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Der Autor-Übersetzer Sondierungen in ... - Ilma Rakusa

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<strong>Der</strong> <strong>Autor</strong>-<strong>Übersetzer</strong><br />

<strong>Sondierungen</strong> <strong>in</strong> vielschichtigem Terra<strong>in</strong><br />

Wer übersetzt und gleichzeitig literarisch schreibt, wird das e<strong>in</strong>e vom anderen<br />

trennen wollen. Ganz und gar wird dies nicht gel<strong>in</strong>gen. Was also geschieht bei der<br />

Arbeit am fremden Text mit dem eigenen Ton - und wie untermalt dieser die Übersetzung?<br />

E<strong>in</strong>e regelmässige Publikumsfrage lautet: Fühlen Sie sich mehr als<br />

Schriftsteller<strong>in</strong> oder als <strong>Übersetzer</strong><strong>in</strong>? Und kommen sich diese Tätigkeiten nicht <strong>in</strong><br />

die Quere? Me<strong>in</strong>e Antwortet lautet: Ich b<strong>in</strong> beides, auch wenn mir das Schreiben<br />

mehr auf den Nägeln brennt. Und was die Konkurrenz betrifft: Sie ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

e<strong>in</strong>e zeitliche. Während ich übersetze, liegt das Schreiben brach, während ich<br />

schreibe, pausiert das Übersetzen. Beide Tätigkeiten erfordern volle Aufmerksamkeit:<br />

Empathie, Konzentration, Know-how, gebündelt. Und je länger und komplexer<br />

e<strong>in</strong> Projekt, desto grösser die Ausschliesslichkeit. Solche - rout<strong>in</strong>ierte - Antwort ist<br />

nicht falsch, greift aber etwas zu kurz. Sie versucht zu separieren, was de facto<br />

vielfältig verbunden ist. Denn bemerkenswert ist schon die Tatsache, dass e<strong>in</strong><br />

Schriftsteller übersetzt. Hat er nicht genug zu tun? Was drängt ihn, andere<br />

literarische Universen zu erkunden und nachzuschaffen, d. h. se<strong>in</strong>e sprachkünstlerische<br />

Begabung <strong>in</strong> fremde Dienste zu stellen? In Ost(mittel)europa gehörte<br />

es seit dem 19. Jahrhundert zur festen Tradition, dass Schriftsteller auch <strong>Übersetzer</strong><br />

waren. Ihnen vertraute man es an, Werke der Weltliteratur kongenial nachzudichten<br />

und damit nicht nur Brücken zu bauen, sondern die eigene Sprache (Kultur) zu<br />

bereichern. Wenn nötig, wurde mit Interl<strong>in</strong>earübersetzungen gearbeitet; Hauptsache,<br />

die def<strong>in</strong>itive Sprachgestalt lag <strong>in</strong> Dichters Hand. Ke<strong>in</strong>e Frage, solche Praxis<br />

verrät e<strong>in</strong> grosses Verantwortungsgefühl gegenüber dem literarischen Wort und<br />

verleiht dem Übersetzen das Signum der Kunst.<br />

Aff<strong>in</strong>ität als Herausforderung<br />

Vielleicht ist es also müssig, zwischen eigener <strong>Autor</strong>schaft und dem anspruchsvollen<br />

Metier des Übersetzens partout unterscheiden zu wollen. <strong>Der</strong> Kunstanspruch<br />

besteht hier wie dort. Jedenfalls <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Verständnis, das sich gerne an der<br />

ost(mittel)europäischen Tradition orientiert, zu der auch Paul Celan zu zählen wäre.<br />

Celan hat Gedichte von Mandelstam, Jessen<strong>in</strong>, Ungaretti, von Shakespeare,


