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platform zero


Vorwort<br />

Warten. Wenige tun es gern. Jeder tut es anders. Während der Engländer für<br />

seine zivilisierte Schlangenbildung berühmt ist, muss der Deutsche oftmals in<br />

vorgegebenen Warteschleifen geführt werden um Knäulbildungen zu vermeiden.<br />

Was passiert, wenn man den Bahnsteig ins Theater holt, wenn Zuschauer und<br />

Schauspieler zu Wartenden werden? Wie reagieren Zuschauer auf diese Situation?<br />

Wie gehen die Schauspieler damit um?<br />

Ist gewartete Zeit immer auch vergeudete Zeit oder kann Warten doch auch<br />

sinnvoll sein? Wie warten Menschen, und warum warten sie?<br />

Mit diesen Fragen setzt sich platform zero auseinander. Ein künstlerisches<br />

Projekt am Bahnsteig unter der Leitung von Barbara Kysela und Martin Pfeiffer.


Barbara Kysela<br />

Was fasziniert Sie am Phänomen des Wartens?<br />

Das Thema Warten bietet so viel: Warten kann unglaublich<br />

nervtötend, sehr unterhaltsam, entspannend und sogar<br />

richtig spannend sein (um nur einige Beispiele zu nennen).<br />

Was oder wer kann so was sonst noch von sich behaupten?<br />

Wo warten Sie am gernsten/ungernsten? Warum?<br />

Am gernsten: am Fischbrunnen in München – das ist<br />

vielleicht der schönste Treffpunkt der Welt (geklautes<br />

Zitat aus unserem Programm, aber: hier stimmt`s) und beim<br />

Feierabendbier (wo auch immer: Hauptsache, ich warte auf<br />

jemanden, auf den ich mich sehr freue und dann genieße ich<br />

es sogar etwas länger zu warten , um die Vorfreude richtig<br />

auszukosten – passiert leider nicht so häufig, meistens<br />

müssen die anderen ein bisschen auf mich warten).<br />

Am ungernsten: im Stau. Das halte ich ganz schlecht aus,<br />

das ist das unnötigste und dümmste Warten, das es gibt.<br />

Wann, wo und warum haben Sie am längsten gewartet?<br />

Bis vor zwei Jahren, so circa zehn Jahre lang.<br />

Zwischen München, Paris, Passau, Berlin, Regensburg,<br />

Stuttgart und Karlsruhe, weil er erst jetzt daherkam: mein<br />

Mann.(Allerdings ist es ein bisschen geschummelt, es war<br />

ein Warten ohne dass ich wusste, dass ich warte.)<br />

Ihr lustigstes Warteerlebnis:<br />

Ein bisschen langweilig, aber ich muss beim Thema bleiben:<br />

Auf dem Standesamt, als wir auf unseren Termin gewartet<br />

haben.(Warum lustig? Wer meinen Mann kennt, weiß warum.)<br />

Was hat Sie dazu bewogen bei platform zero mit<strong>zum</strong>achen?<br />

Herr Pfeiffer kam mit seiner Bühnenidee auf mich zu: da<br />

hatte ich eine Bühne, ein Thema, das mir gefiel, eine<br />

Auftrittsmöglichkeit für meine Sprechergruppe – da hab ich<br />

natürlich sofort zugegriffen.


Martin Pfeiffer<br />

Was fasziniert Sie am Phänomen des Wartens?<br />

Die Möglichkeit einer Vergegenwärtigung des Daseins<br />

Wo warten Sie am gernsten/ungernsten? Warum?<br />

Am liebsten warte ich dort. / Am unangenehmsten ist mir<br />

das Warten hier.<br />

Wann, wo und warum haben Sie am längsten gewartet?<br />

Ich erinnere mich an das Warten auf die Teilnehmer des<br />

französischen Radrennens ‚Dauphine Libre’ am Chalet<br />

Reynard, ca. 460 Höhenmeter unterhalb des Gipfels des Mont<br />

Ventoux vor zwei Jahren. Ich saß zusammen mit meiner Frau<br />

und meiner Tochter und vielen anderen Radsportbegeisterten<br />

auf einer hohen Stützmauer oberhalb der Straße, die von<br />

Bedoin heraufführt, in der Sonne. Es dauerte zweieinhalb<br />

Stunden, bis der ‚Ausreißer’ unter lauten Anfeuerungsrufen<br />

an uns vorbeistrampelte. Danach vergingen noch einmal<br />

einige Minuten, bis das Peloton in Sicht kam. Trotz der<br />

enormen Steigung war das Tempo so groß, dass es unmöglich<br />

war, einzelne Fahrer zu erkennen. Auf die Nachzügler haben<br />

wir nicht mehr gewartet. Ich weiß also nicht, ob ein<br />

gewisser Godot am Rennen teilgenommen hat.<br />

Ihr lustigstes Warteerlebnis:<br />

Ich wollte warten, da bemerkte ich plötzlich, dass ich<br />

keinen Grund dazu hatte und musste lachen.<br />

Wann und wo kam Ihnen die Idee zu platform zero?<br />

Es gibt zwei wichtige Eindrücke: Der erste liegt bereits<br />

einige Jahre zurück: Ein Ersatzbahnsteig am S-<br />

Bahnhaltepunkt meines Wohnorts. Die Holzkonstruktion war<br />

aufwändig deplatziert und wirkte im hellen Sonnenlicht wie<br />

eine Bühne. Den zweiten Eindruck erhielt ich in der U-<br />

Bahnhaltestelle ‚Lister-Platz’ in Hannover an einem<br />

Sonntagnachmittag vor ungefähr drei Jahren.


