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Beispiel einer Seminararbeit - auf der Homepage von Oliver Götze

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Der folgende Text zeigt beispielhaft, wie eine <strong>Seminararbeit</strong> geglie<strong>der</strong>t,<br />

formuliert und richtig belegt werden kann. Er wurde im Jahr 2001 verfasst<br />

und seither nicht aktualisiert, gibt also we<strong>der</strong> den aktuellen<br />

Forschungsstand wie<strong>der</strong> noch beweist er eine beson<strong>der</strong>e stilistische Finesse.<br />

Für neuere Informationen berücksichtigen Sie bitte meine Dissertation „Der<br />

öffentliche Kosmos“, voraussichtliche Veröffentlichung: Februar 2010.


TECHNISCHE UNIVERSITÄT BERLIN<br />

FACHBEREICH GESCHICHTS- UND KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFTEN<br />

FACHRICHTUNG NEUERE GESCHICHTE<br />

Über die Investitur des Borso d'Este<br />

zum Markgrafen <strong>von</strong> Ferrara<br />

Sommersemester 2001<br />

Hausarbeit zum Hauptseminar „Italienische Städterepubliken“<br />

Dozent: Prof. Dr. V. Hunecke<br />

Vorgelegt <strong>von</strong>:<br />

<strong>Oliver</strong> <strong>Götze</strong><br />

Matrikelnummer: 187662<br />

Berlin, den 18.08.01


Inhalt<br />

1. Einleitung ....................................................................................<br />

2. Ferrara in <strong>der</strong> Mitte des Quattrocento (Hauptteil)……………...<br />

2.1. Der Consiglio de XII Savi .......................................................<br />

2.2. Des Rates Wahl .......................................................................<br />

2.3. Die Tugenden Borsos ..............................................................<br />

2.4. Hof und Gesellschaft unter Borso d'Este ................................<br />

3. Schluss.........................................................................................<br />

4<br />

5<br />

5<br />

7<br />

9<br />

14<br />

18<br />

Literatur ..........................................................................................<br />

21<br />

- 3 -


Über die Investitur des Borso d'Este zum Markgrafen <strong>von</strong> Ferrara<br />

1. Einleitung<br />

Im Herbst 1450, als die ersten Blätter <strong>von</strong> den Bäumen fielen und in <strong>der</strong> Poebene die Ernte<br />

eingefahren werden musste, konnten die Bürger <strong>der</strong> oberitalienischen Stadt Ferrara einem seltenen<br />

Ereignis beiwohnen: 1 An einem Oktobernachmittag, nur wenige Stunden nach dem Tode des<br />

Markgrafen Leonello, ritt sein Bru<strong>der</strong> Borso d'Este in Begleitung einiger Anhänger <strong>von</strong><br />

Belriguardo, <strong>der</strong> unweit <strong>von</strong> Voghenza erbauten, vielfach besungenen Lieblingsvilla <strong>der</strong> Este,<br />

durch das <strong>von</strong> vielen kleinen Kanälen durchzogene, üppig sumpfige Contado nach Ferrara. Einer<br />

vorher mit dem Consiglio de XII Savi, dem Stadtkonzil, vereinbarten Prozedur gemäß, stoppte <strong>der</strong><br />

Reiter außerhalb <strong>der</strong> Stadtmauern in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> alten byzantinischen Kathedrale und wurde dort<br />

<strong>von</strong> <strong>einer</strong> jubelnden Menge mit Rufen "Viva Borso!" und "Borso marchese!" begrüßt. Aus dieser<br />

Menge trat sodann Agostino da Villa, <strong>der</strong> Guidice de Savi, und geleitete den jungen Mann in die<br />

Kathedrale, um ihn vor dem Altar im Beisein aller Räte zum Markgrafen auszurufen und ihm die<br />

Insignien des Signorats zu überreichen. Freudig nahm Borso diese entgegen, versprach, stets ein<br />

guter Herrscher zu sein, und kleidete sich nun in ein mit Gold und Edelsteinen besetztes<br />

Brokatgewand. Anschließend bestieg er sein weißes Lieblingspferd Aethon, überquerte den Po <strong>auf</strong><br />

<strong>der</strong> Ponte di San Giorgio und gelangte durch die Porta di Sotto in die Straßen <strong>der</strong> Altstadt, an<br />

<strong>der</strong>en Seiten sich die Bürger versammelt hatten, um zu winken o<strong>der</strong> Blumen zu werfen. Der neue<br />

Stadtherr lächelte freundlich zurück, reichte seinen Untertanen die Hand zum Kuss und<br />

durchquerte <strong>von</strong> Trompetenklängen begleitet die Via Grande und die Via San Paolo bis zur Piazza<br />

del Duomo. Vor <strong>der</strong> pittoresken Kathedrale stiegen er und sein Gefolge <strong>von</strong> den Pferden und<br />

mussten viel Mühe <strong>auf</strong>wenden, um sich durch die Menge einen Weg zum Hochaltar zu bahnen,<br />

vor dem bereits <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> des Herzogs <strong>von</strong> Mailand und an<strong>der</strong>e Adlige warteten. Noch einmal<br />

sprach <strong>der</strong> Guidice de Savi und legte den Treueschwur für die Bürger <strong>von</strong> Ferrara ab, bevor auch<br />

die Herren aus Modena und Reggio, den neben Ferrara größten Städten des estensischen<br />

Herrschaftsgebietes, dem Signore ihre Loyalität versicherten. In <strong>einer</strong> kurzen Ansprache dankte<br />

Borso dann den Anwesenden und verließ als neuer Signore die Kathedrale, um seine Gemächer im<br />

Castel Vecchio, einem <strong>der</strong> Stadtpaläste <strong>der</strong> Este, <strong>auf</strong>zusuchen.<br />

Die oben beschriebene Amtseinsetzung Borsos wurde <strong>von</strong> verschiedenen ferraresischen<br />

Chronisten überliefert, weil <strong>der</strong> neue Signore kein legitimer Erbe, son<strong>der</strong>n ein in <strong>der</strong> Erbfolge<br />

ursprünglich nicht berücksichtigter Bastard des Marchesen Niccolo III. (reg. 1393-1441) war.<br />

1<br />

Zu <strong>der</strong> folgenden Schil<strong>der</strong>ung vgl. Charles Rosenberg, The Este monuments and urban development in<br />

Renaissance Ferrara, Cambridge 1997, S. 80ff und Walther Ludwig, Die Borsias des Tito Strozzi, Ein lateinisches<br />

Epos <strong>der</strong> Renaissance, München 1977, S. 264-267.<br />

- 4 -


Dieser Markgraf verfügte in seinem Testament, sein Sohn und Nachfolger Leonello sollte durch<br />

die eigenen Söhne o<strong>der</strong> die legitimen Söhne seines Vaters beerbt werden. Dennoch entschied sich<br />

das Stadtkonzil gegen die rechtmäßigen Nachfolger Niccolo di Leonello, Sigismondo und Ercole<br />

und offerierte nach kurzer Beratung Borso die Markgrafschaft. Dieser nahm das Angebot an und<br />

demonstrierte mit dem erwähnten öffentlichen Triumphzug sowohl seine Machtübernahme, als<br />

auch den Anschein, er sei <strong>der</strong> vom Volk gewünschte Herrscher. Nur wenige Wochen später<br />

annullierte Papst Nikolaus V., <strong>der</strong> um einen mächtigen Pufferstaat zwischen dem Patrimonium<br />

Petri und den Territorien <strong>von</strong> Venedig und Mailand bemüht war, in <strong>einer</strong> Bulle die Ansprüche<br />

Niccolo di Leonellos und erkannte Borso als legitimen Markgrafen an.<br />

In den folgenden Jahren versuchten einige am Hofe <strong>der</strong> Este lebende Autoren, die Gunst des<br />

neuen Regenten zu erlangen, indem sie ihm Werke widmeten, in denen die Rechtmäßigkeit <strong>der</strong><br />

Investitur bewiesen wurde, so Frater Giovanni, welcher eine Historie <strong>der</strong> Familie Este verfasste,<br />

und Michele Sa<strong>von</strong>arola, <strong>der</strong> in seinem Dialog "De felice progresso di Borso d'Este" über<br />

Umstände <strong>der</strong> Wahl berichtete. Tito Strozzi, ein <strong>von</strong> Borso bevorzugter Dichter, vollendete erst<br />

nach dem Tode des Markgrafen sein Epos "Borsias", in welchem er den Lebensweg Borsos <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Kindheit bis zur Regentschaft literarisch ausschmückte und gleichfalls eine Version <strong>der</strong><br />

Investitur überlieferte. Mittels dieser drei Autoren kann die Abfolge <strong>der</strong> Geschehnisse <strong>von</strong> 1450<br />

nachvollzogen werden, doch es stellen sich weitere Fragen, so nach dem Recht <strong>der</strong> Ferrareser<br />

Stadtkommune, <strong>auf</strong> die Erbfolge <strong>der</strong> Este Einfluss zu nehmen, und nach den Gründen des<br />

Konzils, Borso die Signorie anzutragen. Im Folgenden sollen deshalb sowohl die politischen<br />

Verhältnisse Ferraras als auch die Regierungszeit Borsos (1450-1471) genauer betrachtet und ein<br />

Blick <strong>auf</strong> das Leben am Hofe geworfen werden, um zu klären, inwiefern <strong>der</strong> Makel <strong>der</strong> illegitimen<br />

Erbfolge die markgräfliche Politik beeinflusste.<br />

2. Ferrara in <strong>der</strong> Mitte des Quattrocento (Hauptteil)<br />

2.1. Der Consiglio de XII Savi<br />

Wie in an<strong>der</strong>en oberitalienischen Städten auch, trat <strong>der</strong> Consiglio de XII Savi erstmals im frühen<br />

zwölften Jahrhun<strong>der</strong>t zusammen, als we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erzbischof <strong>von</strong> Ravenna noch <strong>der</strong> Kaiser ihre<br />