Emily Dick<strong>in</strong>son, René Char und vielen andern unnachahmlich übersetzt, <strong>in</strong>dem er<br />

sich die fremde Stimme zu eigen machte. Diese Aneignung im Transformationstiegel<br />

des künstlerischen Prozesses, nennen wir sie Celanisierung, tut dem Orig<strong>in</strong>altext<br />

nicht nur ke<strong>in</strong> Unrecht, sie verhilft ihm zu neu-orig<strong>in</strong>ärem Glanz. Genauigkeitsexperten<br />

mögen da gewisse E<strong>in</strong>wände haben. Unbestritten aber handelt es sich um<br />

Nachdichtungen auf Augenhöhe.<br />

Ob Celan aus Pflicht oder aus Neigung übersetzte, bleibe dah<strong>in</strong>gestellt. Möglicherweise<br />

folgte er e<strong>in</strong>fach dem Ruf der Sprache, die ihn bei «se<strong>in</strong>en» <strong>Autor</strong>en besonders<br />

affizierte. Da wird die Aff<strong>in</strong>ität zur Herausforderung, die sich mit Verantwortung<br />

paart. Im Bewusstse<strong>in</strong>, dass das Handwerk des Schreibens von dem des Übersetzens<br />

sich nur wenig unterscheidet: «Handwerk - das ist Sache der Hände. Und<br />

diese Hände wiederum gehören nur e<strong>in</strong>em Menschen, d.h. e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>maligen und<br />

sterblichen Seelenwesen, das mit se<strong>in</strong>er Stimme und se<strong>in</strong>er Stummheit e<strong>in</strong>en Weg<br />

sucht.»<br />

Me<strong>in</strong>e Entscheidung zu übersetzen fiel bei der Lektüre autobiographischer Er<strong>in</strong>nerungstexte<br />

von Mar<strong>in</strong>a Zwetajewa. Die Gedichte der Russ<strong>in</strong> erschienen mir zu<br />

schwierig, ihre poetische Prosa aber reizte mich. Es reizten mich die Bilder und<br />

Wortspiele, die Vergleiche und Rhythmen, kurz: die Intensität des Sprachgebarens.<br />

Hier war Nachdichtung gefragt. Ich wagte den Versuch. - Auf jenen ersten, vor<br />

dreissig Jahren, folgten viele weitere: Prosa, Essays, Briefe, das Versdrama<br />

«Phoenix». Die Schwierigkeiten wurden nicht kle<strong>in</strong>er, aber mittlerweile kannte ich<br />

den Code, bewegte ich mich <strong>in</strong> Zwetajewas Denk- und Sprachraum, als wär's me<strong>in</strong><br />

eigener. Die Vertrautheit führte zu manchen Idiosynkrasien, aber ich wusste, was ich<br />

tat, was ich tun musste.<br />

Noch heute fällt es mir unschwer, diese Wahl zu begründen - und zu rechtfertigen.<br />

Immerh<strong>in</strong> habe ich zehn Jahre me<strong>in</strong>es <strong>Übersetzer</strong>lebens mit Zwetajewa zugebracht.<br />

Ihre radikalen Sprachgesten fasz<strong>in</strong>ieren mich nach wie vor, während ich <strong>in</strong> ihren Capricen<br />

und Manierismen trotzige Selbstverliebtheit zu erkennen glaube. Als Person<br />

ist sie mir längst zur Schwester geworden. Doch gab es Zeiten, da ich fürchtete, zu<br />

ihrem Double zu werden. Was mit Anziehung beg<strong>in</strong>nt, kann leicht zur Überidentifikation<br />

führen und sich schliesslich <strong>in</strong>s Gegenteil verkehren. <strong>Der</strong> Vorgang des Übersetzens<br />

kennt alle Stadien zwischen Nähe und Distanz, zwischen Empathie und


kritischer Kontrolle. Als Nachdichter b<strong>in</strong> ich Medium und Handwerker - ohne me<strong>in</strong><br />

Selbst verleugnen zu können. Je enger die Beziehung zwischen dem eigenen<br />

Personalstil und dem des zu übersetzenden Werkes, desto müheloser das<br />

Gel<strong>in</strong>gen. Obwohl <strong>in</strong> allzu grosser Ähnlichkeit auch Gefahren lauern können.<br />

