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<strong>INHALT</strong> <strong>TITEL</strong> <strong>02</strong>/<strong>2011</strong><br />
DER F&E MANAGER: Herr Dr. Esser, wo liegen Ihre<br />
Hauptaufgaben?<br />
Dr. Heinrich Esser: Ich trage zwei Hüte: Ich habe die<br />
Verantwortung für eine Business Division und damit<br />
für Profit and Loss in diesem Geschäftsbereich. Ich<br />
möchte meine Business Division natürlich positiv<br />
weiterentwickeln, muss aber auch den Rest des Unternehmens<br />
überblicken, da ich auch Mitglied <strong>der</strong> obersten<br />
Leitung, im Executive Management Board bin.<br />
Als Mitglied <strong>der</strong> Unternehmensleitung trage ich für<br />
16 DER F&E MANAGER <strong>02</strong>/<strong>2011</strong><br />
Luftsprünge durch das „ew G3 Vocal-Jump“ © SEnnHEISER<br />
unsere Kultur Verantwortung: Es gilt, ihren Ursprung<br />
in den prägenden Werten <strong>der</strong> Familie Sennheiser<br />
zu verstehen, sie umzusetzen und zu den Mitarbeitern<br />
zu transportieren, um sie im Tagesgeschäft<br />
zu verankern. Außerdem treiben wir die Strategie<br />
voran und setzen sie im operativen Geschäft um.<br />
2009 hatte Sennheiser einen Markteinbruch von 20 %<br />
im professionellen Bereich, aber einen Marktzuwachs<br />
von 20 % in <strong>der</strong> Consumerkategorie. Haben Sie die-
se neue und – vor allem im Krisenjahr 2009 – so<br />
wichtige Stärke im Private-Audio-Bereich strategisch<br />
geplant?<br />
Wir waren in <strong>der</strong> glücklichen Lage, dass <strong>der</strong> Umsatz<br />
komplett durch den gestiegenen Absatz im Consumerbereich<br />
ausbalanciert wurde. Ich muss ehrlich<br />
sagen, dass dieser konkrete Effekt nicht langfristig<br />
geplant war. Allerdings war auch die Krise nicht<br />
durch uns geplant. Jedoch steht Sennheiser bewusst<br />
auf sehr vielen Beinen, damit die Gruppe sich stetig<br />
entwickeln kann. Wir haben die Möglichkeit, bei<br />
klarer Fokussierung auf elektroakustische Produkte<br />
wie Kopfhörer, Mikrofone und Headsets einen diversifizierten<br />
Markt mit unseren unterschiedlichen<br />
Produktkategorien in den drei Divisions „Professional<br />
Systems“, „Consumer Electronics“ und „Installed<br />
Sound“ zu bedienen.<br />
Wie verteidigt Sennheiser seine Spitzenposition?<br />
Zum einen fokussieren wir uns auf unsere Kernkompetenzen:<br />
Diese liegen z. B. im Bereich Akustik<br />
und akustische Wandler. Wandler gibt es ja schon<br />
seit über hun<strong>der</strong>t Jahren. Aber man kann sie immer<br />
noch an<strong>der</strong>s und besser machen. Unser kleinstes Ansteckmikrofon<br />
hat mittlerweile einen Durchmesser<br />
von nur noch 3,5 mm. Das können Sie überschminken<br />
und sehen es noch nicht einmal mehr. O<strong>der</strong><br />
wir machen Kopfhörer mit räumlichem Klangbild,<br />
basierend auf einem radikal neuen Wandlerdesign.<br />
Darüber hinaus wird die digitale Signalverarbeitung<br />
immer wichtiger. Zu <strong>der</strong> Akustik des Wandlers<br />
lassen sich digitale Effekte hinzubringen, um z. B.<br />
durch die Kombination mehrerer Mikrofonsignale<br />
die Richtcharakteristik des Mikrofonsystems gezielt<br />
zu verän<strong>der</strong>n. Im Bereich Elektronik kommt dann<br />
natürlich noch unser Spezialthema <strong>der</strong> Funkübertragung<br />
hinzu.<br />
Unsere Ressourcen fokussieren wir auf diese aktuellen<br />
und zukünftig zu entwickelnden Kernkompetenzen.<br />
Dabei legt Sennheiser großen Wert auf die<br />
Umsetzbarkeit im Produktionsbereich, also in den<br />
Produktions- und Prüfprozessen. Wir müssen diese<br />
Kernkompetenzen ständig weiterentwickeln, da sie<br />
