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Ein Menschenbild hinter der Agenda 2010? - Flegel-g.de

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<strong>Ein</strong> <strong>Menschenbild</strong> <strong>hinter</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> <strong>2010</strong>?<br />

Friedhelm Hengsbach SJ., Frankfurt am Main<br />

Das Bekenntnis zu einem <strong>Menschenbild</strong> wird <strong><strong>de</strong>r</strong> rot-grünen Koalition meist bei unpassen<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gelegenheit von <strong><strong>de</strong>r</strong> konservativ-liberalen Opposition um die Ohren geschlagen. Ist es<br />

überhaupt angemessen, diese Frage an die programmatischen Texte und die so genannten<br />

Reformen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> <strong>2010</strong> zu richten? <strong>Ein</strong>e <strong>Agenda</strong> wird nämlich als Handlungsentwurf o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Handlungsprogramm vorgelegt. Folglich könnten Visionäre zu Recht zum Arzt geschickt und<br />

nicht als ernsthafte Kritiker einer <strong>Agenda</strong> zugelassen wer<strong>de</strong>n. Aber mit Max Weber als<br />

Gewährsmann darf daran erinnert wer<strong>de</strong>n, dass kein Politiker, <strong><strong>de</strong>r</strong> nicht zu <strong>de</strong>n Sternen greift,<br />

die nächsten Schritte, die notwendig sind, angeben kann. Denn ein politischer Handlungsentwurf<br />

enthält mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger präzise Ziele und ein Skizze <strong><strong>de</strong>r</strong> Wege, die zu <strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>finierten Zielen hinführen. Dass dabei werten<strong>de</strong> Orientierungen <strong><strong>de</strong>r</strong> kollektiven und<br />

individuellen Akteure ins Spiel kommen, ist unbestreitbar. So soll im folgen<strong>de</strong>n versucht<br />

wer<strong>de</strong>n, solche werten<strong>de</strong>n Orientierungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Autoren und <strong><strong>de</strong>r</strong> Adressaten <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> zu<br />

erkun<strong>de</strong>n.<br />

1. Wertorientierungen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong>-Autoren<br />

(1) Die Autoren <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> geben sich als nationale bzw. europäische Athleten. Nicht bloß<br />

Unternehmen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch gesellschaftliche <strong>Ein</strong>richtungen und selbst Nationen sollen sich<br />

als Teilnehmer eines globalen Wettkampfs empfin<strong>de</strong>n, <strong><strong>de</strong>r</strong> sie antreibt. Das Land soll sich<br />

bewegen, Mut zu Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen aufbringen, um wie<strong><strong>de</strong>r</strong> an die Spitze <strong><strong>de</strong>r</strong> wirtschaftlichen und<br />

sozialen Entwicklung in Europa zu kommen. Deutschland soll zu einem Zentrum <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Zuversicht in Europa wer<strong>de</strong>n, es soll auch <strong>de</strong>shalb fit gemacht wer<strong>de</strong>n, damit Europa eine<br />

unabhängige Rolle in <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt von morgen spielen sowie Frie<strong>de</strong>n und Gerechtigkeit,<br />

wirtschaftliche Kraft und Entwicklungschancen exportieren kann. Die Autoren erwarten von<br />

<strong>de</strong>n Strukturreformen, dass diese Deutschland bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahrzehnts bei Wohlstand<br />

und Arbeit wie<strong><strong>de</strong>r</strong> an die Spitze bringen.<br />

(2) Von <strong><strong>de</strong>r</strong> Regierungserklärung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>skanzlers, die für <strong>de</strong>n 14. März 2003 angekündigt<br />

war, sollte ein Signal <strong>de</strong>s Aufbruchs ausstrahlen, dass Deutschland in die Lage versetzt, sich<br />

zu bewegen. Demgemäß präsentiert sich das Kanzler-Regime vollmundig, robust und<br />

entschlossen. Die Regierung bestätigt, dass es bei <strong>de</strong>n Festlegungen bleibt, die zur Verschuldung<br />

und zu <strong>de</strong>n Verbrauchssteuern getroffen wur<strong>de</strong>n. Das bloße Zurückfahren <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

aktiven Arbeitsmarktpolitik kann nicht und wird nicht die Lösung sein. Der Kanzler akzeptiert<br />

nicht die getrennten Zuständigkeiten für Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Die Vorschläge <strong>de</strong>s<br />

