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Ideenschmiede, Braintrust oder Denkfabrik. Das ... - der f&e manager

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Titelstory Checkliste Kennzahlen Lexikon<br />

Best Practices<br />

<strong>Ideenschmiede</strong>, <strong>Braintrust</strong> <strong>o<strong>der</strong></strong> <strong>Denkfabrik</strong>. <strong>Das</strong> sind Begriffe, die als Synonyme für die Idee stehen, die<br />

Prof. Porsche verwirklichen wollte – nämlich ein bis dahin einzigartiges, hochm<strong>o<strong>der</strong></strong>nes Dienstleistungsunternehmen<br />

zu gründen, das <strong>der</strong> Automobilindustrie sein umfassendes Wissen zur Verfügung<br />

stellt. Im Entwicklungszentrum in Weissach bei Stuttgart wird eben dies umgesetzt.<br />

Heute werden in Weissach herausragende Designs und Produktinnovationen entwickelt, die immer<br />

wie<strong>der</strong> entscheidenden Einfluss auf den Automobilbau, aber auch auf an<strong>der</strong>e Branchen haben.<br />

Matthias Kulla, Leiter Exterieur Design bei <strong>der</strong> Porsche AG, spricht über die Erfolgsfaktoren bei Innovationen:<br />

Kreativität, Freiräume und Teamwork.<br />

Die Botschaft<br />

Matthias Kulla,<br />

Leiter Exterieur Design,<br />

Porsche AG<br />

DER F&E MANAGER: Ist es in Bezug auf Design gut <strong>o<strong>der</strong></strong> schädlich, selbst Porsche zu fahren?<br />

Matthias Kulla: Je<strong>der</strong> hat natürlich zunächst seine persönlichen Vorstellungen von Design. Man<br />

muss akzeptieren, dass ein Produkt nicht jedem gleich gut gefällt. Schaut man sich jedoch den<br />

Erfolg von Porsche an, muss es viele Menschen geben, die sich mit Porsche und <strong>der</strong>en visueller<br />

Botschaft anfreunden können. Im Design unserer Autos paaren sich Emotionalität und Funktionalität<br />

in handwerklich perfekter Umsetzung. <strong>Das</strong> sind Attribute, die gutes Design auszeichnen.<br />

Es hilft Ihnen als Designer also, ein gutes Design zu entwickeln, wenn Sie Porsche fahren.<br />

O<strong>der</strong> könnte es genau so gut ein Fahrzeug eines an<strong>der</strong>en Herstellers sein?<br />

Designer sind Menschen, die sich vor allem auf <strong>der</strong> emotionalen Ebene mit Dingen identifizieren.<br />

Porsche zu fahren ist ein stimulierendes und inspirierendes Erlebnis und regt so auch die<br />

Fantasie an.<br />

Was sind für Sie die Herausfor<strong>der</strong>ungen im Design und warum?<br />

<strong>Das</strong> ist für mich eine zentrale Frage. Beim Automobil erleben wir seit Jahren eine Angleichung<br />

in <strong>der</strong> Technologie. <strong>Das</strong> Pionierzeitalter, in dem wirklich unterschiedliche technische Lösungen<br />

entstanden, ist vorbei. Inzwischen befinden sich viele Fahrzeuge auf einem ähnlich hohen<br />

Niveau. Porsches haben zum Glück nach wie vor einzigartige Eigenschaften, mit denen sie sich<br />

vom Wettbewerb abheben.<br />

Dennoch wird <strong>der</strong> Stellenwert des Designs immer höher: Es ist <strong>der</strong> Kaufanreiz Nummer 1. Als<br />

Designer haben wir heute also eine weitaus größere Verantwortung für den Erfolg des<br />

Produktes als früher. Hierüber sind sich die Porsche-Designer bewusst.<br />

DER F&E MANAGER / 01/2007 / SEITE 14


Titelstory Checkliste Kennzahlen Lexikon<br />

Best Practices<br />

<strong>der</strong> Kreativität<br />

Ist die Herausfor<strong>der</strong>ung bei Porsche aufgrund des Erfolgs noch größer?<br />

Dieser Erfolg ist ja nicht zufällig. Die Herausfor<strong>der</strong>ung bei <strong>der</strong> Design-Entwicklung eines neuen<br />

