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Prof ... - Viktor Frankl Zentrum

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HANDOUT zu<br />

„FREIHEIT DES WILLENS UND SINNGLÜCK“<br />

von o.Univ.<strong>Prof</strong>. Dr.Dr.hc. Lueder Deecke<br />

„Der Mensch handelt nicht nur gemäß dem, was er ist, sondern er wird auch wie er handelt.“<br />

(<strong>Viktor</strong> E. <strong>Frankl</strong>)<br />

„Aus dem immer wieder Gutes Tun wird schließlich das Gut-Sein“ (<strong>Viktor</strong> E. <strong>Frankl</strong>)<br />

Die tiefe Seelenverwandtschaft zwischen Kornhuber & Deecke und <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> ist so bemerkenswert,<br />

weil beide Forschergruppen unabhängig zu dem Ergebnis kamen, dass der Wille eine eine<br />

entscheidende Rolle für uns Menschen spielt. Dies gilt besonders für die psychotherapeutische<br />

Behandlung. Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, wie man therapeutische Konzepte ohne<br />

die besondere Betonung des Willens überhaupt aufstellen konnte. Zum Beispiel bei Freud. Bei ihm<br />

hatte der eigene Wille des Menschen kaum einen Stellenwert. <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> und Kornhuber & Deecke<br />

messen ihm dagegen eine entscheidende Bedeutung zu. Freud hatte eine jämmerlich schlechte<br />

Meinung vom Menschen, ein geradezu minimalistisches Menschenbild. Für ihn war der Mensch nicht<br />

viel mehr als ein Triebwesen, noch dazu ein passives Opfer, ein Spielball aus Milieu und Genetik. Freud<br />

gibt die "Schuld" an der seelischen Störung der Mutter, dem Vater, der jeweiligen<br />

Geschwisterkonstellation, etc. welche zu "Psychotraumatisierungen" führen können. <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong><br />

lehrt, dass der Mensch auch zu einem Großteil selbst "seines Glückes Schmied" ist – und, da dies ein<br />

Sprichwort ist, zeigt, dass es sich um uraltes Wissen handelt.<br />

Mein Doktorvater, der Neurologe Hans Helmut Kornhuber, Ulm hat ein positives Willenskonzept<br />

wissenschaftlich etabliert und experimentell untermauert. Kornhubers Lehre sagt z. B., dass es ein<br />

Irrtum ist, die Entwicklung des Charakters werde allein von den Genen und dem Milieu bestimmt. Der<br />

Mensch selbst ist ein dritter Faktor: Er formt sein 'Schicksal' ebenfalls (Kornhuber 1988, 1992,<br />

Kornhuber & Deecke 2009).<br />

Nach dem klassischen Altertum haben im Mittelalter die Franziskanermönche, Pico della Mirandola,<br />

und in der Aufklärung Kant die Freiheit des Willens wiederentdeckt. Kant sagt: "Die Freiheit ist ein<br />

schöpferisches Vermögen" und: "Die wichtigste Bemerkung, die der Mensch an sich selbst macht ist,<br />

dass er durch die Natur bestimmt ist, selbst Urheber seiner (…) eigenen Neigungen und Fertigkeiten<br />

zu sein."<br />

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Auf solchem Denken fußen auch <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> und Kornhuber & Deecke, die zeigen konnten, dass das<br />

Stirnhirn / Frontalhirn der führende Teil unseres Gehirns ist, das höchste <strong>Zentrum</strong> der Motivation. Das<br />

Frontalhirn stellt auch den größten Teil des Assoziationscortex des menschlichen Gehirns. Seit jeher<br />

ist klinischen Neurologen, die wir ja alle drei sind, immer schon klar, dass das Stirnhirn derjenige<br />

Hirnteil ist, in dem der Wille seinen Sitz hat. Dies ist die wichtige Stütze für <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong>´schen Lehre.<br />

Mithilfe unseres Stirnhirns haben wir uns in der Gewalt, können wir Selbstkontrolle üben,<br />

Selbstbeherrschung aufbringen, planerisch unser Leben vernünftig gestalten und "nicht auf die<br />

schiefe Bahn geraten". Als "Stirnhirnschwächlingen" fällt uns das schwer. Eine Wiederanerkennung der<br />

Bedeutung des Willens und Frontalhirns erkannte Kornhuber daran, dass im DSM III der<br />

amerikanischen Psychiater die 'willensschwache Persönlichkeit' wieder als eigenständige<br />

Persönlichkeitsstörung zurückgekehrt ist.<br />

Die Libet´schen Experimente, die mit unserer Methodik der Ableitung des Bereitschaftspotentials<br />

