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SKANDAL - Stadtgespräche Rostock

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AUSGABE NR.<strong>SKANDAL</strong>WAHLPLAKAT-FÄLSCHUNGFOTO: TOM MAERCKERIN ROSTOCKAUFGEDECKTGEDRUCKTEGEDRUCKTEKÖRPERHALTUNGKÖRPERHALTUNGMAGAZINFÜR FÜR BEWEGUNG,MOTIVATION UND UNDDIE DIE NACHHALTIGEKULTIVIERUNGDER DER REGION ROSTOCKstadtgespraeche- stadtgespraeche- rostock.de rostock.deISSN ISSN 0948-8839 0948-8839ERSCHEINTERSCHEINTQUARTALSWEISEQUARTALSWEISESEIT SEIT 1994 1994Zum Glück keine Fälschung:_ Verfassungsschutz MV außer Kontrolle?_ <strong>Rostock</strong> und die Geschichte_ Zeitungen zum NSU-Prozess_ Schweinemastproteste Alt Tellin_ Folgen destruktiver Landesplanung_ Kulturelle Höhenlichter in <strong>Rostock</strong>_ AStA-Kulturumfrage_ Offener Brief zur Energiewende_ Vorgestellt: Schloß Bröllin_ Zeitungskonzentration in MV_ Transition Town <strong>Rostock</strong>_ Eginald Schlattner 8019. JAHRGANG // ///____EINZELHEFTPREIS: 2,50 € ___///// JAHRESABO (4 AUSGABEN): 10,00 €


KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKERLaut „Postillon“ (www.der-postillon.de) werden Wahlplakate immer wieder durch inhaltsleere Nonsens-Poster ersetzt, leider auch in erschreckendem Maße in <strong>Rostock</strong>: Hier ein Beispiel der „Alternative fürDeutschland“, die eigentlich nur ein Thema hat: den Euro wieder abzuschaffen. Unbekannte haben diesenationalorientierte Gemeinwohlabsicht in eine populär-antikapitalistische Parole umgewandelt. Perfide!


00.1 __ //// EDITORIAL | INHALTInhalt dieses HeftesLiebe Leserinnenund Leser,auch im aktuellen Heft ist dasbreite Themenspektrum wiederAusdruck einer Vielfalt vonDingen, die unserer Aufmerksamkeitbedürfen oder längeresNachdenken wert sind - von deraktuellen Genehmigungspolitikfür Veranstaltungen in unsererStadt über den NSU-Prozess bishin zu den neuesten Entwicklungenin und durch Alt Tellin.Eine neue Initiative hat sich gegründet – ihr Name, Transition Town <strong>Rostock</strong>,kennzeichnet sie als Teil einer weltweiten Bewegung, die dennochvor allem in lokalen Strukturen denkt und eine neue Qualität der städtischenKommunikation und Interaktion erreichen möchte. Andere Mecklenburgerbemühen sich derzeit aktiv um Sammelbeschwerde zur Bestandsdatenauskunftgegenüber den Behörden – aus gutem Grund, wieder Beitrag von Johannes Saalfeld zeigt. Und der AStA hat Anfang 2013eine Umfrage unter den <strong>Rostock</strong>er Studierenden durchgeführt, um derenSicht auf die <strong>Rostock</strong>er Kulturszene zu erkunden – hier haben wir Ergebnissezusammengefasst, aber sehr persönliche Vorlieben und Anmerkungenabgebildet.Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen aber auch den Beitrag von PeterKöppen, der aus einer langen Diskussion in der Redaktion hervorgegangenist. Wie geht <strong>Rostock</strong> mit seiner Geschichte um, war die zentraleFrage. Sind die Auseinandersetzungen (oder Nichtauseinandersetzungen)mit Themen wie Hanse, Ernst Heinkel, Lichtenhagen und ErmordungMehmet Turguts von einer bestimmten Herangehensweise geprägt odergelingt unserer Stadt und ihren Bewohnern hier differenzierte, kritischeReflektion? Die Überlegungen im aktuellen Heft sind EINE Annäherungan diese Fragen, Ihre Meinung dazu interessiert uns sehr. In diesem Sinnewünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre und uns viele Lesermeinungenin Form von Briefen und Emails – und uns allen einen wunderbarenSommerausklangIhre Kristina KoebeHarri Engelmann: Elmsfeuer/Schubkarren und finnische Äxte . . . . . . . . . . . 2Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Johannes Saalfeld: Außer Kontrolle? . . . . . . . 4P. Köppen: <strong>Rostock</strong> und die Geschichte I . . . 7C. Mannewitz: Zeitungen zumNSU-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12O. Spillner: Arbeit, die Leiden schafft . . . . . 15T. Sohn: Im Verhältnis unausgewogen . . . . . 18H. Klüter: Destruktive Landesplanung . . . . 21Kulturumfrage des <strong>Rostock</strong>er AStA . . . . . . . 25R. Gießmann: Kulturelle Höhenlichterin <strong>Rostock</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26A. Ludwig: <strong>Rostock</strong>s steiniger Weg . . . . . . . 29K. Traxel: Energiewende! . . . . . . . . . . . . . . . . 32Vorgestellt: Schloss Bröllin . . . . . . . . . . . . . . . 34C. Töpfer: Wortmeldung im Schweigendes Blätterwalds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36J. Langer: Endzeit ohne Schlußstrich :Siebenbürgischer Schriftsteller EginaldSchlattner 80 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39FOTO: TOM MAERCKERSo kann man das auch sagen ...


Stadtgesprächs-Kolumne „Elmsfeuer“:Schubkarren undfinnische ÄxteHARRI ENGELMANNFOTO: TOM MAERCKER


00.3 __ //// KOLUMNE ELMSFEUER | IMPRESSUMBaumärkte: Werkzeug schimmert stählern im Kunstlicht und die Rasenmäher ähnelnMarsmobilen. Es gibt hier eine Menge Zeug, das man selten oder gar nicht braucht:Laubsauger, Gartenzwerge, finnische Äxte mit biegsamen Plastikstielen. Alles unterDächern, gewaltig wie jene, die Hangars bedecken.Was es nicht gibt, oder sich zumindest rar macht, ist Personal. Wenn man ziellos herumstreunt,mag das von Vorteil sein. Neulich aber suchte ich vergeblich ein Schubkarrenrad.Und schon fiel mir diese merkwürdige Abwesenheit auf. Kaum hatte ich einenMitarbeiter erspäht, sie trugen hier gelbe Poloshirts, war er verschwunden.Endlich, im Haupteingang kam einer daher. Preschte allerdings heran wie ein Rennpferd,vermied jeglichen Blickkontakt. Sah stur nach vorn, als würde es draußen brennen.Den nächsten entdeckte ich in der Ferne zwischen den Regalen. Als ich näherkam,standen nur noch Regentonnen dort.Entwickelten die Kerle einen Sinn dafür, unerquicklichen Fragen zu entgehen? Wennja, wohin verschwanden die dann? In einen Panic Room: erst mal eine rauchen? Ichbesaß verdammt noch mal eine Schubkarre aus der Steinzeit. Dafür brauchte ich einentsprechendes Rad und ein paar Antworten. Kurz, ich bekam einen Rappel undschaukelte mich allmählich hoch, blickte wild um mich. Sah einen Gelben. Er warebenfalls am Galoppieren.Ich schnitt ihm den Weg ab, und zwar so, dass er erst scheute, dann bremsen musste.Ebenso zügig kam ich zur Sache: alte Schubkarre, trallala. Während ich mich erklärte,hielt der Gelbe seinen Finger hoch. Er war mit einem Tuch umwickelt. Offenbar hatteer sich kurz zuvor geklemmt, geschnitten, was weiß ich. Sein Körper befand sich inFluchtposition, die Augen flackerten, der Blick irrte an mir vorbei: Was gingen ihnSchubkarren an! Seine Welt war auf die Größe einer gottverfluchten pochenden Fingerkuppegeschrumpft. Er wollte an irgendein verdammtes Waschbecken heran, sichden Finger kühlen, sich ein bisschen krümmen, leise vor sich hin stöhnen. Ich bekamLust, ihn hier festzunageln, bis seine Hand schwarz wurde. Aber was willst du mit einemanfangen, in dessen Kopf es kreist: Finger, Waschbecken, Finger? Also fragte ichnach der Abteilung Schubkarren. Er nickte in eine imaginäre Richtung. Und schonwar er wie von den Regalen verschluckt.Natürlich landete ich beim Autozubehör. Zum Glück wurschtelte dort ein kleinerKerl herum, der nach Baumarkt aussah. Ich trat leise und von hinten an ihn heran. Erfuhr hoch, seine blanken Hasenaugen musterten mich erschreckt. Ängstlich spähte eran mir vorbei. Aber zum Wegrennen war es zu spät. Also hörte er sich, leicht bockig,meine Schubkarrenstory an. Als er das Wort Schubkarre vernahm, unterbrach ermich gutgelaunt. Die gebe es in der anderen Abteilung: da und da lang.Schubkarrenabteilung: gespenstische Leere. Ein Gabelstapler bugsierte Säcke mitGranitsteinen in ein Regal. Weglaufen konnte der Fahrer ja schlecht. Er versuchte esmit Ignoranz. Ich tat so, als wollte ich ihn vom Sitz zerren. Da reagierte er: „EinzelneRäder? Neben dem Autozubehör.“Nun galoppierte ich, und zwar zurück zum Autozubehör. Wollte mir den Hasenäugigenvornehmen: Warum er mich in die Walachei schickte, wo doch die Räder nebenanlagerten. Dort hingen nur Starterkabel. Hatte ich mir das Gespräch eingebildet?Keine Ahnung. Leicht grimmig, aber mit Schubkarrenrad, trat ich ins Feie.Es liegt an der Zuständigkeit, dachte ich. Wären diese dämlichen Poloshirts nicht mitdem Namen des Baumarktes bedruckt, stünde stattdessen „Schubkarren“ oder „Autozubehör“drauf, könnten sich die Kerle nicht entziehen. So ist es wie im Sozialismus:Alle sind für alles zuständig. Also für nichts richtig.Kürzlich betrat ich einen Baumarkt, der eine Lösung anbot: In der Ferne ein Standmit dem Hinweis „Auskunft“. Dahinter zwei! prächtige Mitarbeiter, offenbar bereitzu reden. Es ging doch! Als ich den Tresen erreichte, waren beide entschwunden. ¬ImpressumStadtgespräche Ausgabe Nr. 72:„Skandal: Wahlplakatfälschung in <strong>Rostock</strong> aufgedeckt”Ausgabe September 2013(Redaktionsschluss: 20. August 2013 )HerausgeberStadtgespräche e.V. in Zusammenarbeit mit derBürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft e.V.<strong>Rostock</strong>Redaktion und AbonnementStadtgespräche e.V.PF 10 40 6618006 <strong>Rostock</strong>Fax: 03212-1165028E-Mail: redaktion@stadtgespraeche-rostock.deInternet: www.stadtgespraeche-rostock.deVerantwortlich (V.i.S.d.P.):Dr. Kristina KoebeTom MaerckerRedaktion:Dr. Kristina KoebeTom MaerckerDr. Peter KoeppenDr. Jens LangerDie einzelnen Beiträge sind namentlich gekennzeichnetund werden von den Autorinnen und Autorenselbst verantwortet.Layout: be:deuten.de //KreativagenturMediadaten:Gründung: 1994Erscheinung: 19. JahrgangISSN: 0948-8839Auflage: 230 ExemplareErscheinung: quartalsweiseEinzelheftpreis: 2,50 € (Doppelheft: 5,00 €)Herstellung: KDDAnzeigenpreise (Kurzfassung)(ermäßigt / gültig für 2012)3. Umschlagseite (Spalten-Millimeter-Preis): 0,25 €4. Umschlagseite (nur komplett): 145,00 €Details auf unserer Website im InternetVerkaufstellen in <strong>Rostock</strong>:Buchhandlung Hugendubel, Kröpeliner Str. 41die andere Buchhandlung, Wismarsche Str. 6/7Made by Mira, Neue Werderstr. 4-5Foto-Studio Zimmert, Lange Str. 12Pressezentrum, Neuer Markt 3buch...bar Carmen Hamann, Altschmiedestr. 27Bankverbindung(für Abo-Überweisungen und Spenden)Kto.: 1203967BLZ: 13090000bei der <strong>Rostock</strong>er VR-BankAbonnement:Jahresabonnement (4 Ausgaben): 10,00 €Jahressoliabo (4 Ausgaben): 20,00 €Einen Aboantrag finden Sie auf S. 1 8 (bzw. alsPDF-Datei zum Ausdrucken und Ausfüllen aufunserer Website im Internet).


00.4 __ //// INNENPOLITIK MVAußer Kontrolle?Polizei und Verfassungsschutzvon Mecklenburg-Vorpommernkommen besonders einfach anprivate PasswörterJOHANNES SAALFELDIm Juni verabschiedete der Schweriner Landtag eine Änderungdes Landesverfassungsschutzgesetzes und des Sicherheits- undOrdnungsgesetzes (SOG). Eine Änderung wurde notwendig,weil im Januar 2012 das Bundesverfassungsgericht Teile der sogenanntenBestandsdatenauskunft für unvereinbar mit demGrundgesetz erklärte. Bis dahin fragten Sicherheitsbehördenzur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten undzur Gefahrenabwehr PINs, PUKs und Passwörter sowie Inhaber_innenvon dynamischen IP-Adressen auf Grundlage desTelekommunikationsgesetzes (TKG) bei Telekommunikationsunternehmenab. Das Bundesverfassungsgericht erklärteaber, dass diese Grundlage nicht ausreichend ist. Das TKGkönne nur die Auskunftspflicht der Telekommunikationsunternehmenbegründen. Qualifizierte Rechtsgrundlagen für denAbruf der Daten durch die Behörden fehlen dagegen und müssenfolgerichtig in den entsprechenden Fachgesetzen von Bundund Ländern erst noch geschaffen werden. „Der Gesetzgebermuss, bildlich gesprochen, nicht nur die Tür zur Übermittlungvon Daten öffnen, sondern auch die Tür zu deren Abfrage. Erstbeide Rechtsgrundlagen gemeinsam, die wie eine Doppeltürzusammenwirken müssen, berechtigen zu einem Austauschpersonenbezogener Daten“, urteilte das Bundesverfassungsgericht.Der Bund und fünf Länder haben zwischenzeitlich Rechtsgrundlagenfür ihre Zuständigkeitsbereiche erlassen. Daruntereben auch Mecklenburg-Vorpommern. Ein Vergleich dieserNeuregelungen zeigt jedoch, dass der Nordosten der Republikbeim Datenschutz, beim Rechtsschutz und bei der Kontrolleder Behörden in besonders negativer Weise abweicht. Die inMecklenburg-Vorpommern getroffenen Regelungen ähnelnzwar dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung.Dieser Entwurf wurde aber während der Sachverständigenanhörungdes Innenausschusses des Deutschen Bundestages massivkritisiert und daraufhin geändert.In M-V blieb es dagegen bei der alten Fassung. Deswegen benötigendie örtlichen Sicherheitsbehörden auch nicht zwingendeine richterliche Anordnung, wenn sie private Passwörter abfragenund die Identifizierung anhand einer IP-Adresse vornehmenwollen. Die Anordnung durch einen einfachen Beamtenaus Mecklenburg-Vorpommern reicht aus. Ob ein Richtervorbehaltzur Nutzung der erlangten Passwörter notwendig ist,macht das hiesige Gesetz von der Art der erhofften Daten abhängig.Will zum Beispiel die Polizei auf einem Smartphone(möglicherweise ohne Wissen der Besitzerin oder des Besitzers)per PIN oder PUK an Verbindungsdaten (z.B. Anruflisten)gelangen, braucht sie zur Abfrage der Zugangscodes keinenRichtervorbehalt. Will die Polizei aber an Inhaltsdaten, alsoan die Inhalte von SMSen oder Emails auf dem Smartphone,benötigt sie nach SOG eine richterliche Anordnung.Welche praktischen Probleme daraus erwachsen, ist jedem Besitzereines Smartphones bewusst, liegt dort doch zwischen denVerbindungsdaten und den Inhaltsdaten nur eine kleine Berührungauf dem Display. Zudem ist der PIN oder der PUK eigentlichein sogenannter Masterschlüssel, mit welchem auf weitereim Gerät hinterlegte Schlüssel zugegriffen werden kann.


Email-Konten und Accounts zu sozialen Netzwerken könntenübernommen werden, sogenannte Schlüsselbünde (Passwortsammlungen)abgerufen werden. Gerade hinter den immer beliebterwerdenden Cloud-Angeboten verbergen sich Datensammlungenunüberschaubaren Ausmaßes. Nicht selten werdendort, systembedingt, durch ein einziges Passwort gleichzeitigEmails, Adressbücher, Onlinespeicher für Dokumente, Bakkupsvon Endgeräten und ein ganzer Schlüsselbund geschützt.Der Abruf von Zugangssicherungscodes sollte also von vornhereinunter das Erfordernis einer richterlichen Anordnung gestelltwerden und nicht davon abhängig gemacht werden, welcheArt von Daten der Ermittlungsbeamte auf dem Gerät oderauf dem Online-Portal vorzufinden erhofft. Eine rechtssichereTrennung zwischen Verkehrs- und Inhaltsdaten ist für den Sicherheitsbeamtenauf modernen Plattformen praktisch nichtmehr möglich.In seiner Stellungnahme für den Innenausschuss des DeutschenBundestages schreibt Prof. Dr. Dieter Kugelmann von derDeutschen Hochschule der Polizei: „Ein Richtervorbehalt istdann verfassungsrechtlich geboten, wenn die heimliche Ermittlungstätigkeitder staatlichen Stellen besonders geschützte Zonender Privatheit berührt oder besonders eingriffsintensiv ist.Wenn eine Person den Zugang zu ihren Daten besonders sichert,dann hat sie diese Sphäre als besonders schutzwürdigfestgelegt. Darin prägt sich das Recht, über die eigenen personenbezogenenDaten selbst bestimmen zu können und zu wollen,klar aus. [...] Damit wird eine besonders geschützte Zoneder selbstdefinierten Privatheit verletzt, wenn Zugriff auf dieZugangssicherungscodes genommen wird. Die Abfederungdurch einen Richtervorbehalt ist verfassungsrechtlich geboten.“Ähnliches gilt nicht nur für den Abruf von Passwörtern, sondernauch für die Zuordnung von dynamischen IP-Adressen.Auch diese kann von Behörden aus Mecklenburg-Vorpommernohne Richtervorbehalt abgerufen werden. Bei der Zuordnungdynamischer IP-Adressen handele es sich aber, so Kugelmann,um einen Eingriff in Art. 10 GG. „Der Betroffene erfährt vondem Vorgang zunächst nichts. [...] Die vorbeugende Kontrolleder Rechtmäßigkeit ist bei heimlichen Eingriffen in Art. 10GG in aller Regel verfassungsrechtlich geboten. Denn der Betroffenekann seine Interessen nicht selbst wahrnehmen, wofürdie Einbeziehung des Gerichts einen Ausgleich bietet. Die Erhebungvon Daten unter Zuhilfenahme der dynamischen Zuweisungvon IP-Adressen und damit der Verkehrsdaten führtzur Notwendigkeit eines Richtervorbehalts“, so Kugelmann.Betroffene neue Zugangssicherungen erstellen kann. DerRechtsschutz tritt hinzu. Auch insoweit ist damit das Aufstellenvon Mitteilungspflichten in den Fachgesetzen verfassungsrechtlichgeboten“, so Prof. Kugelmann. Der Bund und die anderenvier Länder, die bisher entsprechende Regelungen verabschiedethaben, darunter auch der Freistaat Bayern (!), habenim Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern verpflichtendRichtervorbehalte und Mitteilungspflichten eingeführt.Die Grünen im Landtag hatten die Landesregierung und dieRegierungskoalition aus SPD und CDU aufgefordert, den entsprechendenBundesstandard einzuhalten. Dies wäre schondeshalb Gebot, weil andernfalls Ermittlungsbehörden aus anderenLändern, z.B. aus Bayern, den Daten- und Rechtsschutzihrer Landesgesetze unterlaufen könnten, indem sie sich perAmtshilfe an ihre Kolleg_innen in Mecklenburg-Vorpommernwenden. Ein entsprechender Änderungsantrag wurde von denGrünen dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt. Er wurde jedochmit den Stimmen von SPD und CDU abgelehnt.Nun bereiten die Grünen eine Sammelbeschwerde vor demLandesverfassungsgericht in Greifswald vor. Wer sich dieserSammelbeschwerde anschließen möchte, kann unter der Internetadressewww.bestandsdatenauskunft-mv.de gerne Kontaktmit den Initiatoren aufnehmen. Auf der Homepage finden sichauch weitere Informationen und eine Dokumentensammlungzum Thema. Ebenso kann sich jeder und jede dort über aktuelleEntwicklungen und Verfahrensschritte auf dem Laufendenhalten. ¬--Johannes Saalfeld ist Mitglied des Landtags für BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und innenpolitischer Sprecher seinerFraktionDie Betroffenen werden in Mecklenburg-Vorpommern auchhinterher nicht oder nur unzureichend über den erfolgtenGrundrechtseingriff informiert. Hierdurch entsteht eineRechtsschutzlücke, die zumindest nach Artikel 19 Absatz 4GG nicht vorgesehen ist. „Der Betroffene erfährt zunächstnicht, dass die von ihm errichteten Zugangshindernisse zurKenntnis staatlicher Stellen gelangt sind. Sein Wille ist aber gerade,besondere Sicherungen seiner Daten einzubauen. Bereitsder effektive Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmungerfordert die nachträgliche Mitteilung, damit der


KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKERAuch Christian Kleiminger hat es nicht leicht. 2009 noch hatte er unter „falscher Flagge“ versucht, Grünen-Wähler zu kapern und muss jetzt mit seiner wahren Identität zur Bundestagswahl antreten. Aber damit nichtgenug, nun haben dem überzeugten Gegner eines freien Internets Unbekannte auch noch die lustige Playmobilfrisurund diesen peinlichen Slogan untergejubelt. Zum Glück ist der kaum erkennen.


