Shenandoah - Star Trek NX
Shenandoah - Star Trek NX
Shenandoah - Star Trek NX
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STAR TREK<br />
CAST AWAY<br />
RENE BARZ<br />
CRASHDOWN<br />
Roman<br />
<strong>Star</strong> <strong>Trek</strong>©<br />
Cast Away<br />
Band 1<br />
Deutsche Erstausgabe<br />
Ω<br />
MAYEN, 2006<br />
STARFURY PRODUCTIONS<br />
Band 01<br />
Deutsche Erstausgabe
Nichts auf der Welt ist so gewiss wie der Tod.<br />
JEAN FROISSART
In der Zukunft ist die Menschheit überheblich geworden.<br />
1. Die Föderation beurteilt technischen Fortschritt viel zu<br />
optimistisch. Was fehlt, ist die warnende Stimme.<br />
Irgendwann werden die Forscher die Kontrolle über ihre<br />
Entdeckungen verlieren: was technisch möglich ist, wird<br />
auch gemacht - Ohne, dass die Entdecker und Erfinder<br />
dafür Verantwortung übernehmen. Seit Entdeckung des<br />
Omega-Partikels ist jedoch zu beobachten, dass die<br />
Föderation die Notwendigkeit erkannt haben, über die<br />
Konsequenzen ihrer Forschung nachzudenken. Deshalb<br />
verweigern sich einzelne Individuen heiklen Themen.<br />
Nicht jede Entdeckung sollte gemacht, nicht jede<br />
technische Möglichkeit ausgenutzt werden.<br />
2. Die Föderation glaubt allem gewachsen zu sein.<br />
Außenteams werden auf fremde Welten gebeamt, nur mit<br />
einem dünnen Zweiteiler bekleidet, einem Handphaser<br />
und Tricorder bestückt. Bei Routineeinsätzen mag das<br />
gut gehen. Wenn aber ein Notfall eintritt, kann niemand<br />
auf die Konsequenzen vorbereitet sein. Wer unerwartet,<br />
von einem Augenblick zum anderen, seiner gewohnten<br />
Umgebung entrissen und beispielsweise in den Urwald<br />
transportiert wird, findet sich in einer völlig anderen<br />
Natur wieder. Gefährliche Wetterbedingungen, giftige<br />
Pflanzen, wilde Tiere. Und wie jedes in sich<br />
geschlossene Ökosystem, duldet diese fremde Welt keine<br />
Touristen, sondern fordert Eindringlinge mit Gefahren<br />
und Überraschungen heraus und nur die stärksten und<br />
anpassungsfähigsten Individuen überleben.<br />
Darum geht es in dieser Miniserie.
Einleitung<br />
Im Jahr 2385 startete ein Föderationsraumschiff der Akira-<br />
Klasse unter dem Befehl von Admiral Alynna Nechayev zu<br />
einer diplomatischen Mission tief in den unerforschten,<br />
cardassianischen Raum.<br />
Die Crew bestand aus einer knapp vierhundert Mann starken<br />
Besatzung, die sich nach einem katastrophalen Zwischenfall<br />
plötzlich inmitten eines Krieges, gestrandet auf einem weit<br />
entfernten Mond wiederfand.<br />
Sie kämpften gegen die Tücken eines fremden Ökosystems,<br />
gegen einen unbarmherzigen, brutalen Gegner und Verrat aus<br />
den eigenen Reihen.<br />
Diese Besatzung erlitt die höchste Opferzahl, seit dem Ende<br />
des Dominion-Krieges.<br />
Dies waren die Männer und Frauen der USS <strong>Shenandoah</strong>,<br />
NCC 74101<br />
Das ist ihre Geschichte.
Prolog<br />
„Die Sicht der Dinge“<br />
„Einen Moment, ich komme ja gleich. Ja, ja. Bin schon<br />
unterwegs.<br />
Ja, bitte? – Ah ja, Sie müssen der Autor von CBS-Terranews<br />
sein. Richtig, wir hatten den Termin für heute angesetzt. Nein,<br />
nein, es kommt nicht ungelegen. Nein, wirklich. Sie müssen<br />
nur meinem Gedächtnis verzeihen, ich habe ein wenig die Zeit<br />
aus den Augen verloren. Mitunter ziehen die Tage einfach an<br />
mir vorüber, ohne dass ich das genaue Datum kenne. Ich bin<br />
nicht mehr der Jüngste, müssen Sie wissen. Zeit spielt in<br />
meinem Alter keine so große Rolle mehr.<br />
Aber bitte, treten Sie ein. Fühlen Sie sich ganz, wie zuhause.<br />
Es ist mir eine außerordentliche Freude, Sie kennen zu lernen.<br />
Kommen Sie, kommen Sie. Ihre Jacke können Sie übrigens<br />
dort drüben aufhängen. Warten Sie, ich helfe ihnen. Oh, Sie<br />
sind ja klitschnass. Das Wetterkontrollsystem scheint heute<br />
von einem Kobold gequält zu werden. Aber so ist die Technik<br />
– irgendwann versagt jede Maschine, nicht wahr?<br />
Soll ich ihnen ein Handtuch holen? Nein? Sind Sie sicher? Ich<br />
könnte...- Ah, ich verstehe. Sie wollen gleich zur Sache<br />
kommen. Nun gut, begeben wir uns doch ins Wohnzimmer,<br />
dort ist es um einiges gemütlicher. Folgen Sie mir. Vorsicht,<br />
Stufe.<br />
Hoppla. Na, ich hab Sie ja gewarnt.
Also, wollen Sie etwas trinken, bevor wir anfangen? Vielleicht<br />
einen andorianischen Rockshoald? Meine Tochter brachte mir<br />
erst letzte Woche Nachschub. Ich kann von dem Gesöff gar<br />
nicht genug bekommen, müssen Sie wissen. In Ordnung. Ein,<br />
oder zwei Stück Zucker?<br />
Pur. Wie ein richtiger Andorianer, was?<br />
So. Einen Moment, ich bin gleich bei ihnen. Nein, nein, Sie<br />
brauchen mir nicht zu helfen. So alt bin ich nun auch wieder<br />
nicht. Hier, bitte sehr. Vorsicht, die Tasse ist noch heiß. Setzen<br />
Sie sich.<br />
Okay, beginnen wir. Ich denke, die Vorstellung der eigenen<br />
Person kann ich doch getrost überspringen, immerhin wissen<br />
Sie ja wer ich bin. Geburtsdatum, Geburtsort und den ganzen<br />
Kram können Sie aus meiner Personalakte entnehmen. Die<br />
Sternenflotte verfügt zweifelsohne noch immer darüber. Tja,<br />
die Flotte ist nach wie vor eine sehr konservative und korrekt<br />
bürokratische Institution, nicht wahr? Alte Gewohnheiten<br />
sterben eben selten aus, schätze ich. Wissen Sie, damals waren<br />
die Zeiten noch etwas anders.<br />
Wie lange ist es jetzt her? 30 Jahre, was? Wie die Zeit doch<br />
vergeht. Zu jener Zeit standen wir gerade erst an der Schwelle<br />
zu dem, was sie heute als das friedliche Paradies namens<br />
Alpha-Quadrant kennen. Wir hatten kaum die Asche des<br />
Dominion-Krieges von unseren Uniformen abgeschüttelt, als<br />
der gesamte Quadrant beinahe der Invasion einer<br />
unglaublichen Macht aus so einem Taschenuniversum zum<br />
Opfer gefallen wäre.<br />
Aber Sie kennen sicher die Geschichten der legendären<br />
<strong>Star</strong>fury und ihrer Besatzung. Tz. Es wurde viel Quatsch über<br />
die damaligen Vorfälle berichtet. Ihnen, als jemand mit<br />
journalistischer Ausbildung, muss ich sicher nicht sagen, wie<br />
schnell sich eine Geschichte während der Weitererzählung<br />
ändern kann.
Es ist, als würde man einen Schneeball den Schneehügel<br />
hinunterstoßen. Am Ende ist er um einiges größer als zu<br />
Beginn seiner Reise. Viele übertrieben einfach bei den<br />
Nacherzählungen.<br />
Es waren weder zwei riesige Spinnen gewesen, gegen die das<br />
Schiff angetreten war, noch wurde die <strong>Star</strong>fury selbst zu einer<br />
Riesenspinne, wie die Nydarianer in ihrer Nacherzählung<br />
behaupteten. Und der legendäre Rene Bartez war erst recht<br />
kein blonder Hüne mit dickeren Armen als ein Brikar. Das<br />
können Sie mir ruhig glauben, ich bin ihm nämlich mal<br />
begegnet.<br />
Nein, nein, so war das alles nicht. Die Geschichte zog<br />
dennoch immer weitere Kreise. Es war sozusagen das genaue<br />
Gegenteil eines Schwarzen Lochs. Anstelle ins Nichts gesaugt<br />
zu werden und für allezeit zu verschwinden, verbreiteten sich<br />
die Gegebenheiten in alle Richtungen und nahmen dabei<br />
immer größere Dimensionen an.<br />
Dabei hatte es die Geschichte gar nicht nötig, ausgeschmückt<br />
zu werden. Die Wahrheit war bereits so unfassbar, dass sie<br />
keinerlei Übertreibung benötigte.<br />
Trotzdem kam es zu immer neuen Ausstaffierungen, während<br />
die Geschichte von einer Welt an die andere, von einem<br />
Sonnensystem zum nächsten, weitergegeben wurde - wobei sie<br />
jedes Mal großartiger und imponierender wurde. Und<br />
genauso verhielt es sich leider auch mit unserer Geschichte.<br />
Nach und nach entstanden die verschiedensten Varianten der<br />
Ereignisse, eine phantastischer, als die andere, und ein völlig<br />
falsches Abbild dessen, was wirklich geschehen war,<br />
überflutete den Föderationsraum. Um das zu verhindern –<br />
oder eher gesagt, um es zu beenden, sind Sie hier. Haben Sie<br />
schon ausgetrunken? Möchten Sie noch einen Rockshoald?<br />
Nein. Also schön. Fahren wir fort.<br />
Sehen Sie, eben jener Crew der <strong>Star</strong>fury gelang das<br />
unmögliche. Sie verhinderten ein ausnahmsloses Armageddon,
aber so knapp, sodass alle mächtigen Fraktionen des<br />
Quadranten dem Tode praktisch noch in das Auge sehen<br />
konnten. Sehen mussten. Seither existieren im Alpha-<br />
Quadranten paradiesische Zustände.<br />
Kriege hat es seit langem keine mehr gegeben, nicht wahr?<br />
Die Kooperation zwischen den unterschiedlichsten Welten ist<br />
seither größer denn je. Diese Entwicklung trat schon sehr früh<br />
nach den damaligen Ereignissen ein. Als die Sache mit uns<br />
geschah, war der Zustand – wie schon gesagt - aber ein wenig<br />
anders. Die Großmächte sahen von weiteren Kriegen,<br />
Kämpfen und Konflikten zwar ab, aber der Quadrant war<br />
nach wie vor ein gefährlicher Ort.<br />
Auch – oder gerade für – Sternenflottenoffiziere. Und es war<br />
nur ein winzig kleiner Schritt, der uns von der Erkenntnis<br />
trennte, dass die Sternenflotte und ihre Angehörigen ebenso<br />
gefährlich und grausam sein konnten, wie das Universum -<br />
wie die Natur - selbst.<br />
Ein kleiner, aber leidvoller Schritt, den wir alle durchführen<br />
mussten und zwar, bei dem Zwischenfall, der uns diesen<br />
zweifelhaften Ruhm bescherte. Zunächst sollte die ganze<br />
Sache ja vertuscht werden, aber das gelang nicht. Die Presse<br />
hatte jedenfalls die eigentümliche Vorstellung, dass unsere<br />
Rückkehr und das, was wir von der <strong>Shenandoah</strong> damals<br />
vollbracht hatten, das Interesse der Öffentlichkeit verdiente.<br />
Leider steckte die Begeisterung der Öffentlichkeit selbst<br />
diejenigen an, die aufzeichneten und deshalb stellte man uns<br />
alle als Helden dar. Insbesondere auch mich.<br />
Glauben Sie mir, ich war alles andere, als ein Held. Es<br />
dauerte nicht lange, bis ich begriff, dass man mich zu einer<br />
modernen Odyssee hochstilisierte. Mein Name war in aller<br />
Munde, ausgesprochen mit Respekt mit Verehrung, oder mit<br />
Bewunderung. Den Übrigen erging es nicht anders.<br />
Da! Da ist es! Selbst wenn ich in Ihre Augen sehe, erkenne ich<br />
darin die Bewunderung.
Nein, nein, leugnen Sie es nicht. Ist schon in Ordnung. Ich<br />
schätze dieser Glanz und die Anerkennung wird in den<br />
nächsten Stunden verblassen. Aber eines nach dem anderen.<br />
Ach, was hatte man mir und dem Rest nur alles angedichtet.<br />
Schließlich handelte es sich bei uns ja um diejenigen, die das<br />
Ende der Raumfahrt verhindert hatten. Woo-oo-oo - der Stoff,<br />
aus dem die Träume sind.<br />
Tapfere Krieger, die sich sämtlichen Gefahren furchtlos<br />
wiedersetzten und um Leben und Tot kämpften, während rings<br />
um sie herum die zahlreichen Feinde hereinbrachen.<br />
Hmpf.<br />
Was wir getan hatten wurde seitens der Öffentlichkeit<br />
vorbehaltlos akzeptiert und um ihr Image zu wahren, sprang<br />
die Sternenflotte nach kurzem Zögern auf den Zug auf. Ich<br />
gehe sogar so weit, zu behaupten, dass ein paar der<br />
heroischsten und somit positivsten Varianten der Geschichte<br />
von ihr in die Welt gesetzt wurde.<br />
Das beschämt mich wirklich, immerhin starben während<br />
dieser unfreiwilligen Mission über dreihundert Männer und<br />
Frauen eines gewaltsamen Todes.<br />
Und viele von ihnen wären sicher noch am Leben, hätten wir –<br />
hätte ich – andere Entscheidungen getroffen. Wenn ich<br />
rascher, oder klüger gehandelt hätte. Außerdem bin ich nie so<br />
tollkühn gewesen, wie es oft heißt.<br />
Nein, ganz sicher nicht. Niemals habe ich aus reiner<br />
Abenteuerlust Verletzungen riskiert und ich fand auch zu<br />
keinem Zeitpunkt Gefallen daran das Leben eines Gegners<br />
auszulöschen. Nein, ich verhielt mich menschlich und somit<br />
fehlbar. Außerdem hatte ich häufig einfach nur Angst. Sicher,<br />
es gab einige Heldentaten bei uns – will ich gar nicht<br />
bestreiten -, aber mindestens ebenso viele Dinge, auf die<br />
niemand stolz sein sollte und auf die vor allem ich überhaupt<br />
nicht stolz bin.
Aber viele Berichterstatter hielten es anscheinend für<br />
notwendig, fortwährend zu übertreiben und deshalb traf ich<br />
nun die Entscheidung, die ganze Geschichte einem seriösen<br />
Autor darzulegen. Sie verstehen vielleicht, dass ich Ihnen<br />
gegenüber anfangs deswegen so skeptisch gegenüberstand.<br />
Ich wollte einfach sicher sein, dass nicht wieder irgendein<br />
Schund geschrieben wird, sondern die ganze, dreckige<br />
Wahrheit. Aber ich denke, Sie sind genau der Richtige. Sie<br />
schätzen die Wahrheit genauso wie ich. Außerdem gefällt mir<br />
die Tatsache, dass Sie die anderen, noch Lebenden, ebenso<br />
befragen werden wie mich, um sich ein vollständiges Bild zu<br />
machen. Ich bestehe darauf, dass einmal alles ordentlich<br />
dokumentiert wird.<br />
Die Männer und Frauen, mit denen ich damals diese Hölle<br />
erlebte, haben es verdient. Und die Öffentlichkeit hat es<br />
verdient, endlich die Wahrheit zu erfahren. Die Holo-Filme<br />
mit ihrer eindrucksvollen Tricktechnik und dergleichen kann<br />
ich zwar nicht verhindern und erst recht nicht für deren<br />
Wahrheitsgehalt einstehen, aber ich versichere Ihnen, dass<br />
alle Beschreibungen, Ideen und Worte, die ich Ihnen in den<br />
folgenden Stunden erzählen werde, die wahre Geschichte über<br />
den <strong>Shenandoah</strong>-Vorfall wiedergeben. So, wie ich alles<br />
gehört, gesehen, erlebt und gefühlt habe.“
Ankunft<br />
Es gab nichts, außer dem alles verzehrenden Licht. Und<br />
Shannyn befand sich mitten drin. Sie schloss geblendet die<br />
Augen, aber das Schimmern reichte durch ihre Lieder: blau,<br />
dann hellblau und schließlich ein Weiß, das alle anderen<br />
Farben verschlang. Ein sonderbares Gefühl breitete sich ein.<br />
Sie glaubte zu spüren, wie sie etwas anhob. Es folgten ein oder<br />
zwei Sekunden der Taubheit, während der sie überhaupt nichts<br />
fühlte. Dann kehrten Geräusche und Tastsinn mit einem jähen<br />
Knall zurück, als sie aus dem Zeittunnel stürzte. Das grelle<br />
Weiß löste sich ruckartig auf und verschwand. Shannyn fühlte<br />
wieder festen Boden unter den Füßen. War sie tatsächlich<br />
geschwebt? Im nächsten Moment schwankte Shannyn, bis sie<br />
merkte, dass nicht sie, sondern der Boden unter ihren Füßen<br />
kippte. Sie stolperte über etwas auf dem Boden, prallte gegen<br />
eine Wand und hielt sich instinktiv an einer Haltestange vor<br />
den gewaltigen Erschütterungen fest.<br />
Sie wusste nicht, wo sie wahr und öffnete die Augen. Und<br />
starrte direkt auf den bedrohlich anmutende Trabant eines<br />
weiß-gelben Planeten, der sich inmitten einer wabernden,<br />
roten Nebelmasse drehte.<br />
Shannyn sah durch ein schmales Aussichtsfenster. Der Mond<br />
füllte fast den gesamten Bildausschnitt. Gelegentliche Blitze<br />
zuckten lautlos über seine dunkle, zerklüftete Oberfläche.<br />
Sie war im Weltraum.<br />
Auf einem Raumschiff.<br />
Und dann kochten hinter dem Fenster blaue Energiestrahlen<br />
durch das All, trafen auf unsichtbare Schilde und sie musste
sich erneut festhalten, um nicht von den neuen<br />
Erschütterungen umgeworfen zu werden.<br />
Shannyn drehte den Kopf und sah sich blinzelnd in der neuen<br />
Umgebung um. Es handelte sich um den zerstörten Korridor<br />
eines Sternenflottenschiffs. Er lag teils im Dunkeln. Viele<br />
Deckenlichter flackerten unkontrolliert, an manchen Stellen<br />
waren sie gänzlich ausgefallen. In dem Gang schrillten<br />
Sirenen und die Alarmanzeigen leuchteten rot.<br />
Brandspuren verrußten die Wände. Deckenplatten waren<br />
herabgefallen und Trümmer und Schutt eines anhaltenden<br />
Kampfes bedeckte den ganzen Boden. Irgendwo in einem<br />
Gangabschnitt hinter ihr war eine Kühlmittelleitung geplatzt.<br />
Grauer Rauch quoll aus ihr hinaus und hüllte einen Bereich<br />
des Ganges wie eine Wand ein. Shannyn trat zurück und wäre<br />
beinahe erneut über das Objekt von vorhin gestolpert. Sie<br />
bemerkte, dass es ein Körper war. Ein Sternenflottenoffizier. –<br />
Seine Augen waren seltsam verdreht, die Haut vor<br />
Verbrennungen aufgedunsen. Sie wusste, dass für ihn keine<br />
Hoffnung mehr bestand. Erst jetzt bemerkte sie den beißenden<br />
Geruch verbrannten Fleischs.<br />
Und dann sah sie den Cardassianer. Er kam ihr entfernt<br />
bekannt vor, auch wenn sie ergrautes Haar, ein verkrüppeltes<br />
Bein und das fehlen des rechten Auges an ihm vermisste. Er<br />
stand weiter vorn im Gang, in der Mitte einer Kreuzung und<br />
starrte Shannyn mit einer Mischung aus Verblüffung und<br />
Faszination an. Er rührte sich nicht, starrte sie einfach an.<br />
Wie lange stand er schon da?<br />
Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Bis jemand den<br />
Cardassianer von hinten anstieß, wodurch er vorwärts<br />
taumelte. Eine Orionerin in Sternenflottenuniform tauchte auf.<br />
Im Gegensatz zu dem Cardassianer schenkte sie Shannyn<br />
keinerlei Beachtung. Sie bemerkte sie nicht einmal, sondern<br />
war viel zu sehr damit beschäftigt, trotz der heftigen<br />
Erschütterungen, einen Phaser auf die Person vor sich
gerichtet zu halten und die perlweisen Zähne zu blecken.<br />
„Wenn Sie uns in einen hinterhalt gelockt haben, mach ich Sie<br />
fertig, Dorak!“, sagte sie und stieß den Cardassianer weiter, in<br />
den nächsten Gang hinein. Plötzlich erzitterte das Schiff<br />
erneut. Lose Deckenplatten klapperten.<br />
Alles klapperte.<br />
Dann spürte Shannyn eine Präsenz hinter sich, noch bevor<br />
diese Shannyn am Hals berührten konnte. Sie wirbelte<br />
instinktiv herum und wollte die Hand fortstoßen, als sie den<br />
Mann erkannte.<br />
Seine Hand fuhr unbeeindruckt an ihren roten Uniformkragen,<br />
wo er zwei der vier Rangpins entfernte und sie sich in die<br />
Taschen steckte. Shannyn kniff die Brauen zusammen und<br />
verzog die Miene. Rot-blonde Strähnen fielen ihr ins Gesicht.<br />
Sie fragte: „Sind die Sprünge immer so schmerzhaft?“<br />
„Für ungeübte, ja.“, nickte der Mann.<br />
Shannyn sah sich erneut im Korridor um. Sie waren allein.<br />
Der Cardassianer und die ruppige Sicherheitswächterin waren<br />
verschwunden. „Der Angriff hat bereits begonnen?“<br />
„Der beste Zeitpunkt Sie herzubringen. Hier beginnt alles.“<br />
„Oder endet alles, je nach Standpunkt.“<br />
„Sind Sie bereit?"<br />
Ein Schatten fuhr über ihr Gesicht. „Wie könnte ich?"<br />
„Sie hatten ausreichend Zeit sich darauf vorzubereiten.“, sagte<br />
der Mann. „Ihr halbes Leben.“<br />
„Mir war aber nie bekannt, wann Sie aufkreuzen würden,<br />
Ducane.“<br />
Er zuckte ungerührt mit den Schultern. Erneut schüttelte sich<br />
das Schiff, der Boden kippte für einen Moment zur Seite.<br />
Während Shannyn mit ihrem Gleichgewicht zu kämpfen hatte,<br />
stand der Mann völlig ruhig, mit hinter dem Rücken<br />
verschränkten Händen da, als würden ihn die Erschütterung<br />
überhaupt nicht betreffen. „Die Unberechenbarkeit der<br />
Dinge.“, sagte er nur. „Sie wissen, was vor sich geht?“
„Denke schon.“, antwortete Shannyn. „Wir haben Sternzeit<br />
50927.1. Dieses Schiff –die USS <strong>Shenandoah</strong> – befand sich<br />
auf dem Weg zu einer diplomatischen Mission, tief im<br />
cardassianischen Raum-„<br />
„Und das Erscheinen mysteriöser Anzeigen auf den<br />
Sichtschirmen geschah fast gleichzeitig mit dem Auftauchen<br />
eines Kampfschiffes der Breen-Konföderation, das feindselig<br />
reagiert hat.“, beendete Ducane den Satz. „Richtig. Sie sind<br />
also hinreichen instruiert. Nun, viel Glück.“<br />
Er wollte sich abwenden, aber Shannyn griff nach seinem Arm<br />
und wirbelte ihn herum. „Die Berichte über all das, was<br />
damals passierte sind sehr unterschiedlich. Bestenfalls vage.<br />
Es gibt massenhaft verschiedene Versionen der Ereignisse.<br />
Woher weiß ich, wie stark ich mich einmischen kann, was ich<br />
tun soll und was nicht?“<br />
Der Mann lächelte geheimnisvoll. „Erfüllen Sie einfach ihr<br />
Schicksal und versuchen Sie nicht ihm zu entrinnen.“<br />
Shannyn sah sich erneut um und schnaufte. „Wenn ich eines<br />
von meinem Vater gelernt habe, dann das.“<br />
Als sie sich wieder umdrehte, war der Mann verschwunden<br />
und Shannyn allein.<br />
Das Schiff erzitterte erneut. Sie rückte den Rucksatz auf ihrem<br />
Rücken zurecht, damit er nicht klapperte, blieb noch eine<br />
Sekunde stehen und lief dann los.