Sprechergruppe<br />

Maike Bassler<br />

Anna-Lena Hauck<br />

Johanna Huber<br />

Kathrin Kolb<br />

Lena Pröhl<br />

Florian Rogge<br />

Marius Stein<br />

Theresa Ziegenhorn


Ton<br />

Christine Gerling<br />

Simone Steuerwald<br />

Marketing<br />

Jenny Beier<br />

Johanna Huber<br />

Lena Pröhl<br />

Dokumentation<br />

Kristina Wagg


seltsame szenen - nebelschwadenbilder<br />

noch nie dagewesene situationen<br />

stell dir vor es gibt kein asyl weil kein grund zu flieh’n<br />

du siehst cnn und sie berichten mumias free<br />

hast kein stress mit den bullen weil du dein buddah liebst<br />

und in yugo ist schluß mit dem bürgerkrieg<br />

stell dir vor du kannst deutsch und trotzdem türke sein<br />

die gleichstellung der frau’n gibt’s in wirklichkeit<br />

die bahn fährt immer und umsomst<br />

du brauchst kein führerschein<br />

hast’n job der dich erfüllt und noch genügend zeit<br />

stell dir vor akw’s wären lahmgelegt<br />

bist an der adria siehst fische wenn du baden gehst<br />

die alten herrn im bundestag wären abgesägt<br />

die menschen verbrüdern sich und esperanto lebt<br />

stell dir vor der papst wird schwanger und treibt ab<br />

du gibst ein interview und sie schreiben was du sagst<br />

du sagst den leuten was du denkst sie sind nicht eingeschnappt<br />

bayern steigt ab und kickers holt die meisterschaft<br />

seltsame szenen - nebelschwadenbilder<br />

noch nie dagewesene situationen<br />

Freundeskreis 1999


Und Sie?<br />

Haben Sie gewählt, neben dieser Person zu stehen?<br />

Wer steht eigentlich links von Ihnen?<br />

Strecken Sie doch, so dass es niemand merkt, Ihr rechtes Bein aus<br />

Befeuchten Sie ihre Lippen, knabbern Sie ein wenig daran<br />

Wie groß ist der Abstand zwischen der Nase und dem Ohr Ihres Nachbarn?<br />

Kreuzen Sie Ihre Finger und schielen Sie auf ihre Uhr<br />

Legen Sie Ihre Hand auf die Schulter Ihres Nachbarn<br />

Wann waren Sie <strong>zum</strong> letzten mal beim Friseur?<br />

Achten Sie auf Ihre Figur?<br />

Haben Sie die richtige Pensionsvorsorge?<br />

Stellen Sie sich vor, Sie wären kein Mann<br />

Stellen Sie sich vor, Sie wären keine Frau<br />

Fabian Chyle/Marty Huber - Unica Zürn Projekt


Im Frühzug sitzend schauen wir genau<br />

dann aus dem Fenster, wenn wir die<br />

Schlucht passieren, in welche vor<br />

fünfzehn Jahren unsere Schülergruppe<br />

gestürzt ist, mit welcher wir eine<br />

Exkursion <strong>zum</strong> Wasserfall unternommen<br />

hatten und denken daran, dass wir<br />

damals gerettet, die andern aber für<br />

immer getötet worden sind.<br />

Die Lehrerin, die damals unsere<br />

Gruppe <strong>zum</strong> Wasserfall führen wollte,<br />

hatte sich unmittelbar nach dem<br />

Urteilsspruch vor dem Landesgericht<br />

Salzburg, der auf acht Jahre Kerker<br />

lautete, erhängt gehabt.<br />

Wenn der Zug die Stelle passiert,<br />

hören wir aus dem Schreien der<br />

Anderen auch unsere eigenen Schreie.<br />

Thomas Bernhard


Die unzufriedene Straßenbahn<br />

Sie haßte die gewohnte Strecke,<br />

sprang aus dem Schienenstrang heraus<br />

und wollte endlich einmal gradeaus,<br />

statt um die Ecke.<br />