Aff<strong>in</strong>ität ist e<strong>in</strong> möglicher, aber ke<strong>in</strong> zw<strong>in</strong>gender Anreiz, das Schreiben gegen das<br />

Übersetzen e<strong>in</strong>zutauschen. Es gibt auch die Lust an der Maskierung, an der<br />

Verwandlung, am E<strong>in</strong>tauchen <strong>in</strong> fremde Welten. Herausforderung und Risiko s<strong>in</strong>d<br />

hier beträchtlich, beträchtlich aber auch der Lerngew<strong>in</strong>n und die Befriedigung, wenn<br />

der Versuch gel<strong>in</strong>gt. Als ich mich vor Jahren entschloss, Danilo Kiš' Roman «E<strong>in</strong><br />

Grabmal für Boris Dawidowitsch» zu übersetzen, galt die Wahl dem Fremden,<br />

Anderen. Nicht nur hätte ich mich selber nie an das Thema «Die russische Revolution<br />

frisst ihre eigenen K<strong>in</strong>der» gewagt, auch der komprimierte, schneidend scharfe<br />

Stil dieser fiktionalisierten Dokumentarprosa war mir gänzlich unvertraut. Es begann<br />

damit, dass ich den (historischen) Stoff studierte und mir, Satz für Satz, e<strong>in</strong>e neue<br />

Sprache zulegte. Wie sich später zeigte, mit Erfolg. Es war e<strong>in</strong> hartes Exerzitium,<br />

das zu grosser Diszipl<strong>in</strong> zwang. Während ich gewohnt war, mit dem Ohr zu arbeiten,<br />

verlangte Kiš' gemeisselter Stil nach äusserster Präzision.<br />

Me<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dungsgabe bemühte sich um Lösungen der Kürze, um die Poesie der<br />

Prägnanz. Und machte so viele Entdeckungen, dass ich, e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>geübt <strong>in</strong> das ästhetische<br />

Alphabet des Danilo Kiš, diese Welt nicht so schnell wieder verlassen<br />

mochte. In der Folge übersetzte ich weitere Bücher des serbisch-ungarisch-jüdischen<br />

<strong>Autor</strong>s, darunter se<strong>in</strong> wohl schwierigstes, den Roman «Sanduhr». Es wurde,<br />

trotz den mich familiär anmutenden mitteleuropäisch-pannonischen Schauplätzen,<br />

zur Geduldsprobe. Das Material erwies sich als widerständig, fordernd, tückisch.<br />

<strong>Der</strong> komplizierte Aufbau, die Montagetechnik, die m<strong>in</strong>uziösen Beschreibungen und<br />

Verweise liessen kaum Spielraum für eigene Inventionen. Ich folgte gehorsam e<strong>in</strong>er<br />

strengen Regie. Was schliesslich herauskam, war e<strong>in</strong> gestaltetes Gegenüber. Heute<br />

zählt diese Übersetzung zu me<strong>in</strong>en liebsten. Ich habe sie mir wörtlich abgerungen,<br />

ich fühle mich verantwortlich für sie. Nicht zuletzt, weil der Leser ihr auf ergreifendunsentimentale<br />

Art entnehmen kann, wie das mitteleuropäische Judentum zum<br />

Verschw<strong>in</strong>den gebracht wurde.


Arbeit an Klang und Rhythmus<br />

Mit Marguerite Duras war es e<strong>in</strong> vergleichsweise leichtes Spiel. Auf dem Ladentisch<br />

e<strong>in</strong>er südfranzösischen Kle<strong>in</strong>stadt entdeckte ich die schmale Sommerchronik «L'Eté<br />

80». Kaufte sie, las und wusste, dass ich sie übersetzen wollte. Was mich auf<br />

Anhieb verführte und bestach, war die Sprache: ihr Sound, ihr Rhythmus, ihr weiter<br />