Herrschaftsrechte in <strong>der</strong> <strong>von</strong> den Familienkämpfen <strong>der</strong> Adelardi und Torelli geprägten Poregion<br />

durchsetzen konnten. Die lokale gesellschaftliche Elite nahm deshalb vermehrt öffentliche<br />

Aufgaben wahr und schuf zu diesem Zweck lokale Ämter, so den Stadtrat <strong>der</strong> Zwölf. Doch<br />

während in an<strong>der</strong>en italienischen Kommunen eine einflussreiche K<strong>auf</strong>mannschaft politisch aktiv<br />

wurde, konnte sich <strong>der</strong> Popolo in Ferrara nicht entwickeln. 2 Vielmehr gelang es den Este durch<br />

2 Vgl. Trevor Dean, Land and power in late medieval Ferrara, Cambridge 1988, S. 11f.<br />

- 5 -


eine kluge Vergabe <strong>von</strong> Benefizien und Pfründen an lokale Adlige, sich loyaler Anhänger zu<br />

versichern, welche zuverlässig die kommunalen Ämter in den größeren Städten (Ferrara, Reggio,<br />

Modena, Rovigo, Comacchio) verwalteten. Dementsprechend setzte sich auch <strong>der</strong> Consiglio de<br />

XII Savi aus Vasallen des Markgrafen zusammen, 3 während die Händler und Bürger Ferraras nur<br />

geringen Einfluss besaßen. Ihre Zünfte waren gewöhnlich klein und spezialisiert, so die Kürschnero<strong>der</strong><br />

die Bäckerzunft, und kämpften gegen die Vormacht <strong>der</strong> venezianischen Händler, welche <strong>von</strong><br />

den Este als Dank für militärische Unterstützung <strong>der</strong> Serenissima verschiedene Monopole und<br />

Vergünstigungen gewährt bekommen hatten, so Steuerbefreiungen, Kontrolle über die Schifffahrt<br />

<strong>auf</strong> dem Po und das Salzmonopol. Die Ferrareser Händler hingegen mussten sich mit<br />

ökonomischen Nischen zufrieden geben und konnten sich deshalb we<strong>der</strong> zu <strong>einer</strong> einflussreichen<br />

Händlerzunft zusammenschließen, noch waren sie zur politischen Opposition fähig 4 . Die<br />

Markgrafen nutzten diesen Vorteil. Sie konnten letztlich <strong>auf</strong> die Besetzung <strong>der</strong> kommunalen Ämter<br />

Einfluss nehmen, indem sie ihren Vertrauten durch Benefizien eine Kandidatur ermöglichten o<strong>der</strong><br />

sie selbst ernannten, so den Ratspräsidenten (Guidice de Savi) in Ferrara. 5 Außerdem sicherten die<br />

Este ihre Herrschaft, indem sie parallel zu den städtischen Ämtern neue Behörden schufen, denen<br />

sie wichtige kommunale Aufgaben übertrugen. So for<strong>der</strong>ten die Mitarbeiter <strong>der</strong> markgräflichen<br />

Finanzkammer (camera) die Steuern ein und erledigten die Kanzler des Signore außenpolitische<br />

Aufgaben, während die Befugnisse des Stadtkonzils stetig gemin<strong>der</strong>t und <strong>auf</strong> die Zuständigkeit für<br />

die öffentlichen Gebäude und Anlagen, sowie die Nahrungsversorgung reduziert wurden. 6 Da<br />

jedoch viele kommunale Amtsträger dem lokalen Adel entstammten und zumeist als Vasallen und<br />

Inhaber lukrativer Pfründe dem Markgrafen verpflichtet waren, arbeiteten sie gut mit den<br />

markgräflichen Beamten zusammen.<br />

Die ambivalenten Beziehungen zwischen <strong>der</strong> Stadtkommune und dem Signore lassen sich<br />

eindrücklich anhand <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> des Consiglio nachweisen, da es einigen Familien während <strong>der</strong><br />

Regierungszeit Niccolos III. gelang, einträgliche Ämter für längere Zeit auszuüben und Ansehen<br />

und Wohlstand zu erwerben. Die Familien <strong>der</strong> Contrari und <strong>der</strong> Roberti aus Ferrara, <strong>der</strong> Boiardi<br />

aus dem Reggiano und <strong>der</strong> Strozzi aus Florenz nahmen am höfischen Leben teil und bildeten eine<br />

Elite, die auch <strong>von</strong> Niccolos Nachfolger Leonello kaum verän<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n lediglich ergänzt<br />

wurde, so durch die Ernennung Agostinos da Villa zum Guidice de Savi (1445). Da Villa war unter<br />

Niccolo Kanzler in Ferrara und wurde <strong>von</strong> den Este zu diplomatischen Missionen nach Mailand,<br />

Florenz und Rom geschickt, bevor er in den Stadtrat <strong>auf</strong>genommen wurde. 7 Die weiteren<br />

3<br />

Vgl. Richard Tristano, Vassals, Fiefs and Social Mobility in Ferrara during the Middle Ages and Renaissance. In:<br />

Medievalia et Humanistica, Number 15, Totowa 1987, S. 47f.<br />

4<br />

Ebd., S. 44, 58f.<br />

5<br />

Vgl. Thomas Tuohy, Herculean Ferrara, Ercole I., 1471-1505, and the Invention of a ducal capital, Cambridge<br />

1996, S. 28.<br />

6 Vgl. Dean, S. 22f.<br />

7 Vgl. Michele Sa<strong>von</strong>arola, Del felice progresso di Borso d'Este, Bari 1996, S. 152 Anm. 208.<br />

- 6 -


Regierungsgeschäfte überließ <strong>der</strong> humanistisch gebildete Leonello jedoch seinem Bru<strong>der</strong> Borso,<br />

<strong>der</strong> <strong>auf</strong> diese Weise die städtischen Räte und Amtsinhaber kennenlernte und folglich ihre Gunst<br />

erwerben konnte. 8<br />

2.2. Des Rates Wahl<br />

Die Offerte des Stadtrates an Borso, Signore <strong>von</strong> Ferrara zu werden, war ein Angebot an einen<br />

Adligen, dessen politische Fähigkeiten und militärische Erfahrungen bekannt waren, so seine<br />

Teilnahme an den Kämpfen zwischen Venedig und Mailand (1431) 9 und seine Regentschaft in<br />

Cremona und Novara. 10 Die legitimen Nachfolger waren hingegen noch sehr jung und befanden<br />

sich zur Ausbildung an den verschiedensten Höfen Italiens. Der zwölfjährige Niccolo di Leonello<br />

weilte am Hofe <strong>der</strong> Gonzaga in Mantua, während die erst siebzehn- bzw. neunzehnjährigen Söhne<br />

Niccolos bei Alfons <strong>von</strong> Neapel das Kriegshandwerk erlernten und dort durch Bartolomeo Facio<br />

humanistisch erzogen wurden. Um einen ähnlichen Volks<strong>auf</strong>stand wie 1393, als <strong>der</strong> min<strong>der</strong>jährige<br />

Niccolo III. seinem Vater folgte, zu vermeiden, wählten die Stadträte und Vasallen Leonellos<br />

einstimmig den populären Borso und hofften, <strong>der</strong> neue Markgraf würde gleichfalls die Humanisten<br />

und Künstler des Hofes unterstützen, welche seit etwa 1430 in Ferrara lebten und die Stadt in<br />

Italien als Kulturzentrum bekannt gemacht hatten. Der berühmte Pädagoge Guarino Veronese<br />

weilte beispielsweise seit 1429 in <strong>der</strong> Stadt und hielt bis zu seinem Tode an <strong>der</strong> Universität<br />

Vorlesungen, <strong>der</strong> Maler Cosimo Tura war <strong>einer</strong> <strong>der</strong> ersten italienischen Maler, <strong>der</strong> die flämische<br />

Öltechnik beherrschte und den Gemälden mehr Leuchtkraft und Kunstfertigkeit verlieh, 11 und die<br />

Humanisten Flavio Biondo und Leon Battista Alberti standen in regem Briefwechsel mit den<br />

Markgrafen und berieten sie in Kunstfragen. Der zum Hofarzt berufene Ugo Benzi gründete mit<br />

<strong>der</strong> Accademia Benzia einen <strong>der</strong> ersten Humanistenkreise Ferraras, dem außerdem Michele<br />

Sa<strong>von</strong>arola, <strong>der</strong> Großvater des berühmten Girolamo, und Niccolo Leoniceno, <strong>einer</strong> <strong>der</strong> ersten<br />

Kritiker des älteren Plinius, angehörten 12 . Einem weiteren Humanistenkreis stand <strong>der</strong> Markgraf<br />

Leonello vor, <strong>der</strong> seinen Mitstreitern Stellungen an <strong>der</strong> Universität Ferraras verschaffte o<strong>der</strong> ihre<br />

Traktate för<strong>der</strong>te, so Angelo Decembrios berühmten Dialog "De politia litteraria", in dem<br />

Leonello, Guarino, Feltrino Boiardo, Tito Strozzi und an<strong>der</strong>e über lesenswerte Bücher diskutieren,<br />

Ludovico Carbone's Kommentar zu Albertis "De pictura", in dem Carbone Parallelen zwischen<br />

8<br />

Vgl. Tristano, S. 53f.<br />

9<br />

Vgl. Sa<strong>von</strong>arola, S. 136.<br />

10<br />

Vgl. Charles Rosenberg, 'Per il bene di ... nostra cipta': Borso d'Este and the Certosa of Ferrara. In: Renaissance<br />

Quarterly 29, New York 1976, S. 334.<br />

11<br />

Vgl. Katja Conradi, Malerei am Hofe <strong>der</strong> d'Este, Cosmé Tura, Francesco del Cossa, Ercole de' Roberti, Hildesheim<br />

