Utcrodcr gJampfboot
Utcrodcr gJampfboot
Utcrodcr gJampfboot
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Utcrodcr</strong> <strong>gJampfboot</strong><br />
DIE HEIMATZEITUNG<br />
gegr. 1849<br />
ALLER MEMELLANDER<br />
H4694<br />
161. Jahrgang Oldenburg, 20. Januar 2010 Nummer 1<br />
In dieser Ausgabe:<br />
Grußwort des Vorstands<br />
In seiner Grußbotschaft zum Neuen<br />
Jahr richtet der Bundesvorsitzende<br />
der AdM, Uwe Jurgsties, den Blick<br />
nach vorn auf die weitere Perspektive<br />
der landsmannschaftlichen Arbeit.<br />
Weihnachtsfeiern der Vereine<br />
Karin Gogolka hat in der Adventszeit<br />
unsere Deutschen<br />
Vereine in Memel und Heydekrug<br />
besucht und berichtet eindrucksvoll<br />
von den stimmungsreichen<br />
Tagen in der Heimat.<br />
Im Land der Ahnen<br />
Heimatforscher Bernd Dauskardt<br />
war ebenfalls im Memelland<br />
unterwegs und besuchte u.<br />
a. Walter Wallenschus in Bismarck.<br />
Mit dem Museum Heydekrug<br />
wird eine spannende Kooperation<br />
vereinbart.<br />
Traumhafter<br />
Nehrungssommer<br />
In der Rückschau auf den vergangenen<br />
Sommer werden<br />
schöne Erinnerungen geweckt,<br />
gleichzeitig ist nun schon wieder<br />
die Zeit, den kommenden<br />
Urlaub zu planen. Dazu liegen<br />
auch einige interessante Angebote<br />
an Busreisen aus dem<br />
Kreis der Memelländer vor.<br />
Memelland sind wir<br />
160 Jahre<br />
Memeler Dampfboot<br />
Das Memeldelta -<br />
seltene Flussmündung Europas<br />
Die Mündungsarme des Russ-Stroms nach der „Landtafel" von<br />
Caspar Henneberger (hier in der Fassung von 1595). Zur Verdeutlichung<br />
sind die Mündungsarme des Russ-Stroms farblich hervorgehoben.<br />
VON MICHAEL JÜRGING,<br />
ANDREAS TANGEN UND<br />
T1LMAN UNBEHAUN<br />
Die Memel (lit. Nemunas, russ.<br />
Neman) ist 937 km lang und<br />
gehört zu den wenigen Strömen<br />
Europas, die im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte<br />
ein Mündungsdelta<br />
ausgebildet haben.<br />
Das Memeldelta beginnt etwa<br />
50 knf vor dem Kurischen Haff<br />
mit der Aufteilung des Mutterstromes<br />
in den nördlichen Russ<br />
Strom (lit. Rusne) und die südliche<br />
Gilge (russ. Matrosovka, lit.<br />
Gilija). Die beiden teilen sich das<br />
Wasser der Memel etwa im Verhältnis<br />
4:1, das heißt der Russ-<br />
Strom ist der bei weitem größere<br />
Arm. Auf Höhe des Städtchens<br />
Russ (lit. Rusne) teilt sich dann<br />
auch der Russ-Strom, und zwar in<br />
die beiden Hauptmündungsarme<br />
Atmath (lit. Atmata) und Skirwiet<br />
(lit. Skirvyte) sowie die kleinere<br />
Pokalina (lit. Pakalne) als<br />
dritten Arm. Die beiden Hauptmündungsarme<br />
umschließen in<br />
einem Halbkreis eine 46 km 2<br />
große Deltainsel, den so genannten<br />
„Russer Wasserwinkel". Dieser<br />
wird außer von der Pokalina<br />
noch von einer Vielzahl weiterer<br />
Gewässerarme durchzogen. In<br />
den Kartenwerken des 20. Jahrhunderts<br />
tragen 25 bis 30 dieser<br />
Arme auch einen eigenen<br />
Namen. Mit einigen davon werden<br />
wir uns im Folgenden näher<br />
beschäftigen.<br />
Ein faszinierender,<br />
dynamischer Prozess<br />
Die Entwicklung eines Deltas ist<br />
ein faszinierender dynamischer<br />
Prozess. Dabei schiebt sich der<br />
Strom - hier die Memel - im Verlauf<br />
von Jahrhunderten trichterförmig<br />
in ein Küstengewässer<br />
oder ein Binnenmeer - hier das<br />
Kurische Haff - hinaus. Dazu<br />
transportiert er aus seinem Einzugsgebiet<br />
fortwährend Sedimente<br />
aus Kies, Sand und Lehm<br />
heran, die er an seiner Mündung<br />
ablagert. Im Wechselspiel zwischen<br />
Wasser und Land bilden<br />
sich im Laufe der Zeit immer wieder<br />
neue Mündungsarme, andere<br />
werden versanden, Inseln entstehen<br />
und verbinden sich allmählich<br />
mit dem Ufer zu neuem<br />
Land. Einen plastischen Eindruck<br />
von dieser Entwicklungsdynamik<br />
erhalten wir, wenn wir<br />
die aktuelle geographische Situation<br />
des Memeldeltas mit historischen<br />
Kartendarstellungen vergleichen.<br />
Bitte umblättern
Nr. 1 -Januar 2010 Ul cra der 3 arapfbo ot Seite 3<br />
Das Memeldelta<br />
Ein Pfarrer als<br />
kartografischer Pionier<br />
im ehemaligen Land<br />
der Prußen<br />
Fortsetzung von Titelseite<br />
Die älteste Karte, die das Memeldelta<br />
relativ präzise und ohne<br />
große Fehler darstellt, ist die<br />
Prussia-Karte des Pfarrers Caspar<br />
Henneberger aus dem Jahre<br />
1576. Henneberger hatte von<br />
1570 bis 1576 Reisen und Arbeiten<br />
zur Vermessung Preußens<br />
vorgenommen. Das Ergebnis war<br />
mit lauter Nicht-Deutschen<br />
[wörtlich: „undeutschen"] besiedelt<br />
wurden, nachdem sie lange<br />
Zeit wüst gelegen hatten, findet<br />
man die Namen noch, und kein<br />
Bach ist zu klein, als dass er nicht<br />
seinen eigenen Namen hat. [Diese<br />
Namen] stimmen gemeinhin<br />
auch mit den alten Namen überein,<br />
