„Was nehmen wir mit - Frauenhauskoordinierung
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<strong>„Was</strong> <strong>nehmen</strong> <strong>wir</strong> <strong>mit</strong>?“<br />
Strategieskizzen, Praxisrückmeldungen,<br />
Forschungsbedarf<br />
Resümee des 8. Frauenhausfachforums 2011<br />
Barbara Kavemann<br />
1. Welche Konfliktlinien wurden thematisiert?<br />
Wir haben viele alte Bekannte getroffen, z.B. die Frage nach der Identität der<br />
Frauenhäuser. Es gab unterschiedliche Identitäten in der Diskussion, darunter auch echte<br />
neue fachliche Herausforderungen:<br />
• Identitätsfragen<br />
• Feministisches Projekt?<br />
• Oranje Huis?<br />
• Hochsicherheitstrakt?<br />
• Einrichtung der Sozialen Arbeit?<br />
Sind Schutz und Unterstützung bedarfsgerecht?<br />
Die Frage des Bedarfs und wie er definiert <strong>wir</strong>d ist eine grundsätzliche und begleitet die<br />
Diskussion der Frauenhäuser seit Jahren.<br />
Sind es die Nutzerinnen, deren Bedarfe das Angebot strukturieren, oder sehen <strong>wir</strong> hier die<br />
Macht der Professionellen, die das Angebot nach ihren Vorstellungen gestalten. Ist die<br />
Konzeption eines Hauses die konzeptionelle (fachliche / politische) Entscheidung der<br />
Mitarbeiterinnen? Die Entscheidung nach Er<strong>mit</strong>tlung des Bedarfs der Bewohnerinnen? Oder<br />
die Entscheidung entsprechend verfügbarer Mittel?<br />
• Was bedeutet es, wenn in einigen Foren davon gesprochen wurde, es sei wichtig,<br />
die Vielfalt der Konzeptionen von Frauenhäusern zu erhalten? Es klingt so, als ob<br />
Frauen angesichts eines breiten Angebots an Konzeptionen die Wahl hätten und<br />
eine Wahl treffen würden. Tatsächlich aber gehen Frauen in das Haus, das ihnen<br />
bekannt ist, das für sie erreichbar ist und das sie aufnimmt. Das Frauenhaus trifft<br />
die Wahl, nicht die betroffene Frau.<br />
• Wie viele Ansprüche dürfen Frauen in einer Notlage stellen? Auch das eine Frage,<br />
die nicht ohne Weiteres zu beantworten ist. Was ist gemeint, dass die<br />
Bewohnerinnen „ansprüchlich“ sind, was, wenn sie Bedarfe haben, die nicht im<br />
Sinne der Mitarbeiterinnen sind? Dieses Thema klang in einigen Foren an, ebenso<br />
wie das folgende: Wie viele Regeln und wie viele Freiheiten bilden eine Strategie<br />
des Empowerment?<br />
Professioneller Rahmen versus Selbsthilfe und Selbstverantwortung<br />
Auch hier geht es um unterschiedlich intensiven Unterstützungsbedarf und ein<br />
professionelles Abwägen: Ein Frauenhaus als spezialisierte professionelle Dienstleistung<br />
1
ist geeignet für stark belastete und traumatisierte Frauen, Frauen in Multiproblemlagen,<br />
Frauen <strong>mit</strong> hohem Bedarf an Betreuung und Nachsozialisierung.<br />
Ein Frauenhaus <strong>mit</strong> professioneller Unterstützung und ausgeprägten Selbsthilfeanteilen ist<br />
geeignet für Frauen <strong>mit</strong> Ressourcen für Mitverantwortung und Beteiligung an<br />
Dienstleistungen des Frauenhauses. Bedarfe sind nicht gleich, Überforderung ist in einer<br />
Krise nicht geeignet, das Erleben von Selbst<strong>wir</strong>ksamkeit zu stärken, im Gegenteil:<br />
Überforderung führt zum erneuten Erleben von Scheitern und Unfähigkeit.<br />