Gefechtsstationen<br />
Lieutenant Liandra Caseys schmerzerfüllter Schrei hallte<br />
durch den zerstörten Kontrollraum. In einem Meer aus Funken<br />
begleitet, stürzte sie von der explodierenden Technikstation<br />
fort. Sie wurde auf die Rampe geschleudert und krümmte sich<br />
zusammen. Dickflüssiges Blut sickerte aus einer schweren<br />
Platzwunde ihres halb verbrannten Gesichts und ein<br />
herzzerreißendes Wimmern kam zwischen<br />
zusammengebissenen Lippen hervor.<br />
Captain Gabriel O’Conner kam sich schuldig vor. Er war im<br />
Entscheidenden Moment nicht auf der Brücke gewesen, hatte<br />
den Kontrollraum einer Person überlassen, der er nicht traute,<br />
nur um sich den Luxus von Schlaf zu gönnen, mit dem<br />
Ergebnis, dass sein Schiff unter feindlichem Beschuss stand.<br />
Mürrisch warf er einen Blick über die Schulter, zu der<br />
blonden, alten Frau, die in Commander Bowmans Sessel saß,<br />
als wäre es ihr Thron. Die Knöpfe am Kragen ihrer<br />
Sternenflottenuniform gaben ihr den seiner Meinung nach<br />
unverdienten Rang eines Sechs-Sterne-Admirals. Bisher<br />
deutete alles darauf hin, dass ihr Ego dem Rang in nichts<br />
nachstand.<br />
In dem Moment als Nechayev sein Schiff betreten hatte, hatte<br />
O’Conner gewusst, dass die Frau sie alle in Schwierigkeiten<br />
bringen würde. Doch er hätte nicht gedacht, dass sie die<br />
<strong>Shenandoah</strong> mitten in ein Gefecht führte.<br />
In ein solch aussichtsloses noch dazu. Was zum Teufel hatte<br />
sie sich nur dabei gedacht, den Kurs zu ändern und unter Warp
zu gehen, dabei direkt diesem angrifflustigen Hundesöhnen in<br />
die Arme fallend?<br />
Die <strong>Shenandoah</strong> wurde soeben von einer weiteren Salve des<br />
gegnerischen Schiffes erschüttert, das irgendwo an Backbord<br />
durch die Nebelschwaden sauste. Die Plasmastrahlenkanonen<br />
des Breen-Schiffes waren effektiv und setzten den Schilden<br />
der beschädigten <strong>Shenandoah</strong> ordentlich zu. Trotzdem fragte<br />
sich O’Conner, warum diese Mistkerle nicht einfach ihre<br />
gefürchtete Energiedämmwaffe einsetzten.<br />
Die Erschütterung zerriss eine Energieleitung seitlich des<br />
Sichtschirms. Eine Feuerfontäne züngelte bis zur Decke<br />
hinauf, erstarb dort und hinterließ schwarze Brandspuren.<br />
O’Conner warf einen kurzen Blick zu den Monitoren im<br />
hinteren Bereich der Brücke, wo eben noch das griechische<br />
Symbol für Omega blau geglüht hatte. Nun waren zwei dieser<br />
Monitore ausgefallen, ein anderer flackerte. Erst als Nechayev<br />
einen Code eingetippt hatte, waren die Omega-Symbole<br />
wieder verschwunden und die Systeme brauchbar. Den<br />
ahnungslosen Crewmitgliedern, die plötzlich vor den<br />
Konsolen gestanden hatten, die von ihnen keine Befehle mehr<br />
entgegen nahmen, hatte sie natürlich nicht erklärt, worum es<br />
sich bei Omega handelte. Diese Daten waren streng<br />
vertraulich. Nur sie wusste davon. Und O’Conner.<br />
Das Deck kippte unter dem nächsten Beschuss zur Seite.<br />
Etliche Offiziere stürzten zu Boden, einige hielten sich wacker<br />
an den Konsolen fest.<br />
Sirenen heulten.<br />
„Die Sonden senden jetzt ihre Daten.“, rief Rhonda Smith dem<br />
Captain zu. Die Ärztin vertrat den Wissenschaftsoffizier<br />
Castor an dessen Konsole. O’Conner hätte lieber Castor dort<br />
sitzen gehabt, aber der hatte Smith vor kurzem den Posten<br />
überlassen.<br />
Mit beginn der Mission, dachte O’Conner. Normalerweise<br />
vertraute er Rhonda Smith bedingungslos, aber seit Nechayev
an Bord gekommen war, verhielt sich die Ärztin anders. Wie<br />
unter Zwang. Nechayev schien einen unbekannten Einfluss<br />
auf sie zu haben und das weckte sein Misstrauen gegenüber<br />
Smith. Dennoch war sie ein wahres Multitalent, seit jeher ein<br />
Wunderkind. O’Conner wusste nicht wie sie es machte –<br />
niemand wusste das so recht, aber die stille Brünette<br />
beherrschte innerhalb kürzester Zeit die verschiedensten<br />
Dinge. So war sie inzwischen Expertin in den mannigfachsten<br />
wissenschaftlichen Bereichen und einem Dutzend weiterer.<br />
Vielleicht lag es an ihrem eidetischen Gedächtnis. Vielleicht<br />
lag es an was anderem.<br />
„Weitere Schiffe in der Nähe?“, fragte O’Conner. „Haben wir<br />
unwissentlich eine Renegatenbasis entdeckt?“<br />
In was für ein Planetensystem jenseits der erforschten<br />
Territorien des cardassianischen Raumes Nechayev sie auch<br />
immer geführt hatte, die Sensoren waren so gut wie<br />
unbrauchbar. Selbst die Sonden arbeiteten unzuverlässig. Der<br />
Passiv-Energie-Indikator, der in der Umgebung abgestrahlte<br />
Energie maß, zeigte Werte jenseits der normalen Skala an.<br />
Nur, was genau diesen wahren Höllensturm auf den<br />
Energieanzeigen verursachte, konnte man unmöglich sagen.<br />
„Es ist nur ein Schiff, Sir. Ein Delta.“<br />
O’Conner begegnete dem ernsten Gesicht seines ersten<br />
Offiziers, stolperte unter dem Beschuss an ihr vorbei und<br />
beugte sich zu Smith an die Konsole, um sich die wenigen<br />
Werte anzusehen, die von der Sonde geliefert wurden. Delta –<br />
das war eines der neueren Kampfschiffe der Breen. Dem<br />
Verhältnis von Länge und Breite nach zu urteilen, musste es<br />
ein Typ der Klasse III oder IV sein. Nicht gerade das größte<br />
Schiff, dass die Breen jemals in Dienst gestellt hatten, aber<br />
groß genug um ihnen Probleme zu bereiten. Erst recht, wenn<br />
sie sich dazu entschlossen, ihr anderes Waffensystem<br />
einzusetzen. Zwar war die <strong>Shenandoah</strong> als schwerer Kreuzer<br />
der Akria-Klasse ebenfalls nicht zu verachten, aber mit den
energieabsorbierenden Waffen der Breen konnten sie es nicht<br />
aufnehmen. Denen waren schon weitaus größere Schiffe zum<br />
Opfer gefallen. Das Delta war unangenehm. Sogar äußerst<br />
unangenehm.<br />
Robust und auch noch verdammt gut bewaffnet. Der Raumer<br />
verfügte über einen weiteren, entscheidenden Vorteil: sie<br />
waren besonders manövrierfähig. Diese Dinger waren gebaut<br />
worden, um über ahnungslose Opfer wie Pumas herzufallen.<br />
Sie war ohne weitere in der Lage ein Schiff der Akira-Klasse<br />
auszumanövrieren und das mussten diese Verbrecher auch<br />
wissen. Dennoch gingen sie vorsichtig vor und nutzten nur die<br />
halbe Leistung dessen, was ihr Schiff wirklich vermochte.<br />
O’Conner wusste zwar nicht genau, wo sich sein Schiff<br />
gegenwärtig befand, aber ihm war nicht entgangen, was sich<br />
in dieser Region befand und die Vorsichtigkeit der Breen<br />
führte er auf genau jenes Ding zurück.<br />
Wo hatte Nechayev sie nur hineingebracht?<br />
„Ruderkontrolle: Ausweichmanöver! Dreißig Grad Backbord,<br />
nach unten abtauchen.“<br />
„Aye, Sir.“, bestätigte Chief Crocker. Der bärtige, ältere Mann<br />
stand breitbeinig hinter Steuermann Cooper Hawk und<br />
Navigator Joe Toye und gab den Befehl weiter. „Dreißig Grad<br />
Backbord, nach unten abtauchen.“<br />
Die <strong>Shenandoah</strong> sackte abrupt ab und entging nur knapp einer<br />
weiteren Salve.<br />
„Ich hoffe das war noch nicht alles, Captain.“, sagte Admiral<br />
Nechayev in einem herablassenden Tonfall. Sie richtete sich<br />
auf, legte die Hände auf die Hüften und streckte ihre<br />
Wirbelsäule, wie eine auf der Lauer liegende Katze. O’Conner<br />
warf einen verschwörerischen Blick über die Brücke. Rauch<br />
quoll durch den Raum, das Umweltkontrollsystem kam kaum<br />
hinterher ihn abzusaugen. Der Kontrollraum war ramponiert.<br />
Zwei Stationen zerstört, Verletzte lagen auf dem Boden und<br />
wurden von Hilfskräften versorgt. Die Offiziere rannten
hektisch umher und riefen sich gegenseitig gehetzt Befehle zu.<br />
„Admiral.“, begann Captain O’Conner mit gepresster Stimme.<br />
„Wir können es mit denen nicht aufnehmen. Ich empfehle auf<br />
Warp zu gehen.“<br />
„Sie haben das Zeichen auf den Monitoren vorhin gesehen,<br />
Captain.“, erwiderte Nechayev ruhig. „Ich muss Ihnen kaum<br />
erklären, was auf dem Spiel steht.“ Ihre harte, unnachgiebige<br />
Stimme klang so, als ob sie abtreten, Kadett gesagt hätte. Und<br />
sie musste O’Conner nicht erklären, was auf dem Spiel stand.<br />
Aber gerade weil er es genau wusste, wollte er sein Schiff so<br />
weit wie möglich aus der Gefahrenzone bringen. Er sah zu<br />
einem der Monitore. Auf dem eckigen Schirm war eine<br />
Darstellung des kompletten Systems abgebildet. O’Conner sah<br />
die Sonne, den verseuchten Planeten mit seinem Mond und die<br />
Nebelmasse. Und irgendwo hinter dem blauen Pünktchen, das<br />
die <strong>Shenandoah</strong> symbolisierte, glühte noch immer das<br />
griechische Zeichen für Omega auf.<br />
„Doktor Smith.“, befahl Nechayev. „Lassen Sie Mr. King zum<br />
Frachtraum vier bringen, isolieren Sie das Transportersystem<br />
und geben Sie mir ein Zielkoordinatenraster.“<br />
Auf den Schirmen erschienen Fadenkreuze, legten sich auf die<br />
von den Sensoren übertragene Darstellung des Delta und<br />
begannen sich selbstständig auf das Ziel auszurichten.<br />
„Die werden mir nicht zuvorkommen“, murmelte sie und<br />
ballte die Faust. „Ich will es haben!“<br />
O’Conner nahm sie am Arm. Er musste sich zügeln, nicht mit<br />
den Zähnen zu knirschen. „Ich glaube es gibt da noch ein paar<br />
Dinge, die Sie bedenken sollten.“<br />
„Zum Beispiel?“, fragte Nechayev.<br />
„Zum Beispiel die Sicherheit der Leute auf meinem Schiff.“<br />
Nechayev schüttelte den Kopf. „Über die Gefahr bin ich mir<br />
bewusst. Wir werden das Risiko eingehen.“<br />
„Die Sensoren machen auf dem Mond in diesem System<br />
Leben aus. Eine Siedlung.“
Nechayev winkte ab. „Unwichtig.“<br />
O’Conner wurde langsam richtig wütend. Wie konnte jemand<br />
eine derartig gefährliche Situation nur so gründlich<br />
verkennen? Aber er war sich sicher, dass Nechayev sogar sehr<br />
viel mehr wusste, als er und dass regte ihn noch mehr auf.<br />
„Hören Sie zu-“<br />
„Nein Captain, Sie hören mir zu. Entweder helfen Sie mir nun<br />
das Renegatenschiff der Breen zu vertreiben, nötigenfalls aus<br />
dem Weltall zu fegen, oder ich sehe mich gezwungen das<br />
Kommando zu übernehmen.“ Sie sah sich um, weil sie<br />
bemerkte, sehr laut gesprochen zu haben und dass sie alle<br />
beobachteten. Jetzt wandten sie allerdings schnell die Köpfe<br />
ab und konzentrierten sich wieder auf ihre Pflichten.<br />
Zumindest taten sie so.<br />
O’Conner starrte Nechayev an, verübte mit ihr ein<br />
Augenduell... und verlor.<br />
„He.“, unterbrach Crocker. „Falls es irgendwen interessiert,<br />
dieser Knaller da draußen wendet.“<br />
Alle Köpfe ruckten herum. Auf dem Schirm war deutlich zu<br />
erkennen, wie der dunkle Schatten des Delta wendete und aus<br />
einer Nebelschwade heraus- und auf sie zuschoss. Jetzt<br />
wollten die Hunde ernst machen. Nechayev hatte die<br />
<strong>Shenandoah</strong> in eine Position gebracht, wo das Schiff zwischen<br />
den Breen und dem Grund ihres hier seins lag und sie<br />
beabsichtigte nicht den Weg zu räumen.<br />
Commander Bowman rief: „Das Delta kommt herum.“<br />
Admiral Nechayev schob sich an O’Conner vorbei. Soweit es<br />
sie betraf, war er kein brauchbares Mitglied der Crew mehr,<br />
auch wenn er sich noch auf der Brücke befand.<br />
„Kollisionsalarm.“<br />
„Position halten.“, befahl Nechayev. „Volle Energie auf die<br />
vorderen Schilde. Wir werden nicht weichen.“<br />
O’Conner wusste, dass sie einen Fehler beging, aber er wusste<br />
auch, dass er sie bei der kleinsten Zwischenbemerkung von
der Brücke holen würde. Im Grunde konnte er gar nichts mehr<br />
tun. O’Conner drehte den Kopf und beobachtete stumm den<br />
schnell näherkommenden Schatten auf dem Hauptschirm.
Explosion<br />
Das Breen-Schiff raste direkt auf sie zu und machte keinerlei<br />
Anstalten auszuweichen, ebenso wie die <strong>Shenandoah</strong>. Auch<br />
Nechayev war wild entschlossen nicht aufzugeben. Ihr ganzer<br />
Wille, ihre ganze Aufmerksamkeit waren auf das sich<br />
nähernde Schiff gerichtet. Nicht nur Smith, alle auf der Brücke<br />
hatten schweißglänzende Gesichter, als ob jemand Kübelweise<br />
Wasser über ihre Köpfe geschüttet hätte. Die ganze Brücke<br />
stank förmlich nach Angst.<br />
„Admiral…“, bat Pilot Cooper Hawk. Seine Hände ruhten auf<br />
den Navigationskontrollen, die stechend blauen Augen blieben<br />
auf den Sichtschirm gerichtet. Dennoch wirkte er irgendwie<br />
abwesend.<br />
„Position wird gehalten, egal was die Breen machen.“<br />
Sicherheitschef Spiers hielt seinen Blick gebannt auf die<br />
Monitore gerichtet. „Delta öffnet Torpedorohre.“<br />
„Wie viele?“, fragte Nechayev hektisch.<br />
„Alle.“<br />
„Gegenmaßnahmen!“, schrie Bowman. „Alles raus!“ Sie<br />
plante, dass sie alles losschickten, was die <strong>Shenandoah</strong> hatte:<br />
Irrfelder, falsches Plasma, elektrostatische Störsignale – alles,<br />
was die Zielerfassungssensoren der Breen verwirren konnte.<br />
Spiers wollte sich augenblicklich daran machen, die Tasten<br />
seiner Kontrollen zu bearbeiten, aber Smith hielt seinen Arm<br />
fest. „Nicht! Das könnte es destabilisieren.“<br />
Spiers wollte gerade nachfragen, was Es eigentlich war, als<br />
der Kollisionsalarm losschrillte.<br />
Das Schiff auf dem Sichtschirm schwoll an ... schwoll an ...<br />
schwoll an, hatte sie fast erreicht und dann hielt es O’Conner
nicht mehr aus, schnellte zur Steuerkonsole und schrie:<br />
„Ausweichen!“<br />
„Nein!“, rief Nechayev, aber da tauchte die <strong>Shenandoah</strong><br />
bereits ab – gerade noch rechtzeitig. Die Breen sausten so<br />
knapp über sie hinweg, dass O’Conner glaubte ein dumpfes<br />
Dong zu hören. Das war der Moment, wo die Breen das Feuer<br />
eröffneten. Ihre Torpedos rasten durchs All...<br />
... und trafen auf.<br />
Das ganze Schiff wurde erschüttert, die Monitorbilder fingen<br />
an zu rollen, wurden weiß und zeigten schließlich nur noch<br />
undeutliche Schlieren.<br />
Sirenen heulten.<br />
Die Besatzung versuchte verzweifelt die schlingernde<br />
<strong>Shenandoah</strong> zu stabilisieren, dann kamen von überall her die<br />
Schadensmeldungen herein. Alle schrieen durcheinander. Eine<br />
verzerrte Stimme rief über die Kommunikationsanlage:<br />
„Maschinenraum ... Chief ist tot. Wir haben hier unten große<br />
Probleme ... Warpkern ... schlüsselt ... Programm ... -gendwas<br />
stimmt hier nicht, der-“ Und dann brach der Kontakt völlig ab.<br />
Nechayev kämpfte sich durch die Erschütterungen zu Smith<br />
an die wissenschaftliche Station. „Wo sind die Breen?“<br />
„Sie sind- O Nein.“ Die Ärztin riss ihre blauen Augen auf.<br />
„Die Breen machen ihr Transportersystem klar.“<br />
„Mein Gott.“<br />
Nechayev sah verzweifelt zum Sichtschirm, wo das Delta<br />
Position über der vielleicht wichtigsten Entdeckung dieses<br />
Jahrtausends machte und Necahyev fühlte, wie sie den Boden<br />
unter den Füßen zu verlieren drohte. Die Breen schienen ihr<br />
zuvorzukommen.<br />
Aber noch gab Nechayev nicht auf, nicht hier, nicht jetzt!<br />
Soweit war es noch nicht.
„Was ist mit den Waffen?“, fragte sie laut. „Was haben wir<br />
noch?“<br />
Spiers studierte seine Anzeigen. „Phaserbänke ausgefallen.<br />
Torpedos Bereit.“<br />
„Ziel fixieren.“<br />
Spiers sah flüchtig zu O’Conner, als wolle er sich von ihm<br />
eine stumme Bestätigung abholen. O’Conner nickte kaum<br />
merklich.<br />
„Ziel fixieren, Lieutenant!“, wiederholte Nechayev.<br />
„Ziel fixiert.“<br />
Smith bekam große Augen. „Admiral! Das ist zu riskant. Ein<br />
falscher Schuss-“<br />
Nechayev beugte sich zu ihr herab. „Es gibt drei Arten von<br />
Menschen, Rhonda. Diejenigen, die Dinge geschehen machen,<br />
diejenigen, die zusehen, wie Dinge geschehen und diejenigen,<br />
die sich wundern, wie Dinge geschehen. In welche Kategorie<br />
gehören Sie?“ Sie wartete gar keine Antwort ab und sagte<br />
lauter: „Wir gehen das Risiko ein.“<br />
Ein kurzer Blick auf die Monitore verriet: Das Feuerleitsystem<br />
war kampfbereit. Auf den Zielmonitoren erschien die vorausberechnete<br />
Schussbahn in Form von farbig markierten<br />
Strahlen, deren Endpunkte im den sensiblen Stellen des Delta<br />
lagen.<br />
Aber die seltsamen Bedingungen des Nebels in dem System<br />
behinderte und verwirrten die Zielsensoren stark, weshalb die<br />
<strong>Shenandoah</strong> bisher auch nur die zuverlässigen Phaser benutzt<br />
hatte.<br />
Wenn die Zielsensoren der Torpedos-<br />
Nein! Der Schuss musste hundertprozentig sitzen. Für ihren<br />
Vater, für ihren verschiedenen Gatten - für jedermann! Sie<br />
durften die Sache nicht vermasseln.<br />
Jemand sagte: „Delta aktivieret Transportersystem.“<br />
Nechayev presste die Zähne zusammen. „Feuer!“
Zwei rotglühende Torpedos verließen die Rohre der mächtigen<br />
<strong>Shenandoah</strong> und zuckten durch den Weltraum. Sie schossen<br />
auf das Delta zu, korrigierten kurz ihre Bahnen, als sich die<br />
durch den Nebel verwirrten Zielmechanismen neu auf die<br />
feindlichen Energiewerte einrichteten. Nechayev hielt den<br />
Atem an. Unter dem Delta baute sich das schwache Flimmern<br />
eines Transporterstrahls auf. Und dann fanden die Torpedos<br />
ihr Ziel.<br />
Sie explodierten mit furchtbarer Gewalt und ein Feuerball<br />
entstand an der Schiffshülle des Delta. Dann zuckten in alle<br />
Richtungen Strahlenbündel aus blauweißer Energie über das<br />
gesamte Schiff. Stotternd fielen die Warpreaktoren aus.<br />
Auf der Brücke der <strong>Shenandoah</strong> setzte für einen Moment ein<br />
Höllenlärm ein, als die Mannschaftsmitglieder jubelten,<br />
lachten und sich erleichtert die Hände schüttelten.<br />
„Überlastung ihres Transportersystems.“, meldete Spiers.<br />
Das Schimmern des Transporters im Weltraum flackerte und<br />
erstarb.<br />
Nechayev atmete erleichtert aus.<br />
Und dann sahen sie, wie plötzlich alle Energieanzeigen bis<br />
ausschlugen. Ein wahrer Höllensturm tobte auf den Sensoren.<br />
Der Jubel verstummte. Smith hielt sich panisch an ihrer<br />
Station fest. „Es destabilisiert sich.“<br />
Nechayev’s Magen knotete sich zusammen. „Nein.“, flüsterte<br />
sie.<br />
Gabriel O’Conner sah auf den Monitoren das Unheil, dass sich<br />
anbahnte und versuchte zu Hawk zu gelangen. „Hawk! Sitzen<br />
sie nicht untätig da wie ein Borg! Auf Warp gehen!“, brüllte er<br />
„Warpantrieb! Bringen sie uns auf Warp!“<br />
Aber Hawk reagierte nicht. Er saß an seiner Konsole, starrte<br />
ins Leere und wirkte abwesend. O’Conner wusste nicht, ob der
Lieutenant ihn nicht hörte, oder seinen Befehl aus einem<br />
anderen Grund ignorierte. Es spielte keine Rolle mehr. Alles<br />
war zu spät.<br />
Ein grellweißes Licht blitzte auf dem Sichtschirm und eine<br />
Explosion zerriss den Subraum.<br />
Die Wucht der Schockwelle kam unerwartet und warf alle<br />
Offiziere auf der Brücke von den Beinen, sodass sie über den<br />
Boden des Kontrollraums rollten. Zwei Konsolen platzten in<br />
einem Funkenregen auseinander. Um sie herum knirschte und<br />
knarrte die ganze Konstruktion.<br />
Es klang erschreckend laut. O’Conner rappelte sich auf. Er sah<br />
noch, dass Commander Bowman an der Stirn blutete – dann<br />
kam die nächste Schockwelle. Sie schleuderte O’Conner<br />
gegen die Seitenwand. Hart schlug sein Kopf gegen das<br />
Metall, ihn durchfuhr ein stechender Schmerz. Sicherheitschef<br />
Spiers fiel auf ihn, knurrte und fluchte. In dem Bemühen auf<br />
die Beine zu kommen, stieß Spiers mit der Hand in O’Conners<br />
Gesicht. O’Conner fiel erneut zu Boden, neben ihm schlug<br />
funkensprühend ein Deckenträger auf. Das ganze Schiff<br />
schwankte wie bei einem Erdbeben. Die Sirenen heulten. Alle<br />
hielten sich krampfhaft an Türrahmen, Konsolen und<br />
Wandverkleidungen fest, um das Gleichgewicht nicht zu<br />
verlieren.<br />
Was aber O’Conner am meisten erschreckte, war das<br />
Geräusch – das unvorstellbar laute metallische Knirschen und<br />
Krachen der Außenhülle.<br />
Die <strong>Shenandoah</strong> geriet völlig außer Kontrolle.<br />
Nechayev befand sich an der gegenüberliegenden Wand und<br />
versuchte, sich zur Wissenschaftlichen Station vorzuarbeiten.<br />
Sie schrie Befehle, doch außer dem entsetzlichen Geräusch,<br />
das klang, als würde sich das Schiff wie eine Sardinenbüchse<br />
zusammenquetschen, konnte O’Conner kaum etwas verstehen.