Wirtschafts- und Arbeitsministers wer<strong>de</strong>n ohne Abstriche umgesetzt. Die Ausübung eines<br />

selbständigen Handwerks ohne Meisterbrief wird für <strong>Ein</strong>zelunternehmen möglich gemacht, weil<br />

das sinnvoll ist, und so geschieht es auch. Wenn zumutbare Arbeitsangebote nicht<br />

angenommen wer<strong>de</strong>n, wird das zu Sanktionen führen müssen; die Regierung wird dafür<br />

sorgen, dass das funktioniert. Auch wenn die angekündigten Maßnahmen keine Begeisterung<br />

auslösen, müssen sie sein. Deswegen wird man sie auch umsetzen.<br />

(3) Im Gegensatz zu <strong><strong>de</strong>r</strong> verbalen Willenstärke wirken die ökonomischen und gesellschaftlichen<br />

Analysen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong>-Autoren diffus und <strong>de</strong>sorientiert. <strong>Ein</strong> solcher <strong>Ein</strong>druck<br />

entsteht <strong>de</strong>shalb, weil die Analysen <strong><strong>de</strong>r</strong> Krisenursachen entwe<strong><strong>de</strong>r</strong> oberflächlich o<strong><strong>de</strong>r</strong> mit<br />

Rücksicht auf die Hegemonie <strong>de</strong>s angebotsorientierten, monetaristischen Paradigmas unter<br />

<strong>de</strong>n Wirtschaftswissenschaftlern und Arbeitgebern ambivalent bleiben. Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>holt flackern<br />

1


Argumente auf, die eine Verletzung <strong><strong>de</strong>r</strong> Maastricht-Kriterien, die unvorhergesehene Netto-<br />

Neuverschuldung sowie die Erweiterung <strong>de</strong>s Kreditspielraums <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommunen rechtfertigen.<br />

Dass dabei mal die konjunkturelle Lage und mal die Anteile, die staatlichen o<strong><strong>de</strong>r</strong> privaten<br />

Investitionen als Impulsen stetigen Wachstums zukommen, erwähnt wer<strong>de</strong>n, ist nicht<br />

beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s relevant. Die Euphorie <strong><strong>de</strong>r</strong> Finanzmärkte zu Beginn <strong><strong>de</strong>r</strong> 90er Jahre, die sich zu<br />

einer spekulativen Blasen entzün<strong>de</strong>te und in einem Kursverfall und <strong><strong>de</strong>r</strong> Vernichtung von 700<br />

Mrd. Euro innerhalb dreier Jahren en<strong>de</strong>te, wird als Ursache <strong><strong>de</strong>r</strong> realen Wachstumsschwäche<br />

zwar erwähnt, aber nicht weiter reflektiert. Dagegen sind die blin<strong>de</strong>n Flecken <strong><strong>de</strong>r</strong> herrschen<strong>de</strong>n<br />

Krisenanalyse allgegenwärtig: jene Megatrends, <strong>de</strong>nen die politischen Akteure ohnmächtig<br />

ausgeliefert sind - etwa die Stürme <strong><strong>de</strong>r</strong> Globalisierung, die <strong>de</strong>mographische Schere, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

öffentliche Sparzwang und <strong><strong>de</strong>r</strong> Generationenkonflikt o<strong><strong>de</strong>r</strong> jene verkrusteten Strukturen etwa<br />

auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt, bei <strong>de</strong>n Steuern, Löhnen o<strong><strong>de</strong>r</strong> Lohnnebenkosten sowie in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

staatlichen Verwaltung, <strong>de</strong>nen allein mit tiefen <strong>Ein</strong>schnitten <strong><strong>de</strong>r</strong> sozialen Leistungen<br />

beizukommen ist.<br />

(4) <strong>Ein</strong>e Folge fehlen<strong><strong>de</strong>r</strong> Orientierung ist die Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungsmanie, von <strong><strong>de</strong>r</strong> die <strong>Agenda</strong>-Autoren<br />

erfasst sind. Gesellschaftliche Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung ist wie gesellschaftliche Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nisierung zweifellos<br />

jenes Zauberwort, <strong>hinter</strong> <strong>de</strong>m sich die Vorstellung <strong>de</strong>s Neuen, <strong><strong>de</strong>r</strong> Reform und <strong><strong>de</strong>r</strong> Erneuerung<br />

verbirgt. So wird stolz auf die Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen im Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht sowie die<br />

Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nisierung <strong>de</strong>s Familien- und Staatsbürgerschaftsrechts hingewiesen. "Mut zur<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung" gilt als das innenpolitische Stichwort <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong>. Anlass und Ursache<br />

verlangter Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Tempo bisher unzureichend war, sind wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um verän<strong><strong>de</strong>r</strong>te<br />

Bedingungen o<strong><strong>de</strong>r</strong> verän<strong><strong>de</strong>r</strong>te Verhältnisse. Falls <strong><strong>de</strong>r</strong> Versuch gemacht wird, die naive<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungsmanie zu begrün<strong>de</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong> Zielpunkte zu nennen, auf die hin eine Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />

erfolgen soll, wer<strong>de</strong>n abwegige Alternativen skizziert - etwa <strong><strong>de</strong>r</strong> To<strong>de</strong>sstoß gegen <strong>de</strong>n<br />

Sozialstaat o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Erhaltung seiner Substanz bzw. das Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nisiertwer<strong>de</strong>n durch die<br />

ungebremsten Kräfte <strong>de</strong>s Marktes, die das Soziale verdrängen, o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nisierung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

sozialen Marktwirtschaft. Die tief greifen<strong>de</strong>n Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen am äußersten En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Arbeitsmarkts o<strong><strong>de</strong>r</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> Renten- und Krankenversicherung, die zu Lasten <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeitslosen,<br />

Rentner und Patienten gehen, als geradlinige Wege zu mehr Wachstum und Beschäftigung<br />

darzustellen, erscheint wenig plausibel.<br />

(5) Der Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungswille erschöpft sich weithin in Anpassungen. Die Anpassungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Ansprüche und Leistungen nach unten sind angeblich durch die radikal verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ten<br />

Bedingungen <strong><strong>de</strong>r</strong> ökonomischen Basis <strong><strong>de</strong>r</strong> Gesellschaft erzwungen, etwa durch die dramatische<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong>de</strong>s Altersaufbaus, die gestiegene Lebenserwartung, die Art und Dauer <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Arbeitsverhältnisse und die kulturellen Gegebenheiten. Wie wenig die verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ten sozioökonomischen<br />

Bedingungen Naturereignisse sind und wie sehr sie durch politische<br />

Fehlentscheidungen mit verursacht wur<strong>de</strong>n, kommt ebenso wenig in <strong>de</strong>n Blick wie das<br />

Aufspüren alternativer Gestaltungsoptionen. Die wie<strong><strong>de</strong>r</strong>holt aufgestellte Behauptung, zur<br />

<strong>Agenda</strong> <strong>2010</strong> gebe es keine Alternative, klingt so, als wür<strong>de</strong> man eine selbstbewirkte Spirale<br />

negativer Trends akzeptieren, politische Gestaltungsspielräume fahrlässig preisgeben und <strong>de</strong>n<br />

Bankrott <strong><strong>de</strong>r</strong> eigenen Konzepte erklären, die auf eine brisante Situation ausschließlich so<br />

reagieren, dass sie Kompetenzstandards, Grundrechtsansprüche und gewerkschaftliche<br />

Verhandlungsmacht absenken.<br />

(6) Wenn die <strong>Agenda</strong> lebenswerte Zukunftsperspektiven eröffnet, um <strong><strong>de</strong>r</strong>etwillen kurzfristige<br />

Zumutungen gerechtfertigt erscheinen, bleiben sie stark industrielastig. Der Standort Europa<br />

soll im <strong>Ein</strong>vernehmen mit Frankreich und England durch Subventionen in <strong>de</strong>n Schiffsbau und<br />

die Chemieindustrie gefestigt wer<strong>de</strong>n. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Bund anweisen kann, dürften <strong>de</strong>n Sparten <strong><strong>de</strong>r</strong> Elektro- und Biotechnik zugute kommen. In<br />

dieser Perspektive droht allerdings die Spaltung <strong><strong>de</strong>r</strong> Erwerbstätigen in hochqualifizierte,<br />

angemessen entlohnte Wissensarbeiter und gering qualifizierte Anbieter einfacher, niedrig<br />