Ein Unglück gab’s. Und keine Reise.<br />

Erinnert euch, bis ihr es wißt:<br />

Wenn man als Straßenbahn geboren ist,<br />

dann braucht man Gleise.<br />

Erich Kästner


Die Zugauskunft<br />

„Ich möchte nach Stock.“<br />

„Sie fahren mit dem Frühzug um 6 Uhr 2,<br />

Der Zug ist in Alst um 8 Uhr 51.<br />

Sie steigen um in den Schnellzug nach Teist.<br />

Der Zug fährt von Alst ab um 9 Uhr 17.<br />

Sie fahren nicht bis nach Teist, sondern steigen<br />

aus in Benz.<br />

Der Zug ist in Benz um 10 Uhr 33.<br />

Sie steigen in Benz um in den Schnellzug nach<br />

Eifa mit dem Kurswagen nach Wössen.<br />

Der Schnellzug nach Eifa fährt ab um 10 Uhr 38.<br />

Der Kurswagen wird in Aprath abgehängt und an<br />

den Schnellzug Uchte-Alsenz gekoppelt.<br />

Der Zug fährt in Aprath ab um 12 Uhr 12.<br />

Ab Emmen fährt der Zug als Eilzug.<br />

Sie fahren nicht bis nach Wössen, sondern<br />

steigen um in Bleckmar.<br />

Der Zug ist in Bleckmar um 13 Uhr 14.<br />

In Bleckmar können Sie sich umsehen bis 15 Uhr<br />

23.<br />

Um 15 Uhr 23 fährt von Bleckmar ein Eilzug ab<br />

nach Schee.<br />

(Dieser Zug verkehrt nicht am 2.4. und am 25.12.<br />

und führt nur sonntags 1. Klasse.)<br />

Sie kommen in Schee-Süd an um 16 Uhr 59.<br />

Die Fähre nach Schee-Nord geht ab um 17 Uhr 5.<br />

(Bei Sturm, Nebel und unvorhergesehenen<br />

Ereignissen kann der Fährverkehr ausfallen.)<br />

Sie sind in Schee-Nord um 17 Uhr 20.<br />

Um 17 Uhr 24 fährt vom Bahnhof Schee-Nord der<br />

Personenzug ab nach Sandplacken.<br />

(Dieser Zug führt nur 2. Klasse und verkehrt nur<br />

an Werktagen und verkaufsoffenen Samstagen.)<br />

Sie steigen aus in Murnau.<br />

Der Zug ist in Murnau ungefähr um 19 Uhr 30.<br />

Vom gleichen Bahnsteig fährt um 21 Uhr 12 ein<br />

Personen und Güterzug weiter nach Hützel.<br />

(In Murnau gibt es einen Warteraum.)<br />

Sie sind in Hützel um 22 Uhr 33. (Diese Zeiten<br />

sind ohne Gewähr.)<br />

Da der Personenverkehr von Hützel nach Krim<br />

eingestellt ist, nehmen Sie den am<br />

Bahnhofsvorplatz wartenden Bahnbus (ohne<br />

Gewähr.)<br />

Sie steigen aus in Vach gegen 1 Uhr.<br />

Der erste Straßenbus von Vach geht ab um 6 Uhr<br />

15.<br />

(In Vach gibt es keinen Mietwagen.)<br />

Sie sind in Eisal um 8 Uhr 9.<br />

Der Bus um 8 Uhr 10 von Eisal nach Weiden<br />

verkehrt nicht in den Schulferien.<br />

Sie sind in Weiden um 8 Uhr 50.<br />

Um 13 Uhr geht der Bus eines Privatunternehmens<br />

von Weiden über Möllen-Forst-Ohle nach Schray.<br />

(Nach Schray und Ohle fährt der Bus weiter nur<br />

nach Bedarf.)<br />

Sie sind in Schray um 14 Uhr 50.<br />

Zwischen Schray und Trompet verkehrt um diese<br />

Zeit ein Milchwagen, der bei Bedarf auch<br />

Personen befördert.<br />

In Trompet können sie gegen 1 Uhr sein.<br />

Zwischen Trompet und Stock gibt es keine<br />

Kraftverkehrslinie.<br />

Zu Fuß können Sie gegen 17 Uhr 30 in Stock<br />

sein.“<br />

„Im Winter ist es dann schon wieder dunkel?“<br />

„Im Winter ist es dann schon wieder dunkel.“<br />

Peter Handke


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jadahabenwirdasallezusammengetan<br />