Er klammerte sich an der Wandverkleidung fest und sah, wie<br />
die halbe Brückenmannschaft hilflos durch den Kontrollraum<br />
geschleudert wurde. Der Sichtschirm rollte, zeigte undeutliche<br />
Schlieren. O’Conner glaubte zu erkennen, wie das Delta - was<br />
davon übriggeblieben war – an ihnen vorbeigeschleudert<br />
wurde.<br />
Allan D’Agosta, der Systemanalytiker und zweite Offizier,<br />
rollte über den Boden und bekam irgendwann den Sessel des<br />
ersten Offiziers zu greifen, wo er sich verzweifelt<br />
festklammerte. Smith konnte er nicht sehen, aber Pilot Cooper<br />
Hawk hielt sich mit verblüffender Verbissenheit an den<br />
Steuerkontrollen und versuchte das Schiff unter Kontrolle zu<br />
bekommen.<br />
„Hawk!“, rief der O’Conner. „Hawk! Wir müssen-“ Dann<br />
prallte irgendjemand gegen ihn und brachte ihn zu fall.<br />
O’Conner rutschte über den Boden, als sich die <strong>Shenandoah</strong><br />
aufbäumte und prallte gegen die Stufen des Kommandodecks.<br />
Dort stellte er entsetzt fest, dass der rollende Sichtschirm den<br />
Mond des einzigen Planeten dieses Sternensystems zeigten.<br />
Und er sprang auf sie zu!<br />
In Wahrheit aber, war es nicht der Mond, der auf sie zusprang,<br />
sondern-<br />
Der Ire O’Conner schnappte nach Luft. Sie stürzten der<br />
Oberfläche entgegen. Was immer da im Weltraum explodiert<br />
war, die Druckwelle hatte die <strong>Shenandoah</strong> erfasst und sie auf<br />
den Trabanten zugeschleudert.<br />
Es musste etwas geschehen. Er kam wieder auf die Füße und<br />
stand in einem feinen Funkenregen. Er sah sich um: überall<br />
spielten die Konsolen verrückt, fielen aus, gingen wieder an<br />
und kurz darauf wieder aus.<br />
Das verdammte Schiff bricht auseinander, dachte O’Conner.<br />
Er wankte zu Hawk, hielt sich an dessen Stuhl fest und schrie<br />
dich an seinem Ohr: „Fluglage stabilisieren!“<br />
„Wir stürzen ab!“
„Ich weiß.“, sagte O’Conner. „Können Sie hochziehen? Das<br />
Schiff von der Atmosphäre abprallen lassen?“<br />
Hawk schüttelte verzweifelt den Kopf. Wo er vorhin noch<br />
abwesend schien, war er nun völlig klar bei der Sache. „Ist zu<br />
spät, wir haben den Abprallpunkt bereits überschritten.<br />
Verdammt! Die Energieanzeigen spinnen, der Antrieb reagiert<br />
auf gar nichts.“<br />
Es stimmte. Die Indikatoren für die Energiesysteme zeigten<br />
eine Katastrophe an.<br />
„Dann bringen sie uns spiralförmig runter, Lieutenant. Wie<br />
Sie es gelernt haben.“<br />
In demselben Augenblick brüllte jemand verzweifeltes über<br />
die Kommanlage: „Maschinenraum an ... Virus ... alles aus.“<br />
Dann erfolgte ein Klicken und der Kontakt brach ein letztes<br />
Mal ab und konnte auch nicht wieder hergestellt werden.<br />
„Ich hab über nichts Kontrolle!“, rief Hawk verzweifelt. „Das<br />
wird eine schlimme Bruchlandung, Sir.“<br />
Reibungshitze durch den Atmosphäreneintritt ließ bereits<br />
Flammen auf dem Sichtschirm erscheinen. Das verfluchte<br />
Diskussegment begann zu brennen! Die <strong>Shenandoah</strong><br />
schlingerte nicht mehr, schüttelte sich dafür aber wie bei<br />
einem Erdbeben. Alles klapperte und zitterte. Der Sichtschirm<br />
flackerte, zeigte, wie sie der Oberfläche entgegenstürzten.<br />
O’Conner drehte den Kopf und sah jemanden am Boden<br />
liegen, unmittelbar bevor Crocker über den Körper stolperte<br />
und schwer gegen die Wand schlug. O’Conner durfte ihm<br />
nicht helfen. Er musste handeln. In nächster Nähe vor seinem<br />
Gesicht leuchteten riesig die Buchstaben:<br />
ENERGIEAUSFALL. Die Systeme sponnen.<br />
Alles war verrückt.<br />
Wenn sie bei dem Absturz keine Energie für die<br />
Trägheitsabsorber hatten-<br />
„Schluss jetzt!“, schrie O’Conner durch den Lärm. „Schluss<br />
jetzt, wir evakuieren.“
Mit einem Mal tauchte neben O’Conner Nechayevs Gesicht<br />
auf, das Haar zerzaust. „Das können Sie nicht tun!“<br />
„Ach nein?“<br />
„Die Mission ist nicht vorüber, Captain! Hawk, tun Sie ihre<br />
Pflicht und bringen Sie-„<br />
„Sparen Sie sich die Mühe, Admiral.“, sagte O’Conner und<br />
stieß sie weg. Er hatte nun wieder das Kommando<br />
übernommen.<br />
„Sie machen einen großen Fehler!“, rief Nechayev, während<br />
sie rückwärts auf den Sitz der Ops-Station fiel.<br />
O’Conner ignorierte sie. „Smith!“, rief er. „Was ist mit den<br />
Fluchtkapseln? Sind die auch von dem Energieausfall<br />
betroffen?“<br />
Rhondas Hände flogen über die Tasten. Sie schüttelte den<br />
Kopf. „Ich... lässt sich nicht genau sagen. Ich weiß es nicht.“<br />
„Sind die Kapseln okay?“, schrie er, um den Lärm zu<br />
übertönen. Er deutete zum Sichtschirm, wo der Mond nun den<br />
ganzen Bildausschnitt ausfüllte. „Ich muss wissen, ob meine<br />
Besatzung es auch sicher nach unten schafft, bevor ich sie da<br />
rausschicke.“<br />
Die Ärztin schüttelte verzweifelt den Kopf. „Es... es tut mir<br />
leid, Sir. Ich bekomme falsche Anzeigen geliefert. Sie<br />
widersprechen sich.“<br />
Commander Bowman tauchte neben O’Conner auf und sah<br />
ihn ernst an. „Die Kapseln verfügen über gute Notfallsysteme.<br />
Mit ihnen hat die Crew mehr Chancen heil nach unten zu<br />
kommen, als in einem Schiff ohne ausreichende Energie für<br />
die Trägheitsabsorber.“<br />
O’Conner fasste einen Entschluss. „Stoßen wir die Kapseln<br />
aus.“<br />
Das ohrenbetäubende Knirschen der Außenhülle wollte nicht<br />
aufhören. Die Stöße warfen O’Conner von einer Seite zur<br />
anderen. Er versuchte sich auf den Beinen zu halten, während
er zum Kommandostuhl taumelte. Dort bekam er die Lehne zu<br />
fassen und betätigte die Kontrollen.<br />
„Achtung.“, sagte O’Conner über die Sprechanlage, bemüht<br />
seine Stimme möglichst ruhig zu halten. „Alle Mann das<br />
Schiff verlassen! Ich wiederhole, alle Mann sofort das Schiff<br />
verlassen. Dies ist keine Übung! Wir verlassen die<br />
<strong>Shenandoah</strong>.“<br />
O’Conner begegnete für einen Moment Nechayevs wütenden<br />
Blick. Doch anstatt einen drohenden Kommentar von sich zu<br />
geben, wirbelte sie herum und stolperte zum Turbolift.<br />
O’Conner kümmerte sich nicht länger drum, stieß sich vom<br />
Kommandostuhl ab und taumelte zurück zu Lieutenant Hawk.<br />
Der Pilot brachte das Schiff in einen spiralförmigen Sinkflug,<br />
damit die Kapseln in einem möglichst kleinen Radius, dicht<br />
beieinander landeten – falls auch die Koordinatenraster<br />
Fehlfunktionen erlitten.<br />
Hawk schluckte. Es war verrückt. Einfach verrückt. Und das<br />
nur, weil er den Warpantrieb nicht rechtzeitig aktiviert hatte.<br />
Eine Sekunde, die über ihr aller Leben entschied. Eine<br />
verfluchte Sekunde.<br />
Was hab ich getan? Was hab ich nur getan?<br />
Der Planet schwoll weiter an.<br />
Die ehemalige Kampfpilotin Ashley Bowman kam mit der<br />
gegenwärtigen Ausnahmesituation wesentlich besser zurecht,<br />
als die meisten Anderen, denn sie war es aus zahlreichen<br />
Gefechtssituationen gewöhnt, wenn um sie herum alles<br />
zusammenbrach, brannte und erstarb. Sie hielt sich wild am<br />
Holz der hufeisenförmigen Sicherheitsstation fest und suchte<br />
den Kontrollraum nach einem bestimmten Gesicht ab.<br />
Dann entdeckte sie endlich Allan D’Agosta. Er klammerte<br />
sich unter ihr im Kommandodeck an ihrem Stuhl des ersten
Offiziers fest und schien nicht recht zu wissen, was er machen<br />
solle.<br />
D’Agosta war Mitte dreißig, alleinerziehender Vater und<br />
durch und durch ein netter Kerl. Ein netter Kerl deshalb, weil<br />
er nicht im Dominion-Krieg gekämpft und auch sonst ein<br />
wohlbehütetes Leben genossen hatte. Sympathisch, nur viel zu<br />
passiv. Und er sollte nicht in Situationen wie diese geraten,<br />
weil sie für ihn absolutes Neuland waren. Nicht nach dem,<br />
was er alles durchgemacht hatte.<br />
Bowman beugte sich zu ihm herab: „Allan, verschwinde. Hol<br />
Judy.“<br />
D’Agostas verwirrter Blick glitt über die Brücke. Bowman<br />
war sich nicht einmal sicher, ob er sie gehört hatte. Sie langte<br />
über die Sicherheitskonsole und umschloss mit der Hand feste<br />
seine Schulter. Nun schrak er auf und sah zu ihr hoch.<br />
„Allan!“, wiederholte sie. „Hol deine Tochter, hol Judy!“<br />
„Was... was ist mit dir?“<br />
„Ich komme nach.“<br />
„Aber-„<br />
„Hol Judy, verdammt!“, rief sie und gab ihm einen Stoß. Dann<br />
taumelte er endlich los und schaffte es zum Turbolift. Ihre<br />
Blicke trafen sich ein letztes Mal. Die Tür schloss sich hinter<br />
D’Agosta und sperrte den Kontrollraum aus.<br />
Weiter vorn auf der Brücke stürzte O’Conner erneut zu Boden<br />
und wäre um ein Haar mit dem Kopf an einen Stuhl<br />
geschlagen. Die Erschütterung war so heftig, dass es diesmal<br />
sogar Hawk aus dem Sitz riss. Er schleuderte Quer durch den<br />
Raum zum Sichtschirm. Hawk rollte ab und rappelte sich auf,<br />
als O’Conner plötzlich vor ihm stand. Er sah im das erste Mal<br />
in die Augen. Und hielt dem Blick nicht stand. Hawk fühlte<br />
sich schuldig.<br />
„Captain, es-„
„Ist schon gut, Lieutenant.“, sagte er. „Verschwinden Sie.“<br />
„Captain-„<br />
„Sie sollen verschwinden, habe ich gesagt!“, knurrte<br />
O’Conner und stieß den Piloten fort. Er sah, wie Smith zu ihm<br />
rannte und ihn an der Hand nahm. Sie zog ihn hinter sich her.<br />
Dann brüllte O’Conner: „Los raus, alle Mann raus. Räumt den<br />
Kontrollraum!“<br />
Die Menschen im Innern begannen durcheinander zu laufen<br />
und zu den Ausgängen zu hasten. O’Conner brummte, als sich<br />
Bowman neben ihn hinter die Navigations-Kontrollen. Ein<br />
Blick verriet ihm, dass sie nicht gehen würde. Und er wusste,<br />
jede Diskussion mit ihr war von vornherein zum Scheitern<br />
verurteilt.<br />
Er quittierte ihre Entscheidung mit einem Kopfschütteln und<br />
widmete sich der Bändigung seines sterbenden Schiffes.
Evakuierung<br />
Gellender Alarm begleitete ihn, während er durch den<br />
wankenden Korridor rannte. Rote Warnlampen blitzten auf.<br />
Überall heulte das Evakuierungssignal.<br />
Allan D’Agosta sah auf sein Chronometer. Eine Minute. Er<br />
hatte eine ganze Minute von der Brücke zu Deck Sieben<br />
gebraucht, weil der Turbolift plötzlich einfach stehen<br />
geblieben war. Und Deck Sieben war nicht einmal sein Ziel.<br />
Er würde es nicht schaffen! Wenn er Pech hatte, war Judy<br />
längst auf und davon.<br />
Ganz allein.<br />
In einer der anderen Kapseln.<br />
Sein Herz hämmerte. Panik stieg in Allan auf und es schnürte<br />
ihm die Kehle zu. Er rannte weiter. Immer weiter. Das Schiff<br />
erbebte erneut, alles wackelte. Alles war verrückt. Er stürmte<br />
um eine Ecke, wo er mit Transporterchief Brenda Isaac<br />
zusammenstieß. Die Halb-Bajoranerin hatte eine breite<br />
Schnittverletzung an der Wange. Dunkles Blut verschmierte<br />
ihr kantiges Gesicht und verklebte das lange, rote Haar.<br />
Überall im Schiff jaulten akustische Melder.<br />
„Brenda!“, überschrie er den Lärm. „Brenda, haben Sie meine<br />
Tochter gesehen? Wissen Sie, wo Judy ist?“<br />
„Ich weiß nicht!“ Ihr Gesicht war – vom Blut einmal<br />
abgesehen - blass und voller Angst.<br />
D’Agosta schob sich an ihr vorbei und rannte verzweifelt<br />
weiter. Im nächsten Korridorabschnitt blinkten zwischen all<br />
den Alarmsirenen und Lichtern eine Anzeige auf:<br />
„ENERGIEAUSFALL.“
Das ganze Schiff war betroffen. D’Agosta eilte durch einen<br />
Verbindungsgang und kam erneut an Isaac vorbei. Er rannte<br />
im Kreis. Wieso rannte er im Kreis?<br />
„Was ist überhaupt los?“, schrie sie ihm entgegen.<br />
„Wir stürzen ab! Wo ist Castor? Wo ist Chief Vescala?“<br />
„Ich weiß nicht! Ich weiß es nicht!“, rief Isaac und stolperte in<br />
einen anderen Seitengang. D’Agosta suchte in der Menge<br />
panisch durcheinanderrennender und zu den Rettungskapseln<br />
fliehender Menschen nach vertrauten Gesichtern, während er<br />
den Weg zu seinem Quartier fortsetzte.<br />
„Ich suche meine Tochter!“, rief er. „Hat irgendwer meine<br />
kleine Tochter-„<br />
Jemand hielt ihn am Arm fest und wirbelte Allan herum.<br />
Beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren und wäre<br />
gestürzt. Ihm gegenüber stand eine Frau mit rotblondem Haar,<br />
und durchdringenden, blauen Augen. Sie trug einen Rucksack<br />
und schwere, blank polierte Stiefel über der Uniform.<br />
„Was sagen Sie da?“, fragte sie stirnrunzelnd. „Auf diesem<br />
Schiff sind Kinder?“<br />
„Ja. Ich... ich suche meine Tochter. Judy.“<br />
„Wo haben Sie sie das letzte Mal gesehen?“<br />
Die <strong>Shenandoah</strong> sackte zur Seite. D’Agosta stolperte gegen<br />
die Wand. Die Frau ließ seinen Arm nicht los, was ihn vor<br />
einem Sturz bewahrte. „In meinem Quartier. Deck Acht.“ Die<br />
Frau schob ihn vorwärst. „Gehen wir!“<br />
Im Licht der Sonne, die über dem Planetentermius stand, raste<br />
die <strong>Shenandoah</strong> im Tiefflug in die Stratosphäre des großen<br />
Mondes hinein und verlor in einem konstanten Sinkflug<br />
allmählich an Höhe. Die rechte Warpgondel war aufgerissen,<br />
Trümmer, die eigentlich an das Schiff gehörten, schälten sich<br />
ab. Sie zogen einen langen Plasmastreifen hinter sich her,
während sich ein Feuerball aufgrund des Atmosphäreeintritts<br />
vorne am Schiff bildete.<br />
Unter ihnen raste die hellbraune, von rötlichen Flecken<br />
durchsetzte Landschaft hinweg und verwusch aufgrund der<br />
Geschwindigkeit zu einem braunen Etwas. Captain Gabriel<br />
O’Conner saß hinter den Steuerkontrollen und starrte auf die<br />
flackernden Anzeigen seines Schiffes. Ihn erfasste ein<br />
seltsames Gefühl der Unwirklichkeit, als er Begriff, was<br />
geschehen war.<br />
Das konnte nicht wahr sein! Das konnte doch alles gar nicht<br />
wahr sein. Noch vor einer halben Stunde war seine Welt völlig<br />
in Ordnung gewesen. Mit einem Schlag war alles aus den<br />
Fugen geraten. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er<br />
eine Hand auf seiner Schulter ruhten spürte.<br />
„Captain, es wird Zeit für Sie von Bord zu gehen.“ Ashley<br />
Bowman stand hinter ihm und sah mit ernstem Blick herab.<br />
„Ich nehme ihren Platz ein.“ Ihre Intention war klar, aber<br />
O’Conner schüttelte nur den Kopf. „Ich verlasse mein Schiff<br />
nicht, Commander.“<br />
Der Druck auf seine Schulter wurde stärker, fast schmerzlich.<br />
„Sir, wenn die Anzeigen stimmen, die ich eben gesehen habe,<br />
dann benötigt die Besatzung ihren Captain.“ Sie beugte sich<br />
durch die Erschütterungen zu ihm herab. Ihre dunklen Augen<br />
bohrten sich in die seinen. „Ich habe keine Ahnung was da<br />
eben passiert ist und es ist mir auch ziemlich egal. Vielleicht<br />
war es eine Geheimmission, oder die Sternenflotte hat<br />
irgendwelche Statuten, dass nur hochrangige Offiziere über<br />
dieses Es, von dem seit unplanmäßigem Eintritt in dieses<br />
System die Rede war, informiert werden. Aber aufgrund ihres<br />
abweisenden Gebarens vorhin Nechayev gegenüber, denke<br />
ich, dass Sie ganz genau wissen in was für einer Lage wir uns<br />
derzeit befinden und somit bestens geeignet sind<br />
Entscheidungen auf einer vernünftigen Sachlage zu fällen.<br />
Also spielen Sie nicht den Helden. Ich werd’s auch nicht tun,
das Schiff so lange wie möglich auf Kurs halten und dann<br />
verschwinden.“<br />
O’Conner starrte sie lange an. Sie gaben ein ungleiches Paar<br />
bei der Kommandierung des Schiffes ab. O’Conner alt, grau<br />
und ruppig und Bowman kompakt, muskulös, und asketisch.<br />
Sie ergänzten sich hervorragend.<br />
Und Bowman hatte verdammt recht, auch wenn er es ungern<br />
zugab. Aber in der aktuellen Lage war er für die Besatzung<br />
faktisch bedeutender als sie und das schmeckte sehr bitter.<br />
„Captain.“, sagte sie leise. „Bitte.“<br />
Wie in Trance erhob sich O’Conner. Das Schiff wackelte. Da<br />
war noch so viel, was er sagen wollte. „Commander, ich-“<br />
Bowman umschloss seine Oberarme. „Captain. Egal was Sie<br />
mir mitteilen wollen, sagen Sie es auf der Oberfläche.“ Damit<br />
war die Sache für sie abgehakt. Bowman klemmte sich hinter<br />
das Steuerschaltpult und drückte zügig auf den Tasten herum.<br />
O’Conner riss sich aus seiner <strong>Star</strong>re los und eilte mit Spiers<br />
zur Tür. Bowman blieb allein zurück.<br />
Als sie durch die Korridore zur nächsten Fluchtkapsel eilten,<br />
drosselte Ronald Spiers sein Tempo so, dass er ein paar Meter<br />
hinter O’Conner blieb.<br />
Die Sirenen heulten und die Bodenerschütterungen drohten sie<br />
immer wieder umzustoßen, aber sie hielten sich irgendwie auf<br />
den Beinen und rannten weiter. Überall tönte das<br />
Evakuierungssignal. Unterwegs schlug Spiers ständig auf den<br />
Kommunikator an seiner Brust. „Spiers an Ramina.“<br />
Keine Antwort.<br />
„Spiers an Ramina. Ramina, melde dich, Baby. Komm schon,<br />
Spiers an-“<br />
Ein Klicken.<br />
„Ramina hier.“, meldete die blecherne Stimme der Orionerin.<br />
Auch die Kommunikation war von den Systemausfällen
etroffen. Immer wieder hörte Spiers Störungen, statisches<br />
Rauschen.<br />
Gott sei dank. „Wo bist du?“<br />
„Hangardeck. Unterwegs zu den Rettungskapseln.“<br />
„Ausgezeichnet. Wie ist der Zustand unseres Reiseführers?“<br />
Auf der anderen Seite der Sprechverbindung ertönte ein<br />
wütendes Schnaufen. „Der ist bei mir. Hab ihn vorhin in<br />
Shuttlerampe vier dabei erwischt, wie er grade ein Runabout<br />
entwenden wollte. Er hat sich ausgerechnet das mit den<br />
defekten Andockklemmen ausgesucht.“<br />
Sie erreichten endlich ihre Fluchtkapsel. Die Zugangsluken<br />
waren heruntergefahren. Einer aus seiner Abteilung– Ensign<br />
Martin drängte sie und andere der Brückenoffiziere zum<br />
Einsteigen.<br />
„Hör mir zu.“, sagte Spiers. „Personenbewachung wird nicht<br />
ausgesetzt. Du musst auf den Kerl aufpassen.“<br />
„Ich werde ihn besser hüten, als meinen Augapfel.“<br />
Spiers grinste knapp. „Wir sehen uns unten, Süße.“ Er klopfte<br />
erneut auf seinen Kommunikator, um die Verbindung zu<br />
unterbrechen. Dann stieg er hinter O’Conner in die Kapsel.<br />
Die Frau hatte die Führung übernommen, Allan versuchte mit<br />
ihr mitzuhalten. Immer noch blitzten die Lichter, schrillten die<br />
Sirenen.<br />
„Achtung, an alle.“, ertönte Commander Bowmans gefasste<br />
Stimme über die Sprechanlage. Sie klang blechern. „Verlassen<br />
Sie unverzüglich das Schiff. Dies ist keine Übung!“<br />
Es war zum verzweifeln. Ashley war auch noch an Bord!<br />
D’Agosta bemerkte plötzlich, dass ihnen nicht mehr sehr viele<br />
Offiziere entgegen kamen. Die meisten waren wohl schon bei<br />
den Kapseln.<br />
Panik erfasste ihn. Wie viel Zeit hatten sie noch?
„Achtung!“, rief die Frau. Sie rutschte eine Leiter zum<br />
nächsten Deck hinab – so gekonnt, wie ein Feuerwehrmann an<br />
einer Rutschstange. D’Agosta folgte ihr ungeschickt.<br />
In dem Korridorabschnitt bot sich ihm ein schreckliches Bild.<br />
Die Feuerwalze einer Explosion hatte sich durch den Gang<br />
gefressen und verbrannte Schotts hinterlassen. Leitungen<br />
lagen frei, man sah ganze Reihen von Leiterplatten. Die<br />
Leuchtstreifen dazwischen glühten rot.<br />
Auf allen Bildschirmen, die noch funktionierten, erschien<br />
immer wieder die Schrift ENERGIEAUSFALL. Was zum<br />
Teufel ging nur auf dem Schiff vor sich? Was hatte sie da im<br />
Orbit bloß erwischt?<br />
Plötzlich blieb die Frau stehen. „Welches Quartier ist es?“<br />
D’Agosta blinzelte. Sie waren angekommen. „O Nein!“<br />
„Was ist los?“ Dann sah sie es selbst.<br />
Ein Balken war vor der Tür des Quartiers herabgestürzt und<br />
hatte sich verkeilt.<br />
Die Frau zögerte keine Sekunde. „Los, packen Sie mit an!“<br />
Sie ging in die Hocke, fletschte die Zähne und versuchte den<br />
Träger vom Türrahmen wegzuziehen. Der Lärm der Sirenen<br />
und das Blitzen der Lichter schien ihr überhaupt nichts<br />
auszumachen.<br />
Nun versuchten sie es gemeinsam. D’Agosta ächzte. Das<br />
Schiff schüttelte sich weiter.<br />
Ihm wurde furchtbar heiß.<br />
Schließlich gelang es ihnen mit gemeinsamer Kraft den Träger<br />
wegzuziehen. Allan sprang zurück. Mit einem gewaltigen<br />
Knall prallte er auf dem Boden auf. Die Frau schlug gegen den<br />
Türöffner und drehte den Kopf weg, als die Türhälften<br />
auseinander stoben und eine Feuerzunge nach ihr bleckte.<br />
D’Agosta schnappte nach Luft. In ihrem Quartier brannte es!