2


entlohnter Dienste. Noch offenkundiger wird das perspektivische Vakuum <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong>, wenn<br />

es um die ökologische Umsteuerung <strong>de</strong>s Verkehrssystems und <strong><strong>de</strong>r</strong> Landwirtschaft sowie um<br />

die Erschließung neuer Märkte o<strong><strong>de</strong>r</strong> öffentlicher Beschäftigungsverhältnisse durch das<br />

Angebot personennaher qualitativ wertvoller Dienstleistungen in <strong>de</strong>n Bereichen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

medizinischen, therapeutischen, pflegerischen und pädagogischen Versorgung geht. Lediglich<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Beitrag, <strong>de</strong>n erneuerbare Energiesysteme für <strong>de</strong>n öko-sozialen Umbau <strong><strong>de</strong>r</strong> Wirtschaft<br />

leisten, hat einen perspektivischen Klang.<br />

(7) Lineare, segmentäre und quantitative Präferenzen bestimmen die Denk- und Wertmuster<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong>-Autoren. Unter <strong><strong>de</strong>r</strong> Annahme, dass die sozialpolitischen Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen nicht<br />

lediglich diktiert wor<strong>de</strong>n sind, um eine sozialpsychische Stimmungslage bei Arbeitgebern,<br />

Unternehmern und <strong><strong>de</strong>r</strong> ihnen nahe stehen<strong>de</strong>n Journalisten zu erzeugen, die <strong>de</strong>m Staunen<br />

über <strong>de</strong>s Kaisers neue Klei<strong><strong>de</strong>r</strong> ähnelt, ist die Erwartung, dass die am En<strong>de</strong> doch geringfügigen<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Vermittlung von Arbeitslosen und bei <strong>de</strong>n Lohnnebenkosten sowie die<br />

asymmetrische Belastung betroffener Arbeitsloser, Kleinrentner und Patienten <strong>de</strong>n Durchbruch<br />

auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt und <strong>de</strong>n Beginn eines stetigen dynamischen Wachstums einleiten<br />

wür<strong>de</strong>n, abenteuerlich. Die fehlen<strong>de</strong> Transparenz <strong><strong>de</strong>r</strong> Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen resultiert zum einen<br />

daraus, dass erst so genannte Reformen in <strong>de</strong>n Dimensionen historisch einmaliger<br />

Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>twerke angekündigt wer<strong>de</strong>n, die dann sehr schnell als kleinkarierte Sparbeschlüsse<br />

und Kostendämpfungsgesetze zu entlarven sind. Zum an<strong><strong>de</strong>r</strong>n sind Kommissionen beauftragt<br />

wor<strong>de</strong>n, Lösungswege in einzelnen Problemsegmenten zu entwerfen. Aber <strong><strong>de</strong>r</strong>en Ergebnisse<br />

wer<strong>de</strong>n separat umgesetzt, ohne vorher zu Schnittmengen verarbeitet und integriert wor<strong>de</strong>n<br />

zu sein. Und schließlich provozieren die angekündigten sozialen <strong>Ein</strong>schnitte zu Recht ein<br />

gesellschaftliches Unbehagen, weil diejenigen, die Beschäftigung und Wachstum als Fernziele<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> verlangten drastischen Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen nennen, <strong>de</strong>n Verdacht hegen, dass<br />

sie die Fragen sowohl <strong><strong>de</strong>r</strong> Entkopplung <strong>de</strong>s Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum<br />

als auch <strong><strong>de</strong>r</strong> gesellschaftlichen Lebensqualität als nachrangig einstufen.<br />

2. Wertorientierungen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong>-Adressaten<br />

Dass die Autoren <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> <strong>de</strong>nselben Milieus angehören wie die Adressaten <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong>,<br />

ist unwahrscheinlich. Denn die Exekutive, die sich auf eine rot-grüne Koalition stützt, ist durch<br />

die Mehrheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Wählerinnen und Wähler legitimiert. Ob die unterstellten Adressaten <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Agenda</strong> <strong>de</strong>m Mehrheitstyp o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>m Durchschnittstyp <strong><strong>de</strong>r</strong> Bürgerinnen und Bürger<br />