Porsche ist die Gratwan<strong>der</strong>ung zwischen einer bewussten, gezielten Evolution und neuen<br />

visuellen Botschaften. Zum einen wollen wir mit unserer Tradition nicht brechen. Wir sind uns<br />

bewusst, wo wir herkommen, und dass unsere Kunden die damit verbundene Wie<strong>der</strong>erkennbarkeit<br />

unserer Autos sehr hoch schätzen. Gleichzeitig müssen wir versuchen, über attraktive,<br />

unverbrauchte Designelemente immer wie<strong>der</strong> einen Kaufanreiz zu schaffen.<br />

Wie passt <strong>der</strong> Cayenne in diese Botschaft, in diese Design-Tradition hinein?<br />

Der Cayenne ist ein Auto, das es bei Porsche vorher nie gab. Gerade daher war es notwendig,<br />

über das Design die Markenidentität sichtbar zu machen. <strong>Das</strong> wird im Gesicht des Cayenne beson<strong>der</strong>s<br />

deutlich, aber auch in <strong>der</strong> Art, wie die Karosserieflächen modelliert sind. Porsche steht<br />

aber auch für Funktion und Funktionalität. Wenn Sie sich das Heck des Cayenne ansehen, können<br />

Sie das erkennen: Transportkapazität, leichte Beladbarkeit-diese Eigenschaften sind elementare<br />

Funktionen in diesem Fahrzeugsegment. <strong>Das</strong> haben wir in <strong>der</strong> Gestaltung visualisiert.<br />

Welche Auswirkungen hat die oben angesprochene steigende Verantwortung des Designs auf<br />

Ihre Arbeit?<br />

Wir spüren diesen Umstand darin, dass die Anspannung deutlich gestiegen ist. In früheren Jahren<br />

konnte man als Designer einfach etwas kreieren und zur Entscheidung bringen. Entwe<strong>der</strong><br />

es hat gefallen <strong>o<strong>der</strong></strong> nicht. Inzwischen ist die Formgestaltung ein Prozess, <strong>der</strong> sehr früh beginnt<br />

und sehr bewusst gestaltet wird. „Bewusstsein“ scheint mir in diesem Zusammenhang das<br />

SEITE 15 / DER F&E MANAGER / 01/2007


Titelstory Checkliste Kennzahlen Lexikon<br />

Best Practices<br />

richtige Wort zu sein: das Bewusstsein, nämlich eine Aufgabe zu haben, die später vor den Kunden<br />

bestehen muss, ästhetisch und funktional. Wir müssen uns je<strong>der</strong>zeit fragen: Ist das „nur“<br />

eine tolle Vision <strong>o<strong>der</strong></strong> hat die Idee in Anbetracht <strong>der</strong> Umsetzungskriterien auch Aussicht auf Erfolg?<br />

Wir wissen, dass wir nur einer von vielen Faktoren innerhalb des Entstehungsprozesses<br />

eines Porsche sind und dass es neben dem Design weitere Kriterien gibt, die für den Erfolg des<br />

Autos wichtig sind. Hier gilt es, die Balance zu halten.<br />

Wann und wo sind Sie am kreativsten?<br />

Der erste Anreiz, die erste Motivation entsteht oft außerhalb des Arbeitsumfeldes, zum Beispiel<br />

in einer entspannten Situation <strong>o<strong>der</strong></strong> auf Reisen. Man nimmt an<strong>der</strong>e Dinge wahr, man wird<br />

inspiriert. Automobilausstellungen sind eine wichtige Inspiration: Ich sehe, was sich in <strong>der</strong> Welt<br />

des Automobils tut, und frage mich, was ich dem entgegensetzen kann.<br />

Der erste Schritt ist also, die Notwendigkeit und die Lust zu spüren, aktiv zu werden. Es formt<br />

sich eine Vision, eine vage Idee. Erst jetzt beginnt <strong>der</strong> eigentliche kreative Prozess: Ich muss die<br />

Idee fassen, ihr ein Gesicht geben. <strong>Das</strong> funktioniert meines Erachtens am besten in einer dichten,<br />

intensiven Arbeitsatmosphäre, in <strong>der</strong> man sich ungestört mit an<strong>der</strong>en austauschen kann.<br />

