Theater - Armin Kerber
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Cate Blanchett und Andrew Upton im Gespräch mit Christiane Kühl | Du 826<br />
entsteht daraus, dass die Schauspieler eine Geschichte von Anfang<br />
bis Ende erzählen und nicht gestückelt über Aufnahmen von heute<br />
dreissig Sekunden und morgen noch eine Minute dazu.<br />
Andrew Upton: Im Film erzählt der Schauspieler immer nur Bruchteile.<br />
Die ganze Geschichte erzählt jemand anderes. Cate und mir ist<br />
es sehr wichtig, die ganze Geschichte zu erzählen.<br />
Cate Blanchett: Manche Filme machen sich diese Energie zunutze,<br />
Alexander Sokurows Russian Ark zum Beispiel wurde in einem einzigen<br />
langen Take gefilmt. Aber insgesamt denke ich, ist es umgekehrt:<br />
Die alte Kunst des <strong>Theater</strong>s ist besser in der Lage, sich die Vorteile<br />
von Film und Technologien anzueignen, einzuverleiben. <strong>Theater</strong> hat<br />
vielleicht nicht so eine Reichweite wie der Film, aber als Form wird<br />
es letztlich länger Bestand haben. Es ist ein Klischee, aber wahr:<br />
Menschen werden sich immer zur Live-Erfahrung hingezogen fühlen.<br />
Und zwar umso mehr, je mehr alles digitalisiert und ortlos wird.<br />
War es John Keats, der sagte: «Touch has a memory»? Darum geht es,<br />
glaube ich. <strong>Theater</strong> kann man berühren.<br />
Das enge Verhältnis zwischen Künstler und Publikum beginnt ja schon<br />
lange vor der Aufführung: <strong>Theater</strong> wird immer lokal gemacht, für eine<br />
bestimmte Gemeinschaft an einem bestimmten Ort. Könnte man da<br />
nicht genauso argumentieren, dass das <strong>Theater</strong> im Wesentlichen unfit<br />
für das 21. Jahrhundert ist? Weil die einflussreichsten Gemeinschaften<br />
heute über Social Media entstehen und damit nicht nur global statt<br />
lokal, sondern auch völlig unkörperlich sind?<br />
Cate Blanchett: Ich würde behaupten, es ist absolut entscheidend für<br />
das 21. Jahrhundert, dass Menschen sich mit einer Idee länger beschäftigen<br />
als für einen Tweet auf Twitter. Es gab hier eine Company …<br />
war es Opera Australia?<br />
Andrew Upton zuckt die Schultern.<br />
Cate Blanchett: … die das Publikum den Fortgang der Handlung per<br />
Tweet hat bestimmen lassen. Das steht etwa so im Verhältnis zu<br />
einem Drama wie ein Roman zu diesen Kinderbüchern, in denen auf<br />
Seite 7 steht: «Wenn du willst, dass die Maya den Tempel erobern,<br />
gehe zu Seite 34. Wenn du willst, dass die Maya abgeschlachtet werden,<br />
blättere um.» Es ging um Mitbestimmung, um ein aktives Publikum.<br />
Das Publikum ist aber nie passiv im <strong>Theater</strong>.<br />
Andrew Upton: Selbst wenn es sich einfach zurücklehnt, beeinflusst<br />
es das Bühnengeschehen.<br />
Cate Blanchett: Wenn man das Publikum die Handlung diktieren<br />
lässt, dann kann es für den Zuschauer nicht mehr gefährlich werden.<br />
Das <strong>Theater</strong> ist ein Ort, wo man die Kontrolle abgeben und sich einlassen<br />
soll.<br />
In Hamburg liess das renommierte Thalia <strong>Theater</strong> drei Stücke für die<br />
nächste Saison via Voting auf seiner Homepage bestimmen – und wurde<br />
dann ziemlich überrascht von den Spitzenreitern, die offensichtlich über<br />
ironiebegabte Facebook-Gruppen nach oben katapultiert wurden.<br />
Andrew Upton: Ehrlich gesagt: Ich glaube nicht, dass Facebook sehr<br />
viel anders ist als die Toilettenwände, auf die zu meiner Schulzeit<br />
geschrieben wurde. Facebook ist nichts anderes als …<br />
Cate Blanchett: … Graffiti …<br />
Andrew Upton: … weitverbreitetes Graffiti. Das geht in Ordnung, ich<br />
mag Graffiti, aber das gab es auch schon in der Antike. Der Moment,<br />
in dem das <strong>Theater</strong> ins 21. Jahrhundert tritt, wird also nicht durch<br />
Facebook bestimmt. Ich glaube überhaupt nicht, dass Facebook als<br />
Markierung des 21. Jahrhunderts taugt‚ wenn Sie meine bescheidene<br />
Meinung interessiert.<br />
Als Cate Blanchett und Andrew Upton 2007 die Leitung der Sydney<br />
Theatre Company übernahmen, war durchaus nicht die gesamte<br />
Szene in Sydney begeistert. Ein Oscar, so der nachvollziehbare Zweifel,<br />
ist keine Qualifikation für die Leitung eines <strong>Theater</strong>s, das im Jahr<br />