entsprechen, o<strong><strong>de</strong>r</strong> ob die Bürgerinnen und Bürger, die beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s von <strong>de</strong>n tief greifen<strong>de</strong>n<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen betroffen sind, in <strong>de</strong>n Blick genommen wur<strong>de</strong>n, ist nicht allgemein<br />

entscheidbar. Vermutlich kann von einem ganzen Spektrum unterstellter Wertorientierungen<br />

ausgegangen wer<strong>de</strong>n. Dennoch lassen sich brennpunktartig einige wenige, die als beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s<br />

charakteristisch auffallen, hervorheben.<br />

(1) Der unterstellte <strong>Agenda</strong>-Adressat ist ein relativ autonomer Marktagent. Er ist in <strong><strong>de</strong>r</strong> Lage,<br />

sich <strong>de</strong>n Spiel- und insbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Wettbewerbsregeln <strong>de</strong>s Marktes zu unterwerfen, er kann<br />

sich <strong>de</strong>s offenen Marktzugangs bedienen, sein Leistungsvermögen nüchtern beurteilen, die<br />

Marktrisiken realistisch abschätzen, Leistungen anbieten und angemessene Gegenleistungen<br />

dafür erhalten. Er erwartet zu Recht, dass er durch die Überlassung seiner Arbeitskraft ein<br />

Arbeitseinkommen erzielt, das zusammen mit <strong>de</strong>m zusätzlichen <strong>Ein</strong>kommen einer Lebenso<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Ehepartnerin die gemeinsamen Ansprüche <strong><strong>de</strong>r</strong> Haushaltsmitglie<strong><strong>de</strong>r</strong> an Nahrung,<br />

Kleidung, Wohnung sowie die Bestandteile eines durchschnittlichen Lebensstandards<br />

befriedigt. Die Versicherungsleistungen <strong>de</strong>s Sozialstaats können die Haushaltsmitglie<strong><strong>de</strong>r</strong> auf<br />

Grund kontinuierlicher Beitragszahlungen in Anspruch nehmen. Auf Sozialhilfeleistungen sind<br />

sie nicht angewiesen. Falls sie genötigt sind, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, sind sie<br />

3


ereit, <strong>de</strong>n Organen <strong>de</strong>s aktivieren<strong>de</strong>n Sozialstaats quasi auf gleicher Augenhöhe zu<br />

begegnen und mit ihnen ein marktförmiges Bün<strong>de</strong>l gleicher Leistungen und Gegenleistungen -<br />

nach <strong>de</strong>m Grundsatz: Keine Hilfe ohne Gegenleistung - auszuhan<strong>de</strong>ln. Die Kürzungen von<br />

Sozialleistungen nehmen sie wi<strong><strong>de</strong>r</strong>willig hin, sofern sie diese durch private Anstrengungen<br />

kompensieren können.<br />

(2) Der <strong>Agenda</strong>-Adressat ist leistungsfähig und leistungsbereit. Er verfügt über Qualifikationen,<br />

die durch ökonomische Anreize und öffentlichen Druck aktiviert wer<strong>de</strong>n können. Wür<strong>de</strong>n diese<br />

verstärkt, stellte er sich gemäß einem rationalen Kosten-Nutzen-Vergleich und einer<br />

vorhan<strong>de</strong>nen starken Motivation <strong>de</strong>m gesellschaftlich organisierten Arbeitsmarkt zur<br />

Verfügung. Er erwartet allerdings, dass sich die Arbeit lohnt, insofern seine Arbeitsleistung mit<br />

einem entsprechen<strong>de</strong>n Verdienst entgolten wird, <strong><strong>de</strong>r</strong> ihm vorwiegend privat verfügbar bleibt.<br />

Die <strong><strong>de</strong>r</strong>zeit gelten<strong>de</strong>n Steuern und Abgaben empfin<strong>de</strong>t er als unzulässige <strong>Ein</strong>griffe <strong>de</strong>s Staates<br />

in die individuellen Eigentumsrechte. Dass die Höhe seines Entgelts nicht ohne weiteres <strong>de</strong>m<br />

eigenen Verdienst entspricht, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch von gesellschaftlichen Vorleistungen o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

gemeinsam geteilten Wertvorstellungen über Hand- und Kopfarbeit, Männer- und Frauenarbeit<br />

sowie Erwerbs- und Hausarbeit, klingt ihm abwegig. Die Existenz von unfreiwillig Arbeitslosen<br />