Gibt es äußere Faktoren, die man beeinflussen kann?<br />

Um den Gestaltungsprozess möglichst kreativ zu gestalten, müssen die Voraussetzungen stimmen.<br />

Entscheidend ist, permanent seine neuen Ideen zu beurteilen. Eine Idee zu haben ist eine<br />

Sache, wenn ich sie aber nicht kritisch betrachte, weiß ich nicht, ob sie wirklich gut ist. Eine<br />

sachliche, vielleicht sogar distanzierte Bewertung <strong>der</strong> Entwürfe ist Pflicht und ermöglicht Entscheidungssicherheit<br />

- für den Designer selbst und für die Entscheidungsträger.<br />

<strong>Das</strong> heißt, dass Sie neben <strong>der</strong> Möglichkeit, konzentriert im Team zu arbeiten und sich untereinan<strong>der</strong><br />

auszutauschen, auch Abstand brauchen. Damit meine ich nicht nur räumlichen, son<strong>der</strong>n<br />

auch zeitlichen Abstand. Indem ich ein Projekt eine Weile stehen lasse und<br />

es in ruhigen Momenten betrachte, justiere ich sozusagen meinen Blick und<br />

kann Fehler erkennen.<br />

Natürlich sollte man die individuellen Bedürfnisse <strong>der</strong> Mitarbeiter kennen<br />

und akzeptieren. Der eine hat es zum Beispiel gerne still, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e hört<br />

gern Musik bei <strong>der</strong> Arbeit. Grundsätzlich sollte es in einem Design-Studio<br />

möglich sein, diesen unterschiedlichen Vorlieben gerecht zu werden . Ich<br />

brauche also neben den eigentlichen Arbeitsplätzen Kommunikationsecken,<br />

Rückzugs- und Präsentationsmöglichkeiten. Außerdem sollten alle Berufsgruppen, die gemeinsam<br />

an einem Projekt arbeiten, also Designer, Studieningenieure, Projekt<strong>manager</strong> und Modelleure,<br />

in räumlicher Nähe zu einan<strong>der</strong> arbeiten.<br />

Ziehen Sie Inspiration <strong>o<strong>der</strong></strong> kreative Energie aus den an<strong>der</strong>en Fakultäten, den an<strong>der</strong>en Teammitglie<strong>der</strong>n?<br />

Selbstverständlich, das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wenn ein Designer für sich alleine ein<br />

Design entwickeln würde, dann hätte es nicht die umfassende Reife und den Charakter, <strong>der</strong> für<br />

heutige Autos typisch ist.<br />

Was sind neben Kreativität für Sie die Eigenschaften, die einen guten Designer ausmachen?<br />

Ein Designer muss viele Dinge können. Es ist toll, wenn jemand gut zeichnen kann und gute<br />

Ideen hat. Heute ist es aber nicht mehr möglich, solche reinen Spezialisten zu beschäftigen.<br />

DER F&E MANAGER / 01/2007 / SEITE 16


Titelstory Checkliste Kennzahlen Lexikon<br />

Best Practices<br />

Damit die Uridee nicht verloren geht, sind Designer vom ersten Strich bis zum fertigen Produkt<br />

am Entwicklungsprozess beteiligt, um permanent Impulse geben zu können.<br />

Deswegen muss ein Designer ein offener, interessierter Mensch sein, <strong>der</strong> gleichzeitig kritisch<br />

Dinge hinterfragt. In <strong>der</strong> heutigen schnelllebigen Zeit muss er lernfähig sein. Er muss sich für<br />

Dinge begeistern können und diese Begeisterung kommunizieren. Gleichzeitig muss er aber<br />

auch mit Abstand über seine Arbeit sprechen und sie analysieren können. Ein Designer muss<br />

zuhören und Kritik einstecken können.<br />

Heutzutage ist es wichtig, dass ein Designer teamfähig ist, das heißt er muss sein eigenes Ego<br />

bei Bedarf zurückstellen und wissen, wann er es wie<strong>der</strong> einsetzen kann. Ganz beson<strong>der</strong>s wichtig<br />

ist, dass er die übergeordneten Prozesse versteht. Eigentlich ist ein Designer eine multiple<br />