1997, S. 84f.<br />

12 Vgl. Sesto Prete, Humanismus und Humanisten am Fürstenhof <strong>der</strong> Este in Ferrara während des XV. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

In: Arcadia 2, Berlin 1967, S. 129-137.<br />

- 7 -


dem virtus eines Herrschers und Gemälden <strong>der</strong> zeitgenössischen Künstler zieht, 13 und Michele<br />

Sa<strong>von</strong>arola's Schrift "Speculum phisionomie" über die Charaktere <strong>der</strong> Menschen. 14 Zudem ließ sich<br />

Leonello in <strong>der</strong> Villa Belfiore ein Studierzimmer einrichten, das als erstes s<strong>einer</strong> Art in Italien <strong>von</strong><br />

vielen Fürsten bewun<strong>der</strong>t wurde und manche zur Nachahmung anregte. Dieses Studiolo sollten die<br />

Maler Angelo da Siena und Cosimo Tura mit einem phantastischen Musenzyklus ausschmücken,<br />

doch unterbrach <strong>der</strong> frühe Tod des "principe filosofo" die Arbeiten an dem weithin bekannten<br />

Meisterwerk. Dessen Fertigstellung sollte Aufgabe des neuen Markgrafen werden, <strong>der</strong> sich nach<br />

Auffassung <strong>der</strong> Höflinge <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Humanisten und Künstler und <strong>der</strong> geschickten<br />

Vergabe <strong>von</strong> Benefizien widmen sollte.<br />

Borso d'Este vermochte den Ansprüchen <strong>der</strong> Vasallen und Stadträte bestens gerecht zu werden,<br />

doch da er in <strong>der</strong> Erbfolge nicht vorgesehen war, mussten seine Befürworter die Investitur<br />

rechtlich begründen und mittels theoretischer Traktate legitimieren. Sie griffen zu diesem Zweck<br />

<strong>auf</strong> verschiedene mittelalterliche Traditionen zurück und argumentierten, nicht die Geburt o<strong>der</strong><br />

adliges Blut seien ausschlaggebend für das Recht zu Herrschen, son<strong>der</strong>n edle Tugenden und eine<br />

friedfertige Gesinnung. 15 Den Vorzug des Charakters vor <strong>der</strong> Abstammung hatten bereits Dante in<br />

s<strong>einer</strong> Abhandlung "De monarchia" und Brunetto Latini in dem Werk "Li Livres dou Tresor"<br />

(1266) nie<strong>der</strong>gelegt; auch <strong>der</strong> große Jurist Bartolo di Sassoferrato erkannte neben <strong>der</strong> erblichen<br />

Nobilität Virtus und Charakter als Basis <strong>einer</strong> Herrschaft an. 16 Michele Sa<strong>von</strong>arola, <strong>der</strong> in seinem<br />

Dialog "De felice..." die Stadträte über den gerechten Herrscher streiten lässt, führte insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Tugenden <strong>der</strong> giustitia (Gerechtigkeit), temperanza (Mäßigung), fortezza (Stärke), liberalitá<br />

(Freigebigkeit), magnificentia (Pracht), magnanimitá (Großmut) und <strong>der</strong> prudentia (Weisheit) als<br />

Vorzüge eines Herrschers an und versuchte zu zeigen, <strong>auf</strong> welche Weise Borso diese Tugenden<br />

erfüllte. 17 Entnommen hatte Sa<strong>von</strong>arola diesen Tugendkatalog mittelalterlichen Fürstenspiegeln,<br />

die seit dem 13. Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>von</strong> verschiedenen Autoren studiert und in zeitgenössische politische<br />

Werke <strong>auf</strong>genommen wurden, so in Aquinos "De regno" (um 1260) und Aegidius Romanus'<br />

Schrift "De regimine principum" 18 . Beide Autoren meinten, eine tugendhafte Monarchie sei die<br />

beste Form <strong>der</strong> Regierung, da sie Frieden, Gerechtigkeit und Reichtum gewährleisten kann.<br />

Hingegen bemerkten bereits im Verl<strong>auf</strong> des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts an<strong>der</strong>e Autoren, das Recht zu<br />

regieren sei dem Fürsten durch die Stadtgemeinde (universitas) übertragen und könne zu je<strong>der</strong> Zeit<br />

wie<strong>der</strong> entzogen werden, wenn dieser gegen das Gemeinwohl (bonum commune) verstieße. Die<br />

13<br />

Vgl. Stephen J. Campbell, Cosmé Tura of Ferrara, Style, Politics and the Renaissance City, 1450-1495, New Haven<br />

1997, S. 10.<br />

14<br />

Vgl. Johannes Thomann, Studien zum "Speculum physionomie" des Michele Sa<strong>von</strong>arola, Ph.D. diss.,<br />

Philosophische Fakultät, Universität Zürich 1997, S. 122ff.<br />

15<br />

Vgl. Rosenberg (1997), S. 104f.<br />

16<br />

Ebd., S. 105.<br />

17<br />

Vgl. Sa<strong>von</strong>arola, S. 137.<br />

18 Vgl. Quentin Skinner, Political Philosophy. In: Charles B. Schmitt (Hrsg), The Cambridge History of Renaissance<br />

Philosphy, Cambridge 1988, S. 395ff.<br />

- 8 -


Macht zu herrschen, so Azo <strong>von</strong> Bologna (gestorben um 1230), sei folglich nur <strong>auf</strong> bestimmte Zeit<br />

gewährt, doch hat die Kommune nicht gänzlich <strong>auf</strong> dieses Recht verzichtet. 19 Mittels dieser<br />

Bemerkungen können auch die Befugnisse des Consiglio <strong>von</strong> Ferrara, Borso d'Este zum Signore<br />

auszurufen, erläutert werden. Im Jahr 1264 hatte <strong>der</strong> podestà <strong>von</strong> Ferrara, Pierconte da Carrara, <strong>auf</strong><br />

<strong>einer</strong> Versammlung <strong>der</strong> Stadtbürger Obizzo II. d'Este das lebenslange Recht zu regieren und nach<br />

seinem Gutdünken Recht zu sprechen übertragen und bestimmt, seine Erben würden als legitime<br />

Nachfolger die gleichen Befugnisse erhalten. 20 Wenn jedoch die Erbfolge ungeklärt ist o<strong>der</strong> es<br />

durch Unruhen unmöglich ist, den rechtmäßigen Erben einzusetzen, dann fällt das Recht zu<br />

Regieren formell an das Stadtkonzil zurück, dessen Räte folglich berechtigt waren, Borso zum<br />

Signore zu ernennen.<br />

2.3. Die Tugenden Borsos<br />

Sowohl die Bemühungen des Stadtrates, die Erbfolge mittels mittelalterlicher Rechtstraditionen zu<br />

legitimieren, als auch die öffentliche Erklärung, <strong>der</strong> Consiglio hätte Borso wegen dessen Tugenden<br />

erwählt, bestimmten wesentlich das politische Handeln des neuen Markgrafen. Er musste sich <strong>der</strong><br />

ihm übertragenden Regentschaft würdig erweisen, indem er seine edle Gesinnung und<br />

Rechtschaffenheit demonstriert, und wurde <strong>von</strong> seinen Zeitgenossen beständig an diesen<br />

Anspruch erinnert. So begrüßte ihn die Stadt Reggio 1453 mit <strong>einer</strong> triumphalen Prozession, <strong>auf</strong><br />

<strong>der</strong> in Begleitung eines Cäsars sieben schöne Weiber erschienen, welche Borso als erstrebenswerte<br />

Tugenden vorgestellt wurden. 21 Auch die Chronisten Ferraras versuchten die Charakterzüge des<br />

Signore in ihren Annalen zu beschreiben o<strong>der</strong> in beson<strong>der</strong>en Traktaten zu verherrlichen, so Tito<br />

Strozzi in s<strong>einer</strong> "Borsias" und Sa<strong>von</strong>arola in <strong>der</strong> Schrift "Del felice...". Letzterer stellte eine<br />

staatstheoretische Debatte <strong>der</strong> Stadträte dar und ließ zuerst einen Magister Nigrisolus die<br />

Eigenschaften eines guten Fürsten darlegen, bevor Antonius Gaius <strong>auf</strong>trat und die Tugenden<br />

Borsos beginnend mit <strong>der</strong> prudentia nachwies. 22 Die Weisheit hätte <strong>der</strong> Markgraf erworben, so<br />

Sa<strong>von</strong>arola, weil er pietätvoll handelte und freigiebig Konvente und Klöster stiftete. 23 Tatsächlich<br />

wurde vor allem die Gründung des Kartäuserklosters (certosa) <strong>von</strong> den Zeitgenossen Sa<strong>von</strong>arolas<br />

gerühmt, da dieser Klosterkomplex nach <strong>der</strong> im Frühjahr 1452 gefeierten Grundsteinlegung <strong>von</strong><br />

Biagio Rossetti und an<strong>der</strong>en Architekten zu einem <strong>der</strong> prachtvollsten Gebäude Ferraras ausgebaut<br />

wurde. Zugleich wünschte Borso in <strong>der</strong> zum Kloster gehörenden Kirche San Christoforo begraben<br />

zu werden und stellte sich <strong>auf</strong> diese Weise in die Tradition Niccolos III., <strong>der</strong> 1403 das<br />

19<br />

Ebd., S. 394.<br />

20<br />

Vgl. Daniel Waley, The Italien City-Republics, London 1978, S. 137f.<br />

21<br />

Vgl. Jacob Burckhardt, Die Kultur <strong>der</strong> Renaissance in Italien, Berlin o.J., S. 271.<br />

22 Vgl. Ludwig, S. 270.<br />

23 Vgl. Sa<strong>von</strong>arola, S. 135f.<br />

- 9 -


Dominikanerkloster Santa Maria degli Angeli gegründet und zur Grablegestätte <strong>der</strong> Este bestimmt<br />

hatte. Sowohl Niccolo, als auch Leonello und Ercole wurden hier bestattet.<br />

Ein weiteres Projekt zur Demonstration s<strong>einer</strong> Pietät startete Borso 1469 mit Grabungsarbeiten in<br />