00.7 __ //// STADTGESCHICHTE ROSTOCK<strong>Rostock</strong> und dieGeschichteTeil 1: Vom Lernen aus der GeschichtePETER KÖPPENIn 5 Jahren ist es soweit: Unsere Stadt feiert ihr 800jähriges Jubiläum.Viele, mehr oder weniger interessante, Veranstaltungen,Events und Gesprächsrunden, Umzüge, Ehrungen, vielelobende Worte werden die Stadt <strong>Rostock</strong> preisen. Und das zurecht. Ich lebe gern in dieser Stadt mit ihrem ganz eigenenFlair, ihrem Zugang zur Ostsee und zu ihrem mecklenburgischenHinterland, der trotz mancher Fehlleistung, immer nochinteressanten Architektur, der Lebendigkeit der KröpelinerVorstadt und der agilen Ehrwürdigkeit der Altstadt, den vielenMöglichkeiten geistiger Auseinandersetzung und kulturellerGenüsse.Aber <strong>Rostock</strong> ist nicht nur eine schöne und lebenswerte Stadt,sie ist auch eine in vielerlei Hinsicht zerrissene, bei aller Bewegungnicht in sich ruhende Stadt, bei aller geruhsamen Provinzialitätin oft heftigem kleinmütigem Streit befindlich, in derihre Bewohner Schwierigkeiten haben, Gemeinsamkeiten zuerkennen und sie mit notwendiger politischer Kultur zu pflegen.Und das hat, neben vielen anderen Gründen, auch etwasmit ihrer Geschichte zu tun. Es lässt sich trefflich darüber streiten,was die Beschäftigung mit dieser überhaupt für einen Sinnhat. Gern wird behauptet und höchstwahrscheinlich viele Malein Vorbereitung des 800jährigen Jubiläums geäußert, wennauch oft nur als pflichtschuldig vorgetragene Phrase: „Wer dieVergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehenund die Zukunft nicht gestalten“.Was ist die Vergangenheit, was an ihr ist bewahrenswert, wiekann sie erkannt und wiedergegeben werden?Bei aller Unterschiedlichkeit der Antworten auf diese Fragenbleibt eine Aussage: Geschichte ist Handeln von Menschen,das hauptsächlich aus Interessen, aber auch aus Emotionen undanderen, oft kaum erfassbaren, Gründen erwächst. Hauptinteressedes Menschen und damit grundlegende Motivation seinesHandelns ist es zu leben - und zwar möglichst gut. Was dies bedeutet,lässt sich jedoch sehr unterschiedlich definieren undführt folgerichtig zu ganz verschiedenen Motivationen, unteranderem in Abhängigkeit vonder wirtschaftlichen Entwicklung, der vorherrschenden Alltagsmeinung,Moralordnung, der Sozialisation und Erfahrungsweltdes Einzelnen, seiner sozialen Stellung oder demherrschenden politischen System.Eine Komplexität, die einfache Antworten unmöglich macht:Beschäftigung mit Geschichte verlangt und lehrt, ja schult differenziertesDenken, das Erfassen von Widersprüchen, Vorsichtzu üben bei Aktualisierungen, die Bereitschaft, eigeneWertvorstellungen nicht als die alleingültigen anzusehen, ohnesie zu verleugnen, Toleranz zu üben gegenüber Andersdenkendenund -handelnden.Dann ist Verständnis und Erklärung für das Gewordene, aberauch kritische Bewertung möglich, wohl wissend, dass selbstdann jede Interpretation des Vergangenen eine subjektivebleibt. Oder, um es mit den Worten des Schriftstellers SamuelButler auszudrücken: „Der Unterschied zwischen Gott undden Historikern besteht hauptsächlich darin, dass Gott die Vergangenheitnicht mehr ändern kann.“


00.8 __ //// STADTGESCHICHTE ROSTOCKVon einer vergangenen Zeit und einer nicht vorhandenenhanseatischen TraditionEinen glanzvollen Höhepunkt weist <strong>Rostock</strong>s Geschichte unbestrittenauf: die Hansezeit. Allzu gerne berufen sich die heutigenRatsherren (und nicht nur sie) auf diesen Bund norddeutscherSee- und Handelsstädte und sprechen vom Hineinwirkender hanseatischen Tradition in die Gegenwart. Eine genauereBetrachtung lohnt sich also:Aus einem seit Mitte des 12. Jahrhunderts bestehenden losenBündnis schlossen sich bis Mitte des 17. Jahrhunderts bis zu300 niederdeutsche Städte an der Küste und im Binnenlandzusammen, um ihre Waren sicher über See und Binnenland befördern,ihre Interessen gemeinschaftlich im Ausland vertretenund politisch Einfluss nehmen zu können. <strong>Rostock</strong> war ab Mittedes 13.Jahrhunderts Mitglied der Hanse, erlebte seine glanzvollsteZeit im 15. Jahrhundert. Sichtbares Zeichen war dieGründung der Universität 1419. Als die Hanse insgesamt anBedeutung verlor, der Dreißigjährige Krieg die Stadt überzogund dann, 1677, noch ein verheerender Stadtbrand ausbrach,war Schluss mit der Pracht vergangener Tage: <strong>Rostock</strong> wurdekleine deutsche Provinzstadt, wenn auch nach wie vor geistigesund wirtschaftliches Zentrum im Mecklenburgischen.Sehr viel anders verlief die Entwicklung in Hamburg, Bremenund Lübeck. Die 3 Städte verbündeten sich 1716 auf neuer Basis,führten die Hanse faktisch weiter. Sie waren reichsfreieStädte, also keinem Fürsten sondern direkt dem Kaiser unterstellt.Während <strong>Rostock</strong> als landständische Stadt einem Landesherrnunterstand und ständig im Clinche mit dem Großherzoglag, waren die reichsfreien Städte im Inneren weitgehendautonom mit weitreichender eigener Gerichtsbarkeit. DiePatrizier der drei Städte bildeten eine deutliche Minderheit –in Bremen um 1800 etwa ein Siebentel – unter der ansonstenoft unter kläglichen Bedingungen lebenden Einwohnerschaft.Es waren seit Beginn der Hanse zumeist vermögende Protestantenmit vollem Bürgerrecht, „die gern und üppig aßen, einenausgeprägten Sinn für Repräsentation besaßen, mit LeidenschaftGeschäfte machten, ihre Söhne vor Antritt des väterlichenErbes auf Weltreisen schickten, mehrere Sprachen beherrschten,den englischen Lebensstil favorisierten, zur Weltdes Geistes und der Künste aber eine etwas distanziert überlegene,im besten Fall mäzenatenhafte Beziehung pflegten.“Sie bildeten „eine rein patriarchalische Gesellschaft, in der mitGeldbeutel und (dem richtigen) Gesangbuch regiert wurde.“(aus Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00, Edition Luisenstadt,2000 in einer Rezension des Buches von MathiasWegner ,“Hanseaten. Von stolzen Bürgern und schönen Legenden.Berlin 1999“ ).Diese Grundhaltung veränderte sich in der zweiten Hälfte des18. Jahrhunderts. Es war die Zeit der Aufklärung mit ihrer Berufungauf Vernunft und Emanzipation und ihrem schier unerschöpflichenFortschrittsoptimismus. Deren Ausprägung besaßin den vom Adel unabhängigen Freistädten sehr viel bessereMöglichkeiten als in den in Feudalstaaten liegenden Städten:„Nunmehr zeichnete sich ein angesehener Bürger nicht nurdurch Wohlstand und Augenmaß, Fairness und Vertrauenswürdigkeitaus, sondern auch durch den persönlichen Einsatz fürdas Gemeinwesen, durch kulturelles und soziales Engagementfür die eigene Stadt“ (ebd.).Eine solche starke, dem Fortschritt aufgeschlossene und dieStadtgesellschaft auf unterschiedliche Weise dominierende, allgemeinHanseaten genannte Schicht gab es in <strong>Rostock</strong> nicht.Zwar erholte sich <strong>Rostock</strong> Ende des 18. Jahrhunderts, insbesonderedurch den Getreidetransport über See. Die <strong>Rostock</strong>erGetreidehändler und -reeder waren aber bei weitem nicht mitden Hamburger Hanseaten vergleichbar. Der Bruch zu derGlanzzeit der Hanse war endgültig. <strong>Rostock</strong> war seit dem 17.Jahrhundert eine Provinzstadt in einer von Großgrundbesitzund Ständestaat geprägten Umwelt. Das was landläufig als hanseatischeHaltung definiert wird, wie Weltoffenheit, Gediegenheit,Zuverlässigkeit, aber auch Risikobereitschaft und Stolz aufsich und das Erreichte, gab es wohl unter einzelnen Bürgernder Stadt, aber nie als Eigenschaft einer die Geschicke der Stadtbestimmenden Schicht.Die Zeit der Hanse war eine erfolgreiche, nach einigen wenigenJahrhunderten aber abgebrochene Etappe in der Geschichte<strong>Rostock</strong>s. Das Wort von der hansischen oder gar hanseatischenTradition dient augenscheinlich vor allen Dingen Marketingzwecken.Die HanseSail ist ein riesiges Spektakel, an demnebenbei auch viele kleine und große Segler teilnehmen, allerdingswenige Koggen mit ihrem einen Mast und Rahsegel, demtypischen Schiff der Hanse. Dass die Hanseatische Brauerei<strong>Rostock</strong> so heißt, mag eine Erinnerung an die trinkfesten undbraufreudigen Einwohner der damaligen Zeit sein. Lassen wirHANSAJOB-Initiative für Arbeit, Hanse Frischbeton, HanseMetallbau, Hanse Pflegedienst, Hanseatische Möbelspedition,Hanseatische Recycling und Abbruch, Hanseback und all denvielen anderen „hanse-“ Unternehmungen ihre Namen. Immernoch besser als komplizierte Anglizismen. Und so etwas wiehanseatische Haltung mag ja dort auch zu finden sein, ab undzu. Nur mit der mittelalterlichen Hanse hat das alles nichts zutun.Eine hanseatische Tradition gibt es für <strong>Rostock</strong> nicht, wohlaber eine maritime, also die Prägung durch eine jahrhundertelangeunterschiedliche Nutzung des Meeres. Die gilt es zu pflegen,auch wenn heute neue Bedingungen für diesen Bereichexistieren. Betrachtet man die entsprechende Traditionslinie,wird das Fehlen eines hanseatischen Geistes im heutigen <strong>Rostock</strong>leider umso deutlicher: Jeder Beitrag zum aktuellen <strong>Rostock</strong>er„Schiffe versenken“-Spiel bräuchte nicht nur einen eigenenArtikel, sondern böte Stoff für ganze Bücher im GenreTragödie, Krimi, Satire oder Farce - nur für eine gute Komödietaugt keins von ihnen.Beispiel 1: „Georg Büchner“Das ehemalige Fracht- und Ausbildungsschiff des VEB DeutscheSeereederei (DSR), 1967 in Antwerpen von einer niederländischenReederei erworben, die sie im Liniendienst zwischenBelgien und Belgisch-Kongo und Angola eingesetzt hat-


te. Bis 1977 für die DSR im Liniendienst Cubalco nach Kubaund Mexiko fahrend, wurde sie 1977 stationäres Ausbildungsschifffür die Reederei mit Liegeplatz in Schmarl.Traditionspflege: Besitzer nicht bekannt. Das Schiff sank inpolnischem Gewässer bei der Fahrt zum Abwracken.Beispiel 2: Der „Eisbrecher Stephan Jantzen“Auf einer Leningrader Werft gebaut, 1967 bis 1990 durch denVEB Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei (BBB) als zweitgrößterEisbrecher Deutschlands bereedert und nach demschon sagenmäßigen Warnemünder Lotsenkommandeur StephanJantzen (1827–1913) benannt, zuletzt in Stralsund liegendund dann wieder nach <strong>Rostock</strong> verholt.Traditionspflege: 2 Besitzer streiten sich, wem das Schiff gehört.Wegen Einbruchsgefahr in den Seehafen in gesichertesGelände verlegt.Beispiel 3: Das „Traditionsschiff Typ Frieden“Seit kurzem wieder schlicht „Dresden“ genannt, 1956/57 aufder Warnowwerft als 10.000-Tonnen-Stückgut-Frachter undals fünftes Schiff der Baureihe Typ IV (insgesamt 15 Schiffs-Neubauten) gebaut. Das erste Schiff „Frieden“ gab allen Schiffender Typreihe die entsprechende Zusatzbezeichnung. Von1958 bis 1969 als Motorschiff Dresden für die Deutsche Seereedereiim Liniendienst nach Ostasien, Indonesien, Afrika, Indienund Lateinamerika gefahren und seit 1970 als Museumsschiffgenutzt.Traditionspflege: langjähriger Streit um einen Liegeplatz inSchmarl oder im Stadthafen, Nutzung als Museumsschiff bisherunzureichend.Beispiel 4: Die „Likedeeler“1962 auf der Schiffswerft NEPTUN in <strong>Rostock</strong> gebaut, transportiertedas Schiff für die DSR als „MS Condor“ Schütt- undStückgut sowie Holz in der Tramp- und Linienschifffahrt. Eswar seit 1988 Freizeitzentrum für Kinder und Jugendliche.Traditionspflege: Die Schiffsbesatzung und der Fördervereinkämpfen verzweifelt um das Fortbestehen des Freizeitzentrums.Unter Pflege der maritimen Tradition ist wahrlich etwas andereszu verstehen. Es wäre in Vorbereitung des Stadtjubiläums einedankbare Aufgabe, zusammen mit den vielen interessiertenVereinen, Einrichtungen und Einzelpersonen ein entsprechendesKonzept zu entwickeln, das dann tatsächlich umgesetztwird. Allerdings: Im aufwendigen Konzeptentwickeln mit anschließendemNichtstun hat die Stadt leider Tradition, wie dasim folgenden Absatz dargelegte Beispiel verdeutlicht.Der Januskopf einer IndustrialisierungIm Vergleich zu vielen anderen Orten Deutschlands setzte dieIndustrialisierung in <strong>Rostock</strong> – vom übrigen vorwiegend ländlichenMecklenburg ganz abgesehen – spät ein, im großen Umfangim Grund genommen erst in der Zeit des Faschismus. Mitden Heinkel- und Arado-Flugzeugwerken (1938 etwa 3500Arbeitskräfte) wurde die Stadt in den 1930er Jahren zu einemZentrum der Rüstungsindustrie in Deutschland.Am Wirken des Begründers der Heinkel-Werke <strong>Rostock</strong>, demIngenieur und Flugzeug-Konstrukteur Ernst Heinkel, entbrannteim Jahr 2002 ein fast durchweg sehr heftig geführter,oft sehr emotional ausgetragener Streit. Er entzündete sich zunächstan einer vom Förderverein für Luft- und Raumfahrt gestaltetenAusstellung über Heinkel und einer nach Meinungvon Kritikern zu kritiklosen Darstellung seiner Person in derAusstellung. Eine von der Stadt verfügte Schließung der Ausstellungspitzte die Situation noch zu.In den folgenden Diskussionen wurde der große historischeund im Grunde in verschiedenster Ausprägung ständig wiederkehrendeWiderspruch deutlich: Auf der einen Seite hervorragendetechnische Leistungen (Bau des ersten Raketenflugzeugsder Welt, Entwicklung des weltweitesten Strahltriebwerkes sowiedes Schleudersitzes) und eine für die Beschäftigten in vielenBelangen vorteilhafte Sozialpolitik und auf der anderen dieTatsache, dass das Streben hochtalentierter Ingenieure undTechniker, der Enthusiasmus vieler Werksangehörige objektivund zumeist auch subjektiv auf ein Ziel ausgerichtet war: Waffenmit verheerender Zerstörungskraft herzustellen für einenKrieg gegen andere Völker.Die Ergebnisse der technischen Entwicklung waren nur zu erreichendurch Zwangsarbeit und totale Knechtung tausendervon Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen.Sie führten nicht nur zum Tod von abertausenden, in denBombenangriffen der Heinkel-Flugzeuge umgekommenenMenschen in anderen Ländern, sondern auch zu Tod undElend unter der <strong>Rostock</strong>er Bevölkerung, als alliierte Flugzeugedie Heinkelwerke und die Stadt mit einem Bombenhagel belegten.Zweifellos hatte die maßgeblich durch die Heinkelwerke beförderteIndustrialisierung <strong>Rostock</strong>s vieles zur weiteren Entwicklungder Stadt beigetragen. Die Einwohnerzahl wuchs von90.000 im Jahr 1933 auf 135.000 im Jahr 1942, neue Stadtteileentstanden. „Facharbeiter aus den alten Industrieregionen fandenhier Beschäftigung, wurden aber auch aus ihren alten Milieusherausgelöst und in ein neues, von Technikbegeisterungund NS-Ideologie geprägtes Lebensumfeld integriert. Mit demAusbau der Flugzeugindustrie kam eine hochmoderne Industrienach <strong>Rostock</strong>, in der Wissenschaft und technische Innovationeine zentrale Rolle spielten und nach fortgeschrittenenFertigungsmethoden produziert wurde. […] Viele Maßnahmenförderten Berufsstolz und Elitebewusstsein unter der Belegschaftder Heinkel-Flugzeugwerke.“ (Andreas Wagner: DerStreit um die Geschichte der Heinkel-Flugzeugwerke in <strong>Rostock</strong>.Zum Verhältnis einer ostdeutschen Großstadt zu ihrer