Da<strong>mit</strong> sind <strong>wir</strong> bei der zentralen Frage nach dem Ausmaß des Bedarfs nicht nur an<br />
Unterstützung und Ermutigung, sondern an Hilfe:<br />
Trauma und Hilfsbedürftigkeit versus Eigenverantwortung und Aktivität<br />
Mitarbeiterinnen eines Frauenhauses müssen über ein Instrumentarium an Verfahren und<br />
Kompetenzen verfügen, um in diesem Spannungsfeld professionell und verantwortlich zu<br />
agieren. U.a. gehören dazu<br />
• Verfahren und Instrumente zur Er<strong>mit</strong>tlung von Traumatisierung und<br />
Hilfsbedürftigkeit<br />
• Erkennen von Überforderung, gezielte Angebote der Entlastung<br />
• Erkennen von Ausbilden einer Opferidentität – Strategien der Förderung von<br />
Eigenverantwortung und Aktivität.<br />
Wir diskutieren manchmal in einer gewissen Widersprüchlichkeit: Einerseits betonen <strong>wir</strong> die<br />
destruktiven Aus<strong>wir</strong>kungen der Gewalt, ihr Schädigungspotential, das den betroffenen Frauen<br />
einen Anspruch verleiht, mehr als ein Dach über dem Kopf zu bekommen. Andererseits sehen<br />
<strong>wir</strong> es gerne, wenn Bewohnerinnen sich aktiv an der Organisation des Hauses beteiligen. Es<br />
bedarf großer Achtsamkeit, da<strong>mit</strong> das Frauenhaus nicht das Muster vieler Frauen bedient,<br />
deren Verantwortungsgefühl bzw. deren Unfähigkeit eigene Grenzen zu wahren in der<br />
gewaltförmigen Beziehung ausnutzbar war.<br />
Es handelt sich – wie <strong>wir</strong> alle wissen – nicht nur um eine fachlich-konzeptionelle, sondern um<br />
eine politische Kontroverse. Auf dem Fachforum wurde sie erneut Thema:<br />
Feministisch-politisch versus individuell-systemisch<br />
Um wessen Ziele geht es? Wie sind sie begründet?<br />
Um es kurz zu sagen: Politische Argumentation muss auf empirisch abgesicherten Fakten<br />
basieren, sonst ist sie bloße Ideologie. Auch fachlich-methodische Konzeptionen müssen<br />
forschungsgestützt sein, da<strong>mit</strong> sie in engem Kontakt zum Bedarf der Zielgruppe stehen.<br />
Feministisch-politisch und individuell-systemisch sind kein Widerspruch, sondern finden<br />
beide in der Konzeption des Frauenhauses ihren Platz. Die Leitfragen für diese Praxis<br />
lauten:<br />
• Welche individuelle Lebensplanung verfolgt die einzelne Frau? Wie kann sie dabei<br />
unterstützt werden?<br />
• Was muss für alle Frauen strukturell-gesellschaftlich verändert werden, da<strong>mit</strong> die<br />
einzelne ihren Lebensplan in Sicherheit ver<strong>wir</strong>klichen kann?<br />
Und gleich weiter <strong>mit</strong> den grundsätzlichen Fragen, die in den Foren anklangen:<br />
Schutzauftrag versus Selbstbestimmung<br />
Gibt es eine ethische Verpflichtung, die Frau auch gegen ihren Willen zu schützen? Dies<br />
wurde in einem Forum gefragt. Ich frage mich, wie kann das aussehen? Eine Anzeige? Ohne<br />
Aussage und Strafantrag der Frau dürfte sie erfahrungsgemäß zu nichts führen. Eine<br />
Einweisung wegen Selbstgefährdung? Da keine akute Suizidalität besteht, ist auch dies kein<br />
Weg.<br />
2
Ich frage mich weiter: Hat eine Frau das Recht, sich in Gefahr zu begeben, Unterstützung<br />
abzulehnen – auch wenn <strong>wir</strong> es sind, die sie anbieten? Und wie geht die Mitarbeiterin <strong>mit</strong><br />