inBremen<br />

jadahabenwirdasallezusammeninBremengetan<br />

unddassokurzvorWeihnachten<br />

Helmut Heißenbüttel


Begegnung<br />

Und neulich traf sich's auf der Reise:<br />

du bogst dein bleiches Angesicht<br />

am Fenster vor und nicktest leise -<br />

dann pfiff der Zug; du sahst mich nicht.<br />

War's so, daß wir uns finden sollten<br />

nach langer Irrfahrt wunderlich?!<br />

Ich weiß nicht, wem dein Gruß gegolten,<br />

und nahm ihn lächelnd an - für mich.<br />

Clara Müller-Jahnke


Stufen<br />

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend<br />

dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,<br />

blüht jede Weisheit auch und jede Tugend<br />

zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.<br />

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe<br />

bereit <strong>zum</strong> Abschied sein und Neubeginne,<br />

um sich in Tapferkeit und ohne Trauern<br />

in andre, neue Bindungen zu geben.<br />

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,<br />

der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.<br />

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,<br />

an keinem wie an einer Heimat hängen,<br />

der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,<br />

er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.<br />

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise<br />

und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,<br />

nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,<br />

mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.<br />

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde<br />

uns neuen Räumen jung entgegen senden,<br />

des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...<br />

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!<br />

Hermann Hesse


Warten<br />

Wir tun’s am Treffpunkt in Fahrstülen und in der U-bahn<br />

wir tun es vor geschlossenen Schranken und vor Computern<br />

wir tun’s an Zapfsäulen, in Apotheken und an Tanken,<br />

wir tun’s im Stadtverkehr, an Baustell’n und an Ampeln,<br />

wir tun’s vor Kaffeemaschinen, vorm Ofen und vorm Toaster,<br />

wir tun’s auf Parkbänken oder zu Hause auf‘m Sofa,<br />

wir tun’s in Discos, an der Bar und an den Garderoben,<br />

wir tun’s im Fußballstadion und in Theater Logen,<br />

wir tun’s im Supermarkt, auf dem Arbeitsamt oder am Hafenbecken,<br />

wir tun’s in Eingangshallen, Hotellobbys und Straßenecken,<br />

wir tun’s bei uns daheim allein oder mit andern Menschen,<br />

wir tun’s an Kinokassen, Bahnhöfen und Landesgrenzen,<br />

wir tun es ständig auch Nachts beim Schafe zähl’n,<br />

wir tun’s an Ladentheken bei Autopannen in Straßengräben,<br />

wir tun es vor Konzerten hinter Boxen und Bühnen,<br />

wir tun es am Parkplatz und vor verschlossenen Türen,<br />

wir tun es im Restaurant und am Buffet mit leerem Magen,<br />

Fraun tun es vor Klos, Männer tun es während Frauen sich fertig machen,<br />

wir tun’s bei Regen und bei Sonnenschein,<br />

wir tun’s im Kindergarten und im Seniorenheim,<br />

wir tun’s vor Mikrowellen, Achterbahn und vorm Weihnachtsbaum,<br />

unter Vordächern von Fachgeschäften und Bettdecken voll weicher Daunen,<br />

wir tun’s vor Fensterscheiben und hinter der Tür,<br />

und beim Arzt gibt es sogar ‘n eig’nes Zimmer dafür,<br />

wir warten<br />

ständig irgendwo und verschwenden zu viel zeit<br />

wir warten<br />

fragen uns wann ist es endlich so weit<br />

und wir warten<br />

es macht uns müde, es macht uns schläfrig<br />

wir warten<br />

und ab und zu warten wir sogar mal vergeblich<br />

Blumentopf


Es war einmal ein Mann, der lebte in einer sehr großen Stadt und fuhr täglich<br />

mit der S-Bahn zur Arbeit. Sein Hund begleitete ihn <strong>zum</strong> Bahnhof und wartete<br />

dort den ganzen Tag auf dem Vorplatz, bis sein Herr abends mit der S-Bahn<br />

wieder zurückkam.<br />

Das ging so Tag für Tag und Jahr um Jahr, bis der Mann starb. Der Hund aber<br />

ging weiter jeden Morgen <strong>zum</strong> Bahnhofsplatz und wartete dort auf die Rückkehr<br />

seines Herrn. Und auch das ging so Tag für Tag und Jahr um Jahr, bis der Hund<br />

eines Tages selber starb.<br />

Wie der Mann hieß, weiß keiner mehr. Die Stadt aber heißt Tokio, der Bahnhof<br />

Shibuya und der Hund Hachiko. Die Leute von Tokio, die sonst nicht sonderlich<br />

sentimental sind, fanden Hachikos Treue so rührend, dass sie ihm auf dem<br />

Bahnhofsplatz von Shibuya ein Denkmal setzten.<br />

Und also wartet Hachiko immer noch dort, auf einem steinernen Sockel,<br />

lebensgroß und in Bronze. Kein Wunder, dass dies Denkmal inzwischen der<br />

berühmteste und beliebteste Treffpunkt in Tokio geworden ist. „Wir treffen uns<br />

am Hachiko“, heißt es hier immer wieder, wenn man sich nicht verpassen will.<br />

Besonders gegen Abend, wenn die Neonwände an den Geschäftshäusern in Shibuya<br />

die schnell fallende Dämmerung verschlucken und die Stadt in ein flimmerndes<br />

Ornament des Lichts verwandeln, wenn die Heere der Angestellten in ihren<br />

korrekten Business-Suits aus den Büros quellen und auf den Straßen hektisch<br />

wogende Massenmuster bilden, wenn der Vorplatz und der Shibuya-Bahnhof in der<br />

