tadt gespräche - Stadtgespräche Rostock
tadt gespräche - Stadtgespräche Rostock
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S <strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong><br />
S<br />
<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong><br />
Zwischen Staat und Community: Ehrenamt<br />
Magazin für Bewegung, Motivation<br />
und die nachhaltigen Kultivierung<br />
der Region <strong>Rostock</strong><br />
Gründung: 1994<br />
10. Jahrgang<br />
ISSN 0948-8839<br />
Einzelverkaufspreis: 2,50 Ä<br />
Jahresabo (4 Ausgaben): 10,00 Ä<br />
www.s<strong>tadt</strong>gespraeche-rostock.de<br />
Olaf Reis:<br />
Ehre, Amt und Würden<br />
40<br />
September 2005<br />
B. Kluger:<br />
Freiwilliges Engagement<br />
in der Postmoderne<br />
Steffen Wandschneider:<br />
Bürgerschaftliches Ehrenamt<br />
Anne Blaudzun:<br />
LOHRO<br />
Conny Töpfer: Gewerkschaften<br />
Peter Köppen:<br />
Ein Oberstleutnant<br />
der NVA ...<br />
Jens Langer:<br />
An der Schnittstelle<br />
von Pflicht und Freiwilligkeit<br />
Interview<br />
mit der Wolfgang Methling (Kulturstiftung)<br />
Cornelia Mannewitz:<br />
„Alma mater“ heißt nicht ‚melkende<br />
Kuh’
Kommentiert<br />
Damit Sie verstehen, was andere meinen.<br />
90% des deutschen Energiemarktes teilen sich die vier großen Energieunternehmen Vattenfall, Eon, RWE und<br />
EnBW. Damit besteht rein faktisch ein „informelles Kartell“, dass dem Markt die Energiepreise diktiert und dies je<br />
nach Belieben mit angeblich teuren Umweltenergien, dem Ölpreis oder steigenden Kosten für Durchleitung oder<br />
Sicherheit begründet. Ein Wechsel des Anbieters lohne damit immer weniger. „Von Wettbewerb spricht kaum noch<br />
jemand“, meint Thorsten Kasper, Energiereferent im Bundesverband der Verbraucherzentralen.<br />
Die Marktkonzentration geht weiter - mit „Neuer Stärke“ nicht für den Kunden, sondern gegen ihn. Und die „Vertraute<br />
Energie“ kennen wir: aus Kohle, Atomkraft und Blut für Öl.
EDITORIAL / INHALT<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Wussten Sie, dass der deutsche<br />
Staat deutlich mehr Geld für<br />
gemeinnütziges Engagement<br />
ausgibt als seine westeuropäischen Nachbarn? Von ihm stammen<br />
64 % der dafür aufgewendeten Gelder, nur reichlich 3 Prozent dagegen<br />
aus Spenden und Stiftungen…<br />
Ehrenamtliche Tätigkeit, der so genannte „Dritte Sektor“, der<br />
Non-profit Bereich - diese Begriffe konturieren das neue Heft<br />
und sind doch nicht ausreichend, das ganze Spektrum zu beschreiben.<br />
Unsere Fragen waren vielfältiger: Welchen Beitrag<br />
leistet ehrenamtliche Tätigkeit dazu, unsere Sozialstruktur, unser<br />
kulturelles und politisches Leben so zu gestalten, wie es heute verläuft?<br />
Was wäre dieses Land ohne sie? Wie breit ist das Spektrum<br />
ehrenamtlicher Tätigkeiten in Deutschland? Was unterscheidet<br />
hiesige Ehrenamtlichkeit von der anderer Länder, z.B. der in den<br />
USA? Was sind die Motivationen für diese Form des Engagements?<br />
Die ersten Beiträge betrachtet das Thema als gesellschaftliches<br />
Phänomen, fragt nach der Situation speziell unter Jugendlichen<br />
und damit implizit auch nach der Perspektive ehrenamtlicher Tätigkeit<br />
und gibt Informationen und Hinweise für weiterreichende<br />
Sachfragen. Im zweiten Teil kommen konkrete Beispiele zur Sprache:<br />
Ehrenamtler berichten über ihre eigene Tätigkeit oder werden<br />
vorgestellt - und liefern auf diese Weise einen Eindruck, auf wie<br />
vielen Ebenen <strong>Rostock</strong> nur durch unbezahltes Engagement<br />
„funktioniert“.<br />
Eine anregende und motivierende Lektüre wünscht Ihnen Ihre<br />
Inhalt dieses Heftes<br />
Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
Briefe an die Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Nachlese<br />
Björn Kluger: Das rote Sofa . . . . . . . . . . . . . . .5<br />
Titelthema „Ehrenamt“<br />
Olaf Reis: Ehre, Amt und Würden . . . . . . . . . .6<br />
Björn Kluger: Freiwilliges Engagement in der<br />
Postmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9<br />
Steffen Wandschneider: Bürgerschaftliches Ehrenamt<br />
in <strong>Rostock</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12<br />
Anne Blaudzun: LOHRO - das ist … . . . . . . .15<br />
Conny Töpfer: Gewerkschaften und ehrenamtliche<br />
Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18<br />
Björn Kluger: Freiwillig zur Literatur . . . . . . .19<br />
Peter Köppen: Ein Oberstleutnant ... . . . . . . .20<br />
Jens Langer: An der Schnittstelle ... . . . . . . . . .22<br />
Interview mit Wolfgang Methling / Kulturstiftung<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24<br />
Zum Weiterdenken: eine Linkliste . . . . . . . . . .26<br />
Universitas<br />
Cornelia Mannewitz: „Alma mater“ heißt nicht<br />
‚melkende Kuh' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28<br />
So betrachtet/Rezension<br />
Cornelia Mannewitz: Das Sommertheater ist<br />
vorbei ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30<br />
Jens Langer: Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . .32<br />
Ehrenplatz<br />
1
2<br />
BRIEFE AN UNSERE LESER<br />
Briefe an die Leser*<br />
Hier irrte der sonst so gute<br />
Tom M.,<br />
nicht etwa weil er selbst in Mathe nicht aufgepasst<br />
hätte, nein, dem Spiegel ist er auf<br />
den onLeim gegangen. Der wollte gewiss<br />
seinen Intelli-Lesern, von denen er wohl vermutet,<br />
dass sie zwar viel mit Potenz, wenig<br />
aber mit Mathe und Potenzen im Sinn haben,<br />
die mittelschulhöhere Mathematik nicht<br />
zumuten. So hat er halt die Formel für den<br />
Body-Mass-Index ein bisschen abgewandelt<br />
und aus ‘Körpergewicht in kg geteilt durch<br />
Körperhöhe in m zum Quadrat’ die zitierte<br />
ungenaue Definition gemacht, und der Tom<br />
hat die zweite Körpergröße über den Bruchstrich<br />
praktiziert, wo sie sich sinnloserweise<br />
nicht potenziert, sondern durch sich selbst<br />
teilt und Eins wird, was dann eben ‘kürzen’<br />
heißt. Eine probate Methode für alle Haushalts-Mathe-Künstler.<br />
Hätte sich der Tom Rat geholt bei der Frau<br />
Dr. vom Herrn Dr. Jens, wär´s nicht passiert.<br />
So eine Potenzierung unter dem Bruchstrich<br />
hat in der Biologie und besonders bei den<br />
menschlichen Dimensionen ihr Gutes. Erstens<br />
bleibt das Ergebnis, solange die Körperhöhe<br />
unter 2,0m steht, und da liegt sie ja<br />
meistens, unter dem Doppel und hebt damit<br />
den BMI über die Magersucht. Zweitens<br />
stellt das Quadrat eine Beziehung zur Körperoberfläche<br />
her und das ist für den Stoffwechsel<br />
wie die Ernährung eine engere Beziehung<br />
als die zum Gewicht. Damit kriegen<br />
die Dicken dann drittens keinen ganz so großen<br />
Schreck, wenn sie immer mehr zunehmen,<br />
denn ein BMI von 58,6kg/m2E hört<br />
sich viel harmloser, aber auch wissenschaftlicher<br />
an, als ein Gewicht von drei Zentnern<br />
bei einem Frauchen von Einssechzig.<br />
Aber ansonsten hat der Tom wie immer viele<br />
Nägel auf die Köpfchen getroffen und hat<br />
völlig recht (und da pfeiff ich auf die rechtschreibreform)<br />
in Bezug auf die ‘tendenziöse’,<br />
oft auch hämische Berichterstattung in<br />
den Westmedien über den Osten, nicht nur<br />
über den deutschen, mit den Seitenhieben<br />
auf Moneta und Co. und überhaupt...<br />
Gratulation zum neuen Heft, überhaupt keine<br />
Stagnation!<br />
Gruß vom treuen Leser<br />
Tom C. Zak<br />
PS: Noch ein kurzes Gedicht gefällig?<br />
Fatal<br />
Von Tom C. Zak<br />
Mich deucht, mir dünkt<br />
Jetzt dächte ich.<br />
Gedacht, getan und<br />
Frisch drauf los<br />
Nur her die Feder,<br />
Ran, voran.<br />
Ja, denkste!<br />
. - (Punkt, Gedankenstrich)<br />
Das ist gaanz anders,<br />
Es denkt mich.<br />
Für Herman van Veen zum Sechzigsten<br />
Ehemalige IGA,<br />
wir genießen ja gelegentlich die Anmut Deiner<br />
Freiflächen, allerdings erfahren wir gelegentlich<br />
auch, was uns diese Freiheit kostet.<br />
An alten und neuen Kosten. Und da fragen<br />
wir uns natürlich, selbst wenn mehr oder weniger<br />
Namenhafte uns versichern, dass Du<br />
mitnichten ein Fass ohne Boden, sondern<br />
ein Park- und Messegelände seist, wie Du<br />
unsere Bürgerschaft immer wieder dazu<br />
bringst, dass sie anstandslos und Dir zu Liebe<br />
eine Million nach der anderen durchwinkt,<br />
währenddessen um jeden Heller für<br />
Schulen, Jugendklubs, Kleinkultur und andere<br />
Randgruppen gestritten wird. Wahrscheinlich<br />
bist Du inzwischen so eine Art<br />
kommunaler „Sachzwang“ bei dem sich das<br />
Schrecken ohne Ende immer noch mehr<br />
lohnt, als das Ende mit Schrecken. Zumindest<br />
für den oder die einen oder anderen.<br />
Aber selbst wenn einer Hanses<strong>tadt</strong> wie der<br />
unseren ein solches Gelände gut zu Gesicht<br />
steht, stellt sich mittelfristig doch die Frage,<br />
wie teuer Deine Anmut erkauft ist, was alternativ<br />
möglich wäre und welche Idee es generell<br />
von einem <strong>Rostock</strong> jenseits der „Großmachtvisionen“<br />
gibt.<br />
Blumengrüße: Die S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong>.<br />
Gut, Ostämter!<br />
Nachdem die US-amerikanische Handelskammer<br />
noch vor Jahresfrist davor warnte,<br />
zumindest in Mecklenburg-Vorpommern zu<br />
investieren, weil die hiesigen Finanzämter<br />
jenseits aller Spielräume und übertrieben<br />
unternehmerfeindlich agierten, hat die IFC<br />
als Weltbank-Tochter in seinem aktuellen<br />
Ranking „Doing Business in 2006“ festge-<br />
* Solange Sie uns nicht schreiben, schreiben wir Ihnen. Es heißt ja „S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong>“ und wir nehmen den Titel unseres Magazins ernst. Die „Briefe an unsere<br />
Leser“ (in die Sie sich gerade vertiefen) hat uns als Rubrik so gefallen, dass wir sie von einer untergehenden deutschen Zeitschrift übernommen haben. Übrigens libevoll<br />
zusammengestellt von Tom Maercker, Redaktionsmitglied.
stellt, dass Deutschland zwar nur auf Platz<br />
19 nach Estland und Litauen zu finden ist,<br />
die ostdeutschen Länder sich aber überproportional<br />
gut entwickelt hätten. Und in<br />
Mecklenburg dann in fünfzig Jahren,<br />
schätzen: Die S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong>.<br />
Und nun Tacheles, Energiewirtschaft.<br />
Deine Lobbyisten lassen ja nichts unversucht,<br />
jedem der es nicht wissen will oder<br />
Halbgebildeten, wie der Presselandschaft<br />
klarzumachen, dass die Ökostrompazifisten<br />
nicht nur am Golfkrieg, Grünkernbrätlingen<br />
und den hohen Windenergiesubventionen<br />
schuld sind. Jetzt aber gibt es Zahlen: Allein<br />
80% der ostdeutschen Braunkohleflächen<br />
sind bis jetzt saniert worden. Für schlappe<br />
7.500.000.000 Euro. Aus Steuermitteln. Und<br />
das sind nur die landschaftsgestalterischen<br />
Maßnahmen. Niemand spricht hier von den<br />
indirekten Schäden für die Umwelt, den Folgen<br />
des Treibhauseffekts usw. Nimmt man<br />
die jährlichen 6.000.000.000 Euro Steinkohlesubventionen/West<br />
dazu und die Mittel,<br />
die zur Erforschung, Markteinführung, Sicherung,<br />
Entsorgung und Endlagerung der<br />
Atomenergiewirtschaft direkt und indirekt<br />
aus Steuermitteln aufgebracht worden sind,<br />
nimmt sich die Unterstützung der regenerativen<br />
Energien eher wie ein Taschengeld aus,<br />
das von den Abnehmern zudem weitgehend<br />
bewusst privat getragen wird.<br />
Allerdings finden wie so einen kleinen<br />
Atommeiler auch ganz ästhetisch.<br />
Aus der Ferne: Die S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong>.<br />
Hansa-Management<br />
man sagt, Deine Geschäftspolitik sei die: gute<br />
Spieler hochzüchten und dann meistbietend<br />
auf dem Legionärsmarkt zu verscherbeln,<br />
um Deine nicht ganz unerheblichen<br />
Kosten zu decken. Aber auch Dir sollte es<br />
inzwischen aufgefallen sein, dass wer zuviel<br />
Werkzeug verkauft am Ende dasteht, wie<br />
Hans im Glück (oder hinter „Wacker Burghausen“!!).<br />
Die Frage ist nur, wer dann das<br />
Stadion nimmt? Die S<strong>tadt</strong> hat ja schon genügend<br />
„Sachzwänge“. Und „Holz-Arena“<br />
klingt irgendwie nach „Kunst-Passage“. All-<br />
lerdings gibt es mittlerweile einige aufstrebende<br />
Sportarten in der S<strong>tadt</strong>, die nicht<br />
großkotzig auf Kleins<strong>tadt</strong>niveau umherdümpeln,<br />
sondern Welt- und Europaniveau<br />
erreicht bzw. auch schon entsprechende<br />
Meister hervorgebracht haben, wie z.B. Frisbee<br />
und Kubb, beide zur Zeit noch ohne<br />
feste Spielstätten.<br />
Aber da es ja inzwischen gute Gewohnheit<br />
wird, dass Vorstände und Geschäftsleitung<br />
Ihre Gehälter offenlegen, warten wir ganz<br />
entspannt, bis die ganze Blase implodiert.<br />
Sport frei: Die S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong>.<br />
Sozis,<br />
wir haben ja mit Euch gehofft und gebangt.<br />
Und wir haben gekämpft, gelitten, verziehen<br />
und gebetet. Obwohl Ihr die Kriegskredite<br />
befürwortet und die Rosa auf dem Gewissen<br />
habt. Und den Karl. Und die Revolution.<br />
Damals im November. Und dann habt<br />
Ihr die Linke gespalten, habt Adolf zugelassen.<br />
Und Stalin. Die SED mitgegründet.<br />
Pershings stationiert. Den Radikalenerlass.<br />
Das BKA. Schilly’s Biometriepass - um nur<br />
einige Eurer kleinen Schelmereien zu nennen.<br />
Wir haben lange überlegt, was Euch<br />
ausmacht, den Kern, Euer Credo. Wir wollten<br />
mit, wo Ihr hinwollt. Und dann ist uns<br />
das taoistische Prinzip klargeworden: Der<br />
Weg ist das Ziel. Das Sein an sich ist Grund<br />
genug. Ihr seid praktisch die nonkonfessionelle<br />
Antwort auf die katholische Kirche.<br />
Niemand hinterfragt mehr ernsthaft den<br />
Sinn oder die Notwendigkeit. Kein Gottesbeweis,<br />
keine schnellen Veränderungen. Der<br />
gute Mensch genügt, eventuell ein vages<br />
Glaubensbekenntnis hin zur Mitte von alllem.<br />
Zum Strom. Der fließt, gesetzmäßig<br />
irgendwie, irgendwohin. Panta rei. Keine Eile.<br />
Langsam Vorwärts. Man sagt noch: Genosse,<br />
aus Tradition. Reih’ Dich ein. Weiter<br />
so. Klippen umschiffen, werden rund, konform.<br />
Gelegentlich Mäander nach rechts<br />
und links, nie zu viel. Integrativ bleiben.<br />
Führungsanspruch manifestiert sich aus sich<br />
heraus, dem Quell von allem. Quasi evolutionär,<br />
göttlich. Elysium. Feuertrunken.<br />
War das irgendwie so am bewussten Abend,<br />
Gerhard?<br />
Die S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong>.<br />
Impressum<br />
S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong> Heft 40:<br />
„Ehrenamt“<br />
Ausgabe September 2005<br />
(Redaktionsschluss: 23. September 2005)<br />
Herausgeber:<br />
Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft e.V.<br />
<strong>Rostock</strong> in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt<br />
<strong>Rostock</strong> e.V.<br />
Redaktion und Abonnement:<br />
Redaktion »S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong>«<br />
Warnowufer 65<br />
18057 <strong>Rostock</strong><br />
Tel. 0381-1216413<br />
Fax 0381-1216413<br />
E-Mail: redaktion@s<strong>tadt</strong>gespraeche-rostock.de<br />
Internet: www.s<strong>tadt</strong>gespraeche-rostock.de<br />
Verantwortlich (V.i.S.d.P.):<br />
Tom Maercker<br />
Dr. Kristina Koebe<br />
Redaktion:<br />
Dr. Kristina Koebe<br />
Tom Maercker<br />
Dr. Peter Koeppen<br />
Dr. Jens Langer<br />
Björn Kluger<br />
Die einzelnen Beiträge sind namentlich gekennzeichnet<br />
und werden von den Autorinnen und Autoren selbst<br />
verantwortet.<br />
Layout:<br />
Tom Maercker, be:deuten.de<br />
Mediadaten:<br />
Gründung: 1994<br />
Erscheinung: 10. Jahrgang<br />
ISSN: 0948-8839<br />
Auflage: 250 Exemplare<br />
Erscheinung: quartalsweise<br />
Einzelheftpreis: 2,50 EUR<br />
Herstellung: durch Kopieren (Copy-Team <strong>Rostock</strong>)<br />
Kopie auf 100% Recycling-Papier<br />
Anzeigenpreise (Kurzfassung):<br />
(ermäßigt / gültig für 2005)<br />
3. Umschlagseite (Spalten-Millimeter-Preis): 0,25 EUR<br />
4. Umschlagseite (nur komplett): 145,00 EUR<br />
Details auf unserer Website im Internet<br />
Verkausstellen:<br />
Unibuchhandlung Thalia, Breite Str. 15-17<br />
Unibuchhandlung Weiland, Kröpeliner Str. 80<br />
die andere Buchhandlung, Ulmenmarkt 1<br />
Evangelische Buchhandlung. Am Ziegenmarkt 4<br />
