Ausgabe 1334 als PDF zum Download - Kulturportal West Ost
Ausgabe 1334 als PDF zum Download - Kulturportal West Ost
Ausgabe 1334 als PDF zum Download - Kulturportal West Ost
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Gehen wir in das nächste Zimmer“<br />
Ein Besuch im Liwadija-Palast in Jalta ist ein gespenstisch ernüchternder<br />
Ausflug in die Geschichtsvergessenheit sowjetischen Angedenkens<br />
Die Südküste der Krim, das ist Russlands<br />
Riviera. Parallel zu ihr und nur wenige Kilometer<br />
von ihr entfernt ragen die grauen<br />
Steilwände des Krim-Gebirges in den<br />
scheinbar ewig blauen Himmel. Diese<br />
Mauer schützt das Gebiet vor den rauhen<br />
Nordwinden. Ihr Verwitterungsschutt bildet<br />
<strong>zum</strong> Meer hin einen im Winkel von etwa<br />
45 Grad abfallenden Hang. Den bedeckt<br />
eine vielfältig gewölbte grüne Decke, der<br />
fast immergrüne subtropische Wald. Und<br />
weil die Natur hier einen wunderbaren<br />
Platz geschaffen hat, ließ ein Großteil der<br />
Oberschicht des Zarenimperiums auf ihm<br />
seine Sommerresidenzen errichten. Eine<br />
der größten ist der Liwadija-Palast. Ihn<br />
„baute“ der letzte Zar, Nikolaus II. Da strahlt<br />
das Werk vieler fleißiger Hände nun in<br />
schneeweißer Pracht, prunkt und – weiter<br />
nichts. Denn genutzt wurde es nur selten,<br />
wenige Monate im Jahr.<br />
Hierher lud Josef Stalin, Partei- und Regierungschef<br />
der UdSSR sowie Oberkom-<br />
Da saßen sie. Ob sie nicht anders konnten?<br />
Bild: Archiv Ulrich Menzel<br />
mandierender ihrer Roten Armee, für den<br />
Februar 1945 die beiden anderen mächtigsten<br />
Männer der gegen NS-Deutschland<br />
kämpfenden Welt ein. Es galt, die nächsten<br />
Maßnahmen in diesem gewaltigen Ringen<br />
festzulegen. Die Soldaten des Kremlherrn<br />
hatten auf dem Wege nach Berlin gerade<br />
die Oder erreicht. Amerikanische und<br />
britische Panzer rollten auf den Rhein zu.<br />
Deutschland stand vor der Kapitulation.<br />
Die Frage, wie die Deutschen nach der<br />
Niederlage behandelt werden sollten, war<br />
aber noch nicht schlüssig beantwortet.<br />
Jetzt schreiben wir das Jahr 2013. Gruppen<br />
in- und ausländischer Besucher drängen<br />
sich vor und in dem Gebäude. Das Denkmal<br />
„muss man gesehen haben“. Wir, eine<br />
Gruppe deutscher Touristen, sind unter ihnen.<br />
Wir stehen im Weißen Saal und hören<br />
den von den Organisatoren angestellten<br />
Erklärer: „Auf diesem Stuhl hat Josef Stalin<br />
gesessen, auf jenem Winston Churchill,<br />
und dort der amerikanische Präsident<br />
Franklin Roosevelt. Der Engländer hat im<br />
Woronzow-Palast gewohnt, Roosevelt hatte<br />
ein Beinleiden, deshalb blieb er in diesem<br />
Gebäude. Stalin zog in den Massandra-<br />
Palast. – Gehen wir in das nächste Zimmer!<br />
Hier, in dem Parade-Empfangsraum,<br />
haben Stalin und Roosevelt miteinander<br />
gesprochen. Die Sowjetunion sollte sich am<br />
Krieg gegen die Japaner beteiligen. – Jetzt<br />
steigen wir in das zweite Stockwerk, zu den<br />
Zarengemächern.“<br />
Ich bleibe zurück und starre der Gruppe<br />
einigermaßen verblüfft nach. Soll das alles<br />
gewesen sein? Ich will versuchen, bei<br />
anderen Gruppen zu „hospitieren“. Wir<br />
waren nicht allein in dem Raum. Weitere<br />
Besucher drängen sich um ihren jeweiligen<br />
Erklärer. Ich höre hin und versuche zu<br />
verstehen. Deutsch – klar, Russisch – leicht<br />
KK<strong>1334</strong> vom 25. Juli 2013<br />
5