Energie dieser Massen zu vibrieren beginnen, schlägt Tag für Tag Hachikos<br />

große Stunde.<br />

Umlagert von Wartenden, manche geduldig lesend oder auf einer der runden Bänke<br />

aus Stahlrohr vor sich hin dösend, manche nervös auf und ab gehend und immer<br />

wieder zur Uhr schauend, sitzt Hachiko, den Blick auf den Bahnhofsausgang<br />

gerichtet, die Ohren aufmerksam gespitzt, auf seinem Sockel. Er weiß, was<br />

Warten bedeutet, und er weiß auch, dass es auf fünf Minuten früher oder später<br />

nicht ankommt.<br />

In einer Stadt, in der Pünktlichkeit des Nahverkehrs so wichtig und zugleich<br />

so märchenhaft präzise ist, wie es die Deutsche Bundesbahn sich höchstens noch<br />

in der Werbung träumen lässt, wirkt diese Geste geduldiger Gelassenheit fast<br />

anachronistisch. Und es ist vielleicht gerade die Erinnerung an gar nicht so<br />

sehr ferne Zeiten, in denen die Zeit noch nicht so gnadenlos den Takt und<br />

Rhythmus dieser Stadt diktierte, dass die Leute sich so gern am Hachiko<br />

treffen.<br />

Klaus Modick


Interessante Unterhaltung<br />

„So, heut hättens Zeit? Also gehns mit.“<br />

„Wohin?“<br />

„Irgendwohin.“<br />

„Ja, da war ich schon einmal.“<br />

„So?“<br />

„Ja!“<br />

„So, da warn Sie schon einmal.“<br />

„Ja, öfters schon!“<br />

„Ja, dann hat’s keinen Sinn, ich hab gemeint, Sie<br />

warn überhaupt noch nicht dort.“<br />

„Nein!Nein! Überhaupt schon gleich gar nicht.“<br />

„Da müssen Sie schon entschuldigen, das hab ich<br />

nicht gewusst.“<br />

„Selbstverständlich, das haben Sie ja nicht wissen<br />

können.“<br />

„Na, das will ich grad nicht sagen – der Haas war<br />

ja auch noch nicht drüben.“<br />

„Der Haas auch noch nicht?“<br />

„Nein.“<br />

„Von dem hätte ich das nicht vermutet. – So, der<br />

war auch noch nicht dort?“<br />

„Ja - ich kann’s nicht mit Sicherheit sagen –<br />

vielleicht war er vorher schon einmal dort.“<br />

„Das kann auch sein.“<br />

„Der Haas ist eben so ein Mensch, wenn der sagt,<br />

er geht da und da hin, dann geht er auch hin!“<br />

„Sind Sie dann hingegangen?“<br />

„Ja – bin aber nicht lange dort geblieben.“<br />

„Das ist lange genug.“<br />

„Das stimmt! – Zeit ist Geld!“<br />

„Nein – das stimmt nicht! – Zeit hab ich genug,<br />

aber kein Geld! Wenn ich so viel Geld hätt, wie<br />

Zeit, dann hätt ich mehr Geld wie Zeit.“<br />

„Dann hätten Sie keine Zeit mehr, dass Sie mit mir<br />

wohin gehen.“<br />

„Dann nicht, aber heut hätt ich noch Zeit.“<br />

Karl Valentin


Und auf einmal steht es neben dir<br />

Und auf einmal merkst du äußerlich:<br />

Wieviel Kummer zu dir kam,<br />

Wieviel Freundschaft leise von dir wich,<br />

Alles Lachen von dir nahm.<br />

Fragst verwundert in die Tage.<br />

Doch die Tage hallen leer.<br />

Dann verkümmert Deine Klage ...<br />

Du fragst niemanden mehr.<br />

Lernst es endlich, dich zu fügen,<br />

Von den Sorgen gezähmt.<br />

Willst dich selber nicht belügen<br />

Und erstickst, was dich grämt.<br />

Sinnlos, arm erscheint das Leben dir,<br />

Längst zu lang ausgedehnt. - - -<br />

Und auf einmal - -: Steht es neben dir,<br />

An dich angelehnt - -<br />

Was?<br />

Das, was du so lang ersehnt.<br />

Ringelnatz


Volle Züge<br />

Ein Mensch, der sonst zwar das Vergnügen<br />

Recht gern genießt in vollen Zügen,<br />

Legt grad beim Reisen, umgekehrt<br />

auf volle Züge wenig wert.<br />

Eugen Roth


fabian<br />

fabian<br />

sagte fabian<br />

ich bin fabian<br />

und du bist fabian<br />

wir sind beide fabian<br />

sagte fabian<br />

zu fabian<br />

wer ist nun fabian<br />

fabian<br />

sagte fabian<br />

Gerhard Rühm


Allerlei Bahnen<br />

Die U-Bahn fährt <strong>zum</strong>eist verborgen<br />

und hoffentlich auch übermorgen.<br />

E-Züge bringen’s ziemlich weit<br />

mit ihrer Eilgeschwindigkeit.<br />

Die A-Bahn allerdings fährt nur<br />

in einer Abenteuerspur.<br />

Die I-Bahn und die O-Bahn fahren<br />

fast ohne Licht, um Strom zu sparen.<br />

Und wer da fragt mit strenger Miene:<br />

“Auf welcher Strecke, welcher Schiene?”<br />

und gar behauptet: “I- und Ound<br />

A-Bahnen gibt es nirgendwo” -<br />

der kann nicht das geringste ahnen<br />

von Achter- und Gespensterbahnen.<br />

Hans Baumann


Miniatur 493<br />

