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Theater - Armin Kerber

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Daniele Muscionico – Klaus Kinski kauft sich keine Hose, und die Minichmayr isst ganz allein | Du 826<br />

Wüten für alle Zeiten zum Tabu zu machen schien. «Du dumme<br />

Sau!», schleudert er einer Zuschauerin ins Gesicht, die nicht an<br />

Kinskis zornigen, antiinstitutionellen Aufrüher-Jesus glauben will.<br />

«Du dumme Sau!» Klaus Kinski erlöst uns von dem Schweigen, Klaus<br />

Kinski wütet für uns alle, was für eine Befreiung!<br />

Exzentrik als Lebensrolle? Dieser Schauspieler war vielmehr<br />

die erste deutsche Popikone oder ein Ums-Leben-Spieler. Nach den<br />

piefigen, miefigen Wirtschaftswunderjahren bot er seinem Publikum<br />

eine Projektionsfläche für Vorstellungen von Künstlertum,<br />

Grenzüberschreitungen und Revolte gegen ein entfremdetes Leben.<br />

Er hatte sich, das war klar, das Aus-der-Rolle-Fahren zum eigenen<br />

Spass gemacht. Er war der Handlungsreisende in eigener Sache, aber<br />

er war auch der Agent unseres Glaubens an eine Bühne, die nunmehr<br />

nicht mit rühmannisiert-heiterem, sondern mit heiligem Spiel hei-<br />

Das Reich dieser Schauspielerin schien nicht von dieser Bühne. Sie<br />

kam, wenn sie die Szene betrat, aus einer anderen Welt. Und sie ging,<br />

wenn sie die Szene verliess, wieder in diese andere Welt hinein. Und<br />

sie versank spielend, wenn sie sich in der Szene bewegte, in einer<br />

Welt, die nur sie durchschaute. Sonst machte sie ja wenig. Höchstens,<br />

dass sie sich das lange dunkle Haar aus dem Gesicht strich, als<br />

wische sie eine Maske fort. Höchstens, dass sie ihrem federleichten<br />

Körper einen kleinen, verhuschten Ruck befahl. Höchstens, dass<br />

sie uns zwang, sich uns in sie zu vergucken – oder wegzugucken. Ein<br />

Dazwischen gab es nicht.<br />

Angela Winkler spielte nicht wie Klaus Kinski mit dem Zuschauer,<br />

aber auch nicht gegen ihn. Sie schien, und das gab ihrem<br />

Spiel die Unerschrockenheit und Stärke, überhaupt nicht an der Zustimmung<br />

der Zuschauer interessiert zu sein. Sie hatte, wenn sie<br />

auftrat, eine wichtige, eine vielleicht lebensentscheidende Verabredung<br />

– mit einer Figur, einem Dichter, einem Stück.<br />

Die Schaubühne und Peter Stein in den frühen 1970er-Jahren,<br />

das waren ja nur die Anfänge. Doch seltsam unsozialisiert, das war<br />

sie schon damals. Geisterhaft überdreht, emotional gefährdet, eigenligen<br />

Ernst abtrotzt. Kinskis betörender Zorn seiner Deklamationskunst<br />

wandte sich nicht gegen Nichtigkeiten des Alltags, er war das<br />

vergebliche Aufbegehren gegen jede Gesellschaftsmoral – und gegen<br />

die gebrechliche Einrichtung Welt überhaupt. Sein Zorn war pure<br />

Selbstachtung. Er war das Ventil, ohne das nicht nur ein Einzelner,<br />

sondern auch ein Volk nicht sein kann.<br />

1970er-Jahre<br />

Und plötzlich stand sie da, und das Brüllen ward schal, denn es ward<br />

Musik: Shakespeares Tochter, Angela Winkler. Wenn Kinski Geister<br />

spielte, sah die Winkler diese Geister wohl auch, doch sie verwandelte<br />

sie sich geistermusikalisch an. Geheimnisvoll und lebenstoll,<br />

zwischen Schein und Sein schlafwandelnd wie eine von allen Dichter-<br />

und <strong>Theater</strong>geistern umträumte Hexenelfe.<br />

Wer hat mehr Angst? Der Mann, der uns Angst machen will? Oder der unsichtbare Dritte? Der Hund schläft angstfrei, denn das Herrchen benutzt im Bett immer<br />

einen Schalldämpfer. / Klaus Kinski 1965 in Neues vom Hexer, der 23. Edgar-Wallace-Folge – «Reisser», wie man in den 1960ern gerne sagte und wie der Duden erklärt:<br />

«sehr wirkungsvolles, spannendes, dem Nervenkitzel dienendes Buch, Bühnenstück oder entsprechender Film ohne besondere künstlerische Qualität».<br />

Das Grün der 1970er-Jahre: der Käfer, die Uniformen, die Augenfarbe von Angela Winkler. Die Augen von<br />

Angela Winkler sind so dunkelgrün, dass sie fast schwarz sind. Schwarz wie die Verzweiflung von Hamlet. /<br />

Angela Winkler in der Verfilmung des Böll-Romans Die verlorene Ehre der Katharina Blum, 1975.<br />

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sinnig und fantasiesatt. Später dann schrieb sie mit Klaus-Michael<br />

Grüber und Peter Zadek <strong>Theater</strong>geschichte. Und als sie 1999 in Zadeks<br />

Jahrhundertinszenierung Hamlet die Titelrolle spielte, gab sie<br />

ein nie gesehenes Prinzenkind, das mit ihrem Einschlag von fern her<br />

auf der <strong>Theater</strong>bühne vieles, was Zadek zuvor ausgeheckt hatte, matt<br />

scheinen liess: Sie war nicht der Psycho-Hamlet, der Revoluzzer-<br />

Hamlet, der Muttersöhnchen-Hamlet, der Vatermörder-Hamlet, der<br />

Video-Hamlet, der Intellektuellen-Hamlet – nichts von alledem, was<br />

nur in Teilen gilt und was der Splitter im Auge des Bruders ist, um<br />

den Balken im eigenen Auge nicht zu sehen. Angelika Winkler gab<br />

den Total-Hamlet, der eine ganze Welt auf seinen ganzen Leib nimmt.<br />

Auf einen Frauenleib. Was der erdbeer- und vollmundige Kinski<br />

gegen aussen war, das war Angela Winkler gegen innen: eine Kirschgärtnerin<br />

des Rätsels Mensch.<br />

1980er-Jahre<br />

Ein Rätsel dann, wieso Ulrich Wildgruber uns so früh allein liess.<br />

Man hätte ihn doch noch gebraucht! Den Riesen auf Kinderfüssen,<br />

die <strong>Theater</strong>gefahr im Verzug. Der grösste und wunderbarste und irrste

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