obschon sie verfremdet<br />
[wörtlich: „corrupte"] ausgesprochen<br />
werden. Wo aber Deutsche<br />
wohnen (was mich doch ziemlich<br />
verwundert), kennt man oftmals<br />
die Gewässernamen gar nicht;<br />
und wenn man sie nicht in alten<br />
Handschriften und Beschreibungen<br />
auffinden würde, wären viele<br />
So präsentierte sich die Stromteilung bei Russ um 1915 vom Brionischker<br />
Ufer aus: Die Atmath fließt unter der Petersbrücke (1914-1944) hindurch,<br />
die Skirwiet zweigt nach links ab.<br />
tete. Insbesondere in den ost- Siedler nicht aus, um das Vakuprußischen<br />
Gauen Schalauen und um zu füllen, so dass viele Gebie<br />
Sudauen wurden die Bewohner te „lange Zeit wüst" lagen. Erst<br />
durch Krieg, Zwangsumsiedlun nach und nach durften sich dort<br />
gen und Pestepidemien derart de auch Zuwanderer aus den östlich<br />
zimiert, dass Ende des 13. Jahr benachbarten, litauischstämmihunderts<br />
ein etwa hundert Kilogen Gebieten ansiedeln. Deren<br />
meter breiter Grenzstreifen na ostbattische Sprache ist dem<br />
hezu entvölkert war. Darüber westbaltischen Prußisch ver<br />
hinaus wurden die prußische wandt. Vermutlich haben die<br />
Sprache und Kultur vom Deut Neusiedler die alten Ortsbezeichschen<br />
Orden unter Androhung nungen von der prußischen Rest<br />
härtester Strafen radikal unterbevölkerung übernommen, sie<br />
drückt. Der Unterlauf und das aber in ihre eigene Mundart über<br />
Delta der Memel gehörten vor führt. So ließe sich jedenfalls die<br />
der Ordenszeit zu Schalauen, verfremdete („corrupte") Aus<br />
dem nordöstlichsten Prußengau. sprache der Gewässernamen er<br />
In der Henneberger'schen Karte klären, die Henneberger seiner<br />
ist die latinisierte Bezeichnung zeit aufgefallen war. Darüber<br />
„Schalavonia" eingetragen. Das hinaus mag es sein, dass auch die<br />
Gebiet war außerdem auch von Unterdrückung der prußischen<br />
den nördlich benachbarten (Alt-)<br />
Abendstimmung an der Pokalina bei Russ Foto: Michael Jürging (2008)<br />
Kuren kulturell beeinflusst.<br />
Sprache selbst zur verfremdeten<br />
Aussprache der überlieferten Na<br />
seine in Königsberg gedruckte von den alten Namen verloren,<br />
mensbezeichnungen beigetragen<br />
„Große Landtafel von Preußen". denn die Leute achten nicht son Nach der weitgehenden Entvöl hat.<br />
Die Pionierleistung, die Caspar derlich darauf. Solange sie [von kerung des Grenzlandes reichte<br />
Henneberger damit vollbracht den Gewässern] den Nutzen ha der Zuzug deutschstämmiger Bitte lesen Sie weiter aufS. 11<br />
hat, kann gar nicht hoch genug ben und noch eine Kanne Bier<br />
eingeschätzt werden. Eckhard Jä dabei, sind sie schon zufrieden."<br />
ger (1982) hat die Entstehungsgeschichte<br />
dieser Karte im Einzelnen<br />
beschrieben.<br />
(Henneberger 1595; sprachliche<br />
Übertragung M.J.)<br />
Was hat es mit den Gewässerna<br />
Im Jahr 1595 ist ein Nachschnitt men auf sich? Zum Verständnis<br />
der Erstausgabe erschienen. der „undeutschen" Bewohner<br />
Henneberger hat ihm einen um und der „lange Zeit wüst gelegefangreichen<br />
Textband mit ausnen" Gebiete lohnt sich ein Blick<br />
führlichen Erläuterungen beige auf die Vorgeschichte. Wir orienfügt.<br />
Im Hinblick auf die Flüsse tieren uns dabei an den Veröf<br />
und Bäche, die in der Karte darfentlichungen von Heinrich Gergestellt<br />
sind, schreibt er: „Es halach (1978) und Lothar Kilian<br />
ben mir die Fließgewässer auch (1982): Die ursprüngliche Bevöl<br />
nicht wenig Mühe gemacht, nicht kerung des Westbaltikums, die<br />
allein wegen ihrer Quellen und verschiedenen prußischen Stäm<br />
Mündungen, sondern auch wemen angehörte, war im 13. Jahrgen<br />
ihrer jetzigen und früheren hundert nach und nach vom<br />
Namen. In den Gebieten um In- Deutschen Ritterorden untersterburg<br />
und Ragnit und in etliworfen worden, der dort einen ei Der Marktplatz von Russ auf einer Postkarte um 1910. Zur Zeit der<br />
chen anderen Ämtern, die doch genständigen Ordensstaat errich- Ordensritter f loss hier die Sklade entlang. Bilder (2): Memellandarchiv
Nr. 1 -Januar 2010 SU cm der 3 atupfb o ot Seite 11<br />
Die Mündungsarme<br />
des Russ-Stroms<br />
Auf den Spuren der<br />
13 Mündungsarme<br />
Fortsetzung von S. 3<br />
Konzentrieren wir uns nun auf die<br />
Mündungsarme des Russ-Stroms<br />
und ihre kartografische Darstellung<br />
von 1576 (s. Karte auf dem<br />
Titelblatt). Caspar Henneberger<br />
hat hier besondere Sorgfalt walten<br />
lassen. Weil der Platz in der<br />
Karte selbst nicht ausreichte, um<br />
die Mündungsarme im Einzelnen<br />
zu beschriften, hat er am oberen<br />
Rand eine kleine Tafel mit den<br />
„Namen der Ausgeng des Stromes<br />
Russe'' platziert. Daraufsind<br />
13 Namen aufgelistet, denen<br />
Buchstaben von „A" bis „N" zugeordnet<br />
sind. Mit diesen Buch-<br />
Mündungsarme anhand von Namensähnlichkeiten<br />
in einer Karte<br />