Bürgerhaus KTV, Budapester Straße 16<br />
KaffeeLager<strong>Rostock</strong>, Margaretenstraße 47<br />
Bankverbindung<br />
(für Abo-Überweisungen und Spenden)<br />
Kto.: 207350082<br />
BLZ: 76060561<br />
bei der ACREDOBANK e.G. Nürnberg<br />
Abonnement:<br />
Jahresabonnement (4 Ausgaben): 10,00 EUR<br />
Einen Aboantrag finden Sie auf S. 13 (bzw. als<br />
PDF-Datei zum Ausdrucken und Ausfüllen auf unserer<br />
Website im Internet).<br />
3
Könnte ja sein, dass er irgendwann mal vor der Tür steht ...<br />
4
NACHLESE<br />
Das rote Sofa<br />
Wahlkampf mit den <strong>Rostock</strong>er Lokalsendern<br />
Björn Kluger (*1972)<br />
Diplomverwaltungswirt, derzeit Student Politik / Soziologie and der Uni-<strong>Rostock</strong>. Redaktionsmitglied<br />
Kontakt: lokario72@hotmail.com<br />
Ein wenig verloren saß sie da, die FDP-Frontfrau. Der einzigen<br />
weiblichen Vertreterin im Wahlkarussell versagte nicht nur die<br />
Stimme, sondern auch die Fähigkeit zur inhaltlichen Bilanz. Im<br />
Kesselraum der Bühne 602 baten die Lokalsender LOHRO und roktv<br />
zum Rendezvous der Direktkandidaten. Die kamen in lockerer<br />
Kleidung daher, um den anwesenden Jugendlichen ihre Sicht der<br />
Dinge darzulegen. Interessant war schon die vorangehende Weiterbildung<br />
in Sachen Medienkompetenz, so dass die Wartezeit nicht so<br />
zäh dahinfloss.<br />
Die Moderatoren bemühten sich mit Witz und Charme, die drei<br />
Themenblöcke, eingeläutet durch Bilderrätsel, in die Wahlarena zu<br />
streuen. Nur leider verzockten sie sich bei der Hochschulfrage, zumindest<br />
ein wenig: Bei Direktkandidaten für Bundestagswahlen ist<br />
dieses Thema nämlich besonders beliebt. Erstens ist es Ländersache<br />
und zweitens setzt sich da keiner so wirklich in die Nesseln. Unser<br />
Motorrad fahrender Poltergeist aus M-V konnte da noch einmal seine<br />
Oppositionsrolle im Landtag reaktivieren. Und selbst der Youngstar<br />
der Linkspartei lehnte, einvernehmlich mit dem Bass der CDU,<br />
das Ermächtigungsgesetz des Bildungsministers ab.<br />
Zu einer Debatte über das Dritte Reich und Rechtsextremismus kam<br />
es nicht. Hätte die Eintracht der Elefantenrunde wohl auch gestört.<br />
Ziemlich brav hörte sich das alles an. Wir wissen nun, dass die Söhne<br />
und Töchter durchaus mal einen Joint rauchen dürfen, sich nur<br />
nicht erwischen lassen sollen. Die Jugendarbeitslosigkeit verschwindet<br />
nur mit Wachstum, nachwachsenden Rohstoffen und Ausbildungsumlagen.<br />
Oder gehen doch alle in die Pflege?<br />
Aufregung gab es eher auf Seiten der Moderation. Der Herr Rehberg<br />
wurde zum Rehbock, die Zwischenspiele setzten auf Aufruhr<br />
und wenn dann noch Moby gesungen hätte, würde man auf Nora<br />
Tschirner warten und bei den Sternenfängern gelandet sein. Tatsächlich<br />
tendierte die Veranstaltung in Richtung Herzblatt. Die sympathische<br />
Charakterisierung der Kandidaten in den Zwischenpausen,<br />
der gewinnbringende Applauspegel und ein dankbares Publikum<br />
setzten auf Harmonie. Trotz des roten Sofas sah niemand rot, sondern<br />
die Jury grün. Der kochende Pathologe mit dem Fahrrad zeigte<br />
dem robusten Katholiken aus Nordost die Fersen.<br />
Ein inhaltsschwerer Törn wurde aus Rücksicht auf die gescholtene<br />
Jugend vermieden.(?) Ein wenig Recherche hätte durchaus mehr<br />
Würze in die Runde gebracht. So aber wurde aus dem Elefanten eine<br />
Fliege. Erst im Abspann blitzte dann doch so etwas wie realer<br />
Wahlkampf auf. Nur war da Herr Rehberg eigentlich schon bei der<br />
Haushaltsberatung in Schwerin. Sollten wir etwas verpasst haben?<br />
Oder war das alles nur ein Traum? Nicole Kidman lässt grüßen…<br />
Letztes Fazit: Sehenswert, aber steigerungsfähig. ¬<br />
5
6<br />
TITELTHEMA: INTRO<br />
Ehre, Amt und Würden<br />
FOTO: A. BRANDSTÄTER<br />
Olaf Reis (* 1963)<br />
<strong>Rostock</strong>er Diplom-Psychologe, Diplom-Maler& -Grafiker, derzeit Forschungskoordinator<br />
an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität <strong>Rostock</strong><br />
Ein Gespenst geht um im deutschen Feuilleton, in den Talkshows<br />
und den Fachjournalen: Das Gespenst des Freien Willens. Und viele<br />
Geisteswissenschaftler, die seit Einstein und Konsorten nichts mehr<br />
zur Welterklärung beizutragen haben, erliegen dem Rampenlicht. Sie<br />
machen sich wichtig. Erst beschwören sie das Gespenst. Der freie<br />
Wille sei der unabhängige, d.h. von gar nichts abhängige Wille, wird<br />
geraunt. Dann verwandeln sie sich in Geisterwissenschaftler und Gespensterjäger,<br />
jagen das Phantom - und finden es nicht. Woraus zu<br />
schließen wäre, dass es den freien Willen nicht gibt. Und wieder wurde<br />
ein Stück Freiheit abstrakt abräsoniert, das Sommerloch gefüllt,<br />
und endlich verlangt unseres Kanzlers Urnengang nach Canossa alle<br />
Aufmerksamkeit.<br />
Dabei verlohnte es sich, das Konzept des freien Willens in seiner Allltagswirklichkeit<br />
zu studieren. Beispielsweise im Studium der freiwillligen<br />
Tätigkeiten. Zunächst fällt auf, dass das Wort „Freiwilligkeit“<br />
außer für den Rest bürgerlicher Eigenexekutive, die Feuerwehr gleichen<br />
Namens, selten benutzt wird. Hingegen ist viel häufiger vom<br />
Ehrenamt die Rede, einem Amt also, das außer Ehre nichts einbringt.<br />
Der Begriff des Ehrenamtes macht, wie kaum ein anderer, die deutsche<br />
Tradition der kollektivistischen Denkweise deutlich, denn der<br />
freie Wille, der hinter den Entscheidungen für das Ehrenamt stehen<br />
sollte, wird semantisch von außen, wird durch die Gruppe, oder gar<br />
soziale Institutionen (wie den Staat) bestimmt. Das Amt ist die von<br />
der Gruppe auf eine einzelne Person übertragene Verantwortung, eine<br />
Delegation, die dem Amtsinhaber dieses Gewicht auferlegt, und<br />
die anderen teilweise davon befreit, erleichtert. Die Gruppe respektiert<br />
den Inhaber dafür, und dieser tauscht Bürde für Würde. Natürlich<br />
erhält der AmtMANN auch Macht und Privileg, je nach Kultur<br />
ist das der Büffelhöcker oder das Filetstück im B-Plan; und auch die<br />
Paarungswilligkeit der Pressesprecherinnen korreliert mit der Höhe<br />
des Amtes.<br />
Wenn das alles aber nicht in Aussicht gestellt werden kann, dann<br />
bleibt als einzige soziale Verstärkung die Würde übrig, und das nennen<br />
wir dann Ehre. Ehrlos wäre es, nach Büffelhöcker, Baugrundstück<br />
oder Assistentin zu greifen, nein, die freiwillige Tätigkeit folgt<br />
einem höheren, abstrakten, idealistischen Sinn. Und auch dieser wird<br />
von Vater Staat verwaltet. Wen wundert es, dass mit einer derartigen<br />
Konzeption kaum eine DeutschIn hinter dem Ofen staatlicher Versorgung<br />
hervorgelockt wird?<br />
Freier Wille, gelobtes Land<br />
Für die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika hingegen ist das<br />
Bürgersein selbst ein Akt des „freien“ Willens. Die meisten - hellhäutigen<br />
- U.S.-Bürger haben den historischen Vorteil, ihre eigene<br />
Geschichte auf einen individuellen Willensakt, die freiwillige Migration,<br />
begründet zu wissen. Mag man auch in der fünften Generation<br />
in die - vielleicht miserable - Generationenfolge hineingeboren worden<br />
sein, mögen die Ahnen auch eher aus wirtschaftlicher Not denn<br />
aus Abenteurertum ausgewandert sein - irgendwo in der privaten<br />
Geschichte gibt es diesen Akt der Selbstbestimmung. Diese Selbstbestimmung<br />
lässt sich nicht vom Völkermord an den Native Americans<br />
trennen, nicht vom Sklavenhandel, nicht von Schuld und Gewalt.<br />
Dennoch: die Freie Willigkeit ist Teil eines nach wie vor funktionalen<br />
Mythos, der sich in einem grundsätzlich anderen Verhältnis des Einzelnen<br />
zu den Institutionen verwirklicht. Anstatt den Staat an seine<br />
Versorgungspflicht zu erinnern, versuchen amerikanische Individuen<br />
und Kommunen eher, ihre Pflichten gegenüber dem Staat gering zu<br />
halten. Im Austausch dafür verzichten sie auf die Fürsorge. Es gibt<br />
keine Wehrpflicht, so viele Ausnahmen von der Schulpflicht, das sie<br />
praktisch nicht besteht, keine Pflichtversicherungen, keine Altersvorsorgepflicht<br />
usw. Wie die Musikhippies von Jefferson Airplane<br />
begreifen die meisten US-Bürger sich als Volunteers of America und<br />
betonen, dass dieses „America“ erst durch ihre freiwillige Teilnahme<br />
entsteht. Dem Staat als zentraler selbstorganisierter Institution wird<br />
hingegen mit Misstrauen begegnet. Der Ausdruck dieses Misstrauens<br />
ist vielgestaltig und reicht vom Oklahoma-Attentat, Michigan Milicia<br />
und dem Abfall der Südstaaten bis hin zu home schooling, direkter<br />
Altersvorsorge im Rahmen religiöser Gemeinschaften und Civil<br />
Rights Movement. Akte des zivilen Ungehorsams, wie sie von Ralph<br />
Abernathy, dem Strategen des Civil Rights Movements, in einer Veranstaltung<br />
der University of California als BürgerPFLICHT beschrieben<br />
wurden, etablieren erst das Bürgerseins als Akt freien Willens.<br />
Immerhin entschloss sich die Regierung der S<strong>tadt</strong>, in der wir<br />
lebten (Santa Cruz, California), nach dem Beginn des Irak-Krieges<br />
die Steuerabgaben an die Zentralregierung um die prozentuale Höhe<br />
des Kriegsbudgets zu verringern. Die S<strong>tadt</strong> bezahlte lieber die Anwälte<br />
für die Auseinandersetzung mit Washington als diesen Krieg.<br />
Es war der Wille der Mehrheit in dieser Kommune.
Demokratie minus Zauber gleich ???<br />
In diesem Kontext verrichten die unzähligen Volunteers von Amerika<br />
eine andere Arbeit als die deutschen EhrenamtsinhaberInnen. Im<br />
Sinne des Soziologen Anthony Giddens konstruieren sie ihre Gesellschaft.<br />
Natürlich tun sie dies nicht allein, natürlich werden die Austauschverhältnisse<br />
in den U.S.A. von gigantischen Monopolen, Interessengruppen<br />
usw. bestimmt. Das Voluntariat aber richtet sich oft<br />
offen gegen diese schicksalhafte Fremdbestimmung durch das Profitstreben,<br />
und versucht, in weitverzweigten non-profit-Organisationen<br />
den Opfern des schrankenlosen Individualismus/Kapitalismus<br />
Recht und Würde zurück zu geben. Neben dieser spirituell motivierten,<br />
antikapitalistischen Freiwilligenarbeit gibt es volunteers, die in<br />
ihrer Arbeit schlicht ihre Interessen vertreten. Sie schützen S<strong>tadt</strong>teile,<br />
Natur, erklären Kindern das ABC (weil das nicht den ausgebrannnten<br />
LehrerInnen allein überlassen werden darf), Touristen das Kulturerbe,<br />
versuchen FremdarbeiterInnen zu integrieren, führen Volkszählungen<br />
durch, organisieren Tauschbörsen für gebrauchte Musikinstrumente,<br />
trainieren Kinder in allen Sportarten usw. Bei all dem<br />
geht es schwungvoll zu, neben der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens<br />
umgibt die Freiwilligen häufig die Fröhlichkeit der Gleichgesinnten.<br />
Der Frohsinn entsteht aus der Tatsache, dass die ‚volunteers’ ihre<br />
Tätigkeit als Teilhabe, und ihr ganzes Land als ERLEBNISDEMO-<br />
KRATIE begreifen. Und eben damit tut sich Deutschland schwer.<br />
Es mag gerechter in den Verteilungsformen sein. Mein amerikanischer<br />
Freund steht immer wieder staunend vor den sozialen Errungenschaften,<br />
die für ihn nicht nur gerecht, sondern auch christlich<br />
sind. Es fällt ihm jedoch genauso auf, dass sich niemand daran freut,<br />
dass wir uns 5 Millionen Arbeitslose leisten können und dass jemand<br />
den S<strong>tadt</strong>park sauber hält. Bürokratie dient eben nicht nur der<br />
Effektivität sozialer Prozesse (ja, immer noch), sondern sie reduziert<br />
auch das Erlebnis. Verwaltung turnt/törnt ab. Und damit entfremdet<br />
sie Volk und Macht. In Deutschland hat diese Entfremdung schon<br />
einmal ein schwarzes Loch geboren, das heißt noch immer Auschwitz.<br />
Die Entfremdung des Volkes von der Macht ging der Entfremdung<br />
des Homo Sapiens von seiner Art voraus. Die Macht diente<br />
dabei dem deutschen Volke, so steht es heute noch am Reichstag.<br />
Die „christlichen“ Errungenschaften aber, über die sich mein<br />
Freund so freut, Mutterschutz, Naturschutz, Familienschutz - all diese<br />
Schütze - wurden im Dritten Reich erfunden und nach dessen Ende<br />
beibehalten. Und diese staatliche Fürsorge wurde bei den Nazis<br />
durch einen Völkermord, nach dem Krieg durch hohe Steuern finanziert.<br />
Morgen freier Wille, irgendwann<br />
Heute steht die Bürokratie selbst auf der Abschussliste. Nicht weil<br />
sie versagt hätte, sondern einfach, weil sie zu teuer ist. Die Bürger<br />
sind immer schutzloser dem globalen Profistreben ausgesetzt, was<br />
auch ein Grund dafür ist, dass es einige von ihnen nach dem Dritten<br />
Reich zurück verlangt. Und die jungen Rechten wissen: die Republik<br />
steht am Scheideweg, denn sie wird unbezahlbar. Die Antwort der<br />
Republikverwaltung ist eine verwaltungstechnische - die Partei/Vereinigung<br />
wird verboten. Seither schießen die Verbände der ehrenamtlichen<br />
Rechtsausleger wie Pilze aus dem Boden. Die einzig mögliche<br />
Antwort darauf ist nicht eine Gegenpartei, sondern viele Bürgerinitiativen.<br />
Nicht die staatlich verordnete Würde des Ehren-Amtes,<br />
sondern Freiwilligenverbände, die nicht nur Versorgungslücken<br />
füllen, sondern die GESELLSCHAFT SELBST sein wollen.<br />
Die Gelegenheit ist günstig. Die Republik am Scheideweg verlangt<br />
Entscheidungen. Gleichzeitig verschwindet die bezahlte produktive<br />
Arbeit, so behaupten einige. Die Freie-Zeit-Gesellschaft ist schon da,<br />
millionenfach. Die Freie-Willen-Gesellschaft dagegen liegt noch in<br />
der Zukunft. Ein erster Schritt dahin könnte sein, den leidigen Begriff<br />
des Ehrenamtes in den semantischen Mülleimer zu werfen.<br />
Möglicherweise fällt es dem freien Willen leichter, sich zu entfalten,<br />
wenn er konkret als Selbst- und Mitbestimmung benannt wird.<br />
Wahrscheinlich jedoch steht auch hier die TAT am Anfang. Wenn<br />
Eltern Angst haben, der zu nette Lehrer würde nicht mit der Klasse<br />
ihrer Kinder „fertig“ werden, müssen sie sich eben in den Musikunterricht<br />
mit hinein setzen. Wenn Verkaufsstellen nicht aufgehalten<br />
werden können, Alkohol an Jugendliche zu verkaufen, muss in Eigenarbeit<br />
ein Pranger errichtet werden, an den die Verkäufer gestellt<br />
werden können. Überall gibt es dafür Anfänge, Gemeinnützigkeit,<br />
Verbraucherschutz und genug Vereine, die sich ohne Meierei bewegen.<br />
Nur, diese Partizipation gilt es zum Normalfall auszubauen.<br />
Damit wäre ein Gegengift gegen die Angstdrift nach ganz Rechts<br />
oder ganz Links gefunden. Und der Freie Wille mauserte sich vom<br />
Feuilletongespenst zur materiellen Gewalt - sobald er die Massen ergreift.<br />
¬<br />
7
TITELTHEMA: STUDIE<br />
Freiwilliges Engagement in der Postmoderne<br />
Jugend zwischen Pragmatismus und Selbstbewusstsein<br />
Björn Kluger (*1972), Redaktionsmitglied<br />
Jugendliches Engagement - Fehlanzeige, Desinteresse an der Politik, Misstrauen<br />
in Institutionen. Solche Stichworte geistern durch die Gazetten, von<br />
Journalen und Zeitungen bis hin zu wissenschaftlichen Studien. Bezogen auf<br />
die „Generation Golf“ oder „Spaßgesellschaft“ der 1990er Jahre. Und tatsächlich<br />
sank das politische Interesse seit den 1980er Jahren, mit Ausnahme eines<br />
Zwischenhochs nach der Wiedervereinigung, um knapp 20% auf nunmehr<br />
34% im Jahr 2002. Die Wahlbeteiligung der 18- bis 24-jährigen liegt deutlich<br />
unter der der älteren Wahlberechtigten. Die traditionelle Beteiligung an gesellschaftlichen<br />
Prozessen erlebt einem Bedeutungswandel. Während die öffentliche<br />
Wahrnehmung zum großen Teil den institutionellen Verfahren verhaftet<br />
bleibt, sucht die nachwachsende Generation ihren eigenen Weg.<br />
Von der Moderne zur Postmoderne<br />
Der über Jahrhunderte hinweg vollzogene Gesellschaftswandel hin<br />
zur Ausformung der modernen Industriegesellschaft bereitete den<br />
Weg für deren maßgebliche Kennzeichen: Pluralisierung und Individualisierung.<br />
Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit sowie Eigenverantwortung<br />
werden zu den Wertvorstellungen, die über Schule, Arbeit<br />
und persönliche Lebensumstände bestimmen. Die Erhöhung<br />
von Wahlmöglichkeiten führte zu einer Ausdifferenzierung der Lebensentwürfe,<br />
die sich in verschiedenen Lebensstilen ausdrücken,<br />