Zum Beispiel die Monika Lübstedt. Kennen sie vielleicht.<br />

Kommt die neulich zu mir und geht so komisch. Warum? Weil sie neue<br />

Öhrchen hat! Damit man das auch sieht. Mit Lasertechnik! Hat sie<br />

sich ihre Läppchen runden lassen und den Knorpel hinten etwas<br />

mehr, so daß die Dinger jetzt weiter vom Kopf weg und die Läppchen<br />

kommen besser zur Geltung.<br />

Modell Fledermaus.<br />

Das fing ja bei ihr damals alles an, als sie sich die<br />

Wangenknochen hat abschleifen lassen. Unf jetzt macht die alles<br />

mit! Was das Neuste ist – letzte Woche hat sie noch die Nase<br />

“Cleopatra” – ägyptisch, muß gerade sein – und jetzt läßt sie<br />

diese Woche “Mohammed Ali” richten. Weil die Mode so schnell<br />

anders geht.<br />

Die hat extra dafür zuhause eine chirurgische Zeitung! Was Mode<br />

ist, was in Mode kommt – da läßt die sich auch einen Pickel<br />

setzen, wenn das dran ist. Die macht alles mit. Die hat<br />

Schaumgummi in den Lippen! Also das könnte ich nicht. Ich meine,<br />

das ist zwar alles abgedichtet und da kann auch nichts passieren,<br />

aber…<br />

Neulich hat sie ihren ehemaligen Mann wiedergetroffen und der ist<br />

vorbeigelaufen. Der hat sie nicht mehr erkannt.<br />

Jetzt sagen sie mal was!<br />

Friedhelm Kändler


Perhaps Strange<br />

The world is full of goods trains<br />

The passengers are cows<br />

And milk and butter.<br />

And cheese and lovely marmalade<br />

And bulls and horses,<br />

And cocks and hens.<br />

The cow is mother to the milk,<br />

And grandma both to cheese and butter.<br />

The cheese is cousin to the marmalade.<br />

The horse is cousin to the cock<br />

The hen lays eggs.<br />

The egg is cousin to the cheese and<br />

butter,<br />

The son and daughter of the milk.<br />

Isn't it strange?<br />

It is.<br />

Kurt Schwitters


Herzstück<br />

EINS Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen.<br />

ZWEI Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen.<br />

EINS Mein Herz ist rein.<br />

ZWEI Das werden wir ja sehen.<br />

EINS Ich kriege es nicht heraus.<br />

ZWEI Wollen Sie, dass ich Ihnen helfe.<br />

EINS Wenn es Ihnen nichts ausmacht.<br />

ZWEI Es ist mir ein Vergnügen. Ich kriege es auch nicht<br />

heraus.<br />

EINS heult.<br />

ZWEI Ich werde es Ihnen herausoperieren. Wozu habe ich<br />

ein Taschenmesser. Das werden wir gleich haben. Arbeiten<br />

und nicht verzweifeln. So, das hätten wir. Aber das ist<br />

ja ein Ziegelstein. Ihr Herz ist ein Ziegelstein.<br />

EINS Aber es schlägt nur für Sie.<br />

Heiner Müller


Begegnung mit Frau Blomkvist


“Wozu nur immer dieses Lametieren über unglückliche Ehen?” meinte der junge, frisch verheiratete Reporter zu seinem vom Leben gegerbten REdakteur. “Es sind doch nur<br />

Prominete, die an der Ehe scheitern! Meiner Erfahrung nach ist doe Ehe sie beste Form des Zusammenlebens. Wenn du gestattest, werde ich mich auf Straßen und Plätzen<br />

umsehen, wie es darum bestellt ist. Unter normalen Leuten. DAnn glaube ich, das Hohe Lied der Liebe nieder schreiben zu können, bis sich die Zeitungsspalten<br />

purpurrot färben.” “Tu das”, sagte der gegerbte Redakteur. “Ja, denn wir brauchen ein Gegengewicht zu all diesem Herumunken”, sagte der Reporter und verschwand mit<br />

federnden Schritten im Straßengewühl. Dort begegnete er Frau Blomkvist. Sie war so normal, wie man sich das nur wünschen konnte. Ein kleines, rundliches Frauenzimmer<br />

mit rissiger Haut und strähnigem Haar in ausgetretenen Schuhen und einem fürchterlichen Mantel, der ü ber dem Bauch spannte. Aber schließlich hatte er es nicht auf<br />

langbeinige Mannequins mit Glitzeraugen abgesehen, der Herr Reporter, und deswegen eilte er nun mit einem unterwürfigen Lächeln auf Frau Blomkvist zu, die gerade vor<br />

einem Schaufenster stehengeblieben war. Er erklärter ihr wo er herkomme und bat, ein paar Fragen stellen zu dürfen. Es sei für die Leser seiner Zeitung<br />

auserordentlich wertvoll, zu erfahren, wie es um die Ehe von ausgerechet Frau Blomkvist bestellt sei. “Meine erste Frage - sind Sie der Meinung, dass sie glücklich<br />

verheiratet sind?” Frau Blomkvist betrachtetet ihn eingehend, und ihre Augen nahmen einen leicht hinterhätligen Ausdruck an. “Muss man darüber eine Meinung haben?<br />