Atem. Sie erzählte von den Aufständen <strong>in</strong> Danzig und vom Strandleben <strong>in</strong> Trouville,<br />

vom Regen, von K<strong>in</strong>dermärchen und von der Liebe, <strong>in</strong> lockerer Abfolge. Dieses<br />

Sprechen schien von ke<strong>in</strong>er Anstrengung diktiert. Ich übernahm es fliessend. E<strong>in</strong><br />

Jahr nach der ersten Lektüre lag das orangefarbene Bändchen der Edition<br />

Suhrkamp auf me<strong>in</strong>em Tisch. Es war e<strong>in</strong> glücklicher Anfang. - Die Übersetzung des<br />

unerwartet zum Bestseller avancierten Romans «L'Amant» stand unter Term<strong>in</strong>- und<br />

Erfolgsdruck. Vorbei der Sommerflirt, bis tief <strong>in</strong> den W<strong>in</strong>ter h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> schwitzte ich im<br />

tropischen Indoch<strong>in</strong>a.<br />

Die beabsichtigten Une<strong>in</strong>deutigkeiten des Orig<strong>in</strong>als kumulierten sich zu e<strong>in</strong>er<br />

Fragenliste, die die <strong>Autor</strong><strong>in</strong> nicht beantworten mochte. Umso mehr beherzigte ich ihr<br />

ketzerisches Diktum, wonach die musikalischen Fehler die schlimmsten seien. Um<br />

Musik g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> jedem Satz, da konnte ich mich auf me<strong>in</strong> Ohr verlassen. Um den<br />

betörenden Sound e<strong>in</strong>er «Lauterotik»: «Hélène Lagonelle. Elle est beaucoup plus<br />

belle que moi, que celle-ci au chapeau de clown . . .» So galt die Detailarbeit dem<br />

Klang und dem Rhythmus, die mich auch im eigenen Schreiben beschäftigen. Ich<br />

kaue die Sätze, ich sage sie halblaut vor mich h<strong>in</strong>. Ihre Perioden und Schlüsse<br />

müssen stimmen, bis auf die Silbe genau. Ke<strong>in</strong> «Cave musicam!» kann mich von<br />

solcher Arithmetik abbr<strong>in</strong>gen.<br />

Trotz grossem Zeitdruck unterbrach ich die Übersetzung des «Liebhabers», um e<strong>in</strong>e<br />

eigene Erzählung zu schreiben, um zum Orig<strong>in</strong>alton zurückzuf<strong>in</strong>den. Es gibt die<br />

Angst, «to get lost <strong>in</strong> translation» (wie e<strong>in</strong> Buchtitel von Eva Hoffman heisst), und es<br />

gibt - gerade bei <strong>Autor</strong>en, zu denen man e<strong>in</strong>e Aff<strong>in</strong>ität verspürt - jähe Idiosynkrasien.<br />

Nachdem der Text geschrieben war, hatte sich der <strong>in</strong>nere Aufruhr wieder gelegt, die<br />

Antennen standen alle auf Duras-Empfang.


Wie funktioniert die Osmose zwischen <strong>Autor</strong> und <strong>Übersetzer</strong>? Inwieweit färbt der<br />

Personalstil des Schriftsteller-<strong>Übersetzer</strong>s auf se<strong>in</strong>e Übertragungen ab, und<br />

<strong>in</strong>wiefern bee<strong>in</strong>flussen die Werke, die er übersetzt, se<strong>in</strong> eigenes Schreiben? Die<br />

Antwort fällt nicht leicht, weil diese Prozesse meist unbewusst ablaufen. Selbst die<br />

Wahl e<strong>in</strong>es zu übersetzenden Werkes ist komplex und lässt ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigen<br />

Schlüsse zu. Da übersetze ich Duras und gleichzeitig das Duras'sche Gegenprogramm:<br />