bei denen Klassen- und Schichtzugehörigkeit nicht mehr das dominierende<br />
Kriterium sind. Zunehmend hängt die Umsetzung der Lebensplanung<br />
von der Anwendung der Ressourcen ab - und von der<br />
Fähigkeit, diese zweckgerichtet einzusetzen. Soziale Disparitäten entstehen<br />
durch ungleiche Zugangsmöglichkeiten zu Gütern. Demzufolge<br />
ist der eigene Lebensweg zwar noch ein Produkt der sozialen<br />
Lage, doch wird dieser Faktor zunehmend durch die individuelle<br />
Wahlentscheidung überlagert. Insbesondere in der Jugend- und Adoleszenzphase<br />
wird im 21. Jahrhundert Mobilität und Flexibilität ge-<br />
fordert, ohne jedoch anleitende Muster vorzugeben. Die Unklarheit<br />
über die Lebensplanung wird so zum festen Bestandteil der Biografien.<br />
Die postmoderne Kultur ist ein Produkt der „Hypersäkularisierung“,<br />
die veränderte Macht- und Dynamisierungsprozesse hervorruft. Die<br />
Entzauberung von Religionen beinhaltet gleichzeitig den Verlust<br />
überlieferten Wissens, etablierter Hierarchien und Konventionen bis<br />
hin zur Auflösung von Identitäten. Die Postmoderne ist von Diversität,<br />
Verunsicherung und Zweifeln begleitet. Bekannte Konzepte<br />
wie Totalität, Fortschritt, Subjekt, Rationalisierung, Emanzipation,<br />
Entwicklung und Wissenschaft greifen nicht mehr. Daraus schlussfolgernd,<br />
musste sich die Politik als autonomer Raum der Verhandlungen<br />
neu profilieren.<br />
Die Monopolisierung politischer Entscheidungen und die Trennung<br />
des sozialen vom politischen Raum bedeuteten eine Professionalisierung<br />
der Politik und eingeschränkte politische Beteiligung. Die<br />
9
10<br />
TITELTHEMA: STUDIE<br />
unterschiedlichen Vorstellungen konkurrieren seitdem in Abhängigkeit<br />
von der Stellung im politischen Wettbewerb. Die Entscheidungen<br />
resultieren nicht mehr aus korporativen Forderungen und dem<br />
Monopol des Staates. Die Politik konzentriert sich auf das Machbare<br />
und ist durch Realismus sowie Kompromisse gekennzeichnet.<br />
Wurden in Europa und in den USA im Kontext der Postmoderne<br />
mittels einer demokratischen Kultur neue kollektive Identitäten geschaffen,<br />
trat nach den Diktaturen in Lateinamerika die Frage nach<br />
dem Sinn demokratischer Verfahrensweisen und damit nach der Bedeutung<br />
von Institutionen in den Vordergrund. Dies trifft in gewissem<br />
Sinne auch auf die ostdeutschen Bundesländer zu.<br />
Das Unbehagen<br />
Im Gegensatz zum kulturellen Prozess der Moderne sind die sozialen<br />
Beziehungen in der Postmoderne nicht mehr in dem Maße an die<br />
Zugehörigkeit der Person zur Familie, zur sozialen Schicht, Generation<br />
und Religion gebunden. Bestimmte Traditionen, Verhaltensweisen<br />
und Normen werden nicht mehr überliefert. Die Privatisierung<br />
der öffentlichen Sphäre sowie das Intime des Privaten individualisieren<br />
soziale Bindungen und deren Auswahl durch die Menschen. Vor<br />
diesem Hintergrund ist die postmoderne Gesellschaft von Fragmentierung,<br />
Austauschbarkeit und adaptiver Flexibilität gekennzeichnet.<br />
Politik ist nicht mehr ganzheitlich, sondern einem ständigem Wandel<br />
unterworfen.<br />
Dem Bürger bleibt die Sensation einer Krise, wenn Politik als Krisenmanagement<br />
und auf Koordination beschränkt wahrgenommen<br />
wird. In postmodernen Gesellschaften kristallisieren sich daher die<br />
Kategorisierungen Apathie, Politikverdrossenheit, politische Indifferenz<br />
und desencanto heraus. Politische Apathie wird als Gleichgültigkeit<br />
gegenüber politischen und sozialen Institutionen verstanden,<br />
die von Desinteresse an politischer Willensbildung flankiert wird.<br />
Die Zivilgesellschaft ist dabei Teil der gesellschaftlichen Realität,<br />
aber nicht im Sinne einer De- oder Repolitisierung, sondern einer<br />
Stabilisierung.<br />
Die Jugend im Schlepptau? - Die Ergebnisse der Shell-<br />
Studie von 2002<br />
In einer Welt, in der Leistungsorientierung und Risiken individuell<br />
gemeistert werden müssen, hat die junge Generation vor diesem<br />
Hintergrund eine neue pragmatische Haltung entwickelt, schlussfolgert<br />
die Shell-Studie von 2002 aus den damaligen Befragungen. Aus<br />
einem Protest- bzw. „Null-Bock“-Verhalten ist größtenteils ein Mix<br />
aus Individualität und Sicherheitsdenken geworden. Eine Orientierung,<br />
die alte Werte mit neuen verknüpft, drängt sich als Alternative<br />
zur Selbstverwirklichung in den Vordergrund.<br />
Ordnung und Fleiß sind wieder Teil der Handlungsstrategien der<br />
Heranwachsenden, die sich damit weniger als früher von der Elterngeneration<br />
unterscheiden. Das für die Leistung notwendige Bildungsniveau<br />
erhält somit eine zentrale Bedeutung. Die Jugend von<br />
heute teilt sich auf der Gewinnerseite in selbstbewusste Macher als<br />
Leistungselite und pragmatische Idealisten als Engagementelite. Das<br />
pessimistische Pendant auf der Verliererseite bilden die robusten<br />
Materialisten und „Unauffällige“. Während erstere aus einer Demonstration<br />
der Stärke agieren, reagieren letztere mit Rückzug. Der<br />
skizzierte Wandel der Einstellungen und Verhaltensweisen mündet<br />
in einen unterschiedlichen Bezug zur Politik. Nicht nur ein größerer<br />
Anteil Desinteressierter, vor allem unter den „Kids“, sondern auch<br />
die Tatsache, dass Politik „out“ ist, führen zu einer Orientierung in<br />
Richtung gesellschaftlicher Mitte. Eine ideologisch untermauerte<br />
Skepsis vergangener Generationen findet sich heute nur noch in der<br />
Minderheit. 17% der heutigen Jugendlichen engagieren sich oft bzw.<br />
gelegentlich für soziale und politische Veränderungen in der Bundesrepublik<br />
(Vgl. Shell 2002: 201).<br />
Dennoch leben viele ostdeutsche Jugendliche weiterhin mit einer<br />
Doppelidentität. Zwar sehen sich 70% von ihnen als Bundesbürger,<br />
fühlen sich aber gleichzeitig noch als DDR-Bürger (Vgl. Förster<br />
2003). Die über 90% Sicherheit einer sorgenfreien Zukunft bei den<br />
Jugendlichen im Jahre 1989 mündete bis 1998 in eine um das Doppelte<br />
gewachsene Unzufriedenheit mit dem wirtschaftlichen und politischen<br />
System (ebd). Die zum Teil große Zustimmung zum Umbruch<br />
und der Vereinigung ist einer weit verbreiteten Skepsis gewichen.<br />
Wie in jüngsten Umfragen verschiedener Meinungsinstitute<br />
unter der Gesamtbevölkerung deutlich wird, hat sich auch bei den<br />
Jugendlichen der Zeithorizont, in dem sich beide Landesteile angleichen,<br />
deutlich verschoben. Vor 2015 wird dort nichts geschehen, eine<br />
ernsthafte Gemeinschaft folgt demnach erst nach 2020. Ein wenig<br />
paradox mutet hingegen die Aussage an, dass die Aufsteigerregionen<br />
vor allem im Osten zu finden sind. Gleichzeitig sei dort die<br />
Zufriedenheit mit dem nahen Umfeld bei über 50% anzutreffen.<br />
Danach sollen sich auch die Uckermark und Vorpommern gemausert<br />
haben (Vgl. www.perspektive-deutschland.de). Jedoch dürfte<br />
dies auf die Infrastruktur zurückzuführen sein. Verbesserte Lebensverhältnisse<br />
können aber nicht über die Sorgen im Bereich Arbeit<br />
und soziale Sicherheit hinwegtäuschen.<br />
Entgrenzung von Politik<br />
Daraus schlussfolgern junge Menschen jedoch nicht, dem Lauf der<br />
Dinge nur zu folgen. Jugendliche „orientieren sich an konkreten und<br />
praktischen Problemen, die für sie mit persönlichen Chancen verbunden<br />
sind“ (Shell 2002: 17). In diesem Sinne: „Nicht alles, was Jugendliche<br />
tun, ist politisch; aber vieles von dem, was sie tun, drückt<br />
Gemeinsinn aus und kann nur dann als nichtpolitisch gebrandmarkt<br />
werden, wenn man Politik dem Staat und den Parteien reserviert“<br />
(Shell 2002: 50). Diese jugendspezifische Form der Entgrenzung der<br />
Politik mündet also in eine anders politische Jugend, verglichen früheren<br />
Generationen. Ein wenig fühlt man sich dennoch an „Die<br />
skeptische Generation“ der 1950er Jahre erinnert. Heute, nach 1989<br />
und dem Rückzug der antagonistischen Ideologien in die Nischen,<br />
misstrauen die jungen Menschen primär den doktrinären Maßstäben.<br />
Dennoch, vor dem Hintergrund der Demokratieerfahrungen der<br />
letzten 15 Jahre, dürften die Zahlen des 2.Jugendsurveys, die 1997 eine<br />
gewisse Sympathie für sozialistische Ideen bereit hielten, gegenüber<br />
1992 nochmals gestiegen seien. Zwar hielten 2002 noch mindestens<br />
60% der jungen Menschen die Demokratie für die beste<br />
Form des Regierens (Vgl. Shell 2002: 103). Doch sagt die Längsschnittstudie<br />
Peter Försters, die 16 Befragungen der gleichen Jugendlichen<br />
seit 1987 vornahm, aus, dass im Zeitraum 1993 bis 2002<br />
ein Anstieg der Befürworter sozialistischer Ideale von 46 auf 53% zu<br />
verzeichnen ist. Trotz der doppelten Enttäuschung über den real<br />
existierenden Sozialismus und der Demokratisierung ist diese Tendenz<br />
steigend.<br />
Aus diesem Grund erhält das traditionelle, den staatlichen Institutionen<br />
und Organisationen angelehnte Politikverständnis einen Makel,<br />
der in Vertrauensverlust überführt wird. So genießen z.B. Gerichte<br />
und Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen eine höhere Akzeptanz,<br />
als die Bundesregierung und die Parteien. Im Ost-West-
Vergleich fallen die Werte in den neuen Ländern in allen Bereichen<br />
teils deutlich hinter den Zahlen der alten Bundesrepublik zurück.<br />
(Vgl. Shell 2002) Hier decken sich die Einstellungen der jungen Generation<br />
mit den Werten der Gesamtbevölkerung. Nach der Mc-<br />
Kinsey-Umfrage trauen die Bürger 2005 in erster Linie dem ADAC<br />
und den Hilfsorganisationen wie dem DRK und Caritas. Hingegen<br />
zeigen sich bis zu 60% skeptisch gegenüber den Parteien, dem<br />
Bundestag, den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden<br />
(www.perspektive-deutschland.de).<br />
Mitunter färbt die stärkere Ökonomisierung der Gesellschaft auf das<br />
Politikverständnis ab. Einhergehend mit der zunehmenden individuellen<br />
Lebensgestaltung ist Politik nunmehr ein Medium unter vielen:<br />
„Politisches Engagement wird nicht nur quantitativ (sinkende<br />
Wichtigkeit), sondern auch qualitativ wegen der immer geringeren<br />
Verknüpfung mit den dominierenden Lebensorientierungen der Jugend<br />
aus dem jugendlichen Lebenskonzept herausgedrängt, da es<br />
den entsprechenden Nutzen nicht erbringt“ (Shell 2002: 158f). Je<br />
weiter die Erfahrung der Ohnmacht gegenüber der politischen Elite<br />
um sich greift, desto distanzierter verhält sich die junge Generation.<br />
Insofern ist die offiziell erkannte politische Apathie eher ein Ablenkungsmanöver.<br />
Ihr Unbehagen über traditionelle Formen der öffentlichen<br />
Organisation füllen die Jugendlichen mit ihrer „Sympathie<br />
für die Suche nach pluralen Alternativen“ aus, die sich „in verschiedenen<br />
Formen der Vereinigung und im sozialen Kompromiss ausdrücken“.<br />
(Parker 2000: 83).<br />
Vor diesem Hintergrund erfolgt die Entgrenzung des Politischen.<br />
Eine neue Organisationsstruktur wird etabliert, die horizontal und<br />
gleichberechtigt Vergesellschaftung ermöglicht. Die jugendliche Re-<br />
Gruppierung gewährt Teilhabe, freie Meinungsäußerung ohne Stigmatisierung,<br />
kulturelle Reproduktion sowie ein Diskussionsforum<br />
für soziale, politische und persönliche Themen. Der globalisierten<br />
Welt wird eine flexible Handhabung der Gruppenstruktur entnommen<br />
und der verfestigten institutionellen Ordnung entgegengesetzt.<br />
In Subkulturen führt dies zur Praktizierung einer Alternative,<br />
die gesellschaftliche Fragmentierung und Passivität überwindet.<br />
Doch ist nicht zu übersehen, dass in der Gesamtbetrachtung der Jugendlichen<br />
ein Entweder-Oder gilt. Entweder Engagement in vielen<br />
Bereichen und dies oft, oder in wenigen Bereichen und dies in geringem<br />
Maße. Zu 76% setzen sich die Jugendlichen zumindest gelegentlich<br />
für die Gesellschaft ein. Thematisch stehen die Interessen<br />
der Jugendlichen an erster Stelle (51%). Soziale Aktivitäten wie Hilfe<br />
für ältere Menschen, Umwelt- und Tierschutz bis zum Zusammenleben<br />
im Wohnort variieren zwischen knapp 30% bis hin zu 43% (Vgl.<br />
Shell 2002: 201ff): „Unabhängige Projekt- und Gruppenaktivität, individuelle<br />
und andere Aktivitätsformen werden bei Jugendlichen bevorzugt<br />
kombiniert“. Das Internet wird hierbei zum bedeutendsten<br />
Kommunikations- und Aktivitätsmedium. Der persönliche Einsatz<br />
ergänzt vielfach das Engagement in klassischen Einrichtungen wie<br />
Kirche, Verein oder Jugendorganisation. Letztere erfassen bis zu<br />
85% der zumindest gelegentlich Aktiven (ebd).<br />
Fazit<br />
Den Erfordernissen der postmodernen Gesellschaft steht somit eine<br />
gesellschaftliche Aktivität der Jugendlichen gegenüber, die traditionellen<br />
Maßstäben trotzt. Daraus ein durchweg politisches Engagement<br />
der Jugend abzuleiten, wird der Thematik wenig gerecht. Ähnlich<br />
dem Werte-Cocktail entsteht ein Mix verschiedenster Aktivitäts-<br />
und Organisationsformen. Unkonventionell, mobil und unmittelbar<br />
zum Ziel, das ist die Devise. Und eines gilt als sicher: Nicht weit entfernt<br />
von der Elterngeneration, aber doch selbstbestimmt und<br />
selbstbewusst in die Zukunft. So kommt der Optimismus in der<br />
skeptischen Generation trotz allem zum Tragen. Hinter der immer<br />
wieder heraufbeschworenen Verdrossenheit steht also eine sehr eigenständige<br />
Alternative. ¬<br />
Ein Literaturverzeichnis sowie weiterführende Literaturhinweise erhalten Sie auf<br />
Wunsch per Email: info@s<strong>tadt</strong>gespraeche.de<br />
11
Wie alles begann<br />
„Die verantwortliche Teilnahme an der gemeindlichen Selbstverwaltung<br />
ist Recht und Pflicht der Bürger. Die Bürger sind verpflichtet,<br />
Ehrenämter für die Gemeinde zu übernehmen und gewissenhaft<br />
und unparteiisch auszuüben…“ Mit schöneren Worten als der Landesgesetzgeber<br />
kann man die Motivation zur Kommunalpolitik fast<br />
nicht ausdrücken.<br />
Die Realität sieht ein wenig anders aus: Ich habe mich dafür entschieden,<br />
weil ich nach mehreren Jahren Aktivität im politischen<br />
Raum direkt an Entscheidungen beteiligt sein wollte. Ich fand, es<br />
wurde Zeit, nicht mehr nur über Politik und konkrete Maßnahmen<br />
zu reden, sondern tatsächlich Entscheidungen vorzubereiten und zu<br />
treffen. Und Kommunalpolitik hat anderen Ebenen gegenüber den<br />
Vorteil, dass man sehr dicht an den Menschen dran ist und die Entscheidungen,<br />
die man trifft, sehr konkret und im wahrsten Sinne des<br />
Wortes erleb- und erfahrbar sind.<br />
Vor meiner Wahl in die Bürgerschaft habe ich vier Jahre dem Ortsbeirat<br />
S<strong>tadt</strong>mitte angehört. Im Jahr 2004 wollte ich mehr. Die Zeit<br />
der Vorbereitung und des Wahlkampfes waren überaus intensiv, ich<br />
habe viel gearbeitet, mit vielen geredet, viel dazu gelernt und dann<br />
habe ich doch bis zuletzt gezittert, ob es reichen würde. Am Ende<br />
bin ich einer 53 <strong>Rostock</strong>er Bürgerschaftsmitglieder geworden.<br />
Politik rund um die Uhr?<br />
Kommunalpolitik ist Ehrenamt. Sie neigt jedoch - wie jedes andere<br />
Ehrenamt - dazu, schnell ganze Tage zu füllen. Eigenschaften, die<br />
sich schwer mit einer Vollzeitbeschäftigung an der Universität, meiner<br />
Promotion sowie einem erfüllten Familienleben vereinbaren lassen.<br />
Private Hobbys - sei es Angeln, Gitarre spielen oder redaktionelle<br />
Arbeit - müssen mit Abstrichen rechnen. Sehr hilfreich ist es<br />
hier, wenn man ein gewisses Talent mitbringt, kollidierende Interessen<br />
auszugleichen und mit Terminen zu jonglieren. Mindestens genauso<br />
hilfreich ist ein elektronischer Terminplaner - dies war meine<br />
erste größere Anschaffung nach der Wahl…<br />
Den zeitlichen Rahmen zu beziffern, fällt schwer. Eine Bürgerschaftssitzung<br />
pro Monat klingt sicherlich wenig. Hinzu kommen jedoch<br />
mit gleicher Regelmäßigkeit die Ausschüsse der Bürgerschaft.<br />
12<br />
TITELTHEMA: STADTPOLITIK<br />
Bürgerschaftliches Ehrenamt in <strong>Rostock</strong><br />
Steffen Wandschneider (* 1979)<br />
ist wiss. Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät in <strong>Rostock</strong> und für die SPD Mitglied<br />
der <strong>Rostock</strong>er Bürgerschaft<br />
Nicht zu vergessen die Vorbereitung der Sitzungen in der eigenen<br />
Fraktion oder in thematischen Arbeitskreisen. Und schließlich wollen<br />