<strong>der</strong> Nähe <strong>von</strong> Belriguardo. Hier wollte <strong>der</strong> Markgraf einen heiligen Berg (Monte Santo) mit<br />

Nachbildungen <strong>der</strong> christlichen Stätten <strong>von</strong> Jerusalem errichten lassen, dessen Rückeroberung seit<br />

dem Fall <strong>von</strong> Konstantinopel (1453) unerreichbar schien. Viele oberitalienische Herrscher des 15.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts ließen deshalb an Berghängen o<strong>der</strong> <strong>auf</strong> Hügelkuppen kleine Kirchen, Kapellen o<strong>der</strong><br />

Schreine mit Darstellungen <strong>der</strong> Leidensgeschichte Christi erbauen und zeigten <strong>auf</strong> diese Weise ihre<br />

Frömmigkeit. Von dem Monte Santo Borsos gibt es jedoch keine Relikte, da <strong>der</strong> Markgraf vor <strong>der</strong><br />

Fertigstellung starb und sein Nachfolger kein Interesse an <strong>der</strong> Vollendung hatte. 24 Hingegen<br />

übernahm Ercole I. (reg. 1471-1505) das Amt des päpstlichen Vikars <strong>von</strong> seinem Halbbru<strong>der</strong>,<br />

welchem zu Lebzeiten viel Vertrauen in kirchlichen Fragen entgegengebracht wurde. Borso<br />

schlichtete mehrmals Streitereien zwischen <strong>der</strong> Kurie und Städten s<strong>einer</strong> Herrschaft, unterstützte<br />

den Bischof <strong>von</strong> Ferrara in s<strong>einer</strong> Arbeit und för<strong>der</strong>te Reformen in den Klöstern. 25 Weiterhin gab<br />

er Gemälde und Werke religiösen Inhalts in Auftrag und berief zu diesem Zweck mit Taddeo<br />

Crivelli und Franco dei Russi die berühmtesten Miniaturmaler Italiens an seinen Hof. Neben<br />

verschiedenen Dekorations<strong>auf</strong>trägen sollten sie vor allem die herzogliche Bibel mit prächtigen<br />

Ornamenten, biblischen Darstellungen und den Wappen <strong>der</strong> Este verzieren. Der Markgraf zeigte<br />

sich nach <strong>der</strong> Fertigstellung sehr stolz <strong>auf</strong> dieses Kunstwerk und ließ die Bibel zusammen mit<br />

an<strong>der</strong>en persönlichen Gegenständen während s<strong>einer</strong> Erhöhung zum Herzog <strong>von</strong> Ferrara (1471) in<br />

Rom ausstellen. Auf diese Weise konnte er sich sowohl <strong>der</strong> Kurie als auch <strong>der</strong> römischen<br />

Öffentlichkeit als prächtiger Mäzen und pietätvoller Regent präsentieren. 26<br />

Die heute in <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Biblioteca Estense in Modena <strong>auf</strong>bewahrte Bibel ist jedoch nicht nur wegen<br />

ihrer Pracht und <strong>der</strong> Finesse <strong>der</strong> Miniaturen <strong>von</strong> Interesse, son<strong>der</strong>n ermöglicht auch Rückschlüsse<br />

<strong>auf</strong> das Selbstverständnis Borsos. Beson<strong>der</strong>s bekannt wurde diesbezüglich die Miniatur Crivellis zu<br />

Beginn des Buches Levitikus, <strong>auf</strong> welcher <strong>der</strong> Maler die Tugend giustitia mit einem Wappen <strong>der</strong><br />

Este darstellte und <strong>auf</strong> den Anspruch des Herzogs, ein gütiger und gerechter Herrscher zu sein,<br />

anspielte. In <strong>der</strong> Tat berichten die Chronisten Ferraras oft über die Rechtsprechung Borsos und<br />

seine täglichen Audienzen <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Piazza del Duomo. Hier schenkte er jedem Einwohner Gehör,<br />

schlichtete kl<strong>einer</strong>e Streitereien sofort und vernahm die Klagen <strong>der</strong> Bürger. Berichtete ihm jemand<br />

<strong>von</strong> korrupten Beamten o<strong>der</strong> Personen, die gegen das Gemeinwohl handelten, so ging er den<br />

Vorwürfen nach und bestrafte die Übeltäter nach seinem Gutdünken. 27 In manchen Fällen zeigte<br />

er sich milde und gnädig, so gegen den ehemaligen Kanzler Pellegrino da Labolico und gegen einen<br />

24<br />

Vgl. Rosenberg (1997), S. 86f.<br />

25<br />

Vgl. Rosenberg (1976), S. 336f.<br />

26 Vgl. Lisa Jardine, Der Glanz <strong>der</strong> Renaissance, Ein Zeitalter wird entdeckt, München 1999, S. 207.<br />

- 10 -


Ferrareser, <strong>der</strong> im Ausland schlecht über Borso gesprochen hatte, denunziert wurde und<br />

flehentlich mit einem Strick um dem Hals vor dem Herzog erschien, 28 während er gegen an<strong>der</strong>e<br />

Verbrecher unerbittlich war. Den alten Kanzler Ugoccione della Badia, einen hochverdienten<br />

Berater Leonellos, ließ er wegen <strong>einer</strong> Konspiration ebenso köpfen, wie Angehörige <strong>der</strong> Pio aus<br />

Carpi, die eine Verschwörung planten und Borso durch seinen Halbbru<strong>der</strong> Ercole ersetzen wollten<br />

(1469). In seinen ersten Regierungsjahren vergrößerte Borso zudem seinen Einfluss <strong>auf</strong> das<br />

Gerichtswesen mit <strong>der</strong> Schaffung eines herzoglichen Justizrates (Consiglio di Giustitia) und eines<br />

Postens für Fragen des öffentlichen Rechts (Guidice de Commune), 29 während ihn unzählige<br />

Informanten über Geschehnisse in seinen Provinzen unterrichteten.<br />

Das Bemühen Borsos um das Justizwesen wurde <strong>von</strong> seinen Zeitgenossen bemerkt, in Lobreden<br />

verherrlicht und <strong>von</strong> Künstlern für die markgräfliche Ikonographie verwendet. So ist <strong>auf</strong> <strong>der</strong><br />

Vor<strong>der</strong>seite <strong>einer</strong> nach 1452 geschlagenen Medaille ein Abbild des Herzogs zu sehen, während <strong>auf</strong><br />

<strong>der</strong> Rückseite die Tugend <strong>der</strong> giustitia mit <strong>der</strong> Inschrift "Sie [beide] sind Eines" dargestellt wurde. 30<br />

Ebenso bemerkenswert ist die im Jahre 1454 <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Piazza Maggiore <strong>auf</strong>gestellte Marmorsäule,<br />

welche eine Statue Borsos trug. Der Dichter Tito Strozzi lieferte die Inschrift zu dem Monument:<br />

"Ein dankbares Ferrara stiftet Dir diese Säule während Du lebst, gerechtester Borso, verdienter<br />

Herrscher dieser Stadt, <strong>der</strong> Du <strong>der</strong> erste deines Blutes warst, <strong>der</strong> den Titel Herzog vom Kaiser<br />

erlangte und <strong>der</strong> stets in Frieden regiert." 31 Neben <strong>der</strong> Wahrung des Friedens und <strong>der</strong> Erhöhung<br />

zum Herzog erwähnte Strozzi eindrücklich das Bemühen des Herrschers, gerecht zu regieren<br />

(iustissime Borsi), und stellte folglich die Verbindung zur Statue her, welche Borso in Recht<br />

sprechen<strong>der</strong> Geste zeigte. Der Bildhauer Niccolo Baroncelli bildete ihn <strong>auf</strong> einem Faltstuhl sitzend<br />

ab, während er die Insignien s<strong>einer</strong> Herrschaft (bachetta und biretta) trug und gekleidet war, als<br />

würde er <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Piazza del Duomo Audienzen geben. Mit den Armlehnen des Stuhles, in Holz<br />

geschnitzten Löwenköpfen, spielte Baroncelli möglicherweise <strong>auf</strong> den <strong>von</strong> Löwenköpfen<br />

flankierten Thron und die Weisheit König Salomos an (1. Könige 18ff.), während er für die<br />

<strong>auf</strong>fällige Haltung des Herzogs <strong>auf</strong> die mittelalterliche Tradition zurückgriff, Macht mittels<br />

sitzen<strong>der</strong> Herrscher darzustellen. 32 Kaiser Friedrich II. und Papst Bonifatius VIII. hatten sich <strong>auf</strong><br />

die gleiche Weise abbilden lassen und ihre Oberhoheit über Justiz und Regierung demonstriert,<br />

und auch <strong>der</strong> Consiglio de XII Savi, <strong>der</strong> Auftraggeber <strong>der</strong> Säule, wird dieses Ziel verfolgt haben, da<br />

die Stadtväter die Säule vor dem Palazzo della Ragione <strong>auf</strong>stellen ließen. In diesem Palast hatte <strong>der</strong><br />

27<br />

Vgl. Ludwig, S. 271f. und Rosenberg, S. 101.<br />

28<br />

Vgl. Burckhardt, S. 37.<br />

29<br />

Vgl. Charles Rosenberg, The Iconography of the Sala degli Stucchi in the Palazzo Schifanoia in Ferrara. In: The Art<br />

Bulletin 61, 1979, S. 381.<br />

30<br />

Haec Tu Unum. Vgl. Rosenberg (1997), S. 102.<br />

31<br />

Hanc tibi viventi Ferraria grata columnam / ob merita in patriam, princeps iustissime Borsi / dedicat, Estensi qui<br />

dux a sanguine primus / excipis imperium et placida regis omnia pace. Vgl. Ludwig, S. 23.<br />