Shannyn sprang unbeeindruckt in hinein. D’Agosta folgte ihr<br />
auf den Fuß. Zuerst dachte er, das ganze Quartier brenne.<br />
Flammen leckten an den Wänden empor, dichte Rauchwolken<br />
stiegen zur Decke.<br />
Die Hitze war beinahe greifbar.<br />
Hustend tastete er sich vorwärts, stieß gegen Möbel.<br />
„Möglichst tief unten halten.“, rief die Frau und duckte sich.<br />
Allan hörte sie nicht. Er nahm gar nichts mehr wahr.<br />
„Judy! Judy!“ Er rief immer wieder nach seiner Tochter.<br />
„Judy!“<br />
Ein Husten. Und dann hörte er ihre erstickte Stimme. Es kam<br />
aus ihrem Zimmer.<br />
D’Agosta eilte durch den flimmernden Wohnraum. Im<br />
Feuerschein erkannte er den Türöffner und tastete danach,<br />
doch das Metall war so heiß, dass er die Hand sofort wieder<br />
zurückzog.<br />
Er versuchte es erneut – zog aber auch jetzt die Hand zurück.<br />
Es war viel zu heiß. Einfach zu heiß. Verflucht, er musste die<br />
blöde Tür aufbekommen.<br />
Das Schiff schüttelte sich erneut.<br />
D’Agosta kniete vor den Öffner und zog den Uniformärmel<br />
gerade über die Hand, als die Frau ohne Umstände den<br />
Türöffner mit einem kräftigen Karatekick eintrat. Die Sperre<br />
wurde dadurch gelöst, aber die Tür öffnete sich nur einen<br />
Spaltbreit.<br />
Allan schlug frustriert dagegen. Dann sah er durch den Spalt<br />
Judy. Sie war vierzehn Jahre alt und machte momentan eine<br />
spannende Phase durch, wo sie gegen alles und jeden<br />
Rebellierte – vor allem gegen ihren Vater. Vorhin hatten sie<br />
sich heftig gestritten und Allan fühlte sich nun schuldig. Judy<br />
hustete. Ihr schwarzes Haar war zerzaust, das Gesicht dunkel<br />
vom Rauch. Aber sie schien in Ordnung. „Judy! Bist du<br />
verletzt?“<br />
„Dad, Dad!“
„Judy!“<br />
„Die Tür klemmt. Dad, bitte..!“<br />
Es klang flehend. Sie hatte Angst. Irgendwo hinter ihr war<br />
Feuer.<br />
„Judy.“<br />
„Dad!“<br />
Shannyn erklärte: „Dafür haben wir keine Zeit.“ Sie stieß<br />
D’Agosta beiseite und sagte bestimmt, aber nicht rau zu dem<br />
Mädchen: „Judy, hör zu. Du musst von der Tür wegtreten,<br />
mindestens einen Meter.“<br />
Judy wusste nicht wer die Frau war, aber die Art wie sie<br />
sprach lies sie nicht an ihren Befehlen zweifeln. „Okay.“<br />
D’Agosta blinzelte verblüfft, als die Frau ein Gardeschwert<br />
zog, wie man sie an der Akademie trug. Er hatte gar nicht<br />
bemerkt, dass sie eines am Gürtel hatte. Sie schwang es, holte<br />
Anlauf und stieß die Klinge feste in den Spalt, um<br />
anschließend mit all ihrer Kraft die Tür aufzuhebeln. Zunächst<br />
rührte sich gar nichts, dann löste sich endlich der Widerstand<br />
und die Türhälften stoben zischend auseinander. Judy sprang<br />
aus ihrem Zimmer und hustete.<br />
„Los, verschwinden wir!“, sagte die Frau.<br />
Aber als sie loslaufen wollten, blieb Judy plötzlich stehen und<br />
wollte zurücklaufen. „Meine Musicbox!“<br />
Allan griff nach ihrer Hand und zog das Mädchen mit sich.<br />
„Keine Zeit!“<br />
Und dann kam es irgendwo im Schiff zur Explosion.<br />
D’Agosta war darauf nicht gefasst. Er lies Judys Hand los und<br />
wurde gegen die Wand geschleudert. Der Knall dröhnte ihm<br />
schmerzhaft in den Ohren.<br />
D’Agosta wandte sich um und bemerkte, wie sich die<br />
Flammen im Quartier ausbreiteten. Wo war Judy? Dann sah<br />
er, dass sie gestürzt war. Sie kam mühsam auf die Füße, rief<br />
ihm etwas zu, glitt in der nächsten Erschütterung aus und fiel<br />
auf eines der lodernden Feuer zu. Die Frau fing sie im letzten
Moment ab, warf sich das Mädchen über die Schulter und<br />
rannte den Korridor hinaus, wobei sie D’Agosta hinter sich<br />
her zog.<br />
D’Agosta bemerkte im Vorbeilaufen, dass die meisten<br />
Kapseln bereits abgeschossen waren. Er fragte sich<br />
unweigerlich, ob sie überhaupt noch eine finden würden.<br />
Unter normalen Umständen verlief eine Evakuierung gänzlich<br />
anders, jeder Offizier hatte eine bestimmte Kapsel<br />
zugewiesen, aber dies hier waren keine normalen Umstände.<br />
Dies hier war eine Katastrophe.<br />
„Beeilung, Beeilung!“ Sie hatten ihre Kapseln erreicht und<br />
stiegen nun ein. Die angsterfüllten Offiziere im Innern zogen<br />
die Gurte herab und hakten sie klickend ein.<br />
Die <strong>Shenandoah</strong> begann erneut zu erzittern und zu schwanken.<br />
Hawk sah im Korridor vor der Fluchtkapsel in Rhondas blaue<br />
Augen. „Was da eben im Kontrollraum passiert ist-“<br />
„Denk dir nichts.“, sagte sie nur.<br />
„Los, rein verdammt!“ Navigator Toye schlug mit der Faust<br />
gegen das Wandschott, um sie anzuspornen. „Quatschen<br />
können wir später, steigt endlich ein.“<br />
Die <strong>Shenandoah</strong> erzitterte schon wieder.<br />
Smith kletterte in die beengte Kapsel und gurtete sich<br />
ebenfalls an. Nur noch ein Sitz frei. Hawk war der Letzte.<br />
Toye würde in die Kapsel nebenan steigen.<br />
„Ich hätte den Dienst heute nicht antreten dürfen.“ Hawk<br />
schien verzweifelt. „Ich habe eben Mist gebaut, was?“<br />
Selbst Toye wich seiner Frage aus. „Später, Hawk.“ Er klopfte<br />
ihm auf die Schulter. „Wir sehen uns unten.“ Und rannte dann<br />
zu seiner eigenen Kapsel.<br />
Auf einmal erfolgte ein dumpfer Schlag, vielleicht eine<br />
Entladung, irgendwo aus dem Schiff. Die Menschen sahen<br />
einander an, versuchten zu verstehen, was das Geräusch zu
edeuten hatte, doch im nächsten Augenblick zerfetzte eine<br />
Explosion die gegenüberliegende Wand. Hawk, der gerade in<br />
die Kapsel steigen wollte, wurde von der Druckwelle erfasst<br />
und hineingeschleudert. Dort prallte er gegen die scharfe<br />
Kante einer Ausrüstungskiste und alles um ihn herum versank<br />
in Grau. Hinter ihm schnappte die Tür zu.<br />
Er sah noch, wie Rhonda den Gurt wieder öffnete, die Arme<br />
nach ihm ausstreckte und etwas schrie, aber er hörte nicht was.<br />
Er hörte gar nichts mehr. Er wusste, dass die Offiziere bei den<br />
Turbulenzen auf ihn bei der Kapselsteuerung angewiesen<br />
waren und dass er sie nun erneut im Stich lassen würde. Hawk<br />
verlor das Bewusstsein und alles wurde schwarz.<br />
Das Rütteln, dieses schreckliche Rütteln und Beben des<br />
Bodens weckten ihn abrupt.<br />
Sicherheitsoffizier Carwood Fowler starrte auf eine Reihe von<br />
flackernden Lichtern, blinzelte benommen und setzte sich auf.<br />
Dabei durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Er sah sich<br />
um und stellte fest, dass er auf dem Fußboden auf Deck Acht<br />
saß.<br />
Der Alarm heulte und entfachte einen wahren Feuersturm<br />
bebender Kopfschmerzen hinter seinen Schläfen.<br />
Feiner, nach Rauch riechender Dunst hing in der Luft. Die<br />
verkleideten Wände waren an mehreren Stellen schwarz und<br />
verkohlt. Es musste gebrannt haben, dachte er, während er<br />
erstaunt den Schaden betrachtete. Was war geschehen? Und<br />
warum schüttelte sich das Schiff? Langsam erhob er sich auf<br />
die Knie, kaum auf die Füße und fand an einer Stange halt. Er<br />
wandte sich dem Turbolift auf der anderen Seite zu, doch war<br />
die Tür aus irgendwelchen Gründen verschlossen. Er<br />
versuchte es mit den Tasten, aber die Tür rührte sich nicht.<br />
Allmählich kam ihm die Erinnerung. Er war während dem<br />
Angriff der Breen zur Sicherheitszentrale unterwegs gewesen,
als dieser gewaltige Donnerschlag erfolgt war, ihn von den<br />
Füßen und voll gegen ein Schott gerissen hatte. Danach<br />
konnte er sich an nichts mehr erinnern.<br />
Wo waren überhaupt die Anderen? Er sah sich um. Niemand<br />
da. Und dann bemerkte er das Evakuierungssignal.<br />
Evakuierung!<br />
Irgendetwas schreckliche musste geschehen sein und jetzt<br />
starb das Schiff. Einen schrecklichen Augenblick lang<br />
Fürchtete er, der einzige noch an Bord Verbliebene zu sein,<br />
dann aber hörte er ein Husten, das aus einem Seitenkorridor zu<br />
kommen schien. Er folgte dem Geräusch durch die<br />
Erschütterungen, da er aber niemanden fand, ging er wieder<br />
zurück. Entlang der Korridorwand verlief ein breiter<br />
Blutstreifen. Wieder hustete jemand. Irgendwo in einem<br />
Trümmerhaufen.<br />
Und dann sah Fowler die Beine unter einem runtergefallenen<br />
Trümmern herausragen. Eine Frau mit auffallend roten Haaren<br />
war eingeklemmt.<br />
„Isaac? Sind sie verletzt?“<br />
„Nein, nur eingeklemmt. Fowler, holen Sie mich hier raus.“<br />
„Haben Sie Garnere gesehen?“<br />
„Holen Sie mich raus.“, bat sie.<br />
„Isaac, Haben Sie Garnere gesehen?“<br />
„Nein, verdammt. Warum fragt mich jeder, ob ich weiß wo<br />
jemand ist?“<br />
„Keinen Schimmer. Vielleicht, weil Sie den tollen Posten des<br />
Transporterchief bekleiden und somit über Aufenthaltsorte<br />
recht gut bescheid wissen?“<br />
Isaac rollte die Augen. „Oh ja, Transporterchief – der Stoff<br />
aus dem die wirklich langweiligen Träume sind. Jetzt machen<br />
Sie endlich!“<br />
Fowler griff mit beiden Händen unter das Trümmerstück, biss<br />
die Zähne zusammen und stemmte sich hoch. Isaac krabbelte<br />
schnell raus. „Mein Retter!“
„Was ist überhaupt passiert?“, fragte er und lies das<br />
Trümmerstück wieder fallen.<br />
„Ich weiß es nicht. Aber wir sollten verschwinden.“ Fowler<br />
erhob keine Einwände. Gemeinsam eilten sie durch unzählige<br />
Gänge, begegneten aber niemanden. Alle waren von Bord. Die<br />
meisten Rettungskapseln waren schon abgeschossen. Er<br />
überlegte, ob sie sich zum Hangar begeben sollten, als sie<br />
endlich eine Kapsel erreichten, die noch nicht abgeschossen<br />
war. Im selben Moment wie Fowler und Isaac, bogen auch<br />
D’Agosta, seine Tochter und eine Frau, die Fowler noch nie<br />
gesehen hatte, um die Ecke und rannten auf die Kapsel zu.<br />
D’Agosta wollte irgendetwas rufen, als von tief aus dem<br />
Schiff eine Detonation erfolgte, das Deck zur Seite kippte und<br />
sie alle von den Füßen riss.<br />
Nechayev war zum Hangardeck unterwegs, als die Explosion<br />
erfolgte. Eine Frau, die gerade in eine Kapsel steigen wollte,<br />
erspähte sie im letzten Moment, hielt die Tür für Nechayev<br />
offen und rief: „Admiral, kommen Sie. Beeilung, steigen Sie<br />
in die Kapsel!“<br />
Dann zerriss es das halbe Deck. Nechayev stürzte und sah, wie<br />
die Frau von der Gewalt der Explosion mit solcher Wucht an<br />
die gegenüberliegende Wand geschleudert wurde, dass sie<br />
wahrscheinlich auf der Stelle tot war. Anschließend lag sie mit<br />
dem Gesicht nach unten inmitten eines Feuers, das rasch den<br />
Korridor füllte. Ihr Hinterkopf klaffte offen; Nechayev sah die<br />
breiige Masse ihres Gehirn.<br />
Sie wandte sich zur Flucht. Schon folgten ihr die Flammen<br />
über die Schwelle eines Notfallschotts, als sie die Schutztür<br />
hinter sich runterknallen lies und einen Hebel umlegte, um sie<br />
zu arretieren.<br />
Sie rannte weiter, versuchte sich zu orientieren. In Gedanken<br />
rief sie den Querschnitt des Schiffes auf und fragte sich, wie
sie in den Hangar gelangen konnte. Sie rannte weiter, auch<br />
wenn sie kaum etwas sehen konnte. In dem Korridorabschnitt<br />
verdichtete sich Rauch. Durch ihn hindurch erkannte sie<br />
undeutlich hier und da Flammen. Wie eine Blinde tastete sie<br />
sich auf der Suche nach einem Turbolift durch den Korridor.<br />
Sie musste husten, Augen und Lunge brannten.<br />
Dann hörte sie das Zischen eines Feuerlöschers. Und<br />
irgendjemand griff ihren Arm. Als er sie aus dem halb<br />
brennenden Korridor führte, erkannte Nechayev, dass es Ian<br />
Nottingham war – ihr Assistent und inoffizieller Leibwächter.<br />
Die lockigen Haare hingen dem großen Mann ins düstere<br />
Gesicht. In seiner komplett schwarzen Kluft wirkte er beinahe<br />
wie ein mittelalterlicher Templer.<br />
Erleichtert registrierte Nechayev, dass er den schwarzen<br />
Koffer bei sich trug. In seiner Begleitung befand sich Howard<br />
King, ein kleiner, dicklicher Mann im Anzug. Mit einem<br />
Taschentuch wusch er sich den Schweiß von Stirn und<br />
Halbglatze und hörte dabei nicht auf, zu husten.<br />
„Was ist unser Ziel?“, fragte Nottingham düster. Er sprach<br />
immer düster. Es schien ihn nicht im geringsten zu<br />
beeindrucken, dass um sie herum alles zusammenbrach. Aber<br />
das war sie von ihm gewöhnt.<br />
„Das Hangardeck.“, sagte Nechayev hustend. „Wir müssen<br />
zum Hangar – zum Frachtraum Vier, die Container sichern.“<br />
Es war absurd. Sie sollten die nächstbeste Kapsel aufsuchen<br />
und verschwinden - das wäre das einzig vernünftige gewesen,<br />
aber weder Nechayev, noch Nottingham schienen darin eine<br />
Notwendigkeit zu sehen. Nottingham nickte nur und deutete in<br />
eine Richtung. „Da lang.“ Sie liefen los.<br />
„Wo ist Doktor Smith?“<br />
„Weiß nicht. Wir wurden getrennt. Aber das macht nichts.“<br />
Unterwegs hörte Nechayev Bowman durch die Sprechanlage,<br />
aber ihre Stimme war rau und undeutlich. Das laute<br />
metallische Dröhnen der Außenhülle überwog alles. Das
ganze Schiff schwankte unter dem Atmosphäreneintritt. Die<br />
Erschütterungen sowie das entsetzliche Knirschen fanden kein<br />
Ende.<br />
Und dann waren sie mit einem Mal beim Hangar. Nechayev<br />
wollte aus der Zugangstüre treten, als sie mit jemanden<br />
zusammenstieß und stürzte.<br />
Zwei Offiziere – ein kleiner mit dichtem, zerzausten Haar, den<br />
sie als Ausrüstungsoffizier und Leiter der Frachtabteilung<br />
identifizierte und ein untersetzter afroamerikaner mit<br />
Schnauzbart -, drängten in den Korridor hinein.<br />
„Tschuldigung.“, sagte der kleinere und rappelte sich wieder<br />
auf. Erst dann erkannte er, wen er da eben umgestoßen hatte.<br />
„Admiral! Wir müssen von hier verschwinden.“<br />
Er half ihr hoch und wollte in den Gang laufen, aber Nechayev<br />
packte ihn an den Oberarmen und hielt ihn auf. „Nein! Nein,<br />
wir müssen die Container ausstoßen.“<br />
„Was?!“<br />
„Die Container.“<br />
„Admiral, wir ... müssen ... verschwinden!“<br />
Aber Nechayev wollte nicht hören. Sie drehte sie wieder um,<br />
gab ihnen einen Stoß und folgte in den Hangar. Und hier<br />
herrschte das größte Chaos des ganzen Schiffes.<br />
D’Agostas Kapsel wurde endlich ausgestoßen. Sofort wurden<br />
sie von heftigen Turbulenzen gepackt und überschlugen sich<br />
mehrmals, ehe Die Kapsel dank der automatisch schaltenden<br />
Manövrierdüsen in eine einigermaßen stabile Lage geriet.<br />
Dennoch, irgendwas stimmte nicht. So heftig durften die<br />
Erschütterung nicht sein.<br />
Allan drehte den Kopf. Er entdeckte auch hier einen<br />
Kontrollmonitor mit der Schrift: ENERGIEVERLUST.<br />
Und daneben: HITZESCHILD MINIMAL.<br />
Das darf nicht wahr sein.
Die Kapsel überschlug sich erneut. Judy keuchte, als sie gegen<br />
den Gurt gepresst wurde. Hinter den Fenstern loderte das<br />
Feuer der Reibungshitze.<br />
Irgendjemand schrie: „Wir gehen zu schnell runter!“<br />
Das Licht flackerte. Ging dann völlig aus und nach ein paar<br />
Sekunden wieder an.<br />
D’Agosta schaute sich um. Wo war der Aktivierungsknopf für<br />
die Bremsraketen? Er sah auf die dunkle Instrumententafel<br />
neben sich. Dort blinkte ein rotes Licht über einem mit<br />
„BREMSRAKETEN“ beschrifteten Knopf. Er drückte ihn.<br />
Nichts geschah.<br />
Er drückte ihn erneut.<br />
„BREMSRAKETENAUTOMATIK AUßER FUNKTION“<br />
Na klasse!<br />
Er musste den manuellen Hebel finden. Sie überschlugen sich<br />
erneut. Auch diesmal flackerte das Licht, blieb diesmal jedoch<br />
an. Judy kreischte. Allan entdeckte schließlich den Schalter<br />
für die manuelle Bedienung. Darüber blinkte ein rotes Licht.<br />
Der Schalter war Gegenüber. Er kam von seinem Sitzplatz aus<br />
nicht ran. Die Anderen begriffen nicht, dass sie den Hebel<br />
umlegen mussten. Fowler übergab sich und die blonde Frau<br />
bediente eine Konsole neben sich. Allan rief ihr etwas zu, was<br />
aber vom metallischen Kreischen der Außenhülle verschluckt<br />
wurde. Das Innere der Kapsel war voller Instrumente und<br />
scharfer Kanten. Wenn man hier drin umhergeschleudert<br />
wurde, wäre es bestimmt nicht angenehm.<br />
Aber hatte er denn eine Wahl? D’Agosta löste seinen Gurt.<br />
„Verflucht, was machen Sie denn da?“, rief jemand. „Sind Sie<br />
Wahnsinnig?“<br />
Allan ignorierte ihn und beugte sich rüber. Seine Finger<br />
berührten den Hebel der manuellen Aktivierung. Und glitten<br />
wieder ab. Er keuchte. Jeden Moment konnten sie sich erneut<br />
überschlagen und dann war es aus. Andererseits, wenn er die<br />
Schubraketen aktivierte und nicht angeschnallt war...-
Er hatte keine Wahl. Seine Finger erreichten erneut den Hebel.<br />
Diesmal bekam er ihn zu fassen und legte ihn um. Das rote<br />
Licht hörte auf zu blinken und leuchtete beständig.<br />
Auf einem kleinen bernsteinfarbenen Sichtschirm leuchtete<br />
die Anzeige auf: BREMSRAKETENZÜNDUNG.<br />
Der Sichtschirm schaltete sich ab.<br />
Geschafft, dachte D’Agosta. In dem Moment zündeten die<br />
Bremsraketen. Das nächste, was D’Agosta mitbekam war, wie<br />
er von einem unsichtbaren Titanen gepackt und durch die<br />
Kapsel geschleudert wurde. Und er war sich sicher, nun<br />
sterben zu müssen. Dann Schwärze. Nichts.<br />
Auf einem Steg im Hangar deutete King zu einer Ladebucht<br />
und brüllte: „Die sind da drin! Die wichtigen Container sind<br />
da drin.“<br />
Der Ausrüstungsoffizier – der übrigens Penkala hieß – deutete<br />
seinerseits zu einer Fluchtkapsel. Es war eine der letzten noch<br />
verbliebenden im Hangar. „Na und? Wir müssen da rein?“<br />
Explosionen aus dem Hangar drangen zu ihnen heran. Schreie.<br />
„Erst die Container ausstoßen!“, befahl Nechayev herrisch.<br />
„Und zwar alle. Wir benötigen Ausrüstung auf der<br />
Oberfläche.“<br />
„Warum können Sie nicht-“<br />
„Wir haben keinen Systemzugriff!“, sagte Nechayev und<br />
setzte in Bewegung. „Wir werden in der Kapsel auf Sie<br />
warten, versprochen.“<br />
Penkala rollte die Augen und wandte sich ab. Je schneller er<br />
den Befehl dieser Zicke ausführen würde, desto schneller kam<br />
er von Bord. Der Steg auf der oberen Eben führte durch<br />
sämtliche Räume in die der Hangar unterteilt war. Der<br />
Frachtraum war nicht weit entfernt. Penkala rannte, dicht<br />
gefolgt von seinem Kameraden Joseph Dike, durch einen<br />
Funkenregen den Steg entlang. Das Metall klapperte unter
seinen Schritten. Sie liefen durch eine Tür und in die<br />
dahinterliegenden Kontrollkammer für den weitläufigen<br />
Frachtraum unterhalb der Fenster. Etliche Container und<br />
Kisten waren darin untergebracht und stürzten um, als das<br />
Deck zur Seite kippte. Penkala fiel gegen Dike und beide<br />
gingen zu Boden. Eine Stichflamme züngelte aus einer<br />
geplatzten Konsole und verbrannte die Decke.<br />
Penkala rappelte sich hoch und eilte zum Kontrollterminal.<br />
Dort tippte er mit fliegenden Fingern seinen<br />
Genehmigungscode ein, während er gleichzeitig Dike<br />
zubrüllte: „Schnell, versiegle die Zugangstüren der<br />
Frachträume, damit niemand reinläuft.“<br />
„Sind versiegelt.“<br />
„Gut so.“ Penkala hörte, wie sich das Hangartor unter ihm<br />
aufglitt. Synchron dazu gellte das entsprechende Hornsignal.<br />
Jenseits der Tore flackerte das Feuer des Atmosphäreneintritt.<br />
Aber sie waren tief genug, um die Container abzuwerfen. Dem<br />
ungeachtet, selbst wenn sie es nicht gewesen wären – Penkala<br />
war es egal.<br />
Das Tor glitt weiter auf ... weiter ... es glitt höllisch langsam<br />
auf. „Komm schon, komm schon!“, feuerte Penkala es an und<br />
ballte gleichzeitig die Fäuste. Nach einer quälend langen Zeit<br />
rastete das Tor endlich ein. Dann schlug er mit der Faust auf<br />
eine bestimmte Taste und deaktivierte das Kraftfeld.<br />
Ruckzuck wurden die Container hinausgesaugt. Und damit<br />
waren sie fertig. Er holte tief Luft. Er würde doch noch vom<br />
Schiff kommen. Penkala schlug Dike auf die Schulter,<br />
bedeutete ihm auf diese Art zu folgen und rannte nach draußen<br />
- nur um zu sehen, wie sich die Luke zu ihrer Kapsel schloss!