von <strong>der</strong> Konkurrenz natürlich immer wie<strong>der</strong> angegriffen<br />
werden.<br />
Ein an<strong>der</strong>er wichtiger Aspekt ist unsere starke<br />
Marke. Die ist nicht das Ergebnis von Werbemaßnahmen,<br />
son<strong>der</strong>n von allen Dingen, die wir tun!<br />
GOLDEN YEARS<br />
Seit über sechs Jahrzehnten steht die Marke Sennheiser für zeitgemäße,<br />
hochbegehrte Produkte. Die DNA des Unternehmens spannt den Bogen von<br />
Forschergeist zu strategischem Weitblick, von <strong>der</strong> Wedemark bis ins Silicon<br />
Valley. Dr. Heinrich Esser, President Professional Systems Division, beschreibt<br />
Markt, Mannschaft und Magie des stolzen Innovationsführers.<br />
> <strong>TITEL</strong><br />
Zum Beispiel durch die Art und Weise unserer<br />
Produktentwicklung, wie wir Innovationen auf den<br />
Markt bringen und uns hinsichtlich Innovationskraft<br />
und Produktqualität positionieren. Vor diesem Hintergrund<br />
entwickeln wir immer wie<strong>der</strong> Flaggschiffe,<br />
also herausragende Produkte. Aus meiner Sicht<br />
gibt es wenige Dinge, die besser für unsere Marke<br />
wirken, als solche Flaggschiffe, an denen sich <strong>der</strong><br />
Kunde orientiert.<br />
Herausragende Flaggschiffe sorgen für<br />
die Strahlkraft <strong>der</strong> Marke<br />
Eine weitere Kernkompetenz ist unser Vertriebs-<br />
und Servicenetzwerk aus Partner- und Tochtergesellschaften.<br />
Diese bekommen von uns z. B. Informationen<br />
über Tourneen und Proben unserer Kunden.<br />
Diesen weltweit tourenden Künstlern stellen wir<br />
DER F&E MANAGER <strong>02</strong>/ <strong>2011</strong> 17
<strong>TITEL</strong><br />
über unser Artist Relationship Management Spezialisten<br />
zur Verfügung und damit einen beson<strong>der</strong>en<br />
Service bereit. Wenn die Künstler auf ihren Tourneen<br />
Unterstützung brauchen, bekommen sie technischen<br />
Support in höchster Qualität, on the spot und<br />
ohne warten zu müssen.<br />
Weiterer Pluspunkt: die Unabhängigkeit und Entscheidungsfähigkeit<br />
eines mittelständischen Familienunternehmens.<br />
Wir haben einen klaren Fokus.<br />
Kopfhörer sind für uns ein zentrales Thema. Unsere<br />
besten Leute machen bei uns Kopfhörer und<br />
das häufig über Jahrzehnte! Im Gegensatz dazu hat<br />
ein Kopfhörer bei Sony nicht dieselbe Bedeutung.<br />
Wenn jemand bei Sony gut ist, dann macht er wahrscheinlich<br />
Playstations. Zu alldem kommt dann<br />
noch <strong>der</strong> Sennheiser-Spirit: Immer wie<strong>der</strong> schaffen<br />
wir es, unsere Mitarbeiter hinter einem Ziel zu versammeln<br />
und – wie <strong>der</strong> Englän<strong>der</strong> sagt – the extra<br />
mile gehen zu lassen.<br />
Mit Innovationen die Nase vorn zu haben, heißt doch<br />
die Kundenbedürfnisse von morgen sehr gut und immer<br />
rechtzeitig zu kennen?<br />
Wir versuchen auf verschiedenen Ebenen vorauszuplanen.<br />
In <strong>der</strong> strategischen Innovation blicken wir<br />
am weitesten nach vorne, d. h. zehn bis fünfzehn<br />
Jahre. Unser Augenmerk liegt auf den soziologischen<br />
Merkmalen unserer Kunden, die mit Technik<br />
sehr progressiv umgehen. Speziell für diese Kenntnisse<br />
beschäftigt Sennheiser ein Team in Zürich, das<br />
sich im Umfeld <strong>der</strong> ETH Zürich (Eidgenössische<br />
Technische Hochschule) befindet.<br />
Nur Luft in den Kosten rauslassen,<br />
schafft keine Dynamik<br />
Unsere Ingenieure verfolgen dagegen technische<br />
Fragestellungen, z. B. die Frage nach <strong>der</strong> Signalverarbeitungstechnologie<br />