Persönlichkeit …<br />

Wie lange im Voraus werden die neuen Designs von Porsche festgelegt?<br />

Ich kann soviel sagen, dass es etliche Jahre sind.<br />

Woher weiß Porsche, wie das Auto in zehn Jahren aussehen wird und was Porschefahrer<br />

erwarten werden?<br />

Einige Autohersteller reagieren nicht so sehr auf die aktuelle Marktentwicklung, son<strong>der</strong>n sie<br />

agieren. Sie geben den Takt vor, und da gehört Porsche dazu. Porsche kann und muss dieses<br />

Selbstbewusstsein haben.<br />

Wir spüren die Bedürfnisse <strong>der</strong> Kunden auf und versuchen, auf Porsche-Art ein Auto zu definieren,<br />

so wie wir glauben, dass es richtig ist. Diesem Glauben stehen natürlich ausführliche<br />

Marktstudien gegenüber. Benchmarkings gehören immer dazu, nicht zuletzt um zu erkennen, wo<br />

langfristige Trends hingehen.<br />

Vieles entpuppt sich als Luftblase. Wir haben einen eigenen Rhythmus, <strong>der</strong> definiert, was Porsche<br />

heute ist, gestern war und in Zukunft sein wird. Wir sind uns sicher, dass ein Porsche einen<br />

hohen Wie<strong>der</strong>erkennungswert braucht, insbeson<strong>der</strong>e in einer Zeit, in <strong>der</strong> die formale Vielfalt bei<br />

Autos so groß ist wie heute. Es entstehen immer mehr Fahrzeugkonzepte, Marktnischen<br />

werden entdeckt und gefüllt. Gleichzeitig existieren parallel die unterschiedlichsten Stilrichtungen,<br />

die aber alle ihren Stellenwert haben. Da ist schon eine Parallele zur Mode zu erkennen.<br />

Deshalb widmen wir <strong>der</strong> Frage nach unserer Identität viel Aufmerksamkeit. Letzten Endes<br />

SEITE 17 / DER F&E MANAGER / 01/2007


Titelstory Checkliste Kennzahlen Lexikon<br />

Best Practices<br />

gehört natürlich auch immer ein bisschen Fortune dazu. Wie überall gibt es Fälle in <strong>der</strong> Automobil-Geschichte,<br />

wo jemand eigentlich die richtige Idee hatte - und damit zu früh dran war.<br />

O<strong>der</strong> es wurde ein Trend zu einem Zeitpunkt weiter gepusht, wo er eigentlich zu Ende war. Noch<br />

schlimmer ist es jedoch, wenn man sich gar nicht erst bemüht, einen Schritt nach vorne zu gehen.<br />

Stehen zu bleiben ist manchmal gefährlicher, als einen Schritt zu weit zu gehen.<br />

Haben Trends aus an<strong>der</strong>en Industriezweigen Einfluss auf das Design – wie z.B. Möbel etc.?<br />

Einige ja, einige nein. Es ist klar, dass beispielsweise Interieurdesigner, die ja viel mit Farbe und<br />

Materialien arbeiten, eine Affinität zum Möbeldesign haben. Ende <strong>der</strong> 70er Jahre wurden in<br />

Fahrzeug-Interieurs ganz plötzlich Pastelltöne m<strong>o<strong>der</strong></strong>n, nachdem über Jahrzehnte hin schwarz,<br />

braun und allenfalls rot eingesetzt wurden.<br />

Wo kommt so eine Entwicklung<br />

her? So etwas darf man nicht<br />

verschlafen.<br />

Ganz am Anfang <strong>der</strong> Ideengewinnung:<br />

Gibt es spezielle Techniken <strong>o<strong>der</strong></strong><br />

Methoden, die sich bei Porsche<br />

bewährt haben?<br />

Wir haben aus unserer Erfahrung heraus<br />

gewisse Methoden erarbeitet, die<br />

sich bewährt haben. Grundsätzlich<br />

steckt bei Porsche in jedem Design<br />

sehr viel individuelle Persönlichkeit. Damit meine ich auch ein gewisses Bauchgefühl. Deswegen<br />

ist es wichtig, die Designer als Individuen, mit ihren ureigenen Talenten, Stärken und<br />