Penkala<br />
Junior-Lieutenant Alex Penkala schien zu seiner eigenen<br />
Verwunderung über ein schier unerschöpfliches Reportoir an<br />
Beleidigungen und Kraftausdrücken zu verfügen, die er nun<br />
allesamt voller Eifer der Luke entgegenwarf, hinter der sich<br />
vor wenigen Sekunden noch Admiral Nechayev befunden und<br />
eifrig versprochen hatte, auf ihn zu warten. Nun war Admiral<br />
Nechayev weg.<br />
Und mit ihr auch die Rettungskapsel in der Alex Penkala hätte<br />
sitzen sollen. So schrie er ein graues Schott und die hinter der<br />
kleinen Sichtluke lodernden Flammen an. „Komm zurück! Du<br />
tellaritisches Miststück!“ Er wusste, dass es vergebene<br />
Liebesmüh war. Dennoch hätte er stundenlang so<br />
weitermachen können, wenn er nicht über den unbändigen<br />
Drang zu überleben verfügt hätte. Außerdem zerfetzte eine<br />
ungeheure Explosion eine Zwischenwand des Hangars und<br />
verwandelte sie in ein Flammenmeer. Er wurde zu Boden<br />
geworfen. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen.<br />
Penkala keuchte.<br />
Mühsam zwang er sich wieder auf, riss sich mit einem letzten<br />
Fluch, bei dem das diplomatische Korps der Sternenflotte<br />
vermutlich ohnmächtig umgefallen wäre, von der Luke weg<br />
und sah sich im Hangar um. Sein Schiff, die <strong>Shenandoah</strong>,<br />
gehörte zur Akira-Klasse. Diese Großgewichte unter den<br />
Sternenflottenschiffen waren im Krieg vor allem als<br />
Trägerschiffe eingesetzt worden. Die meisten dieser Klasse<br />
verfügten über enorm riesige Hangars, in denen sich etliche<br />
Shuttles und Angriffsjäger tummelten und so war es auch hier<br />
an Bord der Fall.
Penkala war zur Zeit des Krieges nicht auf dem Schiff gelebt,<br />
aber die <strong>Shenandoah</strong> hatte sich in unzähligen Gefechten einen<br />
Namen gemacht und galt als äußerst robust, ihre<br />
Fliegerstaffeln als geschickt. Das Hangardeck war<br />
entsprechend riesig. Es erstreckte sich über drei Decks, ging<br />
von einem Ende bis zum anderen, komplett längsseits durch<br />
den Schiffsrumpf und sogar quer, wie ein Kreuz. An die<br />
dreihundert Meter in beide Richtungen also. Zwar gab es<br />
einige Zwischenwände, welche die zahlreichen Hangars und<br />
Frachträume unterteilten, aber nur die wenigsten reichten bis<br />
zur Decke, um die Bereiche abzuschotten.<br />
Von der oberen Ebene aus, wo Penkala momentan stand,<br />
vermochte man das ganze katastrophale Chaos überblicken.<br />
Penkala konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, von einer<br />
göttlichen Macht verspottet zu werden. Denn genau in dem<br />
Moment, wo er sich rumdrehte, schienen alle, aber auch<br />
wirklich restlos alle Rettungskapseln zeitgleich abzulegen und<br />
ihn allein zu lassen. Als wäre das nicht noch genug, gesellten<br />
sich auch noch so ziemlich alle Shuttles und Jäger hinzu und<br />
verließen die zahlreichen Hangartore in alle Richtungen –<br />
ohne ihn. Er wirbelte wieder zur Luke herum. „Sei verflucht,<br />
du alte, faltige Gewitterziege!“<br />
Die Turbulenzen rissen an der Rettungskapsel, schleuderten<br />
sie hin und her und ließen das kleine Ding sich mehrmals<br />
überschlagen. Nechayev sah durch die Dachfenster hinaus.<br />
Die außer Kontrolle geratene <strong>Shenandoah</strong> wurde immer<br />
kleiner, während der Planet unter ihnen sehr schnell sehr viel<br />
größer wurde. Sie wandte sich wieder der Kontrolltafel neben<br />
ihr zu und drückte auf den Tasten herum. Sie musste brüllen,<br />
um den Lärm zu übertönen. „Da wir nur drei Personen sind,<br />
kann ich die Energie für die Lebenserhaltung in die
Trägheitsabsorber umleiten. Es müsste reichen um den<br />
Aufprall zu dämpfen.“<br />
Howard King saß ihr gegenüber, ebenfalls in einen Sitz<br />
gepresst und von einem Gurt gehalten. „Wie konnten Sie<br />
ihnen das nur antun?“ rief er zu Nechayev, um den Lärm zu<br />
übertönen.<br />
Die Kapsel rumorte und kreischte.<br />
„Was denn?“, fragte Nottingham neben ihm unberührt.<br />
Nechayev antwortete nicht. Sie gab die letzte Codesequenz ein<br />
und knallte dann die Schalttafel wieder zu.<br />
„Wie konnten Sie nur?“, fragte King erregt. „Ich meine, was<br />
passiert ist... mein Gott.“<br />
„Was passiert ist, war ein Unfall.“, sagte Nechayev.<br />
„Ein Unfall?“<br />
„Genau, ein Unfall.“, erwiderte Nechayev ruhig. „Die Kapsel<br />
hatte eine Fehlfunktion und ist verfrüht gestartet.“<br />
King schüttelte den Kopf. „Mein Gott. Wenn da jemand<br />
Nachforschungen anstellt-“<br />
„King.“, hielt Nechayev entgegen. „Wir waren in einer<br />
chaotischen Notlage. Wir wollten ja warten, aber die Kapsel<br />
ist einfach gestartet. Wäre ihnen lieber, wenn wir gewartet<br />
hätten? Dann stünden unsere Überlebenschancen jetzt sehr,<br />
sehr schlecht. Es war ein bedauerlicher Unfall. Weswegen<br />
machen Sie sich Sorgen?“<br />
„Weswegen ich mir sorgen mache?<br />
„Ja, Howard. Weswegen machen Sie sich sorgen?“<br />
„Ich hab es gesehen, um Himmels willen.“<br />
„Nein, das haben Sie nicht.“, sagte Nechayev.<br />
„Ich hab überhaupt nichts gesehen.“, sagte Nottingham düster.<br />
King musterte ihn kurz. „Schön für Sie.“, sagte er. „Aber was<br />
ist, wenn es eine Untersuchung gibt?“<br />
Im Innern der Kapsel wurde es zunehmend heißer, die<br />
Erschütterungen stärker.<br />
Sie drangen immer tiefer in die Atmosphäre ein.
„Es wird keine geben.“, sagte Nechyev und sah ihn finster an.<br />
„Sie wissen, was da oben im Orbit geschehen ist, also machen<br />
Sie sich keine Gedanken um Untersuchungen.“<br />
King schüttelte mit dem Kopf. „Ich habe ja nicht gewusst, das<br />
Sie jemanden zurücklassen würden.“<br />
„Howard.“, sagte Nechayev seufzend. „Nichts wird passieren.<br />
Es waren Piloten. Die sind wahrscheinlich direkt nach uns<br />
rausgekommen, es waren noch genug Kapseln dort.“<br />
„Woher wissen Sie das?“<br />
„Weil ich weiß, was ich tue.“, antwortete Nechayev. „Deshalb.<br />
Im Gegensatz zum Rest dieser Crew, die überall auf dem<br />
Mond verstreut sein wird und wer weiß was für einen<br />
Blödsinn glaubt. Wir drei sind die Einzigen die wirklich<br />
wissen, was vorgefallen ist und wir sind die Einzigen, die mit<br />
Sicherheit die besten Überlebenschancen haben.“<br />
Die Kapsel machte einen Ruck und stürzte weiter auf den<br />
Planeten zu. „Howard, machen Sie sich keine Sorgen. Es sind<br />
nicht nur Frachtoffiziere, sondern auch ausgebildete Piloten.<br />
Die sind wahrscheinlich längst raus.“<br />
Penkala war mittendrin. Der Boden unter seinen Füßen kippte<br />
zur Seite. Die Beleuchtung schien sich nicht entscheiden zu<br />
können, ob sie an, oder aus bleiben solle und flackert<br />
unkontrolliert. Überhaupt schienen sämtliche Systeme zu<br />
spinnen.<br />
Im Hangar explodierten funkensprühend allerorts Konsolen.<br />
Dinge, die eigentlich fest verankert sein sollten, krachten von<br />
der hohen Decke hinunter und stürzten auf die umhereilenden<br />
Offiziere herab, begruben manche unter sich und beschädigten<br />
die Ausrüstung. Mit ohnmächtigem Entsetzen beobachtete<br />
Penkala das Geschehen.<br />
Durch dicke Glasscheiben konnte er in einen Seitenhangar<br />
sehen, wo die breiten Tore bereits offen standen und sich
gerade einige Offiziere zum dort verbliebenen Shuttle<br />
aufmachten. Entweder verlor dort jemand im Kontrollraum die<br />
Nerven, oder aber die Systeme erlitten einen Energieausfall,<br />
wodurch sich das blau schimmernde Kraftfeld deaktivierte.<br />
Die armen Seelen darin wurden unverzüglich hinausgesogen.<br />
Ihre erschreckten Schreie verklangen ebenso schnell, wie sie<br />
erklungen waren.<br />
Woanders verloren die Maschinen eines der Runabouts mitten<br />
im Aufstieg an Energie. Das Gefährt knallte geräuschvoll<br />
zurück auf den Boden, wobei die Antriebsgondeln abbrachen.<br />
Funkensprühend schlidderte das Runabout über den blanken<br />
Metallboden, fing Feuer und stürzte schließlich aus einem<br />
geöffneten Tor hinaus. Es durfte daran gezweifelt werden, ob<br />
die Insassen es bis zum Boden schafften. All diese Tragödien<br />
– und noch weitaus mehr – spielten sich in solch enorm kurzer<br />
Zeit parallel ab, dass Penkala kaum Gelegenheit hatte sie alle<br />
zu registrieren, geschweige denn zu verarbeiten. Alles was er<br />
wusste war, dass heute viele Menschen starben und das er<br />
zweifellos dazugehören würde, wenn er sich nun nicht<br />
konzentrierte.<br />
„Dike, sag mir, das ist nicht wahr.“<br />
„Ist es aber.“, sagte Dike mit erstarrter neben ihm.<br />
Etwa dreißig Meter weiter, auf der oberen Ebene sah er Leute,<br />
die in die Arbeiterbienen einstiegen. Diese kleinen,<br />
sphinxförmigen Fahrzeuge waren dafür gedacht, an der<br />
Außenhülle Reparaturen durchzuführen, während das Schiff<br />
still im Weltraum lag. Aber bestimmt nicht dafür, als<br />
Fluchtkapsel missbraucht zu werden. Sie verfügten über<br />
keinen Hitzeschild, was für die Insassen das sofortige Ende<br />
bei Verlassen der brennenden <strong>Shenandoah</strong> darstellen würde.<br />
„Nicht da rein! Geht nicht in die Bienen rein! Verdammt was<br />
macht ihr denn da?“, brüllte Penkala und rannte den Leuten<br />
winkend entgegen. Zwei blickten sogar zu ihm auf, schienen<br />
aber nicht zu versehen, was er sagte. Und erst recht nicht
warten zu wollen, bis er nahe genug war, um es ihnen zu<br />
erklären. Panik bestimmte nun ihr Handeln. Als neben ihnen<br />
eine der Arbeiterbienen von einem Deckenträger erfasst und<br />
mitsamt den Insassen zerquetscht wurde, spornte sie das nur<br />
noch mehr zur Eile an. Sie sprangen ins Cockpit hinein und<br />
rissen die Luke zu, noch ehe Penkala überhaupt fünf Meter<br />
gerannt war.<br />
Penkala sollte Recht behalten. Kaum hatten sie die<br />
<strong>Shenandoah</strong> verlassen, verwandelten sich die kleinen Schiffe<br />
in glühende Feuerbälle und tauchten den Hangar durch die<br />
riesigen Panoramafenster, an denen sie vorbeisausten für einen<br />
kurzen Moment in grellrotes Licht. Es war ein schmerzhafter,<br />
aber zumindest schneller Tot, was Penkala trotzdem kein<br />
bisschen beruhigte.<br />
Die übrigen Offiziere schienen das überhaupt nicht<br />
wahrzunehmen, oder nicht wahrhaben zu wollen und sprangen<br />
ebenfalls in ihre Arbeiterbienen.<br />
Dike rief: „Alex, lass sie.“<br />
Der dumpfe Schlag einer weiteren Explosion erklang, diesmal<br />
aus einem der Hangars, die abgeschottet waren. Dike packte<br />
Penkala an der Schulter und riss ihn grob zurück, so dass er<br />
das Gleichgewicht verlor, aber bevor er stürzte, sah er wieder<br />
das flammende Lodern von Feuer hinter den Fenstern. Die<br />
<strong>Shenandoah</strong> verwandelte sich allmählich in einen Kometen,<br />
sie drangen immer tiefer in die Atmosphäre ein. Penkala<br />
bemerkte erst jetzt, dass es plötzlich furchtbar heiß wurde.<br />
Ihnen blieb nicht viel Zeit, ehe sie verglühten, oder aber auf<br />
dem Mond aufprallten und als matschige Flecken an den<br />
Wänden endeten.<br />
Umständlich kam Penkala wieder auf die Beine und eilte Dike<br />
hinterher. Dieser sauste im Eiltempo den seitlichen Hauptsteg<br />
entlang. Nun erkannte auch Penkala sein Ziel: Ein einzelnes<br />
Runabout. Es stand noch immer im Haupthangar, halb von
Schutt bedeckt. In der Decke über dem Runabout klaffte ein<br />
großes Loch.<br />
Ein ganzer Raum war auf das Shuttle hinuntergekracht. Die<br />
Maschinen des Runabouts heulten auf, nur um sofort wieder<br />
abzuwürgen und im direkten Anschluss erneut aufzuheulen.<br />
Jemand war schon drin und versuchte das Schiff in die Luft zu<br />
bekommen.<br />
„Wartet auf uns!“, brüllte Penkala, ohne damit zu rechnen,<br />
dass ihn jemand hörte.<br />
Dike erreichte endlich eine Treppe nach unten und machte<br />
sich keinen Mühe die zahlreichen Stufen zu benutzen. Er<br />
schwang die Beine über das Geländer und rutschte gekonnt bis<br />
zum Deck hinunter. Penkala versuchte es ihm gleichzutun,<br />
verschätzte seine Fähigkeiten aber enorm, sodass er die letzten<br />
Meter schmerzhaft hinunterprallte und die Stufen<br />
herabpurzelte.<br />
„Komm schon!“, mahnte Dike, stürzte aber durch eine weitere<br />
Erschütterung des Bodens selbst. Penkala rannte an ihm vorbei<br />
und wollte die Stufen hinauf ins Cockpit eilen. Penkala wollte<br />
in das Shuttle hinein. Jemand anderes wollte allerdings hinaus,<br />
was dazu führte, dass sie kollidierten und in einem Gewirr aus<br />
Gliedmaßen in den Hangar zurückstürzten. Umständlich<br />
rappelte sich Penkala zum cirka tausendsten Mal an diesem<br />
Tag hoch. Verwirrt sah er den Offizier, der ihn umgestoßen<br />
hatte an – Ensign Byers, ein junger Mann vom Planeten<br />
Netonia, dessen Haut durchsichtig schimmerte. „Was ist los?“,<br />
fragte Penkala.<br />
„Die Andockklemmen lassen sich einfach nicht lösen.“, rief<br />
Byers sofort und stand ebenfalls auf. Er eilte vom Shuttle weg.<br />
„Außerdem läuft Plasma aus, das Ding könnte jede Sekunde<br />
explodieren!“<br />
Penkala und Dike wechselten einen Blick und rannten dem<br />
Mann schnell hinterher.
Penkala deutete auf die Treppe. „Nach oben! Wir<br />
verschwinden auf einem anderen Weg!“<br />
„Auf welchem?“, fragte Dike. „Alex? Hast du einen Plan?“<br />
„Lauf!“<br />
„Irgendwas detaillierteres?“<br />
„Lauf schnell.“<br />
Sie stürmten die Treppe hoch und folgten Penkala den langen<br />
Steg an der Seitenwand entlang. Das Metall unter ihren Füßen<br />
ratterte bei jedem Schritt. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.
Absturz<br />
Die Außenwand wurde furchtbar heiß, Penkala hatte das<br />
Gefühl, seine Haut würde sich allmählich abschälen. Eine<br />
verzweifelte Frau – eine junge Kollegin mit Sonnen-Tattoo<br />
auf der Wange und einem auffallend attraktivem Körperbau -<br />
kam ihnen entgegen. „Alex, alle Kapseln in Reichweite sind<br />
bereits weg! Was sollen wir tun?“ Er begnügte sich nicht mit<br />
Erklärungen, ergriff ihre Hand und zerrte die Frau einfach mit<br />
sich.<br />
„Wir verschwinden, Lonnie!“, sagte er nur. Während sie den<br />
Weg in umgekehrter Richtung wieder zurückrannten, kam<br />
Penkala immer mehr zu dem Entschluss, dass es ein<br />
furchtbarer Fehler gewesen war, an diesem Tag aus dem Bett<br />
zu steigen.<br />
„Alex, wo willst du hin?“, fragte Dike drängend.<br />
„Zum Jeep!“<br />
„Was? Sollen wir vielleicht zum Planeten fahren?“<br />
„Wir werden zur Hölle fahren, wenn wir uns nicht beeilen!“<br />
Nach einer quälend langen Zeit, die eigentlich nur aus<br />
wenigen Sekunden bestand, erreichte die Gruppe endlich<br />
einen speziellen Seitenhangar. Er war nicht sonderlich groß<br />
und er bot auch nur Platz für ein einziges Schiff, aber das war<br />
alles, was sie brauchten. Zu Penkalas Erstaunten befand sich<br />
das Schiff, dass er suchte auch noch an Ort und Stelle. Hastig<br />
eilten sie über die Treppe vom Steg hinunter und flitzten zu<br />
dem Shuttle. Das Seitenschott lies sich in der Eile nicht<br />
öffnen.
Dike wurde panisch: „Wir müssen von hier verschwinden!<br />
Jede weitere Sekunde, die wir bleiben, verringert sich unsere<br />
Überlebenschance um Tausend Prozent!“<br />
„Ist das ein Fakt, oder eine grobe Schätzung?“, fragte Penkala.<br />
„Ich kann ja nachrechnen!“<br />
Byers verlor nicht die Nerven und betätigte die Notfallöffnung<br />
der Hauptluke. Krachend schmetterte das schwere Teil an der<br />
Rückseite des Schiffes herab. Byers und Penkala verloren<br />
keine Zeit, eilten an dem fest verankerten Jeep im Laderaum<br />
des Schiffes vorbei und klemmten sich hinter die Pilotensitze.<br />
Mit geübten Handgriffen starteten sie die Maschinen. Byers<br />
wollte die Systemtest durchführen, aber Penkala schlug ihm<br />
auf die Hand. „Überspring das. Wir haben keine Zeit!“ Es war<br />
ohnehin überflüssig, die Sternenflotte war stets zwanghaft<br />
bemüht alles in hundertprozentigem Funktionszustand zu<br />
halten.<br />
Draußen im Hangar fiel das Licht flackernd aus. Sie saßen im<br />
Dunkeln.<br />
„Anschnallen!“, wies Penkala die Anderen an und zog seinen<br />
eigenen Gurt zurecht. Klackend rasteten die Sperren ein. „Ich<br />
kann mich nicht in den Hauptcomputer einklingen und das<br />
Hangartor öffnen.“, schrie Byers verzweifelt.<br />
Für Penkala stellte das kein unlösbares Problem dar. Als die<br />
Maschinen heulend zum Leben erwachten und sich das Shuttle<br />
erhob, aktivierte Penkala die Phaserstaffel, unwissend, dass er<br />
damit fast ihre gänzlich verbliebene Energie verbrauchte. Die<br />
orange-rot glühenden Strahlen brannten sich in die dicken<br />
Duraniumplatten und zerschnitten sie zu großen Stücken, die<br />
hinauswirbelten. Die Andockklemmen lösten sich klackend.<br />
Fast zeitgleich ging die Energieanzeige im Argoshuttle gen<br />
Null. Die Maschinen begannen zu stottern, das Schiff knallte<br />
wieder zurück auf den Boden. Penkalas Kinnladen wäre auf<br />
die Konsole geklappt, wenn es anatomisch dafür gebaut wäre.<br />
„Was zum-“
„Was hast du gemacht?“, wollte Byers wissen.<br />
„Das war doch nur ein Schuss. Irgendwas scheint nicht nur der<br />
<strong>Shenandoah</strong> Saft abgezogen zu haben.“<br />
„Warum funktionieren deine blödsinnigen Pläne nie?!“, fragte<br />
Dike verzweifelt.<br />
„Murphys Gesetz.“<br />
In dem Moment kippte der gesamte Hangar zur Seite. Das<br />
Argoshuttle schlidderte funkensprühend über den blanken<br />
Boden und krachte an die Seitenwand, nur um anschließend<br />
wieder zur anderen Richtung zu rutschen. Hilflos saßen die<br />
verzweifelten Offiziere in einem Gefährt, das gerade als<br />
Pingpongball missbraucht wurde.<br />
Hinter dem zersplitterten Hangartor und jenseits der Flammen,<br />
erstreckten sich der blutrote Himmel – sie hatten beinahe die<br />
Wolkendecke erreicht.<br />
„O Gott!“, brüllte Penkala verzweifelt und riss den Verschluss<br />
seiner Jacke auf. Es wurde unglaublich heiß! „Den Antrieb auf<br />
volle Leistung zünden!“<br />
„Wir haben dafür nicht genug Saft über, Penkala. Wir müssen<br />
Energie sparen.“<br />
„Reserven nützen uns gar nichts, wenn wir hier nicht bald<br />
rauskommen!“, schrie Penkala zurück.<br />
Der Pilot blieb vernünftig und hatte scheinbar keine weiteren<br />
Gegenargumente. Entschlossen zog der den Gashebel zurück.<br />
Das Shuttle zitterte, als der Antrieb aufheulte. Im ersten<br />
Moment hatte Penkala das schreckliche Gefühl, dass sich die<br />
Maschine trotzdem nicht von der Stelle bewegte, aber dann<br />
begann sie voranzuschliddern. Penkalas Herz schlug immer<br />
schneller und härter. Er war schweißgebadet, die ganze<br />
Uniform klebte an seiner Haut.<br />
Byers ging es nicht anders. Seine Hände zitterten so stark,<br />
dass er Mühe hatte die Kontrollen zu bedienen. Trotzdem gab<br />
er mehr Schub. Der Hangar glitt vorüber, neigte sich aber<br />
zeitgleich wieder zur Seite. Und mit ihm schlidderte auch das
Argoshuttle wieder auf die Seitenwand zu. Penkala hatte das<br />
ungute Gefühl, dass sie nicht durch die entstandene Öffnung<br />
gleiten, sondern gegen die Begrenzung daneben prallen<br />
würden, wenn sie nicht endlich vorwärts kämen. Wütend<br />
schlug er gegen die Kontrollen. Das Dröhnen der Maschinen<br />
wurde Lauter, als Byers noch mehr Schub gab. Penkala sah<br />
aus den Augenwinkeln, wie sich Dike hinter ihm an den<br />
Kanten seines Sitzes festklammerte. Die anderen standen um<br />
den Jeep herum. Er wollte sie erneut auffordern, sich endlich<br />
anzuschnallen, erkannte aber das Problem: Es gab nur drei<br />
Sitze - mal von denen im Jeep abgesehen. Und dort konnte<br />
sich niemand anschnallen. Er fluchte stumm und hoffte, dass<br />
die Turbulenzen nicht allzu stark werden würden, sollten sie<br />
es jemals aus diesem verdammten Hangar schaffen. „Wird das<br />
heute noch was?“<br />
Das Shuttle hob die Nase ein wenig in die Höhe, machte einen<br />
Hüpfer von kaum anderthalb Metern und fiel mit einem<br />
furchtbaren Krachen wieder zurück auf den Boden. Dike<br />
keuchte, schwieg aber tapfer weiter. Byers schob die<br />
Steuerkontrolle bis zum Anschlag vor. Die Maschinen brüllten<br />
auf. Das Shuttle glitt mit enervierender Langsamkeit auf die<br />
Öffnung zu, um gleichzeitig seitlich davon wegzurutschen.<br />
Einen weiteren Schuss um die Öffnung zu vergrößern, konnte<br />
Penkala aber unmöglich abgeben.<br />
Byers zählte langsam bis Drei und zog dann noch mal an den<br />
Gaskontrollen. Irgendetwas hinten am Schiff explodierte. Was<br />
es auch war, es verschaffte ihnen den restlichen<br />
Vorwärtsschub. Ein fürchterliches Splittern und Krachen<br />
erklang, als sie mit dem Flügel gegen den Torrahmen knallten.<br />
Das Shuttle wurde herumgerissen. Dann fiel es einfach wie ein<br />
schwerer Stein aus dem Hangar hinaus und von der<br />
<strong>Shenandoah</strong> weg. Sofort waren die Erschütterungen enorm.<br />
Penkala wurde gegen die Konsole geschleudert. Der<br />
Sicherheitsgurt presste ihm die Luft aus den Lungen. Er sackte
enommen in den Sitz zurück und nahm nur noch unklar war,<br />
wie Trümmer, Flammen und loderndes Feuer das Cockpit<br />
einhüllte.<br />
Das Shuttle sackte ab.<br />
Hinter Penkala schrieen die unangeschnallten Offiziere auf,<br />
als sie mit den Köpfen an die Decke knallten. Penkala hörte<br />
das kategorische Knacken eines Genickbruchs und verzog das<br />
Gesicht. Er konnte sich jetzt nicht umdrehen - nein er wollte<br />
sich jetzt gar nicht umdrehen.<br />
Wenn das Lonnie gewesen war...- Nein! Er musste sich jetzt<br />
konzentrieren. Blinzelnd versuchte er klar im Kopf zu werden<br />
und nicht in Ohnmacht zu fallen. Hinter den Frontfenstern, sah<br />
Penkala Dutzende Kapseln runtergehen, eine brannten so<br />
lichterloh, dass die Insassen es einfach nicht überleben konnte.<br />
Doch, wieso das ganze?<br />
Normalerweise mussten die Fluchtkapseln über bestens<br />
ausgerüstete Hitzeschilde verfügen. Ein Blick auf die eigene<br />
Energiereserve verriet das ganze Dilemma: Ihre eigenen<br />
Energiewerte waren auch unten. Byers bemerkte seinen Blick.<br />
„Das muss uns alle erwischt haben. Und ohne Energie für die<br />
Hitzeschilde-“<br />
„Ich zünde die Bremsraketen.“<br />
Sie wurden sofort langsamer, das Shuttle erzitterte dafür aber<br />
umso heftiger.<br />
„Was ist das dort drüben?“, fragte Dike und deutete in eine<br />
Richtung.<br />
Jenseits der Fenster erspähte Penkala einen glühenden<br />
Kometen zur Oberfläche stürzen. Die <strong>Shenandoah</strong> war es<br />
nicht.<br />
„Eine Rettungskapsel?“<br />
Penkala schüttelte mit dem Kopf. „Viel zu groß.“<br />
„Byers, Bleiben sie in der Nähe der Kapseln!“, rief Dike, um<br />
den Lärm zu übertönen.