32 Vgl. Rosenberg (1997), S. 99f.<br />

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podesta seinen Amtssitz, hier urteilten die Richter über Straftaten und Streitfälle und versammelten<br />

sich die Savi, um die kommunalen Probleme zu diskutieren. Mit <strong>der</strong> Aufstellung <strong>der</strong> Säule zeigte<br />

<strong>der</strong> Consiglio seine Loyalität zum neuen Markgrafen und akzeptierte dessen juristische und<br />

administrative Autorität, während sich Borso mit dieser Säule in die Tradition s<strong>einer</strong> Ahnen stellen<br />

konnte. Denn gegenüber dem Palazzo della Ragione wurde nur ein Jahr zuvor am großen<br />

Torbogen des Palazzo Ducale eine Reiterstatue Niccolos III. <strong>auf</strong>gestellt und am Dom befand sich<br />

ein Monument für Alberto V. (1394). Von <strong>der</strong> Piazza del Duomo konnten die Bürger Ferraras<br />

diese drei Monumente betrachten, ohne einen Schritt gehen zu müssen, und sahen deshalb den<br />

illegitimen Bastard Borso in <strong>einer</strong> Reihe <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en großen Markgrafen <strong>der</strong> Familie Este.<br />

Ein weitere Darstellung <strong>der</strong> Tugenden Borsos findet sich im Palazzo Schifanoia, einem schlichten,<br />

um 1385 eingeschossig errichteten Bau, den <strong>der</strong> Herzog seit 1466 durch Pietro Benvenuti<br />

<strong>auf</strong>stocken und <strong>von</strong> verschiedenen Künstlern ausschmücken ließ. Obwohl das ursprüngliche<br />

Gesamtkonzept des Palastes heute nicht mehr erkennbar ist und ein Großteil <strong>der</strong> Dekoration<br />

zerstört wurde, erhält <strong>der</strong> Besucher in einigen Räumen des Obergeschosses einen guten Einblick in<br />

die Kunst des Quattrocento, so in <strong>der</strong> die Sala degli Stemmi (Saal <strong>der</strong> Wappen), in <strong>der</strong> eine Serie<br />

<strong>von</strong> Medaillons mit dem Abbild Borsos besichtigt werden kann, und in <strong>der</strong> Sala degli Stucchi (Saal<br />

des Stucks). In diesem Raum blieb ein unmittelbar unter <strong>der</strong> Saaldecke angebrachter, etwa<br />

zweieinhalb Meter hoher Stuckfries <strong>von</strong> Domenico di Paris und Bongiovanni di Geminiano<br />

erhalten, <strong>der</strong> überwiegend aus großen Medaillons und Wappenschilden besteht. Im Abstand <strong>von</strong><br />

etwa drei Metern werden diese schmückenden Passagen <strong>von</strong> kleinen Nischen durchbrochen, in<br />

denen jeweils eine Frauenfigur eine Tugend symbolisiert. Insgesamt gibt es sechs Figuren, drei<br />

repräsentieren die christlichen Tugenden Glaube (Fides), Hoffnung (spes) und Nächstenliebe<br />

(charitas), während die an<strong>der</strong>en drei Frauen Stärke (fortitudo), Mäßigkeit (temperantia) und<br />

Weisheit (prudentia) darstellen. 33 In seinem Aufbau gleicht dieser Zyklus an<strong>der</strong>en<br />

Tugenddarstellungen des 15. Jahrhun<strong>der</strong>ts, so <strong>der</strong> "Allegorie <strong>der</strong> guten Regierung" Ambrogio<br />

Lorenzettis im Sieneser Palazzo Pubblico o<strong>der</strong> Piero della Francesca's Gemälde zum Triumphzug<br />

des Fe<strong>der</strong>ico da Montefeltro, doch fehlt in <strong>der</strong> Ferrareser Reihe die Tugend <strong>der</strong> giustitia. Bisher<br />

konnte noch nicht geklärt werden, ob diese Tugenddarstellung existierte und vielleicht zerstört<br />

o<strong>der</strong> entfernt wurde, 34 o<strong>der</strong> ob die Künstler <strong>der</strong> Sala degli Stucchi benachbarte Räume einbezogen.<br />

Beim Betreten <strong>der</strong> unmittelbar angrenzenden Sala dei Mesi (Saal <strong>der</strong> Monate) bemerkt <strong>der</strong><br />

Besucher beispielsweise <strong>auf</strong> dem Fresko des Monats März eine Szene, <strong>auf</strong> welcher Herzog Borso<br />

unter <strong>der</strong> Inschrift "justicia" als Richter dargestellt wird, während er <strong>auf</strong> an<strong>der</strong>en Fresken einen<br />

Narren beschenkt, sich freigiebig zeigt (April) o<strong>der</strong> als Majestät einen Korb mit Kirschen<br />

entgegennimmt (Mai). In den verschiedenen Fresken <strong>der</strong> Monate erscheinen demzufolge<br />

33 Vgl. Rosenberg (1979), S. 380.<br />

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unterschiedliche Tugend- und Lasterallegorien, welche möglicherweise die Fortsetzung des<br />

Tugendkataloges aus <strong>der</strong> Sala degli Stucchi bildeten. 35 Dennoch diente <strong>der</strong> Monatssaal nicht nur<br />

<strong>der</strong> Verherrlichung des herzoglichen Charakters, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Darstellung <strong>einer</strong> Weltsicht, da<br />

jedes Monatsfresko in drei Teile geglie<strong>der</strong>t ist und die Teile als Himmel, Zwischensphäre und Erde<br />

gedeutet werden können. Auf dem oberen Teil eines jeden Freskos erschien stets die jeweilige<br />

Monatsgottheit in einem Triumphwagen, so Venus <strong>auf</strong> dem Aprilfresko in Begleitung des vor ihr<br />

<strong>auf</strong> die Knie gesunkenen Mars und Vulkan <strong>auf</strong> dem Septemberfresko zusammen mit Schmieden,<br />

während <strong>der</strong> mittlere Teil den zugehörigen Tierkreiszeichen und Dekangöttern vorbehalten war.<br />

Auf dem großen unteren Segment des Freskos wurden schließlich höfische Szenen und die<br />

Tugenden Borsos abgebildet, dieser Teil symbolisierte die Erde. Das Gesamtkonzept glich, so<br />

meint Aby Warburg, einem "<strong>auf</strong> die Ebene übertragenden Sphärensystem" 36 und hatte als<br />

Vorbil<strong>der</strong> die Arbeiten <strong>von</strong> Manilius, Boccaccio und Pietro d'Abano. Letzterer entwarf um 1305<br />

das Ordnungssystem für die Fresken Giottos im Palazzo della Ragione in Padua, <strong>der</strong> ersten<br />

gänzlich unter astrologischen Aspekten realisierten Ausmalung eines Kommunalpalastes, und<br />

schrieb mehrere Werke zur Astrologie. Seine Ideen machte <strong>der</strong> Paduaner Bürger Michele<br />

Sa<strong>von</strong>arola in Ferrara bekannt; in s<strong>einer</strong> Schrift "Libellus" <strong>von</strong> 1440 finden sich sowohl<br />

Beschreibungen <strong>der</strong> Fresken Giottos als auch Bemerkungen zur Nutzung des großen Saales im<br />

Palazzo della Ragione. 37 Insofern geht die Idee <strong>der</strong> Ausmalung <strong>der</strong> Sala dei Mesi vermutlich <strong>auf</strong><br />

die Paduaner Fresken zurück, zumal Pellegrino Prisciani, welcher als Hofhistoriograph und<br />

Astrologe den Zyklus ersann und die Fertigstellung be<strong>auf</strong>sichtigte, in einem Brief Pietro d'Abano<br />

erwähnte. 38 Weiterhin gab Prisciani als Vorbild den römischen Autor Manilius an, aus dessen erst<br />

1417 wie<strong>der</strong>entdecktem Sternengedicht er die Zuordnungen <strong>von</strong> Göttern und Monaten (März und<br />

Minerva, April und Venus,...) entnahm, und nennt den großen arabischen Astrologen Abu Máschar<br />

(gest. 886), <strong>der</strong> in seinen Werken die Lehre <strong>von</strong> den Dekangöttern behandelte. Diesen Götter<br />

teilten die mittelalterlichen Astronomen jeweils ein Drittel eines Sternzeichens zu (also 10 Grad des<br />

Zodiakus) und meinten, gemeinsam mit den <strong>auf</strong>gehenden Aszendenten würden die Götter den<br />

Charakter eines Menschen bestimmen. Bildnerische Darstellungen <strong>der</strong> Dekane waren jedoch sehr<br />

selten und beschränkten sich überwiegend <strong>auf</strong> astrologische Bücher, so dem "Liber astrologiae"<br />

des Fendulus (um 1230), infolgedessen die Fresken im Palazzo Schifanoia <strong>auf</strong> einzigartige Weise<br />

eine frühneuzeitliche Weltsicht dokumentieren. In den zwischen 1467 und 1471 entstandenen<br />

Fresken verwoben die Künstler mittelalterliche Traditionen (Planeten- und Dekanastrologie) mit<br />

34<br />

So vermutet Rosenberg (1979), S. 383f.<br />

35<br />

So eine Hypothese <strong>von</strong> Ruhmer. Vgl. Eberhard Ruhmer, Francesco del Cossa, München 1959, S. 74.<br />

36<br />

Vgl. Aby Warburg, Italienische Kunst und Internationale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara. In: Dieter<br />

Wuttke (Hrsg.), Aby Warburg, Ausgewählte Schriften und Würdigungen, Baden-Baden 1989, S. 183.<br />

37<br />

Vgl. Dieter Blume, Regenten des Himmels, Astrologische Bil<strong>der</strong> in Mittelalter und Renaissance, Berlin 2000, S. 71-<br />