Schwächen, zu verstehen und ihnen Freiräume zu schaffen. <strong>Das</strong> ist <strong>der</strong> Fundus, auf dem alle<br />

Kreativität aufbaut, <strong>der</strong> eigentliche Inhalt. Wenn hingegen ausschließlich dem Prozess gedient<br />

wird, schaffen wir zwar einen perfekten Rahmen, haben aber überhaupt keine Inhalte mehr.<br />

Also akzeptiere ich die persönliche Art und Weise, in <strong>der</strong> meine Mitarbeiter arbeiten wollen.<br />

Designer brauchen immer Feedback - aber einige möchten am liebsten täglich zwei Stunden<br />

mit mir und mit Kollegen diskutieren, an<strong>der</strong>e kann man über Wochen nicht ansprechen, die<br />

sagen: Lass mich in Ruhe, lass mich das doch erst mal zu Papier bringen. Solche Designer sind<br />

tief in ihren eigenen Prozess verstrickt und erst später bereit, darüber zu reden.<br />

In <strong>der</strong> frühen Phase ist eine Designentwicklung eine Art Wettbewerb. Mehrere Designer<br />

arbeiten ihre Ideen aus, aber am Ende entsteht ein einziges Auto. Indem Designer die übergeordnete<br />

Ebene verstehen und das Gesamtziel sehen, nämlich ein hervorragendes Produkt zu<br />

machen, sind sie für den Moment gewappnet, da ihr Entwurf möglicherweise abgeschossen<br />

wird. <strong>Das</strong> tut natürlich immer weh, immerhin steckt viel Herzblut in einer Arbeit, die oft über viele<br />

Monate vorangetrieben wurde. Regelmäßige Meetings, in denen Design-intern die Entwürfe<br />

offen diskutiert werden, helfen, die Anfor<strong>der</strong>ungen zu erkennen und verringern Enttäuschungen.<br />

Ein Porsche lebt nicht nur vom „Äußeren“ alleine. Inwieweit werden Innenraum und Karosserie<br />

im kreativen Prozess gemeinsam gestaltet?<br />

Exterieur- und Interieur-Design sind aufgrund ihrer an<strong>der</strong>sartigen Aufgabenstellungen voneinan<strong>der</strong><br />

getrennt. Wir versuchen aber sehr wohl, einen Befruchtungsprozess zu initiieren. Es entstehen<br />

im Interieur sehr schöne formale Ideen, von denen man sich als Exterieur-Designer<br />

DER F&E MANAGER / 01/2007 / SEITE 18


Titelstory Checkliste Kennzahlen Lexikon<br />

Best Practices<br />

inspirieren lässt. Umgekehrt entdeckt ein Interieur-Designer eine Formensprache an <strong>der</strong><br />

Karosserie und veranschaulicht sie im Innenraum. Wir holen durchaus die Meinung <strong>der</strong> Exterieur<br />

Designer zum Interieur ein und umgekehrt. So unterziehen wir neue Entwicklungen einer<br />

Prüfung durch Leute, die sensibel bezüglich <strong>der</strong> Form, aber im Prozess selbst nicht „drin“ sind.<br />

Wann müssen sich die beiden Bereiche zum ersten Mal abstimmen? Wie ist das Zusammenspiel?<br />

Man braucht innerhalb eines Designbereichs einen Ort, wo die roten Fäden zusammenlaufen.<br />

<strong>Das</strong> stellt unsere Struktur sicher. Neben <strong>der</strong> gestalterischen Abstimmung muss ja auch die technische<br />

Umsetzung erarbeitet werden. Schließlich muss das Interieur auch physisch in die<br />

Karosserie passen. Der Gestaltungsprozess ist so ausgelegt, dass die Abstimmungstermine und<br />

-inhalte transparent und jedem bekannt sind.<br />

Der Weg von <strong>der</strong> Idee zum Design bis zum fertigen Produkt – was sind die Prozesse, die<br />

dahinter stehen?<br />

Ich glaube, ein Outsi<strong>der</strong> wäre überrascht, wenn er uns ein paar Jahre über die Schulter blicken<br />

könnte. Der zeitliche Anteil <strong>der</strong> freien kreativen Phase ist sehr klein, nur ein paar Prozent im<br />