aus dem Jahre 1932 wiederzufinden.<br />
Dabei übersah er allerdings<br />
die von Henneberger vorgegebene<br />
Reihenfolge. Dennoch konnte<br />
er immerhin sieben von 13 Mündungsarmen<br />
korrekt identifizieren<br />
(s. Tabelle). Unzutreffend waren<br />
Willoweits Deutungen:<br />
G Kalanippe = Kallnüpszoge<br />
LSclada-Skatuli<br />
Sowohl die Kallnüpszoge als auch<br />
die Skatuli münden nämlich zwischen<br />
der Skirwiet und der Warruss<br />
ins Kurische Haff. Nach der<br />
Hennebergerschen Reihenfolge<br />
müssten sie sich folglich zwischen<br />
den Buchstaben „B" und „C" be-<br />
Ausschnittvergrößerung aus der „Landtafel" von Caspar<br />
Henneberger, hier in der Fassung von 1595. Zur Verdeutlichung<br />
sind die Mündungsarme des Russ-Stroms farblich hervorgehoben.<br />
staben sind wiederum in der Karte<br />
die Mündungen der Arme bezeichnet,<br />
und zwar in einer bestimmten<br />
Reihenfolge: Der<br />
südwestlichste Arm trägt die Bezeichnung<br />
„A", dann folgen im<br />
Uhrzeigersinn die einzelnen<br />
Mündungen bis zum nordöstlichsten<br />
Arm mit dem Buchstaben<br />
„N". Wir müssen allerdings genau<br />
hinsehen:. Auf der Karte sind die<br />
Buchstaben „L u und „M" vertauscht.<br />
Für die Identifizierung<br />
der Mündungsarme ist das von<br />
Bedeutung, weil sich deren Lage<br />
erst über die Reihenfolge der<br />
Buchstaben erschließen lässt.<br />
Gerhard Willoweit (1974) hat versucht,<br />
die Henneberger'schen<br />
finden, aber nicht an den Stellen<br />
„G" und „L". Tatsächlich waren<br />
Kallnüpszoge und Skatuli Ende<br />
des 16. Jahrhunderts noch gar<br />
nicht vorhanden. Die Deltaentwicklung<br />
war zu der Zeit noch<br />
nicht so weit vorangeschritten.<br />
Der Hauptstrom -<br />
und was von ihm blieb<br />
Im Unterschied zur heutigen Situation<br />
waren Atmath und Skirwiet<br />
nach der Karte von 1576 keine<br />
Hauptmündungsarme, sondern<br />
lediglich Abzweigungen wie<br />
andere auch. Die Fließrichtung<br />
des breiten Hauptstroms führte<br />
damals geradeaus nach Nordwesten,<br />
ließ den Ort Russ am rechten<br />
Der Helenawerder in der Skirwiet-Mündung lässt sich nur mit<br />
dem Boot erreichen. Foto: Michael Jürging (2009)<br />
Ufer liegen und mündete unter<br />
dem unveränderten^) Namen<br />
Russe in das Kurische Haff. (Die<br />
synonyme Bezeichnung Holm ist<br />
zweifellos deutschen Ursprungs,<br />
war aber nicht von Bestand. In<br />
späteren Kartenwerken, soweit<br />
sie nicht unmittelbar auf Henneberger<br />
zurückgehen, taucht dieser<br />
Name nicht wieder auf.) Anhand<br />
der Fließrichtung lässt sich nachweisen,<br />
dass der breite Hauptstrom<br />
Russe aus der Karte von<br />
Henneberger mit dem jetzigen<br />
Flüsschen Pokalina (lit. Pakalne)<br />
identisch ist. Wie ist es zu dieser<br />
dramatischen Verkleinerung gekommen?<br />
Die Ursache war eine<br />
weitgehende Versandung des alten<br />
Hauptstroms im 17. und<br />
18. Jahrhundert. In dieser Zeit<br />
verengte sich das ehemals 400 Meter<br />
breite Flussbett auf das bescheidene<br />
Maß von nur noch<br />
20 Metern. Das zufließende Wasser<br />
suchte sich fortan seinen Weg<br />
hauptsächlich durch die Atmath.<br />
Mündungsarme bei Caspar<br />
HENNEBERGER 1576<br />
Obwohl der alte Hauptstrom Russe<br />
also mit der heutigen Pokalina<br />
identisch ist, stimmt deren Mündung<br />
nicht mit dem Hennebergerschen<br />
Flussarm „F" („Russe oder<br />
Holm") überein. Letzterer entspricht<br />
vielmehr - das hatte auch<br />
Gerhard WILLOWEIT (1974)<br />
richtig erkannt - der Russneit (lit.<br />
Rusnaite). Das bedeutet soviel<br />
wie Kleine. Russe. Die Mündung<br />
der Pokalina liegt hingegen südlich<br />
benachbart zur Russneit. Sie<br />
trägt bei Henneberger den Namen<br />
Theuppe (sprich: Thä-upe; lit.<br />
upe = Fluss) mit dem Buchstaben<br />
„E". Wir haben in historischen<br />
Karten aus der Zeit um 1800 für<br />
den Mündungsabschnitt der Pokalina<br />
die Bezeichnungen Theip-<br />
Fluss und Taup-Fluss gefunden.<br />
Hierbei handelt es sich um verballhornte<br />
- Caspar Henneberger<br />
hätte gesagt: „corrupte" - Fassungen<br />
des alten Namens Theuppe.<br />
Teil 2 folgt nächsten Monat<br />
Identifizierung von Gerhard<br />
WILLOWEIT 1974<br />
A Ackmena Ackminge<br />
B Schirwinde Skirwiet<br />
C Alt Russe Warruss<br />
D Neucuppe Neukuppstrom<br />
E Theuppe<br />
F Russe oder Holm Russneit<br />
G Kalanippe<br />
H Tazaszagis<br />
I Ulmis Ulm<br />
K Bunduluppe<br />
L Sei ada<br />
M Stilbeck<br />
N Athmath Atmath
Seite 20 lllt m d er 3 ampfb o ot Nr. 2-Februar 2010<br />
Das Memeldelta -<br />
seltene Flussmündung Europas (2)<br />
Fortsetzung aus MD 1-2010<br />
Atmath und Skirwiet mausern<br />
sich zu Hauptmündungsarmen<br />
des Russ-Stroms<br />
Als die Atmath vom alten Hauptstrom<br />
Russe nach und nach die<br />
Rolle des größten Mündungsarmes<br />
übernahm, hatte das bedeutende<br />