dem Druck um, der für sie entsteht, wenn eine Frau, die sie als akut bedroht einschätzt,<br />
ihre Lage selbst ganz anders sieht und zum gewalttätigen Partner zurück geht?<br />
Es wäre von Interesse zu klären, welche Rolle in diesen Fällen die „Gefährderansprache“<br />
der Polizei über<strong>nehmen</strong> kann. Eine polizeiliche Intervention im Vorfeld, wenn keine<br />
Anzeige vorliegt. Sie sprechen den gewalttätigen Partner an und machen ihm klar, dass sie<br />
ihn im Auge haben und dass sein Handeln Folgen haben <strong>wir</strong>d. Ein Verfahren, das<br />
deeskalieren kann. Wir wissen aber auch, dass Intervention eskalierend <strong>wir</strong>ken kann.<br />
Welche Rolle kann das soziale Umfeld über<strong>nehmen</strong>? Auch das eine Frage, die in solchen<br />
Fällen von Bedeutung ist. Projekte wie das im Hamburger Stadtteil Steilshoop können dazu<br />
beitragen, dass die Nachbarschaft achtsam und schützend reagiert.<br />
Alle Opfer versus Opfer und Täter<br />
Alle sind eigentlich Opfer, wurde in einem Vortrag gesagt. Das reizt sofort zum<br />
Widerspruch. Es gibt Bereiche, in denen die Opfer-Täter-Polarisierung von Bedeutung zur<br />
Klärung von Verantwortlichkeit ist. Der justizielle Bereich zum Beispiel. Aber auch darüber<br />
hinaus bedarf die Auseinandersetzung <strong>mit</strong> Gewalt einer eindeutigen Zuordnung von<br />
Verantwortung für die Taten. Dabei muss jedoch einiges berücksichtigt werden:<br />
• Niemand IST Täter oder Opfer in dem Sinne, dass er oder sie es immer ist. Die<br />
Polarisierung bezieht sich ausschließlich auf Situationen von Gewalt. Außerhalb<br />
dieser Situationen kann die Rollenverteilung ganz anders aussehen, sich umkehren.<br />
Der Mann, der Gewalt gegen die Partnerin ausübt, kann als Kind Opfer elterlicher<br />
Gewalt gewesen sein und nach der Tat auf der Straße Opfer der Gewalt anderer<br />
Männer werden. Die Positionen von Opfer und Täter sind nicht statisch und nicht<br />
bleibend.<br />
Nicht alle sind also Opfer, aber es gilt die individuelle Belastung auch der<br />
Gewaltausübenden zu sehen, wenn <strong>wir</strong> die Sichtweise und Entscheidungen mancher<br />
Frauenhausbewohnerinnen nachvollziehen wollen. Viele sehen die Belastungen ihrer<br />
Männer und <strong>nehmen</strong> sie sehr ernst. Ein systemischer Ansatz kann ihnen helfen,<br />
Verantwortung zu klären, Chancen der Veränderung der Beziehung abzuklopfen,<br />
Bedingungen zu formulieren.<br />
Die Unterscheidung von Konflikt und Gewalt ist maßgeblich, wenn es um die Klärung von<br />
Verantwortung geht. In der Regel steht hinter jedem Gewaltverhältnis auch ein Konflikt –<br />
wenn nicht viele. Diesen Konflikt gilt es zu bearbeiten, wenn das Paar weiterhin<br />
zusammenleben möchte und Sicherheit hergestellt werden soll. Auch in präventiver<br />
Hinsicht - <strong>mit</strong> dem Blick auf zukünftige neue Paarbeziehung der beiden nach einer<br />
Trennung – ist es sinnvoll an den Konfliktstrukturen zu arbeiten, oder auch <strong>mit</strong> Blick auf<br />
eine Trennung in Sicherheit.<br />
2. Welche strategischen Inhalte wurden thematisiert?<br />
Frauenrechte sind Menschenrechte<br />