Danilo Kiš. Was gibt, vom Postulat künstlerischer Qualität e<strong>in</strong>mal abgesehen,<br />

den Ausschlag: Nähe oder Ferne, Aff<strong>in</strong>ität oder Fremdheit? Mal das e<strong>in</strong>e, mal<br />

das andere, gelegentlich auch beides. Nur darf die Wahl me<strong>in</strong>e translatorischen Fähigkeiten<br />

nicht überfordern, denn ich möchte e<strong>in</strong> Äquivalent schaffen, um jeden<br />

Preis. <strong>Der</strong> Kunstanspruch ist e<strong>in</strong>e hohe Latte. Diesem Anspruch zuliebe ist man<br />

sogar bereit, da und dort Verrat zu üben (traduttore - traditore). Poetische Lizenzen<br />

s<strong>in</strong>d erlaubt, wo der Text sie erfordert. Oder darüber h<strong>in</strong>aus? Me<strong>in</strong> persönliches<br />

<strong>Übersetzer</strong>ethos basiert auf grösstmöglichem Respekt vor dem Orig<strong>in</strong>altext, ich<br />

sehe me<strong>in</strong>e diskrete Aufgabe dar<strong>in</strong>, ihn optimal wiederzugeben. Vor allem darf ich<br />

se<strong>in</strong>en Ton nicht verfehlen: C'est le ton qui fait la musique. Was hat da me<strong>in</strong> eigener<br />

Personalstil zu suchen? Trifft er sich mit dem Stil des Werks, umso besser. Wenn<br />

nicht, muss ich mich zurücknehmen zugunsten des anderen. So weit das Pr<strong>in</strong>zip. In<br />

praxi sucht sich die Kreativität viele Wege und Ventile, um ihre Vorlieben, ihre<br />

Stärken auszuleben. Me<strong>in</strong> genu<strong>in</strong>es Interesse für sprach<strong>in</strong>tensive Texte leitet mich<br />

auch beim Übersetzen. Je mehr mir die Sprache zumutet, desto erf<strong>in</strong>derischer kann<br />

ich mich gebärden. Herausforderung stimuliert, birgt vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten.<br />

Wiederdichten<br />

Trotzdem: Nachschaffen ist nicht Schaffen, me<strong>in</strong> Part e<strong>in</strong> sekundärer, die Freiheit<br />

begrenzt. Will ich die ganze, mache ich mich an den eigenen Text. Oder kl<strong>in</strong>gt das<br />

zu kategorisch? Ist Übertragung nicht per se «e<strong>in</strong>e Mischung aus Selbstaufgabe<br />

und Selbstbehauptung» (Bernhard Böschenste<strong>in</strong>)? Und wäre es nicht naheliegend,<br />

dass me<strong>in</strong>e Übersetzungen e<strong>in</strong>e unverkennbare Handschrift tragen, dass die<br />

«Opusphantasie» (Peter von Matt) auch <strong>in</strong> ihnen am Werk ist? Das mögen Drittpersonen<br />

beurteilen, der Blick von aussen sieht mehr. Auf Selbstauskünfte ist bekanntlich<br />

nicht immer Verlass. Von Peter Handke, der für sich das Wort «Wieder-


dichten» (statt Nachdichten) reklamiert, stammt der Satz: «Möglichkeit und Paradox<br />

des Übersetzenden: Mitspielend, lässt er sich aus dem Spiel; er wird se<strong>in</strong> Selbstspiel<br />

los, <strong>in</strong>dem er mitspielt.» Doch zeigt sich gerade bei <strong>Autor</strong>en-<strong>Übersetzer</strong>n wie<br />

Peter Handke, Ernst Jandl oder Jürg Laederach, um nur diese drei zu nennen, dass<br />

sie sich selber mit übersetzen - wie Maler, die ihre eigene Physiognomie <strong>in</strong> fremde<br />

Gesichter e<strong>in</strong>schreiben. So entstehen charaktervolle Übertragungen (mit partiellen<br />

bl<strong>in</strong>den Flecken). Im Extremfall sagen sie mehr über den <strong>Übersetzer</strong> als über den<br />