Folgen für die weitere Deltaentwicklung.<br />
Denn mit der<br />
Verlagerung des Wasserabfluss<br />
wurden zugleich auch immer<br />
größere Sedimentfrachten, also<br />
Kies, Sand und Schlamm durch<br />
die Atmath transportiert und an<br />
ihrer Mündung abgelagert. Die<br />
Mündung verschob sich dadurch<br />
immer weiter nach Nordwesten.<br />
Innerhalb von drei Jahrhunderten<br />
hat sich der Flusslauf der Atmath<br />
um fast 10 km in Richtung<br />
Kurisches Haff verlängert!<br />
Etwa Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
setzte in der Atmath der gleiche<br />
Versandungsprozess ein wie<br />
zweihundert Jahre zuvor im alten<br />
Hauptstrom Russe. Wegen ihrer<br />
Bedeutung für die Schifffahrt und<br />
den Hochwasserabfluss wurde<br />
das Strombett der Atmath jedoch<br />
durch Baggerarbeiten freigehalten.<br />
Andernfalls wäre sie heute<br />
womöglich auch nur noch ein<br />
Mündungsarm von den bescheidenen<br />
Ausmaßen der Pokallna.<br />
Die Skirwiet, der zweite bedeutende<br />
Mündungsarm unserer<br />
Zeit, verdankt ihre heutige<br />
Größe nicht allein der natürlichen<br />
Deltaentwicklung, sondern<br />
einem baulichen Eingriff des<br />
Menschen. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
wurde sie in den Kartenwerken<br />
deutlich schmaler als<br />
die Atmath und darüber hinaus<br />
mit einer ungeteilter Mündung<br />
dargestellt. Danach setzte die zügige<br />
Entwicklung eines eigenen<br />
Mündungsfächers ein, gewissermaßen<br />
die Bildung eines „Deltas<br />
im Delta". Auslöser war der Bau<br />
des Dommaschkanals im Jahr<br />
1758 bei der Siedlung Raggeningken.<br />
Er sollte eigentlich die<br />
Schifffahrt vom Russ-Strom in<br />
die Skirwiet erleichtern. Der Bau<br />
hatte jedoch Folgen, die man<br />
nicht vorhergesehen, geschweige<br />
denn beabsichtigt hatte. Darüber<br />
berichtet Jenny Kopp (1911):<br />
„Der Wasserstand der Atmath<br />
nahm ständig ab, während das<br />
Bett der Skirwiet sich erweiterte<br />
und diese sich (an ihrer Mündung)<br />
in eine große Anzahl kleiner<br />
Arme spaltete. Es blieb also<br />
nichts anderes übrig, als den unlängst<br />
gegrabenen Dommaschkanal<br />
mittels Sperrwerke zu verschließen<br />
und so die Wasserfluten<br />
wieder nach der Atmath zu<br />
lenken. Die Naturkräfte ließen<br />
sich aber nicht bezwingen und<br />
alle Versuche blieben ohne den<br />
Die Atmath ist heute der größte<br />
gewünschten Erfolg! Schließlich<br />
musste man sich darauf beschränken,<br />
die Atmath mit planmäßigen<br />
und kostspieligen Regulierungswerken<br />
zu versehen und die kleinen<br />
Seitenabflüsse der Versan-<br />
Lithographische Ansicht des Memelstroms vom Karalisberg bei Ober-Eisseln mit Ragnit am linken Ufer<br />
rechts der Willischker Höhenzug. Wer hat Vermutungen über den Ursprung dieses Fundstückes?<br />
düng zu überlassen." Ein Ergebnis<br />
der ungewollten Entwicklung:<br />
In der Mündung der Skirwiet bildeten<br />
sich durch die Sedimentablagerungen<br />
mehrere kleine Inseln,<br />
die im 19. Jahrhundert zum<br />
Helenawerder, dem bekannten<br />
Elchrevier, zusammenwuchsen.<br />
Die Sklade - der Vagabund<br />
unter den Mündungsarmen<br />
In der Henneberger'schen Karte<br />
zweigt die Sclada - mit dem<br />
Mündungsarm des Memeldeltas.<br />
Foto: Michael Jürging 1999<br />
Buchstaben „L" versehen - unmittelbar<br />
hinter der Ortschaft<br />
Russ nach rechts aus dem Russ-<br />
Strom ab. Auf den Karten des<br />
20. Jahrhunderts finden wir aber<br />
nur südlich von Kuwertshof einen<br />
Gewässerabschnitt mit dem<br />
gleich lautenden Namen Sklade.<br />
Diese Stelle ist nicht nur sechs Kilometer<br />
vom Ort Russ entfernt,<br />
sondern hat darüber hinaus zu<br />
Hennebergers Zeiten noch inmitten<br />
der Krakerorther Lank gelegen.<br />
Wie passt das zusammen?<br />
Einen ersten Anhaltspunkt lieferte<br />
Willy Aschmann (1974). Er<br />
weist auf einen 300 Meter langen,<br />
schmalen Teich am nordwestlichen<br />
Ortsrand von Russ hin.<br />
Nach seiner Erinnerung wurde<br />
dieses Gewässer einschließlich<br />
der umliegenden Häuser „als Sklade<br />
oder ,an der Sklade' (Skloda)"<br />
bezeichnet. Willy Aschmann<br />
vermutete deshalb, dass es<br />
sich um ein altes Teilstück der<br />
Henneberger'schen Sclada handeln<br />
könnte. Der Teich existiert<br />
auch heute noch. Weitere Fingerzeige<br />
ergaben sich aus zwei Artikeln<br />
im ,Grenzgarten' und im<br />
,Memeler Dampfboot'. Im erstgenannten<br />
Artikel aus dem Jahr<br />
1936 verweist der - namentlich<br />
nicht genannte - Autor darauf,<br />
dass in Hennebergers Karte die
Nr. 2-Februar 2010 jlttmrfcr AJampfboot Seite 21<br />
Sclada durch Russ fließt, „etwa<br />
über den heutigen Marktplatz,<br />
wie es uns auch ein Bild in der<br />
Aula der Herderschule in Heydekrug<br />
richtig zeigt" (Welches Bild<br />
hier gemeint ist, ließ sich bisher<br />
leider nicht klären.) In dem anderen<br />