auch die zahlreichen Anträge, Beschlussvorlagen, kleinen und<br />
großen Anfragen, Informationsvorlagen und Stellungnahmen<br />
irgendwann gelesen werden.<br />
Ein normaler kommunalpolitische Tag beginnt am Frühstückstisch:<br />
Lokales Radio und eine regionale Zeitung sind ein Mindestmaß, um<br />
auf dem Laufenden zu bleiben. Telefonate und persönliche Gespräche<br />
liefern den Rest der notwendigen Informationen. Im Laufe des<br />
Tages wollen dann die verschieden Lebensfelder miteinander ausgeglichen<br />
werden. Im Zentrum steht meine Tätigkeit an meiner Uni, an<br />
der ich junge Studierende unterrichten darf. Um die Kernarbeitszeit<br />
herum versuche ich, die politischen Termine zu gruppieren. Zeit für<br />
Familie bleibt oft nur in den Tagesrandzeiten. Wenn der Partner<br />
selbst politisch oder gesellschaftlich aktiv ist, bedeutet dies eine Menge<br />
Verständnis, ohne welches eine Beziehung oft nicht möglich wäre.<br />
Insgesamt ist dieses Ehrenamt jedoch nicht gerade familienfreundlich…<br />
Schwerpunkte setzen<br />
Die Hauptbetätigungsfelder von Bürgerschaftsabgeordneten richten<br />
sich in der Regel danach, welchen Ausschüssen Sie angehören. Denn<br />
in den Ausschüssen findet die wesentliche fachliche Arbeit statt und<br />
spiegelt sich die ganze Breite kommunaler Praxis wider. Ich persönlich<br />
gehöre den Vergabeausschuss an und sitze dem Ausschuss für<br />
S<strong>tadt</strong>- und Regionalentwicklung, Umwelt und Ordnung vor. Als ich<br />
dieses Amt 2004 als Neuling übernommen habe, war das nicht leicht.<br />
Doch mit „meinem“ Ausschuss habe ich großes Glück gehabt.<br />
Nicht nur, dass ich von Anfang an stets auf ein offenes Ohr und<br />
manchen klugen Rat meiner beiden sehr erfahrenen Stellvertreter<br />
hoffen konnte; auch die verbleibenden Ausschussmitglieder sind<br />
über alle Fraktionsgrenzen hinweg an einer ergebnisorientierten und<br />
konstruktiven Sacharbeit interessiert.<br />
In den Ausschüssen wird von den Mitgliedern erwartet, dass sie sich<br />
ausreichend vorbereiten, also die gestellten Anträge, die vorgelegten<br />
Informations- und Beschlussvorlagen kennen, sich dazu - meist in
Absprache mit der Fraktion - eine Auffassung gebildet haben, sich<br />
gegebenenfalls mit Hilfe anderer Quellen zusätzlich informieren,<br />
sich in die Diskussion einbringen und nach Möglichkeit eigene Initiativen<br />
entwickeln und einbringen.<br />
Auf der Tagesordnung einer „normalen“ Bürgerschaftssitzung stehen<br />
aber oft bis zu 50 verschiedene Themen. In meinen Augen kann<br />
ich nicht in jeder Frage zu 100 Prozent Bescheid wissen. Mich in jedes<br />
Thema einzuarbeiten, würde den Rahmen des zeitlich Möglichen<br />
sprengen. Natürlich gibt es Fragen, auf die jedes <strong>Rostock</strong>er Bürgerschaftsmitglied<br />
eine Antwort haben sollte: Ob es um grundsätzliche<br />
Fragen zur Finanzsituation der Hanses<strong>tadt</strong>, die Entwicklung der verschiedenen<br />
S<strong>tadt</strong>teile oder um die Museen und das <strong>Rostock</strong>er Theater<br />
geht, zu solch brennenden Themen hat jeder eine Meinung.<br />
In manchen Fällen muss ich mich aber auch auf die FraktionskollegInnen<br />
verlassen, die tiefere Einblicke in bestimmte fachliche Bereiche<br />
haben. Und sie dürfen gleiches von mir in meinen Schwerpunkten<br />
erwarten.<br />
Sternstunden und Nachtschatten<br />
Politik ist nicht nur Sonnenschein. Zwar gibt es fast jeden Tag Erfolge,<br />
die einen zum Weitermachen motivieren, aber natürlich gibt es<br />
auch Rückschläge und Enttäuschungen. Traurig für mich ist zum<br />
Beispiel, dass die Wahlbeteiligung in <strong>Rostock</strong> bald traditionell<br />
schlecht ist und sich auch das allgemeine Interesse in Grenzen hält.<br />
Das ist umso bedauerlicher, da die Gestaltungsmöglichkeiten auch in<br />
Zeiten knapper Kassen immer noch gut sind. Schwierig ist es jedoch,<br />
das Vertrauen für Politik zurückzugewinnen. Auf der kommunalen<br />
Ebene mit ihren Entscheidungen direkt vor Ort sind die Voraussetzungen<br />
eigentlich nicht schlecht. Wichtig ist es, in der Politik keine<br />
Menschen zu verwalten, sondern mit ihnen gemeinsam Dinge zu gestalten.<br />
Auch politische Niederlagen bleiben natürlich nicht aus. Selbstverständlich<br />
ist es schwer, wenn man trotz vermeintlich guter Argumente<br />
in der Abstimmung dann doch unterliegt. Ich versuche dann<br />
nach Vorne zu schauen.<br />
Außerdem sind viele positive Erfahrungen mit der Arbeit verbunden.<br />
Nicht zuletzt, dass man vielen engagierten Menschen begegnet,<br />
die ein ehrliches Interesse an der S<strong>tadt</strong> haben. Diese finden sich<br />
nicht nur in der Politik selbst, sondern auch in den vielen Vereinen<br />
und Verbänden, die sich ihren Bereichen widmen. Für <strong>Rostock</strong> sind<br />
diese mindestens so wichtig wie die gewählten Abgeordneten. Und<br />
gemeinsam mit ihnen lässt sich einiges bewegen. Ein positives Beispiel<br />
der letzten Monate aus meinem Tätigkeitsbereich war die fleißige<br />
Arbeit des ADFC in <strong>Rostock</strong> zur Verbesserung der Radverkehrssituation.<br />
In vielen Gesprächen wurde eine Menge Überzeugungsarbeit<br />
in Politik und Verwaltung geleistet, um eine Fahrradstraße durch<br />
die KTV zu schaffen, die nach Beschluss der Bürgerschaft jetzt noch<br />
2005 realisiert werden soll. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.<br />
¬<br />
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13
14<br />
FOTO: ANDREAS EHRIG
TITELTHEMA: PROJEKT<br />
LOHRO - das ist …<br />
seit dem 1. Juli 2005 das lokale <strong>Rostock</strong>er Radio<br />
FOTO: ANDREAS EHRIG<br />
FOTO: ANDREAS EHRIG<br />
Anne Blaudzun (29)<br />
MA in Geschichtswissenschaft und Soziologie; ehrenamtlich bei LOHRO seit Anfang 2003; hauptamtlich (halbe Stelle) bei LOH-<br />
RO: Redaktionsleiterin der Interkulturellen Redaktion; ehrenamtlich bei LOHRO: Redaktionsleiterin der Rockredaktion, Pressesprecherin,<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
Geraldine Müllers (23)<br />
Studentin der Rechtswissenschaften; Mitglied der LOHRO-Musikredaktion<br />
„Zu LOHRO bin ich in diesem Jahr gekommen, weil ich mich gerade im Hinblick auf den Abschluss meines Jura-Studiums umgeschaut<br />
habe, was es für Möglichkeiten gibt, sich weiter zu qualifizieren. Da mein persönlicher Schwerpunkt im Medien- und<br />
Rundfunkrecht und Musikrecht liegt, war der Schritt zu LOHRO nicht mehr weit. Schon zu Beginn meines Studiums war ich bereits<br />
ehrenamtlich in einem europaweiten juristischen Verein tätig und habe wertvolle Erfahrungen gesammelt. Ich bin der Meinung,<br />
dass die Arbeit in einem ehrenamtlichen Rahmen oftmals viel fruchtbarer ist, weil alle aus freien Stücken gemeinsam an einem<br />
Strang ziehen, um eine Idee oder auch ein Projekt zu verwirklichen. Momentan arbeite ich in der Musikredaktion von LOH-<br />
RO und stehe in Kontakt mit den Redakteuren der Abendspezialsendungen, kümmere mich um Plattentipps, Kontakte zu Bands,<br />
Interviewanfragen oder auch Labels und Promotion-CDs. Das Betätigungsfeld ist breit gefächert und die vorangegangene Aufzählung<br />
nur ein kleiner Ausriss. Ich kann sagen, dass ich mich bei LOHRO und in der Musikredaktion bestens aufgehoben fühle.“<br />
Tim Seligmann (30)<br />
Student der Politikwissenschaften und Soziologie, Mitglied der LOHRO-Politikredaktion<br />
Tim Seligmann engagiert sich in der Politikredaktion. Für ihn stellt diese Arbeit bei LOHRO eine Möglichkeit dar, die theoretischen<br />
Erfahrungen des Politikwissenschaft-Studiums in die Praxis zu transferieren. In seiner Bachelor-Arbeit widmete sich Tim<br />
dem Thema „Soziokultur in Mecklenburg-Vorpommern“ - so war es logisch, gerade in diesem Bereich nach einem Betätigungsfeld<br />
zu suchen. Der Bereich der Politikredaktion verbindet dabei zum einen die praktische Auseinandersetzung mit politischen wie politikwissenschaftlichen<br />
Inhalten und zum anderen Einblicke in die soziokulturelle Realität. Aktuell gilt es die anstehende Bundestagswahl<br />
redaktionell zu begleiten. In den letzten Wochen waren die Bundestagsdirektkandidaten der Hanses<strong>tadt</strong> zu Gast im Studio<br />
und konnten sich auf diesem Wege der Öffentlichkeit präsentieren. „Es wurde dabei deutlich, dass die ehrenamtliche Redaktion<br />
trotz oder vielleicht eher gerade wegen seiner Ehrenamtlichkeit ernst genommen wird.“<br />
Nach den Anfängen von 2002 ging LOHRO im Herbst 2003 erstmals<br />
auf Sendung - als Veranstaltungsrundfunk zur <strong>Rostock</strong>er Kulturwoche.<br />
Zwölf Tage lang wurde ein 24-Stunden-Vollprogramm<br />
gesendet, im Großraum <strong>Rostock</strong>: im Äther, im Kabel und per<br />
Stream weltweit im Internet. 2004 bot LOHRO als Kooperationsprojekt<br />
mit dem Offenen Kanal (rok) 20 Tage Programm und war<br />
Medienpartner der HanseSail. Dabei erwies es sich als schnell lernendes<br />
System: Aus den etwa 100 Radio-Anfängern wurden Radiomacher.<br />
Und aus einer Radioinitiative wurde ein Lokalradioprojekt<br />
und seit 2005 ein lizensierter nichtkommerzieller Radiosender mit eigenen<br />
Senderäumen und Weiterbildungsprogramm.<br />
Der Sendebetrieb läuft seit dem 1. Juli 2005 mit redaktionellem Vollprogramm<br />
auf der Frequenz 90,2 per UKW, auf 94,0 im Kabel und<br />
bald auch im Internet. LOHRO führt zur Qualitätssicherung Workshops<br />
und Seminare zur Medienkompetenzvermittlung durch, vergibt<br />
den sogenannten „LOHRO-Fahrschein“. Auch im Schulprojekt,<br />
Uni-Projekt und in der Jugendberufshilfe werden Radioworkshops<br />
angeboten. Sukzessive wird das eigene Funkhaus in der Margaretenstraße<br />
43 weiter ausgebaut und Medienpartnerschaften vorbereitet<br />
und realisiert. LOHRO kooperiert mit DeutschlandRadio<br />
und BBC World Service sowie RadiJoJo. Der Sendestart am 1. Juli<br />
2005 um 12:18 Uhr war der Auftakt für das erste nichtkommerzielle<br />
lokale Radioprogramm in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Wie ist es möglich - in einer S<strong>tadt</strong> wie <strong>Rostock</strong> - aus dem Nichts ein<br />
solches Projekt zu stemmen?! Deutschlands freie Radios schauen erstaunt<br />
auf den Sender in der Hanses<strong>tadt</strong>: Nie ist es einer Radio-Initiative<br />
gelungen in derartig kurzer Zeit, mit so geringen finanziellen<br />
Mitteln, eine Lizenz für ein 24-Stunden-Vollprogramm im Dauerbetrieb<br />
zu bekommen und so schnell auf Sendung zu gehen. Darüber<br />
hinaus mit dem DeutschlandRadio und der BBC zu kooperieren,<br />
Medienkompetenzbildung anzubieten...<br />
Kann dies alles Ergebnis ehrenamtlichen Engagements, freiwilliger<br />
Arbeit sein? Ja. LOHRO ist das Ergebnis der ehrenamtlichen Arbeit<br />
einer wachsenden Zahl engagierter Mitmacher, Mitstreiter, Mitarbeiter<br />
aus den verschiedensten Bereichen, aus allen Generationen. Und<br />
LOHRO wird dies immer sein.<br />
LOHRO - das ist … ein Mitmach-Radio, das auf ehrenamtliche<br />
Unterstützung angewiesen ist<br />
Wir sind als nichtkommerzielles Lokalradio, als Rundfunk der dritten<br />
Art (also weder öffentlich-rechtlich noch kommerziell-privat), als<br />
Bürgerradio (das sich in seiner Philosophie und Basis von einem<br />
15
16<br />
TITELTHEMA: PROJEKT<br />
Offenen Kanal unterscheidet) ein so genanntes Mitmach-Radio, das<br />
auf die ehrenamtliche Unterstützung der Radiomacher angewiesen<br />
ist.<br />
LOHRO vereint zwei Dinge, von denen man bisher nicht glaubte,<br />
dass die gemeinsam funktionieren könnten: ehrenamtliches Engagement<br />
auf der einen und professionalisiertes Programm auf der anderen<br />
Seite. Es gehört zum Konzept von LOHRO, dass unser moderiertes<br />
Programm stufenweise ausgebaut wird, denn wir sind ein<br />
Projekt, das vor allem vom Ehrenamt lebt und den Menschen der<br />
S<strong>tadt</strong> und ihrer Umgebung Medienkompetenz und Medienrealität<br />
vermitteln möchte. LOHRO nimmt Sendungen erst dann ins Programm,<br />
wenn sie funktionieren. LOHRO bietet die Möglichkeit zur<br />
aktiven Mitarbeit: Alle Interessierten können sich qualifizieren, um<br />
dann, redaktionell begleitet, ihr eigenes Radioprogramm gestalten,<br />
produzieren und senden. Sie können in verschiedenen Redaktionen<br />
mitarbeiten und eigene Redaktionen gründen. Koordiniert wird die<br />
Arbeit der Redaktionen in der „Großen Redaktionskonferenz“. Alle,<br />
die auf Sendung gehen wollen, qualifizieren sich mit dem „LOHRO-<br />
Fahrschein“, einem Workshop, der neben Radio-Know-How vor allem<br />
die LOHRO-Philosophie vermittelt.<br />
LOHRO - das ist … das ehrenamtlich arbeitende LOH-<br />
RO-Team<br />
Auf einer Wellenlänge: Aus einer informellen Zusammenrottung<br />
von Freunden des Rundfunks wurde innerhalb kürzester Zeit eine<br />
Gruppe, eine Mannschaft, ein Team ... das LOHRO-Team. Generationsübergreifend,<br />
aus allen gesellschaftlichen Bereichen, mit unterschiedlichen<br />
Erfahrungshorizonten, Fähigkeiten und Interessen. Ein<br />
weites Spektrum von Kompetenzen ist gefordert: Vom Greenhorn<br />
bis zum Radio-Profi fanden und finden sich neugierige, offene und<br />
engagierte Leute zusammen, die die redaktionellen, organisatorischen,<br />
administrativen und technischen Aufgaben rund ums Radio<br />
gemeinsam lösen. Durch eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Institutionen<br />
(z.B. aus der Kultur- und Jugendarbeit), der Universität,<br />
Clubs und Einrichtungen aus <strong>Rostock</strong>, die ihre Fertigkeiten und das<br />
Know-how ihrer Organisationen ins Projekt einbringen, arbeiten wir<br />
an einer lokalen Vernetzung, die nicht nur dem Radio, sondern auch<br />
dem kulturellen Leben der S<strong>tadt</strong> gut tut; getreu dem Anspruch, ein<br />
lokales urbanes Radio mit überregionalen Anspruch zu sein.<br />
LOHRO - das ist … Ehre und Amt<br />
Reicht allein die Vision, dass eine S<strong>tadt</strong> wie <strong>Rostock</strong> als einzig urbane<br />
Zentrum in Mecklenburg-Vorpommern ein eigenes Radio verdient,<br />
aus, um all die Leute, die sich bei LOHRO engagieren, an ein<br />
so arbeitsintensives Projekt zu binden? Im Moment arbeiten bei<br />
LOHRO neben fünf „Hauptamtlichen“, die allesamt zeitlich limitiert<br />
und projektfinanziert halbe Stellen besetzen, über 200 Ehrenamtler.<br />
Daneben einige sogenannte „1-Euro-Jobber“ und ein FSJler<br />
(Freiwilliges Soziales Jahr) sowie (unbezahlte) Praktikanten. Über<br />
200 ehrenamtliche Mitstreiter. Damit ist LOHRO eines der größten<br />
ehrenamtlichen Projekte in der Hanses<strong>tadt</strong>.<br />
Die Ausgangssituation: eine überalterte bzw. überalternde Gesellschaft,<br />
eine Region, die stark von der Abwanderung der jungen, gut<br />
ausgebildeten Leute betroffen ist, zu wenig Arbeit. Zu wenig Arbeit?<br />
Nun, schaut man sich ehrenamtliche Arbeit an, gibt es eher zuviel<br />
Arbeit und zu wenig Leute. Nicht mehr nur in additiven Strukturen<br />
findet Ehrenamt statt, auch in der Grundversorgung - und gehört<br />
Kultur nicht dazu - weitet sich dieser Sektor aus. Damit ändert sich<br />
auch die Art und Weise ehrenamtlichen Engagements. Wo fängt es<br />
an (beim unbezahlten Praktikum)? Und wie lassen sich die Motivationen<br />
für unbezahlte Arbeit noch fassen?<br />
Gerade ein soziokulturelles Projekt wie LOHRO kann viele Anschlussmöglichkeiten<br />
bieten. Zum einen natürlich eine Identifikation<br />
mit dem Projekt. Zum anderen ergibt sich ein wichtiger Faktor<br />
aus der Struktur der Radioarbeit selbst. Da warten organisatorische,<br />
administrative, technische und redaktionelle Aufgaben und Herausforderungen.<br />
Die Möglichkeiten, die sich aus einer Vielzahl von Redaktionen<br />
ergeben (von Politik, Kultur, Satire bis Familie sowie<br />
Techno, Weltmusik, Jazz bis Rock), lassen es zu, dass sich der potentielle<br />
Ehrenamtliche in seinem Interessengebiet engagieren kann. Im<br />
Gegensatz zu vielen anderen Möglichkeiten des Engagements liefert<br />
der Radiobereich eine Situation, bei der durch die gestaltete Sendung<br />
ein hörbares Ergebnis entsteht, ein Erfolgserlebnis.<br />
Vielleicht erklärt dies, wie es LOHRO gelingen konnte, soviel ehrenamtliches<br />
Engagement zu mobilisieren. Betrachtet man die Kulturanalyse,<br />
die 2004 in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt wurde,<br />
so lässt sich flächendeckend feststellen, dass es gerade bei der Mobilisierung<br />
