Etty Hillesum - Frauenseelsorge Bayern
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<strong>Etty</strong> <strong>Hillesum</strong><br />
Ester <strong>Hillesum</strong> ist am 15. Januar 1914 in Middelburg geboren und<br />
dort ins Gymnasium gegangen. Die Mutter war eine gebürtige Russin,<br />
auf der Flucht vor Pogromen in die Niederlande verschlagen, der<br />
Vater Gymnasiallehrer für klassische Sprachen. Sie hatte zwei jüngere<br />
Brüder, Michael und Jaap.<br />
1932 ging sie nach Amsterdam, wo sie mit Auszeichnung ihr juristisches<br />
Examen bestand und studierte slawische Sprachen. Danach,<br />
der zweite Weltkrieg hatte schon begonnen, studiert sie Psychologie.<br />
Am 15. Juli 1942 bekam sie eine Stelle bei der „Kulturellen Abteilung“<br />
des jüdischen Rates, Amstel Nr. 93, sie nennt die Arbeit dort<br />
die Hölle. Anfang August geht sie nach Westerbrook. Sie will die<br />
anderen Jüdinnen und Juden nicht im Stich lassen, indem sie sich<br />
ihrem Schicksal durch Flucht entzieht. Am 7. September 1943 wird<br />
sie mit ihrer ganzen Familie auf Transport geschickt. Sie ist am 30.<br />
November 1943 in Auschwitz gestorben. Auch ihre Eltern und ihre<br />
Brüder kamen ums Leben.<br />
Am 1. Oktober 1981 wurden ihre Tagebücher in Amsterdam vorgestellt.<br />
Sie hatte sie ihrer Freundin Maria Tuinzing zur Aufbewahrung<br />
und späteren Veröffentlichung überlassen. Herausgegeben wurden<br />
sie von J. Gaarlandt unter dem Titel „Das denkende Herz“. Begonnen<br />
hat sie ihre Tagebücher im März 1941, kurz nachdem sie den<br />
jüdischen Psychochirologen Dr. Julius Spier kennen gelernt hat. Er<br />
war damals ein berühmter Handlinienforscher und faszinierte viele<br />
Menschen, v.a. Frauen. „Für <strong>Etty</strong> jedenfalls war er der Katalysator<br />
ihrer Selbstanalyse. Ein unablässige Selbstanalyse, die an vielen<br />
Stellen universellen Charakter annimmt. Mit letzterem mein ich: <strong>Etty</strong><br />
<strong>Hillesum</strong> beschreibt in ihrem Tagebuch nicht nur sich selbst, sondern<br />
ebenso die menschlichen Möglichkeiten eines jeden anderen Menschen<br />
zu jedem beliebigen Zeitpunkt.<br />
Bei alledem entwickelt sich in <strong>Etty</strong> ein religiöses Bewußtsein, das<br />
vielen Lesern möglicherweise unbegreiflich und abschreckend er-<br />
scheint. <strong>Etty</strong> war eine „Gottsucherin“, die schließlich zu der erlebten Erkenntnis<br />
gelangt, dass Gott wirklich existiert. ... <strong>Etty</strong>s Aufzeichnungen<br />
bekommen einen ganz besonderen Stil, wo sie zu Gott redet. Sie spricht<br />
ihn unmittelbar an, ohne eine Spur von Befangenheit. <strong>Etty</strong>s religiöses<br />
Erleben ist unkonventionell, sie war kein Mitglied einer Synagoge oder<br />
Kirche, sondern besaß ihren eigen religiösen Rhythmus. Dogmen, Theologie<br />
oder Systematik lagen ihr völlig fern. Sie spricht zu Gott wie zu<br />
sich selbst. ... Sie sagt: „Wenn ich bete, bete ich nie für mich selbst, immer<br />
für andere, oder aber ich führe einen verrückten oder kindlichen oder<br />
todernsten Dialog mit dem, was in mir das Allertiefste ist und das ich der<br />
Einfachheit halber als Gott bezeichne“. Und später: „Und dadurch ist<br />
mein Lebensgefühl am vollkommensten ausgedrückt. Ich ruhe in mir<br />
selbst. Und jenes Selbst, das Allertiefste und Allerreichste in mir, in dem<br />
ich ruhe, nenne ich ‚Gott‘“ Gaarland, Vorwort, 7. War <strong>Etty</strong> <strong>Hillesum</strong> eine<br />
Mystikerin? Sie selbst schreibt dazu: „Mystik muß auf einer kristallenen<br />
Ehrlichkeit beruhen. Nachdem man zuvor die Dinge bis zur nackten Realität<br />
durchforscht hat.“ ebd.
Kleine Textauswahl:<br />
„Da saß ich nun mit meiner seelischen Verstopfung“. Und er (Spier<br />
I.L.) sollte Ordnung in das innere Chaos bringen, die Leitung über<br />
die in mir wirkenden widersprüchlichen inneren Kräfte übernehmen.<br />
Er nahm mich sozusagen an die Hand und sagte, schau her, so musst<br />
du leben. Mein Leben lang hatte ich das Gefühl: käme doch nur jemand,<br />
der mich an die Hand nähme und sich mit mir befasste; ich<br />
scheine tüchtig zu sein und mache alles allein, aber ich würde mich<br />
so schrecklich gern ausliefern.“ 16<br />
Ansprüche an die Eltern. Man muss die Eltern als Menschen mit<br />
einem eigenen abgeschlossenen Schicksal betrachten. Wunsch, die<br />
ekstatischen Augenblicke hinauszuziehen, unrichtig. Natürlich sehr<br />
gut begreiflich: man hat eine Stunde sehr starken geistigen oder seelischen<br />
Erlebens durchlebt, danach folgt natürlich eine Depression.<br />
Ich pflegte mich über eine solche Depression zu ärgern, fühlte mich<br />
müde und wünschte immer wieder den „gesteigerten“ Augenblick<br />
zurück, statt den alltäglichen Dingen nach zu gehen. Schreibe „Ehrgeiz“.<br />
Was auf das Papier kommt, muss sofort vollkommen sein, die<br />
tägliche Arbeit daran will ich nicht verrichten. Bin auch nicht überzeugt<br />
von meiner eigenen Begabung, das Gefühl ist noch nicht organisch<br />
in mir gewachsen, in fast ekstatischen Momenten halte ich<br />
mich zu Wunder was imstande, um danach wieder in den tiefsten<br />
Schlund der Unsicherheit zu versinken. Das kommt daher, dass ich<br />
nicht täglich und regelmäßig an dem arbeite, worin, wie ich glaube,<br />
meine Begabung liegt: dem Schreiben. ... die Gnade muss bei ihren<br />
seltenen Besuchen eine gut vorbereitete Technik vorfinden.“ 19<br />
„Ich glaube, dass ich das tun sollte. Morgens vor Beginn der Arbeit<br />
eine halbe Stunde lang ‚mich nach innen wenden‘, horchen nach<br />
dem, was in mir ist. ‚sich versenken‘ Man kann es auch als meditieren<br />
bezeichnen. Aber vor dem Wort graut es mir noch ein bißchen.<br />
Aber warum eigentlich nicht? Eine halbe Stunde mit mir selbst al-<br />
lein. Es genügt nicht, morgens im Badezimmer nur Arme, Beine und alle<br />
anderen Muskeln zu bewegen. Der Mensch besteht aus Körper und Geist.<br />
Und eine halbe Stunde Gymnastik und eine halbe Stunde ‚Meditation‘<br />
können zusammen ein