tausend Vorstellungen gibt. Zwei Bühnen gilt es auf der Werft zu bespielen<br />
sowie ein 800-Plätze-Haus im Sydney-<strong>Theater</strong> gegenüber;<br />
dazu kommen eine Residenz im Opernhaus und diverse Gastspiele<br />
quer durchs Land. Wobei Land hier Kontinent bedeutet.<br />
In der Zwischenzeit sind die Skeptiker verstummt. 30 Millionen<br />
setzt die Company jährlich um; rund 300 000 Menschen sehen<br />
ihre Produktionen. Darunter Publikumsrenner und internationale<br />
Erfolge wie Onkel Wanja und Endstation Sehnsucht mit Cate Blanchett<br />
(allein Onkel Wanja verkaufte 50 000 Karten in Sydney, bevor es auf<br />
Tour ging), aber auch Jugendtheater, Workshops und neue australische<br />
Dramatik. Bei staatlichen Subventionen von weniger als zwanzig<br />
Prozent ist die STC trotz hoher Eintrittspreise auf Sponsoren und<br />
Mäzene angewiesen – und da kann ein Oscar sehr wohl helfen. Mit<br />
Giorgio Armani als Patron und UBS, Audi und Goldman Sachs im<br />
Boot hat das Duo es geschafft, zwölf Prozent des Umsatzes über<br />
private Unterstützer zu erwirtschaften. Im Übrigen nicht nur für<br />
die Kunst: Unter dem Motto «Greening the Wharf» haben Blanchett<br />
und Upton ein Regenwasser-Recyclingsystem auf der Werft etabliert<br />
und das Dach mit 2000 Solarpanels – mit freundlicher Unterstützung<br />
einer Spende von zwei Millionen Dollar – zum zweitgrössten<br />
Sonnenenergiedach Australiens gewandelt.<br />
Cate Blanchett: Als wir ankamen, hatten wir das Gefühl, dass das<br />
<strong>Theater</strong> die Verbindung zur Stadt und zu den grossen Fragen der Zeit<br />
verloren hatte. Es war unser Hauptanliegen, wieder eine Beziehung<br />
zur Stadt herzustellen. Also nicht nur zu überlegen: Welche zwölf<br />
Stücke setzen wir dieses Jahr auf den Spielplan?, sondern zu fragen:<br />
Welche Rolle kann das <strong>Theater</strong> in der Stadt spielen? Wir wollen<br />
schliesslich kein Klub sein. Wenn man nur zu sich selber spricht, ist<br />
die Arbeit nicht ehrlich. Und ausserdem sind wir keine Klub-Typen.<br />
Andrew Upton: Nein, wir sind definitiv keine Klub-Typen. Unser<br />
Engagement zielt auf die Stadt, das Publikum und die Zeit. Wir<br />
sehen, dass sich Dinge verändern, und wir wollen uns mit der<br />
Änderung ändern.<br />
Cate Blanchett: <strong>Theater</strong> ist ein Bastard. Deswegen gibt es auch viele<br />
Zugänge dazu. Manche unserer Sponsoren interessieren sich gar<br />
nicht für die Kunst, aber die Community ist ihnen ein Anliegen. Und<br />
sie sehen, was das <strong>Theater</strong> für die Stadt bedeutet.<br />
Ist der engagierte <strong>Theater</strong>macher automatisch ein politischer Mensch?<br />
Andrew Upton: Meinen Sie politisch im Sinne von strategisch oder<br />
politisch wie ideologisch?<br />
Im Sinne einer Haltung zur Welt, die man einnimmt und auch jenseits<br />
der Bühne entsprechend agiert. So wie Sie das «Greening the Wharf»-<br />
Programm gestartet haben oder Cate im letzten Jahr in einer TV-<br />
Kampagne von Umweltgruppen zur Unterstützung einer Kohlesteuer<br />
aufgetreten ist.<br />
Andrew Upton: Also ideologisch. Wir haben unsere eigene kleine<br />
Ideologie, aber wir erwarten nicht, dass das Ensemble oder das Publikum<br />
sie teilt.<br />
Cate Blanchett: Agitprop hat keinen Sinn. <strong>Theater</strong> ist nicht da, um<br />
zu erziehen. Das beste Ergebnis, das ein Stück haben kann, ist eine<br />
Diskussion im Foyer. Das war auch quasi unser Leitmotiv, als wir<br />
anfingen: «Geht hinaus und startet Diskussionen.»<br />
Beide lachen.<br />
Was ist das Leitmotiv heute?<br />
Cate Blanchett: Das gleiche. Aber komplexer.<br />
Andrew Upton: «<strong>Theater</strong> ist toll.»<br />
«Siehe, der Mensch wird abgehen von dieser Erde und aus sein<br />
in allen seinen Werken. Hinter ihm wird der Boden erröten in<br />
Scham und Fruchtbarkeit. Die Gärten und die Felder werden in die<br />
leeren Städte einziehen, die Antilopen in den Zimmern äsen,<br />
und in offenen Büchern wird der Wind zärtlich blättern. Die Erde<br />
wird unbemannt sein und aufblühn.»<br />
Lotte in Gross und klein von Botho Strauss<br />
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Rechts: Cate Blanchett im Jahre 2007, genau das Jahr, in dem sie gemeinsam mit ihrem Mann die Leitung der Sydney Theatre Company übernahm.