Vergleich zum Gesamtzeitraum. Je weiter <strong>der</strong> Prozess fortschreitet, umso größer wird die Konzentration<br />

auf die Umsetzung des Entwurfs, sowohl in gestalterischer als auch in technischer<br />

Hinsicht.<br />

Vereinfacht kann man sagen, dass zunächst zweidimensional gearbeitet wird. <strong>Das</strong> können Skizzen<br />

<strong>o<strong>der</strong></strong> Computerimages sein, da hat je<strong>der</strong> Designer seine Vorlieben. Hier werden die Urideen geboren.<br />

In <strong>der</strong> nächsten Phase werden die Ideen in 3 Dimensionen umgesetzt, das heißt es entstehen<br />

Modelle. Auch hier lassen wir den Akteuren viel Spielraum, virtuelle Darstellungen nehmen<br />

einen wichtigen Platz ein, aber auch physische Modelle.<br />

Die Umsetzung eines Entwurfs in 3-D ist im Designprozess die Schlüsseldisziplin. Hier entscheidet<br />

sich, was Jahre später auf den Straßen zu sehen ist. Selbstverständlich agieren zu<br />

diesem Zeitpunkt längst sämtliche Bereiche <strong>der</strong> Firma zusammen, vernetzt durch Prozesse und<br />

Strukturen. <strong>Das</strong> ist durch die ungeheure Komplexität von Automobilen gar nicht an<strong>der</strong>s möglich.<br />

Allein die stetig steigende Zahl von Gesetzesvorgaben beschäftigt permanent eine beachtliche<br />

Zahl von Ingenieuren.<br />

Während dieses Auto also technisch reift, nutzen wir die Zeit, es auch formal reifen zu lassen.<br />

Wenn man am Anfang in wirklich groben Maßen denkt, kommt man relativ schnell in Bereiche,<br />

in denen man über Millimeter spricht und sich zu diesem Zeitpunkt so sensibilisiert hat,<br />

dass man diese Millimeter auch sieht. Ganz zum Schluss kommt die Phase, in <strong>der</strong> es<br />

um Oberflächenqualität geht. In <strong>der</strong> man über Zehntel- und Hun<strong>der</strong>tstelmillimeter<br />

spricht. <strong>Das</strong> Leitmotiv, könnte man sagen, ist von grob nach fein. Und von fein nach<br />

ganz fein.<br />

Wenn Sie nun eine ganze Reihe von Modellen entwickelt haben, aber offensichtlicherweise<br />

wird nur ein neues Fahrzeug gebaut, verwenden Sie dann die Ideen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fahrzeuge<br />

„weiter“?<br />

Unbedingt. <strong>Das</strong> versuchen wir ja den Designern zu vermitteln. Vielleicht ist bei einem die Frontpartie<br />

beson<strong>der</strong>s gelungen, dafür hat ein an<strong>der</strong>er die zündende Idee im Heck gehabt.<br />

Natürlich lassen sich nicht alle Ideen verheiraten. <strong>Das</strong> gehört zu meiner Aufgabe: dies zu<br />

erkennen und nach Alternativen zu suchen. Ich muss auch den Mut haben, zu sagen: „Leute, das<br />

SEITE 19 / DER F&E MANAGER / 01/2007<br />

Wir wollen frei denken.


Titelstory Checkliste Kennzahlen Lexikon<br />

Best Practices<br />

war eine falsche Entscheidung. Lasst uns nochmal einen Schritt zurückgehen und das überdenken.“<br />

Obwohl wir in einen festen Prozess eingebunden sind, müssen Rückzugsmöglichkeiten<br />

eingeräumt werden.<br />

Die Grundidee, aus welcher Abteilung entstammt sie?<br />

Die Grundidee wird auf „höherer Ebene“ entwickelt, getrieben von business needs.<br />

Auch wenn wir zusammen mit vielen an<strong>der</strong>en Abteilungen von Anfang an im Dialog stehen, müssen<br />

wir versuchen, uns zunächst nicht zu stark einzwängen zu lassen. Wir wollen frei denken.<br />