Schwierigkeiten gibt. Nur sehr wenige Initiativen konnten<br />
ihr Reservoir an Ehrenamtlichen vergrößern. Insbesondere im soziokulturellen<br />
Bereich ist eine Neugründung, die mit dem Anwerben<br />
von Ehrenamtlern einhergeht, selten, wenn nicht gar einzigartig.<br />
Wir haben bei LOHRO die Erfahrung gemacht, dass die Bereitschaft<br />
auf jeden Fall vorhanden ist - all das Potential, die Kompetenzen,<br />
das Know-How und auch die soziale Intelligenz von vielen<br />
Menschen fragt niemand ab. Die Gesellschaft ist nicht in der Lage<br />
die Jugendlichen zu integrieren: fehlende Ausbildungsplätze, fehlende<br />
Arbeit, etc. Und die Situation der Vierzig- und Fünfzigjährigen<br />
sieht nicht viel anders aus. Auch hier liegen Wissen und Fähigkeiten<br />
brach. Die Schwierigkeit besteht darin, die Leute an der richtigen<br />
Stelle zu „erwischen“, ihre Vermögen zu kanalisieren, zu koordinieren<br />
und organisieren. So chaotisch und verrückt unser „Laden“ bei<br />
LOHRO auch ist - wir sind ein Laboratorium, in dem man herausfinden<br />
kann, wie Organisationen funktionieren, wie (wir sind ein basisdemokratischer<br />
Haufen) „Bürgergesellschaft“ funktionieren kann.<br />
Das ist natürlich nicht die alleinige Motivation, wenn eine liebenswert<br />
chaotische Anhäufung von Rundfunkfreunden Radio macht.<br />
Die Motive der LOHRO-Ehrenamtler werden wie überall oszillieren<br />
- sie reichen vom reinen Idealismus bis hin zum strategisch günstigen<br />
Stichpunkt im karriereorientierten Lebenslauf, vom reinem Freizeitvergnügen<br />
bis zu ernsthafter Berufsfrühorientierung („irgendwas<br />
mit Medien“), von Selbstverwirklichung, über reflektierte Einsicht in<br />
eine Notwendigkeit bis hin zu Prestige, Erfolgserlebnis, Ruhm und<br />
Ehre. Und bei allen vielleicht auch ein Stück Lokalpatriotismus. In<br />
meiner S<strong>tadt</strong> etwas zu bewegen, meine S<strong>tadt</strong> lebenswerter zu machen,<br />
am Leben meiner S<strong>tadt</strong> teilzuhaben und in meiner S<strong>tadt</strong> eine<br />
Perspektive zu haben,<br />
… um hier zu bleiben? ¬
FOTO: UWE VOSS<br />
FOTO: ANDREAS EHRIG<br />
FOTO: KLAUS AMBERGER
18<br />
TITELTHEMA: STANDPUNKT<br />
Gewerkschaften<br />
und ehrenamtliche Arbeit<br />
Conny Töpfer<br />
ist Mitarbeiterin bei der <strong>Rostock</strong>er Vertretung der Gewerkschaft ver.di<br />
Gewerkschaften wurden ursprünglich einmal gegründet als Selbsthilfeorganisation<br />
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, waren<br />
also von Grund auf ehrenamtliche Organisationen.<br />
Irgendwann haben sich dann die ehrenamtlichen Gewerkschafter<br />
Angestellte eingestellt, die sie bei ihrer Arbeit sozusagen hauptberuflich<br />
unterstützten.<br />
Dem Grunde nach ist das auch heute noch so. Die ehrenamtlichen<br />
Gremien bestimmen den politischen und internen Weg der Gewerkschaften.<br />
Viele Kolleginnen und Kollegen engagieren sich in ihrer<br />
Freizeit für gewerkschaftliche Themen, und das in ganz verschiedenen<br />
Gremien. Bei ver.di gibt es Bezirksvorstände, Ortsvorstände,<br />
Fachbereichsvorstände, Erwerbslosenausschüsse, Gremienausschüsse<br />
und und und. Dieses Engagement ist gar nicht hoch genug<br />
zu würdigen. Dennoch stehen die Gewerkschaften im Moment vor<br />
einer Vielzahl von Problemen und Herausforderungen.<br />
Kernstück unserer Arbeit ist die Arbeit im Betrieb. Dabei stellen wir<br />
immer wieder fest. dass die betriebliche Verankerung der Dreh- und<br />
Angelpunkt für eine erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit ist.<br />
Nur wenn die Mitglieder mitgenommen und da abgeholt werden, wo<br />
sie stehen, ist Gewerkschaftsarbeit auch erfolgreich.<br />
Zu lange wurde gerade auch in den neuen Bundesländern Stellvertreterpolitik<br />
gemacht. Das findet besonders auch seinen Niederschlag<br />
in der Tarifpolitik. Heute, wo es in vielen Tarifbereichen um<br />
die Verteidigung der Tarifverträge geht, ist die Motivierung der Gewerkschaftsmitglieder<br />
erforderlich.<br />
Das ist aber kein Prozess, der im Selbstlauf passiert. Betriebliche Gewerkschaftsstrukturen<br />
sind die Voraussetzung dafür, also ehrenamtliches<br />
Engagement. So konnten wir in der Tarifrunde der Druckindustrie<br />
nur deshalb die 35-Stunden-Woche und andere wichtige Tarifbestandteile<br />
sichern, weil betriebliche Gewerkschaftsfunktionäre,<br />
wie z.B. Vertrauensleute bei der Ostseezeitung, eine kontinuierliche<br />
Arbeit mit und für die Kolleginnen und Kollegen gestaltet haben, die<br />
in einem erfolgreichen Streik mündeten.<br />
Tariffragen sind immer wieder auch Machtfragen. Durchsetzen<br />
können wir diese nur, wenn wir gut organisiert sind. Dafür sorgen in<br />
vielen Fällen unsere betrieblichen Funktionäre. Viele ehrenamtliche<br />
Kolleginnen und Kollegen engagieren sich in der Seniorenarbeit, für<br />
Jugendliche, Frauen oder Erwerbslose. Aber wir stellen immer wieder<br />
fest, dass es schwierig ist, neue Kolleginnen und Kollegen für ein<br />
Ehrenamt zu begeistern, so dass wir in vielen Fällen auch Multifunktionäre<br />
haben. Schöner wäre es, wenn die Arbeit auf mehr Köpfe<br />
verteilt würde und damit auch eine größere Ebene hätte.<br />
Und wichtig ist dabei auch immer, dass bei allen Problemen Gewerkschaftsarbeit<br />
auch Spaß machen muss und keiner verbrannt<br />
wird. Ehrenamtliche Arbeit findet in der Freizeit, oft nach einem langen<br />
Arbeitstag statt. Auch deshalb ist das Engagement von Kolleginnen<br />
und Kollegen, die ihre Freizeit für Gewerkschaftsarbeit opfern,<br />
nicht hoch genug einzuschätzen.<br />
Gewerkschaften können ihrer Rolle nur gerecht werden, wenn die<br />
Beteiligung der Betroffenen, egal um welches Politikfeld es sich handelt,<br />
sichergestellt ist und die Interessen von den Mitgliedern selber<br />
artikuliert werden. Wir Hauptamtlichen verstehen uns in diesem<br />
Prozess als Unterstützer. Konsequente Interessenvertretung heißt<br />
also mit den Ehrenamtlichen, mit den Mitgliedern, für die Mitglieder.<br />
Wenn Gewerkschaften wieder eine größere Rolle als außerparlamentarische<br />
Kraft spielen wollen, dann wird das nur mit den Mitgliedern<br />
und in einem Prozess von unten nach oben gelingen.Keine abgehobenen,<br />
basisfernern Standpunkte von Hauptamtlichen sind das Gebot<br />
er Stunde, sondern eine mitgliedernahe, interessenorientierte Arbeit.<br />
¬
TITELTHEMA: VORGESTELLT<br />
Freiwillig zur Literatur<br />
Der Literaturförderkreis Kuhtor e.V. und die Zeitschrift „Risse“ die Nr.1 in <strong>Rostock</strong><br />
Björn Kluger, Redaktionsmitglied<br />
An einem Namen geht in <strong>Rostock</strong> nichts vorbei, wenn es um Literatur<br />
geht: Der Literaturförderkreis Kuhtor e.V., seit kurzem unter der<br />
Geschäftsführung von Reiner Mnich, hat sich in der Hanses<strong>tadt</strong> seit<br />
Jahren etabliert. Von der Leseförderung und Literaturvermittlung<br />
für Kinder und Jugendliche, z.B. durch das Projekt „Guck mal über<br />
den Tellerrand“, bis hin zur konkreten Textarbeit mit Autoren aus<br />
der Region Mecklenburg-Vorpommern - der Verein nimmt nachhaltig<br />
Einfluss, sowohl qualitativ als auch quantitativ. „Zum Kinderund<br />
Jugendprojekt unter der Leitung von Gutrune Baginski zum<br />
Beispiel haben wir 80 Veranstaltungen im Land durchgeführt“,<br />
merkt der Geschäftsführer des Vereins an. Die zahlreichen Aktivitäten<br />
werden fast ausschließlich ehrenamtlich erbracht. „Ohne freiwilliges<br />
Engagement geht nichts“, beteuert Projektleiterin Katinka Friese.<br />
Seit fünf Jahren freiwillig dabei, hat es sich für sie persönlich inhaltlich<br />
und auch praktisch gelohnt: „Die soziale Motivation tritt da<br />
eher hinter den Gedanken zurück, dass die Arbeit hier von den<br />
Kenntnissen der Mitarbeitenden profitiert und jeder selbst noch etwas<br />
lernt.“ Auch die Universität ist im Boot, „um die Literaturwissenschaft<br />
greifbarer für ein breiteres Publikum zu entfalten“ - Dr.<br />
Wolfgang Gabler kümmert sich im Auftrag des Kuhtores um die<br />
Autorenförderung.<br />
Bis zu acht Praktikanten sind derzeit im Verein tätig, neben dem<br />
ehrenamtlichen Vorstand. Viele von ihnen nutzen freie Mitarbeit für<br />
ein studienbezogenes Praktikum. „Fast ausschließlich Germanisten“,<br />
ergänzt Frau Friese. Ein Großteil der projektbezogenen Arbeit würde<br />
erst durch sie möglich, denn „wer neben Studenten und Pensionären<br />
hat die Zeit und Muße, sich noch neben dem Beruf derart zu<br />
engagieren?“ Zusammen mit Katharina Lippin kümmert sie sich um<br />
das Projekt „Prosanova“, eine Art Literaturshow, bei der auf der Lesebühne<br />
Texte und Lieder kombiniert werden. Etwas ernster wird es<br />
beim reinen Wettbewerb „Poetry Slam“, der zuweilen sogar international<br />
besetzt ist.<br />
Wie viele andere kulturelle und soziale Aktivitäten muss sich auch<br />
dieser Verein über Fördergelder finanzieren. Auf die Landes- und<br />
kommunalen Mittel sei man „angewiesen“ und „selbst damit sind<br />
große Sprünge nicht drin, zumal 10% gegenüber dem Vorjahr vom<br />
Land gekürzt wurde“, fasst Geschäftsführer Mnich die Situation zusammen.<br />
Beide Vereinsmitglieder sind sich einig, dass eine Gesellschaft<br />
eben auch dadurch lebt, dass Kultur und insbesondere die Literatur<br />
einen bedeutenden Beitrag leisten. Im Land der Dichter und<br />
Denker müsste dies selbstverständlich sein. In diesem Zusammenhang<br />
verweist Frau Friese, dieses Mal als Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift<br />
„Risse“, auf die drastisch gesunkene Unterstützung.<br />
Rund 8.000 Euro weniger im Jahr 2005 bedeutete ein Einstellen<br />
der Herausgabe, da die Druckkosten damit nicht mehr bezahlbar<br />
seien. Sieben Jahre Arbeit „sind somit für die Katz, denn gerade die<br />
Kultur braucht eine langfristige Perspektive und nicht immer, die<br />
Angst, ob im nächsten Jahr eine weitere Förderung erfolgt“, ereifert<br />
sich Katinka Friese. Ob der wechselnden Redaktionsverantwortung<br />
der sieben Redakteure für Lesen, Lektorat oder die wöchentlichen<br />
Treffs - die Zukunft sieht in dieser Hinsicht grau aus.<br />
Der Weg des Einwerbens von Drittmitteln wird zwar gegangen,<br />
doch reiche dies nicht aus, die fehlende Förderung auszugleichen. So<br />
läuft eben Vieles über freiwilliges Engagement, das zumindest noch,<br />
mit viel Enthusiasmus, gemeinsame Projekte wie eben. „Prosanova“<br />
auf die Beine stellt. In Zusammenarbeit mit der Hochschule Wismar<br />
haben die Literaturfreunde mit Studenten des Bereichs Grafik/Design<br />
Texte in Bilder umgesetzt. „Die Praktikanten und wir haben viel<br />
Herzblut hineingesteckt“, merkt Frau Friese an. Das Ergebnis ist zunächst<br />
ab 11.November 2005 im Kuhtor zu bewundern. „Aber der<br />
Druck des kleinen Buches kostet uns nicht nur Nerven, sondern vor<br />
allem Geld.“. - Hierfür und für weitere Aktivitäten wird daher um finanzielle<br />
Unterstützung gebeten, in welcher Form auch immer. ¬<br />
Literaturförderkreis Kuhtor e.V.,<br />
Hypo- und Vereinsbank, BLZ: 200 300 00, Kto-Nr.: 29 61 66 49<br />
19
20<br />
TITELTHEMA: PRAXIS<br />
Ein Oberstleutnant der NVA<br />
im Ehrenamt der Bundesrepublik<br />
Peter Köppen (*1939)<br />
Redaktionsmitglied, Dr. phil. habil., Historiker, ehem.<br />
Universität <strong>Rostock</strong>, danach tätig in verschiedenen<br />
Projekten, Gründungs- und Redaktionsmitglied der<br />
S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong><br />
Kontakt: peter.koeppen@gmx.de<br />
Darf ich vorstellen: Eckhard Wegner, Jg. 1943, Berufsoffizier der<br />
NVA bis 1988, ab 1991 im Technischen Hilfswerk (THW) <strong>Rostock</strong><br />
tätig und ihr Ortsbeauftragter noch bis zum Oktober 2006, zurzeit<br />
arbeitslos und ab 1.1.06 Rentner.<br />
Wie ist das zu verstehen, Ortsbeauftragter des THW und arbeitslos<br />
bzw. Rentner?<br />
Ganz sicher war und ist E. Wegner nicht ohne Arbeit, aber er hat keine<br />
Festanstellung beim THW. Im Technischen Hilfswerk der<br />
Bundesrepublik arbeiten fast 99 Prozent auf ehrenamtlicher Basis, in<br />
den Ortsverbänden alle. Das THW ist - wohl einmalig - eine ehrenamtlich<br />
getragene staatliche Organisation der Bundesrepublik<br />
Deutschland.<br />
Ganz stimmt das allerdings auch wieder nicht. Können doch Wehrpflichtige<br />
statt Wehr- und Zivildienst auch beim THW oder auch bei<br />
der freiwilligen Feuerwehr ihren Dienst leisten. 9 Monate? Etwas<br />
länger dauert dieser Ersatzdienst schon: 6 Jahre! Das ist für manchen<br />
eine Alternative. Man entgeht Defiziten im Berufsleben oder auch<br />
dem militärischen Dienst mit all seinen Begleiterscheinungen.<br />
Der Großteil der Arbeit im THW ist die ständige Aus- und Weiterbildung.<br />
Sie umfasst rund 120 Stunden im Jahr, verteilt auf 10 Wochenenden.<br />
Die Einsätze im THW sind da das „i-Tüpfelchen“. Sie<br />
erfolgen sporadisch je nach Notwendigkeit und auch nach Vereinbarung.<br />
Etwa ein Drittel der THW-Einsatzkräfte sind „richtige“ Freiwillige,<br />
die natürlich nicht die 6 Jahre ableisten müssen; die anderen<br />
zwei Drittel sind Freigestellte von der Bundeswehr.<br />
Eckhard Wegner ist gelernte Dreher und war erfolgreicher Berufs-<br />
Offizier der NVA. Seine Erfahrungen als militärischer Leiter kamen<br />
ihm nach 1989 zugute, als er seit Ende 1991 in verschiedenen Maßnahmen<br />
des zweiten Arbeitsmarktes als Projektleiter tätig war, bei<br />
der Amtsverwaltung Warnow-West, bei der Projektentwicklungs-<br />
GmbH Tector und bei der BQG Neptun. Ganz zum Schluss hat er<br />
noch innerhalb der Zuverdienstspanne als Arbeitsloser mitgeholfen,<br />
ein Stück der ewigen Arbeit an der Erhaltung der Marienkirche zu<br />
leisten. Gemeinsam mit Frank Sakowski, verantwortlicher Baupfleger<br />
und Bauleiter für die Marienkirche in <strong>Rostock</strong>, übrigens auch ein<br />
ehemaliger Offizier (vgl. dazu den Beitrag von Jens Langer in diesem<br />
Heft).<br />
Wenn ich allein diese beiden Männer sehe, kommen meine vor gut<br />
40 Jahren (mein Schreck!) im Grundwehrdienst erhaltenen Eindrükke<br />
doch arg ins Wanken. Es gibt nicht allzu viele Menschen in <strong>Rostock</strong>,<br />
die sich mit solch einem Engagement für das Wohl der S<strong>tadt</strong><br />
einsetzen, wie diese beiden.<br />
Ich weiß nicht, ob die Tätigkeit im THW für E. Wegner so etwas wie<br />
ein kleiner Ersatz für den erlernten und gerne ausgeübten Offiziersberuf<br />
war. Warum auch nicht? Auf jeden Fall ist es aber mehr.<br />
Denn warum sollte er im November 1995 bei Schneetreiben und<br />
Sturmflut Sandsäcke füllen, 1997 mit 22 Helfern im Einsatz gegen<br />
das Oderhochwasser stehen oder mit 35 Einsatzkräften versuchen,<br />
dem Elbe-Hochwasser Paroli zu bieten? Oder beim Einsturz der<br />
Goldberger Schule und dem umgestürzten Kran auf dem Doberaner<br />
Platz Leichen bergen. Oder mit seinen Mannen das vom Sturm<br />
abgedeckte Dach der Elmenhorster Getränkefabrik wieder schließen<br />
und Maschinen und Produktion damit sichern.<br />
Motive für E. Wegners Arbeit im THW ist nicht staatlicher Druck,<br />
ist nicht Ersatz für eine andere Tätigkeit, erst recht nicht die „riesige“<br />
Summe von 37 Euro und ein paar Cent, die einige Führungskräfte<br />
und Stabsmitglieder als Mehraufwandsentschädigung erhalten.<br />
Die Arbeit im THW macht ganz einfach Freude, weil anderen geholfen<br />
werden kann.<br />
Zum Glück muss sich das THW nur selten bei großen Katastropheneinsätzen<br />
engagieren. Andere Einsatzgebiete erfolgen „bei Gefahrenabwendung<br />
auf Anforderung“ z.B. durch Feuerwehr, BGS<br />
und Polizei. Aber auch die technische Sicherung des jährlich stattfindenden<br />
KTV-S<strong>tadt</strong>teilfestes „Blau machen“, des Fischerfestes am<br />
Schwanenteich, der <strong>Rostock</strong>er Marathonnacht, des Seefliegertreffens<br />
auf der Hanse Sail, von Dorffesten usw. verlangen viel Einsatz und<br />
Engagement. Es ist Öffentlichkeitsarbeit für das THW und unverzichtbare<br />
Hilfe für die Veranstalter. Man muss nur die Geschäftsführerin<br />
der Geschichtswerkstatt <strong>Rostock</strong>, Angrit Weber, hören, wie begeistert<br />
und dankbar sie über die ausgezeichnete Zusammenarbeit<br />
mit E. Wegner beim S<strong>tadt</strong>teilfest KTV spricht. Es ist ein Fest, nahezu<br />
vollständig von Ehrenamtlichen vorbereitet. Und da passt Eckhard<br />
Wegner wunderbar mit hinein.