0.10 __ //// STADTGESCHICHTE ROSTOCKNS-Vergangenheit. In: Demokratische Geschichte. Jahrbuchfür Schleswig-Holstein, Bd. 17, Malente 2006, S. 235 bis 249).Zugespitzt formuliert: <strong>Rostock</strong> veränderte sich positiv, um imBombenhagel unterzugehen. Was man als Fortschritt ansah,wurde zum Fluch. Die Widersprüchlichkeit von Geschichtekann kaum deutlicher zutage treten.„Das geschichtliche Erbe einer Stadt lässt sich nicht in gut undschlecht aufspalten. In das lokale historische Gedächtnis mussdie ganze Geschichte eingehen. Nicht nur an Hanse und Backsteinkirche,an Hafen und Segelschifffahrt, sondern auch andie Verfolgung Andersdenkender, die Zerstörungen durch dieLuftangriffe oder die vielen zerbrochenen Biographien ehemaligerund heutiger <strong>Rostock</strong>er muss erinnert werden. Das machtnachdenklich und regt zur Selbstreflexion an. Wie hätte ichmich verhalten? Gab es alternative Handlungsmöglichkeiten?Welchen Entscheidungsspielraum besaßen die einfachen Menschenund die Entscheidungsträger? […] Geschichte gibt keineRuhe. Was die Gesellschaft zudeckt oder verdrängt, kommt einesTages schmerzhaft an die Oberfläche. Wie wir mit Erfolgendauerhaft leben, so müssen wir auch mit den Niederlagen,Verlusten und Fehlern leben lernen, ohne ständig mit gesenktemKopf herumzuwandeln oder je nach Bedarf auf das eigeneLeid oder die Untaten der anderen zu verweisen. HistorischesWissen trägt dazu bei, unser aktuelles Handeln kritisch zu reflektierenund nicht einfachen politischen Lösungen auf denLeim zu gehen. Niemals mehr darf der Zweck die Mittel heiligen!Der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und dieUnteilbarkeit der Menschenrechte sind gesellschaftspolitischeForderungen, die auch aus den historischen Erfahrungen des20. Jahrhunderts erwachsen.“ (Andreas Wagner in dem Sammelband„Heinkel in <strong>Rostock</strong>-Bestandsaufnahme und Diskussion“,Verlag Redieck&Schade 2002, S.111/112)Die Diskussion um die Heinkel-Ausstellung, die Person ErnstHeinkel, die Verantwortung der Wissenschaft, ja, die Verantwortungdes Einzelnen für sein Tun war wichtig für die Stadt,aber sie war erst ein Anfang. Wie sollte es danach weitergehen?Im Juni 2004 berief die Stadt eine Expertenkommission. Siesollte Empfehlungen erarbeiten, „in welcher Weise die Industrie-und Technikgeschichte, vor allem hinsichtlich der Flugzeugindustrieund der Person Ernst Heinkel, zur Zeit des Nationalsozialismusaufgearbeitet und präsentiert werden kann.“Am 3. Mai 2005 übergab die Kommission ihre Empfehlungenan den neu gewählten Oberbürgermeister Roland Methling.Sie empfahl, die Unternehmensgeschichte in der Stadtgeschichteund der NS-Gesellschaft zu verankern, eine Verengungauf technisch-technologische Entwicklungen zu vermeidenund die Heinkel-Flugzeugwerke mit allen Produktionsstandortenin den Blick zu nehmen.vielfältigen Bildungsarbeit zur Vermittlung der Forschungsergebnisseund zur Moderation von Meinungsbildung, der Bewahrungund Markierung von baulichen Überresten im Stadtbildsowie einer modernen musealen Präsentation. Für die Umsetzungdieser Vorstellungen sei ein langer Atem und eine städtischeModeration notwendig sein, damit die Debatte beinächster Gelegenheit nicht erneut in eine polarisierende Anfeindungführt oder aktuellen Werbestrategien untergeordnetwird. Nur in einer sachlich geführten Diskussion sind Lernprozessemöglich.“ (Vgl. hierzu Andreas Wagner: Der Streit umdie Geschichte der Heinkel-Flugzeugwerke in <strong>Rostock</strong>.)Was ist inzwischen in der Stadt von den Vorschlägen umgesetzt?Im Grunde genommen nichts. Die damalige Diskussionhat manch Neues an Fakten zutage gefördert, neue Erkenntnissebei vielen Diskutanten befördert, welcher Meinung sie auchzu Beginn waren. Aber weitergeführt im Sinne der Kommissionsempfehlungund damit einem weiteren tatsächlich historischenVerständnis von Stadtgeschichte wurde so gut wie nichts.Das zweifellos schwierige und notwendige Tagesgeschäft, finanzielleNöte und politische Rangeleien bestimmen das Tunin Stadtverwaltung und Bürgerschaft, schnell vorzeigbare Ergebnissesind zu erzielen, das Image der Stadt zumindest an derOberfläche zu polieren. Ab und an wird dann bei Bedarf dieGeschichte hervorgeholt und nicht selten im politischen Interessevergewaltigt. Dann bleibt nur noch Platz dafür, einmalmehr zu gegebenem Jubiläums-Anlass zu beteuern: „Wer dieVergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehenund die Zukunft nicht gestalten“. Bis zum nächsten Mal.¬--Im Herbstheft der Stadtgespräche folgt Teil 2 von „<strong>Rostock</strong> unddie Geschichte“, dann mit Fragen zur DDR-Geschichte, zumHerbst 1989 und den darauf folgenden fast 25 Jahren.Die Kommission betrachtete die Debatte in <strong>Rostock</strong> als einenBaustein in der Selbstverständigung der Einwohner der Stadtüber ihre Geschichte und erklärte: „Diesen positiven Ansatzfortzusetzen und nachhaltig zu verfolgen, wäre ein wichtigesZiel der zukünftigen Arbeit. Dazu bedarf es vielfältiger Aktivitäten:einer wissenschaftlichen Forschung als Grundlage, einer


KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKERBitter auch für Hagen Reinhold, dessem Brüderle gerade das „Perpetuum mobile“-Motto „Weniger Schulden,Weniger Steuern.“ in den Mund gelegt wurde. Niederträchtig! Unbekannte setzen uns jetzt die Pistole auf dieBrust: Deutschland wird schwach und schwächer, wenn wir Hagen nicht wählen.


0.12 __ //// MEDIENANALYSE NSU-PROZESSFragen eines (Zeitung)lesenden <strong>Rostock</strong>ers zumNSU-ProzessCORNELIA MANNEWITZVorbemerkung: Über Zeitungen und den NSU-Prozess könnte man auch ohne Zitate viel sagen. Der Skandal um die erste Vergabeder Presseplätze im Saal des Münchner OLG bleibt im Gedächtnis. Nach der korrigierenden Auslosung berichten unter denhier zitierten Zeitungen die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Junge Welt“ aus erster Hand. Die „Ostsee-Zeitung“ ist ein Tochterunternehmender „Lübecker Nachrichten“, für die ebenfalls ein Platz im Gerichtssaal erlost wurde; man kann annehmen, dass auchsie daher direkte Informationen erhält. Die Plätze können aber auch übertragen werden. Weiteres – Themenwahl, Textsorte,Wechsel zwischen direkter und indirekter Rede, Bewertungen usw. – ist Mediencharakteristikum und steht in Wechselwirkung mitpolitischen Interessen, journalistischem Können, der öffentlichen Meinung. Fragen kann man nach allem und sollte man auch vielöfter. Übrigens, lokale Randnotiz zur Medienkompetenz: Einzelne Teilnehmer der Sitzung des Ortsbeirats Dierkow-Ost, Dierkow-Westam 8.5.2012, die die Ablehnung der Straßenumbenennung beschloss, baten den anwesenden Medienvertreter, er habe janun alles gehört und solle deutlich in die Zeitung schreiben, warum man nicht umbenennen könne. Der schrieb dann allerdingsdoch etwas anderes … Nun aber, in Auswahl:NNN/SVZ 6.8.13, Seite 4: „Am letzten Verhandlungstag vorder Sommerpause (…) wird heute der Mord am <strong>Rostock</strong>er VerkäuferMehmet Turgut behandelt.“> In der OZ erschien schon am 2.8. ein Artikel über die Vernehmungeines Zeugen aus <strong>Rostock</strong>. Wie aufmerksam geht die Lokalpressemit dem Prozess um?Süddeutsche Zeitung 26.7.13, Seite 6: „Die Versäumnissevon Polizei und Geheimdiensten aufzuklären, ist in erster Liniedie Aufgabe von Untersuchungsausschüssen.“; NNN/SVZ7.8.13, Seite 6: „Anträgen von Verteidigung oder Nebenklägernwidersprechen [Bundesanwalt, C.M.] Diemer und seineKollegen regelmäßig – und meist gibt das Gericht ihnen recht.Das Ziel ist klar: Der Prozess soll sich auf die Vorwürfe in derAnklage beschränken und nicht dazu dienen, frühere Ermittlungsfehleraufzuarbeiten.“; OZ 2.8.13, Seite 4: „Der 25-jährigeTürke war kurz nach 10 Uhr in einem Döner-Imbiss in <strong>Rostock</strong>-Toitenwinkelerschossen worden. (…) Der NationalsozialistischeUntergrund (NSU) hat sich in einem Video zu demMord bekannt.“> Abgesehen von der Entpolitisierung des Prozesses, der hier dasWort geredet wird: Dass der NSU die Morde begangen hat, stehtnicht in Frage. Gegenstand des Prozesses ist die Mittäterschaft derAngeklagten. Kann man dann in <strong>Rostock</strong> als Begründung für dieNichtaufnahme des Namens NSU in den Text der Tafel auf einnicht abgeschlossenes Gerichtsverfahren verweisen? Und: Warumnoch mal haben wir in MV keinen Untersuchungsausschuss?OZ 29.7.13, Seite 7: „Der Anwalt spricht von einem ‚Zufallsopfer,das nicht in die Mordserie passt‘. Turgut sei kein türkischerKleinunternehmer gewesen: ‚Er war schlicht zur falschenZeit am falschen Ort.‘ Dass er dennoch sterben musste, sprechegegen den immer wieder geäußerten Verdacht, der NSU habeUnterstützer vor Ort gehabt, die Tatorte und mögliche Opferausspähten.“; OZ 10.6.13, Seite 6: „Auch Yunus lebte damalsin <strong>Rostock</strong>. Die deutschen Behörden werden ihn später verhören.‚Sie sagten, eigentlich hätte es mich treffen sollen. Nur wegender Namensverwechslung sei Mehmet von Auftragskillernermordet worden.“> Welche Person getötet wurde, spielt nur eine Rolle für die These,die Morde seien Morde im Mafiamilieu gewesen. Nachdem dieseendlich ad absurdum geführt ist: Warum sollte der NSU in <strong>Rostock</strong>und MV keine Unterstützer gehabt haben? Reichte für dasVerbreiten von neofaschistischem Terror durch Anschläge auf einebestimmte Kategorie von Migranten die Kenntnis relevanter Orteund Objekte, in Absehung von konkreten Personen, nicht aus?Gleichzeitig: Erforderte nicht gerade sie ein Wissen, das für Ortsfremdenur schwer zu gewinnen war? Warum wird dieses Argument,wenn auch im Konjunktiv, noch immer kolportiert, als


Wasser auf die Mühlen der Umbenennungsgegner?Süddeutsche Zeitung 8.8.13, Seite 4: „(…) in allen Detailsschildern Rechtsmediziner die tödlichen Verletzungen der Opfer(…). Umso mehr hofft man auf das Taktgefühl der Beamten– und wird mitunter enttäuscht. In dieser Woche erzählte einePolizistin in lockerem Ton, wie sie zu einer Dönerbude fuhr, inder ein blutüberströmter Mann lag. Der Notarzt habe dannfestgestellt, dass die Person ‚ex‘ ist. (…) An einem anderen Tagbetonte ein Ermittler unablässig, wie unordentlich die Wohnungund Geschäftsräume eines Opfers gewesen seien.“; jungeWelt 13./14.7.13, Seite 3: „Zum Mord an dem GemüsehändlerHabil Kilic (…) ist (…) ein Ermittler vernommen worden,dem die ‚Türkenmafia‘ nicht aus dem Kopf geht. (…) Man seizunächst Hinweisen auf einen ‚Mulatten‘ nachgegangen, dersich mit einem Auto schnell vom Tatort entfernt habe. Auchnach einem Türken mit einem ‚Mongolenbart‘ (…) habe mangesucht.“> Keine Frage.OZ 2.8.13, Seite 4: „Was hinter den Schüssen stecken könnte,interessierte H. [<strong>Rostock</strong>er Zeuge, C.M.] an diesem Tag weniger.Aus seinen Fenstern war ‚kein Mensch zu sehen, auch nichtbeim Döner-Imbiss‘. Erstaunlich, denn: ‚Wenn es bei unsknallt, dann sieht man meistens auch jemanden auf der Straße‘.Die Polizei rief der 18-Jährige nicht. Stattdessen sah er fern,erst um 14 Uhr habe ein Besucher vom Blaulicht auf der Straßeberichtet. Dann will man nicht mehr darüber gesprochen haben– auch nicht im Stadtteil. Für die Nebenkläger im Prozessklang das nicht glaubwürdig. ‚Sind Sie bedroht worden? StehenSie unter Druck? Warum sagen Sie hier nicht alles?‘, fragte AnwaltBernd Behnke, der einen Bruder des Opfers vor Gerichtvertritt.“> Darf einem hierbei eine Assoziation zu der Sitzung in Dierkowkommen?FAZ 6.5.13, http://www.faz.net: „Freilich ist es zweifelhaft,ob die Anwälte tatsächlich schon dadurch ungebührlich diskriminiertwerden, dass sie sich - anders als die Ankläger - durchsuchenlassen müssen. Das war schon in RAF-Prozessen gangund gäbe, und wie man leider feststellen musste: aus gutemGrund.“; FAZ 2.8.2013, Seite 3: „In der deutschen Prozessgeschichtekommt der Stammheim-Prozess gegen die Terroristender Rote-Armee-Fraktion (RAF) dem NSU-Verfahren vielleichtam nächsten. (…) Das Gericht konnte nicht aufklären,welcher Angeklagte zu welchem der sechs Bombenanschlägewelchen Tatbeitrag geleistet hatte. (…) Maßgeblich waren fürdas Gericht (…) der gemeinsame Tatplan und der unbedingteWille aller Angeklagten zur Begehung der Anschläge. (…).“> Ist der Grund für die Inbeziehungsetzung von RAF- und NSU-Prozess in diesen Texten die Faszination, die von der Beherrschungder juristischen Technik ausgeht, oder mehr?OZ 13.8.13, Seite 15: „Gewalt, Zerstörung, Wahnsinn in Geschichteund Gegenwart: (…) Das Münchner Residenztheaterhat für die Produktion ‚Urteile‘ Angehörige der NSU-Opferbefragt und Braunschweig untersucht in einem ‚NSU-Projekt‘die Psyche von Beate Zschäpe. Das Schauspiel Frankfurt lässtDramaturg Lothar Kittenstein mit ‚Der weiße Wolf ‘ ein NSU-Drama schreiben, das eine ‚Reise in die Untiefen der deutschenGesellschaft‘ werden soll.“> Gut, dass sich die Kunst hier breiter aufstellt. Das erspart dieFrage, was an der Psyche des „Nazis von nebenan“ noch neu seinsollte; insbesondere im Vergleich zur Psyche seiner Opfer. „Wahnsinn“ist vielleicht akzeptabel als werbewirksames Wort…NNN/SVZ 9.8.13, Seite 4: „Nach den Behördenpannen imZusammenhang mit der Mordserie der rechtsextremen TerrorzelleNationalsozialistischer Untergrund (NSU) hatte die Innenministerkonferenzim Dezember vergangenen Jahres Leitlinienfür den Einsatz von V-Leuten festgelegt. (…) ‚Es bleibt imDunkeln, ob und wie die Landesregierung dies umsetzen will‘,meinte der Fraktionschef. In der Antwort des Innenministeriumsheißt es dazu nur lapidar, die Umsetzung der Leitlinienwerde für Mecklenburg-Vorpommern geprüft.“> Warum passt die unwissenschaftliche Bezeichnung „rechtsextrem“so gut zu der verniedlichen Bezeichnung „Terrorzelle“?Und, ja, noch einmal: Warum haben wir eigentlich keinen Untersuchungsausschuss?Nachbemerkung in drei Zitaten:Süddeutsche Zeitung 5.6.13, Seite 5: „Carsten S. hat amDienstag lange gewartet. Immer wieder hatten die Verteidigerund die Nebenkläger Anträge gestellt – auf Einstellung desVerfahrens wegen der Vorverurteilung von Beate Zschäpe, wegender vernichteten Akten des Verfassungsschutzes. (…) aufden Ausschluss von Mitarbeitern von Polizei und Verfassungsschutzvon der Verhandlung – weil sie so Zeugen aus ihren eigenenReihen instruieren könnten.“;Tagesanzeiger (Schweiz) 6.5.13 (http://www.tagesanzeiger.ch/):„Üstün [der Vorsitzende der Menschenrechtskommissiondes türkischen Parlaments, C.M.] fordert ein härteresVorgehen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit inDeutschland. (…) Deutsche Gerichte seien nie an die Wurzelneines weitverbreiteten Rassismus gegangen (…). ‚Ich meine,dass die deutschen Institutionen anerkennen müssen, dass esein großes, systemrelevantes Problem im Land gibt, das dieserassistischen Elemente immer neu hervorbringt.‘„; SüddeutscheZeitung 20./21.7.13, Seite 3: „Die Rechtsradikalen wollendie Schuld für das Erstarken des NSU gern dem Staat zuschieben– eine ‚Erfindung des Verfassungsschutzes‘ sei derNSU, heißt es bei der NPD.“ ¬--Auch interessant:www.nsu-watch.infonsuprozess.blogsport.dewww.nsu-nebenklage.de


KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKERBöse auch für Steffen Bockhahn, so auf ein vermenschlichtes Tier reduziert zu werden. Und statt revolutionärerTaten haben Unbekannte nur ein läppisches „Kümmern“ für ihn übrig. Das hat er ja nun wirklich nicht verdient.