Natürlich gibt es viele Parameter, aber eben auch Variable. Genau da wollen wir den Designern<br />

Raum für ihre Ideen lassen. Im Dialog muss man herausarbeiten, wo die Variablen sind. Es ist<br />

ein Geben und Nehmen. Es gibt Situationen, in denen eine zielführende Design-Idee droht, verloren<br />

zu gehen. <strong>Das</strong> muss man erkennen und dem Team und allen Beteiligten glaubhaft machen,<br />

wie wichtig diese Idee ist.<br />

Was sind die Erfolgsfaktoren im Designprozess in Bezug auf die Zusammenarbeit mit <strong>der</strong><br />

Technik?<br />

Man muss sich bewusst sein, dass die technischen Randbedingungen je<strong>der</strong>zeit präsent sind. Ich<br />

darf sie keinen einzigen Moment vergessen. Ich kann sie zeitweise ausblenden, weil sie mich<br />

in <strong>der</strong> Ideenfindung behin<strong>der</strong>n. Die erste Skizze eines Designers ist möglicherweise nicht anfor<strong>der</strong>ungsgerecht,<br />

aber sie sieht klasse aus. Da sind die Rä<strong>der</strong> auch mal doppelt so groß und<br />

das Auto ist vielleicht einen halben Meter flacher. Natürlich versucht man zu Beginn, das Ganze<br />

gut zu verkaufen und sich selber für seine Idee zu begeistern. <strong>Das</strong> ist auch legitim.<br />

Nicht legitim wäre es, wenn man daraus ableitet, dass <strong>der</strong> Designer for<strong>der</strong>t, das Auto auf 30 Zoll-<br />

Rä<strong>der</strong> zu stellen und nur einen Meter hoch zu machen. <strong>Das</strong> gibt es nicht. Die Skizze ist ein Transportmittel,<br />

um die Idee in eine bestimmte Richtung zu führen. Mir muss aber immer bewusst sein,<br />

dass am Ende das Auto anfor<strong>der</strong>ungsgerecht gestaltet sein wird. Es darf nicht so weit gehen,<br />

dass die Designidee nur funktioniert, wenn man die Anfor<strong>der</strong>ungen außer Acht lässt. Dann<br />

habe ich als Designer einen Fehler gemacht.<br />

Es hilft natürlich, dass es uns so leicht fällt, sich mit unseren Produkten zu identifizieren. Wir fahren<br />

selbst begeistert Porsche, wir genießen auch, wie funktional und alltagstauglich ein Porsche ist.<br />

Da wären wir nicht gerade klug, wenn wir sagen würden, dieses Erfolgsrezept wollen wir mutwillig<br />

verlassen. Trotzdem muss man sicherstellen, dass es diese visionäre Phase gibt. Man<br />

muss Freiräume schaffen, in denen Gestaltungsideen geboren werden und reifen können. Diese<br />

Phase muss man ausleben. Wenn die Formidee gefunden worden ist<br />

mit allen Zutaten-die Idee, die das maximale Potenzial hat-, muss man<br />

erst verstehen lernen, was in dieser Idee die Kernaussage ist. Man<br />

kann das mit Musik vergleichen: Auch hier gibt es die Elemente, die<br />

Wie<strong>der</strong>erkennungswert haben, es gibt aber auch Passagen, die ich eigentlich<br />

auch weglassen kann, das würde keiner so richtig bemerken.<br />

Also muss ich versuchen, die Spreu vom Weizen zu trennen und mir Zeit<br />

nehmen, um während dieser Ausarbeitungsphase zu erkennen: Was ist<br />

das Grundmotiv dieses Designs, was ist überflüssig? Dazu brauche ich Zeit.<br />

Zeit ist ein wichtiges Thema. Ich kann den Designprozess nicht beliebig kürzen. Ich habe es mit<br />

einem Produkt zu tun, das viele Jahre am Markt ist und auch nach vier, fünf Jahren immer noch<br />

attraktiv sein muss. <strong>Das</strong> heißt, <strong>der</strong> Alterungsprozess darf nicht zu früh einsetzen. <strong>Das</strong> ist etwas,<br />