Ein ganz anderes Einsatzfeld ist die humanitäre Hilfe im Ausland.<br />
Das betrifft einzelne THW-Mitglieder, die bereits längere Zeit vor<br />
dem Einsatz von der Bundesleitung erfasst wurden. Sie werden<br />
während ihres Auslandeinsatzes vom Bund bezahlt, während ihr Arbeitsverhältnis<br />
in der Heimat derweil ruht. Der Einsatz ist generell<br />
freiwillig. Eckhard Wegner beteiligt sich seit einigen Jahren an einem<br />
ganz anderen Auslandseinsatz.<br />
2005 jährt sich zum 7. Male der Hilfsgütertransport nach Litauen.<br />
Initiiert durch den langjährigen „Litauenfahrer“ Franz Lausch aus<br />
Gehlsdorf und unter Trägerschaft der Gehlsdorfer Kirchgemeinde<br />
mit Frau Pastor Strube, unterstützt durch den „Verein zur Förderung<br />
Technisch-Humanitären Wirkens <strong>Rostock</strong> e.V.“, werden die Spenden<br />
in <strong>Rostock</strong> gesammelt und letztlich auf die mühselige Fahrt zur Sozialstation<br />
Sandora in Šilute/Litauen geschickt. Gefahren wird mit<br />
der Technik des THW.<br />
In den 8 Tagen Aufenthalt verteilen die Helfer aus <strong>Rostock</strong> die gespendeten<br />
Hilfsgüter (Bekleidung, Haushaltsgeräte, Fahrräder, Nahrungsmittel,<br />
Krankenbetten und vieles andere) mit Hilfe der Sozialstation<br />
selbst. Es sind Dinge, die dringend in einem Land gebraucht<br />
werden, in dem insbesondere in den Dörfern eine für uns kaum vorstellbare<br />
Not herrscht. Die Feuerwehr der Region und der Brandund<br />
Katastrophenschutz Litauens profitiert durch die Übernahme<br />
von dringend benötigtem, technischem Gerät.<br />
Den Ortsverband <strong>Rostock</strong> hat E. Wegner mit 22 Einsatzkräften im<br />
Oktober 1991 gebildet. Heute sind es ca.100 Einsatzkräfte (von über<br />
76.000 Ehrenamtlichen in der ganzen Bundesrepublik), darunter 8<br />
Frauen.<br />
Die letzten eineinhalb Jahrzehnte waren für E. Wegner 15 Jahre Ehrenamt<br />
in einer Funktion mit großer Verantwortung. Ganz loslassen<br />
wird er sein THW wohl auch als Rentner nicht. Vielleicht bekommt<br />
die THW-Jugend (Zehn- bis Siebzehnjährige) einen jung gebliebenen<br />
erfahrenen Rentner als ehrenamtlichen Helfer? ¬<br />
Bundesanstalt Technisches Hilfswerk<br />
Ortsverband <strong>Rostock</strong><br />
Kopernikusstraße 1c<br />
D - 18057 <strong>Rostock</strong><br />
Tel.: +49 381 4000299 (Mi 17-19 Uhr)<br />
Fax: +49 381 4000266<br />
Mail: ov-rostock@thw.de<br />
www.thw.bund.de - für das THW<br />
www.lv-hhmvsh.thw.de - für den Länderverband<br />
www.ov-rostock.thw.de - für den Ortsverband <strong>Rostock</strong><br />
Spendenkonto des Fördervereins:<br />
THW Förderverein<br />
Ostseesparkasse <strong>Rostock</strong><br />
Kto-Nr: 235001226<br />
BLZ: 13050000<br />
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22<br />
TITELTHEMA: VIRTUELLE LAUDATIO<br />
An der Schnittstelle von Pflicht und Freiwilligkeit<br />
Über Einen, der den Kulturpreis der S<strong>tadt</strong> <strong>Rostock</strong> verdient hätte<br />
Wenn ich jemanden für den <strong>Rostock</strong>er Kulturpreis<br />
verschlagen sollte, würde der Frank<br />
Sakowski heißen.<br />
Meine Begründung könnte etwa so lauten:<br />
Jens Langer (*1939)<br />
Dr. theol. habil., seit 1964 in verschiedenen kirchlichen Aufgabenbereichen<br />
tätig, bis 2003 Pastor der Evangelisch-Lutherischen<br />
Innens<strong>tadt</strong>gemeinde an St. Marien<br />
Kontakt über: redaktion@s<strong>tadt</strong>gespraeche-rostock.de<br />
Frank Sakowski hat als freischaffender Denkmalpfleger, Berater und<br />
Bauleiter im vergangenen Jahrzehnt mit der Liebe für das Überlieferte<br />
nachhaltig konstruktiv und zukunftsorientiert gewirkt. Ohne<br />
Anspruch auf Vollzähligkeit seien einige Projekte genannt, bei denen<br />
Herr Sakowski im erwähnten Sinne tätig war: Rathaus, Hopfenmarkt<br />
und beratend bei den Professorenhäusern an der Universitätskirche.<br />
Er hat das Ensemble eines Gutshofes in Groß Viegeln bei Kessin<br />
vor dem Verfall gerettet und die moderne Nutzung ermöglicht.<br />
In einem kritischen Abschnitt bei der Installierung des Jakobikirchplatzes<br />
hat er im Sommer 2003 als einzelner Bürger verantwortungsvoll<br />
interveniert bei der <strong>Rostock</strong>er Gesellschaft für S<strong>tadt</strong>erneuerung<br />
und Wohnungsbau sowie der Denkmalpflege. Er hat damit zu einer<br />
Phase besonderer Nachdenklichkeit beigetragen, die diesem Memorial<br />
für eine durch Bomben und Ideologie lädierte S<strong>tadt</strong>kultur zugute<br />
gekommen ist. Wie stets lag Herrn Sakowski auch in diesem Falle<br />
daran, Verlorenes zu akzeptieren, aber die Kontinuität des noch Vorhandenen<br />
gerade in dieser städtischen Lücke als offene Wunde zu erinnern.<br />
Gemeinsam mit der Sensibilität der zuständigen Einrichtungen<br />
und Personen ist ihm dies gelungen, wie zu sehen ist.<br />
Auch an anderen Plätzen seines Wirkens entdeckt er in der Zusammenschau<br />
von überlieferter S<strong>tadt</strong>kultur und hastiger Tageskultur die<br />
Chance existentiell gelebter urbaner Identität, die sich an die Quellen<br />
unserer heutigen Kultur stellt, aus ihnen Kontur und Charme empfängt,<br />
ohne das Heute zu diskreditieren.<br />
Seit 2001 arbeitet er als Baupfleger und Bauleiter eines Architekturbüros<br />
für die Rettung der Marienkirche in <strong>Rostock</strong>. Seine ständige<br />
Präsenz um und in St. Marien hat Quantität und Qualität aller Bemühungen<br />
zur Sanierung akzelerieren lassen. Das geht weit über<br />
den Einsatz eines angestellten Mitarbeiters hinaus, wie auch seine<br />
Tätigkeit als Vorsitzender des Fördervereins der Marienkirche verdeutlicht.<br />
Im Interesse der S<strong>tadt</strong>kultur arbeitet er mit unterschiedlichsten<br />
Kräften und Qualifikationen zusammen - von Handwerkern<br />
bis zu ABM-Kräften und Ehrenamtlichen, mit Architekten, Pastoren,<br />
Spendern und Wissenschaftlern wie etwa denen von der Potsdamer<br />
Forschungsstelle für mittelalterliche Glasmalerei bei der Akademie<br />
der Wissenschaften Berlin-Brandenburg. Er versteht es, zeitweilige<br />
und ständige Aktivitäten zu einem Energiepool für die in<br />
widrigen Zeitläufen erhaltene Kirche zu bündeln, die zugleich ein<br />
Magnet für den Tourismus (ca. 200.000 Touristen pro Jahr) und<br />
größte Baustelle der Mecklenburgischen Landeskirche ist. Es würde<br />
zu weit führen, wollte ich alles in dieser Hinsicht Bemerkenswerte<br />
auflisten. Aber die Rettung der Kapelle der Familie von Heinen und<br />
die Restaurierung der Votivfenster der Mannschen Kapelle (Tiroler<br />
Glasmalerei) samt Wiederherstellung des Kapellenraumes wären<br />
ohne Frank Sakowski nicht möglich gewesen - und beides lag außerhalb<br />
der jährlichen Projekte.<br />
Ein leicht übersehenes Kleinod von Kirche und S<strong>tadt</strong> verdankt<br />
schließlich seine kulturelle Restitution ebenfalls dem hier preiswürdigen<br />
Genannten: die ältesten mittelalterlichen Buntglasscheiben <strong>Rostock</strong>s,<br />
die sich seit Jahrzehnten im Archiv des Kunstdienstes der<br />
Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs befanden<br />
bzw. im Kulturhistorischen Museum ausgestellt waren, wurden<br />
2003/2004 nach Jahrhunderten der Verborgenheit in der Bröker-<br />
Kapelle wieder der Öffentlichkeit zur originalen Nutzung übergeben:<br />
11 Glasscheiben zeugen von der Geschichte unserer urbanen<br />
Kultur und dem Können heutiger Restauratoren und Handwerker.<br />
Auch Kleinigkeiten können groß sein, auf jeden Fall die Mühe um<br />
und die Sorgfalt für sie. Das Gespür für einen einmaligen kulturellen<br />
Schatz, der Blick für die geeigneten Mitarbeiter und Unterstützer, das<br />
Glück unerwartet geflossener privater Stiftung, der Sensus für die<br />
Gunst der Stunde sowie der Mut zur Entscheidung führten hier zu<br />
einem großartigen Erfolg, mit dem gleichwohl unspektakulär umgegangen<br />
wurde, weil er von vornherein als Teil des Gesamtvorhabens<br />
konzipiert worden war.