Ein wichtiges Thema waren die Menschenrechtsinstrumente, die eingesetzt werden<br />
könnten, um den Auftrag der Schutz- und Beratungseinrichtungen in einen globalen Diskurs<br />
einzubetten oder um am Beispiel einer einzelnen Frau exemplarisch Rechte für alle Frauen<br />
in vergleichbaren Situationen zu erstreiten. Der bff e. V. hat hierzu ein enorm<br />
praxistaugliches Handbüchlein herausgegeben: (Nivedita Prasad – Mit Recht gegen Gewalt,<br />
Hrsg. Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), 2011)<br />
3
Gewalt gegen Männer thematisieren: wessen Aufgabe ist das?<br />
Ist es ein Versäumnis der Frauenbewegung, dass Gewalt gegen Männer immer noch kein<br />
Thema ist? Hat die Frauenbewegung das Thema verharmlost?<br />
Der Frauenbewegung kann das nicht vorgeworfen werden, sie war und ist eine Bewegung<br />
für die Rechte von Frauen. Allerdings ist diese Thematik eine Aufgabe der Sozialen Arbeit!<br />
Vor allem, wenn <strong>wir</strong> Soziale Arbeit im Sinne von Silvia Staub-Bernasconi als eine<br />
Menschenrechtsprofession verstehen, dann müssen <strong>wir</strong> anerkennen, dass jegliche illegale<br />
Gewaltanwendung zu verurteilen ist und die Betroffenen ein Recht auf Unterstützung<br />
haben. Die Arbeit in Frauenhäusern und Beratungsstellen ist ein Teil der Sozialen Arbeit, es<br />
wäre schön, wenn sie sich den Menschenrechten verpflichtet sieht.<br />
Gewalt durch Frauen ist ganz klar Thema und Aufgabe der<br />
Frauenunterstützungseinrichtungen. Hierbei kann es sich um unterschiedliche Gewalt<br />
handeln, um noch einmal bei Ute Rösemanns Vortrag anzuknüpfen. Und es ist angebracht,<br />
unsere Haltung gegenüber der Gewalt von Frauen gut zu durchdenken. Sehen <strong>wir</strong> Gewalt<br />
als Befreiungsstrategie aus der Gewalt? Sollen Frauenhäuser und Beratungsstellen Frauen<br />
auffordern, Gewalt gegen ihre Partner anzuwenden? Es macht einen Unterschied, ob eine<br />
von Gewalt betroffene Frau sich in einer akuten Situation entscheidet, sich körperlich zur<br />
Wehr zu setzen, oder ob Schutz- und Beratungseinrichtungen dieses Verhalten als Strategie<br />
propagieren. Es kann für die betroffenen Frauen sehr riskant sein, wenn der gewalttätige<br />
Partner sich davon nicht beeindrucken lässt.<br />
Geht es um andere Gewalt, die Frauen ausüben – z.B. gegen Kinder, gegen andere Frauen –<br />
dann muss ihnen ebenso wie Männern die Inverantwortungnahme für ihr Gewalthandeln<br />
abverlangt werden.<br />
Konflikte im Frauenhaus müssen ohne Gewaltanwendung ausgetragen werden. Gewalt<br />
gegen Kinder ist nicht zu akzeptieren, auch wenn die Belastungen bei häuslicher Gewalt<br />
und in Situationen der Flucht die Nerven blank liegen lassen. Gewaltfreie<br />
Konfliktlösungsstrategien zu erlernen ist auch für Frauen eine richtig gute Sache. Die Frage<br />
ist, ob die Krisensituation im Frauenhaus der geeignete Zeitpunkt dafür ist. Aber die<br />
Anbindung an Elternprogramme nach dem Frauenhausaufenthalt zur Verbesserung<br />
mütterlichen Verhaltens sollte ein Ziel sein.<br />
(Gewalt)Begriffe differenzieren und präzisieren<br />
Ute Rösemann hat dieses Thema in ihrem Vortrag bearbeitet. Seit geraumer Zeit liegen<br />
Forschungsergebnisse vor, die auf die Unterschiedlichkeit von Gewaltverhältnissen und die<br />