Artikel berichtet Eva Witte<br />
(1980) aus ihrer Jugendzeit, dass<br />
der Russer Pfarrer gelegentlich<br />
von seinem Studium der Kirchenakten<br />
erzählte: „Aus dieser<br />
mündlichen Überlieferung ist mir<br />
noch erinnerlich, dass die Ordensritter<br />
unsere Kirche am Ufer<br />
der Skladd errichteten, deren<br />
Flussbett später den Marktplatz<br />
bildete. ... Auch hieß der Weg<br />
mit den schönen alten Ahornund<br />
Kastanienbäumen vom<br />
Pfarrhof bis zum Amtsgericht immer<br />
noch ,Kirchendamm\"<br />
Nach diesen Hinweisen können<br />
wir nachvollziehen, wo die Sklade<br />
zu Hennebergers Zeiten ihren<br />
Ausgang aus dem Russ-Strom genommen<br />
hat und mit welchem<br />
Verlauf sie durch den Ort Russ<br />
geflossen ist. Die Linie verläuft<br />
exakt längs der heutigen Taikos<br />
gatve (dtsch. Friedensstraße) in<br />
Russ/Rusne, an der Kirche und<br />
dem Gebäude des ehemaligen<br />
Amtsgerichts vorbei in nordwest-<br />
licher Verlängerung zu dem von<br />
Willy Aschmann bezeichneten<br />
Teich am Ortsrand. Aber wie<br />
ging es von dort weiter? Das entscheidende<br />
Bindeglied in der Beweiskette<br />
fanden wir schließlich<br />
bei unseren Recherchen im Geheimen<br />
Staatsarchiv der Stiftung<br />
Preußischer Kulturbesitz in Berlin.<br />
Dort ist ein „Situations-Plan<br />
vom Flecken Russ und der umliegenden<br />
Gegend" aus dem Jahr<br />
1814 archiviert. Und in diesem<br />
Plan sind gleich zwei Skiaden verzeichnet:<br />
eine alte Sklad und eine<br />
[neue] Sklad. Wir gehen davon<br />
aus, dass die alte Sklad von 1814<br />
mit dem Mündungsarm Sclada<br />
von Henneberger identisch ist.<br />
Die „neue" Sklad von 1814 wurde<br />
aus Gründen, die wir nicht kennen,<br />
später noch einmal umbenannt.<br />
In den Karten des 20. Jahrhunderts<br />
finden wir sie unter der<br />
Bezeichnung Abrahamszoge (lit.<br />
Abramziogis; lit. ziogis = Wiesenflüsschen)<br />
wieder. Die Abrahamszoge<br />
beginnt in der Nähe<br />
des Russer Friedhofs, fließt von<br />
hier nach Nordwesten zum Dumbelteich<br />
und dann weiter in Richtung<br />
Kuwertshof. Hier - und nur<br />
hier, südlich von Kuwertshof -<br />
taucht der Name Sklade (lit. Sklade)<br />
auch in den neueren Kartenwerken<br />
auf. Die heutige Mündung<br />
befindet sich am Leuchtturm<br />
von Kuwertshof (lit. Uostadvaris).<br />
Die Sklade fließt hier<br />
zusammen mit dem Ulm, der uns<br />
im nächsten Kapitel beschäftigen<br />
wird, in die Atmath.<br />
Ulm und Co. - das Chaos<br />
entpuppt sich als Ordnung<br />
Jetzt geht es noch darum, die fehlenden<br />
Mündungsarme Kalanippe,<br />
Tazaszagis, Bunduluppe und<br />
Stilbeck zu identifizieren. Wie<br />
wir gleich sehen werden, ist es<br />
sinnvoll, diese vier gemeinsam<br />
mit dem Ulm abzuhandeln. Es sei<br />
noch einmal darauf hingewiesen,<br />
dass Henneberger in seiner Kartendarstellung<br />
die streng alphabetische<br />
Reihenfolge bei der Bezeichnung<br />
der Mündungsarme in<br />
einem Fall unterbrochen hat, indem<br />
er die Buchstaben „L" und<br />
„M" getauscht hat. Das bedeutet,<br />
dass die gesuchte Stilbeck („M")<br />
westlich und nicht östlich von der<br />
Sklade („L") verlaufen sein muss.<br />
WeiteraufS. 27<br />
Denis Loeffke bettet den Sarg seines Großonkels zur letzten Ruhe in<br />
Solobugowka. Mit Hilfe der Deutschen Kriegsgräberfürsorge fand eine<br />
fünfjährige Mission ihren erfolgreichen Abschluss. Foto: privat<br />
Ende einer Mission<br />
Im MD 6/2003 berichtete ich über<br />
meine Reise nach St. Petersburg<br />
auf der Suche nach der Grablage<br />
von Michel Loeffke aus Wersmeningken<br />
(„Wersmeningken-<br />
Leningrad und kein zurück").<br />
Seinerzeit hatten wir anhand<br />
alter Fotos und Skizzen den Regimentsfriedhof<br />
unter der „Elektroschneise"<br />
lokalisieren können.<br />
Fast genau fünf Jahre später<br />
erhielt ich von der zuständigen<br />
Volksbund-Mitarbeiterin Lisa<br />
Lemke den erlösenden Anruf<br />
„Wir haben ihn gefunden".<br />
Wie ich am Telefon erfuhr konnte<br />
Michels Grab und die seiner<br />
Kameraden in einem Datschengebiet<br />
ausgebettet werden.<br />
Sofort stand fest - wir fahren<br />
2008 wieder nach Russland. Im<br />
Sommer war es soweit. Mit meinen<br />
Eltern und unseren Schweizer<br />
Freunden Ernst und Edith,<br />
deren Vater bereits auf dem<br />
Deutschen Soldatenfriedhof<br />
Kaum zu glauben, aber wahr: Die Stilbeck war zu Hennebergers Zeiten Sologubowka bestattet ist, fuh<br />
„bequemst zu schiffen". Foto: Michael Jürging2005 ren wir mit der ,,Finnjet"-Fähre<br />
von Rostock nach Helsinki. Weiter<br />
ging es mit dem Sibelius-Sonderzug<br />
nach St. Petersburg. Insgesamt<br />
eine sehr komfortable<br />
und entspannende Anreise, wenn<br />
man auf das Flugzeug verzichten<br />
möchte. Nach einigen Tagen<br />
Besichtigungs-Programm fuhren<br />
wir dann nach Sologubowka.<br />
Durch glückliche Umstände fand<br />