„Wenn ich noch die Kontrolle hätte-“, setzte Byers an. Er<br />
stoppte mitten im Satz, als er etwas auf sich zurasen bemerkte.<br />
Penkala sah es im selben Moment und riss die Augen auf. Er<br />
kam überhaupt nicht mehr dazu irgendetwas zu brüllen. Ein<br />
Entsetzensschrei, oder eine Warnung. Bevor irgendwas über<br />
seine Lippen kam, prallte ein anderes, außer Kontrolle<br />
geratenes Shuttle in sie hinein. Entgegen seiner Vermutung<br />
verwandelten sie sich nicht in einen Feuerball am Himmel.<br />
Stattdessen wurde ihr Shuttle gespalten.<br />
Plötzlich flammte irgendwo hinter Penkala ein grell<br />
orangefarbenes Licht auf und in das Splittern und Bersten des<br />
auseinanderreißenden Hecks vermischte sich das Poltern einer<br />
Explosion. Jemand kreischte – ein schnell leiser werdendes<br />
Kreischen, von einer Person, die sich ebenso schnell entfernte.<br />
Penkala drehte sich in diesem Moment halb um und musste<br />
entsetzt mit ansehen, wie das Heck verschwand.<br />
Dort wo sonst eine Wand sein sollte, hatte man plötzlich einen<br />
Panoramablick auf die blutroten Wolken unter ihnen. Die<br />
Leute im Heck wurden mit den Trümmern nach draußen<br />
gerissen.<br />
Einzig Lonnie hielt sich hoffnungslos an den Streben des<br />
Jeeps fest, ihre Beine flogen in der Luft. Sie sah Penkala an.<br />
Er starrte zurück.<br />
Dann verlor sie den Halt, der Sog war einfach zu stark. Stumm<br />
wurde sie von ihm fortgerissen. Ein unglaublicher Wind zerrte<br />
an Penkala. Inzwischen war er nur noch halb bei Bewusstsein.<br />
Er hatte sich auf die Zunge gebissen, sodass er den<br />
Geschmack seines eigenen Blutes im Mund hatte und für<br />
einen Augenblick musste er mit aller Kraft dagegen<br />
ankämpfen, nicht ohnmächtig zu werden. Ein hässlicher<br />
Schmerz durchzuckte seinen rechten Arm. Als wäre es nicht<br />
sein eigener Arm, stellte er mit beinahe kindlicher Neugierde<br />
fest, dass ein riesiger Metallsplitter sich in den Oberarm<br />
gebohrt hatte. Schmerzen verspürte er keine.
Byers neben ihm kreischte. Die wenige Kontrolle, die sie sich<br />
ohnehin nur zu besitzen eingebildet hatten, entglitt ihnen nun<br />
gänzlich.<br />
Penkala sah aus dem Frontfenster hinaus und stellte verblüfft<br />
fest, dass sie nicht mehr knapp über den Wolken waren. Die<br />
Maschine sank tiefer und plötzlich war rechts und links von<br />
ihnen kein freier Himmel mehr, sondern das dunkle Rot<br />
scharfkantiger Felsen, die mit erschreckender<br />
Geschwindigkeit an ihnen vorüberhuschten. Er widerstand der<br />
Versuchung, erneut nach hinten, zum klaffenden Loch zu<br />
blicken. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Stelle, auf die<br />
sie zurasten. Wo Byers vermutlich landen wollte, sofern er<br />
überhaupt noch die Richtung ihres Absturzes beeinflussen<br />
konnte. Als er sie entdeckte, sträubten sich ihm sämtliche<br />
Haare auf dem Kopf. Es war kein flacher Berghang, wie<br />
Penkala Irrsinnigerweise vermutet hatte, sondern eine schier<br />
bodenlose, meilenlange Schlucht, die das Gebirge vor ihnen<br />
spaltete. Nicht einmal ein Meisterpilot hätte ein Shuttle dort<br />
hineinsteuern können. Und Byers war Techniker. Aber ihnen<br />
blieb keine andere Wahl. „Wahnsinn. Das ist Wahnsinn.“,<br />
murmelte er benommen. Womit er recht hatte.<br />
„Als hätten wir eine Wahl.“, brüllte Byers kopfschütteln. Er<br />
war offenbar von seinem eigenen Tun nicht sonderlich<br />
überzeugt.<br />
Dike beugte sich nach vorn. Weit von ihnen entfernt gingen<br />
einige Fluchtkapseln der <strong>Shenandoah</strong> ebenfalls zu Boden. Sie<br />
krachten aber direkt auf den Boden zu, während sie das Glück<br />
besaßen einigermaßen glatt runterzukommen. Was das für die<br />
Insassen der Kapseln bedeuten mochte, konnte sich jeder<br />
denken. „Wir sind nicht weit vom Landepunkt entfernt.“, rief<br />
Dike.<br />
„Das ist scheißegal.“, brüllte Byers. „Solange wir es überhaupt<br />
schaffen, heil runterzukommen.“
Der Spalt verengte sich zusehends, je tiefer sie kamen. Sie<br />
waren knapp über dem Boden. Vielleicht zehn Meter.<br />
Vermutlich hätte der schmale Pfad am Boden nicht einmal<br />
ausgereicht, um einen Albatros mit ausgestreckten Schwingen<br />
zu landen. Byers schrie auf, als die Wände von beiden Seiten<br />
zugleich auf das Shuttle zuzuspringen schienen. Instinktiv<br />
versuchte er die Maschine noch einmal in die Höhe zu reißen,<br />
aber es gelang ihm nicht. Ein fürchterliches Knattern erklang,<br />
als die Flügel auf beiden Seiten gleichzeitig die Felswand<br />
berührten – und brachen.<br />
Das brennende Impulstriebwerk rechts riss ab und flog davon,<br />
eine halbe Sekunde später folgte ihm auch das Triebwerk auf<br />
der linken Seite. Funken prasselten auf Penkala nieder. Das<br />
Shuttle knallte nun gänzlich auf den Boden, raste noch ein<br />
Stück weiter, rüttelte und bockte, als wolle es nun gänzlich<br />
auseinanderbrechen – und direkt vor ihnen bäumte sich<br />
plötzlich eine Felswand auf. Penkala riss die Hände vor die<br />
Augen und riss gleichzeitig den Kopf zur Seite – ein Fehler.<br />
Das letzte, was er sah, war, wie ein hervorragender Felsen<br />
durch die Sichtscheibe splitterte und Byers den Kopf von den<br />
Schultern riss, als sie mit der Wand kollidierten. Dann verlor<br />
er endgültig das Bewusstsein.
Unbekannter Mond<br />
Wie durch ein Wunder bekamen die Trägheitsabsorber genug<br />
Energie. Dennoch war der Aufprall auf dem Planeten so<br />
gewaltig, dass die Schnallen ihres Gurtes mit einem<br />
ohrenbetäubenden Klatschen rissen.<br />
Rhonda Smith schrie auf, als sie durch die umherschleudernde<br />
Rettungskapsel purzelte. Smith stieß sich den Kopf und sah<br />
Sterne, als sie auf dem Boden aufschlug. Die Kapsel kam für<br />
einen Moment zur Ruhe, stand aufrecht, wie sie eigentlich<br />
landen sollte, hatte aber scheinbar keinen festen und geraden<br />
Untergrund und schwankte mit einem metallischen Kreischen.<br />
Smith hörte den inzwischen wieder erwachten Hawk „Rhonda,<br />
Rhonda!“, rufen, als er sich von seinem eigenen Gurt befreite<br />
und auf den Boden sprang. Dies brachte die Kapsel aus dem<br />
Gleichgewicht. Sie kippte um.<br />
Hawk drehte das Gesicht weg, Inhalt der Notausrüstungen und<br />
Trümmer prasselten auf ihn herab. Als er wieder hochsah, war<br />
alles schief. Die Kapsel lag auf eine der sechs Seiten. Direkt<br />
über ihm war die Ausstiegsluke, die völlig eingedrückt war.<br />
Einige der abgedunkelten Fenster wiesen starke Risse und<br />
Spinnweben auf. Von draußen war kaum etwas zu erkennen.<br />
Er hörte das schrille Kreischen von Metall und spürte, wie die<br />
Kapsel einen leichten Hang mit dem Dach vorwärts<br />
hinabrutschte. Ganz langsam.<br />
Hawk kroch die Seitenwand entlang, er versuchte zu Rhonda<br />
zu kommen. Er sah zu einem Kabel hoch, aus dem in<br />
unbeständiger Reihenfolge Funken stoben, die kurzzeitig das<br />
Innere der Kapsel erhellten. Irgendwo daneben waren die<br />
Leitungen für die Kühlmittel, die nun über seinem Kopf
hingen. Auch sie waren beschädigt, irgendeine Flüssigkeit<br />
tropfte auf Hawk herab. Er hörte ein Zischen und merkte, dass<br />
es Säureartige Kühlflüssigkeit sein musste.<br />
Irgendwo vor ihm in der Dunkelheit stöhnte Rhonda. Wieder<br />
blitzten Funken auf und Hawk sah sie zusammengekrümmt an<br />
der Wand liegen, die normalerweise der Kapselboden war.<br />
Hawk kroch auf allen vieren weiter vorwärts, rutschte aber<br />
schließlich aus.<br />
Noch mehr Kühlflüssigkeit? Nein, es war warm. Beim<br />
nächsten Funkenregen sah er, dass es Blut war, dass an die<br />
Wand gespritzt sein musste. Die Medizintasche hatte sich<br />
beim Absturz gelockert und war durch den Innenraum<br />
geflogen. Hawk hatte gesehen, wie Fähnrich Thatcher sich<br />
daran den Kopf zertrümmert hatte. Seine Leiche hing noch<br />
immer angegurtet im Sitz, über Hawk. Die Arme und Beine<br />
baumelten lose herab, wie ein Marionette, deren Schnüre<br />
jemand durchtrennt hatte.<br />
Es war alles verrückt. Einfach verrückt.<br />
Hawk biss die Zähne zusammen. Die Kapsel rutschte weiter<br />
abwärts. Inzwischen hatte er Rhonda erreicht. Sie schlang die<br />
Arme um ihn.<br />
„Cooper.“, sagte sie. Ihre gesamte linke Gesichtshälfte war<br />
dunkel. Im Schein des nächsten Funkenregens sah er, dass sie<br />
Blutverschmiert war. „Alles okay?“<br />
„Du stellst fragen.“ Mit dem Handrücken wischte sie sich Blut<br />
aus dem Auge. „Kannst du sehen, was es ist?“<br />
Wieder stoben Funken und er sah, dass ihr ein kleines<br />
Metallteil knapp unter dem Haaransatz im Fleisch steckte. Er<br />
zog es heraus und drückte die Hand auf die plötzlich stark<br />
blutende Wunde. Von seinem Ärmel riss er einen Stofffetzen<br />
ab und drückte ihn dagegen. Sofort verfärbte sich der Stoff.<br />
„Tut es weh?“<br />
„Geht schon.“<br />
„Ich glaube, schlimm ist es nicht.“, sagte er.
Die Kapsel rutschte weiter.<br />
„Sind wir die Einzigen?“, fragte Smith.<br />
„Ja. Thatcher und Gahv hat’s erwischt.“<br />
Ein unheimliches Knirschen erklang. „Was ist das?“, fragte<br />
Smith mit tonloser Stimme.<br />
Sie rutschten weiter abwärts. Abwärts.<br />
Hawk drehte sich um und rutschte auf allen vieren zurück zum<br />
Dach. Mit dem Ärmel versuchte er die beschlagenen Scheiben<br />
abzuwischen, um etwas zu erkennen. „Wir rutschen.“<br />
„Wohin, Cooper?“<br />
Er kniff die Augen zusammen und starrte hinaus. Dann wurde<br />
er bleich.<br />
Direkt vor ihnen: roter Sand. Einige Meter weiter: Nichts. Er<br />
richtete sich auf. „Zu einem Abhang.“<br />
Dieser Abhang war einhundertfünfzig Meter nackter Fels, der<br />
beinahe Senkrecht zum Talboden abfiel. Diesen Sturz würden<br />
sie in der angeschlagenen Kapsel niemals überleben. Der<br />
Aufprall hatte die letzte Restenergie gekostet.<br />
Trägheitsdämpfer gab es nun keine mehr.<br />
„Frell!“, fluchte Hawk. Sie rutschten weiter. Unaufhörlich. Er<br />
kroch von den Dachfenstern, weg, die Seitenwand ein Stück<br />
hinauf und stellte sich wie auf einem Surfbrett hin. Er<br />
erreichte die Zugangsluke, aber sie war schrecklich verbogen.<br />
Er legte den Hebel für die Absprengung um. Nichts geschah.<br />
Hawk wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte nicht die<br />
geringste Ahnung. Die Kapsel lag auf der Seite und alles war<br />
verrückt.<br />
Seine Schulter brannte und er roch, wie sich das Kühlmittel<br />
durch seine Uniform fraß. Vielleicht auch schon durch sein<br />
Fleisch. Es brannte heftig. Es war dunkel in der Kapsel. Keine<br />
Energie, überall lagen Trümmer. Irgendetwas knallte auf das<br />
Dach, beziehungsweise die Seite der Kapsel – herabprasselnde<br />
Trümmer. Hawk stürzte und stieß sich den Hinterkopf an einer<br />
Ingenieurstasche. Der Deckel ging auf und Geräte und Chips
tropften auf ihn herab. Wieder blitzten Funken auf und Hawk<br />
sah, dass sie die Kante erreichten.<br />
„Rhonda!“, rief er, rannte los und zog sie aufrecht. Am Boden<br />
gab es eine Notluke, vielleicht, wenn sie–<br />
Aber es war zu spät.<br />
Die Kapsel ächzte und knarzte und dann sah Hawk die untere<br />
Hälfte in die Tiefe sinken. Die Kapsel rutschte über den<br />
Abhang. Es fing langsam an und dann wurde es immer<br />
schneller. Die Seite, die eben noch der neue Boden gewesen<br />
war, kippte weg, alles fiel. Rhonda fiel und griff im Sturz noch<br />
nach ihm, erreichte ihn aber nicht. Weil er nicht wusste, was<br />
er tun sollte, packte er in die Einkerbungen der Bodenluke, die<br />
eigentlich dazu gedacht waren, sie anzuheben und nicht um<br />
daran zu hängen. Die Luke war kalt und feucht – mehr Blut.<br />
Die Kapsel kippte immer stärker, sackte tiefer. Metall<br />
knirschte.<br />
Hawk spürte, wie seine Hände von dem Metall glitten ...<br />
glitten ... glitten ... und dann konnte er sich nicht mehr halten<br />
und fiel, stürzte hilflos auf das untere Ende der Kapsel zu. Er<br />
sah eine offene Ausrüstungstür auf sich zurasen, knallte<br />
dagegen, spürte einen brennenden Schmerz und krümmte sich.<br />
Und langsam hüllte sanfte Schwärze ihn ein.<br />
Der Absturz hatte Allan nicht umgebracht. Er raubte ihm auch<br />
nicht das Bewusstsein. Er tat ihm nicht einmal besonders weh,<br />
denn irgendwer hatte es geschafft, die Trägheitsdämpfer mit<br />
Energie zu versorgen, die den größten Teil der Wucht des<br />
Aufpralls nahmen. Trotzdem blieb er eine Weile benommen<br />
liegen, ehe er es wagte, sich behutsam aufzusetzen und ebenso<br />
behutsam mit den Fingerspitzen über seinen Körper zu tasten,<br />
wie um sich davon zu überzeugen, dass noch alles an seinem<br />
Platz und relativ unbeschädigt war. Erst danach wagte er es,<br />
sich vorsichtig aufzurichten. „Judy?“
Nichts.<br />
„Judy?!“<br />
„Ich bin okay.“, drang die hustende Stimme des Mädchens<br />
von irgendwoher. Im Innern der Rettungskapsel herrschte<br />
Dunkelheit. Die Lampen waren beim Aufschlag mit einem<br />
grellen, die Augen blendenden Aufblitzen erloschen. Durch<br />
die feinen Risse der äußeren Hülle drangen nun schwache<br />
Lichtstrahlen herein und gestatteten es D’Agosta, einen ersten<br />
Blick auf die vom Aufprall durcheinander geworfenen<br />
Gestalten zu werfen. Was er sah, erfüllte ihn nicht gerade mit<br />
Zuversicht.<br />
Er erkannte Fowlers große, fragende Augen, und schließlich<br />
konnte er auch Isaac ausmachen, deren Wangenknochen noch<br />
immer Blutbespritzt waren. Sie löste den Gurt und tastete<br />
seine Tochter Judy nach Verletzungen ab. Shannyn stöhnte<br />
benommen und löste ebenfalls den Sicherheitsgurt. Ohne ihn<br />
hätte ihr eine ebenso unliebsame Begegnung mit dem Boden<br />
bevorgestanden, wie ihn D’Agosta erlebt hatte.<br />
Nach und nach kamen alle wieder zu sich und versuchten, sich<br />
im Halbdunkel zu orientieren. Von irgendwo zauberte Isaac<br />
einen medizinischen Tricorder her, klappte ihn aber sogleich<br />
wieder zu. Keine Daten. Er war offenbar bei dem Absturz zu<br />
schaden gekommen. Also stand Isaac vorsichtig auf, ging von<br />
einem zum anderen und fragte, ob irgendjemand medizinische<br />
Hilfe benötigte. D’Agosta hielt es für wenig wahrscheinlich,<br />
dass Brenda einigermaßen zusammenhängende Antworten<br />
bekam.<br />
Mühsam schob er sich nun durch den engen Innenraum zu<br />
Judy und half ihr die Gurte zu lösen. „Alles in Ordnung?“<br />
Ihrem Gesichtsausdruck zu folge, war das wohl eine reichlich<br />
dämliche Frage und D’Agosta pflichtete ihr in diesem Punkt<br />
sogar bei. „Bleib noch sitzen.“<br />
Offenbar hatte sie die Lust verloren, Einwände gegen seine<br />
Vorschläge zu erheben und nickte langsam. D’Agosta
stolperte über jemanden, entschuldigte sich bei dem - oder der<br />
- Unbekannten und gelangte dahin, wo seiner Erinnerung<br />
zufolge die Einstiegsluke liegen musste – natürlich nicht, ohne<br />
sich dabei mindestens einmal das Bein an irgendeinem<br />
vorragenden Metallteil zu stoßen.<br />
Zu seiner Verwunderung war Shannyn längst wieder auf den<br />
Beinen und hockte ebenfalls neben der Luke.<br />
„Wir haben Glück gehabt, wie?“, fragte D’Agosta.<br />
„Glück?“ Shannyn tastete vorsichtig zu zwei langen Kratzern<br />
an ihrer linken Wange. Schon die kleinste Berührung tat weh,<br />
dennoch lies sie sich nichts anmerken. Dann beugte sie sich<br />
wieder über die Instrumente. „Irgendwelche Ergebnisse?“<br />
„Ich versuche gerade, etwas rauszukriegen.“ Nachdem sie eine<br />
Weile auf die Anzeigen gestarrt hatte, schüttelte Shannyn den<br />
Kopf. „Ich bekomme keine vernünftigen Werte. Genauer<br />
gesagt, bekomme ich gar keine Werte. Das Energielevel ist<br />
gleich Null.“<br />
„Wir brauchen dringend Daten über die Zusammensetzung der<br />
Atmosphäre.“<br />
„Tut mir leid, keine Daten.“<br />
Keine Daten. Sie hatten herausbekommen wollen, ob sie in der<br />
Atmosphäre des Planeten leben konnten, bevor die Tür<br />
geöffnet wurde; und jetzt sah es danach aus, als müssten sie<br />
die Tür öffnen, um zu prüfen, ob man in der Luft überleben<br />
konnte. Zwar hatten die Scanner der <strong>Shenandoah</strong> den Mond<br />
beiläufig als Grenzgänger unter Klasse-M-Planeten aufgefasst,<br />
und damit eignete sich die Welt für humanoides Leben.<br />
Außerdem lebten ja auch einheimische Spezies auf dem<br />
Planeten. Dennoch hatten die Scanner auch auf bestimmte<br />
Bereiche aufmerksam gemacht, wo die Atemluft extrem dünn,<br />
teilweise sogar toxisch angereichert war.<br />
„Wir müssen-“<br />
Mit starker Verärgerung nahm Shannyn das einsetzende<br />
Gemurmel hinter sich wahr. Nicht weil es sich um Gemurmel
handelte, sondern weil ihr die Richtung des Inhalts nicht<br />
gefiel, denn kaum hatten sie den schlimmsten Absturz der<br />
Geschichte erlebt, verfielen die Leute nicht in Dankbarkeit,<br />
sondern in Panik. Und das, wo sich ein kleines Mädchen in der<br />
Kapsel befand.<br />
„Mund halten!“, rief sie mit einer Lautstärke, die sofort<br />
wirkte. Augenblicklich verstummte das Gemurmel.<br />
„Was ist?“, fragte Fowler. „Hören Sie was?“<br />
„Mund halten, schließt Sie mit ein.“<br />
D’Agosta runzelte die Stirn, dann hörte er es - gedämpfte<br />
Schreie drangen von außerhalb an sein Ohr. Und<br />
irgendwelcher Lärm. Jemand rief um Hilfe! Es gab also<br />
Atmosphäre.<br />
„Öffnen Sie die Luke.“, ließ sich Isaac’s brüchige Stimme<br />
vernehmen. Shannyn riss den Notschalter herunter und sofort<br />
wurde die Tür aus der Verankerung gesprengt. Scheppernd<br />
knallte sie auf den heißen Boden. Von einem zum anderen<br />
Moment fand sich D’Agosta in der Hölle wieder.<br />
Rhonda Smith hörte ein rhythmisches Knarzen. Sie wusste<br />
nicht wo sie war und öffnete die Augen. Und blickte direkt in<br />
ein rotbraunes Tal hinab, das einhundertfünfzig Meter unter<br />
ihr lag. Der Bildausschnitt, den sie sah, schwankte leicht hin<br />
und her. Sie sah durch das Dachfenster der Kapsel, die vom<br />
Klippenrand herunterhing.<br />
Sie fielen nicht mehr. Aber sie hingen bedrohlich in der Luft.<br />
Irgendwo musste sich die Kapsel verfangen haben und<br />
Rhonda befürchtete, dass dies nicht von langer Dauer sein<br />
würde. Neben ihr befand sich eine zertrümmerte Kontrolltafel.<br />
Lose Drähte hingen heraus, die Anzeigen waren erloschen.<br />
Das Blut in ihrem linken Auge ließ sie nicht klar sehen. Sie<br />
öffnete ihre Jacke, zog das Hemd darunter aus der Hose und<br />
riss zwei Tuchstreifen ab. Den einen faltete sie zu einer
Kompresse zusammen, die sie sich an die Stirnwunde drückte.<br />
Den zweiten band sie sich um den Kopf, um die Kompresse zu<br />
fixieren. Schmerz durchzuckte sie und Smith biss die Zähne<br />
zusammen. Die Kapsel schwankte noch immer. Sie starrte<br />
nach oben und sah die ganze Kapsel, die senkrecht nach unten<br />
hing. Hawk war etwa einen Meter über ihr, er hing über eine<br />
Ausklapptür, hinter der diverse Kontrollmechanismen lagen,<br />
gekrümmt und rührte sich nicht.<br />
„Cooper.“, sagte sie.<br />
Er antwortete nicht. Die Kapsel erzitterte wieder und ächzte<br />
unter ihrem eigenen Gewicht. Smith versuchte sich das äußere<br />
der Kapsel vorzustellen – man sah sie nicht allzu häufig von<br />
außen. Die Schubdüsen am Boden ragten seitlich ein wenig<br />