im Jahr 2<strong>02</strong>0. Indem unsere<br />
Ingenieure mit unseren Zukunftsforschern zusammentreffen,<br />
brechen wir also das soziologisch erworbene<br />
Know-how auf unsere Produktkategorien<br />
runter: Die Ingenieure skizzieren die technologische<br />
Entwicklung und <strong>der</strong> Zukunftsforscher aus dem<br />
strategischen Innovationsteam skizziert die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> nutzerbedürfnisse.<br />
Außerdem erhalten wir durch die Produktroadmaps<br />
unserer Produkt<strong>manager</strong> weitere Vorgaben. Diese<br />
blicken wie<strong>der</strong>um fünf bis sieben Jahre in die Zukunft.<br />
Alles zusammen führt zu unseren Technologieroadmaps:<br />
Technologien werden beobachtet,<br />
18 DER F&E MANAGER <strong>02</strong>/<strong>2011</strong><br />
bewertet und in konkrete Projekte zur Technologieentwicklung<br />
überführt. Das bedeutet Prototypen-,<br />
Plattform- und schließlich Produktentwicklung mithilfe<br />
von Plattform- und Produktroadmaps: Wann<br />
ist eine Technologie reif? Auf welche Plattform können<br />
wir sie applizieren? In welches Produkt kann sie<br />
wann einfließen?<br />
Zum Thema <strong>der</strong> kontinuierlichen Innovationsführerschaft:<br />
Gibt es konkrete organisatorische Dinge, die<br />
Sennheiser kultiviert hat, um den Anspruch auf Innovationsführerschaft<br />
in <strong>der</strong> Entwicklermannschaft<br />
zu verankern?<br />
Dazu gehört die Strategiearbeit auf <strong>der</strong> einen Seite<br />
und sämtliche Roadmapping-Aktivitäten auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite. Doch dahinter steht die konkrete Arbeit<br />
an den Technologien.<br />
Sennheiser ist aus einem Forschungsinstitut für Elektroakustik<br />
und Hochfrequenztechnik, das damals in<br />
Hannover von Fritz Sennheiser geleitet wurde, entstanden.<br />
Forschung war nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
zunächst nicht mehr möglich. Aus <strong>der</strong> not heraus<br />
entwickelte sich zunächst <strong>der</strong> handwerkliche Betrieb<br />
und dann das Industrieunternehmen. Die Herstellung<br />
und <strong>der</strong> Verkauf waren nötig, damit man weiter<br />
forschen konnte. Das ist die DnA des Unternehmens.<br />
Wir stecken in Technologieentwicklung viele<br />
Ressourcen und entwickeln stark fokussiert auf unsere<br />
Kernkompetenzen.<br />
Wie hat es Sennheiser – als „High-End-Boutique“<br />
kleiner Stückzahlen – ohne Anspruchs- und Imageverlust<br />
geschafft, den Massenmarkt erfolgreich zu bedienen?<br />
Wir hatten dafür in den 90er-Jahren hervorragende<br />
Voraussetzungen: ein weltweites Vertriebssystem,<br />
eine starke Marke und bereits gute technische Kernkompetenzen<br />
sowohl in den Produktfeatures als<br />
auch in <strong>der</strong> Fertigungstechnologie, z. B. mit ersten<br />
Erfahrungen in <strong>der</strong> Automatisierungstechnik.<br />
Was uns zu diesem Zeitpunkt noch fehlte, war <strong>der</strong><br />
Part des Produktmanagements und <strong>der</strong> Mut zu Massenpreispunkten.<br />
Das hatte ein hohes Risikopotenzial!<br />
In diesen Preispunkten waren wir noch nicht zu<br />
Hause und insofern war es nicht leicht, das Produkt<br />
dafür zu definieren. Unser erster Ansatz, überall<br />
gnadenlos Kosten abzuspecken, funktionierte nicht:<br />
er führte zu einer Mikrofonlinie mit nicht beson<strong>der</strong>s<br />
hochwertig aussehenden Plastikgehäusen. Akustisch<br />
okay, waren sie dennoch eine Sackgasse. Wir konnten<br />
also nicht mehr weiterhin in Deutschland sitzen,<br />
alles so machen wie bisher und lediglich versuchen,<br />
die Luft in den Kosten rauszulassen.