Unterschiede in der Bedeutung der Gewalt für Betroffene und Gewalthandelnde hinweisen.<br />
Es gilt, diese Ergebnisse für die Praxis nutzbar zu machen. Vor allem geht es darum, den<br />
Vereinfachungen der politischen Diskussion praktikable Differenzierungen<br />
entgegenzuhalten – was oft an ein Kunststück grenzt – und Differenzierungen in<br />
Konzeptionen umzusetzen: Unterschiedliche Gewaltverhältnisse haben einen<br />
unterschiedlichen Unterstützungsbedarf zur Folge.<br />
Einige Beispiele wurden im Verlauf der Tagung angerissen:<br />
• Gewalt im Geschlechterverhältnis umfasst mehr als Gewalt gegen Frauen. Das<br />
Geschlechterverhältnis umfasst mehrere Männlichkeiten und mehrere<br />
Weiblichkeiten. Z.B. ist die Gewalt dominanter Männlichkeit gegen abgewertete<br />
und als unterlegen definierte Männlichkeit ebenfalls als eine Gewalt im<br />
Geschlechterverhältnis anzusehen.<br />
• Barrierefrei bedeutet mehr als rollstuhlgerecht. Gehbehinderungen sind nicht die<br />
einzigen Behinderungen, über die <strong>wir</strong> uns Gedanken machen müssen. Eine blinde<br />
Frau oder eine Frau <strong>mit</strong> Lernschwierigkeiten brauchen andere Hilfs<strong>mit</strong>tel, um sich<br />
z.B. in einem Frauenhaus zurecht zu finden oder um von Informationen über<br />
Schutz- und Unterstützungsangebote erreicht zu werden.<br />
4
• Parteilich bedeutet nicht unkritisch, ist nicht gleichzusetzen <strong>mit</strong> der parteiischen<br />
Haltung eines Anwalts, der die Interessen seines Mandanten unabhängig von dessen<br />
Schuld oder Unschuld vertritt. Parteilich bedeutet nicht viel anderes, als eine<br />
Haltung, die die individuelle Situation der einzelnen Frau auf dem Hintergrund<br />
gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse versteht. Das große Problem<br />
<strong>mit</strong> diesem Begriff ist, dass es ihn nur in der deutschen Sprache gibt. Die<br />
Kolleginnen in anderen Ländern verstehen uns oft nicht – oder falsch. Wir sollten<br />
einen anderen Begriff suchen.<br />
• Systemisch bedeutet nicht patriarchatskonform. Systemisch zu denken und zu<br />
beraten, ist eine unverzichtbare Kompetenz, wenn es um die Situation in einem<br />
Team, einer Gruppe, einer Familie oder einer Paarbeziehung geht. Diese<br />
Kompetenz einzusetzen ist kein Verrat an politischen Zielen der Frauenbewegung,<br />
sondern eine in der Regel gute Arbeit – von besonderer Bedeutung bei der<br />
Unterstützung von Frauen, die die Beziehung zu einem gewalttätigen Partner<br />
verändern wollen oder die die Beziehungen innerhalb ihrer Familie verbessern<br />
wollen.<br />
Modifizierte Strategien des Unterstützungssystems<br />
Die Ausdifferenzierung der Angebote ist kein neues Thema für das Frauenhausfachforum,<br />
es stand bereits mehrfach auf der Tagesordnung in den letzten Jahren. Auch diesmal ging<br />
es in den Foren um bedarfsgerechte Ausdifferenzierung.<br />
Dazu gehört die Weiterentwicklung der Vernetzung z.B. verstärkt <strong>mit</strong> Institutionen, die<br />
noch nicht intensiv in die Netzwerke des Unterstützungssystems für Frauen einbezogen<br />
sind: Psychiatrie, Behindertenhilfe, Drogenarbeit, Berufsbildung.<br />
Speziell die Kooperation <strong>mit</strong> Täterarbeit war Thema eines Forums. Hier zeigte sich, dass<br />