gerade in diesen Tagen die Einbettung<br />
Tausender geborgener<br />
Gefallener statt. Einer von ihnen<br />
war unser Michel. Im persönlichen<br />
Gespräch mit den Volksbund-Mitarbeitern<br />
erfuhren wir,<br />
dass sein Grab in einem Vorgarten<br />
lag, den wir auch besichtigten.<br />
Langwierige Gespräche mit der<br />
um ihre Obstbäume besorgten<br />
Besitzerin führten letztendlich<br />
zum Erfolg, und die Grabungen<br />
durften stattfinden. Leider war -<br />
wie so oft - die Erkennungsmarke<br />
nicht mehr aufzufinden.<br />
Das alte Foto der Kameraden aus<br />
dem Jahr 1943, das aus dem<br />
Memelland über die Flucht gerettet<br />
worden war, tat nunmehr<br />
gute Dienste. Hierauf war der<br />
Name des Nachbarn Wilhelm<br />
Musebrink zu erkennen (siehe<br />
MD6/2003). Diesem wiederum<br />
war bei der Bestattung eine<br />
Grabflasche mir allen persönlichen<br />
Daten mitgegeben worden,<br />
so dass auf diesem Wege Michels<br />
Identifizierung eindeutig möglich<br />
Kurz darauf konnten wir individuell<br />
Abschied von meines<br />
Vaters Onkel nehmen. Er hat ihn<br />
nicht mehr kennen gelernt, trägt<br />
aber seinen Vornamen als Zweitnamen.<br />
Vielleicht wollte meine<br />
Oma Meta damit ihrem Bruder<br />
ein kleines Denkmal setzen.<br />
Mir war es nach den langen Jahren<br />
intensiver Suche nunmehr<br />
vergönnt, den kleinen Holzsarg<br />
in die Erde zu senken. Ein Kreis<br />
hat sich geschlossen. Wir kennen<br />
Michels Ruhestätte nun ganz<br />
genau, und er liegt geschützt vor<br />
Plünderern und Vandalen auf<br />
dem großen deutschen Sammelfriedhof<br />
Sologubowka. Wieder<br />
einmal hat Beharrlichkeit zum<br />
Ziel geführt.<br />
Denis Loeffke
Seite 28 illttodcr Zlatftfjfboot Nr. 2-Februar 2010<br />
Farbige Übertragung der Henneberger'schen Mündungsarme<br />
auf eine Kartengrundlage von 1899.<br />
Das Memeldelta<br />
Fortsetzung von S. 21<br />
Wir kommen der Lösung durch<br />
das Kartenwerk von Friedrich<br />
Leopold von Schroetter aus den<br />
Jahren 17964802 wesentlich<br />
näher. Die Karten sind in der<br />
Berliner Staatsbibliothek archiviert.<br />
Darin sind Bundulup-Fluss<br />
und Stilbeck-Fluss als namentlich<br />
bezeichnete Abzweigungen aus<br />
dem Ulm-Fluss dargestellt. Dass<br />
sie hier nicht bzw. nicht mehr -<br />
wie bei Caspar Henneberger - in<br />
die Krakerorther Lank münden,<br />
sondern zur Nordspitze des Dumbelteichs<br />
fließen, ist einmal mehr<br />
das Ergebnis der fortgeschrittenen<br />
Deltaentwicklung.<br />
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang,<br />
dass die Stilbeck<br />
im 16. Jahrhundert für die Schiffahrt<br />
offenbar noch von großer<br />
Bedeutung war. Caspar Henneberger<br />
beschreibt sie als „bequemst<br />
zu schiffen" (1576) und<br />
erläutert: „... wenn die Schifffe]<br />
nicht durch die Gilgfe] herab<br />
oder hinauf können, muss man<br />
durch die Stilbeck kommen."<br />
(1595). Folglich ist die Stilbeck<br />
seinerzeit nicht nur für das Delta<br />
des Russ-Stroms, sondern für das<br />
gesamte Memeldelta ein wichtiger<br />
Wasserweg gewesen. In den<br />
neueren Kartenwerken ist der<br />
Verlauf der Stilbeck noch nachvollziehbar,<br />
allerdings nicht<br />
mehr, wie in der Schroetter'schen<br />
Karte, mit einer Namensbezeichnung.<br />
Vertiefen wir uns wieder in die<br />
Schroetter-Karte: Die noch gesuchten<br />
Namen Kalanippe und<br />
Tazaszagis tauchen darin nirgends<br />
auf. Aber genau gegenüber<br />
vom Bundulup-Fluss zweigt aus<br />
dem Ulm-Fluss nach links der<br />
Stadszogisch-Fluss ab. In den<br />
Kartenwerken des 20. Jahrhunderts<br />
sind diese beiden Abzweigungen<br />
unter den Bezeichnungen<br />
Bundlupp (lit. Bundulupe) und<br />
Stadszoge (lit. Statzoge) wiederzufinden.<br />
Da die Stadszoge als<br />
Name so oder so ähnlich im Verzeichnis<br />
von Caspar Henneberger<br />
nicht auftaucht, stellt sich die<br />
Frage, welchem seiner Mündungsarme<br />
sie entsprechen mag?<br />
Zur Wahl stehen noch die Kalanippe<br />
mit dem Buchstaben „G"<br />
und der Tazaszagis mit dem<br />
Buchstaben „H". Von der namentlichen<br />
Bezeichnung her<br />
kommt eher Letzterer in Betracht.<br />
Denn die Endungen ,,-szagis"<br />
und ,,-szoge" sind aus dem litauischen<br />
,,-zogis" (männlich)<br />
bzw. „-zöge" (weiblich) für „Wiesenflüsschen"<br />
abgleitet Aber<br />
noch ein anderer Grund spricht<br />
für diese Lösung, nämlich die<br />
Reihenfolge der Mündungsarme<br />
bei Henneberger: Bei ihm mündet<br />
links benachbart zum Ulm<br />
der Tazaszagis ins Kurische Haff.<br />
In den neueren Karten finden wir<br />
an derselben Position die Stadszoge.<br />
Schlussendlich bleibt noch die<br />
Kalanippe übrig. Nach Caspar<br />
Henneberger befand sie sich zwischen<br />
der Russe (heute Russneit)<br />
und der Tazaszagis (heute Stadszoge).<br />
Bei der Recherche von historischen<br />
Karten haben wir bisher<br />