Das sagt sich leicht und ist tatsächlich schwierig, zumal an dieser<br />
Schnittstelle zwischen Pflicht und Freiwilligkeit: Bezahlte Arbeit und<br />
ehrenamtliche Aufgabe beeinflussen sich wechselseitig. Das bewirkt<br />
Entlastung und Druck, mal synchron, mal nacheinander. Was zusätzlich<br />
zum laufenden Programm auf einer Baustelle als notwendiger<br />
Rettungsbedarf erkannt wird - also nicht vertuscht werden soll -<br />
braucht ganz schlicht Einfälle und immerzu Menschen für sie, die<br />
die materielle Leistung aufbringen, physisch oder finanziell. Gewiss<br />
kann man sagen, dass die ehrenamtlichen Aufgaben die bereits projektierten<br />
Vorhaben fördern, ebenso sind sie aber auch eine stressende<br />
Forderung an Leib und Seele von Ideengebern. Andererseits<br />
schaffen die baulichen „Jahresscheiben“ den Einblick, den Schub,<br />
die Herausforderungen, die ehrlich und mit amtlicher Zustimmung<br />
erbracht werden sollen, gewiss auch richtig ehrenvoll - mit einem<br />
Wort: ehrenamtlich - sind. Aber für den, der sich gern und oft selbst<br />
beansprucht, um andere für ein Projekt um der Zukunft willen zu<br />
gewinnen, muss es auch nervend und angestrengt sein.<br />
Bei alledem vertritt Frank Sakowski in seiner Fürsorge gegenüber<br />
dem Denkmal und dessen kostbare Details mit dem Historiker Otto<br />
Borst die Position, „dass die Baulichkeiten der Städte gar nicht den<br />
Zweck haben, unverändert zu bleiben“: Die Vergangenheit und ihre<br />
Sachzeugnisse können nicht steril erhalten werden, wie man Zeitlichkeit<br />
sowieso nicht in unserem Kulturhaushalt konservieren kann<br />
(vgl. Manfred Sack, Bauen in historischer Umgebung, Dresden 1993,<br />
S. 18). Es fällt auch auf, dass sich Frank Sakowski zwar dem jeweiligen<br />
Projekt konzentriert zuwendet, gleichwohl keine Partikularinteressen<br />
verfolgt, sondern das Einzelne der gesamten S<strong>tadt</strong>kultur zuordnet.<br />
Seine weitsichtige Sorgfalt entspricht der Komplexität seiner<br />
Aufgabe. So wurde jüngst seine Zusammenarbeit mit den S<strong>tadt</strong>planern<br />
bei der Umgestaltung des Ziegenmarktes gewürdigt (Briefe -<br />
Zur Orientierung im Konflikt Mensch-Erde, 25. Jg., Winter 2004,<br />
Heft 73, S. T 13 f.)<br />
Im Ergebnis der Kooperation wurde dieser Platz an der Kirche mit<br />
insektenfreundlichen Straßenlampen ausgestattet. In diesem Zusammenhang<br />
wurde ebenso auf Frank Sakowskis Beitrag gegen die<br />
sich ausbreitende Lichtverschmutzung auch an Kirchen hingewiesen.<br />
Seine Umsichtigkeit gilt zwar zunächst der materiellen Kultur, doch<br />
lässt er diese mit nüchternem Blick und begeisterter Schau den<br />
ideellen Wurzeln als Triebkraft korrespondieren. Schulklassen von<br />
nah und fern, S<strong>tadt</strong>führerinnen und Touristen aus aller Welt, die er<br />
jährlich allesamt in seiner knappen Freizeit zu Hunderten durch die<br />
hohe Architektur führt, erleben so in ihm eine interpretatorische<br />
Kraft, die auch sie ungeahnte Dimensionen entdecken lässt und die<br />
inspiriert mit dem Respekt vor dem Gewordenen, der Hochachtung<br />
für frühere Generationen und der Offenheit für eine Urbanität der<br />
Würde und der Zukunft. So wirkt Frank Sakowski überzeugt und<br />
überzeugend für diese S<strong>tadt</strong>. Er gewinnt Menschen für das kulturelle<br />
<strong>Rostock</strong> in der Gegenwart. Er ist ein Kulturbotschafter unserer<br />
Heimats<strong>tadt</strong>.<br />
So arbeitet Frank Sakowski für die Zukunft der S<strong>tadt</strong>. Seine Auszeichnung<br />
würde Anerkennung und Ermutigung für viele unbekannte<br />
Zukunftsarbeiter bedeuten.<br />
So etwa könnte man den Kulturausschuss der Bürgerschaft auf einen<br />
künftigen Preisträger aufmerksam machen, der eigentlich schon<br />
einer ist. ¬<br />
23
24<br />
TITELTHEMA: INTERVIEW<br />
Die „S<strong>tadt</strong><strong>gespräche</strong>“ fragten Prof. Dr. Wolfgang Methling,<br />
Vorsitzender des Vereins „Freunde und Förderer der Kulturstiftung <strong>Rostock</strong>“<br />
Vor gut 3 Jahren wurde der Verein „Freunde und Förderer der Kulturstiftung <strong>Rostock</strong>“ als<br />
Zusammenschluss von für den Verein ehrenamtlich tätigen Mitgliedern gegründet. Die in<br />
der Gründungsphase formulierten Aufgaben wurden nur zum Teil umgesetzt. Was sind<br />
die Ursachen dafür?<br />
Zunächst danke ich Ihnen für Ihr Interesse an der Arbeit unseres im<br />
Mai 2002 gegründeten Vereins der Freunde und Förderer der Kulturstiftung<br />
<strong>Rostock</strong>. Sie haben Recht: Die bei der Gründung formulierten<br />
Aufgaben haben wir nur teilweise erfüllen können. Die ersten<br />
von uns organisierten Veranstaltungen waren durchaus ein gelungener<br />
Auftakt. Ich nenne die Buchlesung und Diskussion mit unserem<br />
Gründungmitglied Dieter Schröder über „Politik und andere dumme<br />
Fragen“ sowie die Diskussion im und zum Volkstheater. Später gelang<br />
es uns nicht kontinuierlich genug, Veranstaltungen zu organisieren<br />
und andere Aktivitäten zu entwickeln bzw. geplante tatsächlich<br />
durchzuführen.<br />
Wir wollten und wollen durch eigene Veranstaltungen positive<br />
Beiträge zur Entwicklung des kulturellen Lebens, zur Förderung einer<br />
kulturvollen Atmosphäre in der Hanses<strong>tadt</strong> <strong>Rostock</strong> mit ihrer<br />
großen Vielfalt an Kultureinrichtungen, -trägern und -veranstaltungen<br />
leisten. Wir gehen dabei von einem sehr breiten Kulturbegriff<br />
aus, meinen also nicht nur bildende Kunst, Musik und Literatur, sondern<br />
auch S<strong>tadt</strong>entwicklung und Baukultur, Bildung und Erziehung,<br />
Religion u. a. Wir wollten und wollen durch die Gründung einer<br />
Stiftung vor allem kleine Kulturprojekte fördern und einen alternativen<br />
Kulturpreis verleihen.<br />
Welches sind die Ursachen, dass wir unsere Ziele bisher<br />
nur teilweise erreichen konnten? Unser Verein mit gegenwärtig<br />
20 Mitgliedern arbeitet ausschließlich ehrenamtlich, die meisten<br />
Vereinsmitglieder sind beruflich stark engagiert. Das führte dazu,<br />
dass geplante Veranstaltungen, für deren Vorbereitung und Durchführung<br />
einzelne Mitglieder zuständig waren, plötzlich wegen<br />
Krankheit oder aus anderen Gründen abgesagt werden mussten.<br />
Manchmal fehlte auch das Geld, weil in Aussicht gestellte Förderung<br />
oder Sponsoring ausblieb. Das Einbringen in und die Initiative für<br />
kulturpolitische Debatten geschah zu selten, weil wir absolut basisdemokratisch<br />
arbeiten und die Meinungsvielfalt keine einheitlichen<br />
Positionierungen zuließ (z. B. zur Heinkel- und Ohain-Debatte, zu<br />
Baukulturthemen, zur Pop-Musik an der HMT, zu Kunst im öffentlichen<br />
Raum u.a.).<br />
Die wichtigste Ursache war jedoch die starke Bindung unserer<br />
Kräfte durch das Engagement für die Gründung einer Stiftung zur<br />
Übernahme der Trägerschaft für die Kunsthalle <strong>Rostock</strong>. Der Start<br />
war sehr verheißungsvoll. Ich hatte Zusagen von potenziellen Stiftern<br />
und Sponsoren, obwohl es von Anfang an gegenläufige und<br />
konkurrierende Aktivitäten gab. Die Stiftungssatzung und das Stiftungsgeschäft<br />
waren mit der S<strong>tadt</strong> ausgehandelt. Der Rücktritt von<br />
OB Arno Pöker und der folgende Wahlkampf waren für einige Stifter<br />
Grund oder Anlass, ihr Engagement für die Kunsthallen-Stiftung<br />
einzustellen, weil sie keine indirekte Wahlkampfhilfe (für wen auch<br />
immer?!) leisten wollten.<br />
Nach der Wahl von Roland Methling zum OB habe ich wieder<br />
Gespräche aufgenommen, aber mit wenig Erfolg, zumal Ingo<br />
Richter (z. T. gemeinsam mit potenziellen Stiftern „unseres“ Projektes)<br />
sehr schnell seine Bürgerstiftung proklamiert hat. Eine inhaltliche<br />
Konkurrenz der Bürgerstiftung und unserer Kulturstiftung ist<br />
nicht gegeben, da unsere auf den Kulturbereich fixiert ist, während<br />
jene für „alles Gute“ da sein will. Aber unter den neuen Bedingungen<br />
und unter Beachtung der Kunsthalle-Aktivität der Familie Sonnevend<br />
haben wir beschlossen, unsere Fokussierung auf die Trägerschaft<br />
der Kunsthalle aufzugeben und uns auf unsere ursprünglichen<br />
Ziele zu konzentrieren.<br />
Hat der Verein mit der in der Satzung gestellten Zielstellung<br />
noch eine Berechtigung, da jetzt in <strong>Rostock</strong> eine<br />
Hanseatische Bürgerstiftung entstanden ist? Wird der<br />
Verein „Freunde und Förderer der Kulturstiftung <strong>Rostock</strong>“<br />
mit dieser Stiftung zusammenarbeiten, wenn ja,<br />
auf welche Weise? Und welche Ziele und Aufgaben hat<br />
sich der Verein bei seiner Weiterexistenz für die nächste<br />
Zeit gesetzt?<br />
Unser Verein hat mit unserem speziellen Kulturförderanliegen, aber<br />
unabhängig von diversen Fördervereinen der jeweiligen Kultureinrichtungen,<br />
noch seine volle Berechtigung. Wir sind unabhängig von<br />
Klientelinteressen der Einrichtungen, von S<strong>tadt</strong>politik und -verwaltung,<br />
von parteipolitischen Interessen. Wir haben nach wie vor das
Ziel, eine „kleine“ Stiftung aufzubauen, um Projekte und einen Kulturpreis<br />
fördern zu können, und werden Veranstaltungen organisieren<br />
und Aktivitäten entwickeln, die der Förderung der Kultur in <strong>Rostock</strong><br />
dienen. Es begann im Juli 2005 mit einer intensiven internen<br />
Diskussion mit dem neuen OB bei Inge und Jo Jastram, es folgen in<br />
diesem Jahr u. a. noch eine Führung und Diskussion zur Baukultur<br />
in <strong>Rostock</strong>, eine Podiumsdiskussion zur Rolle des Glaubens in der<br />
heutigen Gesellschaft (u. a. mit den Bischöfen Beste und Werbs) sowie<br />
im April 2006 die 1. Nordischen Literaturtage mit Bestsellerautoren<br />
aus Schweden.<br />
Die Zusammenarbeit mit der Bürgerstiftung und anderen Stiftungen<br />
sowie mit anderen Vereinen ist partiell sicher möglich und von uns<br />
durchaus gewollt. Deswegen haben wir auf den offenen Brief des<br />
Vereins der Freunde und Förderer des Volkstheaters an den OB<br />
ebenfalls mit einem solchen offenen Brief reagiert. Uns kommt es<br />
vor allem darauf an, einen konstruktiven Dialog zu führen und nicht<br />
mutmaßliche und tatsächliche „Kulturbanausen“ auszumachen und<br />
zu bekämpfen. Ein solcher Dialog sollte regelmäßig geführt und unparteiisch<br />
moderiert werden. Wir sind dazu bereit. ¬<br />
www.kulturstiftung-rostock.de<br />
Gründungsmitglieder des Vereins sind Michael Bräuer, Wilfried Hausmanns, Jo<br />
Jastram, Horst Klinkmann, Gerhard Maeß, Wolfgang Methling, Hartmut<br />
Möller, Konrad Reich, Dieter Schröder, Bernd Schuster, Anna-Katharina Szagun,<br />
Ulrich Vetter<br />
25
26<br />
TITELTHEMA: LINKS<br />
Zum Weiterdenken<br />
Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland, Berlin:<br />
www.ehrenamt.de<br />
bundesweites Kompetenzzentrum für angewandtes Nonprofit Management, Projekt im Förderverein<br />
für Jugend und Sozialarbeit e.V. (fjs) zu Berlin. Aufgabe: Qualifizierung und Fortbildung,<br />
Beratung und Organisationsentwicklung zur Förderung einer nachhaltigen Freiwilligen-<br />
Kultur in Deutschland, zum freiwilligen bürgerschaftlichen Engagement und Ehrenamt in.<br />
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement“ (BBE).<br />
Sitz Frankfurt am Main:<br />
www.freiwillig.de<br />
Netzwerk aller drei großen gesellschaftlichen Bereiche (Bürgergesellschaft, Staat und Kommunen,<br />
Wirtschaft/Arbeitsleben) zur Förderung von bürgerschaftlichem Engagement und Bürgergesellschaft.<br />
Freiwilligenarbeit, Selbsthilfe und Ehrenamt sollen einen höheren Stellenwert in<br />
Staat und Gesellschaft bekommen.<br />
Know-how für Vereine und den Nonprofit-Bereich, Nonprofit<br />
Management<br />
www.vereinsknowhow.de<br />
Vielfältige Informationen zu Vereinsrecht, Vereinssteuerrecht, Vereinsbesteuerung, Vereinsorganisation,<br />
mit Datenbänken, Urteilsservice, Seminarangeboten, Gesetzen, Adressen, Infobrief<br />
u.a.mehr<br />
Stiftung „Mitarbeit“: www.mitarbeit.de;<br />
Die Stiftung hat sich die „Demokratieentwicklung von unten“ zur Aufgabe gemacht und versteht<br />
sich als Servicestelle für das bürgerschaftliche Engagement außerhalb von Parteien und<br />
großen Verbänden (Beratung, Informationen, Kontaktvermittlung und Vernetzung, praktische<br />
Hilfestellungen)<br />
www.wegweiser-buergergesellschaft.de<br />
Internetportal, das über Möglichkeiten des Engagements in der Bürgergesellschaft informiert,<br />
Praxishilfen und Unterstützungsmöglichkeiten bietet. Es unterstützt den Erfahrungsaustausch,<br />
die Kooperation und das gegenseitige Lernen zwischen unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen<br />
Netzwerken.<br />
Mehr Demokratie e.V.: www.mehr-demokratie.de,<br />
siehe auch: www.omnibus.org<br />
Die Bürgeraktion „Mehr Demokratie e.V.“ setzt sich für das Recht auf Volksentscheid und für<br />
direkte Demokratie mit fairen Spielregeln ein. In den Gemeinden, den Ländern und auf<br />
Bundesebene sollen die Menschen die Möglichkeit bekommen, in wichtigen Sachfragen direkt<br />
zu entscheiden nach dem Grundsatz: Von der Zuschauerdemokratie hin zu einer Kultur der<br />
Beteiligung und des Dialogs.<br />
Aktive Bürgerschaft: www.aktive-buergerschaft.de<br />
Informationsportal für Bürgerstiftungen, Corporate Citizenship, Dritte-Sektor-Forschung,<br />
Nonprofit Management und Bürgerengagement.<br />
Unterstützt von namhaften Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, Wissenschaft<br />
und Medien setzt sich die Aktive Bürgerschaft für eine Gesellschaft aktiver Bürger und<br />
engagierter Unternehmen ein.
Bürgerstiftungen:<br />
www.aktive-buergerschaft.de/vab/arbeitsbereiche/buergerstiftungen<br />
Die Bürgerstiftungen führen in Deutschland seit Mitte der Neunzigerjahre lokale Akteure<br />
bürgerschaftlichen Engagements in einem Bündnis zusammen. Bis 2002 gab es rund 100<br />
Bürgerstiftungen und Gründungsinitiativen in Deutschland, durch den Gesetzgeber vielfältig<br />
gefördert. (Bürgerstiftungen engagieren sich nur in einem begrenzten geographischen<br />
Gebiet. Privatpersonen, Unternehmen und andere Organisationen erreichen durch die gemeinsame<br />
Stiftungsgründung ein größeres Stiftungskapital als mit den jeweiligen - oft nur<br />
begrenzt zur Verfügung stehenden - eigenen Mitteln.)<br />
Info-Portal über Dritte-Sektor-Forschung: www.dritte-sektor-forschung.info<br />
Informationsportal der „Aktiven Bürgerschaft“ zum Thema Dritte-Sektor-Forschung (auch<br />
Publikationshinweise, Rezensionen, wichtige Links u.v.m). Die „Diskussionspapiere zum<br />
Nonprofit-Sektor“ stehen zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung.<br />
Informationen und Hintergründe: Ehrenamt - Nonprofit<br />
Sektor - Dritter Sektor<br />
Ehrenamtliches, freiwilliges oder bürgerschaftliches Engagement, Vereine, Verbände und<br />
Stiftungen sind die charakteristischen Elemente des so genannten Dritten Sektors.<br />
Zum Nonprofit Sektor, wie der Dritte Sektor auch häufig genannt wird, zählt in Deutschland<br />
ein breites Spektrum von Organisationen, das von Freizeit-, Sport- und Kulturvereinen,<br />
lokalen Umweltinitiativen und soziokulturellen Zentren bis hin zu den karitativen Einrichtungen<br />
der Wohlfahrtsverbände und den international tätigen Hilfsorganisationen reicht.<br />
Dritte-Sektor-Organisationen sind […] in einem Bereich angesiedelt, der zwischen den Polen<br />
„Staat“, „Markt“ und „Familie“ liegt. Sie unterscheiden sich von der öffentlichen Verwaltung<br />
durch ein geringeres Maß an Amtlichkeit. Im Gegensatz zu Firmen streben sie nicht<br />
nach Gewinnmaximierung, sondern verfolgen ideelle Ziele und orientieren sich dabei am<br />
Gemeinwohl. […]<br />
Selbständigkeit und Solidarität sind dabei zentrale Elemente der Dritte-Sektor-Organisationen,<br />
die - aufgrund der Freiwilligkeit von Mitgliedschaft und Mitarbeit - maßgeblich auf solidarische<br />
Unterstützung in Form von ehrenamtlichem Engagement und privaten Spenden<br />
angewiesen sind […].<br />
Allein in Deutschland ist es in den vergangenen zwanzig Jahren zu einer Verdreifachung der<br />
Vereinsdichte gekommen […] Wie die international angelegte Johns-Hopkins-Studie gezeigt<br />
hat, wird die Finanzierung des gemeinnützigen Engagements in Deutschland zu 64 Prozent<br />
vom Staat übernommen, in anderen westeuropäischen Ländern nur zu 55 Prozent, international<br />
sogar lediglich zu 40 Prozent. In Deutschland hingegen tragen Spenden und Stiftungsmittel<br />
nur mit 3,4 Prozent zur Finanzierung bei, im westeuropäischen Durchschnitt<br />
sind es 7,2 Prozent, international sogar 10,5 Prozent. Die übrigen Einnahmen stammen aus<br />
Gebühren für Kosten- und Leistungserstattungen.<br />
So liegen auch die zukünftigen Herausforderungen des Nonprofit Sektors […], die […]<br />
Kräfte von Eigenverantwortung und Selbsthilfe auszuweiten, wozu die Gewährleistung eines<br />
sinnvollen Maßes an Unabhängigkeit von Staat und Wirtschaft notwendig ist. Eine der entscheidenden<br />
Instanzen […] sind dabei Stiftungen, deren Position als Umverteilungsinstanz<br />
von finanziellen Ressourcen es - von Seiten der Politik aber auch von Seiten des Nonprofit<br />
Sektors selbst - zu stützen gilt.“<br />
Auszüge aus http://www.aktive-buergerschaft.de/dsf/dsf/<br />
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28<br />
UNIVERSITAS<br />
„Alma mater“ heißt nicht ‚melkende Kuh’<br />
Cornelia Mannewitz (*1955)<br />
Slawistin, Dr. phil. habil., arbeitet am Institut<br />
für Slawistik der Universität <strong>Rostock</strong><br />
Kontakt: rostocker-friedensbuendnis@web.de<br />
Es war 1992, da wurden noch sehr sensible Gedanken geäußert. Der<br />
Wissenschaftsrat gab Empfehlungen für die Hochschulentwicklung<br />
in den neuen Ländern ab. Für die Geisteswissenschaften an der Universität<br />
<strong>Rostock</strong> wurde vorgeschlagen, mittelfristig ein interdisziplinäres<br />