Dr. Heinrich Esser, im Unternehmen entspannt „Heiner“ genannt, Mitglied des Executive Management Board<br />
Wir haben dann zwei grundsätzliche Dinge getan<br />
und so gehen wir heute noch vor:<br />
Weltmarktsteigerung von 2 % auf 20 %<br />
innerhalb eines Jahrzehnts<br />
Erstens die Frage nach dem Kernelement des Produktes,<br />
über das wir uns definieren wollen. Das ist<br />
z. B. <strong>der</strong> akustische Wandler. Dieses Kernelement<br />
musste in sehr guter Qualität, aber zu niedrigen<br />
Kosten hergestellt werden! Wir hatten den Mut, einen<br />
dynamischen Mikrofonwandler vollautomatisch<br />
> <strong>TITEL</strong><br />
herzustellen. Er musste von Grund auf neu konstruiert<br />
werden und wir mussten in eine entsprechende<br />
Anlage investieren. So haben wir die Kosten des<br />
Wandlers deutlich reduziert.<br />
Zweitens definierten wir, was nicht unsere Kernkompetenz<br />
ist: das Gehäuse, <strong>der</strong> Griff, <strong>der</strong> Einsprachekorb.<br />
Das brachte die Partnersuche in Asien mit<br />
sich. Diese Teile haben wir nach unseren Zeichnungen,<br />
Spezifikationen und Ansprüchen dort zu Weltmarktpreisen<br />
gesourct.<br />
1997 waren wir dann im Big Bang mit einer ganzen<br />
Produktfamilie auf <strong>der</strong> Messe. Das hatte man uns als<br />
High-End-Produzent nicht zugetraut. Was passierte?<br />
Unser Hauptkonkurrent aus den USA war scho-<br />
DER F&E MANAGER <strong>02</strong>/ <strong>2011</strong> 19
<strong>TITEL</strong><br />
20 DER F&E MANAGER <strong>02</strong>/<strong>2011</strong><br />
Legendär: die Abbey Road Studios, London.<br />
Immer wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Stars – von den Beatles, bis Cliff Richard und Yehudi Menuhin – Technik von Sennheiser<br />
ckiert, weil unser neues Produktportfolio in <strong>der</strong>en<br />
Hauptmarkt einbrach.<br />
Die Stückzahlen dieser Mikrofonfamilie gingen dramatisch<br />
in die Höhe, sodass wir mit einer Funkmikrofonfamilie<br />
sofort nachzogen. Auch hier erfolgte<br />
zunächst die Frage nach <strong>der</strong> Kernkompetenz, dann<br />
die nach <strong>der</strong> Fertigungstechnik. Wir haben in mo<strong>der</strong>ne<br />
Schaltungskonzepte investiert, aber die Mechanik<br />
– Gehäuseteile, Displays, Module – komplett<br />
ausgesourct. So haben wir die Preispunkte <strong>der</strong> Konkurrenz<br />
erreicht, aber hatten technische Produktvorteile,<br />
mit denen wir <strong>der</strong> Konkurrenz einige Jahre<br />
voraus waren. Das Ergebnis: Unser Weltmarktanteil<br />
stieg in wenigen Jahren von zwei auf ca. 20 Prozent.<br />
Auf welche Weise schafft man es bei Stars, und damit<br />
bei vielleicht eher exzentrischen Kunden, zu einem<br />
Lastenheft zu kommen?<br />
An diesem Prozess sind immer mehrere beteiligt.<br />
Der Künstler und seine Toningenieure haben spezifische<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen, die von unseren Mitarbeitern<br />
verstanden werden müssen. Herbert Grönemeyer<br />
könnte z. B. sagen: Mit diesem Mikrofon fühle ich<br />
weniger Stress. Warum er so empfindet, hinterfragen<br />
wir dann mit unserem technischen Verständnis.<br />
Daneben gibt es auch konkretere Anfor<strong>der</strong>ungen:<br />
einige Künstler gehen zum Beispiel gerne ein Stück<br />
ins Publikum hinein und damit entstehen – gerade<br />
bei Sängern mit weniger starken Stimme – schnell<br />
Probleme mit akustischem Feedback. Für solche<br />
spezifischen Anfor<strong>der</strong>ungen entwickeln wir dann<br />