noch viel Entwicklungsbedarf besteht. Gleiches gilt für die begleitende Arbeit <strong>mit</strong> Paaren<br />
und Familien. Viele von Gewalt betroffene Frauen sehen gerade hier ihren<br />
Unterstützungsbedarf.<br />
Zentrale politische Forderung<br />
Wieder bzw. immer noch war die zentrale politische Forderung die nach<br />
rechtsverbindlicher ausreichender Absicherung der Unterstützungseinrichtungen. Es<br />
beeindruckte, wie aus dem Vortrag von Heike Herold hervorging, dass sich diese Forderung<br />
wie ein roter Faden durch die acht Frauenhausfachforen hindurchzog.<br />
3. 1 Welcher Forschungsbedarf wurde thematisiert?<br />
Zu Forschung besteht seitens der Frauenschutz- und Beratungseinrichtungen schon immer<br />
ein eher ambivalentes Verhältnis. Vorliegende Daten und Ergebnisse werden genutzt – vor<br />
allem, wenn sie den eigenen Standpunkt bestätigen bzw. eigene Bestrebungen stützen-<br />
aber es macht Mühe, durch systematische Dokumentation der eigenen Praxis der Forschung<br />
Material zu liefern. Viele Aspekte wie z.B. die Frage des Zugangs zu den Zielgruppen, das<br />
Erreichen der Frauenhäuser und Beratungsstellen durch die Klientinnen werden nicht<br />
erfragt, dabei wäre schon so viel gewonnen, wenn allen Frauen die Frage gestellt würde:<br />
Woher haben Sie von uns gehört? Wie haben Sie den Weg zu uns gefunden? Die<br />
Dokumentation der Praxis ist wenig vereinheitlicht. Woher aber sollen verwendbare Daten<br />
kommen, wenn nicht durch Erhebungen in der Praxis. Die Politik ist auf verlässliche Daten<br />
angewiesen, wenn sie Richtlinien oder Zuwendungsverträge ändern will, um zur<br />
Verbesserung beizutragen. Hier ist Zurückhaltung bei der Offenlegung der Praxisprobleme<br />
nicht angebracht. Selbst an der Bestandsaufnahme des Unterstützungssystems bei Gewalt<br />
gegen Frauen haben sich Frauenhäuser und Beratungsstellen nur zu gut der Hälfte<br />
5
eteiligt. Daten, auf die sich diejenigen in Politik und Verwaltung stützen können, um eine<br />
Absicherung der Angebote herbeizuführen – die zentrale politische Forderung der<br />
Einrichtungen aufzugreifen – kommen so nicht zustande.<br />
Monitoring<br />
Es ist erforderlich, die Umsetzung und Wirksamkeit neuer Konzeptionen und Strategien zu<br />
überprüfen. Es sind in den vergangenen Jahren viele Neuerungen erreicht worden:<br />
Gesetze, Sicherheitskonzepte, Interventionskonzepte, innovative Beratungskonzepte wie<br />
pro-aktive oder aufsuchende Arbeit. Es <strong>wir</strong>d die Notwendigkeit von Gefährdungsanalysen<br />
und Risikoabschätzungen diskutiert. Dadurch sollten die Zugangsmöglichkeiten und die<br />
Erreichbarkeit der Einrichtungen verbessert werden. Bislang gibt es jedoch kaum eine<br />
Überprüfung, ob diese Neuerungen die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Erreichen <strong>wir</strong><br />
tatsächlich neue Zielgruppen? Werden Zugangsschellen gesenkt? Wie ist die Wirkung der<br />
eigenen Arbeit einzuschätzen? Was wissen <strong>wir</strong> über den Verbleib von Frauen und Kindern<br />
nach dem Frauenhaus oder nach Beendigung der Beratungsprozesse? Realisieren sie ein<br />
Leben frei von Gewalt?<br />