(Kornhuber & Deecke, 1964/65) durchgeführt wurden, haben den Glauben an die Willensfreiheit<br />

erschüttert, weniger bei Benjamin Libet selbst, als vielmehr wie das immer so ist bei seinen Epigonen.<br />

Libet sah den freien Willen fest an das Bewusstsein gekoppelt, und bei seinen Versuchen war der<br />

Anfangsteil des Bereitschaftspotentials, BP1, noch nicht bewusst. Das BP begann nämlich früher als<br />

der Augenblick da die Versuchspersonen den Drang „jetzt will ich eine Bewegung machen“ (was<br />

immer das ist) verspürten. Aufgrund unserer Forschungsergebnisse läuft die willentliche Erregung von<br />

der Supplementären motorischen Area (SMA) über die motorische Schleife (SMA Stammganglien <br />

Thalamus Motorcortex) zum motorischen Cortex. Es ergibt sich also folgendes: Der Anfangsteil der<br />

motorischen Schleife bleibt über die ersten 350 bis 400 msec offenbar noch unbewusst (Libet et al.<br />

1985, Libet 1990). In unserer Nomenklatur (Kornhuber & Deecke 2009) mit BP1 und BP2 ist es offenbar<br />

die SMA-generierte frühe BP1 Komponente, die noch unbewusst ist. Das kommt zeitlich gut hin. Wenn<br />

dann das Startkommando von der SMA an den primären motorischen Cortex gegeben wird (über die<br />

motorische Schleife via Stammganglien) und die späte Komponente BP2 beginnt, dann wird das<br />

Bewusstsein angeschaltet, und die Versuchsperson kann nun Rede und Antwort stehen, ob sie den<br />

Drang zu bewegen empfindet. „Empfindet“, das ist das richtige Wort! Es handelt sich also um<br />

Empfindung = Sensorik. Nicht um Motorik. Jedenfalls ist die Versuchsperson nun in der Lage, in einem<br />

Experiment vom Libet-Typ anzugeben, dass sie den 'Drang zu bewegen' empfindet, d.h. bei<br />

Introspektion in einem psychophysischen Experiment und der richtigen Instruktion. Dann kann die<br />

Versuchsperson sozusagen als Auskunftsperson über ihr eigenes Gefühl, ihre eigene Empfindung der<br />

Bewegungsvorbereitung herangezogen werden. Aber wie gesagt erst ab dem Augenblick, an dem das<br />

Bewusstsein angeschaltet wird.<br />

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Vorher ist aber wie wir gezeigt haben natürlich auch schon "etwas los“, nur bekommt man das mit<br />

einem Experiment vom Libet-Typ nicht heraus, da es noch unbewusst ist. Aber warum in aller Welt<br />

sollte es dadurch plötzlich nicht mehr unsere eigene, selbst-geplante, in Willensfreiheit vollzogene<br />

Bewegung oder Handlung sein? Im Gehirn gibt es Bewusstes und Unbewusstes und beides ist wichtig.<br />

Das gilt für Sinnessysteme ebenso wie für die Motorik. In motorischen Systemen können Prozesse, die<br />

zuerst bewusst sind, dann wieder unbewusst werden und zwar durch Automatisierung, Delegation in<br />

die Routineprogramme. Dies entlastet unser Bewusstsein. Sonst wäre das Gehirn wie gesagt extremer<br />

Überlastung ausgesetzt mit immenser Informationsüberflutung. Die Unbewusstheit derartiger<br />

Prozesse schmälert Freiheit jedoch nicht, im Gegenteil sie bildet ihre primäre Grundlage: Freistellung<br />

für höhere Aufgaben.<br />

Wir haben also gezeigt, dass Libets Postulat, „wo Bewusstsein sei, sei auch freier Wille; wo kein<br />

Bewusstsein sei, könne auch kein freier Wille sein" nicht stimmt. Auch eine in ihren frühen<br />

Vorbereitungsprozessen noch unbewusste Handlung ist von uns selbst willentlich geplant. Ich selbst<br />

bin es, der in voller Willensfreiheit die Handlung plant und durchführt und nicht ein kleiner Kobold in<br />

mir. Ich verfüge über Willensfreiheit und die ist keine Illusion sondern menschliche Realität, ich bin<br />

nicht determiniert. Mit diesem 'Marschallstab im Tornister' (oder sollte ich sagen im<br />

Bergsteigerrucksack?) können wir nun wieder den Tempel <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong>s betreten mit der<br />