(heute würde man sagen:) Kompetenzzentrum zur Erforschung<br />
der indigenen Kulturen Amerikas einzurichten. Das Zentrum<br />
hätte damals noch vorhandene Ressourcen nutzen können, wäre<br />
deutschlandweit einzigartig gewesen und hätte weit über die<br />
Grenzen des Bundeslandes ausgestrahlt.<br />
M-V hat seitdem immer wieder gern etwas über Empfehlungen des<br />
Wissenschaftsrates gesagt und anderes getan. <strong>Rostock</strong>er Zahnmedizin<br />
zu, wieder auf, jetzt vielleicht wieder zu - mindestens dieses Beispiel<br />
für politische Kontinuität haben alle miterlebt. Im Jahre 2005 ist<br />
man von gestalterischen Ambitionen weiter entfernt denn je. Das<br />
Land hat ein Personalkonzept entwickelt, mit dem es auf den mittlerweile<br />
offenbar als Schicksal aufgefassten Bevölkerungsrückgang<br />
reagieren will (in Kenntnis der Tatsache, dass sich die erste Prognose<br />
über dessen Auswirkungen auf die Studentenzahlen bereits erledigt<br />
hat) und nach dem Hochschulen wie jede andere Verwaltung<br />
(sic) sparen müssen. Vergleichsobjekt sind Flächenländer des<br />
Westens, und zwar ausdrücklich finanzschwache.<br />
Die Politik rechnet: Ein Hochschullehrer mehr - das sind zwei Polizisten<br />
weniger (wie viele Polizisten nötig sind, um der Folgen des<br />
Kulturverfalls durch die Einsparung der Hochschullehrer Herr zu<br />
werden - wie dem sehr richtig entgegengehalten wurde -, hat noch<br />
keiner ausgezählt). Ein Kabinettsmitglied drückt sein/ihr Bedauern<br />
aus, aber man könne nicht nur den Bedürfnissen der Studenten<br />
nachkommen, andere hätten auch welche. Obwohl: Die SPD-Landtagsfraktion<br />
richtete Anfang des Jahres sogar eine hochschulpolitische<br />
Konferenz aus - und appellierte an die möglicherweise Potentiale<br />
freisetzende strukturelle Innovationsfreudigkeit des Think-Tanks<br />
Wissenschaft und an die Einsicht der von ihrem Wesen her international<br />
ausgerichteten Hochschulen in die Tücken des Länderfinanzausgleichs.<br />
Nicht hinterfragter Rahmen ist natürlich der deutsche<br />
Kulturföderalismus, aber ist er wirklich noch zeitgemäß? Einsparungen<br />
bis 2020 - niemand weiß, ob es in einem sich schon jetzt er-<br />
weiternden Europa einen Haushaltsposten Meck-Pomm dann überhaupt<br />
noch geben wird.<br />
Das wiederholte Erlebnis des Bruchs finanzpolitischer Vereinbarungen<br />
mit den Hochschulen, in seiner jüngsten Ausformung auch als<br />
Überraschungsmoment, hat verschiedenste Reaktionsmuster auf<br />
den Plan gerufen. Hie übergroße Reserviertheiten gegenüber der<br />
akademischen Hemdsärmeligkeit der Politik: Mit auch nur taktisch<br />
klug platzierten Worten des Eingehens auf intellektuelle Zumutungen<br />
fürchtet man sich etwas zu vergeben. Da erklärt sich eine Fachhochschule<br />
nahezu zum Unternehmen, die geforderten Stellen werden<br />
so nebenbei ausgeschwitzt. Politischerseits macht so etwas sicher<br />
Eindruck und Lust auf Bossingspiele.<br />
Zur Zeit wird bilateral verhandelt und jeder Hochschule ihr Platz im<br />
Gesamtscore angedeutet; daneben wird eine verfassungsrechtlich<br />
schon jetzt stark angezweifelte Gesetzesänderung vorbereitet, die<br />
Eingriffe des Landes, das sich noch vor kurzem mit dem „modernsten<br />
Landeshochschulgesetz Deutschlands“ schmückte, in die Autonomie<br />
der Hochschulen legalisieren soll. Wahr ist allerdings: Einigkeit<br />
muss nicht stark machen. Die bayerischen Universitäten haben<br />
Beeindruckendes schon im vorigen Sommer vorgelegt - einen koordinierten<br />
Strukturplan für alle elf, zusammengeschlossen im selbstständig<br />
rechtsfähigen Verein UniBayern e.V. Aber Sparkonzepte sind<br />
eben doch keine Strukturkonzepte, und umgekehrt auch nicht. Ergo<br />
gab es auch hier obendrauf eine vom Land berufene Kommission<br />
und neu den Vorschlag für eine Novelle des Landeshochschulgesetzes:<br />
In Bayern soll nun der extern besetzte Hochschulrat sogar den<br />
Entwicklungsplan beschließen und den Präsidenten der Hochschule<br />
wählen.<br />
Interessant sind die Nebenwirkungen: Das Land meint, die Hochschulen<br />
kosten. Durch die Uni <strong>Rostock</strong> geht gerade eine Diskussion,<br />
welche ihrer Leistungen dem Land besonders viel einbringen. Viele<br />
melden sich zu Wort, lernen voneinander. Natürlich ist manchmal<br />
der Stolz auf die eigene Leistung besonders groß, vor allem dort, wo<br />
man seinen eigenen Bereich bedroht sieht, vielleicht auch einfach nur<br />
sehr gut kennt. Vor dem Hauptgebäude-Eingang liegt jedenfalls seit
Tagen Taubendreck. Friedenstaubendreck? Immerhin scheint im Moment die Solidarität<br />
innerhalb der Uni zu wachsen.<br />
Das Land scheint nicht weiterzuwissen. Die Hochschulen müssen nachdenken. Über Profilbildungen,<br />
unternehmerische Konzepte, auch über alternative Hochschulfinanzierung (vulgo<br />
Studiengebühren, aber beileibe nicht nur). Aber sie müssen es mit ihrem eigenen Kopf<br />
tun dürfen. Es mag nicht jedem zu vermitteln sein, dass solche Planungen von Hochschulen<br />
nicht immer dem Takt der Legislaturperioden folgen können. Aber ein Territorium, das sich<br />
mit den Bildungsstätten seiner letzten Wachstumskerne beraubt hat, wird nie mehr politisch<br />
handlungsfähig sein, und zumindest diesen Ehrgeiz hat man im Land ja wohl immer noch.<br />
¬<br />
FOTO: C. MANNEWITZ<br />
Auch dieses Bild sagt mehr als tausend Worte: das<br />
nach dem Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler Johann<br />
Heinrich von Thünen (Entwickler der Konzepte<br />
„Standort“ und „Produktivität“, übrigens am<br />
Modell des „Isolierten Staates“) benannte Gebäude<br />
der WSF (Wirtschaftswissenschaften, austariert<br />
durch Soziologie und Politologie), ehemals Russenkaserne,<br />
das heißt Standort der Sowjetischen Streitkräfte<br />
in Deutschland, später Westgruppe der Sowjetischen<br />
Streitkräfte - gesehen nicht so großzügig,<br />
sondern aus der Budapester Straße, früher Kasernenstraße.<br />
Weitere Worte siehe Transparent links<br />
über dem Eingang („Politikwissenschaft geht vor die<br />
Hunde“), einige frei wählbare darüber, von wo morgens<br />
die Schlagschatten kommen, und so weiter und<br />
so fort.<br />
29
30<br />
SO BETRACHTET<br />
Das Sommertheater ist vorbei ...<br />
Cornelia Mannewitz (*1955)<br />
Rekordergebnisse sind eingefahren worden: Die Störtebeker-Festspiele<br />
hatten 25.000 Zuschauer mehr als im vorigen Jahr, die West Side<br />
Story in Stralsund 4.000. Dünenritter in Zinnowitz, Darßer<br />
Schmuggler in Wieck, West Side Story in Stralsund, Triumph der Liebe<br />
am Kap Arkona, Stürmische Hochzeit in Barth, Galileo Galilei in<br />
Koserow - eigentlich konnte man überall über Bühnenbretter stolpern.<br />
Nur bei Grevesmühlen gab es richtig Zoff: Die „Tradition“<br />
Veranstaltungs GmbH Stralsund war mit ihrem Piratenspektakel zu<br />
laut. Intendant und Bürgermeister mussten sich den Angriffen aufgebrachter<br />
Anwohner (laut Schätzung im Gästebuch der Piraten<br />
trotzdem nicht mehr als „dreißig Kukidenzen“) stellen. Inzwischen<br />
gibt es in Wismar schon kritische Stimmen: Warum überlässt man so<br />
was Grevesmühlen, Wismar hätte von der Anziehungskraft des<br />
Spektakels auch profitieren können. Nun, mit Beziehung auf Kultur<br />
(oder Kunst) wurde das halbvolle beziehungsweise halbleere Glas<br />
unlängst auch hier diskutiert. Da halten wir es doch mit Woody Alllen:<br />
Ich glaube, dass es randvoll ist - aber es fällt bestimmt gleich<br />
vom Tisch!<br />
Nichts gegen das Event: Das etwas größere Schwarze unterm Regencape<br />
von Lübzer Pils beim Schweriner Rigoletto, der Nervenkitzel,<br />
ob die überflutet zu werden drohende Vorstellung doch angepfiffen<br />
wird, und das Mitfiebern in dem kurzen Moment, den der<br />
Sänger überlegt, ob er sich in die Pfütze kniet oder nicht, sind wertvolle<br />
Teile der Show. Aber die Karten sind teuer; ein Randplatz in<br />
Schwerin - 30 Euro. Nun könnte man sagen: Das ist der Kapitalismus.<br />
Nein, vermutlich sind wir inzwischen wieder im Feudalismus.<br />
Kunst ist etwas für den Adel. Adlig zu sein ist heute nicht mehr so<br />
mehrheitsfähig, also leistet sich hin und wieder auch der kleine Mann<br />
Kunst und fühlt sich einen Abend lang als König. Der Rest macht<br />
eben Volkskunst. Ist „<strong>Rostock</strong> als Films<strong>tadt</strong>“ auch ein Vorschlag in<br />
diese Richtung? Bitte schnell dementieren! Zumindest wäre zu fragen,<br />
worin der Vorteil noch okkasionellerer Engagements für die<br />
avisierten Schauspieler läge. Deren Arbeitssituation wird deutschlandweit<br />
auch so immer prekärer. Theater als Lebensraum scheint<br />
ein Wert zu sein, aus dem Ensemblekünstler einen Großteil ihrer<br />
Kraft ziehen. Es ist nicht ganz klar, warum man damit nicht rechnet.<br />
Auch das Volkstheater hat seine Sommerevents gehabt. Besorgt fragt<br />
die Vorsitzende eines Finanzausschusses der Bürgerschaft zur Sit-<br />
zung am 7.9. bei der Kultursenatorin an, was die beiden Inszenierungen<br />
im S<strong>tadt</strong>hafen denn gebracht hätten. Nicht schlecht: 6086<br />
bzw. 2240 Zuschauer, Auslastung 91,75 bzw. 96,29 Prozent. Nebenbei:<br />
Diese Zahlen sollte sich die FDP merken. Von dort kamen im<br />
Rahmen der Vertragsdebatte um den Generalintendanten die lautesten<br />
Vorwürfe, er mache kein Sommertheater. Darauf eine von vier<br />
Fragen an die Fraktion: Im Vergleich mit welchen anderen Theatern<br />
bundesweit bietet das Volkstheater zu wenig Sommertheater? Antwort:<br />
keine. Tipp: Überregionale Zeitungen lesen - „Die Zeit“ verzeichnete<br />
zum Beispiel für die Woche vom 6. bis 12. August ganze<br />
zwanzig deutsche Bühnen, die überhaupt Vorstellungen anboten,<br />
darunter stand <strong>Rostock</strong> mit fünf Terminen (München und Köln<br />
sechs, Frankfurt/Main vier, Hamburg einer; Berlin 32, verteilt auf<br />
sechs Theater). Überhaupt gab es Anfang September viele Theaterthemen<br />
in der Bürgerschaft: Einsparungen aus der personellen Reduzierung<br />
des Orchesters, wie sich der OB ein Theater für nur 10<br />
Millionen Euro vorstellt, wie sich die Kosten des Theaters aufgliedern;<br />
die übrigen Anfragen (zu Verträgen und Vergütungen im<br />
Volkstheater) waren geheim.<br />
Es war zur Hanse-Sail-Zeit, da schwammen ertrunkene Ratten im<br />
Museumshafen. Zur heißen Sommerzeit mit Wickie wurde so etwas<br />
nicht beobachtet. Der Oberbürgermeister lässt in seiner Antwort<br />
auf die 10-Millionen-Euro-Frage schon mal wissen, im Herbst müsse<br />
man sich einer umfassenden Strukturdiskussion um das Volkstheater<br />
stellen. Na dann! ¬
FOTO: C. MANNEWITZ<br />
FOTO: C. MANNEWITZ<br />
... aber nur, was den Sommer betrifft. Theater ist<br />
immer und überall: Musical „Ein Engel?“ als<br />
Gottesdienst mit Animation in der Kirche Biestow,<br />
Politikrevue von rok-tv/Nordpol und LOHRO in<br />
der Bühne 602 (die Bundestagskandidaten bekommen<br />
nach 40 Minuten Tonprobe endlich etwas<br />
zu trinken, dem Publikum wird der verzögerte Beginn<br />
als Medienkompetenzschulung verkauft) - alles<br />
Anfang September und ganz kostenlos.<br />
31
32<br />
REZENSION: GELESEN<br />
Von der Eiszeit bis in die Zukunft<br />
Wolfgang Stegemann: Fürstenberg/Havel - Ravensbrück. Beiträge<br />
zur Kulturgeschichte einer Region zwischen Brandenburg und<br />
Mecklenburg. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Beginn des 20. Jh.<br />
Verlag Hentrich & Hentrich: Teetz (2000). 404 S.<br />
Ders./Wolfgang Jacobeit (Hgg.): Fürstenberg/Havel - Beiträge zur<br />
Alltags- und Sozialgeschichte einer Region zwischen Brandenburg<br />
und Mecklenburg. Bd. 2: Im Wechsel der Machtsysteme des 20. Jh.<br />
Verlag Hentrich & Hentrich: Teetz 2004. 566 S.<br />
Eine Kleins<strong>tadt</strong> mit einer fast 1000seitigen Dokumentation ihrer Geschichte<br />
vom Jungpaläolithikum bis zum Anfang dieses Jahrtausends<br />
mit dem „Versuch einer Zukunftsvision“ - wo gibt es das? In Fürstenberg/Havel<br />
samt Ortsteil Ravensbrück (und auch diese Integration<br />
ist eine historische Qualifikation)!<br />
Rezension<br />
Jens Langer (*1939)<br />
Dr. theol. habil., seit 1964 in verschiedenen kirchlichen Aufgabenbereichen<br />
tätig, bis 2003 Pastor der Evangelisch-Lutherischen<br />
Innens<strong>tadt</strong>gemeinde an St. Marien<br />
Kontakt über: redaktion@s<strong>tadt</strong>gespraeche-rostock.de<br />
„Für den Nachweis menschlicher Besiedlung unserer Gegend setzt<br />
uns das Ende der letzten Eiszeit die am weitesten zurückliegende<br />
zeitliche Grenze“, beginnt Wolfgang Stegemann seinen Band 1 der<br />
großen Fürstenberger Historie. Sorgfältig zählt er „eine beidseitig retuschierte<br />
asymmetrische Rückenspitze“ aus Feuerstein, ein einseitig<br />
retuschiertes Gerät dieser Art und eine „Stielspitze“ aus dem genannten<br />
Material auf, die als Fundstücke belegen, „dass das Tal der<br />
Steinhavel bereits vor ca. 10.000 Jahren von steinzeitlichen Rentierjägern<br />
durchstreift wurde“. Die Entdecker von Funden werden genannt,<br />
und auch das macht dieses opus magnum von der Eiszeit bis<br />
zur Zukunft zu einer kooperativen Leistung, wenn die Herausgeber<br />
auch die Hauptlast tragen und Stegemann diese für den ersten Band<br />
allein. Hier haben sich die Professionalität des Historikers und die<br />
Professionalität eines Ehrenamtlers (und Enthusiasten) glücklich getroffen:<br />
Mit der Begeisterung und Nachhaltigkeit des für die Geschichte<br />
seiner Region Engagierten in die Zunft der Historiker!<br />
Beide Herausgeber weisen auf die Grenzen ihrer Arbeitsfähigkeit<br />
hin: Sie konnten nicht einzelnen Archivalien nachgehen; sie haben<br />
mit umso mehr Menschen gesprochen und viele für die Mitarbeit gewonnen.<br />
Stegemann beschreibt die slawische und deutsche Besiedlung ebenso<br />
wie die Fürstenberger Grafschaft im Mittelalter. Dazu treten Darstellungen<br />
von lokaler Agrar-, Handwerks- und Industriegeschichte.<br />
Prägende Persönlichkeiten werden gewürdigt, darunter der Rektor<br />
Wille Schulz (1881-1952), der für viele Lebende noch ein Zeitgenosse<br />
war. In diesem Band werden die Namen der jüdischen Fürstenberger<br />
aufbewahrt und z. B. auch die der „allhier wohnenden<br />
Ausländer zu Ravensbrück“ (1774).<br />
Namenslisten in anderen Sachzusammenhängen folgen. Die Flurnamen<br />
werden festgehalten und insgesamt materielle und ideelle Geschichte,<br />
die zusammen die Würde und Bürde einer S<strong>tadt</strong> ausmachen.<br />
Im zweiten Band kulminiert die Zusammenarbeit der beiden<br />
Herausgeber. Am Schluß zählen sie dankbar auf einer ganzen Seite<br />
die Mitwirkendenden auf, ohne die eine solche Arbeit nicht zu denken<br />
wäre. Aus den Schätzen des „Fürstenberger Anzeigers“, mündlicher<br />
und schriftlicher Erinnerungen entfaltet sich die S<strong>tadt</strong> vom<br />
Kaiserreich bis in die Bundesrepublik (mit einer deutschen Familie<br />
aus Usbekistan - auf S. 529 ein berührendes Gedicht aus der Familie),<br />
mit starken Beiträgen zu 1933/45 und einer selten von mir beobachteten<br />
so konsequent verfolgten Partizipation am Schicksal Ravensbrücks,<br />
an den Wegen seiner Täter und Opfer nach 1933 und<br />
nach 1945, seiner Weiternutzung durch die Rote Armee. Feinarbeit<br />
wurde vollbracht, um die Erinnerungen an Begegnungen mit den sowjetischen<br />
Soldaten (präsent in sechsfacher Überzahl<br />
zur Bevölkerung) zu bewahren, schlimme, normale, alltägliche,<br />
bewegende. „Ein Fürstenberger Kommunist<br />
erzählt“: nichts Weltbewegendes, vieles sehr bekannt,<br />
aber er hat in der S<strong>tadt</strong> gelebt und ist in ihr gegenwärtig,<br />
findet seinen Platz, muss ihn ja finden in einer historischen<br />
Darstellung, die - wie hier - diesen Namen verdient.<br />
Stegemann erzählt seine anderen Erfahrungen mit der<br />
DDR nebst ihren Sicherheitsorganen und vermag den<br />
genannten Beitrag auch als Herausgeber auszuhalten.<br />
Spannend die jeweiligen Berichte zu den Zeiten des<br />
Machtvakuums nach den einzelnen Systemabbrüchen<br />
und das Ringen um die Ravensbrücker Gedenkstätte,<br />
um ihren Platz in der Bevölkerung, in der S<strong>tadt</strong> und einer transparenten<br />
Geschichte.<br />
Persönlich hat mich die Spurensicherung auf dem Weg des Olof-<br />
Palme-Friedensmarsches von Ravensbrück nach Sachsenhausen<br />
(1987) berührt: Die Teilnahme daran bedeutete für unseren damals<br />
dreizehnjährigen Sohn eine politische Initialzündung, und in diesem<br />
Band werden über einen solchen subjektiven Eindruck hinaus die<br />
historischen und politischen Bedingungen eines außerordentlichen<br />
Vorgangs objektiviert und für die Nachwelt fixiert. Diese „Heimatkunde“<br />
steht in weitgreifenden historischen Zusammenhängen und<br />
besteht sie. Ein Glücksfall! ¬
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ÜBERSETZUNGEN<br />
DOKUMENTATION<br />
REDAKTION<br />
Eine Region steigt auf.<br />
Wie Fahrradregion ist <strong>Rostock</strong>?<br />
www.fahrradregion-rostock.de
Ausstellung<br />
Hinsehen und Handeln.<br />
Gewalt gegen Frauen verhindern<br />
18.10. - 30.11.2005<br />
Haus Böll, Mühlenstraße 9, 18055 <strong>Rostock</strong><br />
DI, 18.10.2005, 19.30 Uhr<br />
Ausstellungseröffnung mit Ute<br />
Schröder, Frauenhaus <strong>Rostock</strong><br />
„Hinsehen und Handeln. Gewalt<br />
gegen Frauen verhindern“<br />
DI, 25.10.2005, 19.30 Uhr<br />
Vortrag & Diskussion mit Bianca<br />
Wenzel, Vorstand terre des<br />
femmes „Frauenrechte sind<br />
Menschenrechte! Über Verbrechen<br />
im Namen der Ehre und<br />
Genitalverstümmelungen“<br />
DO, 27.10.2005, 19.30 Uhr<br />
„Häuslichen Gewalt gegen Migrantinnen<br />
- Interventions-<br />
und Hilfsmöglichkeiten“ Gesprächsrunde<br />
mit<br />
Juliana Vießmann (Autonomes<br />
Frauenhaus <strong>Rostock</strong>) und<br />
Katrin Saat (Interventionsstelle<br />
gegen häusliche Gewalt)