übersteigt seine <strong>Ein</strong>bildungskraft.<br />

(3) Der Mehrheitstyp <strong>de</strong>s <strong>Agenda</strong>-Adressaten gehört zu <strong>de</strong>n abhängig Erwerbstätigen, die<br />

entwe<strong><strong>de</strong>r</strong> kontinuierlich erwerbstätig o<strong><strong>de</strong>r</strong> allenfalls von zeitweiliger Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

betroffen sind. Erwerbstätigkeit gilt als ausschließlicher Schlüssel persönlicher I<strong>de</strong>ntität,<br />

materiellen Wohlstands und gesellschaftlicher Anerkennung. Gesellschaftlich vermittelte<br />

persönliche Wür<strong>de</strong> bezieht <strong><strong>de</strong>r</strong> Erwerbstätige vorrangig durch die Beteiligung an <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

gesellschaftlich organisierten Arbeit. Zivilgesellschaftliches Engagement wird allenfalls bei<br />

geachteter Erwerbsarbeit, gesichertem Arbeitseinkommen und stabilen partnerschaftlichen<br />

Beziehungen zugelassen. Private Hausarbeit spielt eine absolut nachrangige Rolle. Die<br />

Präferenz für die Erwerbsarbeit wird durch erzwungene Überstun<strong>de</strong>n und unbezahlte<br />

Mehrarbeit insbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e auf <strong><strong>de</strong>r</strong> gehobenen Angestelltenebene nicht beeinträchtigt. Die<br />

pathologischen Folgen wälzt <strong><strong>de</strong>r</strong> ten<strong>de</strong>nziell Arbeitssüchtige in<strong>de</strong>ssen weitgehend auf<br />

Familienangehörige o<strong><strong>de</strong>r</strong> die gesellschaftliche Umwelt ab. Die erwartete Bereitschaft zur<br />

Erwerbstätigkeit, um durch eigene Anstrengungen <strong>de</strong>n Lebensunterhalt zu gewinnen und nicht<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Gesellschaft zur Last zu fallen, ist realitätsnah, wenn <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachfrage nach<br />

Arbeitsgelegenheiten ein entsprechen<strong>de</strong>s Angebot an wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen<br />

gegenübersteht. Sie entartet zu einem leeren Versprechen, dass je<strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeitsfähige und<br />

Arbeitswillige eine Beschäftigung fin<strong>de</strong>t, wenn das Angebot an Arbeitsplätzen gera<strong>de</strong> einmal<br />

ein Zehntel <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachfrage beträgt. Unter solchen Bedingungen wird die politische Erwartung<br />

an Erwerbsfähige zur unhaltbaren Zumutung.<br />

(4) Der <strong>Agenda</strong>-Adressat ist gesellschaftlich entkoppelt. Die von Sozialwissenschaftlern<br />

vertretene Hypothese eines Individualisierungsschubs bisher unbekannter Reichweite und<br />

Dynamik wird unbesehen übernommen, <strong>de</strong>ssen Kehrseite, dass er nämlich von einer<br />

Individualisierung gesellschaftlicher Risiken begleitet ist, wird verschwiegen. So gelten die<br />

durchschnittlichen Bürgerinnen und Bürger, die sich <strong>de</strong>n Fesseln <strong><strong>de</strong>r</strong> Klasse, <strong>de</strong>s Geschlechts<br />

und herkömmlicher Milieus entwun<strong>de</strong>n haben, als hochgradig flexibel und mobil. Sie basteln<br />

ihre Biographien und Rollen zu einem variablen I<strong>de</strong>ntitätsbün<strong>de</strong>l. Die Gesellschaft hat diese<br />

individuellen Bedürfnisse betrieblicher, beruflicher und zeitlicher Flexibilitäts- sowie räumlicher<br />

Mobilität zu respektieren und infolge<strong>de</strong>ssen verkrustete Regeln zugunsten <strong><strong>de</strong>r</strong> Freiheit <strong>de</strong>s<br />

Individuums zu verän<strong><strong>de</strong>r</strong>n. Allerdings wird nicht zwischen authentischen Flexibilitäts- und<br />

Mobilitätsbedürfnissen relativ autonomer Individuen und <strong>de</strong>n erzwungenen Flexibilitäts- und<br />