73.<br />

38 Abgedruckt in: Warburg, S. 186f.<br />

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antiken Überlieferungen (Manilius, römische Götter), doch zeigte sich in den Fresken bereits<br />

deutlich die starke Rezeption <strong>der</strong> Mythologie, während die astronomischen Beobachtungen nur in<br />

einem schmalen Streifen und die Sonne sogar nur als platte Lichtscheibe dargestellt wurden. 39<br />

2.4. Hof und Gesellschaft unter Borso d'Este<br />

Pellegrino Prisciani war <strong>der</strong> einflussreichste Astrologe am Hof <strong>der</strong> Este, da er eine Stelle an <strong>der</strong><br />

renommierten Universität hatte und als markgräflicher Bibliothekar und Hofhistoriograph Einblick<br />

in die politischen Angelegenheiten des Staates gewinnen konnte. Er war jedoch nicht <strong>der</strong> einzige<br />

Sterndeuter in Ferrara, son<strong>der</strong>n stand in <strong>der</strong> Tradition verschiedener Astrologen, welche seit<br />

Niccolo III. für die Markgrafen arbeiteten. Von Leonello wird beispielsweise überliefert, er hätte<br />

sich über die Einflüsse <strong>der</strong> Planeten an den verschiedenen Wochentagen informiert und<br />

dementsprechend in Gewän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Planetenfarben gekleidet. 40 Außerdem för<strong>der</strong>te er das<br />

physiognomische Werk des Sa<strong>von</strong>arola ("speculum physionomie"), in welchem <strong>der</strong> Autor unter<br />

an<strong>der</strong>em versuchte, die unterschiedlichen Charaktere <strong>der</strong> Menschen <strong>auf</strong> stellare Einflüsse<br />

zurückzuführen, 41 und be<strong>auf</strong>tragte den Gelehrten Giovanni Bianchini mit <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>legung <strong>von</strong><br />

Planetentafeln. Obwohl Bianchini diese Tafeln (Tabulae astrologiae, um 1450) Leonello widmete,<br />

scheute sich Herzog Borso nicht, die Berechnungen prachtvoll einbinden zu lassen und sie<br />

zusammen mit dem Autor dem abergläubischen Kaiser Friedrich III. zu präsentieren, welcher sich<br />

sehr interessiert zeigte. 42 Somit stellte sich Borso wie<strong>der</strong> in die Tradition s<strong>einer</strong> Vorgänger und<br />

setzte <strong>der</strong>en Werke und Ideen fort, obgleich er einige astrologische Vorhersagen sehr zynisch<br />

kommentierte. 43 Pietro Bono Avogaro erstellte Horoskope für Borso, <strong>der</strong> Schreiber Carlo di San<br />

Giorgio nutzte die Punktierkunst, um Vorhersagen zu treffen, und auch <strong>der</strong> Hofmaler Cosimo<br />

Tura verwendete astrologische Elemente in seinen Werken. So griff er die Idee Abu Máschars <strong>auf</strong>,<br />

die Ankündigung <strong>der</strong> Geburt Christi wäre durch den ersten Dekangott des Sternzeichens Jungfrau<br />

geschehen, und bildete in seinem Gemälde "Madonna dello Zodiaco" die Gottesmutter als Virgo<br />

coelestis vor einem Goldornament mit Sternzeichen ab. Ähnlich gestaltete er auch die<br />

"Verkündigung Marias" <strong>auf</strong> den Diptychen des Rovarella-Altares. Im Vor<strong>der</strong>grund erscheinen hier<br />

<strong>der</strong> Erzengel Gabriel und Maria, im Hintergrund bildete Tura in <strong>einer</strong> ungewöhnlichen<br />

Reihenfolge Allegorien <strong>der</strong> acht ptolemäischen Planetensphären ab und versuchte mit dieser<br />

Darstellung, den heidnischen Sternenkult mit <strong>der</strong> christlichen Prophetie zu verknüpfen. 44<br />

39<br />

Vgl. Blume, S. 195.<br />

40<br />

Vgl. Warburg, S. 182.<br />

41<br />

Vgl. Thomann, S. 96f.<br />

42<br />

Le Muse e il Principe, Arte di corte nel Rinascimento padano (Ausstellungskatalog Museo Poldi Pezzoli, Mailand<br />

1991), Katalog, Modena 1991, S. 186.<br />

43 Vgl. Campbell, S. 145.<br />

44 Ebd., S. 145-151.<br />

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Die Gemälde Turas und die Fresken im Palazzo Schifanoia sind nur einige <strong>Beispiel</strong>e für das<br />

kosmologische Wissen <strong>der</strong> Ferrareser Künstler, doch hätten die Maler Tura und Cossa diese Werke<br />

nicht ohne die humanistischen Studien ihrer Zeit schaffen können. Das Sternengedicht des<br />

Manilius und das Handbuch <strong>der</strong> antiken Mythologie des Boccaccio (Genealogie Deorum<br />

Gentilium, um 1360) mussten erst gelesen und rezepiert werden, bevor ein Zyklus wie <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Sala dei Mesi entworfen werden konnte, und auch Tura benutzte humanistische Studien für die<br />

bildnerische Gestaltung s<strong>einer</strong> Gemälde, so die wie<strong>der</strong>entdeckte Lehre des Hermes Trismegistos.<br />

Außerdem begeisterten sich die Ferrareser Künstler für das humanistische Ideal eines tugendhaften<br />

Menschen, welcher durch seine persönliche virtus dem Schicksal (fortuna) entsagt und allein durch<br />

eigene Arbeit höhere Ziele erreicht. Herzog Borso entsprach diesem Ideal, er wurde wegen seines<br />

Charakters zum Signore ernannt und erwählte seine Höflinge gleichermaßen nach <strong>der</strong>en<br />

Verdiensten. Personen, die seine Glorie erhöhten und seine Unsterblichkeit (immortalitas)<br />

ermöglichen konnten, wurden reich beschenkt, so <strong>der</strong> Hofmaler Cosimo Tura, <strong>der</strong> das Antlitz<br />

Borsos <strong>auf</strong> den Fresken im Sala dei Mesi verewigte, und <strong>der</strong> Dichter Tito Strozzi, welcher den<br />

Namen des Herzogs durch lateinische Verse in Europa bekannt gemacht hatte und als Dank mit<br />

dem in <strong>der</strong> Nähe <strong>von</strong> Belriguardo gelegenen Gut Quartisana bedacht wurde. 45 An<strong>der</strong>e Personen<br />

dienten dem Herzog als loyale Vasallen, sicherten seine Herrschaft in unruhigen Regionen o<strong>der</strong><br />

bereicherten seinen Hof durch hervorragende Manieren. Der Diplomatensohn Teofilo Calcagnini<br />

erhielt 1464 drei befestigte Städte und zwei Güter als Lehen und kontrollierte <strong>von</strong> seinen neuen<br />

Festungen strategisch wichtige Gebiete im Reggiano und <strong>der</strong> Polesine. In die offizielle Urkunde<br />

ließ Borso schreiben, er hätte Calcagnini die Län<strong>der</strong>eien wegen <strong>der</strong> treuen Dienste übereignet, und<br />

erwähnte zugleich die liebenswerten Sitten (amabili costumi) des Begünstigten als Bereicherung für<br />

den estensischen Hof. 46 Tüchtigkeit und persönlicher Charakter waren für den gesellschaftlichen<br />

Aufstieg folglich wichtiger als Nobilität, doch konnte in Ferrara nur <strong>der</strong> ergeben Dienende Ehre<br />

erwerben. Angestammten Familien, welche Eigeninteressen verfolgten, wi<strong>der</strong>rief Borso die<br />

gegebenen Privilegien und ließ <strong>der</strong>en Güter konfiszieren, um junge Männer meist ausländischer<br />

o<strong>der</strong> gem<strong>einer</strong> Herkunft mit den Län<strong>der</strong>eien zu belehnen. Insofern gab es zwar am Hofe des<br />

Herzogs eine soziale Mobilität, doch an<strong>der</strong>s als in Florenz o<strong>der</strong> Venedig bedingte ein<br />

gesellschaftlicher Aufstieg stets <strong>der</strong> Fürsprache und Freigebigkeit des Herrschers.<br />

Die Humanisten Ferraras lobten in ihren Werken dennoch die herzogliche Politik <strong>der</strong> Vergabe<br />

herrschaftlicher Privilegien an nichtadlige Personen und griffen wie<strong>der</strong> <strong>auf</strong> die Tugenddiskussionen<br />

des Mittelalters zurück, um diese Politik zu erklären. Der Schreiber Carlo di San Giorgio fertigte<br />

1470 eine Übersetzung <strong>der</strong> "Disputatio de nobilitate" des Buonaccorso de Montemagno an, <strong>der</strong><br />

Mönch Tommaso da Ferrara verfasste ein Traktat über die gute Regierung ("Trattato del modo di<br />

45 Vgl. Ludwig, S. 29.<br />

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en governare", 1469) und Ludovico Carbone, ein ebenfalls unter Borso zu Ansehen gelangter<br />

Humanist und Dichter, verknüpfte die Verdienste des Herrschers mit <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Artes<br />

liberales. 47 Dem humanistischen Menschenideal zufolge konnte <strong>der</strong> einfache Bürger durch Fleiß<br />

und Talent seine persönliche Stellung in <strong>der</strong> Gesellschaft verbessern und durch virtus s<strong>einer</strong> Seele<br />

den Aufstieg in den Himmel ermöglichen. Die Ferrareser Humanisten stellten diese<br />

Aufstiegsmöglichkeiten des Menschen in einem einzigartigen Bil<strong>der</strong>zyklus dar, <strong>der</strong> als die<br />

Tarockkarten des Mantegna (Tarocchi del Mantegna) bekannt wurde. Diese Karten stammen<br />

jedoch nicht <strong>von</strong> Mantegna, son<strong>der</strong>n wurden um 1460 in Ferrara entworfen (möglicherweise <strong>von</strong><br />