keinen Mündungsarm namens<br />
Kalanippe finden können.<br />
Um sie zu identifizieren, müssen<br />
wir uns mit den Erkenntnissen<br />
der Deltaforschung etwas näher<br />
vertraut machen. Im Prinzip gibt<br />
es zwei Varianten, wie Flussverzweigungen<br />
im Delta entstehen:<br />
Zwei Varianten der<br />
Flussverzweigungen<br />
1. Mündungsverzweigungen: Der<br />
Strom lagert an seiner Mündung<br />
die mitgeführten Sedimente ab.<br />
Dadurch bilden sich Inseln, um<br />
die der Strom herum fließen<br />
muss. So gabelt er sich in mehrere<br />
Mündungsarme auf. Ein typisches<br />
Beispiel für diese Variante<br />
ist die Mündung der Skirwiet, wie<br />
sie sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
entwickelt hat.<br />
2. Dammflussverzweigungen;<br />
Der Strom lagert einen Teil der<br />
mitgeführten Sedimente schon<br />
vor seiner Mündung zu beiden<br />
Seiten des Flussbettes ab. Dadurch<br />
entstehen kleine Uferdämme,<br />
deren Oberkanten allerdings<br />
nicht so regelmäßig geformt sind<br />
wie bei Deichbauten. Wenn nun<br />
eine zeitweilige Verstopfung des<br />
Flussbettes eintritt - zum Beispiel<br />
bei Eisgang oder Hochwasser -<br />
staut sich das Wasser zunächst<br />
hinter der Barriere auf. Schließlich<br />
fließt es an den etwas flacheren<br />
Stellen über die Uferdämme<br />
und bahnt sich dahinter seinen<br />
Weg. Bleibt die Barriere im Flussbett<br />
längere Zeit bestehen, können<br />
sich solche „Notabläufe" zu<br />
neuen Gewässerbetten erweitern.<br />
Für die Dammflussverzweigungen<br />
ist aus physikalischen<br />
Gründen charakteristisch, dass<br />
sich stets nach beiden (!) Seiten<br />
ein Ablauf bildet und annähernd<br />
rechtwinklig vom Ausgangsgewässer<br />
wegstrebt. Es handelt sich<br />
also gewissermaßen um ein Zwillingsphänomen.<br />
Bundlupp und Tazaszagis/Stadszoge<br />
sind ein typisches<br />
Produkt der Dammflussverzweigung,<br />
d.h. sie sind durch eine zeitweilige<br />
Verstopfung des Ulm entstanden.<br />
Die Schroetter'sche Karte von<br />
1796/1802 belegt, dass die Stilbeck<br />
ebenfalls mit dem charakteristischen<br />
rechten Winkel vom<br />
Ulm abgezweigt ist. Wenn man<br />
sich das Muster der Dammflussverzweigung<br />
vergegenwärtigt,<br />
lässt sich bei Schroetter auch ihr<br />
linker Zwilling - als sehr feine Linie<br />
- identifizieren. Er war Ende<br />
des 18. Jahrhunderts bereits weitgehend<br />
verlandet und nur noch<br />
als schmaler Graben vorhanden.<br />
An gleicher Stelle verläuft auch<br />
heute noch ein Entwässerungsgraben.<br />
Er geht vermutlich auf<br />
den ehemaligen Mündungsarm<br />
Kalanippe zurück, den linken<br />
Zwilling der Stilbeck.<br />
Zurück zum Gesamtbild. Sehen<br />
wir uns die Ergebnisse unserer<br />
Recherchen noch einmal im<br />
Überblick an, dann erhalten wir<br />
das Bild der hier abgebildeten<br />
Karte. Die blaue Farbe zeigt, wo<br />
die Mündungsarme aus der Karte<br />
von Caspar Henneberger 1576<br />
verlaufen sind. Lediglich der<br />
Mündungsarm „A", die Ackmena,<br />
lässt sich auf dem Kartenausschnitt<br />
nicht unterbringen. Denn<br />
anders als in der Karte von 1576<br />
dargestellt, ist sie nicht gegenüber<br />
von der Atmath aus dem<br />
Russ-Strom abgezweigt, sondern<br />
schon drei Kilometer davor. Zu<br />
Hennebergers Zeiten war ihr Abzweig<br />
bereits „verfüllet", also<br />
versandet. Die kleine Ungenauigkeit<br />
in der Henneberger'schen<br />
Darstellung schmälert nicht das<br />
große Verdienst dieses Mannes.<br />
Wir verdanken ihm ein Kartenwerk<br />
von wahrhaft historischer<br />
Bedeutung.<br />
Zum guten Schluss: Eine Bitte<br />
um Unterstützung. Vor einem<br />
Jahr haben wir, die Autoren, damit<br />
begonnen, ein digitales Archiv<br />
zum Russer Memeldelta aufzubauen.<br />
Es beinhaltet alte und<br />
neue Fotos, Texte und demnächst<br />
auch Tondokumente. Dazu wer-
Nr. 2 - Februar 2010 JUcmctfT gfotttflfboof Seite 29<br />
ten wir Literaturquellen aus, recherchieren<br />
in Archiven und<br />
sprechen mit Zeitzeugen. Das<br />
Archiv wird zweisprachig<br />
deutsch-litauisch aufgebaut. Die<br />
eingestellten Dokumente sind<br />
mit einer historischen deutschen<br />
und eine aktuellen litauischen<br />
Karte verknüpft. Klickt man an<br />
einer Stelle in der Karte eines der<br />
dargestellten Symbole an, so öffnet<br />
sich ein Fenster mit dem betreffenden<br />
Text und/oder den<br />
Bildern. Die Auswertung der historischen<br />
Karte von Caspar<br />
Henneberger ist einer von mehreren<br />
Bausteinen für dieses Archiv.<br />
Nun unsere Bitte: Wenn Sie Unterlagen<br />
aus dem „Russer Wasserwinkel"<br />
leihweise zur Verfügung<br />
stellen können wie alte Fotos,<br />
Postkarten oder Lebenserinnerungen<br />
von Verwandten und<br />
Freunden, oder wenn Sie aus eigenem<br />
Erleben berichten können,<br />
würden wir uns freuen, wenn<br />
Sie mit uns Kontakt aufnehmen<br />