spezielle Mikrofone, die die Stimme im Mix <strong>der</strong> PA<br />
hervorheben und dabei Feedback so weit wie möglich<br />
unterdrücken. Das ist alles an<strong>der</strong>e als trivial. Es<br />
gibt bei einem Mikrofon zahlreiche Parameter, die<br />
dieses Verhalten bestimmen.<br />
Golden Ears übersetzen das Hörbare –<br />
auch den Sternenstaub auf dem Klang<br />
neben dieser direkten Quelle erhalten wir viele Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
aus unserer Vertriebsorganisation. Sie<br />
geben die Informationen von den Endanwen<strong>der</strong>n an<br />
die Produkt<strong>manager</strong> weiter. Auch sie sind intensiv<br />
im Markt unterwegs und holen sich dort Anregungen<br />
und Ideen. Hinzu kommt <strong>der</strong> Informationsaustausch<br />
auf den Messen. Sind erste Produktkonzepte<br />
entstanden, diskutieren wir diese oft in Fokusgrup-
pen mit Anwen<strong>der</strong>n, die sehr gut ausdrücken können,<br />
womit sie etwas anfangen können und womit<br />
nicht.<br />
Wie verhält es sich mit Ihrem Mitarbeiter, <strong>der</strong> das<br />
„absolute Gehör“ hat?<br />
Wir haben mehrere Mitarbeiter mit dem sogenannten<br />
„absoluten Gehör“. Das sind unsere Golden Ears.<br />
Solche Mitarbeiter haben die Fähigkeit, das, was sie<br />
hören, konkret und präzise zu beschreiben. Eine solche<br />
Beschreibung lautet zum Beispiel: Ich finde, er<br />
klingt ein bisschen scharf bei zweieinhalb bis drei<br />
Kilohertz und er klingt unter sechzig Hertz ein bisschen<br />
schwach.<br />
Wie kann man sich in <strong>der</strong> Entwicklung nach den<br />
Einschätzungen <strong>der</strong> Golden Ears richten?<br />
Je besser sie alle erfor<strong>der</strong>lichen Daten messen können,<br />
desto hilfreicher ist das. Aber <strong>der</strong> subjektive<br />
Eindruck wird unbedingt benötigt. Ich bin kein beson<strong>der</strong>er<br />
Weinkenner, aber vielleicht lässt es sich<br />
mit einer Parallele zum Wein gut erklären: Jene, die<br />
den Klang unserer Produkte beschreiben, nutzen in-<br />
Unternehmen SennheiSer<br />
Gründung: 1945 als „Laboratorium Wennebostel“<br />
durch Prof. Dr. Fritz Sennheiser<br />
Portfolio: drahtgebundene Mikrofone, Kopfhörer,<br />
drahtlose Mikrofon- und Monitorsysteme, Konferenzund<br />
Informationstechnik, Audiologie-Produkte, Headsets<br />
für die Luftfahrt<br />
Produktionsstandorte: Deutschland, Irland, USA<br />
Vertriebstochtergesellschaften: Frankreich, Großbritannien,<br />
Belgien, den Nie<strong>der</strong>landen, Deutschland,<br />
Dänemark (Nordic), Russland, Hongkong, Indien, Singapur,<br />
Japan, China, Kanada, Mexiko und den USA<br />
F&E-Investitionen: 7,2 % vom Umsatz<br />
Umsatz: 389,9 Millionen Euro (2009)<br />
Größter Absatzmarkt: EMEA - 246,5 Millionen Euro<br />
Größte Absatzgruppen: Kopfhörer - 131,7 Millionen<br />
Euro; Drahtlose Mikrofone - 94,8 Millionen Euro<br />
Mitarbeiter weltweit: 2.132<br />
Mitarbeiter Deutschland: 1.180<br />
Aufsichtsratsvorsitzen<strong>der</strong>: Prof. Dr. Jörg Sennheiser<br />
Zur Gruppe gehören: Georg Neumann GmbH, Berlin<br />
(Studiomikrofone und Monitorlautsprecher; seit 1991),<br />
Joint Venture Sennheiser Communications A/S (Headsets<br />
für PC, Office und Call Center; seit 2003)<br />
> <strong>TITEL</strong><br />
teressanterweise oft ähnliche Begriffe wie Weinkenner.<br />
Die leichte note <strong>der</strong> Vanille o<strong>der</strong> die holzige<br />
note ist wohl schwer messbar.<br />
Das subjektive Empfinden ist also ein unerlässlicher<br />