0.15 __ //// SCHWEINEMASTANLAGE ALT TELLINArbeit, die Leidenschafft. Veredlungsindustrieauf demVormarschOLAF SPILLNER„Edel sei der Mensch, Hilfreich und gut!“ Die Deutsche Veredelungswirtschaftsoll die modernste und tierfreundlichste inEuropa werden, verkündete 2011 das amtierende Bundeslandwirtschaftsministerium.Dort wurde erkannt: Die gesellschaftlichenAnforderungen an Tierhaltungssysteme steigen. Wiesodenn das auf einmal? Ein Blick auf das Tollensetal im schönenGesundheitsland MV kann das klären. Am Beispiel der dortigenkleinen Gemeinde Alt Tellin wird deutlich, wie sich Umbruchprozesseentwickeln können.Zur Erinnerung: Wie üblich im ländlichen Raum der vergangenenRepublik der Brüder und Schwestern wurde auch hier ineinem „Kombinat Industrieller Mast“ so manches Schwein gefüttert.Mit der Abwicklung von DDR-Industrie (Ruinenschaffen ohne Waffen) wucherte eine blühende Landschaft umdie Reste der Stallbauten. Ein Rückzugsort für Fledermäuse,Wildbienen und Rebhühner. Drumherum immer intensiverbewirtschaftete riesige Ackerflächen für goldenen Raps in deransonsten tierärmer gewordenen Landschaft. Doch der geschwundeneFossilölbestand ließ Kunstdüngerpreise steigenund Sehnsucht nach Gülle wachsen. Zeitgleich mit der Ankunftwestlicher Landmaschinen expandierten bodenungebundeneMassentierhaltungsunternehmen aus den Ländern der untergehendenSonne in östlichen Freiraum. Verdrängt durchUmweltauflagen, wegen verseuchter Grundwässer...Die Geschäftsführerin des hiesigen Rinderbetriebes Silvia Ey(Vizebürgermeisterin Alt Tellins) wurde Referentin für Tierproduktionin der Hauptgeschäftsstelle des Bauernverbandes,und der Niederländer Kees Hoogendoorn übernahm die RinderzuchtAlt Tellin. 2006 vermittelte sie über die LandwirtschaftsberatungsgesellschaftLMS den berüchtigten SchweineproduzentenAdrianus Straathof zur Alt Telliner Gemeindevertretung.Das weitere ist eigentlich bekannt. Gegen den erklärtenWillen der Mehrheit der Einwohner hat das Staatliche Amtfür Landwirtschaft und Umwelt dem zwielichtigen Investoraus Gelderland das Privileg des vorzeitigen Baubeginns gewährt.Sie begründete es mit einem vorhandenen öffentlichenInteresse und der Weiterführung der Standortinitiative „MVtut gut“.Schon 1991 publizierte das ifo Institut für Wirtschaftsforschunge.V.: „Eine angemessene Nutzung der landwirtschaftlichenRessourcen kann nur gewährleistet werden, wenn von denStrukturleitbildern für die alte Bundesrepublik, nämlich dembäuerlichen Familienbetrieb, Abstriche gemacht und möglichstviele LPGen in wettbewerbsfähige Unternehmen umstrukturiertwerden.“Und so produziert der Familienbetrieb Straathof Holding seitgut einem Jahr am Standort Alt Tellin unter dem Slogan „Begeisterungfür Ferkel“. Der Widerstand der Einwohner und ihrerBündnispartner gegen Europas größte Ferkelfabrik konntedie Inbetriebnahme dieser Massentierhaltungsanlage zwar aufschieben,aber nicht wirklich verhindern. Ihr Erfolg reicht jedochweit über die Gemeindegrenzen hinaus. Denn die genehmigteWiederinbetriebnahme der DDR-Mega-Schweinemastin Haßleben darf noch nicht starten. Der dortige niederländi-


0.16 __ //// SCHWEINEMASTANLAGE ALT TELLINsche Investor muss abwarten, wie die Gerichte über eingehendeKlagen entscheiden, bevor er mit dem Bau beginnen kann. Dieaußerparlamentarische Opposition der Bürgerinitiativen hatdazu geführt, dass sich Klagemöglichkeiten gegen solche Anlagenverbessert haben. Die mediale Begleitung des Widerstandesgegen den Bau der Ferkelfabrik am Tollensetal ist darannicht ganz unschuldig.Rosa Kreuze wurden ein Zeichen der Hoffnung fürden Ausstieg aus der Massentierhaltung.So manch einstiger Befürworter von „moderner Landwirtschaft“ist inzwischen aufgewacht und hat erkannt: „Herr, dieNot ist groß! Die ich rief, die Geister werd‘ ich nun nicht los.“Sogar der Alt Telliner Bürgermeister, dessen eingeschlageneFensterscheiben seiner Gaststätte Storchenbar der LandtagMVs für eine Kampagne gegen friedliche Bürgerinitiativenmissbrauchte, wurde ein Betroffener der Gülleproduktion. Unmittelbarhinter seinem Wohnhaus konnte der RinderhalterHoogendoorn im Windschatten der Ferkelfabrik seinen Bestandauf 1.000 Tiere aufstocken, befürwortet durch Gemeindevertreter,die annahmen, damit die Ausbreitung der inzwischenin Verruf geratenen Schweineanlage zu verhindern.Doch kaum hatte Straathofs Tierproduktion begonnen, stellteer schon einen Erweiterungsbauantrag. Seine 10.000 Sauensind produktiver geworden, sie würden 300.000 statt 250.000Ferkel pro Jahr liefern. Zur weiteren Optimierung seiner Gewinnerwartungwill er 1.000 weitere Turbosauen einstallenund 15.000 zusätzliche Ferkelplätze anbauen.Aber die Bundesregierung hat auf die gewachsene Zahl der„Wir haben Agrarindustrie satt“-Demonstranten im Vorfeldder Grünen Woche in Berlin reagiert und mit der Novellierungdes Bundesbaugesetzbuchs auch der Gemeindevertretung AltTellins ermöglicht, dem Antrag Straathofs einstimmig ihr Einvernehmenzu verweigern. Selbst Vizebürgermeisterin Ey, inzwischenin der Geschäftsstelle des Bauernverbandes auch fürTiergesundheit zuständig, stimmte gegen die Erweiterung. IhrVerbandsvorsitzender Rainer Tietböhl dagegen betonte kürzlichauf der Tagung der Friedrich Ebert Stiftung „Tierschutz inder Nutztierhaltung“ vom Podium herab: jede Investition inStallneubauten sei eine Investition in Tierschutz. Die Bauernim Publikum forderten vom neben ihm sitzenden MinisterBackhaus Rechtssicherheit für Stallneubauten. Auf meine Fragenach Freilandhaltung hin wurde das Gespenst der Pandemiebeschworen.Doch Bio-Energievorreiter Deutschland ist mit nur 1% Anteilan der Weltagrarfläche Schweineexportweltmeister. Das gehtnur mit bodenungebundenen Konzentrationsanlagen und nur,weil unser Tierschutzgesetz es zulässt, Bewegungsbedürfnisseder Nutztiere einzuschränken.Im Kontrast dazu hier der Bericht eines Alt Telliner Einwohners,der sich unter die zur Besichtigung der hiesigen Ferkelfabrikeingeladenen Gemeindevertreter gemischt hatte: „Und alsich dann einen Blick durch die Scheibe in einen der äußerenStälle getan habe, wurde mir schlecht! Ich sah nur eingepferchteFleischberge, eingeklemmt in Metallrohre, und mit viel Farbebesprühte Schweine. Es ist wirklich unerträglich, mit eigenenAugen zu sehen, was diesen lebendigen Tieren angetanwird.“Der steigende Ferkelbedarf machte Deutschland auch zum Ferkelimportweltmeister!Und so besitzt die Straathof-Holdinginzwischen sogar in Schwaben eine Fabrik mit 3.000 Muttertieren.Die Hoffnung der Lobbyisten des Agrobusiness, an dieöstlichen Schweineproduktionszahlen der Vorwende anknüpfenzu können, ist ungebrochen. Zur Produktionssteigerungdieses Schweinesystems scheint unser dünn besiedeltes MVtut-gut-Landimmer noch bestens geeignet. Die VergabekriterienMVs für die Pacht von rund 80.000 ha landwirtschaftlicherNutzfläche wurden daran gekoppelt, Fleisch und Gülle zuproduzieren. „Konkrete Ziele der Verpachtung waren undsind“, betont Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus, „dieVeredlungswirtschaft zu stärken [...]“. Das hat zu Investitionenvon rund 57 Mio Euro geführt, der größte Teil davon ging mit45 Mio Euro in die Tierhaltung, auch in die Straathofsche Ferkelfabrik.Aber es kann noch besser kommen: Die Afrikanische SchweinepestASP ist im Anmarsch. Terrorwarnungen schränken Bürgerrechteein. Das geplante Schweinehaltungsverbot in Russlandfür kleinere Landwirtschaftsbetriebe und Private (einDrittel der nationalen Schweineproduktion) bereitet den Bodenfür die expandierende Veredlungsindustrie im Osten.Den Masterplan für das Veredeln im schönen MV hat MinisterBackhaus schon im Frühjahr gestartet. Er soll sich inzwischenim Endstadium seiner kreativ-konstruktiven redaktionellenPhase befinden, damit er im Herbst öffentlich überreicht werdenkann. Das wird überschattet durch eine Strafanzeige gegenden Minister, dem Körperverletzung vorgeworfen wird. Im Gegensatzzu den weggesperrten Schweinen lässt die übliche Unschuldsvermutungihm jegliche Bewegungsfreiheit. ¬--Hintergrund zum Text:www.saustall-tellin.dewww.stadtgespraeche-rostock.de/media/sg64_2011/#/12www.mensch-undland.de/forum/viewtopic.php?f=3&t=288#p587In Schweden dagegen wurde schon ein Jahr vor dem deutschenMauerfall ein Kastenstandverbot beschlossen. Der prognostizierteFerkeltod durch quetschende Muttertiere ist bei freienBuchten von über 5 Quadratmetern ausgeblieben.


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0.18 __ //// ÄMTERWILLKÜRIm VerhältnisunausgewogenTORSTEN SOHN<strong>Rostock</strong> ist eine bunte Stadt. Meine Stadt. Inzwischen. Seitüber 13 Jahren lebe ich hier, erlebe sie und versuche, sie durchviel Zeit noch mehr kennen zu lernen und noch besser zu erleben.Nach vielen Jahren der grauen Tristesse in vielen Straßenzügensind nicht nur diese bunter geworden, sondern auch viele Menschennach <strong>Rostock</strong> gezogen, zum Studieren, zum Arbeiten,zum Leben. Die Stadt hat sich gewandelt und definitiv gewonnen.Nicht nur in der KTV kann mensch sich wohlfühlen undFreiräume erschaffen und verwirklichen. Dazu bieten geradeauch die vielen Vereine und Initiative Platz und Möglichkeiten.Überall. Fast.Seit den letzten Wochen hängt der (Rat)Haussegen schief. Genauergesagt seitdem der hiesige Verein „Rat + Tat e.V.“ für dendiesjährigen Christopher Street Day den Auflagenbescheid derStadtverwaltung bekam. Seit 10 Jahren organisiert der Vereinden <strong>Rostock</strong>er CSD, eine weltweite Veranstaltung, die sich gegenHomophobie und Diskriminierung und für Toleranz einsetzt.Während in dutzenden Städten hunderttausende Menschendiesen Tag feiern und für gleiche Rechte aller Liebende auf diesStraßen und Plätze gehen und die vielbeschworene Vielfalt leben,sollten die Macher_Innen des <strong>Rostock</strong>er CSD gänzlichohne Musik, Kostüme und eine Feiermeile auskommen, da einigeBedingungen für dieses Fest nicht der kommunalen Versammlungsordnungentsprachen.Nicht nur in <strong>Rostock</strong> rieb mensch sich ob der rigorosen Auslegungder Versammlungsordnung Augen und Ohren. Währendandernorts bereits bunt und vielfältig gefeiert wurde, schwanktendie örtlichen Akteure zwischen Resignation und Revolutionsgedanken.Angesichts der begrenzten verbleibenden Zeitwählten sie den Weg in die Öffentlichkeit. Innerhalb von dreiTagen berichteten Printmedien, Onlineportale und TV-Anstaltenüber die <strong>Rostock</strong>er Posse. Bis nach San Francisco reichtedie Berichterstattung. Eine Welle von Sympathiebekundungenund Protesten schwappt bis an die Turmspitzen des <strong>Rostock</strong>erRathauses. Mit solch einem Wirbel hatte selbst die Stadtverwaltungnicht gerechnet. Eine auf einem unbedachten Papierverordnete Auflage avancierte zu einem Politikum. <strong>Rostock</strong>.Weltoffene Stadt. Vielfältig. Tolerant. An manchen Tagen istdavon wenig zu spüren und wenig zu sehen.Der CSD wurde gerettet, OB Methling intervenierte väterlich,alles wird noch einmal geprüft und bestimmt am Ende gut. AmEnde wurde es ein guter Tag, wenngleich wir dem Ziel, derGleichberechtigung und -behandlung aller Lebenspartnerschaften,nur einen kleinen Schritt nähergekommen sind. DasProblem: Bei diesen „juristischen“ Differenzierungen zwischenpolitischen Positionen, zivilgesellschaftlicher Organisationenund politischen Gruppierungen, wird zivilgesellschaftlichesEngagement ausgebremst und abgewertet. Nicht die Stadt hatdie Lebensqualität maßgeblich verändert, sondern die Menschendie sich ehrenamtlich und langjährig in verschiedenenInitiativen, Vereinen und Organisationen einbringen und engagieren.Es wäre hier endlich mal an der Zeit, diesen Menschen laut unddeutlich „DANKE!“ zu sagen. Stattdessen werden die bürokratischenHürden immer höher. Bis zum letzten Jahr musstenAnmelder_Innen für Veranstaltungen wie Infostände undKundgebungen eine Bearbeitungsgebühr für entrichten undder Anmelder wurde stets selbstschuldnerisch in Haftungenfür anfallenden Müll oder sonstige Einschränkungen genommen.Ein Zustand, der in Anbetracht der Einschränkungenund Behinderungen durch die drei NPD-Demos ins den vergangenen15 Tagen in <strong>Rostock</strong> für massives Unverständnissorgt. Klar Meinungsfreiheit, politische Partei, erlaubt, mögen


einige jetzt vielleicht denken. Fest steht jedoch: Selten hat sichdas Ordnungsamt mit Auflagen so zurückgehalten wie bei denletzten „Asyl-Tour“-Demos der Nazis aus MV.Nachdem diese bei der ersten Kundgebung direkt neben demWochenmarkt aufbauen und in völlig unangemessener Lautstärkesowohl Musik spielen und schreiend Reden von sich gebendurften, so dass die Dezibelzahl den dreistelligen Bereicherreicht haben dürfte (der nicht einmal zur HanseSail erlaubtist) und das Markttreiben fast völlig zum Erliegen kam, wurdenzur zweiten Nazi-Kundgebung nicht mal sechs Tage später fast2000 qm Fläche vom Neuen Markt zur Sicherheitszone für 15braune Kameraden erklärt. Liebes Ordnungsamt: Merkt ihr´snoch?Während vor allem die politischen Akteure auf ein selbstbewusstes,uneigennütziges und spontanes Zeichen der Stadtoberenwarten, ruft derweil Lübecks Bürgermeister offensiv zu einemfriedlichen Protest gegen Rassismus, Diskriminierung undMenschenfeindlichkeit auf! Das ist doch ein Wort! Damitkann jede_r was anfangen, sich ohne eine wochenlange Aufregungund einen bürokratischen Kleinkrieg auf die Kostümierungund Wagengestaltung konzentrieren und auch mal mitden Kolleg_Innen auf ne verlängerte Mittagspause den Braunenden Marsch blasen! ¬Mit Verhältnismäßigkeit haben die hohen, fast unüberwindbarenAuflagen für eine bunte, friedliche, tolerante und lebendigschöne Veranstaltung wie den CSD auf der einen und eine rigoroseEinschränkung der Bewegungsfreiheit und Belastungdurch ausgesprochen unangenehmen Lärm, rassistischen Müllund gesellschaftsverhetzender Beleidigungen auf der anderenSeit nichts zu tun.Wenn es so viel einfacher ist, eine Kundgebung mit offensichtlichdiskriminierenden Inhalten durchzuführen, warum solltenwir uns alle auch nur noch halb so stark für das Gemeinwohlaller Bürger_Innen engagieren, wo auch noch die Rückdeckungund die Würdigung eines solchen Engagements ausbleibt?AUSSCHNEIDEN, AUSFÜLLEN, UNTERSCHREIBEN UND BITTE PER POST/FAX AN DIE REDAKTIONSADRESSE (ODER SIE BESTELLEN IM INTERNET: WWW.STADTGESPRAECHE-ROSTOCK.DE)AbonnementJa, hiermit abonniere ich ............. Exemplar(e) des Magazins „Stadtgespräche“ ab der nächstenverfügbaren Ausgabe zum Jahresabonnement-Preis (4 Ausgaben) von Standard (10,00 EUR)bzw. Soliabo (20,00 EUR). Ich kann dieses Abonnement jederzeit zum Jahresende kündigen,andernfalls verlängert es sich um ein weiteres Jahr. Hier meine Angaben:Rechnungsanschrift (=Abonnent):Firma/Organisation: ....................................................................Abonnent: ....................................................................Anschrift: ....................................................................Land, PLZ, Ort: ....................................................................Wer bekommt das Heft (=Postanschrift)?(falls abweichend von der Rechnungsanschrift)Firma/Organisation: ....................................................................Empfänger: ....................................................................Anschrift: ....................................................................Land, PLZ, Ort: ....................................................................für Rückfragen:Vorwahl - Telefon: .............................................E-Mail: ....................................................................Widerrufsrecht: Die Bestellung kann innerhalb von 10 Tagen bei der Bestelladressewiderrufen werden. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendungdes Widerrufs.Datum/Unterschrift: ....................................................................


KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKERGemein für Peter Stein. Statt einem markanten Motto für Freiheit oder Deutschland haben Unbekannte ihmpure Menschlichkeit in den Mund gelegt. Was kommt als Nächstes: Gerechtigkeit? Solidarität?


0.21 __ //// LANDESREGIERUNG IM REFORMEIFERGeht die Phase destruktiverLandesplanung zu Ende?HELMUT KLÜTERZentrale-Orte-Strategie, Kreisgebietsreform, Gerichtsreform,Konzentration der Berufsschulen – all diese Maßnahmen derLandesregierung haben einige Gemeinsamkeiten:1) Sie sind destruktiv, d.h. sie bauen wenig auf, vielmehr zerstörensie gewachsene Strukturen. Besonders betroffen sinddavon die ländlichen Räume samt ihrer Land- und Mittelstädte.Sogar Waren und Neustrelitz verloren ihre Kreissitze.2) Die so genannten „Reformen“ stützen sich auf Bevölkerungsprognosen,die als Basis die völlig veralteten Volkszählungsergebnissevon 1987 (Westdeutschland) bzw.1981 (Ostdeutschland) benutzen. Ausgehend von jenenJahren werden die Transformationsverluste nach der Wiedervereinigungeinfach in die Zukunft verlängert. Sokommt die derzeit von der Landesregierung propagierte„Aktualisierte 4. Landesprognose“ zu dem Schluss, dass dieBevölkerung von 1,6 Millionen im Jahre 2010 auf1.476.408 Menschen im Jahre 2030 sinkt – also auf denStand von 1942!3) Mit solchen Negativzielen können Landesregierung undPlaner sehr gut leben: Man schreibt sich keinen Fortschritt,sondern Rückentwicklung auf die Fahnen. Dazu brauchtman keine Analysen und keine neuen Ideen, denn die Bevölkerungläuft ja doch weg – so die Annahme. Außerdemsind Bevölkerungsprognosen erheblich billiger als Landesentwicklungs-oder Raumordnungsberichte, wie andereBundesländer sie erstellen. Der letzte Raumordnungsberichtfür Mecklenburg-Vorpommern wurde 1995 herausgegeben.Anders als die derzeitigen Bevölkerungsprognosenberücksichtigte er auch die Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung,sowie die Effekte, die vom Ausbau derVerkehrsinfrastruktur ausgehen. Bevölkerungsprognosendagegen versuchen, die zukünftige Entwicklung ausschließlichaus Bevölkerungsdaten abzuleiten.4) All dies wurde mit der Ideologie des „demographischenWandels“ verbrämt. Dabei wird die einseitig verengte demographischeAnalyse durch eine zynische Familienpolitikergänzt, in der die reichste Gesellschaft die Mecklenburg-Vorpommern je hatte 30,1% ihrer Kinder in armutsgefährdetenFamilien aufwachsen lässt. Hinzu kommt eine katastrophaleBildungspolitik, die in ländlichen Räumen jedezweite Grundschule geschlossen hat. Es dürfte verständlichsein, dass junge Leute unter solchen Bedingungen zögern,Kinder in die Welt zu setzen. Wären die politischen undsozialen Bedingungen in Deutschland kinder-, familienundjugendfreundlicher – etwa wie im Nachbarland Dänemarkoder in Österreich - sähe das ganz anders aus. Diedort lebenden Deutschen weisen ähnlich hohe Reproduktionszahlenauf wie die einheimische Bevölkerung dieserLänder. „Demographischer Wandel“ ist also kein gottgebenesoder zivilisatorisches Schicksal sondern Ergebnis jahrzehntelangerkinderfeindlicher Sozialpolitik.Mit den Negativzielen der aktualisierten 4. Landesprognosekann man die Misserfolge der Vergangenheit in die Zukunftverlängern. Anders ausgedrückt: Man scheitert nicht, vielmehrwerden Misserfolge und Rückentwicklung geplant – zumindestbis 2030. Die Prognose soll für die gesamte Landesverwaltungverbindlich sein. Die Landesbehörden „übersetzen“ sie in nochweniger Schulen, noch weniger Krankenhausplätze, noch wenigerÄrzte, weniger öffentlichen Schienenverkehr und andereVersorgungsverschlechterungen. Auch die unsinnige Kreisgebietsreform2011 wurde mit solchen Prognosedaten gerechtfertigt,obwohl die Fachleute angeraten hatten, die Ergebnissedes in jenem Jahr durchgeführten Zensus abzuwarten.Es stellt sich die Frage, wie realistisch solche Vorhersagen sind:Gelingt die Vertreibung der eigenen Bevölkerung oder gelingtsie nicht? Sicher dürfte sein, dass selbst der begabteste Rechneroder Prophet nicht in der Lage ist, die Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommernsfür das Jahr 2030 mit 1.476.408 Personenauf die letzte Stelle vor dem Komma genau vorauszusagen. Insofernsuggeriert die Prognose eine Genauigkeit, die wissenschaftlichunhaltbar ist.Wenden wir uns dem Jahr 2011 zu, dem ersten Prognosejahrder 4. Landesprognose. Erwartet wurde für jenes Jahr ein Wan-