Willensfreiheit als Mitbringsel.<br />

Welche Konsequenzen hat dies nun für die Logotherapie <strong>Viktor</strong> E. <strong>Frankl</strong>s?<br />

<strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> hat die Psychotherapie revolutioniert, indem er den Willen wieder einführte, den Freud<br />

abgeschafft hatte. Freud hatte ein eher minimalistisches Menschenbild. Für Freud war der Mensch ein<br />

durch Milieu, Instinkte und auch Hormone und Gene determiniertes Wesen ohne Willensfreiheit.<br />

Kornhuber und ich konnten jedoch zeigen, dass ein Hirnpotential, das Bereitschaftspotential (BP),<br />

unseren willentlich intendierten Bewegungen und Handlungen (sowie auch anderen cerebralen<br />

Prozessen wie Denken, bildlichem Vorstellen, Phantasie zeigen, Neues erfinden, etc.) vorausgeht.<br />

Paradoxerweise wird das Bereitschaftspotential neuerdings von einigen Neurophysiologen dazu<br />

benutzt, einem Determinismus des Menschen das Wort zu reden und ihm die Willensfreiheit, wie<br />

seinerzeit Freud, erneut abzuerkennen. Wir konnten aber zeigen, dass die Deterministen einen<br />

Denkfehler machen, indem sie a priori unterstellen, dass der freie Wille unbedingt an das Bewusstsein<br />

gekoppelt sein muss. Das aber ist ein Trugschluss.<br />

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Für Neurologen gehört es ohnehin zum denkerischen Alltag, dass viele Prozesse im Gehirn – sogar die<br />

meisten – unbewusst ablaufen (in der Metapher des Eisbergs [Deecke 2005], alles was unter der<br />

Wasseroberfläche ist). Das gilt für den Hemineglekt (eine Hälfte der Welt und auch des eigenen<br />

Körpers wird nicht beachtet) ebenso wie für die Rindenblindheit (der Patient ist blind, weiß aber<br />

nicht dass er blind ist). Das früheste, was wir von der Bewegungs- und Handlungsvorbereitung mit<br />

neurophysiologischen Methoden erfassen können, ist das frühe Bereitschaftspotential, BP1. Die<br />

Hirnstrukturen, die das BP1 produzieren, sind Supplementäre Motorische Area (SMA) und Cinguläre<br />

Motorische Area (CMA ).<br />

Die CMA gehört zum limbischen System, dem Gefühlsgehirn, dem Seelischen in uns. In der CMA<br />

vermutet Kleist das "Körper-Ich". An anderer Stelle spricht Kleist auch vom "Willens-Ich." Dies scheint<br />

also die Hirnregion zu sein, die die erste fassbare Korrelation mit der intendierten Bewegung zeigt,<br />

und das "Körper-Ich" Karl Kleist´s passt bestens: Ich bin es ja, der die Bewegung machen will, ich mit<br />

meinem freien Willen "Willens-Ich". Das Körper-Ich wird von Kleist vom Selbst- und Gemeinschafts-Ich<br />

unterschieden, das ebenfalls an der Innenseite des Gehirns aber vorn im frontoorbitalen Cortex<br />

lokalisiert ist (der Gehirnpartie, die unsere Moral, Ethik, Ehrencodex und Benimm-Dich-Regeln<br />

enthält). Die Grundausstattung ist zwar evolutionär-archetypisch, also biologisch, aber das ist nur ein<br />

kleiner Teil. Das meiste ist kulturell überformt durch Erziehung und Bildung, aber nicht nur<br />

fremdgestaltet, sondern ganz im <strong>Frankl</strong>’ schen Sinne eigengestaltet. Ich bin es, der sich letztlich<br />

selbst geformt hat. Der Wille eines Kindes wird im sog. Trotzalter erworben. Die Eltern sollten den<br />

Willen des Kindes nicht bekämpfen oder gar bestrafen, sondern lenken und zwar mit Güte, Liebe und<br />

Vorbild. <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> ist ein solches Vorbild. Er hat in seinen Lehren und vor allem in seinem Leben<br />

und Wirken diese Vorbildfunktion in ganz besonderer Weise gezeigt – durch Vorleben.<br />

o.Univ.<strong>Prof</strong>. Dr.Dr.hc. Lueder Deecke,<br />

Neurologe, Neurowissenschaftler, von 1985 bis 2006 Leiter der neurologischen Universitätsklinik<br />

Wien sowie Lehrtätigkeit für klinische Neurologie an der Medizinischen Universität Wien. Insgesamt<br />

573 Publikationen.<br />

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