Für eine überzeugende Argumentation für oder gegen ein Konzept ist eine Datenbasis<br />
erforderlich, die belegt, dass dieses Konzept Erfolg versprechend ist. „Evidence based“,<br />
das ist der Begriff für forschungsgestützte Argumentation und Konzeptionierung. Das <strong>wir</strong>d<br />
mehr und mehr von Bedeutung sein. Wo<strong>mit</strong> <strong>wir</strong> wieder bei der Frage der Beteiligung an<br />
Forschung wären.<br />
Intersektionalität<br />
Zumindest in den Frauenhäusern zeigte sich seit Jahren ein Trend zur Arbeit <strong>mit</strong> Frauen in<br />
multiplen Problemlagen. Hier sind die Mitarbeiterinnen anders gefordert, als <strong>mit</strong><br />
Klientinnen, die vor allem eine Lösung für das Problem der Gewalt in der Beziehung<br />
suchen. Stehen vielfältige, ebenso gravierende persönliche oder strukturelle Probleme im<br />
Raum, muss abgeklärt werden, welchen Stellenwert die Gewalt in der subjektiven<br />
Perspektive der Frau hat und welches Problem prioritär gesetzt werden muss.<br />
Alkoholkranke oder Drogen gebrauchende Frauen z.B. können nicht beide Probleme<br />
gleichzeitig angehen. Zuerst gilt es Sicherheit herzustellen, dann kann an der Abhängigkeit<br />
gearbeitet werden.<br />
Multiple Problemlagen bedeuten oft multiple Stigmatisierung. Gewalterleben führt zu<br />
sozialer Stigmatisierung, kommen Armut, Krankheit und/oder Behinderung dazu oder ein<br />
problematischer sozialer Status, dann stellt sich die Frage: Wie gelingt Stigma-Management<br />
angesichts der Fülle der Probleme, die zu sozialer Ausgrenzung führen können? Wie gelingt<br />
die Lösung aus der gewaltgeprägten aber einschätzbaren Beziehung und ihrem Umfeld<br />
angesichts der Konfrontation <strong>mit</strong> nicht abschätzbaren Konsequenzen in einem „neuen<br />
Leben“?<br />
Einige Foren thematisierten Aspekte von Stigmatisierung, die aus der Perspektive der<br />
Forschung Überschneidungen zeigen, die in der Praxis aufgegriffen werden können. Z.B.<br />
Überschneidungen und Wechsel<strong>wir</strong>kungen zwischen Behinderung, Alter und Krankheit –<br />
alles Probleme, die einzeln für Frauenhäuser nicht einfach zu bewältigen sind. Kommen sie<br />
zusammen, <strong>wir</strong>d es richtig kompliziert. Ähnlich die Überschneidungen und<br />
Wechsel<strong>wir</strong>kungen zwischen Migration, sozialem Status, Isolation und Sprachbarrieren.<br />
Verständnis von Entstehung von Gewalt<br />
Die Frage wie Gewalt entsteht, kam in mehreren Foren zur Sprache. Hier fehlt es noch an<br />
Erkenntnissen aus der subjektiven Perspektive von Frauen, und von Männern kann erfragt<br />
6
Bedeutung des Hilfetelefons<br />
Interessant war die Diskussion über das Hilfetelefon, die immer wieder aufkam, nicht nur<br />
im Zusammenhang <strong>mit</strong> Dr. Schweikerts Referat. Von Anfang an hatten viele Frauenhäuser<br />
und Beratungsstellen die Entstehung und Konzeptionierung des bundesweiten Hilfetelefons<br />
<strong>mit</strong> ambivalenten Gefühlen beobachtet. Nun hatten sie das Privileg, die ersten zu sein, die<br />
offiziell über Einzelheiten der Umsetzung informiert wurden. Zwei Befürchtungen klangen<br />
an: Werden <strong>wir</strong> unsere Klientinnen und da<strong>mit</strong> unsere Daseinsberechtigung verlieren oder<br />