Übersetzten aus. Wie aber verhält es sich, umgekehrt, wenn das eigene Schreiben<br />

unter den E<strong>in</strong>fluss des Werks gerät, das man überträgt? Beim Übersetzungsvorgang<br />

f<strong>in</strong>det ja e<strong>in</strong> Austausch von seltener Intensität statt. Man ist nicht nur Leser<br />

und Interpret, sondern Anverwandler und Nachschöpfer. <strong>Der</strong> fremde Tonfall setzt<br />

sich im Ohr fest, arbeitet weiter.<br />

Wenn ich denn von e<strong>in</strong>em übersetzten Text angesteckt wurde, so von se<strong>in</strong>er Melodie,<br />

se<strong>in</strong>em Sound-Pattern, nicht von Inhalt und Sujet. Wobei das unbewusst ablief,<br />

wie das Horchen auf e<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Gemurmel. E<strong>in</strong> Beispiel habe ich zur Hand. Gegen<br />

Ende von Marguerite Duras' Roman «<strong>Der</strong> Liebhaber» kommt es zu jener anrührenden<br />

Abschiedsszene, wo die junge Frau den Ozeandampfer besteigt und sich von<br />

ihrer Saigoner Jugend und dem ch<strong>in</strong>esischen Lover entfernt. Es ist e<strong>in</strong>e der stärksten<br />

Stellen des Buches. In me<strong>in</strong>er Übertragung, die dem Rhythmus des Orig<strong>in</strong>als<br />

weitgehend folgt, endet sie so: «Und dann, zuletzt, nahm die Erde die Gestalt des<br />

Schiffs <strong>in</strong> ihre Krümmung. Bei klarem Wetter konnte man es langsam s<strong>in</strong>ken sehen.»<br />

Kurz nach Abschluss der Übersetzung schrieb ich e<strong>in</strong>e Erzählung, die <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheitsstadt Triest spielt (»Arsenal»). Ihr letzter Abschnitt lautet so: «Ke<strong>in</strong><br />

Wort. Sie duschten. Sie assen. Und dann, um sich ihrer Niederlage zu vergewissern,<br />

überliess die Frau das K<strong>in</strong>d dem toten Körper der Nacht.» Nicht das Meer,<br />

nicht die Schiffe bilden das Verb<strong>in</strong>dungsglied zu Duras, sondern der Satzrhythmus,<br />

genauer jenes «und dann», das Stossseufzer und letztes Atemholen zugleich ist.<br />

Die luftige Leichtigkeit von Duras' Sätzen entspricht wesentlich me<strong>in</strong>em eigenen<br />

Ideal von syntaktischer Kürze und Prägnanz. Parataxe statt Hypotaxe, Tendenz zur<br />

Elliptik, komb<strong>in</strong>iert mit melodischer Rhythmizität. Duras mag es weicher, ich härter,<br />

und die Sprachen selbst tun das ihre. Aber am Schwebenden führt ke<strong>in</strong> Weg vorbei.<br />

In me<strong>in</strong>er Lyrik, vor allem im letzten Gedichtband, «Love after love. Acht Abgesänge»,<br />

gibt es gekappte Sätze und e<strong>in</strong>en expressiven Staccato-Rhythmus, der e<strong>in</strong>ige


me<strong>in</strong>er Leser an den Versstil Mar<strong>in</strong>a Zwetajewas er<strong>in</strong>nerte. Beim Schreiben hatte<br />

ich - bis auf e<strong>in</strong> Zitat («das Brot tut weh») - nicht an Zwetajewa gedacht, von der<br />

ich hauptsächlich Prosa übersetzt habe. Fragt sich also, ob die (verme<strong>in</strong>tliche)<br />

Ähnlichkeit auf e<strong>in</strong>er «typologischen Verwandtschaft» beruht oder ob <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em<br />

Gedächtnisraum Zwetajewa-Klänge nachhallen. Letzteres ist nicht auszuschliessen.<br />