Ich meine, dass ich verheiratet bin, das muss reichen. Und das meint Herr Blomkvist auch. Jedenfalls manchmal!” Der Reporter lächelte freundlich, um sie nicht in<br />

die Flucht zu schlagen. “Ihr Mann, er ist doch wohl nett zu Ihnen?” “Ja, natürlich”, sagte Frau Blomkvist, “solange er nüchtern ist!” Jetzt sah der Reporter eine<br />

Spur beunruhigt aus. “Kommt es denn vor, dass er nicht nüchtern ist?” Aber Frau Blomkvist hörte nicht richtig hin. “Was haben Sie gesagt... Doch, natürlich kommt es<br />

vor, dass er nüchtern ist!” “Es kommt also vor, dass er nüchtern ist?” rief der Reporter. “Nun ja, vielleicht nicht so oft”, sagte Frau Blomkvist,”aber voriger Woche<br />

beispielsweise, da hat er eine richtige Rosskur durchgemacht und die ganze Zeit keinen Tropfen angerührt, abgesehen von Freitag natürlich. Da hat er wieder<br />

angefangen, und dann hat er wie immer die Kinder aus dem Fenster geworfen.” Der Reporter rang nach Luft. “Das kann doch wohl nicht wahr sein? Die armen Kleinen!”<br />

Frau Blomkvist machte eine beschwichtigende Handbewegung. “Ach, das sind die gewöhnt. Sie fligen mindestens einmal die Woche raus. Und das ist keine Katastrophe,<br />

denn glücklicherweise wohnen wir im Erdgeschoss.” “Aber das müssen wir doch dem Jugendamt melden”, sagte der Reporter aufgebracht, “misshandelt er Sie etwa auch?”<br />

Frau Blomkvist schüttelte den Kopf. “Nein, eigentlich nicht. Natürlich kommt es manchmal vor, dass er mich mit Hausrat bewirft, wenn er sein Quantum intus hat. Aber<br />

in letzter Zeit war es ziemlich ruhig, denn mittlerweile hat er so gut wie alles kurz und klein geschlagen.” Dann kicherte sie. “Er ist schon lustig, mein Blomkvist!<br />

Wenn er seinen Lohn bekommt, hat er gesagt, will er zu Tempo gehen, um ein paar bilige Sachen zu kaufen, damit er nicht vollkommen aufgeschmissen ist, wenn er das<br />

nächste Mal wütend wird.” An diesem Punkt sah der Reporter ein, dass daraus kein Hohes Lied der Liebe werden würde, bei dem sich die Spalten der Zeitung purpurrot<br />

färbten. Aber schließlich wollte er der Ehe von Frau Blomkvist auf den Grund gehen. Irgendwelche Lichtblicke mussten doch auch dort zu finden sein. “Wie viele Kinder<br />

haben Sie?” fragte er. “Tja”, sagte Frau Blomkvist nachdenklich, “ so zehn, zwölf Stück werden’s wohl sein, wenn man nachrechnet.” “Machen Sie sich über mich<br />

lustig?”, frage der Reporter, “wissen Sie etwa nicht wie viele Kinder Sie haben?” “Doch, verflixt, klar weiß ich das, wenn ich nachdenke. Auf alle Fälle ist da<br />

einer, der heißt Elof, und einer, der heißt Algot, und dann sind da offenbar noch zwei, die Karna heißen, glaube ich...” Sie schwieg und dachte nach. “Nee, es heißt<br />

wohl nur einer Karna, ich will nicht schwindeln! Also, da hätten wir schon mal drei Jungs, Elof, Algot und Karna. Nein, wie dumm von mir! Karna muss ja trotz allem<br />

ein Mädchen sein. Aber sie sehen alle gleich aus, der ganze Haufen, da ist es ganz schön schwer zu erraten, wer da was ist. Ja, und dann kommen noch ein paar Jungs<br />

und ein paar Mädchen, bunt gemischt durcheinander, und zu allerletzt die Kleine, die schlielt, na, wie hieß sie noch? Fia, richtig, die kleine Fia, doch, ich weiß<br />

nämlich, dass es insgesamt ein Dutzend Kinder sind.” Der Reporter schwieg eine gute Weile, dann sagte er mit mutloser Stimme: “Dann ist es wohl schrecklich eng bei<br />

IHnen zu Hause?” “Nein, das würde ich so nicht sagen, wie haben eine richtig geräumige Einzimmerwohnung”, erwiderte Frau Blomkvist stotz. “Eine richtig geräumige<br />

Einzimmerwohnung?” schrie der Reporter auf, als sei er gestochen worden. “Wohnen Sie zu vierzehnt in einer Einzimmerwohnung?” “Nein, insgesamt sind wir fünfzehn.<br />