0.22 __ //// RÜCKBLICKderungsverlust von 6.143 Personen. Diese Zahl ergibt sich,wenn man die prognostizierte Zuwanderung von der prognostiziertenAbwanderung abzieht. In der Realität kamen 34.107Personen neu in unser Bundesland. Die Abwanderung über dieLandesgrenze belief sich auf 35.801 Personen. Der Wanderungsverlustbetrug also nur 1.694 Personen, was eine Abweichungvom Zielwert von 262% ergibt.Für das Jahr 2012 sah die Landesprognose ein noch größeresWanderungsdefizit von insgesamt 6.627 Personen vor. In derRealität jedoch stieg die Zuwanderung im Vergleich zum Vorjahrauf 34.690 Personen, während die Zahl der Fortzüge auf35.305 schrumpfte. Der Wanderungsverlust kam also über 615Personen nicht hinaus – eine Zielabweichung um 977% unddas bereits im 2. Jahr der Prognose! Trotz dieser kapitalen Fehlerwurde die Landprognose am 8.1.2013 von der Landesregierungverabschiedet. Besonders peinlich war dann die Veröffentlichungam 21.6.2013. Zu jenem Zeitpunkt lagen die Ergebnissedes Zensus von 2011 bereits 3 Wochen auf der Internet-Seitedes Statistischen Bundesamtes vor. Sie zeigen, dass nicht nurdie Zukunftsberechnung, sondern auch die fortgeschriebenenAusgangsdaten, die das Statistische Amt Mecklenburg-Vorpommernfür die aktualisierte Prognose genutzt hatte, falschsind.Wie viele Menschen leben nun wirklich in Mecklenburg-Vorpommern?Wird ihre Anzahl in den nächsten Jahren zu- oderabnehmen? Sowohl das Statistische Amt Mecklenburg-Vorpommernals auch das Statistische Bundesamt berücksichtigtenbei ihren Berechnungen nur die Erstwohnsitznehmer. Erstdann, wenn Zugezogene sich mit Erstwohnsitz in Mecklenburg-Vorpommernanmelden, wird ein Umzug registriert, derreal möglicherweise bereits lange vorher stattgefunden hat. Sosind viele Personen, die in den neunziger Jahren ein altes Gutshauserworben und renoviert haben, bis heute nicht mit Erstwohnsitzin unserem Bundesland gemeldet, obwohl sie hier dieüberwiegende Zeit des Jahres wohnen. Auch viele „Stadtflüchter“,die mit ihren Kindern auf´s Land gezogen sind, behaltenden städtischen Erstwohnsitz bei, weil sie in die Stadt zurückmüssen, sobald die Kinder schulpflichtig werden. Kaum jemandmöchte seinen Kindern stundenlange mecklenburgischeSchulbusfahrten zumuten.Aus diesen und anderen Gründen kann die Realbevölkerungvon der Erstwohnsitzbevölkerung stark abweichen. DochZweitwohnsitzdaten werden vom Statistischen Amt des Landesnicht abgefragt. Auch die daran anschließende Frage, obund wie schnell Zweitwohnsitznehmer zu Dauerwohnsitznehmernwerden, kann nicht mit direkten empirischen Daten beantwortetwerden. Unterstellt man, dass die zuwandernde Bevölkerungzusätzliche Wohnungen braucht, wäre der Zubau anWohnungen ein möglicher Ersatzindikator. Genau dies wurdeim Zensus 2011 abgefragt.Die neuen Zensusdaten enthalten Angaben über den Anteilder Wohnungen, die sich in Gebäuden befinden, die von 2000bis 2011 errichtet wurden, an der Gesamtzahl der Wohnungen.Bundesweit liegt dieser Anteil bei 7,5%. Mecklenburg-Vorpommernkam mit überdurchschnittlichen 9,2% auf den drittenRang unter den 16 Bundesländern (Abbildung 1). Es wirdnur von Brandenburg übertroffen, das von den Stadtflüchternaus dem boomenden Berlin profitiert, und von Bayern, das wieMecklenburg-Vorpommern über mehrere Regionen mit hohemFreizeitwert verfügt. Stark urbanisierte Räume wie dieStadtstaaten, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Sachsen rangierenunterdurchschnittlich, ländlich geprägte Bundesländerwie Brandenburg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein,Rheinland-Pfalz und Niedersachsen überdurchschnittlich.Zwar bieten die großen Städte und Metropolen Arbeitsplätze(darunter auch viele neue), doch preiswerter Wohnraummit hoher Lebensqualität wird dort zur Mangelware.


Während noch in den neunziger Jahren des letzten Jahrhundertsdie Abwanderung aus den Metropolen vor allem den Umlandgemeindender großen Städte zugutekam (Suburbanisierung),kann sich die heutige Gesellschaft – gestützt auf Mobiltelefon,Computer und Internet – viel größere Entfernungenzum eigentlichen Arbeitsplatz oder Unternehmenssitz leisten.So ist zu erklären, dass das metropolenferne Mecklenburg-Vorpommernmit metropolennahen Bundesländern wie Brandenburg,Bayern, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg inder Spitzengruppe steht. Geht man davon aus, dass höchstens 4bis 5% jener neuen Wohnungen durch Ersatzbauten und herkömmlicheSuburbanisierung erklärbar sind (vgl. Werte vonSachsen und Sachsen-Anhalt), dann sind in Mecklenburg-Vorpommerndie restlichen 4 bis 5% durch andere Effekte, z. B.Multilokalität, Zweitwohnsitze und Ferienwohnungen, induziert.Multilokalität bedeutet, dass eine Person oder Familienicht an einem, sondern in mehreren Orten bzw. Regionenlebt und arbeitet.Land-/StadtkreisBad Doberan 17,7Stadt Greifswald 13,9Rügen 13,4Nordwestmecklenburg 12,4Ostvorpommern 12,3Nordvorpommern 10,6Müritz 10,1Ludwigslust 9,3Stadt Stralsund 9,2Mecklenburg-Strelitz 8,3DEUTSCHER DURCHSCHNITT 7,5Stadt <strong>Rostock</strong> 7,2Stadt Wismar 7,0Stadt Neubrandenburg 6,7Parchim 6,5Güstrow 6,0Schwerin Stadt 5,6Uecker-Randow 5,2Demmin 4,9Die Verteilung auf die Altkreise Mecklenburg-Vorpommernszeigt, dass vor allem die Gebietseinheiten an der Ostsee vondem Bauboom profitierten. Bemerkenswert ist außerdem, dassvon den 10 Gebietseinheiten, die über dem deutschen Durchschnittliegen, 7 auf den östlichen Landesteil entfallen. Auchder Müritz-Kreis und Mecklenburg-Strelitz gehören zur überdurchschnittlichenGruppe. Dieser Trend ist nicht neu. Bereits2005 wurde im Wirtschaftsatlas Vorpommern und MecklenburgischeSeeplatte des Greifswalder Geographischen Institutsfestgestellt, dass „das Östliche Mecklenburg-Vorpommern derBevölkerung und den Unternehmen die Vorzüge einer hochmobilen, dispers siedelnden Dienstleistungsgesellschaft vorländlicher Kulisse bietet. Dabei schließt die ländliche KulisseFreizeitmöglichkeiten von höchstem Standard ein – vor alleman der Küste und auf der Mecklenburgischen Seeplatte“. Leiderhat das die Landesplanung nicht davon abgehalten, Verwaltungs-und Dienstleistungsabbau besonders im Osten des Landeszu betreiben.Geht man davon aus, dass für die meisten Haushalte der Erwerboder der Bau von Wohnraum eine langfristige Investitionbedeutet, dann ist davon auszugehen, dass die Realbevölkerungin Mecklenburg-Vorpommern in naher Zukunft nicht mehrschrumpfen sondern wachsen wird. Dann wird es vom Infrastrukturangebotdes Landes abhängen, wie viele der Zuwanderersich für eine Erstwohnsitzanmeldung in unserem Landeentscheiden.Genau deshalb war und ist die Vernachlässigung und Entmündigungländlicher Räume ein kapitaler Fehler. Daher müsstedie Landesplanung zunächst Inventur machen: In einem neuenLandesentwicklungsbericht sollte analysiert werden, welcheneuen Strukturen sich seit 1995 gebildet haben, wo durch dieRückbaupolitik der letzten Jahrzehnte die größten Schädenentstanden sind, wo Schulen, Sozial- und Gesundheitsinfrastrukturwieder eingerichtet bzw. neu eröffnet werden müssen.In einem zweiten Schritt muss man in dem derzeit anstehendenneuen Landesraumentwicklungsprogramm zu einer konstruktivenWachstumspolitik für die ländlichen Räume finden. KonstruktiveWachstumspolitik bedeutet beispielsweise, dass vorallem die Gemeinden in den attraktiven Korridoren entlangüberregionaler Verkehrswege die Wohnungsnachfrage von außerhalbabdecken sollten. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsereKüsten wie in Schleswig-Holstein zersiedelt werden. Einekonstruktive Wachstumspolitik wird von der Wissenschaft unterdem Leitbild „Garten der Metropolen“ seit langem gefordert.Dieses Leitbild verbindet den Freizeit- und Erholungswertländlicher Räume für die Einwohner der AgglomerationenBerlin, Hamburg, <strong>Rostock</strong> und Szczecin mit:_ einer regional effektiven Landwirtschaft, die außerhalbagrarindustrieller Dimensionen mit der Erzeugung hochwertiger,ökologisch möglichst einwandfreier Produkte dieNachfrage der eigenen Bevölkerung und der Metropolenbedient,_ einem regional angepassten Produktions-, Kunst-, KulturundDienstleistungssektor, einschließlich urbaner Bereiche,bei denen der Arbeitsplatz nicht oder zeitweise nicht mehrcity-gebunden ist,_ sowie qualitativ hochwertigem Wohnen und Arbeiten vorländlicher Kulisse, wobei Kind- und Familiengerechtigkeitgewährleistet sein sollen. ¬


Kuddelmuddel auch bei Susanne Wiest. Unbekannte haben Ihr ein Gänseblümchen-Image verpasst, das sie alsschon beinahe harmlose Tagesmutter darstellt. Nun muss die Aktivistin ungewollt für bedingungsloses Grundeinkommenposieren, anstatt gegen Vorratsdatenspeicherung und Internetzensur wettern zu können.KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKER


0.25 __ //// ZUSAMMENFASSUNG ASTA-KULTURUMFRAGEErgebnisse der Kulturumfrage des <strong>Rostock</strong>er AStAZUSAMMENGESTELLT VON KRISTINA KOEBEBereits im Januar 2013 wurden die <strong>Rostock</strong>er Studierenden zuihrer Meinung über die <strong>Rostock</strong>er Kulturlandschaft befragt –immerhin 2.200 Studenten, also ca. 15% der Studierendenschaft,nahmen an der Umfrage teil. Die Auswertung der Umfrageergebnissebrachte einige erwartete und einige überraschendeErgebnisse zu Tage, die wir im Folgenden in einemkurzen Überblick vorstellen:1. Die <strong>Rostock</strong>er Studierenden geben nach eigenen Angabenca. 100 EUR pro Monat für Kultur aus, dies jedoch für nurdurchschnittliche 3 Angebote pro Monat.2. Hauptgründe für den geringen Kulturkonsum sind zu hoheEintrittspreise, fehlendes Wissen um lokale Angebote,ungünstige Termine und fehlende Begleitung.3. Eine Prüfung der Eintrittspreise ergab, dass Konzertbesuchemit durchschnittlich 28,69 EUR am teuersten sind, gefolgtvon Theaterkarten, die im Schnitt ca. 13 EUR kosten.4. Die durchschnittliche eigene zeitliche Arbeitsbelastung geben<strong>Rostock</strong>er Studis mit 43,4 Stunden pro Woche an, wobei37 Stunden auf das Studium entfallen und 6 Stundenauf Erwerbstätigkeiten.5. Die beliebtesten Weggehtage sind Freitag und Samstag,Hauptanlaufpunkt sind hier die Studentenclubs.6. Nach ihren kulturellen Prioritäten gefragt, platzierten die<strong>Rostock</strong>er Studierenden Musik auf dem 1., Film auf dem2., Literatur auf dem 3., Sport auf dem 4. und Theater aufdem 5. Platz.7. Die Bekanntheit der einzelnen <strong>Rostock</strong>er Kultureinrichtungenunterscheidet sich deutlich zwischen in <strong>Rostock</strong>aufgewachsenen und „zugezogenen“ Studenten. So sinddie Compagnie de Comedie, das Max-Samuel-Haus unddas Theater Mechaje eher den Langeingesessenen bekannt.Interessant waren auch die Antworten, die auf die offener formulierteFrage „Hast Du Anmerkungen zur <strong>Rostock</strong>er Kultur“gegeben wurden – stellvertretend seien hier einige wenige zitiert(eine vollständige Liste dieser Antworten finden Sie unterwww.asta.uni-rostock.de/kultur/kulturumfrage):„Die Clubszene sollte mal ordentlich renoviert werden. Formender Dorfdisko und Studentenpartys mit einem Anteil von20% Studenten sind hier keine Seltenheit mehr. Dazu machendie „coolen“ Clubs wie Bunker, ST, der Bunker hinterm Bunkeroder das Meli zu oder es fehlt ihnen an Besuchern. Auch eineLive-Kneipe mit Bands wäre mal was.“„Ich finde leider, dass es gerade in der KTV zu wenige guteKneipen gibt und die Musik ist in <strong>Rostock</strong> meiner Meinungnach sehr einseitig. Oft werden in Clubs nur die Best100 Hitsaus dem Radio gespielt. Es fehlen mir Reggae, Jazz und gute Indie-Veranstaltungen.Es könnte mehr Peter-Weiß-Häuser undStadtpaläste in <strong>Rostock</strong> geben. Und mehr klassische Musik alsnur in der HMT. Da fehlt es total an ‚Kultur‘ in HRO.“„Ich sehr zufrieden mit dem Angebot, <strong>Rostock</strong> hat sich sehr gemacht!Hierbei ein Lob an den Seemannsklub! Allerdings findeich, dass sich die Kultur mehr mit dem Nahverkehr in Verbindungsetzten könnte. Denn nachts fährt zu wenig, um sichernach Hause zu kommen. Taxis sind für Schüler und Studentenoft unbezahlbar, vielleicht könnte man auch hier einenStudentenpreis oder sowas vereinbaren. Auf jeden Fall sehe ichimmer öfter vor allem Mädchen nachts alleine nach Hause gehenund auch ich, weil der Bus nicht kommt. Und hab danneinfach Schiss.“„Bürgerinitiativen, ungezwungene Kulturprojekte fördern, beispielsweiseMontagsbalkon. Möglichkeiten wären evtl. Bandabendeauf dem Margaretenplatz oder ähnliches. Wir sollten dieKulisse unserer schönen Stadt mehr nutzen und alles gegen einHut zum Geldsammeln.“„Das Theater inszeniert traurig. Bitte sag denen, sie sollen wenigerKlamauk einbauen. Damit machen sie ihre Inszenierungenleider häufig kaputt. Gerade weil sie in JEDE InszenierungKlamauk einbauen. Die Mecklenburger sind doch nichtdumm, dass man sie nur durch Verfolgungsjagden auf der Bühneund Slapstick erreichen kann. Das VTR muss nicht nur seinPublikum, sondern v.a. sich und die Inhalte ernst nehmen.Sonst kommt es nicht aus seinem Loch. Plasteflaschen mit Vio-Aufschrift in Sechser-Plastetüten haben zudem bei Ibsen, in einemsonst guten Bühnenbild, nichts zu suchen, insbesonderewenn (da!) sie keine Botschaft transportieren. (Nein, da mussich nichts hineininterpretieren).“„Es mangelt hier in dieser Stadt, egal ob Kunst oder Musik, ander Vielfalt, die man z. B. in Berlin geboten bekommt. Michwürden mehr Fotoausstellungen reizen, mehr Jamkultur, z. B.ńe Hip Hop-Jam im Sommer oder eine Graffiti-Jam mit Battles.Leider gibt es in <strong>Rostock</strong> wenig Interessenten dafür, derGroßteil der Studenten ist genormt und begnügt sich mit der1000. Trashparty im Keller oder geht zum Komasaufen insST.“„<strong>Rostock</strong> braucht meiner Meinung nach mehr subkulturellenRaum, wo sich alle Altersklassen sowie Ideen entfalten können.Nach dem Ende vom JAZ, Meli und dem Verlust des Gebäudesvon Palette sieht es langsam dunkel um uns aus. Das KTV-Festwird zu einem Saufgelage, die Fete stand dieses Jahr arg auf derKippe, das Hansakino ist zu und die „Lösung Frieda“ ist nichtganz das woran ich gedacht hatte. Es gibt Leute, die Ideen habenund die Kultur in <strong>Rostock</strong> bereichern können. Ich denkewenn diese verbunden sind und die Möglichkeiten bekommenetwas zu bewirken, braucht es weder viel Geld noch große Mühen,dann läuft das von allein.“ ¬