werden <strong>wir</strong> überrannt werden? Momentan spricht nichts für das eine oder das andere.<br />
Das Hilfetelefon ergänzt das existierende Unterstützungsangebot durch einen innovativen<br />
niedrigschwelligen Zugang. Das war lange überfällig, denn spätestens seit den 2004<br />
vorgelegten Studien zur Prävalenz von Gewalt gegen Frauen und zur Kooperation in diesem<br />
Feld ist bekannt, wie hochschwellig Frauenhäuser und Beratungsstellen von vielen<br />
Betroffenen erlebt werden.<br />
Die Einrichtung des Hilfetelefons <strong>wir</strong>d begleitet werden von intensiver<br />
Öffentlichkeitsarbeit zum Thema. Davon werden alle Einrichtungen profitieren. Diese<br />
Arbeit ist neben dem täglichen Geschäft oft nur durch zusätzliche Anstrengungen zu<br />
bewältigen. Durch die öffentliche Präsenz der Thematik und des politischen<br />
Engegagements <strong>wir</strong>d sich erneut eine Aufwertung des Themas und der Einrichtungen<br />
einstellen.<br />
Das Hilfetelefon ist auf die Ver<strong>mit</strong>tlung in funktionierende Schutz- und<br />
Unterstützungseinrichtungen angewiesen, denn das ist seine zentrale Aufgabe: Lotsin<br />
innerhalb dieses Systems zu sein. So<strong>mit</strong> ist seine Gründung ein weiterer Schritt zur<br />
Absicherung des Unterstützungssystems.<br />
Durch das Hilfetelefon ist eine Entlastung der Einrichtungen zu erwarten, keine<br />
Überlastung. Frauen, die ausschließlich eine Information brauchen, bekommen sie hier auf<br />
einfachem Weg. Ihnen und den Beratungsstellen bleibt viel Mühe erspart. In die<br />
Frauenhäuser werden ausschließlich Frauen ver<strong>mit</strong>telt, die nach der telefonischen<br />
Abklärung tatsächlich eine schützende Unterkunft benötigen. Weitaus mehr Frauen werden<br />
genau da ankommen, wo sie geeignete Unterstützung erhalten, sie werden nicht mehr von<br />
Pontius zu Pilatus irren, bis sie ankommen. Die Einrichtungen werden mehr als zuvor <strong>mit</strong><br />
Klientinnen arbeiten, die bei ihnen jeweils genau richtig sind. Zudem wissen <strong>wir</strong>, dass<br />
Frauen sehr oft erst einmal Information einholen und dann für sich weiter bedenken,<br />
welche Entscheidungen sie auf diesem Hintergrund treffen wollen. Auch hier werden<br />
Einrichtungen entlastet.<br />
Da es sich um ein Bundesmodellprojekt handelt <strong>wir</strong>d das Hilfetelefon evaluiert werden. Wir<br />
dürfen gespannt sein.<br />
Mein Eindruck vom 8. Frauenhausfachforum<br />
• Viele „alte“ Fragen und Konfliktlinien, für die unter aktuellen Bedingungen immer<br />
wieder nach Antworten gesucht und mögliche Antworten abgewogen werden<br />
müssen, aber auch neue Lösungen.<br />
• Neue Fragen und Konflikte aufgrund von Veränderungen der Inanspruchnahme und<br />
der Problemlagen, für die teilweise noch Antworten fehlen, aber auch unerwartet<br />
viel Interesse an innovativen Konzeptionen und am Schlachten heiliger Kühe (wenn<br />
solch eine brutale Metapher einmal erlaubt ist).<br />
• Alte und neue Sorgen, es werden nicht weniger, aber die Stimmung war gut.<br />
• Viel „Bewegung“, Offenheit und Diskussionsbereitschaft.<br />
Nur Mut!<br />
Ich wünsche Euch, Kraft, Offenheit und Erfolg<br />
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