Das <strong>in</strong>nere Gemurmel ist vielstimmig.<br />

Parallelen<br />

Ich suche nun, post festum und gewollt, nach e<strong>in</strong>er möglichen Parallele. Greife zu<br />

Zwetajewas «Poem vom Ende» (1924), das sprachradikal und gnadenlos Abschied<br />

von e<strong>in</strong>er Liebe nimmt. «Zusammengezuckt - die Qual / Total: Unsre Bar! <strong>Der</strong> Saal, /<br />

/ Die Insel - der Ort, / Hort, wo wir immerfort // Uns trafen - e<strong>in</strong> loses Paar! / Die Bar<br />

- unser Tempel war's!» In e<strong>in</strong>em me<strong>in</strong>er «Abgesänge» heisst es: «. . . im Himmel / <strong>in</strong><br />

den Flugzeugtieren / da ist de<strong>in</strong> Ort / von hier nach dort / fort / und so niemals retour<br />

/ im Nowhere-Land . . .» Zwetajewa ist strenger: Sie folgt e<strong>in</strong>em Metrum, reimt (fast<br />

durchgehend männlich), während me<strong>in</strong> Staccato aus kurzen Versen und e<strong>in</strong>silbigen<br />

Wörtern, die sich mitunter reimen, resultiert. Zwetajewa (<strong>in</strong> der Übersetzung von Felix<br />

Philipp Ingold): «Wir haben ausgespielt, / Damen, Herren - Schluss! / Vorstadt?<br />

Ist ke<strong>in</strong> Ziel! / Grossstadt? Me<strong>in</strong> Genuss! // Regen peitscht. Und schwemmt. / Aufrecht<br />

- wir - verkeilt. / Monate getrennt. / Erstmals - jetzt - zu zweit.» Hart ist auch<br />

me<strong>in</strong> Rhythmus: «. . . zwischen Verrat / und dem was Draht heisst / unisone Saite /<br />

besteht nur e<strong>in</strong> haarfe<strong>in</strong>er / Unterschied / Schritt Fehltritt / Dynamit - / und Schnitt /<br />

und Ritt <strong>in</strong>s Out / o traute Szenerie / und der Drang zurück / <strong>in</strong>s Glück des<br />

Zwangs . . .» Natürlich wäre auch vom Hang zum Paradox und zur Ellipse zu reden<br />

sowie von anderem, was mich mit Zwetajewa verb<strong>in</strong>det. Doch ist sie nur e<strong>in</strong>e von<br />

vielen Stimmen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Kopforchester.<br />

Damit komme ich zur letzten Frage: Wie geht der <strong>Autor</strong>-<strong>Übersetzer</strong> mit dem <strong>in</strong>neren<br />

Stimmengewirr um, mit den möglichen Interferenzen? Als <strong>Übersetzer</strong> ist er angehalten,<br />

Hallraum zu se<strong>in</strong>, als <strong>Autor</strong> drängt es ihn, die eigene Stimme zu erheben. Als<br />

<strong>Autor</strong> und <strong>Übersetzer</strong> <strong>in</strong> Personalunion muss er die diversen Stimmen sortieren -<br />

die e<strong>in</strong>en dämpfen, die anderen verstärken. E<strong>in</strong> zutiefst <strong>in</strong>dividueller Vorgang, der<br />

zu entsprechend unterschiedlichen Ergebnissen führt. Es steht also nicht Inkompati-


ilität zur Debatte, sondern Stimmenmanagement. Im Wissen, dass letztlich nur der<br />

Kunstanspruch zählt. «Übersetzen ist so gut dichten», schrieb Novalis an August<br />

Wilhelm Schlegel, «als eigene Werke zustande br<strong>in</strong>gen - und schwerer, seltener.<br />

Am Ende ist alle Poesie Übersetzung.»<br />

<strong>Ilma</strong> <strong>Rakusa</strong><br />

(Neue Zürcher Zeitung, Nr.124, 31.Mai / 1.Juni 2003)

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