unter folgender Adresse: Michael<br />
Jürging, Davenstedter Str. 26,<br />
30449 Hannover, Tel. 0511 - 33<br />
895-33 (tags) oder 0511 -44 85 13<br />
(abends und am Wochenende)<br />
E-Mail: juergins@gmx.de odermichael.juerging@agwa-gmbh.de<br />
Zitierte Literatur:<br />
ANONYM (1936): Hennebergers<br />
Bericht über unsere Heimat<br />
1595. - Der Grenzgarten, Beilage<br />
des Memeler Dampfboots, Nr. 4<br />
In Liebe und Dankbarkeit nehmen<br />
wir Abschied von<br />
Wilhelm Masuhr<br />
* 9.12.28<br />
Plicken<br />
vom 30. April 1936.<br />
ASCHMANN, W. (1974); Auf<br />
den Spuren der Sklade. - Leserbrief<br />
im Memeler Dampfboot,<br />
Nr. 2/1974.<br />
GERLACH, H. (1978): Nur der<br />
Name blieb. - Düsseldorf und<br />
Wien.<br />
HENNEBERGER, C. (1595):<br />
Ercleru[n]g der Preüssischen<br />
grössern Landtaffel oder Mappen.<br />
- Königsberg.<br />
JÄGER, E. (1982): Prussia-Karten<br />
1542-1810. - Schriften des<br />
Nordostdeutschen Kulturwerks<br />
Lüneburg, Weißenhorn.<br />
KILIAN, L. (1982): Zu Herkunft<br />
und Sprache der Prußen. - 2. erw.<br />
Aufl., Habelt Sachbuch, Bd. 1,<br />
Bonn.<br />
KOPP, J. (1911): Der Memelstrom.<br />
- Mitteilungen der Litauischen<br />
literarischen Gesellschaft,<br />
Bd. 5 (25.-30. Heft), S. 582-608.<br />
WILLOWEIT, G. (1974): Die<br />
Mündungsarme des Rußstromes.<br />
Memeler Dampfboot,<br />
Nr. 1/1974, S. 4-5.<br />
WITTE, E. (1980): Wo Charlotte<br />
Keyser zu Hause war. - Memeler<br />
Dampfboot, Nr. 9/1980, S. 134.<br />
Redaktionsschluss<br />
für die kommende<br />
Ausgabe ist<br />
Samstag,<br />
der & Man 2010,<br />
f26.1.10<br />
Beindersheim<br />
In stiller Trauer<br />
Lene Masuhr geb. Kumschlies<br />
mit Peter u. Manfred<br />
Farn. Herbert u. Erika Traschinsky<br />
geb. Masuhr u. Kinder<br />
sowie alle Angehörigen<br />
Die Beisetzung fand am Freitag, den 29.1.10 auf d.<br />
Friedhof in Beindersheim statt.<br />
Unser besonderer Dank gilt Uwe Jurgsties (Bundesvorsitzender<br />
d. ADM) für seine bewegenden Worte u. allen die<br />
mit uns Abschied genommen haben.<br />
Traueranschrift:<br />
Lene Masuhr, Schlittweg 5, 67259 Beindersheim<br />
HALLO MEMELLANDE<br />
IHR SEID WER !<br />
Weltweit präsentiert Ihr Euch, Eure frühere Heimat,<br />
kunft, Euren Alitag, Eure Berufe. Eure Sitten und Bräuche, ja<br />
sogar die Rezepte Eurer Spezialitäten und vieles andere mehr.<br />
Alles gekonnt auf einer Hauptseite und auf mehreren Zusatzseiten<br />
im INTERNET, im PORTAL MEMELLAND.<br />
Als Gäste der Genealogen dieser Welt in GenWiki. Klickt doch mal<br />
mit der PC-Maus auf http://wikide.genealogy.net/Portal: Memelland<br />
Ihr werdet staunen über das, was Euch und der Welt dort geboten<br />
wird:<br />
• Das umfangreiche Familienbuch (www.oniine-ofb.de/ memelland),<br />
das mit seinen rund 200000!! Eintragungen eine Personensuche<br />
mit den Wurzeln der Gesuchten sowie eine umfassende<br />
Ortssuche möglich machen.<br />
• Eine nach den Landkreisen geordnete Aufstellung aller Ortschaften<br />
des Memeilandes.<br />
• Die Geografie, Historie, Landeskunde, Kultur, Sprache,<br />
Mythen und Sagen, Trachten, typische Namen und Ausdrücke<br />
derMemelländer u.a..<br />
• Die weltlichen, kirchlichen und kulturellen Einrichtungen in<br />
Stadt und Land.<br />
• Die Berufe der Memelländer, herausragende Persönlichkeiten.<br />
• Erzählungen aus memeliändischer Kinderzeit,<br />
• Und noch vieles mehr, ein bunter Strauß, nicht wahr!<br />
Und die vielfältigen Informationen sind so gekonnt vernetzt, dass<br />
Ihr jedes Thema Eures Interesses ausführlich „untersuchen" könnt.<br />
Das Portal Memelland verdankt seine Entstehung der ehrenamtlichen<br />
Mitarbeit vieler Memelländer. Das heißt: Memelländer arbeiten<br />
für Memelländer, also für Euch! Sie alle sorgen dafür, dass<br />
nichts, aber auch gar nichts!!! über die Memelländer und über das<br />
Memelland für die Nachwelt in Vergessenheit gerät! Möglichst viele<br />
Menschen auf der Weit sollen jetzt und später möglichst viel von<br />
uns erfahren!<br />
Darum unsere Bitte an Euch: Sendet uns alles zu, was Ihr in Eurem<br />
Wirkungsbereich über unser geliebtes Memelland findet oder was<br />
nach Eurer Auffassung für die Nachwelt erhalten werden sollte.<br />
Das können alte Urkunden oder sonstige Papiere, Familienbücher,<br />
Stammbücher, Protokolle über Ereignisse, alte Fotos, Kuriositäten<br />
sein - kurz alles, was über uns und das Memelland berichtet. Übrigens:<br />
Mitmachen kann jeder Memelländer! Jeder ist bei uns willkommen.<br />
Natürlich sollten auch alle mitmachen, die noch keinen Internetzugang<br />
haben, also ALLE MEMELLÄNDER! Wie wir vermuten,<br />
liegen noch viele Unterlagen über unser Memelland irgendwo herum,<br />
die gut in das Portal Memelland passen würden! Zusendung<br />
bitte an folgende Adresse:<br />
AdM, Kirschblütenstr.13,68542 Heddesheim, Tel.: 06203 43229. Fax:<br />
06203 43200, E-Mail: uwe.jurgsties@gmx.de