Teil <strong>der</strong> Beurteilung. Die Frage „Wie klingt es?“<br />
wird von den Golden Ears beantwortet. Die an<strong>der</strong>e<br />
Frage lautet: Wie soll es denn klingen? Diese wird<br />
durch Messungen <strong>der</strong> Techniker beantwortet. Beide<br />
müssen zusammenkommen, dann erreichen wir<br />
das optimale Ergebnis. Und das muss sich immer<br />
an <strong>der</strong> Spezifikation des Produktmanagements messen.<br />
Beim Studiomikrofon unterscheiden sich z. B.<br />
Sennheiser- und neumann-Mikrofone deutlich voneinan<strong>der</strong>.<br />
Das ist auch eine Frage des Geschmacks.<br />
Das Sennheiser-Mikrofon ist klanglich eher neutral.<br />
Das neumann-Mikrofon hat einen ganz spezifischen<br />
neumann-Klang. Diesen Klang lieben die Kunden.<br />
Die leichte Überhöhung im oberen Frequenzbereich<br />
übersetzen unsere Golden Ears dann z. B. mit: „da<br />
liegt Sternenstaub auf dem Klang“.<br />
Haben Sie große Geduld für Happy Engineering?<br />
Es gibt natürlich Bastler ohne Ergebnisorientierung.<br />
Dafür habe ich wenig Geduld. Aber es gibt auch die<br />
Tüftler mit dem Ziel, Bahnbrechendes abzuliefern.<br />
Da muss man Geduld haben. Manchmal zwei, drei<br />
o<strong>der</strong> vier Jahre, im Vertrauen darauf, dass das Ergebnis<br />
den Zeit- und Ressourceneinsatz rechtfertigt. Genau<br />
solche Mitarbeiter machen unsere Flaggschiffe.<br />
Wir wissen: Du wirst uns den Kopfhörer entwickeln,<br />
<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Szene für Furore sorgt. Das ist wertvoll.<br />
Ohne Freiraum ist das nicht möglich. Und dafür strapaziere<br />
ich dann auch gerne einmal meine Geduld.<br />
DER F&E MANAGER <strong>02</strong>/ <strong>2011</strong> 21<br />
Stilvoll: Kopfhörer HD 598
<strong>TITEL</strong><br />
Dr. Heinrich Esser<br />
arbeitete nach dem Maschinenbaustudium mit Schwerpunkt<br />
Fertigungstechnik von 1988 bis 1993 als wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am Laboratorium für Werkzeugmaschinen<br />
und Betriebslehre (WZL) <strong>der</strong> RWTH Aachen. Am<br />
dortigen Lehrstuhl promovierte er mit einer Dissertation zum<br />
Thema „Montageorientierte Logistik“. 1994 übernahm er<br />
die Leitung <strong>der</strong> Abteilung Produktionstechnik bei einem<br />
Hersteller von Groß-Hydraulikbaggern in Dortmund.<br />
1997 begann er seine Tätigkeit bei Sennheiser im Bereich<br />
„Business Process Reengineering“. Die Verantwortung für<br />
die Produktion an den Standorten Wennebostel und Burgdorf übernahm er ein Jahr später. Im Januar 2000 wurde<br />
er zum Mitglied <strong>der</strong> Geschäftsleitung ernannt, im Oktober 2000 zum Geschäftsführer Produktion. Im Juli 20<strong>02</strong><br />
wechselte er seinen Aufgabenbereich und war bis zum Ende des Jahres 2010 als Geschäftsführer F&E tätig. Mit <strong>der</strong><br />
Einführung einer neuen divisionalen Unternehmensstruktur trägt Dr. Heinrich Esser seit Januar <strong>2011</strong> die Verantwortung<br />
für die beiden Business Divisions „Professional Systems” und „Installed Sound” und ist darüber hinaus Mitglied<br />
des Executive Management Boards <strong>der</strong> Sennheiser-Gruppe.<br />
Wie motivieren Sie Ihre Entwicklungsmannschaft<br />
dazu, Höchstleistungen zu bringen?<br />
Ich habe bei uns den Spezialisten für dynamische<br />
Mikrofone, <strong>der</strong> jetzt gerade für Sades neue Welttournee<br />
ein Spezialmikrofon entwickelt hat. Das ist<br />
motivierend: sich mit dem Künstler und den Toningenieuren<br />