Francesco del Cossa 48 o<strong>der</strong> Angelo da Siena 49 ) und dienten auch nicht als Tarockspiel, son<strong>der</strong>n als<br />

didaktische Bil<strong>der</strong>folge. Die Sammlung besteht aus fünf Gruppen zu zehn Karten, die stets ein<br />

bestimmtes Thema darstellen, 50 so in <strong>der</strong> ersten Gruppe die Rangstufen und Stände <strong>der</strong><br />

menschlichen Gesellschaft (Bettler, Diener, Handwerker, K<strong>auf</strong>mann, Adlige, Ritter, Doge, König,<br />

Kaiser, Papst) und in <strong>der</strong> zweiten die neun Musen mit ihrem Führer Apollo. In <strong>der</strong> dritten Gruppe<br />

wurden die artes liberales nach <strong>der</strong> Beschreibung des Martianus Capella zusammen mit Allegorien<br />

<strong>der</strong> Poesie, Philosophie und Theologie abgebildet, in <strong>der</strong> vierten Gruppe waren neben den sieben<br />

Kardinaltugenden drei kosmische Prinzipien (Licht, Zeit, Weltganzes) zu sehen und in <strong>der</strong> fünften<br />

die acht ptolemäischen Sphären zusammen mit dem Demiurgen (primo mobile) und dem<br />

Empyreum (prima causa). Die Karten wurden vermutlich für philosophische Diskussionen benutzt<br />

und dienten <strong>der</strong> Anregung <strong>der</strong> Diskutierenden, ähnlich wie Cusanus sein Globusspiel (De ludo<br />

globi, 1463) konzipierte, um aus <strong>der</strong> unregelmäßigen Wurfbahn <strong>der</strong> Kugel Rückschlüsse <strong>auf</strong> Gottes<br />

Willen zu ziehen. Bei Betrachtung <strong>der</strong> Tarocchi sollte <strong>der</strong> philosophisch interessierte Laie die<br />

verschiedenen Sphären <strong>der</strong> Welt in ihrer hierarchischen Ordnung erkennen und begreifen, wie<br />

unbedeutend die physische Existenz ist. Erst die Musen befähigen den Menschen, das Werk<br />

Gottes zu loben, mit den Wissenschaften kann er versuchen, den Kosmos zu verstehen, und <strong>der</strong><br />

virtus ermöglicht ihm das Seelenheil. Petrarca schrieb: "Wohl aber liegt das Leben, das wir das<br />

selige nennen, <strong>auf</strong> hohem Gipfel, und ein schmaler Pfad, so sagt man, führt zu ihm empor. Es<br />

steigen auch viele Hügel zwischendurch <strong>auf</strong>, und <strong>von</strong> Tugend zu Tugend muss man weiter<br />

schreiten mit erhabenen Schritten." 51 Die Vorstellung <strong>der</strong> Humanisten, ein tüchtiges Leben würde<br />

<strong>der</strong> menschlichen Seele den Aufstieg in die himmlischen Sphären ermöglichen, wurde oft im<br />

Quattrocento rezepiert und verschiedenartig bildnerisch dargestellt, so <strong>auf</strong> Pinturicchios "Virtus<br />

und Fortuna" im Sieneser Dom und Baccio Baldinis Illustrationen zu Antonio Bettinis Werk<br />

46<br />

Vgl. Tristano, S. 56.<br />

47<br />

Vgl. Campbell, S. 11.<br />

48<br />

Vgl. Ruhmer, S. 81f.<br />

49<br />

Vgl. Uwe Westfehling, "Tarocchi": Menschenwelt und Kosmos, Ladenspel<strong>der</strong>, Dürer und die "Tarockkarten des<br />

Mantegna" (Ausstellungskatalog Wallraf-Richartz Museum Köln), Köln 1988, S. 50f.<br />

50 Ebd., S. 40ff.<br />

51 Francesco Petrarca, Die Besteigung des Mont Ventoux, Frankfurt/Main 1996, S. 19.<br />

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"Monte Sancto di Dio" (1477). 52 Auch die Ferrareser Künstler griffen <strong>auf</strong> diese Idee zurück und<br />

bildeten <strong>auf</strong> den letzten zehn Karten <strong>der</strong> Tarocchi die Himmelssphären ab. Insofern ist das <strong>auf</strong><br />

diese Weise vollendete Kartenspiel ein großartiges Zeugnis des humanistischen Schaffens am Hofe<br />

Borsos d'Este und ermöglicht dem heutigen Betrachter einen Einblick in die Weltsicht des<br />

Quattrocento, welche durch antike Studien, mittelalterliche Astrologie und tradierte<br />

Tugendvorstellungen geprägt war.<br />

Das umfangreiche humanistische Schaffen am Ferrareser Hof ist vor allem deshalb<br />

bemerkenswert, weil sich Borso persönlich nicht für die klassischen Studien interessierte. Obwohl<br />

er durch Giacomo Bisi und Guglielmo Capello humanistisch erzogen wurde, sprach er kaum<br />

Latein 53 und nahm statt an den Gelehrtenkreisen seines Vorgängers an Jagdzügen und Ritterspielen<br />

teil. Im Jahr 1464 veranstaltete er ein großes Turnier, bei dem die teilnehmenden Ritter versuchen<br />

sollten, ein Schloss zu erobern, welches <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Rittern und einem Riesen mit dem<br />

phantastischen Namen Nabucharin de Raimin verteidigt wurde 54 . Außerdem legte Borso viel Wert<br />

<strong>auf</strong> ritterliche Traditionen, ernannte Knappen, welche im Schild- und Schwertkampf ausgebildet<br />

werden sollten, und vergrößerte die herzogliche Bibliothek mit Büchern <strong>der</strong> Artuslegende und des<br />

Rolandsliedes. Die Leidenschaft für mittelalterliche Hofkunst pflegte schon Borsos Vater Niccolo,<br />

<strong>der</strong> für seine Bibliothek verschiedene französische Romane erworben hatte und 1414, während<br />

<strong>einer</strong> Pilgerreise nach Jerusalem, am Heiligen Grabe zum Ritter geschlagen wurde. Diese Ehre gab<br />

er an seine Nachkommen weiter, indem er sie nach Gestalten <strong>der</strong> Artussagen benannte. Borso trug<br />

den Namen <strong>von</strong> Sir Bors, einem Ritter des Heiligen Grals, Leonello wurde benannt nach Sir<br />

Lionel, einem Pflegekind <strong>der</strong> Lady vom See, und Ginevra d'Este hatte den gleichen Namen wie die<br />

Gemahlin Arthurs 55 . Nachdem während <strong>der</strong> Regentschaft Leonellos die ritterliche Tradition nur<br />

gelegentlich gepflegt worden war, för<strong>der</strong>te Borso abermals die mittelalterliche Hofkunst und ließ<br />

sich <strong>auf</strong> Fresken und in Gedichten verherrlichen. Dennoch übten die Humanisten großen Einfluss<br />

<strong>auf</strong> die höfische Kultur aus und versuchten die humanistische Weltsicht, die uns durch die<br />

Tarocchi und die Ausschmückungen im Palazzo Schifanoia bekannt ist, mit <strong>der</strong> höfischen<br />

Tradition zu verknüpfen. Der Neffe Tito Strozzis und Enkel des Humanisten Feltrino Boiardo,<br />

Matteo Maria Boiardo, begann beispielsweise wenige Jahre nach dem Tode Borsos sein Epos<br />

Orlando innamorato (Der verliebte Roland), in welchem er Orlando, Angelica und Rinaldo<br />

verschiedene Abenteuer bestehen lässt, so ein Ritterturnier am Hofe Karls des Großen und einen<br />

Kriegszug des Sarazenenkönigs, welcher Rolands Schwert und Rinaldos Pferd besitzen wollte.<br />

Boiardo konstruierte jedoch nicht nur phantastische Ereignisse, son<strong>der</strong>n versuchte, durch<br />

52<br />

Vgl. Westfehling, S. 43.<br />

53<br />

Vgl. Ludwig, S. 20.<br />

54 Vgl. Tuohy, S. 251.<br />

55 Ebd., S. 249.<br />

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eingefügte Novellen und Parabeln seine Leser moralisch zu erziehen. 56 So zeigt sich das<br />

humanistische Thema vom Gegensatz zwischen virtus und fortuna deutlich in den Gesängen des<br />

orlando innamorato, da die Ritter <strong>einer</strong>seits ihre Tüchtigkeit bewiesen und sich durch Milde<br />

(clementia), Freigebigkeit (liberalitas) und Höflichkeit (cortesia) auszeichneten, an<strong>der</strong>erseits jedoch<br />

fortuna als unberechenbare Beherrscherin <strong>der</strong> irdischen Existenz dargestellt wird. 57 Ähnlich wie die<br />

Meister <strong>der</strong> Tarocchi griff Boiardo demzufolge <strong>auf</strong> verschiedene geistige Traditionen zurück und<br />

belegt mit seinem Werk vortrefflich die vielfältigen Interessen des Ferrareser Hofes.<br />

3. Schluss<br />

In <strong>einer</strong> <strong>der</strong> umfangreichen Schriften über die italienischen Staaten s<strong>einer</strong> Zeit kritisierte<br />

Papst Pius II. das eifrige Bestreben Borsos nach Ruhm und Ehre und warf dem Herzog vor, er<br />

würde sich durch Schmeichelei und Komplimente in s<strong>einer</strong> Politik beeinflussen lassen. 58 In <strong>der</strong> Tat<br />

lebten am Hofe <strong>der</strong> Este viele Günstlinge, welche vom Herzog erwarteten, mit Län<strong>der</strong>eien belehnt<br />

o<strong>der</strong> für gewidmete Werke beschenkt zu werden. Frater Giovanni stellte beispielsweise seine<br />

Historie <strong>der</strong> Familie Este in die Tradition <strong>der</strong> Antike und beschrieb in <strong>der</strong> Einleitung seinen<br />