Mobilitätszwängen abhängig Beschäftigter unterschie<strong>de</strong>n. Ebensowenig wird damit gerechnet,<br />

dass bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Ausweitung flexibler Arbeitsverhältnisse und <strong><strong>de</strong>r</strong> Reichweite räumlicher Mobilität<br />

die Interessen abhängig Beschäftigter zugunsten betrieblicher und unternehmerischer<br />

4


Interessen unterdrückt wer<strong>de</strong>n. Im Konfliktfall zwischen einer angebotenen<br />

Erwerbsgelegenheit und <strong><strong>de</strong>r</strong> Rücksichtnahme auf familiäre, partnerschaftliche o<strong><strong>de</strong>r</strong> regionale<br />

Bindungen sollte <strong><strong>de</strong>r</strong> flexible und mobile Mensch <strong><strong>de</strong>r</strong>artige, die Karriere behin<strong><strong>de</strong>r</strong>n<strong>de</strong><br />

Emotionen abstreifen können.<br />

(5) Der Adressat <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> ist selbstorganisiert. Er reagiert schnell und treffsicher auf<br />

situative Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen, erkennt seinen Vorteil und nimmt ihn wahr. Er ergreift die Initiative<br />

zu kreativen Arbeits- und Lebensformen, organisiert eigenständig seine Arbeitszeit und seine<br />

Arbeitsbedingungen, läßt sich bei Bedarf, falls eine Kosten-Nutzen-Kalkulation dies nahe legt,<br />

auf gemeinsame Projekte ein. Er verlässt sich nicht auf solidarische Regelungen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

vertraut darauf, dass er seine individuellen Interessen selbst vertreten kann. Er misstraut <strong>de</strong>n<br />

etablierten Institutionen <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeitswelt und ihren Vereinbarungen, insbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Betriebsräten<br />

und Gewerkschaften. Das ausgeprägte Vermögen zur Eigeninitiative und Selbstorganisation<br />

schützt <strong>de</strong>n Adressaten <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> jedoch nicht vor drei Ambivalenzen: Zum einen ist nicht<br />

ausgeschlossen, dass die Eigeninitiative sich in <strong><strong>de</strong>r</strong> individuell vorteilhaften Anpassung an<br />

gesellschaftliche Bedingungen erschöpft, die für <strong>de</strong>n einzelnen nicht verän<strong><strong>de</strong>r</strong>bar sind. Zum<br />

an<strong><strong>de</strong>r</strong>en ist nicht ausgeschlossen, dass diese individuell vorteilhaften Anpassungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

veröffentlichten Meinung folgen, die ihm beispielsweise einige Zeit suggerieren konnte, dass<br />

eine kapitalge<strong>de</strong>ckte private Altersvorsorge rentabler sei als eine umlagefinanzierte<br />

solidarische Regelung. Und schließlich ist nicht ausgeschlossen, dass die souveräne<br />

Gestaltung <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten zu einer <strong>de</strong>struktiven Selbstausbeutung<br />

führt, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Folgen nicht nur <strong><strong>de</strong>r</strong> einzelne selbst, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch die direkt o<strong><strong>de</strong>r</strong> indirekt<br />

Betroffenen mit zu tragen haben.<br />

(6) Der <strong>Agenda</strong>-Adressat hat das Vermögen und die Neigung zur Risikoübernahme. Die<br />

angekündigten Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen am Rand <strong>de</strong>s Arbeitsmarkts sowie bei <strong><strong>de</strong>r</strong> gesetzlichen<br />

Renten- und Krankenversicherung wären nicht zu rechtfertigen, wenn nicht unterstellt wer<strong>de</strong>n<br />

könnte, dass die Adressaten zur Kenntnis nehmen, wie sehr <strong><strong>de</strong>r</strong> Grundsatz , <strong>de</strong>m gemäß<br />

gesellschaftliche Risiken nicht einzelnen Betroffenen zuzurechnen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n solidarisch<br />

abzusichern sind, bereits ausgehöhlt ist. Folglich wird unterstellt, dass sie bereit sind, die<br />

abgesenkten solidarischen Leistungen durch private Vorsorgeleistungen zu ergänzen und<br />

damit einverstan<strong>de</strong>n zu sein, dass sich das Gewicht von solidarischer und privater Vorsorge<br />

weiterhin verschiebt. Dass ein beachtlicher Teil <strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung solche Zumutungen<br />

akzeptiert, bestätigen wohl die bisherigen Bemühungen, individuelle und insbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e<br />

tarifliche Regelungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Altersvorsorge zu treffen. Auch die Ergebenheit, mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Patienten<br />

erhöhte Zuzahlungen leisten und Versicherte hinnehmen, wie notwendige Therapien aus <strong>de</strong>m<br />