heraus, eine der Düsen musste sich in den zackigen Fels<br />
verkanntet haben. Die ganze Kapsel hing nun daran und<br />
baumelte frei in der Luft. Sie hingen nur noch an Düsen! Und<br />
die würde der Belastung nicht lange standhalten.<br />
„Cooper.“, sagte sie. „Cooper.“<br />
Ohne auf die Schmerzen in ihrem Körper zu achten, rappelte<br />
sie sich hoch. Ihr wurde schwindelig und sie fragte sich, wie<br />
viel Blut sie wohl verloren hatte. Die Kapsel schwankte unter<br />
ihr. Die Funken aus der gebrochenen Leitung stoben erneut<br />
und sie sah sein Gesicht. Er stöhnte. „Cooper.“<br />
Seine Augen waren geschlossen. „Es tut mir leid.“<br />
„Lass das.“<br />
„Ich habe den Warpsprung nicht initialisiert. Ich habe dich in<br />
diesen Schlamassel gebracht.“<br />
„Cooper, kannst du dich bewegen? Bist du okay?“<br />
Er stöhnte. „Meine Rippen.“<br />
„Cooper.“<br />
„Ich weiß.“, erwiderte er müde und schüttelte den Kopf.<br />
„Cooper, wir müssen hier raus.“ Sie fasste ihn unter den<br />
Achseln und hob ihn in die Höhe. „Und du kommst mit mir.“
Wieder schüttelte er niedergeschlagen den Kopf. Sie hatte<br />
diese Geste von ihm schon früher in ihrem Leben gesehen,<br />
dieses hoffnungslose Kopfschütteln des Aufgebens. Und sie<br />
hasste es. Rhonda Smith gab nie auf. Niemals. Hawk ächzte.<br />
„Ich kann nicht.“<br />
„Du musst.“, sagte sie.<br />
„Rhonda...“<br />
„Ich will nichts hören. Es gibt nichts zu besprechen, außer,<br />
dass du mit mir von hier verschwindest.“ Sie zog fester und<br />
bekam ihn sogar von der Metalltür. Er schaffte es irgendwie<br />
sich aufrecht zu stellen. Er schwankte, aber er stand.<br />
Sie fragte: „Was machen wir jetzt?“<br />
„Ich weiß es nicht.“, sagte er leise. „Die Luke lässt sich nicht<br />
öffnen.“<br />
„Gibt es eine Notluke?“<br />
Er nickte schwach.<br />
„Wo?“<br />
Keine Antwort.<br />
Rhonda sah hoch. „Ist das da oben die Notluke?“<br />
Er deutete nach oben und nickte. „Okay, Cooper. Los geht’s.“<br />
Sie beugte sich vor und versuchte irgendwo halt zu finden. Die<br />
Stühle über ihnen waren ideal.<br />
„Rhonda, ich kann nicht-“<br />
„Komm schon. Sofort, verdammt noch mal!“<br />
Mit zitternden Armen griff er nach allem, woran er sich<br />
festhalten konnte und stemmte sich hoch. Sie fingen an nach<br />
oben zur Bodenluke zu klettern, wobei sie sich an allem<br />
festhielten, was ihre Hände erreichen konnten. An einigen<br />
Stellen gab es Haltegriffe und wenn es keine gab, klammerten<br />
sie sich an Stuhlkanten und Ausrüstungskoffer.<br />
„Was habe ich da oben nur angerichtet, Rhonda?“<br />
Sie schwieg.<br />
„Ob Toye und die Anderen es geschafft haben?“
Smith stellte sich mit dem einen Bein auf einen<br />
Ausrüstungskoffer und fand mit dem anderen Fuß einen<br />
einigermaßen günstigen Stand in einem Haltegriff.<br />
Sie sah die Luke, fand aber keinen Öffnungsmechanismus.<br />
„Cooper, wie geht das auf?“<br />
Wie in Trance hob er einen Arm und löste eine Entriegelung<br />
an seiner Seite. Nun sah Rhonda es auch. Sie griff nach dem<br />
Hebel der Entriegelung an ihrer Seite und riss sie zurück. Die<br />
Bodenluke fiel aus ihrer Halterung und knallte scheppernd<br />
nach unten, gegen das Dach. Rhonda fasste in die Öffnung<br />
hinein, fand eine zweite Luke, die den Ausstieg nach unten,<br />
beziehungsweise Oben absicherte. Sie tastete blind mit den<br />
Fingern, da sie von ihrem Standpunkt aus nichts sehen konnte,<br />
solange, bis sie einen Hebel zu fassen bekam. Nach<br />
mehrmaligem Betätigen, öffnete sich endlich die Luke nach<br />
draußen. Sofort strömte heiße, stickige Luft in das innere der<br />
Kapsel. Rhonda schnaufte. Wenn sie sich hinaufziehen wollte,<br />
musste es beim ersten mal klappen, da ihr sonst der Halt<br />
fehlte. „Rhonda, schaffst du das?“<br />
„Ja.“, sagte sie. Sie streckte die Arme aus, griff nach den<br />
Kanten der Öffnung, stieß sich ab und begann sich<br />
hinauszuziehen.<br />
D’Agosta hustete. Die Luft war extrem heiß und stickig und<br />
brannte in seinen Lungen. Es roch nach Plasma, irgendwo war<br />
ein Leck. Drückender Wind trieb ihm Sand ins Gesicht, so<br />
heftig, dass es sich anfühlte, wie tausend kleiner Nadelstiche.<br />
Doch das war nicht das Schlimme. Das Schlimme, war der<br />
Anblick, der sich ihm darbot.<br />
Insgesamt waren sieben Rettungskapseln recht nahe<br />
beieinander heruntergekommen. D’Agosta glaubte jedenfalls,<br />
dass es sieben waren, aber eine war anscheinend zerplatzt und<br />
etliche Trümmer lagen überall verteilt, prasselten Teilweise
sogar noch immer über die ganze Region vom Himmel herab.<br />
Eine junge Frau, die Allan als das jüngste Mitglied der<br />
Stellarkartographie kannte, hielt sich das Bein und schrie sich<br />
die Luft aus den Lungen. Eine der Kapseln summte<br />
unkontrolliert auf, erstarb und summte wieder auf.<br />
Männer und Frauen stolperten aus den Kapseln, wandelten<br />
ziellos, mit purem Entsetzen in den Minen hin und her, hatten<br />
keine Ahnung, was geschehen war und konnten nicht glauben,<br />
noch am Leben zu sein. Manche waren schwer verletzt, andere<br />
schienen nicht einmal einen Kratzer zu haben, standen aber<br />
dennoch unter Schock. Rauch, Feuer und Fragmente waren<br />
überall. Der beißende Plasmagestank wurde schlimmer.<br />
Allan stieg aus seiner Kapsel aus und trat auf den heißen<br />
Wüstensand.<br />
Sie waren innerhalb einer weitläufigen, sichelförmigen<br />
Hügelformation runtergekommen. Die Region war erodiert,<br />
voller scharfkantiger, roter Felsen und ansonsten Öde. Eine<br />
große, sandige Trockenwüste erstreckte sich direkt vor ihnen<br />
über ein weites Gebiet und jenseits davon lagen beträchtliche,<br />
karge Berge. Die einzige Vegetation bestand aus vereinzelten<br />
Farnwiesen, zahlreichen Stachelhalmen, baumartige, aber nur<br />
höchstens ein Meter hohen Zykadophyten, und feuerrotem<br />
Kraut, dass überall wuchs – selbst auf den Felsen. Richtige<br />
Baumwälder konnte er nirgends entdecken.<br />
Alles war hellrot, orange oder braun. Insgesamt erinnerte ihn<br />
die Landschaft sehr stark an Vulkan.<br />
Die Luft war trocken und furchtbar heiß. Selbst der Himmel<br />
schien zu brennen. Noch immer kamen Rettungskapseln<br />
herunter. Die meisten von ihnen brannten Lichterloh, andere<br />
knallten mit solcher Geschwindigkeit auf den Boden, dass sie<br />
regelrecht zu halber Größe zusammengedrückt wurden. Der<br />
Energieausfall musste sie alle betroffen haben. Ein Donnern<br />
lies ihn emporblicken.
Die <strong>Shenandoah</strong> raste in ihrem spiralförmigen Sinkflug ein<br />
letztes Mal über ihre Position hinweg. D’Agosta zuckte<br />
instinktiv zusammen.<br />
Es war ein gewaltiger, aber auch furchteinflößender Anblick.<br />
Das einst so stolze Schiff verschwand hinter den Bergketten<br />
jenseits der Ebene und wenige Sekunden später erfolgte der<br />
Aufschlag. Er war so gewaltig, dass er sie alle von den Füßen<br />
fegte.<br />
Rhonda wusste zwar nicht wie, aber irgendwie schaffte sie es<br />
trotz des schlechten Haltes und der Schmerzen im ganzen<br />
Körper, sich aus der Luke zu ziehen. Ihre Vermutung<br />
bestätigte sich hier oben. die Bremsraketen hatten sich in den<br />
Fels geschlagen. Das Metall bekam allerdings große Risse und<br />
auch an dem Gestein fielen kleine Kieselbrocken ab. Der<br />
Vorsprung an dem sie hingen, begann abzubrechen. Rhonda<br />
verlor keine Zeit und kroch zur Luke zurück.<br />
„O Nein.“, sagte Hawk, als er nach oben sah.<br />
Rhonda streckte ihm die Hände entgegen. „Benutz nur deine<br />
Arme.“, sagte sie.<br />
Hawk verzog das Gesicht und griff nach den Kanten der Luke,<br />
genau wie sie zuvor. Dann lies er seinen Stand los und<br />
baumelte plötzlich in der Luft. Er strampelte mit den Beinen,<br />
versuchte irgendwo halt zu finden, aber da er genau in der<br />
Mitte hing und es unter ihm absolut nichts gab, war das<br />
vergebene Liebesmüh. Er versuchte sich hochzuziehen, aber<br />
der Griff an den Kannten fiel ihm schon schwer genug. Die<br />
Unterseite der Kapsel war schlüpfrig. Man hätte sie rutschfest<br />
konstruieren sollen. Aber wer würde je die Unterseite einer<br />
Rettungskapsel rutschfest machen?<br />
„Komm schon.“, drängte Smith und versuchte ihm unter die<br />
Arme zu greifen – sprichwörtlich. Ein Blick über die Schulter
verriet, dass die Bremsrakete langsam riss... langsam aufriss...<br />
und der Riss immer breiter wurde.<br />
Hawk verzog das Gesicht zu einer Grimasse und versuchte<br />
seine letzten Kräfte zu mobilisieren. Seine Beine baumelten<br />
schlaff hin und her – aber er kam hoch. Rhonda packte ihn am<br />
Kragen und hievte ihn das letzte Stück hinauf. Hawk rollte<br />
sich über den Rand und keuchte. Trotzdem, noch waren sie<br />
nicht in Sicherheit. „Los, auf den Klippenrand.“<br />
„O Nein.“, keuchte Hawk erneut, rappelte sich auf und griff<br />
nach oben. Das Gestein war warm und spitz, er schlitzte sich<br />
die Hände auf. Dennoch zog er sich hoch, über den Rand.<br />
Mit einem metallischen Peng riss das Gewebe des<br />
Verbindungsstücks der Bremsraketen. Die Verbindungskabel<br />
dehnten sich, die Kapsel sackte einen Meter ab. Die Kapsel<br />
hing nun nur noch an Verbindungskabeln, die sich immer<br />
weiter dehnten und zu reißen drohten. Rhonda riss die Augen<br />
auf, starrte nach oben. Hawk sah über den Rand und streckte<br />
ihr seine blutenden Hände entgegen. In dem Moment vernahm<br />
er ein gewaltiges Donnern über sich und schaute hoch. Ein<br />
Komet raste knapp über sie hinweg, zog einen brennenden<br />
Schweif hinter sich her und lärmte höllisch – die <strong>Shenandoah</strong>.<br />
Hawk wusste, wenn sie aufschlug, würde es eine riesengroße<br />
Erschütterung geben.<br />
„Spring!“, schrie Hawk. Rhonda sprang. Sie bekam seine<br />
rechte Hand zu fassen. Rutschte ab und drohte wieder<br />
zurückzufallen. In dem Moment spürte sie einen brennenden<br />
Schmerz an der Kopfhaut.<br />
„Tut mir leid., sagte Hawk und zog sie an dem Pferdeschwanz<br />
ihrer Haare hoch. Der Schmerz war heftig, aber das war ihr<br />
gleichgültig, denn die <strong>Shenandoah</strong> prallte soeben auf. Die<br />
ganze Erde bebte und jetzt lösten sich unter dieser Belastung<br />
die Verbindungskabel endgültig.<br />
Von unten kam ein lautes Knallen. Peng, Peng, Peng – die<br />
Kabel rissen und dann löste sich die Kapsel mit einem letzten
Ächzen endgültig los und stürzte, immer kleiner werdend, in<br />
die Tiefe, bis sie auf dem Talboden an Felsen zerschellte.<br />
Hawk zog weiter, mit unglaublicher Kraft und dann berührten<br />
Rhondas Finger das Gestein und sie war über dem Rand. In<br />
Sicherheit.<br />
Sie drehte sich auf den Rücken und sah dann zu Hawk hoch.<br />
„Danke.“, sagte sie. Blut tropfte von ihrem bandagierten Kopf.<br />
Hawk lies sich neben sie auf die Erde plumpsen. Er öffnete die<br />
Hand und ein Büschel ihrer braunen Haare fiel auf den Sand.<br />
„Was für ein Tag.“, sagte er.<br />
„Doktor Smith?“ Jemand kam hinter ihnen angerannt. Sie<br />
drehten sich um. Ein Sternenflottenoffizier. Nicht weit entfernt<br />
– vielleicht einhundert oder einhundertfünfzig Meter, waren<br />
andere Kapseln aufgeschlagen, eine ganze Gruppe von ihnen.<br />
„Doktor Smith, wir brauchen ihre Hilfe.“
Nachwirkungen<br />
Die blonde Frau, die inzwischen ebenfalls ausgestiegen war –<br />
und dessen Name er noch immer nicht wusste -, half D’Agosta<br />
nach Ende der Bodenerschütterung hoch. Auch er beobachtete<br />
dann entsetzt den Zustand, der Sternenflottentruppen. Wie in<br />
Trance ging D’Agosta durch das Trümmerfeld. Ein Sanitäter<br />
war über einen Mann gebeugt, der sich nicht rührte und<br />
versuchte hartnäckig sein Leben mit einer primitiven Mund zu<br />
Mund Beatmung zu retten. Er wirkte verzweifelt, sah sich um<br />
und erspähte D’Agosta.<br />
„Helfen sie mir.“<br />
Für einen kurzen Moment stand Allan einfach nur da, ehe er<br />
sich aus seiner Benommenheit losriss. Er öffnete den<br />
Reißverschluss seiner Uniformjacke und eilte zu dem Sanitäter<br />
hin. Seine Knie wurden aufgeschürft, als er sich einfach fallen<br />
lies und dabei noch einige Zentimeter über den Boden<br />
rutschte. „Roe, richtig?“<br />
Der Sanitäter runzelte die Stirn, schien einen Moment verwirrt<br />
und nickte dann. „Ja, Eugene Roe.“<br />
„Allan D’Agosta.“<br />
„Haben Sie medizinische Ausrüstung in ihrer Kapsel gehabt?“<br />
„Ja, aber defekt.“<br />
„Tricorder?“<br />
„Arbeiten nicht. Weiß nicht genau, warum. Wir haben einen<br />
massiven Energieausfall in sämtlichen Gerätschaften.“,<br />
erklärte D’Agosta.<br />
Der Sanitäter nahm die Information ruhig hin. „Hier, sein<br />
Kopf muss weiter nach hinten, sonst blasen wir ihm Luft in<br />
den Magen. Halten sie ihn so fest. Genau so.“
Mit dem Handrücken wusch er sich Schweiß von der Stirn,<br />
dann setzte die Herzmassage fort. Einmal, Zweimal, Dreimal,<br />
Viermal, Fünfmal und beatmete ihn. Dann wiederholte er das<br />
ganze.<br />
Einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal.<br />
Beamten.<br />
„Komm schon, komm schon.“ Plötzlich keuchte der Mann –<br />
ein Techniker – und schnappte nach Luft. „Recht so.“, nickte<br />
Roe. „Große, tiefe Atemzüge. Tiefe Atemzüge.“ D’Agosta<br />
nahm zufrieden war, dass der Mann wieder atmete. Dann<br />
drang ein weiterer Hilfeschrei zu ihm. Er kam von einer Frau,<br />
die unter den Trümmern einer umgekippten Rettungskapsel<br />
begraben war. Ihr Bein hing fest, sie kam nicht frei. Die<br />
Trümmer waren zu schwer,<br />
Er konnte sie niemals alleine hochheben. D’Agosta drehte sich<br />
nach weiterer Hilfe um. Als hätte sie seine Gedanken gelesen,<br />
war die blonde Frau längst neben ihm und rannte los.<br />
„Helfen sie mir?“, fragte er.<br />
„Sicher.“<br />
Sie rannten an einer Kapsel vorbei. Der Plasmagestank wurde<br />
stärker, ging offenbar von ihr aus. „Vorsicht.“, hielt ein Mann<br />
seine Arme warnend hoch und hinderte beide daran, der<br />
Kapsel zu nahe zu kommen. Es war Crocker. „Bleibt weg von<br />
dem entweichenden Plasma. Wenn’s sich entzündet, gibt’s nen<br />
gewaltigen Knall.“<br />
„Chief, Sie müssen uns helfen.“, sagte D’Agosta und schlug<br />
einen Bogen ein. Von der Wüste her – von einem Abhang, sah<br />
D’Agosta, dass Smith und Hawk zu ihnen gelaufen kamen. Sie<br />
wollten ebenfalls helfen. Zu ihrem Glück war es kein großes<br />
Trümmerstück, sie mussten keine ganze Kapsel fortbekommen<br />
– dafür war es aber schwer.<br />
D’Agosta fasste unter die Ränder der Trümmerplatte. „Auf<br />
Drei! Eins. Zwei. Drei.“ Mit zusammengebissenen Zähnen<br />
bewegten sie die Platte einige Meter. Es reichte für Smith, um
die Frau unter den Trümmern hervorzuziehen. Das Bein<br />
blutete stark und war extrem verbogen. Allan sah das Weiß<br />
eines Knochens.<br />
„Smith!“<br />
Die Ärztin begann sofort mit der Untersuchung. D’Agosta<br />
riskierte einen Blick in die Kapsel, sich fragend, ob dort<br />
drinnen auch jemand medizinische Hilfe benötigte. Er bereute<br />
sofort nachgesehen zu haben. Die Insassen hatten nicht das<br />
Glück aktivierter Trägheitsdämpfer gehabt. Ihr Knochengerüst<br />
war vollkommen zermatscht. Mit einer Grimasse und einem<br />
flauen Gefühl im Magen, schloss D’Agosta die Luke wieder.<br />
Crocker hatte ihm über die Schulter gesehen und begegnete<br />
seinem Blick. Da ertönte Geschrei hinter ihnen - Die Kapsel,<br />
aus der das unsichtbare Plasma austrat. Die Luke schwang auf.<br />
Drinnen loderte ein Feuer. Zwei Leute wollten rausspringen:<br />
unter ihnen Toye.<br />
Hawk riss die Augen auf. „Toye! Toye, raus da.“ Er begann zu<br />
winken und auf die Kapsel zuzulaufen. „Los, macht schon,<br />
raus da!“ Crocker versuchte ihn festzuhalten, bekam ihn aber<br />
nicht zu fassen. Entgegen aller Vernunft rannte Hawk wild mit<br />
den Armen gestikulierend auf sie zu. „Ihr müsst da raus, los<br />
ra-“<br />
Weiter kam er nicht. Ein Funken des Feuers im Innern der<br />
Kapsel entzündete das Plasma. Es gab einen grellen Lichtblitz.<br />
In einer monströsen Explosion, wurde die Kapsel und alle<br />
Insassen zerfetzt. Der Boden rumpelte. Die Druckwelle<br />
erfasste den strauchelnden Hawk, riss ihn von den Beinen und<br />
warf den Piloten wie ein Spielzeug mehrere Meter durch die<br />
Luft.<br />
Smith kam panisch hoch, rief Hawks Namen und hetzte zu<br />
ihm, doch der Pilot rührte sich überhaupt nicht.<br />
Trümmer prasselten auf D’Agosta nieder. Die Druckwelle<br />
hatte ihn glatt umgehauen. Er hustete. Neben ihm lag Crocker.<br />
„Sind Sie okay?“
„Aye.“<br />
Allan drehte den Kopf. „Und was ist mit Ihnen?“ Die junge<br />
Frau mit dem verletzten Bein – Ensign Hallie - nickte<br />
benommen. Sie war kaum bei Bewusstsein.<br />
„Bleiben Sie bei ihr, Chief.“<br />
„Glauben Sie mir, Ich gehe nirgendwo hin.“<br />
Hawk zuckte vor Schmerz zusammen, als D’Agosta und ein<br />
Sanitäter ihn auf einen Tisch ausstreckte. Eigentlich war es<br />
kein Tisch, sondern lediglich die verbogene Türluke einer<br />
Rettungskapsel, die man auf den heißen Boden gelegt hatte,<br />
aber es musste reichen. „Sieht aus, als hätte ich kein Glück,<br />
was?“<br />
„Nein, hast du nicht.“, sagte Rhonda. „Aber jetzt bleib ruhig,<br />
Cooper.“<br />
Der Sani betrachtete den verbannten Körper des Lieutenants,<br />
begegnete Smiths ernsten Blick und begann dann Stofffetzen<br />
auf die Blutungen zu stopfen, was sich als Schwierig erwies,<br />
da Hawk aus fast allen Öffnungen blutete. Und davon gab es<br />
reichlich. Er hatte viel Blut verloren.<br />
„Rhonda, ich kann nichts sehen. Meine Augen.“<br />
„Ruhig bleiben, Cooper.“ Sie sah auf. „Haben wir irgendwo<br />
einen Arztkoffer?“<br />
Der Sani schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Vielleicht ist<br />
noch einer in einer der Rettungskapseln.“<br />
„D’Agosta, sehen Sie nach.“ Smith wandte sich an den Sani.<br />
„Und Sie sehen nach der Frau.“<br />
Der Sani eilte mit D’Agosta fort. Smith und Hawk waren ein<br />
wenig Abseits allein. Rhonda betastete Hawks Oberkörper.<br />
„Wie schlimm ist es?“, fragte Hawk.<br />
„Könnte schlimmer sein.“, sagte sie leichthin. „Du wirst es<br />
überleben.“
In Wahrheit sah es übel aus. Hawks Oberkörper war fast<br />
vollständig verbrannt, Gesicht und Brust aufgedunsen. Überall<br />
hatte er Wunden und die waren Schmutzig.. Rhonda sah Sand<br />
darin. Sie würde die Wunde – die Wunden – reinigen müssen.<br />
„Rhonda.”, sagte Hawk. „Du hast mich angeschnallt, als ich<br />
ohnmächtig war, nicht? Ich verdanke dir mein Leben.“<br />
„Schon gut, Cooper.“<br />
„Nein, nein, das tue ich wirklich.“<br />
„Cooper, diese Ernsthaftigkeit passt nicht zu dir.“<br />
Er starrte geradeaus, konnte noch immer nichts außer<br />
Schwärze sehen. „Ich habe heute Mist gebaut, nicht wahr?“,<br />
sagte er leise.<br />
„Mach dir keine Gedanken.“<br />
D’Agosta kam mit einem kleinen Medikit zurück. Sie öffnete<br />
die Tasche und sah sich das Inventar an. „Das ist alles?“<br />
„Leider. Wir haben jede Menge Morphium und Medikamente,<br />
aber keine Geräte.“<br />
„Morphium.”, wiederholte Hawk leise.<br />
Smith beugte sich über ihn und sah ihm in die Augen, obwohl<br />
sie wusste, dass er ihren Blick nicht erwidern konnte.<br />
„Cooper, ich muss deine Wunden reinigen und das wird dir<br />