um das beste Klangergebnis für eine<br />
Welttournee zu kümmern. Im Labor mit dem Team<br />
Visionen entwickeln:<br />
vom Valley bis in die Heide<br />
daran zu arbeiten, die Wünsche und Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
des Künstlers umzusetzen. Dann wie<strong>der</strong>um das Ergebnis<br />
bei den Proben des Künstlers zu überprüfen<br />
und schließlich bei dem ersten Konzert dabei zu<br />
sein und das Produkt live zu erleben. An<strong>der</strong>e Mitarbeiter<br />
haben wir z. B. schon zu Ferrari geschickt.<br />
Aufgabe: Macht das Headset für die Boxencrew von<br />
Ferrari. Da braucht es keine zusätzliche Motivation.<br />
Wir achten auch darauf, dass bei unseren Ingenieuren<br />
von vornherein eine Leidenschaft vorhanden ist.<br />
In Bewerbungsgesprächen fragen wir, was das Thema<br />
Audio, Akustik und Musik dem Bewerber bedeutet.<br />
Wir haben eine hohe Dichte an Leuten, die eine tiefe<br />
Beziehung zur Musik haben. Sie machen entwe<strong>der</strong><br />
22 DER F&E MANAGER <strong>02</strong>/<strong>2011</strong><br />
selber Musik, arbeiten in ihrer Freizeit technisch mit<br />
Bands o<strong>der</strong> haben eine hohe Hi-Fi-Affinität.<br />
Außerdem gehört zur Motivation das Vorleben von<br />
Werten dazu. Sie werden von den Sharehol<strong>der</strong>n zu<br />
den Führungskräften transportiert und heruntergebrochen.<br />
Die Mitarbeiter spüren die Authentizität<br />
<strong>der</strong> Werte. Darauf ist Verlass. Risiken können auf<br />
dieser Basis gezielt eingegangen werden. Und basierend<br />
auf unserer Kultur und <strong>der</strong> Erfolgsgeschichte<br />
von Sennheiser können wir auch authentisch das<br />
Ziel formulieren, die besten Produkte im weltweiten<br />
Vergleich zu entwickeln.<br />
Welche Bedeutung hat das Entwicklungsbüro im Silicon<br />
Valley?<br />
Als wir mit unserem Office 2003/2004 starteten, waren<br />
vier Leute dort. Jetzt sind es schon acht. Wir<br />
haben einen regen Wissensaustausch, fliegen hin,<br />
nutzen den Ort als ständige Innovationsquelle, treffen<br />
uns mit Professoren und Spezialisten und entwickeln<br />
dort neue Technologien. Es gibt für Ingenieure<br />
kaum einen inspirieren<strong>der</strong>en Ort.<br />
Dieser Standort gibt uns auch die Möglichkeit, Mitarbeiter<br />
für eine gewisse Zeit in einer an<strong>der</strong>en Kultur<br />
leben und arbeiten zu lassen. Wir sind mit den<br />
amerikanischen Universitäten wie Berkley, Stanford<br />
und UC Davies eng vernetzt. Dazu braucht man eine<br />
Plattform vor Ort. Mit unserem schönen, loftartigen
Büro in nächster nähe zur Stanford University sind<br />
wir an einem Ort, wo man Trends schnell und früh<br />
erkennen kann. Wenn Sie auf <strong>der</strong> California Avenue<br />
zu Starbucks gehen, dann sitzen da alle möglichen<br />
Leute von Google, Apple und an<strong>der</strong>en innovativen<br />
Firmen. Die Mentalität ist von Offenheit geprägt:<br />
Je<strong>der</strong> erzählt dem an<strong>der</strong>en begeistert, was er gerade<br />
> <strong>TITEL</strong><br />
macht. Beispielhaft ist auch das dortige Rapid Prototyping,<br />
das schnelle Entwickeln und Zusammenbauen<br />
von Prototypen. Unser Ziel ist, so früh wie möglich<br />
Technologien, die über den State-of-the-Art hinausgehen,<br />
zu identifizieren und gezielt zu erschließen.<br />
So gelingen uns Produkte mit Features, die an<strong>der</strong>e<br />
nicht haben. <<br />
DER F&E MANAGER <strong>02</strong>/ <strong>2011</strong> 23