DER F&E MANAGER / 01/2007 / SEITE 20


Titelstory Checkliste Kennzahlen Lexikon<br />

Best Practices<br />

was ich vorher erspüren muss. Eine Idee, die im<br />

Moment genau meinen jetzigen Formwunsch<br />

erfüllt, mag nach Monaten <strong>o<strong>der</strong></strong> Jahren, in denen<br />

neue Produkte meine Sichtweise verän<strong>der</strong>t haben,<br />

nicht mehr standhalten.<br />

Ich muss <strong>der</strong> Zeit ein wenig voraus sein. Dies kann<br />

auch bedeuten, dass ein Entwurf gewöhnungsbedürftig<br />

sein darf. Wie<strong>der</strong> eine schöne Parallele zur<br />

Musik: Ein Ohrwurm, <strong>der</strong> mich sofort gefangen<br />

nimmt, bringt mich nach kurzer Zeit dazu, das Radio<br />

bei diesem Lied auszuschalten. Was ich lange genießen<br />

will, muss einen Inhalt haben, dem ich mich<br />

erst nähern muss.<br />

<strong>Das</strong> ist beim Design das gleiche. Ich kann sehr<br />

wohl ein Auto entwickeln, dass von meinem jetzigen<br />

Standpunkt aus nicht 100 %ig in den „slot“ hineinpasst,<br />

weil ich in meinem ästhetischen Empfinden von den heutigen Autos beeinflusst bin. Sehe<br />

ich es dann über Jahre im Straßenbild, entwickelt sich die Begeisterung nach und nach und<br />

hält lange an. Dieser Faktor Zeit, <strong>der</strong> später für den Kunden wichtig ist, muss im Designprozess<br />

sichergestellt sein.<br />

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist Teamwork im Designprozess. Wie wird Teamwork bei<br />

Porsche gelebt?<br />

Porsche setzt sehr stark auf Teamwork. Für die Gestaltung ist es wichtig, dass alle, die das Design<br />

beeinflussen – auch bezüglich Machbarkeit und Anfor<strong>der</strong>ungen – von Anfang an zusammensitzen<br />

und sich regelmäßig treffen und abstimmen. <strong>Das</strong> ist für mich ein Erfolgsrezept. Ich muss<br />

die Probleme <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en nicht lösen, aber ich muss verstehen, was sie bewegt.<br />

Bei so intensivem Teamwork treten doch sicher auch Konflikte und Probleme auf – denken Sie,<br />

dass diese positiv zu Kreativität und Ideenentwicklung beitragen?<br />

Zu 90 % finde ich das positiv. Grundsätzlich bedeutet ein Konflikt, dass ich mich mit einer Sache<br />

erneut auseinan<strong>der</strong>setze. Wir haben es selbst immer wie<strong>der</strong> erlebt und es ist immer wie<strong>der</strong> erstaunlich<br />

zu erkennen, wie ein Auto durch diesen Prozess von Än<strong>der</strong>ungen reift. Es ist vielleicht<br />

nicht mehr ganz so glatt, so einfach und so nett wie zu Beginn, es sind vielleicht ein<br />

paar Falten dazu gekommen, aber als Gesamtprodukt hat es an Charakter gewonnen.<br />

Jede Verän<strong>der</strong>ung ist eine Chance.<br />

Ein typisches Beispiel dafür, wie technische Anfor<strong>der</strong>ungen die Gestaltung verän<strong>der</strong>n,<br />

sind Rä<strong>der</strong>. Von Speichenrä<strong>der</strong>n zu Stahlrä<strong>der</strong>n, dann zu Gussrä<strong>der</strong>n, die viele<br />

designtechnische Freiheiten erlauben. Aber dann haben sich die Experten aus <strong>der</strong> Fahrwerksentwicklung<br />

gemeldet mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung, dass Rä<strong>der</strong> leicht sein sollen und dass sie eine<br />

bestimmte Größe haben müssen, um größeren Bremsen Raum zu bieten. Damit hat sich dann<br />

wie<strong>der</strong> die Ästhetik verän<strong>der</strong>t, die Löcher wurden größer, leichte und steife Speichenprofile ausgetüftelt.<br />

Und jedes Mal aufs Neue muss man sagen: Ja, es ist erfrischend.<br />

SEITE 21 / DER F&E MANAGER / 01/2007

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