0.26 __ //// ROSTOCKKULTUR VON AUSSEN BETRACHTETTop 7 meiner kulturellen HighlightsKulturelle Höhenlichter in <strong>Rostock</strong>Ein szenischer BlickROBERT GIESSMANNIch kann nicht unbedingt behaupten, dass <strong>Rostock</strong> vor Angebotennur so überbrodelt und es unmöglich wäre, den Überblickzu behalten. Andererseits hat jede und jeder seine eigenePerspektive auf das kulturelle Angebot dieser Stadt und geradedie Menschen, die schon längere Zeit hier leben, haben ihre eigeneNische bereits gefunden. Um allen Interessierten eine Horizonterweiterungzu ermöglichen, möchte ich hier deshalb eineSzenerie auf die in drei Jahren selbst entdeckte Kulturlandschaftaus Sicht eines zugezogenen Studenten entwerfen. Undweil mich die Fixierung auf die Zahl Sieben durchaus nervt,gibt es hier eben nicht die Top 7, sondern einfach so viele Angebote,wie in dem zur Verfügung stehenden Raum erwähntwerden können. Abschließend oder vollständig kann die Listeeh nicht sein und vermutlich habe auch ich eine Menge verpasst.Aber dennoch muss man sich ja nicht auf Biegen undBrechen reduzieren oder Dinge aus der Nase ziehen, nur umexakt Sieben vollzukriegen...FreitagnachtfoyerAbsolut top (gewesen): Das Freitagnacht-Foyer des Volkstheaters.Hier konnte das Theater nach der Freitagabendvorstellungdes Schauspiels seine volle Stärke ausspielen: Die Persönlichkeitenseiner Schauspieler. Zumindest für mich und meine Bekanntensind die Schauspieler selbst immer noch einer derHauptgründe, in ein bestimmtes Stück zu gehen – wenn dieLeute auf der Bühne sympathisch sind, komme ich gerne wieder.Und dass sie es sind, wurde hier bei Improtheaterspielen,zwischen Blödeleien mit dem Publikum, schrägen Moderationenund Songs immer wieder aufs Neue bewiesen. Das ist maleffektive Zuschauerbindung!Palette <strong>Rostock</strong> e.V.Die Palette war und ist ein Verein, der in einem alten Trafohäuschender ehemaligen Neptunwerft beheimatet war. „War“,weil dieser junge Freiraum an einen privaten Investor verkauftwurde, und für einen weiteren Zwischennutzungsvertrag keinanderes, geeignetes Gebäude zur Verfügung gestellt werdenkonnte. „Ist“, weil der Verein immer noch besteht, und die Mitgliederimmer noch aktiv eine neue Heimat suchen. Sollten Siezufällig ein geeignetes Gebäude übrig haben, können Sie sich inetwa auf folgende Aktivitäten einstellen: Kinoabende mit anschließendenDiskussionsrunden; ein eher links-orientierterRaum, der jede Woche vegane Volksküche und Informationsabendeanbietet; Workshops in Schweißen und Holzbearbeitung,DJing und Musikproduktion; sowie ab und zu Partys, zudenen eine ganze Menge junger <strong>Rostock</strong>er kommen, um ohneEintritt gemeinsam friedlich zu feiern. Und das Ganze mit einerwahnsinnig positiven Atmosphäre und dem Gefühl, Teiletwas Größeren zu sein. Interesse? Super! Einfach hier melden:www.palette-rostock.deMontagsbalkonDer Montagsbalkon entstand als Initiative einer WG mit –Überraschung! – Balkon. Vermisst wurde von den Kommunardeneine <strong>Rostock</strong>er Kleinkunstbühne, zumal der Balkonzugangszimmerbesitzerin Berlin und Umgebung regelmäßig miteiner Freundin und kleinem Programm auf eben solchen, aberhalt in Berlin, auftritt. Kurzerhand wurden Freunde, Kommilitonenund Bekannte gefragt, und für zehn Montage ein Programmzusammengestellt. Bunt gemischt und mit sehr, sehrunterschiedlicher Qualität der Darbietungen, konnte für zehnMinuten kurz vor 22 Uhr noch einmal der Alltagsstress vergessenwerden. Pünktlichst zur Nachtruhe war dann Schluss, derVorgarten von entsprungenen Kronkorken befreit und von denbis zu 400 Leuten nichts mehr zu sehen. So muss das!li.wu.Gott sei Dank hat <strong>Rostock</strong> das li.wu., letzte Zuflucht für alleProgrammcineasten. Ein echtes Kleinod – oder hat jemanddort schon mal einen schlechten Film gesehen? Eine ganz besondereVerbindung in die Bevölkerung hat auch der Umzugins ehemalige Metropol geschaffen – wer wollte, konnte „sein“Kino ein Stück weit mit malern, zusammenschrauben, schickmachen. Der Umzug in die Frieda23 wird da nochmal span-


nend ... Dem Team um den namentlich eher unbekannten Rocine-Vereinwünsche ich dabei ein standortunabhängiges, treuesPublikum oder die Möglichkeit, gleich zwei Standorte zu betreiben.Anker-PartysFür jüngere <strong>Rostock</strong>er ein alter Hut, für Ältere und Zugezogeneein Kuriosum: Im Gebäude der ehemaligen Spirituosenfabrik„Anker“ in der Doberaner Straße gab es unterirdischeRöhren, in denen Partys gefeiert wurden. In drei Röhren vonknapp zwanzig Meter Länge und vielleicht fünf Meter Höhewurden jeweils stilistisch unterschiedliche Musik abgespieltoder live produziert, es gab eine Bar inklusive „<strong>Rostock</strong>er Eis“(Krümeltee, Korn und Selter) und eine Menge Leute dort unten...In meiner Zeit konnte ich nur einmal dabei sein – dennochwar ein wahnsinniger Spirit zu spüren und die ganzeNacht konnte gemeinsam gefeiert werden. Ob das die potentiellenStaublungen oder Schimmelvergiftungen wert war? Definitiv!KulturcafeNoch ein Kleinod: das HMT-Kulturcafe am letzten Donnerstagim Monat. Ohne große Worte: Offene Bühne, HMT-Studierende,Cafeteria, Rotwein – hingehn!Peter-Weiss-HausTief beeindruckt hat mich auch die Kraft, die hinter dem Peter-Weiss-Haussteckt. Das Team, das möglichst weitgehend aufHilfe der Stadt verzichtet und bei der denkmalgerechten Sanierungauf ganz viel Eigenleistung und Leih-und-Schenk-Gemeinschaftensetzt (und dabei der Zeitplan meist an letzterStelle steht), ermöglicht so ein Stück „Rote Flora“ in <strong>Rostock</strong>.Die Visionen, die dort umgesetzt werden sollen, sind definitivhoch gegriffen – aber dass das Projekt schon so lange existiertund nun für Außenstehende scheinbar wie von selbst läuft (obwohlintern viel Kraft und Selbstausbeutung betrieben wird),ist ein gutes Zeichen, dass diese Visionen eine echte Chanceauf Realisierung haben. Zu hoffen bleibt, dass auch die neuenAnwohner im neugestalteten Ankerensemble von Anfang anwissen, auf was sie sich mit dieser Wohnlage einlassen und tolerieren,was dort organisch über Jahre an Subkultur gewachsenist.KunsthalleSo ausgelatscht es sein mag: für mich im Nachgang durchausbemerkenswert – die Kunsthalle. Ich bin wahrlich kein Kunstexperte,aber die Ausstellungen ließen sich nach meinen reinauf Gefallen ausgelegten ästhetischen Bewertungsmaßstäbenauf jeden Fall sehen. Von Vergleichen a la „für <strong>Rostock</strong>er Verhältnisse“möchte ich gar nicht erst anfangen; das Gebäudemag zwar speziell sein, die Ausstellungen waren aber immermindestens gut gemeint und meistens gut gemacht. Und sospeziell manche Mitarbeiter dort auch sein mögen, so engagiertund motiviert sind die Leute im Hintergrund. Und vielleichtgelingt es ja, eines Tages auch einen jungen „Freundeskreis derKunsthalle“ ins Leben zu rufen ...Generell: <strong>Rostock</strong>.Vielleicht hat <strong>Rostock</strong> die kritische Größe, ab der sich genügendGleichgesinnte auch über lange Strecken zusammenfinden,noch nicht erreicht. Vielleicht ist die Stadtstruktur mitden Neubaugebieten ein wenig irritierend für eine Beurteilungder Größe der Stadt; vielleicht ist die norddeutsche Mentalitäteine andere als anderswo in der Welt. Dennoch ist hier wahnsinnigviel möglich, mir wurden nie Steine in den Weg gelegtund zum Sich-Ausprobieren eignen sich die Angebote, die inanderen Städten schon Standard sind, hier aber noch fehlen,und dementsprechend einfach übertragen werden können, einfachwunderbar. Für Unterstützung muss man manchmalschon lange Klinken putzen und sehr viele Bekannte aktivieren,aber wie gesagt: Bösartig gesinnt ist hier einem niemand (unddas ist ja schon mal was wert!). Die Stadt bietet in Innenstadtlagenicht mehr viele freie Flächen, aber dass Künstler und Kultursich meist an der Peripherie ansiedeln, ist eigentlich Usus –lediglich in <strong>Rostock</strong> wird die relativ niedrig liegende Schwelledes „viel zu weit weg“ dann zum Problem.Außerdem positiv: eine gemeinsame Fläche zur Projektiondes Hasses und zum Verantwortlichmachen für unschöne Entwicklungenist in der <strong>Rostock</strong>er Politik schnell gefunden undvereint die Szene ungemein. So lange dabei etwas Konstruktivesherauskommt, kann das meines Erachtens so schlecht nichtsein.Schön wäre für die Zukunft jemand, der Stadt-Gespräche inden öffentlichen Raum zurückbringt (wobei dieses Blatt ja immerhindie schriftliche Kommunikation ermöglicht) und dieThemen, die uns <strong>Rostock</strong>er Bürgern auf dem Herzen liegen,anspricht. Dass die Politik dies nicht in ausreichendem Maßetut, kann gerade für das außerpolitische bürgerschaftliche Engagementeine Chance zur Stärkung sein. Ob die Initiative dazuvon gut vernetzten Alteingesessenen oder Zugezogenen mitunpassenden Ideen kommt, ist dann egal. Wichtig ist die Störungder Ordnung im Sinne einer systemischen Intervention,die zum Nachdenken über die Verhältnisse und festgefahreneVerhaltensweisen anregt. Ich wünsche der Stadt von Herzen,dass das klappt. ¬--Anmerkung der Redaktion:Im Herbst verlässt Robert Giessmann <strong>Rostock</strong> und beendet damitauch seine Tätigkeit als Initiator und verlässlicher Organisatordes „Klubs der Visionäre“ und im AStA-Kulturausschuss. Danke,Robert, für zwei unermüdliche Jahre im Dienste der <strong>Rostock</strong>erKulturszene, für Gradlinigkeit, Hartnäckigkeit, Wohlwollen undEnthusiasmus!


KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKERDie Grünen kommen auch nicht besser weg. Unbekannte haben hier die unbescholtenen KandidatINNen aufjeweils eine simple Eigenschaft reduziert. So muss Harald Terpe ab jetzt mit dem Prädikat „grün“ leben, SimoneBriese-Finke mit „gut“. Hinterhältig auch: Statt klarer Bekenntnisse gegen Gentechnik und Atomtransporte wirdder/die Betrachter/in jetzt per Kommunarden-Du auf die eigenen Dämonen zurückgeworfen.


0.29 __ //// KULTURPOLITIK ROSTOCKKultur – Entwicklung – Planung<strong>Rostock</strong>s steiniger WegALEXANDER LUDWIGVor über zweieinhalb Jahren hat <strong>Rostock</strong> mit einer langfristigenKulturplanung begonnen. Kulturpolitische Leitlinien wurdenerarbeitet und sind im September 2012 nahezu einstimmigvon Bürgerschaft beschlossen worden. Sie sollen damit die Visionfür die kulturelle Zukunft <strong>Rostock</strong>s beschreiben und alsGrundlage für die Erarbeitung des Kulturentwicklungsplanesdienen, der die Vision in verbindliche Handlungsanweisungenfür die Stadtverwaltung in den nächsten 7 Jahre gießt.Dieser im Vergleich zu anderen Städten sehr späte Beginn stelltleider eine Belastung für den Prozess einer derartigen Planungdar. Zahlreiche andere Städte – auch hier in den neuen Bundesländern– hatten diese Schritte zu einer systematischenAnalyse ihrer Situation und zu einer längerfristigen Planungbereits vor zehn Jahren begonnen. Die Verspätung bedeutet leider,dass die überregionalen Fördertöpfe vor allem für baulicheInvestitionen – hier in <strong>Rostock</strong> für den Neubau des Volkstheaters,die Erweiterung des Kulturhistorischen Museums und desSchifffahrtsmuseums und die Schaffung besserer baulicherRahmenbedingungen für die freien Träger – langsam versiegen.Knappe finanzielle Ressourcen wirken sich auf den BeginnKulturplanung sehr belastend aus, da diese von den betroffenenAkteuren dann zuerst als Angriff auf ihre lebensnotwendige finanzielleBasis begriffen wird und nicht als Beitrag zur Verlässlichkeitund Planungssicherheit. Erfolgreiche Kulturplanungbenötigt finanzielle Spielräume, um eine interessenunabhängigeBeteiligungskultur zu schaffen. Diese lässt sich bei den Betroffenennur schwer erreichen, wenn eine Kulturmangel(be)-oder eine Kulturabbauplanung droht und neue Akzente nurnach vorherigem Abbau bisheriger Förderschwerpunkte gesetztwerden können.Was ist diese Kulturvision von und für <strong>Rostock</strong>? Fiebern die<strong>Rostock</strong>er der Umsetzung entgegen, sind diese überhaupt bekannt?Hat sich ein neues Kulturverständnis in <strong>Rostock</strong> gebildet?Nüchterne Betrachter des Prozesses müssen diese Frage leidereher mit „nein“ beantworten. Zunächst ist auffällig, dass aufdem offiziellen Internetauftritt der Stadt selbst über die Suchfunktionder Text der Leitlinien und ein Hinweis auf derenVerabschiedung oder Geltung mit vertretbarem Aufwand nichtzu finden ist. Sind die Leitlinien <strong>Rostock</strong>s verborgene Vision?Auch wenn die über die Existenz der Leitlinien Eingeweihtendie Begriffe „Kulturpolitische Leitlinien“ in Verbindung mit„<strong>Rostock</strong>“ „googeln“, finden sie einen Text über eine Stadtseite,den immer noch die Überschrift „Entwurf“ ziert. Der Suchendefragt sich: Sind das nun die verbindlichen Leitlinien,die politisch festgestellte Kulturvision <strong>Rostock</strong>s? Sie sind esnicht! Wer die Endfassung dieses aus kulturpolitischer Sichtzentralen Dokuments sucht, muss mühselig die Sitzung derBürgerschaft finden, auf der die Leitlinien beschlossen wurden– am 05.09.2012 – und sich dann den Anhang mit dem Textherunterladen. Wenn die <strong>Rostock</strong>er Politik und Verwaltungdiesen Leitlinien eine gewisse Bedeutung beimisst, sollte sie dasauch deutlich besser dokumentieren!Jedoch zum Inhalt: Was ist der kulturelle Kern <strong>Rostock</strong>s, anwelchem Leitbild will sich Politik und Verwaltung nun orientieren?Die <strong>Rostock</strong>er Vision ist komplex, sie basiert auf einem Selbstverständnisals Hanse-, Hafen- und Universitätsstadt und alsOberzentrum einer Touristenregion und beschreibt die kulturelleVielfalt der Stadt mit einem gewissen Schwerpunkt in derMusikvermittlung und Musikkultur. <strong>Rostock</strong>s Kulturvisionenheißen Bildung und Vielfalt, zwei komplexe Begriffe, die diebreite Öffentlichkeit nur schwer begeistern können. Einen spezifischenkulturellen Leuchtturm, einen Leitbegriff für <strong>Rostock</strong>sKultur, konnten die Kommissionen, Arbeitsgruppenund Bürgerforen nicht entwickeln. <strong>Rostock</strong> fand für sich keineKulturdenkmal „Zeche Zollverein“, keinen Goethe, Bach, Ottoden Großen oder van der Velde und leider auch keinen Kristallisationspunktmaritimer Vergangenheit, den man kulturellbeleben könnte. Dies liegt vielleicht auch an dem Umstand,dass die stadtnahe Neptunwerft schon vor dem Beginn des Prozessesder kommerziellen Verwertung preisgegeben wurde.Und doch hat die Erarbeitung der Leitlinien in <strong>Rostock</strong> etwasbewirkt, es hat sich etwas verändert.


0.30 __ //// KULTURPOLITIK ROSTOCKDurch die in den „Kulturfabriken“ durchgeführte Beteiligungder Öffentlichkeit wurden die <strong>Rostock</strong>er Kulturakteure, dieKulturpolitiker und exponierte Vertreter der Kulturnutzer zusammengeführt.Und, der Funke sprang über, das allseits beklagteFehlen einer Vernetzung der Akteure und der Angeboteerfolgten spontan, neben der Kulturverwaltung bildeten sich„freie“ Arbeitsgruppen, die die Lösung einiger drängender Problemeselbst in die Hand nehmen wollen. Es soll ein <strong>Rostock</strong>erKulturportal etabliert werden, es werden offensiver Forderungenan die Politik gestellt und es wurde endlich eine Brückevon der Kulturszene zum ASTA und der verfassten Studentenschaftgeschlagen. Noch wichtiger ist jedoch, dass endlich koordiniertmiteinander gesprochen wird und dass Diskussionund transparentes Verfahren bei der Erarbeitung des Kulturentwicklungsplanesnun nachdrücklicher eingefordert werden.Dies ist auch ein Verdienst der scheidenden Kultursenatorin,die mit Ihrer zurückhaltenden und moderierenden Art zumAustausch und zur Beteiligung nicht nur eingeladen sondernauch atmosphärisch ermuntert hat. Im Prozess der Entwicklungder Leitlinien sind Akteure hervorgetreten, die mit ihremEinsatz, ihrer Vernetzung und ihrer Kompetenz den Prozessdes Entwicklungsplanes tragen können.Für die Erarbeitung dieses Planes wurden vier Arbeitsgruppengebildet, die die Schwerpunkte der Leitlinien abbilden und fürdie <strong>Rostock</strong>er Kulturentwicklung Handlungscluster beschreibensollen: Sie bearbeiten die Themenfelder Beteiligung/kulturelleBildung, Kulturelle Stärken/Vielfalt, Tourismus/überregionaleProjekte/Kontakte und Traditionen/Gedenken/Baukultur/Jubiläen.Diese wurden vom Kulturausschuss mit wichtigenAkteuren aus Kultur, Verwaltung und Politik besetzt undhaben sich inzwischen in konstituierenden Sitzungen ihre Arbeitsagendagegeben. Es ist zu hoffen, dass diese ArbeitsgruppenAnfang nächsten Jahres erste Ergebnisse der Öffentlichkeitpräsentieren können.und die Stadtjubiläen dahingehend besser verzahnt werden,dass sich die Ergebnisse beider Prozesse mehr auf einanderbeziehen und gemeinsam vorgestellt werden können.2. <strong>Rostock</strong> nimmt strategische Kulturentwicklung ernst undstellt der Kultur Sondermittel für den Planungsprozess unddie Umsetzung der Planungsergebnisse zur Verfügung.Wenn die Stadt wahrnehmbare Schwerpunkte setztenmöchte, sollten diese zumindest städtisch anfinanziert werdenkönnen.3. <strong>Rostock</strong> macht den Prozess öffentlicher und informiertund diskutiert mit der Bevölkerung über Zwischenergebnisse.So sorgt man für mehr Transparenz und teilt der Bevölkerungso mit, dass da etwas Wichtiges passiert.4. <strong>Rostock</strong> hält sich an seine Konzepte. In den Bereichen, indenen bereits beschlossene Konzepte vorliegen – z. B. fürdie Museen, folgen Verwaltung und Politik bei der weiterenBeschlussfassung diesen Vorgaben, damit zukünftigeKonzepte nicht schon vor Ihrer Entstehung zu desavouiertwerden.Denn: Die Beschwerlichkeit des Weges hat nicht zwingendAuswirkungen auf das Ergebnis. ¬Der Ausblick<strong>Rostock</strong> erarbeitet einen verbindlichen Plan für die Entwicklungseiner Kulturlandschaft, an den sich die Verwaltung dannzumindest bis zu den Stadt- und Universitätsjubiläen2018/2019 halten soll. Um diesen wichtigen Prozess der Bevölkerungbewusst zu machen, sollte <strong>Rostock</strong> diese Ereignissemehr als das Ziel seiner mittelfristigen Kulturentwicklung herausstellen.Dazu vier Vorschläge:1. <strong>Rostock</strong> verzahnt die Kulturentwicklungsplanung mit derPlanung der Stadtjubiläen, ggf. unter dem Motto: „<strong>Rostock</strong>macht sich fit für zwei Jahrhundertfeste“. Die Feierbeider Jubiläen ist ein Stadtevent, mit der sich die Rostokkeridentifizieren können und mit dem die Politik größerefinanzielle Kraftakte vor sich und der Bevölkerung rechtfertigenkönnte. Vielleicht: Wenn das neue Theater schonnicht bis 2018 eröffnet werden kann, nutzt man diesenBau „für die nächsten Jahrhunderte“ auf der „Acht-hundert-Jahre“-Feierfür Baustellenfestspiele nach dem Motto„<strong>Rostock</strong> auf dem Weg“. Dazu müssten aber die verschiedenenArbeitsgruppen für die Kulturentwicklungsplanung


KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKERNicht alle Wahlplakate scheinen inhaltsleer: Hier endlich eine konkrete Aussage. Aber vorsicht: Die puristischeGestaltung soll suggerieren, <strong>Rostock</strong> hätte keinen Platz für eine verfolgte und dem Vernehmen nach baldaussterbende Rasse. Das weckt Mitleid! Hier soll etwas verwehrt werden, was in einer multikulturellen Gesellschaftzum Standard gehört: Asyl. Schlau eingefädelt, aber leicht durchschaubar, liebe Nationaldemokraten.