Leistungskatalog <strong><strong>de</strong>r</strong> gesetzlichen Versicherung ausgegrenzt wer<strong>de</strong>n, läßt auf die Neigung<br />

eines Teils <strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung schließen, gesellschaftliche Risiken zu individualisieren, die<br />

Risikoabsicherung zu privatisieren und einen Verzicht an solidarischer Absicherung individuell<br />

nicht zurechenbarer Risiken zu leisten. Ob alle diejenigen, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Neigung zur<br />

Risikoübernahme unterstellt wird, auch die Fähigkeit dazu haben, bleibt jedoch umstritten.<br />

(7) Nach <strong>de</strong>m Zeugnis <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong> weicht ein Gruppe <strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung von diesen<br />

unterstellten Wertorientierungen ab: die Trittbrettfahrer und Schmarotzer unter <strong>de</strong>n<br />

Arbeitslosen und Empfängern von Sozialhilfe, die sich in <strong><strong>de</strong>r</strong> sozialen Hängematte ausruhen,<br />

sich weigern, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und die Solidargemeinschaft zum eigenen<br />

Vorteil erpressen. Über <strong><strong>de</strong>r</strong>en Zahl herrschen natürlich horren<strong>de</strong> Vorstellungen. Nach<strong>de</strong>m<br />

solche unwertorientierten Bürgerinnen und Bürger nicht nur an <strong>de</strong>n Stammtischen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

inzwischen auch von <strong><strong>de</strong>r</strong> aufgeklärten Presse und <strong>de</strong>n Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Kabinettsrun<strong>de</strong>, die<br />

kaum jemals das Risiko <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeitslosigkeit und <strong>de</strong>s Sozialhilfebezugs kennen gelernt haben,<br />

gebrandmarkt wor<strong>de</strong>n sind, ist die mehrheitliche Überzeugung in <strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung gefestigt<br />

wor<strong>de</strong>n, dass <strong><strong>de</strong>r</strong>en prekäre Situation auf persönliches Versagen und nicht auf politische<br />

Fehlleistungen zurück geht. Gleichzeitig ist die gesellschaftliche Erwartung gewachsen, dass<br />

5


jene durch pädagogische Hilfen, disziplinarische Maßnahmen und finanzielle Sanktionen<br />

genötigt wer<strong>de</strong>n können, zu <strong>de</strong>n gemeinsam geteilten Wertorientierungen sowie zur<br />

Anerkennung <strong><strong>de</strong>r</strong> herrschen<strong>de</strong>n Arbeits- und Lebensformen zurück zu fin<strong>de</strong>n. Sollten diese<br />

mehrheitliche Überzeugung und gesellschaftliche Erwartung enttäuscht wer<strong>de</strong>n, droht jener<br />

Bevölkerungsgruppe <strong><strong>de</strong>r</strong> gesellschaftliche Ausschluss als Sozialschrott.<br />

Die <strong>Agenda</strong>-Autoren lassen offensichtlich werten<strong>de</strong> Orientierungen in die Liste <strong><strong>de</strong>r</strong> als<br />

notwendig betrachteten wirtschafts- und sozialpolitischen Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen einfließen. Allerdings<br />

erweist sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Rückschluss von <strong>de</strong>n werten<strong>de</strong>n Orientierungen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Agenda</strong>-Autoren auf die<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Adressaten als problematisch. Für einen beachtlichen Teil <strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung sind die<br />

unterstellten Wertorientierungen realitätsnah. Wer<strong>de</strong>n sie für die gesamte Bevölkerung<br />

verallgemeinert, entarten sie zu einer naiven Über<strong>de</strong>hnung und verzerrten Wahrnehmung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Realität. Für die von <strong><strong>de</strong>r</strong> sozio-ökonomischen Krise am meisten Betroffenen sind sie ein<br />

realitätsfrem<strong>de</strong>s Konstrukt.<br />

6

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