Blomkvist hat nämlich noch eine kleine Geliebte, mit der er nachts das Bett teilt. Sie müssen aber bedenkten, dass meine Schwiegermutter in der Küche schläft, die<br />

zählt also nicht!” Nun begann es dem Reporter, wie immer, wenn er sich überanstrengt hatte, in den Ohren zu rauschen. “Wollen Sie damit behaupten, dass Ihr Mann eine<br />

andere Frau bei sich wohnen hat?” “Klar doch”, sagte Frau Blomkvist, “aber das ist erlaubt, nach Altem Testament und Eherecht, behauptet Blomkvist. Und er macht das<br />

nur aus Freundschaft, sagt er. Er hält nämlich viel von Freundschaft.” ... Der Reporter hatte nun jegliche Hoffnung aufgegeben, noch auf irgendwelche Lichtblicke in<br />

Frau Blomkvists Eheleben zu stoßen, und fuhr mit Todesverachtung fort: “Ja, und wie sieht es mit Haushaltsgeld aus? Bekommen Sie ausreichend von Ihrem Mann?” Da<br />

lachte Frau Blomkvist gellend. “Haushaltsgeld! Vom Blomkvist? Da kennen Sie ihn aber schlecht!” “Ja, aber wie um Himmels Willen kommen Sie denn dann über die<br />

Runden?” wunderte sich der Reporter. “Ich verkaufe die Flaschen, die Blomkvist ausgetrunken hat. Und das muss man ihm zugute halten, ich darf jedes Öre davon<br />

behalten. Und wenn er schläft, nehme ich mir ab und zu einen Zehner aus seinem Geldbeutel, das heißt, wenn nicht gerade seine Geliebte wach liegt und mir auflauert.<br />

Denn dann schlägt sie mir auf die Finger und zischt mir das siebte Gebot zu: Du sollst nicht stehlen!” “Dann könnten Sie ihr vielleicht das sechste entgegenhalten”,<br />

schlug der Reporter vor. Aber Frau Blomkvist erwiderte streng, wolle man eine glückliche Ehe führen, so dürfe man nicht kleinlich sein. Nein, nein, ich breche keinen<br />

Streit vom Zaun, ich setzte mich wieder friedlich aud meinen Küchenstuhl in der Ecke und schlafe ein wie ein braves Kind” Der Reporter war nun fast den Tränen nahe...


Taktische Reminiszenzen<br />

Angenommen eins hat Lust nach vorn und ein anderes hat Lust nach hinten so bedeutet das noch nicht dass<br />

alle entweder Lust nach vorn oder Lust nach hinten haben sondern es beliebt ein Rest von dem sich nicht<br />

sagen lässt ob er Lust nach vorn oder hinten hat und von dem sich auch nicht sagen lässt ob er keine<br />

Lust nach vorn oder hinten hat man kann daher diejenigen die sich nach vorn drängeln und die die sich<br />

lieber hinten halten ganz leicht voneinander unterscheiden nicht aber den Rest der ja wenn es ihm<br />

einfällt nicht in der Mitte bleiben braucht sondern auch einmal Lust nach vorn oder hinten haben kann<br />

oder man sagt es gibt grundsätzlich welche die in den Vordergrund und welche die in den Hintergrund<br />

treten und außerdem noch welche die weder noch oder sowohl als auch und über die einen wie die andern<br />

ist nicht viel mehr zu sagen aber der Rest ist unberechenbar opportunistisch (politisch)<br />

nonkonformistisch (auch politisch) indifferent (moralisch) unabhängig (auch moralisch) arme Schweine<br />

(theologisch) nun erkennt man aber erst die wahre Bedeutung des Ganzen wenn man annimmt daß die einen und<br />

die andern und der Rest vertauschbar sind d.h. nicht wörtlich und direkt (denn die nach vorn<br />

Gelüstenden bleiben immer die nach vorn Gelüstenden und die nach hinten Tretenden immer die nach hinten<br />

Tretenden) sondern es ist nicht immer die gleich Anzahl man kann dabei den indifferenten Rest entweder<br />

als Durchgangsstation oder als Reservoir ansehn beides jedoch ist nicht so wichtig wie die Möglichkeit<br />

daß eine Seite alles aufsaugen kann daß es nämlich (mindestens theoretisch) vorkommen kann daß es nur<br />

noch welche gibt die Lust nach vorn haben oder nur noch welche die Lust nach hinten haben oder nur noch<br />

welche die zu nichts von beiden oder zu allem beiden Lust haben aber diese Möglichkeit bedeutet im<br />

Grunde nur daß das Ganze nicht stillsteht sondern sich in einer zwar meistens trägen doch<br />

ununterbrochenen Bewegung befindet in der ständig welche in den Vordergrund und welche in den<br />

Hintergrund treten während ein Rest noch unentschlossen ist ob er vor oder zurück will kompliziert wird<br />

das Ganze erst wenn man der einen Bewegung vor und zurück noch eine andere nach rechts und links und<br />

eine dritte nach oben und unten hinzufügt allerdings ergäbe das dann erst das richtig Modell an dem man<br />

erkennen könnte wozu die Leute eigentlich wirklich Lust haben<br />

Helmut Heißenbüttel


© Kristina Wagg 2008

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