaligen Mündungsarm<br />

Kalanippe zurück, den linken<br />

Zwilling der Stilbeck.<br />

Zurück zum Gesamtbild. Sehen<br />

wir uns die Ergebnisse unserer<br />

Recherchen noch einmal im<br />

Überblick an, dann erhalten wir<br />

das Bild der hier abgebildeten<br />

Karte. Die blaue Farbe zeigt, wo<br />

die Mündungsarme aus der Karte<br />

von Caspar Henneberger 1576<br />

verlaufen sind. Lediglich der<br />

Mündungsarm „A", die Ackmena,<br />

lässt sich auf dem Kartenausschnitt<br />

nicht unterbringen. Denn<br />

anders als in der Karte von 1576<br />

dargestellt, ist sie nicht gegenüber<br />

von der Atmath aus dem<br />

Russ-Strom abgezweigt, sondern<br />

schon drei Kilometer davor. Zu<br />

Hennebergers Zeiten war ihr Abzweig<br />

bereits „verfüllet", also<br />

versandet. Die kleine Ungenauigkeit<br />

in der Henneberger'schen<br />

Darstellung schmälert nicht das<br />

große Verdienst dieses Mannes.<br />

Wir verdanken ihm ein Kartenwerk<br />

von wahrhaft historischer<br />

Bedeutung.<br />

Zum guten Schluss: Eine Bitte<br />

um Unterstützung. Vor einem<br />

Jahr haben wir, die Autoren, damit<br />

begonnen, ein digitales Archiv<br />

zum Russer Memeldelta aufzubauen.<br />

Es beinhaltet alte und<br />

neue Fotos, Texte und demnächst<br />

auch Tondokumente. Dazu wer-


Nr. 2 - Februar 2010 JUcmctfT gfotttflfboof Seite 29<br />

ten wir Literaturquellen aus, recherchieren<br />

in Archiven und<br />

sprechen mit Zeitzeugen. Das<br />

Archiv wird zweisprachig<br />

deutsch-litauisch aufgebaut. Die<br />

eingestellten Dokumente sind<br />

mit einer historischen deutschen<br />

und eine aktuellen litauischen<br />

Karte verknüpft. Klickt man an<br />

einer Stelle in der Karte eines der<br />

dargestellten Symbole an, so öffnet<br />

sich ein Fenster mit dem betreffenden<br />

Text und/oder den<br />

Bildern. Die Auswertung der historischen<br />

Karte von Caspar<br />

Henneberger ist einer von mehreren<br />

Bausteinen für dieses Archiv.<br />

Nun unsere Bitte: Wenn Sie Unterlagen<br />

aus dem „Russer Wasserwinkel"<br />

leihweise zur Verfügung<br />

stellen können wie alte Fotos,<br />

Postkarten oder Lebenserinnerungen<br />

von Verwandten und<br />

Freunden, oder wenn Sie aus eigenem<br />

Erleben berichten können,<br />

würden wir uns freuen, wenn<br />

Sie mit uns Kontakt aufnehmen<br />

unter folgender Adresse: Michael<br />

Jürging, Davenstedter Str. 26,<br />

30449 Hannover, Tel. 0511 - 33<br />

895-33 (tags) oder 0511 -44 85 13<br />

(abends und am Wochenende)<br />

E-Mail: juergins@gmx.de odermichael.juerging@agwa-gmbh.de<br />

Zitierte Literatur:<br />

ANONYM (1936): Hennebergers<br />

Bericht über unsere Heimat<br />

1595. - Der Grenzgarten, Beilage<br />

des Memeler Dampfboots, Nr. 4<br />

In Liebe und Dankbarkeit nehmen<br />

wir Abschied von<br />

Wilhelm Masuhr<br />

* 9.12.28<br />

Plicken<br />

vom 30. April 1936.<br />

ASCHMANN, W. (1974); Auf<br />

den Spuren der Sklade. - Leserbrief<br />

im Memeler Dampfboot,<br />

Nr. 2/1974.<br />

GERLACH, H. (1978): Nur der<br />

Name blieb. - Düsseldorf und<br />

Wien.<br />

HENNEBERGER, C. (1595):<br />

Ercleru[n]g der Preüssischen<br />

grössern Landtaffel oder Mappen.<br />

- Königsberg.<br />

JÄGER, E. (1982): Prussia-Karten<br />

1542-1810. - Schriften des<br />

Nordostdeutschen Kulturwerks<br />

Lüneburg, Weißenhorn.<br />

KILIAN, L. (1982): Zu Herkunft<br />

und Sprache der Prußen. - 2. erw.<br />

Aufl., Habelt Sachbuch, Bd. 1,<br />

Bonn.<br />

KOPP, J. (1911): Der Memelstrom.<br />

- Mitteilungen der Litauischen<br />

literarischen Gesellschaft,<br />

Bd. 5 (25.-30. Heft), S. 582-608.<br />

WILLOWEIT, G. (1974): Die<br />

Mündungsarme des Rußstromes.<br />

Memeler Dampfboot,<br />

Nr. 1/1974, S. 4-5.<br />

WITTE, E. (1980): Wo Charlotte<br />

Keyser zu Hause war. - Memeler<br />

Dampfboot, Nr. 9/1980, S. 134.<br />

Redaktionsschluss<br />

für die kommende<br />

Ausgabe ist<br />

Samstag,<br />

der & Man 2010,<br />

f26.1.10<br />

Beindersheim<br />

In stiller Trauer<br />

Lene Masuhr geb. Kumschlies<br />

mit Peter u. Manfred<br />

Farn. Herbert u. Erika Traschinsky<br />

geb. Masuhr u. Kinder<br />

sowie alle Angehörigen<br />

Die Beisetzung fand am Freitag, den 29.1.10 auf d.<br />

Friedhof in Beindersheim statt.<br />

Unser besonderer Dank gilt Uwe Jurgsties (Bundesvorsitzender<br />

d. ADM) für seine bewegenden Worte u. allen die<br />

mit uns Abschied genommen haben.<br />

Traueranschrift:<br />

Lene Masuhr, Schlittweg 5, 67259 Beindersheim<br />

HALLO MEMELLANDE<br />

IHR SEID WER !<br />

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