0.32 __ //// OFFENER BRIEF NEUE ENERGIENEnergiewende!OFFENER BRIEF DER ROSTOCKER UNTERNEHMERIN KATHRIN TRAXEL AN ANGELA MERKEL IM JULI 2013Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,ich bin 39 Jahre alt, lebe und arbeite in <strong>Rostock</strong> und Hamburgund bin seit fast 10 Jahren selbständig tätig. Seit ich das Buchvon Matthias Willenbacher [Willenbacher, Matthias: „Meinunmoralisches Angebot an die Kanzlerin: Denn die Energiewendedarf nicht scheitern!“ – Anm. d. Red.] gelesen habe, dasam 20. Juni erschienen ist, gehen mir sehr viele Gedankendurch den Kopf. Ca. 90 Tage vor der Bundestagswahl macheich mir mehr Sorgen um die Zukunft unseres Landes und derMenschen die darin leben, als je zuvor.Ich habe eine Bankausbildung abgeschlossen und anschließendberufsbegleitend Bankbetriebswirtschaft studiert. Seit mittlerweile14 Jahren verwende ich meine Zeit und Energie auf dasThema Erneuerbare Energien. In dieser Zeit habe ich u. a. einenWindpark mit 10 WEA errichtet und betrieben, der jetztgerade in diesem Moment „repowert“ wird, zwei eigene Solarparksgebaut und vielen Menschen geholfen, ebenfalls Betreibervon EEG-Anlagen zu werden, um so bei der Energiewendedabei zu sein. Es handelt sich mittlerweile um mehrere hundertMegawatt. Es ist meine „Mission“ und ich sehe es als ein in dieserGesellschaft lebendes, Ressourcen verbrauchendes Individuum,als meine Pflicht an, meinen Beitrag dazu zu leisten, unsereUmwelt für unsere nachfolgenden Generationen zu erhaltenund vielleicht auch besser zu machen. Dies darf nicht zu einer„Mission Impossible“ werden!Matthias Willenbacher habe ich 2007 auf einer Messe in Hannoverkennengelernt. Seit dem bewundere ich das Engagement,mit dem er sein Unternehmen aufgebaut hat und führt undwelcher umweltpolitische Beitrag hier geleistet wurde. Umsogespannter verfolge ich, wie stark ein solches „milliardenschweres“Unternehmen mit 1800 Arbeitsplätzen von den politischenRahmenbedingungen abhängt - wie so viele andere Unternehmenin der Branche! Schade ist nur, dass ich seit HerrnAltmaiers Aussagen zu Beginn dieses Jahres bereits einige Unternehmenerlebt habe, die dieser Branche nicht nur notgedrungensondern sogar „aktiv“ (!) den Rücken kehren odernicht mehr arbeiten können, weil die Unsicherheit zu groß gewordenist. Mitarbeiter werden reihenweise entlassen.Auch mein eigenes Geschäft bleibt davon nicht unberührt undrichtet sich derzeit neu aus. Ich verkaufe mein Finanz-Know-How, damit Investoren, Projektentwickler und Betreiber ihreProjekte finanzieren und damit realisieren können. Die Bankfinanzierungmöglichkeitist seit Beginn dieses Jahres so gut wiekaum noch gegeben. Alles steht auf „Halt“ und wartet auf diebevorstehende Bundestagswahl. Ob der „Schaden“ des derzeitzu beobachtenden substanziellen Rückbaus der Branche dannnoch zu reparieren ist, vermag ich schwer einzuschätzen. Sie,liebe Frau Merkel, haben es in der Hand! Sie sind eine Frau, dieoffenbar sehr viele Menschen erreicht - als die beliebtesteKanzlerin aller Zeiten. Auch ich habe immer große Stücke aufSie gehalten und ich gehe fest davon aus, dass Sie dem Themagrundsätzlich aufgeschlossen gegenüber stehen. Denn „DerPreis des Überlebens - Gedanken und Gespräche über zukünftigeAufgaben der Umweltpolitik“ ist ein Buch, das Sie selbsteinmal geschrieben haben.Aus meiner Sicht hat sich das Bewusstsein der Menschen inDeutschland seit Anfang der Neunziger Jahre deutlich verändert.Es hat sich weiter entwickelt in Richtung „Ideal eines harmonischenDreiklanges zwischen Ökologie, Ökonomie undSozialem“, wenn auch noch nicht zu 100 %. Auch ich habemein Denken in diesem Punkt verändert und gehe heute, nachdemich mich 14 Jahre mit den Erneuerbaren Energien beschäftige,mit den Themen ökologische Landwirtschaft, nachhaltigesKonsumverhalten, Preisdumping auf dem Lebensmittelmarkt,Verteilung usw. anders um als noch vor zehn Jahren.Und das tun in meinem Umfeld schon viele Menschen. Ich binder Meinung, dass sich auch die Umweltpolitik heute nichtmehr zwangsläufig in der Verteidigungsposition wiederfindenmuss!Ich mache mir Sorgen, über die „Richtung“ die Sie in der letztenZeit eingeschlagen haben. Obwohl doch alle Weichen auf„Grün“ standen und die Voraussetzungen mit dem Stromeinspeisungsgesetzvon 1990 und der Einführung des EEG zumApril 2000 einmal sehr gut waren. Aus diesen Voraussetzungen


haben sich eine Branche und viele Nebenbereiche enorm entwickeltund weltweit führende Technologien hervorgebracht.Ich kenne aber auch keine andere Branche, die einen solchenpolitischen „Zick-Zack- Kurs“ durchgehalten hätte bzw. durchhaltenmusste. Bis zu den Aussagen Herrn Altmaiers zu Beginndieses Jahres konnte sie sich erstaunlicherweise von zwischenzeitlichenRückschlägen immer wieder erholen. Begriffe wieBestandsschutz und politische Kontinuität waren allerdings inder Vergangenheit bei allen EEG Änderungen immer noch mitan Bord. Das war zu Beginn dieses Jahres anders und HerrnAltmaiers Aussagen haben die Branche und das Vertrauen indie Politik extrem erschüttert!Offenkundig sucht die amtierende Regierung ausgerechnet imKreise der alteingesessenen Stromlobbyisten nach Lösungen,wie der(en!) Strommarkt grundsätzlich zu reformieren ist. Lösungsvorschlägevon denen, die eine Reform anstreben undnachhaltig und zukunftsorientiert denken, werden offensichtlichgemieden, wie auch die Geschichte in Matthias WillenbachersBuch mit dem pikanten Titel „Energiewende oder Chicorée“zeigt.„Die Kohleverstromung in Deutschland boomt. In diesem Jahrgehen so viele Kohlekraftwerke ans Netz wie nie zuvor in denletzten 20 Jahren. Angeschlossen werden rund 5.300 MW, teiltedas Internationale Wirtschaftsforum Regenerativer Energien(IWR) mit. Verrechnet man diese Leistung mit der vom Netzgenommenen Kapazität, bleibt ein Saldo von 4.300 MW neuerKraftwerkskapazität.“ (Sonne, Wind & Wärme, 01.03.2013)Womit ist es zu erklären, dass noch bei keinem AtomkraftwerkAbbauarbeiten auch nur genehmigungsseitig in Angriff genommenworden wäre, sondern überall die Brennstäbe aufNeueinsatz warten? Die öffentlichen Wahlkampfverhandlungenüber den Bestandsschutz bestehender Erneuerbarer-Energien-Gesetzgebungmit garantierten Laufzeiten führen bereitsheute zu massiven Schäden in der Erneuerbare-Energie-Branchen.Die reine Ankündigung von Umweltminister Altmaier,den gesetzlich garantierten Bestandsschutz aufzulösen und fürNeuanlagen innerhalb kürzester Frist massive Vergütungsreduzierungenvorzusehen, hat diverse laufende Projekte zum Erliegengebracht.Folgende Punkte liegen mir sehr am Herzen:1. Bundesumweltminister Peter Altmaier plant, Förderprogrammefür Elektromobilität und zum Thema Stromspeichernebenso zu streichen wie den 35 Mio. EURO Waldklimafonds.Wegen fehlender Mittel muss Altmaier darüberhinaus auch internationale Zusagen brechen, etwa jenezur Förderung des „Green Climat Fund“ (Der Spiegel,18.03.2013). So etwas dürfen Sie nicht zulassen, hier ist eineUmkehr erforderlich! Wir brauchen auch die Elektromobilitätals Baustein eines neuen Strommarktdesigns –das haben die chinesischen Hersteller längst erkannt.2. Wir brauchen die Erneuerbaren Energien und Fördermöglichkeitenum die Technologieführerschaft zu behalten.Überall in der Welt wird das EEG kopiert und deutscheEE-Technik eingesetzt! Das Argument, was immer wiederunter Politikern und den Lobbyisten der Stromkonzernekursiert, ist, dass wenn die Energiekosten zu hoch würden,die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich inHintertreffen geriete und nicht mehr konkurrenzfähig sei.So propagieren es derzeit wieder viele deutsche Wirtschaftszeitungen(u.a. Wirtschaftswoche vom 24.06.2013und Capital vom 1.07.2013).Aber das ist falsch: Wenn wir die Technologieführerschaftbehalten und nicht von anderen überholt werden, wirdDeutschland ein international erfolgreicher Wirtschaftsstandortbleiben.3. Das Thema EEG-Umlage ist nicht grundsätzlich falsch,muss aber neu überarbeitet werden. Auf keinen Fall dürfendie Kosten der Energiewende allein auf dem Rücken derEndverbraucher ausgetragen werden. Alle Stromkunden,auch die Industrie, müssen die Energiewende mitfinanzieren!4. Wo sind die Anreize Strom zu sparen, zeitgemäße Kraftwerkezu realisieren, Regelenergie anzubieten oder ErneuerbareEnergiewärme zu erzeugen? Statt marktwirtschaftlicherAnreize für flexible Erneuerbare Energien, motivierenderHaftungsregelungen für Netzbetreiber gibt es Planwirtschaftpur, leider, so kommt es zumindest hier an, ohneaufgehenden Plan. Deshalb: Machen Sie bitte Menschenwie Herrn Willenbacher zu Ihren persönlichen Beraternoder schenken Sie z. B. Prof. Hohmeyer, Mitglied Ihres eigenenEnergiesachverständigenrates, mehr Gehör!Hier entsteht nach Außen der Eindruck, dass die Politik genaudas Gegenteil der sinnvollsten Lösungsvorschläge wählt. DieseMenschen zeigen Ihnen den Weg auf, wie die Energiewendefunktionieren kann. Und dass es hier nicht ausschließlich umGeld geht, zeigt Ihnen dieses unglaubliche unmoralische Angebotvon Matthias Willenbacher!„Große Gedanken entspringen weniger einem großen Verstande,als einem großen Gefühl.“ – wie Dostojewski es einst sagte.Und damit erreichen Sie die Menschen.In Erwartung einer gelingenden Energiewende unter IhrerFührung! ¬--Weiterführende Informationen:www.matthias-willenbacher.de


0.34 __ //// KURZ VORGESTELLTSchloss BröllinInternationale künstlerische Forschungs- & ProduktionsstätteEs hat sich in der Welt herumgesprochen: Schloss Bröllin beiPasewalk in Vorpommern ist ein Ort der Kreativität, an demsich KünstlerInnen frei entfalten können. Dafür reisen sie ausganz Deutschland und Europa an, aber auch aus Neuseelandoder Japan. Sie arbeiten im Theater, beim Tanz, mit Figurentheater,Videoperformance, Zirkus oder machen Theater im öffentlichenRaum.Die Gruppen mieten sich in verschiedenen Phasen ihrer Produktionenein. Manche sind noch ganz am Anfang des kreativenProzesses, andere geben ihrem Stück auf der Probebühnevon Schloss Bröllin den letzten Schliff. Wieder andere machenwährend ihrer Tournee eine Verschnaufpause auf dem Schloss,um sich auf den nächsten Auftritt vorzubereiten. Vier bis sechsdieser Gruppen können jährlich über das Residenzprogrammdes Vereins gefördert werden, was jeweils bis zu drei WochenAufenthalt mit Probenraum, Technik, Kost und Logis beinhaltet.In den vergangenen 21 Jahren wurden so 500 internationaleTanz-, Theater- und Performanceprojekte auf Schloss Bröllinerarbeitet und anschließend regional, bundesweit und internationalaufgeführt.Viel ist geschehen, seit das Berliner R.A.M.M. Theater 1991auf der Suche nach Probenräumen zufällig das Gutsgeländeentdeckte. Zuerst mietete die Compagnie nur eine große Halleund das alte, marode Gutshaus, 1992 dann gründete sie den gemeinnützigen„schloss bröllin e.V.“. Nach schwierigen Verhandlungengelang es dem Verein schließlich, das Anwesen vonder Treuhand zu erwerben.In erheblicher Eigenleistung wurden dann einer der historischenBullenställe zu 2 Tanzstudios und einer Probebühne umgebaut,im Gutshaus Zimmer und Büros eingerichtet, einKornspeicher zur Küche und die Brennerei zum Café. 2006schließlich baute man dann den großen Bullenstall mit Hilfevon EU-Fördermitteln zu einem deutsch-polnischen Begegnungszentrumum. So gibt es auf Schloss Bröllin nun auch eineGalerie mit regelmäßig wechselnden Ausstellungen, mehrereMultifunktionsräume für Seminare, Konferenzen, Workshopsoder Theaterproben, sowie Übernachtungsmöglichkeiten inmodernen Zimmern.Auf diese Weise konnte die 800 Jahre alte, denkmalgeschützteGutsanlage im Dreieck von Greifswald, Szczecin und Berlin erhaltenwerden. Bevor es zum Künstlerhof wurde, war es um1850 von einem kleinen Rittergut zu einem damals modernenlandwirtschaftlichen Großbetrieb umgebaut worden. Aus jenerZeit stammen auch der Anbau mit Turm, und der etwas großspurigeName „Schloss Bröllin“. Nach 1945 wurde der Hof imZuge der Bodenreform zu einer LPG. Zwei Jahre nach derWende wurde die Viehwirtschaft jedoch eingestellt, der landwirtschaftlicheBetrieb geschlossen und die KünstlerInnen hieltenEinzug.Viele kreative Köpfe und engagierte Leute trugen im Laufe derJahre dazu bei, den verlassenen Gutshof am nördlichen Randder Uckermark in einen der größten Produktionsorte für DarstellendeKunst in Deutschland zu verwandeln.Schloss Bröllin - einzigartig unter den Produktionsortenin Deutschland.Den Unterschied zu anderen Produktions- oder Residenzortenmachen wohl die 50.000 m2 aus, die den KünstlerInnen für ihreArbeit zur Verfügung stehen.Tanzboden, Beton, Gras, 10 Meterhohe Decken oder Hängemöglichkeiten an der Außenwandbieten auch großen Gruppen den Raum, den sie brauchen. FürCompagnien mit Mitgliedern aus mehreren Ländern ist dieBrölliner Welt der geeignete Treffpunkt für konzentriertes Proben,denn da oftmals mehrere Gruppen für einen längerenZeitraum vor Ort sind, ist ein reger Austausch an der Tagesordnung.Auch das Team auf Schloss Bröllin ist ein Plus. Der Vorstandsetzt sich aus fünf Kunst-und Kulturschaffenden zusammen,die selbst auftreten, produzieren oder Veranstaltungen organisieren.Sie kennen die Schwierigkeiten, die im Laufe einer Produktionauftauchen, verstehen die Ambitionen der KünstlerInnen,bringen selber eine Vielzahl internationaler Erfahrungenmit und wissen sich in der (kargen) Kulturförderlandschaft zuorientieren. Der Vorstand wird unterstützt durch ein kleinesTeam hauptamtlich tätiger Angestellter des Vereins und denimmer zahlreichen Freiwilligen. Diese kommen entweder, umein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr zu absolvieren,über den Europäischen Freiwilligendienst oder als 'Work-away'aus Übersee.Kooperationen sind das Herzstück der Arbeit auf Schloss Bröllin,eine Plattform professioneller Zusammenarbeiten, die sichstetig erweitert und vertieft: regional, ebenso wie landesweit,deutsch-polnisch und weltweit.Regional engagiertDie besondere Lage von Schloss Bröllin in der deutsch-polnischenGrenzregion bietet ein großes Potential, mit dem derVerein seit jeher aktiv arbeitet. Im Umland von Szczecin, nichtweit von Berlin und den Tourismus-Gebieten an der Ostsee, ar-


eitet der Verein gemeinsam mit Menschen auf beiden Seitender Grenze an der Entwicklung dieser oftmals peripherisiertenRegion. Dabei spielt die Zusammenarbeit mit internationalenKünstlerInnen eine wichtige Rolle. Denn es mag ein für Vorpommernerstaunliches Bild sein, wenn Gestalten vertikal amTurm entlang spazieren, zwanzig Maori auf dem Gut Haka tanzenoder weißgetünchte Butoh-TänzerInnen ihre Kunst imehemaligen Schafstall darbieten. Aber so wird oftmals unerwarteteKommunikation möglich, entwickeln sich andereWahrnehmungs- oder Aktionsformen, stärkt sich demokratischeKultur durch viele Formen der Teilhabe.Dazu gehören auch das starke Engagement des Vereins im DemokratiebündnisVorpommern (weltoffen, demokratisch,bunt!) und die seit 13 Jahren fest etablierte Jugendarbeit desVereins. „Schloss Bröllin youth“ initiiert jedes Jahr eine Vielzahlvon regionalen und internationalen Projekten, arbeitetmit den Schulen in der Region und betreut die Freiwilligen vorOrt.FOTOS: PRIVATOb man nun mit jeder der Performances etwas anfangen kannoder nicht - Raum zum Austausch gibt es immer genug. Diemeisten BesucherInnen bleiben eine Weile, um ein Gläschenmit den KünstlerInnen und dem Brölliner Team im Café zutrinken oder dem Sprachengewirr zu lauschen.ZukunftKooperation und Solidarität, verbunden mit einem kreativenBlick für neue Möglichkeiten werden die zukünftige Entwicklungauch weiter prägen. Das Engagement für demokratischeKultur und gegen Nazis in der Region und bundesweit ist einAspekt davon. Durch die gemeinsame Arbeit mit KollegInnenin der Region für die Gründung eines Kunst- und Kulturratshaben alle KünstlerInnen eine Stimme gewonnen. Denn wosich öffentliche Strukturen und Angebote aus der Fläche zurückziehen,wird Kulturpolitik ein zentraler Teil von Gesellschaftspolitik.So engagiert sich schloss bröllin e.V. auch für dieErarbeitung eines Kulturentwicklungsplans für Vorpommern.Jetzt gilt es am Ball zu bleiben, neue Konzepte zu erarbeitenund immer wieder auch internationale Partner zu finden. Sowird Sabine Bornemann von der Nationalen KontaktstelleDeutschlands für die Kulturförderung der EU (CCP) EndeAugust ein Seminar zum Thema „Europa fördert Kultur - aberwie?“ abhalten und dessen Teilnehmern auch anhand eines regionalenProjektes veranschaulichen, wie ein Konzept „europakompatibel“präsentiert werden kann.Bis dahin, so hofft das Team, werden die Sanierungsarbeiten anGutshaus und Turm begonnen haben, ein dichtes Dach unddoppelt verglaste Fenster sind schon von Vorteil, wenn währendder langen Winter über weitere Projekte gegrübelt wird. ¬--Weitere Informationen unter:www.broellin.de