Wunsch, Borso möge ihm das Werk nach dem Vorbild <strong>der</strong> römischen Kaiser vergelten. Ähnlich<br />

handelten Battista Guarini und Maria Matteo Boiardo, welche in Eklogen das Gut Quartisana<br />

priesen, um ein ähnliches Geschenk zu erhalten 59 ; und auch <strong>der</strong> Dichter Tito Strozzi schmeichelte<br />

dem Herzog, indem er das Leben des Regenten in seinem großen Epos "Borsias" als ein <strong>von</strong> Gott<br />

gewolltes Ereignis beschrieb. Jupiter hatte, so Strozzi, Merkur den Auftrag gegeben, er solle <strong>der</strong><br />

wun<strong>der</strong>schönen Stella Tolomei im Traum erscheinen und ihr empfehlen, die Liebe Niccolos III. zu<br />

erwi<strong>der</strong>n. Dann werde sie zwei berühmte Söhne gebären, <strong>von</strong> denen <strong>der</strong> ältere seine Zeitgenossen<br />

an Geist und Intelligenz übertreffen und <strong>der</strong> zweite vom Volk wegen s<strong>einer</strong> Tugenden zum<br />

Signoren erwählt werde. 60 Diese Idee Strozzis, die Geschichte <strong>der</strong> Familie Este mit antiken Mythen<br />

zu verknüpfen, wurde im Cinquecento <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Autoren <strong>auf</strong>gegriffen, so <strong>von</strong> Ludovico Ariost<br />

und Torquato Tasso, welche in ihren Epen die Geschichte <strong>von</strong> Boiardos orlando innamorato<br />

fortführten und einen sagenhaften Mythos <strong>der</strong> Familie Este schufen. Seinen Ruhm verdankte<br />

Borso jedoch nicht nur den Dichtern, son<strong>der</strong>n auch den Malern und Humanisten des Hofes.<br />

Letztere widmeten ihm Übersetzungen antiker Werke, so die Komödien des Plautus 61 und die<br />

siebzehn Bücher <strong>der</strong> Geographie des Strabo (<strong>von</strong> Guarino übersetzt), und standen mit an<strong>der</strong>en<br />

Gelehrten Italiens in Verbindung, denen sie <strong>von</strong> den prächtigen Bauwerken und den gelungenen<br />

Gemälden <strong>der</strong> Ferrareser Künstler berichteten. Viele berühmte Maler kamen deshalb nach Ferrara<br />

56<br />

Vgl. Jo Ann Cavallo, Boiardo's Orlando Innamorato, An Ethics of Desire, London, 1993, S. 156-160.<br />

57<br />

Vgl. Ida Wyss, Virtu und Fortuna bei Boiardo und Ariost, Leipzig 1931, S. 46.<br />

58<br />

Vgl. Ludwig, S. 25.<br />

59<br />

Ebd., S. 27-32.<br />

60 Ebd., S. 243.<br />

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und wollten den Stil Turas o<strong>der</strong> Cossas studieren, so Dürer und Mantegna, o<strong>der</strong> mit Ludovico<br />

Carbone über die Stellung <strong>der</strong> Malerei innerhalb <strong>der</strong> freien (artes liberales) und <strong>der</strong> technischen<br />

Künste (artes mechanicae) diskutieren. Carbone reagierte mit seinen Traktaten <strong>auf</strong> Alberti's Schrift<br />

"De pictura" und die Überlegungen Guarinos, welcher die Kunst mit <strong>der</strong> Literatur verglichen hatte<br />

und ähnlich den Topoi in <strong>der</strong> Rhetorik einen Bildschmuck für die Malerei for<strong>der</strong>te. Im Gegensatz<br />

zu seinem Vorgänger Leonello hatte Borso kaum Einfluss <strong>auf</strong> diese Gespräche, da er sich nicht für<br />

die humanistischen Studien interessierte, son<strong>der</strong>n sich <strong>auf</strong> die Finanzierung <strong>der</strong> Werke<br />

beschränkte. Er wusste, Dichtungen, Bau- und Kunstwerke würden ihn und seinen Hof in Europa<br />

berühmt machen, und stellte des Ruhmes wegen seinen persönlichen Kunstgeschmack zugunsten<br />

<strong>der</strong> gestalterischen Freiheit <strong>der</strong> Maler zurück. Die astrologischen Komponenten <strong>auf</strong> den Gemälden<br />

Turas, die Darstellung des Herzogs innerhalb eines Sphärenmodells <strong>auf</strong> den Monatsfresken im<br />

Palazzo Schifanoia und die Illustration des humanistischen Weltbildes <strong>auf</strong> den Tarocchi del<br />

Mantegna zeugen <strong>von</strong> dieser gestalterischen Freiheit.<br />

Borso hatte mit seinen Bemühungen um den Ruf des Hofes Erfolg. Schon wenige Jahre nach<br />

s<strong>einer</strong> Wahl waren die Humanisten in Neapel und Florenz über die Regierungsweise und<br />

Kunstför<strong>der</strong>ung in Ferrara informiert, und auch <strong>der</strong> Enkel des Königs <strong>von</strong> Portugal hatte <strong>von</strong> den<br />

prächtigen Bauwerken <strong>der</strong> Stadt gehört. Er verlangte während s<strong>einer</strong> Reise durch Italien (1469),<br />

Ferrara zu sehen und drei beson<strong>der</strong>s beeindruckende Bauwerke zu besichtigen: die Villa Belfiore,<br />

die certosa und den Palazzo Schifanoia. 62 Diese drei Gebäude wurden während <strong>der</strong> Regentschaft<br />

Borsos entwe<strong>der</strong> erbaut o<strong>der</strong> entscheidend erweitert und dokumentieren eindrücklich das<br />

Selbstverständnis des Herzogs. Mit dem Kartäuserkloster hatte Borso seine Pietät demonstriert, im<br />

Palazzo Schifanoia ließ er seine Tugenden darstellen und mit <strong>der</strong> Vollendung des Musenzyklus im<br />

Studiolo <strong>der</strong> Villa Belfiore stellte er sich in die Tradition s<strong>einer</strong> Vorgänger Niccolo und Leonello.<br />

Deren Werke und Ideen <strong>auf</strong>zugreifen, war ein wesentlicher Bestandteil <strong>der</strong> herzoglichen Politik. So<br />

beschäftigte Borso an seinem Hofe weiterhin Humanisten und Astrologen, ließ sich wie Leonello<br />

Medaillen prägen, gab eine Statue in Auftrag, welche er <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Piazza del Duomo unweit <strong>der</strong><br />

Monumente s<strong>einer</strong> Vorfahren <strong>auf</strong>stellen ließ, und gründete wie Niccolo III. ein Kloster, in dem er<br />

bestattet werden wollte. Zudem vergrößerte er die Familienbibliothek, veranlasste Chronisten, eine<br />

Geschichte <strong>der</strong> Familie Este zu schreiben, und gab seinen Hofmalern den Auftrag, <strong>auf</strong> Gemälden<br />

die Familienwappen neben s<strong>einer</strong> Person abzubilden, so im Palazzo Schifanoia und in <strong>der</strong><br />

herzoglichen Bibel. Borso betonte folglich seine Herkunft und führte die höfischen Traditionen<br />

fort, um die Gunst <strong>der</strong> etablierten Familien zu erwerben und den Makel <strong>der</strong> illegitimen Erbfolge zu<br />

verbergen. Zugleich ließ er in s<strong>einer</strong> persönlichen Ikonographie die mittelalterlichen Tugenden<br />

darstellen und bemühte sich, nach diesen Tugenden zu handeln, um den Anfor<strong>der</strong>ungen des<br />

61 Auf dem Frontispiz erscheint ein Abbild des Herzogs. Vgl. Le muse e il principe, Catalogo, S. 147.<br />

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Stadtkonzils gerecht zu werden. Die Räte hatten seine Wahl schließlich durch die mittelalterliche<br />

Rechtstradition begründet, Tugenden und Charakter seien wichtiger als Nobilität, und Borso<br />

verpflichtet, nach diesem Grundsatz zu handeln. Folglich waren das Bemühen um auswärtigen<br />

Ruhm und um die Anerkennung als legitimer Erbe die wesentlichen Ziele <strong>der</strong> herzoglichen Politik,<br />

und wie oben beschrieben hatte Borso diese Ziele während s<strong>einer</strong> Regentschaft erreicht.<br />

62<br />

Vgl. Rosenberg (1976), S. 340.<br />

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Literatur<br />

Quellen<br />

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Ä Michele Sa<strong>von</strong>arola, Del felice progresso di Borso d'Este, Bari 1996.<br />

Darstellungen<br />

Ä Dieter Blume, Regenten des Himmels, Astrologische Bil<strong>der</strong> in Mittelalter und Renaissance,<br />

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Ä Jacob Burckhardt, Die Kultur <strong>der</strong> Renaissance in Italien, Berlin 1917.<br />

Ä Stephen J. Campbell, Cosmé Tura of Ferrara, Style, Politics and the Renaissance City, 1450-<br />

1495, New Haven, 1997.<br />

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Roberti, Hildesheim 1997.<br />

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religionis" of Giovanni Sabadino degli Arienti, Genf 1972.<br />

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Poldi Pezzoli, Mailand 1991), Katalog, Modena 1991.<br />

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1897.<br />

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Handbuch <strong>der</strong> Literaturwissenschaft, Band 9: Renaissance und Barock, Frankfurt/Main 1972.<br />

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Ä Volker Reinhardt (Hrsg.), Die großen Familien Italiens, Stuttgart 1992.<br />

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Ferrara. In: The Art Bulletin 61, 1979.


Ä Charles Rosenberg, The Este monuments and urban development in Renaissance Ferrara,<br />

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Ferrara. In: Dieter Wuttke (Hrsg.), Aby Warburg, Ausgewählte Schriften und Würdigungen,<br />

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1988.<br />

Ä Ida Wyss, Virtu und Fortuna bei Boiardo und Ariost, Leipzig 1931.<br />

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