0.36 __ //// PRINTMEDIENVIELFALT IN GEFAHRWortmeldung imSchweigen desBlätterwaldsCORNELIA TÖPFERMit der Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen“ setzenGewerkschaften Wegmarken in der sich wandelnden Medienlandschaft.Sieht so der Journalismus in Mecklenburg-Vorpommern in einigenJahren aus? Der freiberufliche Mitarbeiter, der zu seinemmageren Honorar in einem anderen Beruf hinzuverdienenmuss, setzt seine Meldung aus dem Heimbüro an die Verlagszentralein der Ferne ab. Er entscheidet sich, die Polizeimeldungvom nächtlichen Überfall auf den Pizzaboten zu verwenden.Ein Foto vom Tatort, ein paar Zitate von Anwohnern –fertig ist der Aufmacher. Die Sitzung der Bürgerschaft? Der gärendeSkandal um das neueste Bauprojekt, von dem im Bekanntenkreisgeredet wird? Zu aufwändig, zumal noch Ärgermit Offiziellen und Anzeigenkunden droht…Die Presselandschaft im Nordosten – schon immer besonderskarg – verödet in den letzten Jahren zusehends (siehe Chronik).„Nirgendwo ist die Konzentration soweit fortgeschrittenwie in Mecklenburg-Vorpommern“, warnt der renommierteMedienwissenschaftler Horst Röper vom Dortmunder Formatt-Institut.Sein Befund: Der Mangel schlage zunehmendauf die Qualität der Berichterstattung durch.Die Ostsee-Zeitung (OZ), der auflagenstärkste Titel im Land,bezieht inzwischen einen erheblichen Teil ihrer überregionalenSeiten von der gemeinsamen Redaktion mit den LübeckerNachrichten oder aus der Zentrale des sie beherrschendenMadsack-Konzerns in Hannover, der sich nach Kräften um dieZentralisierung von Aufgaben bemüht. In der Folge wurden inVerlag und Redaktion Stellen gestrichen.Die Schweriner Volkszeitung, die als Norddeutsche NeuesteNachrichten in <strong>Rostock</strong> erscheint, hat seit ihrem Verkauf anden Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (sh:z) rund zweiDrittel ihrer Belegschaft eingebüßt. Abteilungen wurden ingroßem Stil nach Flensburg oder Büdelsdorf verlagert; Inhaltewerden zunehmend von dort bezogen. Viele Mitarbeiter erhieltendie Kündigung. Vorerst letzter Akt des Kahlschlag-Dramasist die für 2014 geplante Schließung der Druckerei in derLandeshauptstadt.Der Nordkurier ist in mittlerweile mehr als ein Dutzend Einzelfirmenzerschlagen worden. Verlagsbereiche wurden geschlossenund nach Sachsen verlegt. Die Arbeitsbedingungender Mitarbeiter, die nicht entlassen wurden, sind kontinuierlichverschlechtert worden.Immerhin: Von seinem Experiment einer gemeinsamen Mantelredaktionmit der SVZ hat das Neubrandenburger Blatt mitVerweis auf die dabei aufgetretenen Probleme und die schlechteLeserresonanz inzwischen wieder abgelassen. Aber darin eineTrendwende sehen zu wollen, wäre Wunschdenken.Die jahrelange Abwärts-Entwicklung hat massiv qualifizierteArbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern gekostet. EineStudie der Landesrundfunkzentrale kommt zu dem Ergebnis,dass die Medienbranche hierzulande deutlich geringer entwikkeltist als im bundesweiten Durchschnitt – Tendenz weiterfallend.Noch schwerer wiegen freilich die Folgen des Kahlschlags fürdie Öffentlichkeit, die Leser. Mit „totalitärem Renditedenken“werde ein Verfallsprozess beschleunigt, bilanziert Elke Grittmann,Autorin der Studie „Vereinheitlichung statt Vielfalt?“,in der die Folgen der Konzentration auf die Berichterstattungunter die Lupe genommen wurden. Wer einseitig auf Rationalisierungsetze, verliere mittel- und langfristig das Vertrauen derLeser. „Das Land braucht seine und nicht seichte Zeitungen!“Wo die öffentliche Debatte erlahmt, wittern RechtsextremistenMorgenluft. Gerade im Osten des Landes ist die NPD mitBlättern wie dem „Anklamer Boten“ längst publizistisch aktiv.Vor diesem Hintergrund haben die Gewerkschaft ver.di, derDeutsche Gewerkschaftsbund und der Deutsche Journalisten-Verband die Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen.Qualität und Vielfalt sichern“ ins Leben gerufen. Sie haben da-


mit die dringend nötige Diskussion um Situation und Bedeutungder Medien im Nordosten vorangebracht und das Bewusstseindafür geschärft, dass gute Zeitungen eben nicht ohneweiteres morgens im Briefkasten landen. Der Innenausschussdes Schweriner Landtags hat dem Thema zwei öffentliche Anhörungengewidmet und das Parlament einstimmig beschlossen,einen jährlichen Bericht zu Lage der Medien von der Regierungeinzufordern. In den Betrieben, gerade bei der OZselbst, gelang es durch entschlossene Gegenwehr, die Erosionwenigstens zu bremsen.Diese öffentliche Aufmerksamkeit missfällt den Verlagen.Mehrfach sah sich die Initiative juristischen Attacken ausgesetzt.Zuletzt versuchte die Geschäftsführung der OZ, die Verwendungdes Titels „Ostsee-Zeitung“ zu verbieten. Angeblichwerde damit eine geschützte Marke missbraucht. Ironie desSchicksals: Den Versuch des Verlages, der längst eine hundertprozentigeTochterfirma der LN ist, die Marke schützen zu lassen,hat das Patentamt abgelehnt.Obwohl die Probleme der Zeitungen in den Blättern selbstkaum thematisiert werden, haben Tausende Bürger sich mitden Zielen von „Unser Land braucht seine Zeitungen“ per Unterschriftidentifiziert: Sicherung von Arbeitsplätzen, mehrTransparenz über die Besitz- und Beteiligungsverhältnisse inder Branche und mehr demokratischen Mitspracherechte fürJournalisten. Denn „Meinungsmonopole sind längst Realität,zumindest in Bezug auf den lokalen Journalismus“, klagt MedienwissenschaftlerRöper.viele diskussionswürdige Ansätze. Einfach Förder-Millionenmit der Gießkanne zu verteilen, verbietet sich. Aber eine befristetefinanzielle Hilfe für die Zustellung im Flächenland Mecklenburg-Vorpommernmit seinen langen Wegen, könnte sinnvollsein.Rafft sich die Schweriner Regierung – wie im Koalitionsvertragvereinbart – zu Gesetzesnovelle auf? Vor allem für dieSPD könnte das zur Nagelprobe werden: Ihre Medienholdingddvg ist der größte Gesellschafter des Madsack-Konzerns, derdas Sagen bei LN und damit bei der OZ hat.Öffentliche Aufmerksamkeit für die Entwicklung der Medienbleibt also dringend nötig. Wann machen Sie mit? Es geht umIhre Zeitungen! ¬--Cornelia Töpfer ist bei ver.di zuständig für die Initiative „UnserLand braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern“,die eine eigene Internetseite betreibt:www.qualitaet-und-vielfalt-sichern.deMit der überfälligen Überarbeitung des Landespressegesetzeskönnte der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein Zeichensetzen, wie moderne Medienpolitik gestaltet werdenkann. Sie braucht regelmäßige Begleitung durch die Wissenschaft,damit die Politik rechtzeitig und angemessen auf den rasantenWandel reagieren kann. Patentrezepte gibt es nicht, aber


KEINE ANZEIGE | FOTO: TOM MAERCKERAufatmen! Unter all den inhaltsentleerten und parteischädigend entstellten Wahlplakaten haben wir dann dochnoch eines mit klarer Botschaft gefunden: einen Zirkus! Nachtigall, ick hör dir trapsen ...


0.39 __ //// LITERATURLiterarisches und LiteraturbezogenesEndzeit ohne SchlußstrichSiebenbürgischer SchriftstellerEginald Schlattner 80JENS LANGERVor Jahren hat er in seinem Rechenschaftsbericht als Gefängnispfarrerder Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnissesin Rumänien einen Schlussstrich gezogen: „Mit derGroßschriftstellerei ist es vorbei.“Der am 13.9.1933 in Arad geborene und in Fogarasch aufgewachseneEginald Norbert Felix Schlattner ist inkonsequentgeblieben. 2009 beteiligt er sich mit einer Erzählung an einemkulturgeschichtlichen Band. 2012 gab die Berliner LiteraturwissenschaftlerinMichaela Nowotnick in zwei Bänden langeZeit verschollene Manuskripte Schlattners heraus, die größtenteilsvor seiner Verhaftung 1957 entstanden waren. Zu Pfingsten2013 teilte der in Rothberg/Rosia bei Hermannstadt/Sibiulebende Romancier inoffiziell mit, er habe seinem VerlagZsolnay in Wien 20 Kapitel auf 699 Schreibmaschinenseitenangeboten, und zwar in einer bereits gekürzten Zweitfassung:„Die 7 Sommer meiner Mutter. Ersonnene Chronik“ (2010-2013). Dabei handelt es sich nach meiner Lektüre von drei Kapitelnum eine Art „Maximen und Reflexionen“, die Hintergründeseines Lebens und Schreibens erhellen sollen. Was füreine Kraft zur literarischen Vergegenwärtigung! Zum Glückfür seine europäische Leserschaft hat Schlattner also seine Absagean die „Großschriftstellerei“ gebrochen, und hoffentlichergreift der Verlag die Gelegenheit, die Siebenbürgen-Saga ausRothberg weiterzuentwickeln. Denn es ist so viel geschehen,was einer Transparenz bedarf, seitdem dieser literarische Kometunerwartet am europäischen Firmament der Dichtung erschien,ein Dorfpfarrer aus einer ethnischen Minderheit inSüdosteuropa, der als Rentner seinen ersten Roman vorlegte,dem zwei weitere folgten („Der geköpfte Hahn“ 1998 , „RoteHandschuhe“ 2000, „Das Klavier im Nebel“ 2005).Er selbst reiste zu Lesungen durch ganz Europa. Danebenbringt der literarische Tourismus heute Busse und PKW ausDeutschland und Österreich in das Dorf, das gar nicht so abgelegenist, jedenfalls nicht wenn man es endlich erreicht hat undes womöglich nicht bei dem einen Mal bewenden lässt. SeineRomane wurden bislang in acht Sprachen übersetzt. Das ersteBuch erreichte neun Auflagen und wurde 2006/07 verfilmt,„Rote Handschuhe“ 2009/10. Er hätte auch mit Herta Müllergemeinsam den Nobelpreis bekommen können. Aber die Verhältnissewaren nicht so. Valentin Aldea jedenfalls, der clevererumänische Bürgermeister, hat dem bekanntesten Einwohnerauf dem Internetportal der Primaria Communei Rosia eineganze Seite gewidmet, und die Ortsschilder von ehemals siebenbürgisch-sächsischdominierten Dörfern dieser Kommunesollen auf Weisung von Primar Aldea zweisprachig sein, wurdemir einmal von einem Kenner der Gegend erzählt.In Rothberg/Rosia jedenfalls hat mir das mein Augenscheinbestätigt. Und das bei nicht mehr ganz einer Handvoll siebenbürgischerSachsen. In einem Kapitel der genannten noch ungedruckten„Ersonnenen Chronik“ berichtet Schlattner auch,dass seine Frau und er sich 2007 getrennt haben. Dabei spielekeine dritte Person eine Rolle, wohl aber die Belastung derJahrzehnte im Einvernehmen. Schon 1967/68 hatte er kenntnisreichvon Kommunikationsproblemen in einer Pfarrehe erzählt- weniger fiktiv als intuitiv. Jedenfalls lebt er allein auf seinerPfarre nahe der Kirche von 1225 - „älter als Berlin!“ - undverbringt kirchliche Hochfeste gelegentlich in einem orthodoxenKloster. Die andere Seite der biografischen Medaille gehörtder Gefangenenseelsorge.Außerdem hat sich im Laufe der Jahre einiges geklärt, was denVorwurf betrifft, im Schriftstellerprozess von 1959 mit der Securitategegen befreundete Angeklagte zusammen- gearbeitetzu haben. Sorgfältige Analysen der Prozessakten haben u.a. gezeigt,dass nicht nur der Rothberger sich z. B sprachlich in diedamalige Ideologie hineinbegeben hat. Auch andere haben sichvor dem Staatsanwalt als ordentliche Staatsbürger geriert, umihre Haut zu retten. Wie denn auch anders! Noch 2011 wurdendie Folterungen Schlattners gegenüber denjenigen des verurteiltenSchriftstellers Hans Bergel als „einfach läppisch“ zitiertund reduziert. In einem Offenen Brief hat sich der alte


0.40 __ //// REZENSIONEN | MITARBEITMann nach all den Verunglimpfungen schließlich öffentlichgewehrt und die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Er hatauch seine Technik offenbart, mit der er die Familie gegenKontakte mit der Securitate immunisiert hat. „Man kann alleDossiers der rumänischen Gauck-Behörde öffnen. Von uns,von mir liegt nichts über andere vor.“Gegen die hysterische Massenflucht seiner Landesleute in denWesten findet er deftige Worte: „Wenn einer sagt: 'Gott wollte,dass ich nach Deutschland auswandere und mein alter Vaterbleibt hier, die Rumänen füttern ihn und die Zigeuner wischenihm den Arsch ab, und, bitte, lieber Herr Pfarrer, sehen Siedoch ab und zu nach ihm,' dann weiß ich: Das ist nicht, wasGott wollte.“ An den Rumänen hat er immer mehr ihre Nachbarschaftshilfeauch für ihn zu würdigen gelernt. Auf die Frage,was er an den Roma schätze, antwortet er: „Ihre Lebensfreudeund ihr Gottvertrauen.“ Den Häftlingen in den von ihm aufzusuchendenGefängnissen fühlt er sich nahe durch die eigeneBiografie. Seine Treue zur siebenbürgisch-sächsischen Ethnieüberwiegt noch seine scharfe Kritik an ihrer inneren Unbeweglichkeitund zerstörerischen Mobilität 1989/90. Bei aller Distanzsteht er zu seiner Herkunft.Was bringt das neue Lebensjahrzehnt? Schlattner wird sichwahrscheinlich auch am 13.September wie immer und täglichzum Gebet in seine Kirche begeben, vielleicht am Altar einenZettel mit ungelenken Buchstaben finden: „Laßt uns beten fürPetru. Krank.“ Er wird das tun. Vielleicht ist er aber auch vordem eigenen Jubelfest in ein rumänisch-orthodoxes Kloster geflohen.Das Kirchengebäude hat er bereits vor Jahren im Adventnach einer inneren Befreiung mit einer öffentlichen Gestedes Segens an die neuen Bewohner und alten Sorgenkinderübergeben, an die Waldorfschule „Hans Spalinger“ und die siebesuchenden Kinder der dunklen Geschwister unten vomBach. Das konnte kein kirchenrechtlicher Akt sein; denn er istseit Jahren als Ortspfarrer pensioniert und hat Befugnis alleinnoch für die Gefängnisseelsorge. Diese Übergabe vom Herzenher bedeutet, dass er, der barocke Typ, ein hart geprüfter stolzerSachse, die kulturelle Transformation verstanden hat undbejaht. Gott ist größer als unsere Vorstellungen, so dass dieRothberger Kirche erlebt, wie die Geburt Jesu im Krippenspielin der Sprache der Mehrheit von der gebeutelten ziganen Ethnieveranschaulicht wird. Der Mann des Wortes hört im fremden,gleichwohl vertrauten Laut die eigene Sehnsucht undHoffnung und erwirbt so Bürgerrecht im Zukunftsland.Was soll denn noch mehr passieren im neuen Lebensjahrzehnt!Es ist Endzeit für die Sachsen in Rothberg. Dazu gehört nachmenschlichem Ermessen kein Paradies wie sonst so oft in Mythologien.Aber es kann auch kein Schlussstrich gezogen werden.Es gibt ja neue Kräfte im Dorf wie die Schweizer DirektorinAnnette Wiecken mit ihrer integrativen Schule als Sozialprojektund den Bürgermeister mit seiner Wertschätzung fürden rumäniendeutschen Romancier. Für alle gibt es reichlichzu tun. Nach den großen Verlusten mag Schlattner die sachtenSchritte der leibhaftigen Hoffnung spüren und ebnet ihnenden Weg, den er selber mitgehen will, soweit ihn die Füße inseinem Alter tragen. ¬--Nachtrag zum Heft 71:KOLLATERALNUTZENMedien melden:Bombe in Dortmund entschärftUmliegende Häuser evakuiertBomben werden weiter produziertBomben sichern ArbeitsplätzeHäuser werden täglich bombardiertUnd Arbeitsplätze garantiert30.11.2012Eine der Rezensionen von Jens Langer erschien ohne Literaturhinweis,den wir hiermit nachtragen:Krampitz, Karsten / Liske, Markus/ Präkels, Maria (Hg.): Kaltland.Eine Sammlung. Rotbuch-Verlag 2013. ISBN97838678991448.


Transition Town <strong>Rostock</strong> –Eine neue Initiative für unsere StadtIn <strong>Rostock</strong> engagieren sich sehr viele Menschenbürgerschaftlich oder beruflich fürNachhaltigkeit im kulturellen, wirtschaftlichenund sozialen Bereich. Zum Beispiel haben2012 Mitarbeiter der Hansestadt die Aufgabeübernommen, den bundesweiten Masterplan Klimaschutzfür CO2-Reduktion und Energieeinsparung mitumzusetzen. <strong>Rostock</strong> wurde außerdem „Fair-Trade-Stadt“. Noch breiter ist die Zivilgesellschaft in <strong>Rostock</strong>schon seit Jahren aufgestellt mit Initiativen, Projektenund Vereinen, wie etwa Radio Lohro, Food-Coop,den Interkulturelle Gärten, dem Öko-Haus, verschiedenenWohnprojekten, Begegnungszentren, demTauschring, dem Bürgerverein für Solarenergie oderauch, neuerdings, mit der „Solidarischen Landwirtschaft<strong>Rostock</strong>-Land“, der Initiative „Nachbarschaftsgärten“,„GAJA e.V“ usw. Es ist schwer, all die zu zählen,durch die sich <strong>Rostock</strong> zu einer lebendigen, vielfältigaufgestellten Stadt im Übergang zu sozial gerechten,ökologisch vertretbaren, re-lokalisierten Lebensumständenentwickeln kann.Unsere Initiative „Transition Town <strong>Rostock</strong>“ wurdevom Seniortrainer Ralph Vogel, inspiriert durchden Berliner Film „voices of transition“, seit dem 18.Februar dieses Jahres vorbereitet und mit einem Vortragvon Dr. Köhler in der Petrikirche ins Leben gerufen,bei dem dieser die Transition-Town Hannovervorstellte. Aktuell sind wir 17 Akteure, die der Eindruckleitet, dass die bisherigen <strong>Rostock</strong>er Aktivitätenhäufig nur im kleinen Kreis wirken, dass die Gemeinsamkeitennicht deutlich sind, „Syn-Energie-Effekte“noch ungenutzt bleiben. Wer neu hinzukommenwill, muss sich an verschiedenen Stellen sehrumständlich kundig machen.Eine gemeinsame Vision des „Übergangs“ mit einem„Portal“ liegt nahe, so wie sie in vielen Städtenseit 2006 erarbeitet wird. Damals stand im Vordergrunddas Motiv der „Peak Oil“. Erdöl ist zwar der„Schmierstoff“ unserer Zivilisation, wird aber immermühsamer und teurer gefördert. Gleichzeitig wächstder Bedarf einer stetig wachsenden Weltbevölkerungimmer weiter, der „Stoff“ geht eindeutig zur Neige.Dieser Mangel wird unser Alltagsleben in Stadt undLand so „grausam“ belasten, dass wir frühzeitig Alternativenentwickeln müssen. Diese sind nicht nur inder Energieversorgung gefragt, sondern beispielsweisebei der Nahrungsmittelproduktion, in Bezug auf dieMitbestimmung in der Stadt und bei Themen wie Umweltbelastungund Erwerbslosigkeit. Vor allem istSelbstermächtigung nötig: wir wollen aus der Konsumentenrolleherauswachsen.In solche Richtungen denken die TransitionTown-Akteure. Ihr „Zukunftspotenzial“ kann mit einerVision gestärkt und sichtbar werden. Wer noch nichtbeteiligt ist, wird dann im „Sichtfenster“ der Initiativeleichter Zugang finden. Die einschlägigen Erfahrungenanderer Städte machen Mut, unsere Initiative willauch zur überregionalen Bewegung mit „Inputs“ beitragen.Sie entwickelt derzeit entsprechende Arbeitsgruppenund plant das Portal sowie Gemeinschaftsveranstaltungenzum Thema TT.Nächstes Treffen:10. September um 18 UhrFreigarten Peter-Weiß-Haus . Doberaner Str.Blog::transitiontownrostock.wordpress.comProvisorischer Kontakt:Ralf Vogelfon: 0178-8266181 . mail: ra.vogel@gmx.de


FREITAG20.September2013LESUNG >>>> 20:00 Uhrandere BuchhandlungWismarsche Str. 6/7 . 18057 <strong>Rostock</strong>

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