ohne Morphium nicht sonderlich gut gefallen. Aber mir gefällt<br />
es wiederum nicht, wenn ich dir welches gebe.“<br />
„Gib es mir.“, sagte Hawk.<br />
„Cooper, du weißt, dass Morphium nicht gut für dich ist. Nicht<br />
nach dem, was du dadurch in den letzten Jahren durchmachen<br />
musstest. Kannst du die Schmerzen aushalten?“<br />
„Morphium.“<br />
„Cooper-“<br />
Hawk seufzte. Er rollte den rechten Ärmel auf und streckte ihr<br />
den Arm hin. „Mach schon.“
„Folge dem Stift.“<br />
„Dad-“<br />
„Folge dem Stift.“, befahl D’Agosta mit ein wenig mehr<br />
Nachdruck, was nichts bedeutete, da er im Grunde immer nur<br />
sanft sprach. Vater und Tochter hatten sich in den Schatten<br />
hinter die Kapsel begeben, mit der sie abgestürzt waren. Wie<br />
ein Monument stand sie mitten in der Wüste, ganz in der Nähe<br />
der anderen Kapseln und umgeben von Trümmern, die bis vor<br />
kurzem noch zahlreich vom Himmel über das komplette<br />
Umland niedergeregnet waren.<br />
D’Agosta kniete vor seiner Tochter und führte die Bewegung<br />
ruhig und gleichmäßig aus. Was er als Stift bezeichnete, war<br />
ein länglicher Metallsplitter, den er langsam vor Judys Gesicht<br />
hin und herbewegte. Rechts, Links, Auf und Ab. Wiederwillig<br />
und genervt folgte das Mädchen dem Stift. D’Agosta seufzte<br />
und ließ ihn sinken. „Dir fehlt wirklich nichts?“<br />
„Mir geht’s gut. Was ist mit dir?“<br />
D’Agosta seufzte erneut. „Geht so. Ich könnte ein paar Aspirin<br />
vertragen.“ Er griff neben sich und rollte eine dünne braune<br />
Jacke mit vielen Taschen auf. Sie war aus festem Stoff<br />
gefertigt, fühlte sie an, wie Polyester. Über der rechten<br />
Brusttasche prankte der Schriftzug einer Band. Daneben, am<br />
Ärmel gab es den dazupassenden Patch mit einer Unterschrift.<br />
„Hier, deine Jacke.“, sagte D’Agosta. Du hast sie in der<br />
Kapsel liegen gelassen.“<br />
„Sie hat ein Loch.“, sagte Judy. „Hier, siehst du?“<br />
Er runzelte die Stirn.<br />
„Wovon?“<br />
Sie kratzte sich am Kinn und setzte eine übertrieben<br />
nachdenkliche Mine auf. „Hm, lass mich überlegen... von dem<br />
Feuer, von den Explosionen, von dem Absturz, von dem<br />
Aufprall... Oder waren es etwa doch nur klingonische<br />
Motten?“ Sie schnaufte. „Such dir was aus, Dad.“
Von dem Loch einmal abgesehen, hatte die Jacke das Feuer in<br />
ihrem Quartier und alles andere aber sehr gut überstanden. Sie<br />
war nicht mal bemerkenswert schmutzig.<br />
Es war Judys Lieblingsjacke. Das modisch zeitgemäßeste.<br />
Und teuerste. Judy hätte sich auch kaum mit einer replizierten<br />
Version zufrieden gegeben. Dem ungeachtet liebte Judy diese<br />
Jacke hauptsächlich aufgrund des Sänger-Autogramm auf dem<br />
Oberarmpatch.<br />
Dennoch sagte er: „Ich kaufe dir eine neue.“<br />
Judy legte den Kopf schief und deutete auf die trostlose<br />
Ebene. „In dem Supermarkt, der auch deine Aspirin vorrätig<br />
hat?“ Sie sprach flippig und sarkastisch – wie üblich.<br />
D’Agosta nickte. „Vielleicht.“ Er schlug die Jacke aus – eine<br />
kleine Staubwolke bildete sich - und legte sie Judy dann über<br />
die Schultern. Mit ihren schwarz lackierten Fingernägeln und<br />
den wuschigen, schwarzen Haaren war sie das typische Girly.<br />
„Ich hab’s dir gesagt, Dad.“, meine Judy in einem gequälten<br />
Ton. „Tausendmal. Wir hätten nicht auf dem Schiff bleiben<br />
sollen. Aber du hörst ja nie auf mich.“<br />
„Ja, du hast es gesagt.“<br />
„Es sieht schlimm aus, oder?“<br />
„Denk dir nichts.“, erwiderte Allan. „Man wird uns suchen. Es<br />
wird alles gut.“<br />
„Das behauptest du immer.“, sagte Judy.<br />
„Weil es immer stimmt.“, entgegnete D’Agosta.<br />
„Das ist nicht wahr. Du hast schon einmal gesagt, dass alles<br />
wieder gut wird, aber das wurde es da auch nicht.“<br />
„Judy-“<br />
„Dad! Ich bin kein kleines Kind mehr.“<br />
D’Agosta seufzte. „Doch, Judy, bist du. Du weigerst dich nur<br />
immens dich wie eines zu benehmen.“<br />
„Das hier ist eine Katastrophe. Ich meine, wir sind vom<br />
verfrellten Himmel gefallen.“ Sie sprach nun leiser. „Wo sind<br />
die Anderen? Wo ist Ashley?“
D’Agosta sah in die Ferne. Erinnerte sich daran, wie Ashley<br />
Bowman gesagt hatte, er solle Judy holen. „Sie ist in die<br />
Rettungskapseln gestiegen, das weiß ich.“, behauptete er.<br />
„Vermutlich ist sie ganz in der Nähe heruntergekommen. Wir<br />
werden Sie finden. Und Floyd hat es sicher auch geschafft.<br />
Spätzchen, bitte. Mach dir keine Sorgen. In ein paar Tagen<br />
sind wir in Sicherheit und dann werden wir auf der Erde<br />
bleiben.“<br />
„Versprochen?“<br />
„Versprochen. Diesmal höre ich auf dich.“<br />
Er steckte ihr das Hemd in die Hose.<br />
Judy schien verärgert. „Hey, das gehört so.“<br />
Dann schob er ihr Haar hinter die Ohren und lächelte.<br />
„Dad, lass das.“, sagte sie ohne großen Nachdruck. „In der<br />
ModernGalaxy steht, das wird in zwei Monaten so getragen.“<br />
„In der ModernGalaxy, wie?“ D’Agosta schaute auf, als er<br />
Schritte hörte. Brenda Isaac begrüßte ihn mit einem knappen<br />
Nicken. Inzwischen hatte sie ihr Gesicht gereinigt. Der tiefe<br />
Schnitt auf der Wange blutete schon lange nicht mehr. „Ich<br />
habe Tupfer mitgebracht.“, sagte sie und kniete sich neben<br />
D’Agosta. „Wie geht es ihr?“<br />
„Munter, wie immer.“, antwortete Allan. Er nahm die Tupfer<br />
aus einem kleinen Beutel und tupfte Judy damit vorsichtig die<br />
Blutflecken kleiner Kratzer von der Stirn. „Sie hat ein paar<br />
Schnittwunden. Aber es ist nichts gebrochen.“<br />
„Ich hatte ja so unglaubliches Glück.“, sagte Judy übertrieben<br />
sarkastisch.<br />
„Ihr Kopf sieht allerdings übel aus.“, feixte D’Agosta.<br />
Isaac lächelte. „Mach dir keine Sorgen, Kleine. Es wird alles<br />
gut.“<br />
Judy rollte mit den Augen. „Hmpf.“<br />
„Brenda, wer war in den restlichen Kapseln? Einer der<br />
Führungsoffiziere?“<br />
„Ne, ich glaube Sie sind der Einzige.“
Ein Kloß bildete sich in Allans Hals. Er war der Einzige. Der<br />
Ranghöchste.<br />
„Und... und wie ist der übrige Status?“, fragte Allan langsam.<br />
Isaac zögerte. Blickte von Judy zu Allan. Er wusste, dass dies<br />
bedeutete, sie habe schlechte Nachrichten, wolle sie vor seiner<br />
Tochter aber nicht aussprechen. „Sieht alles ganz gut aus.“<br />
„D’Agosta!“, rief plötzlich jemand anderes. Allan drehte den<br />
Kopf. „Was ist?“<br />
„Kommen Sie.“<br />
D’Agosta runzelte die Stirn. „Was ist?“<br />
„Wir haben noch weitere Überlebende gefunden!“<br />
In der Ferne erspähte D’Agosta drei Gestalten auf das Lager<br />
zumarschieren. Eine von ihnen war ihm vertraut. Er erkannte<br />
die Uniform, denn niemand sonst an Bord trug eine solche. Er<br />
erkannte ebenso die Frisur, auch wenn sie nun völlig zerstört<br />
war. Es war Nechayev.
Basislager<br />
Sie kamen über die Lichtung gelaufen, riefen „Admiral!<br />
Admiral! Sie sind in Sicherheit.“ Es war eine kleine Gruppe<br />
von Sternenflottenoffizieren. Der Systemanalytiker namens<br />
D’Agosta, mit seinem dichten dunklem Haar und den<br />
außerordentlich schwarzen Augen und zwei Leute von der<br />
Sicherheit. Sie verlangsamten einige Meter vor Nechayev und<br />
hielten dann ganz an. „Admiral. Geht es ihnen gut? Haben Sie<br />
Verletzungen erlitten?“<br />
„Wir sind heil runtergekommen.“, sagte Nechayev, ohne<br />
stehen zubleiben.<br />
„Das kann man von den meisten nicht behaupten.“, sagte<br />
D’Agosta und schloss sich ihr, Nottingham und King an. Aus<br />
Nottinghams Mine konnte er absolut keine Regung lesen.<br />
King hingegen schien nervös. Der Schweiß rann ihm über die<br />
Stirn, immer wieder tupfte er ihn mit einem weißen Tuch ab.<br />
Nechayev fragte: „Wie viele haben es geschafft?“<br />
„Hm, Wir haben noch keine Zählung durchgeführt. Viele sind<br />
es nicht. Haben Sie vielleicht andere-“<br />
„Nein.“, sagte Nechayev. „Niemanden sonst.“ Sie erreichte die<br />
Absturzstelle der in einer Gruppe heruntergekommenen<br />
Kapseln und sofort bildeten die erschöpften Überlebenden der<br />
Raumschiffkatastrophe einen erwartungsvollen Halbkreis um<br />
sie. Manche wirkten durch ihre Anwesenheit erleichtert – vor<br />
allem D’Agosta.<br />
Andere schienen argwöhnisch zu sein, immerhin war<br />
Nechayev der Besatzung fremd und nur für diese eine Mission<br />
an Bord gekommen. Schließlich blieb Nechayev in der Gruppe<br />
stehen. Und sah in die erwartungsvollen Augen Allan
D’Agostas. „Was... was sollen wir jetzt tun, Sir?“, fragte er.<br />
„Wie lauten ihre Befehle?“<br />
Es kam Nechayev beinahe vor, als würde kollektiv der Atem<br />
angehalten.<br />
Lächerlich!<br />
„Die Verletzten wurden versorgt?“<br />
„Soweit es die medizinische Ausrüstung zuließ.“, nickte<br />
D’Agosta.<br />
„In Ordnung.“, entgegnete Nechayev und begann Aufgaben<br />
zuzuweisen. „Erstens: Wir schlagen ein Basislager auf, von<br />
dem aus wir unser weiteres Vorgehen koordinieren. Dieses<br />
Absturzstelle wird dafür genügen. Die Kapseln werden<br />
aufgerichtet und notdürftig repariert, sodass sie uns genügend<br />
Schutz vor Witterungsverhältnissen bieten können, bis wir ein<br />
anderes Arrangement gefunden haben. Sofern wir Waffen<br />
haben, können wir diese zur Verteidigung, oder Notfalls zur<br />
Jagd verwenden. Andernfalls werden wir welche Herstellen.<br />
Speere, Äxte. So was in der Art.“ Sie drehte den Kopf.<br />
„Zweitens: D’Agosta, Sie weisen Teams an die Ausrüstung zu<br />
sortieren und den Zustand der Ausrüstung zu prüfen. Phaser,<br />
Notbaken, Tricorder, hitzereflektierende Decken, Schlafsäcke<br />
Nahrungsrationen, sowie medizinische Geräte - alles, was aus<br />
den Notfallkoffern der Fluchtkapseln übrig geblieben ist.<br />
Danach werden die Geräte in einer der Kapseln, die wir ab<br />
sofort als Ausrüstungskapsel verwenden gelagert und sortiert.<br />
Ich erwarte eine vollständige Auflistung unseres Equipment<br />
innerhalb der nächsten Stunden mit Vermerk, welche Geräte<br />
noch ein wenig Energie haben.“<br />
Sie sprach schnell und bestimmt. D’Agosta fühlte sich mit<br />
jedem Wort zunehmend von einer gewaltigen Verantwortung<br />
erleichtert.<br />
„Drittens: Wir werden zwar bestimmte Teams einteilen, aber<br />
jeder hat es nun zur Aufgabe, Ausschau nach Wasser,<br />
Nahrung und Zuflucht zu finden. Berge, Höhlen, Felsen, die
vor Wind, Wetter und dieser unerträglichen Hitze schützen<br />
und so weiter. Als nächstes müssen wir herausfinden, wie<br />
lange der Tag-Nacht-Zyklus des Mondes ist und ob er<br />
überhaupt einen hat, der für den nötigen Kondensationseffekt<br />
nützlich ist. Wenn das der Fall ist, dann sollten wir ein Solar-<br />
Destilliergerät konstruieren. Am besten sogar mehrere auf<br />
einmal. Hat jemand davon Ahnung?“<br />
Zaghafte Blicke wurden ausgetauscht.<br />
„Aye. Hier ich!“, hob jemand die Hand.<br />
„Rang und Name?“<br />
„Chief Manilow Crocker.“<br />
„Hervorragend, Chief, Sie sind jetzt unser Wasseroffizier.“ Sie<br />
atmete tief ein. „Doktor Smith, irgendwelche medizinischen<br />
Hinweise?“<br />
Smith starrte Nechayev nur an. Ihr Blick war eiskalt. Und<br />
wäre sie dazu in der Lage gewesen, sie hätte Blitze mit den<br />
Augen verschossen. Allan wusste nicht recht, was zwischen<br />
den beiden Vorgefallen war, aber Rhonda war wütend, kein<br />
Zweifel.<br />
Dennoch verbarg sie es gut und sprach neutral, als sie vortrat.<br />
„Wer ausgedehnte Strecken zu Fuß bewältigen muss, wendet<br />
ein ruhiges, gleichmäßiges Schritttempo an, um Energie zu<br />
sparen und unnötiges Schwitzen zu vermeiden. Atmen Sie<br />
durch die Nase und sprechen Sie möglichst wenig, um die<br />
Austrocknung durch Verdurstung aus dem Mund zu<br />
vermeiden. Halten sie sich bestmöglich nur in den Schatten<br />
der Felsen oder Fluchtkapseln auf.“<br />
Nechayev fügte hinzu: „Das Allerwichtigste ist, dass niemand<br />
in Panik gerät. Wir sollten uns genau über alle Aspekte der<br />
Situation informieren, eine umfassende Analyse des Terrains<br />
vornehmen, mögliche Gefahren untersuchen, sowie nützliche<br />
Materialien sammeln. Bewahren sie Ruhe. Der Absturz mag<br />
verheerend gewesen sein und die Umstände des Unfalls sind<br />
uns noch nicht ganz klar, aber unsere gegenwärtige Lage wird
nicht von Dauer sein.“ Ohne rot zu werden, versicherte sie:<br />
„Wir werden gerettet werden. Wenn Sie sich an ihr<br />
Überlebenstraining halten, wird ihnen nichts geschehen.“<br />
Nechayev nickte, als müsse sie ihre eigenen Worte bestätigen.<br />
„Das wär’s dann. An die Arbeit.“<br />
„Nicht in Panik geraten.“, wiederholte Halli in einem<br />
sarkastischen Tonfall Nechayevs Worte. Sie fuhr sich durch<br />
das kurze, blonde Haar „Die hat vielleicht Nerven. Au!“<br />
Ensign Hallie gehörte zur menschenähnlichen Spezies der<br />
Naberi, eine der zahlreichen Mitgliedswelten der Föderation.<br />
Für ihre Rasse typisch, schimmerte Hallie’s Haut in einem<br />
sehr hellen rosa. Die Wangen glühten immer rot. Hallie war<br />
noch sehr jung, gerade mal neunzehn Zyklen alt. Aus ihren<br />
großen, offenen braunen Augen hatte sich jedoch jegliche<br />
Unschuld zurückgezogen – teils durch ihren schneidenden<br />
Sarkasmus, teils wegen der Dinge, die sie im Dominion-Krieg<br />
gesehen hatte, als sie bei den Bodentruppen kämpfte.<br />
Sanitäter Roe, der ihr Bein vorhin hochgelegt hatte und es nun<br />
mit äußerster Sorgfalt behandelte, zuckte mit den Schultern,<br />
ohne von seiner Arbeit aufzusehen. „Tschuldigung.“<br />
„Kriegen Sie’s wieder hin?“<br />
„Denke schon, Hallie. Ist nicht so wild.“ Eine Untertreibung.<br />
Es klaffte eine tiefe Wunde in ihrem Bein, die fast bis zum<br />
Knochen ging. Aber die Arterie war unverletzt geblieben und<br />
das war ein Glück. Die Wunde war allerdings schmutzig, er<br />
musste sie nun säubern und das war eine schmerzhafte<br />
Prozedur.<br />
„Autsch!“<br />
Sie verformte das Gesicht zu einer Grimasse und vergrub die<br />
langen Fingernägel in den Stoff ihrer Jacke.<br />
„Soll ich ihnen nicht doch lieber Morphium geben?“
Hallie biss die Zähne zusammen. „Damit ich rosa Elefanten<br />
sehe? Wie Hawk? Nein, ich halte das schon aus.“<br />
„Eine übertriebene Tapferkeit.“, tadelte Roe gleichmütig. In<br />
Wahrheit war er froh, so konnten sie das Morphium horten.<br />
„Heißt es nicht, was mich nicht umbringt, macht mich nur<br />
noch härter?“<br />
„Ihre Entscheidung.“<br />
Hallie verkrampfte und zuckte zusammen, als Roe die Wunde<br />
weiter säuberte. Er bemühte sich so sanft vorzugehen wie<br />
möglich, aber die Schmerzen ließen sich nicht vermeiden.<br />
Nicht, wenn Hallie weiter darauf bestand keine Schmerzmittel<br />
einzunehmen.<br />
Nach einer Weile sagte sie mit gepressten Lippen: „Also hat<br />
jetzt Admiral Nechayev die Befehlsgewalt, was?“<br />
„Scheint so, ja.“ Er sah kurz auf. „Sie mögen Sie nicht?“<br />
„Ne. Außerdem habe ich... Gerüchte gehört.“<br />
„Gerüchte? Was für Gerüchte?“<br />
„Nach allem was man so sagt, ist Sie ein ziemlich harter<br />
Knochen. Und offenbar ist Sie in zwielichtige Operationen<br />
verwickelt. Zumindest soll das während dem Krieg so<br />
gewesen sein. Man munkelt da so einiges. Autsch! Verdammt,<br />
Roe!“<br />
Er wackelte über ihr Bein gebeugt mit den Schultern. „Selbst<br />
schuld.“<br />
„Sie sind ein Sadist.“<br />
„Erzählen Sie weiter von Nechayev.“<br />
Hallie fragte: „Wollen Sie mich ablenken?“<br />
„Wenn es funktioniert, warum nicht? Also, was haben Sie<br />
denn noch gehört?“<br />
„Ach, ich weiß nicht genau. Sie scheint was mit Sektion 31 am<br />
Hut gehabt zu haben und so weiter. Nechayev ist jedenfalls<br />
nicht unbedingt jemand, von dem ich gerne Befehle entgegen<br />
nehmen würde.“<br />
„Wer wäre dann besser? Vielleicht D’Agosta?“
Hallie machte nur: „Hm.“<br />
Roe lächelte. „Oder vielleicht niemand?“<br />
Sie schnaubte. „Anarchie ist das Letzte, was wir in dieser<br />
Lage gebrauchen können. Irgendwer muss die Befehle geben,<br />
sonst fallen alle übereinander her. Aua.“<br />
„Durchhalten. Sie machen das ganz prima, Hallie. Bin auch<br />
gleich fertig. Übrigens, das ist ein tiefsitzendes, menschliches<br />
Vorurteil.“<br />
„Was meinen Sie?“<br />
„Menschen gehen davon aus, dass eine Gesellschaf eine<br />
zentrale Führung braucht.“, erklärte Roe. „Machtblöcke haben<br />
Regierungen. Unternehmen ein Management. Flotten ihre<br />
Admiräle, Raumschiffe ihre Kommandanten. Menschen<br />
glauben gemeinhin, dass eine Gesellschaft ohne zentrale<br />
Führung im Chaos versinkt. Wie Sie eben sagten.“<br />
„Ist es denn nicht so? Als Sicherheitsoffizier bin ich jedenfalls<br />
noch keiner Gesellschaftsstruktur begegnet, bei der das anders<br />
wäre. Die Binären und die Borg mal ausgenommen, aber die<br />
haben ja auch einen miteinander verbundenen Geist. Aber eine<br />
Gesellschaft ohne Hive-Bewusstsein und ohne zentrale<br />
Führung bringt doch nichts vernünftiges Zustande.“<br />
„Das stimmt nicht ganz. Ich sage ihnen, dass extrem dumme<br />
Wesen, mit einem Gehirn, kleiner als ein Nadelkopf<br />
Bauprojekte verwirklichen können, die komplizierter sind, als<br />
das meiste, was der Mensch geschaffen hat. Aber so ist es.<br />
Und das ohne zentrale Führung.“<br />
„Ich fürchte ihnen nicht ganz folgen zu können.“, gestand<br />
Hallie.<br />
Roe war weiter an ihrem Bein beschäftigt. „Afrikanische<br />
Termiten zum Beispiel. Diese kleinen Insekten bauen<br />
regelrechte Wohnburgen von dreißig Metern Durchmesser mit<br />
Türmen, die sechs Meter hoch in die Luft ragen, wussten Sie<br />
das?“<br />
„Nein, wusste ich nicht.“
„Um diese Leistung richtig zu würdigen, muss man sich nur<br />
vorstellen, dass diese Bauten, wenn Termiten so groß wie<br />
Menschen wären, Wolkenkratzer von einer Meile Höhe und<br />
fünf Meilen Durchmesser wären. Und wie ein Wolkenkratzer<br />
hat der Termitenhügel eine ausgeklügelte Innenarchitektur, die<br />
für frische Luft sorgt, überschüssiges CO2 und Hitze abführt<br />
und so fort. Im Innern des Baus befinden sich Gärten, wo die<br />
Nahrung wächst, Gemächer für das königliche Paar und Platz<br />
für sage und schreibe zwei Millionen Termiten. Kein Hügel ist<br />
genau wie der andere; jeder wird entsprechend den<br />
Bedingungen und Vorteilen der jeweiligen Gegend gebaut.“<br />
„Ach?“<br />
„Ja. Und das alles gelingt ohne Architekt, ohne Vorarbeiter,<br />
ohne zentrale Autorität. Es ist auch kein Konstruktionsplan in<br />
den Termitengenen einprogrammiert. Wirklich nicht. Die<br />
gigantischen Schöpfungen Sind stattdessen das Ergebnis von<br />
verhältnismäßig einfachen Regeln der Termiten im Umgang<br />
miteinander. Regeln wie: „Wenn du riechst, dass eine Termite<br />
hier war, leg ein Sandkügelchen an die Stelle.“ Und dennoch<br />
ist das Ergebnis unbestreitbar komplexer als viele menschliche<br />
Werke.“<br />
Hallie hob die Brauen und erwiderte äußerst sarkastisch: „Ist<br />
nicht wahr!“<br />
„Doch.“ Roe richtete sich auf und klopfte die Hände ab.<br />
„Fertig. Und ich hab Sie obendrein auch noch gekonnt<br />
abgelenkt.“<br />
Dann bemerkte er, dass Hallie ihn sehr argwöhnisch anblickte.<br />
„Wissen Sie Roe, Sie sind sehr attraktiv.“<br />
„So?“<br />
„Ja, sind Sie. Und genau deswegen, sollten Sie nicht anfangen<br />
von Termiten und dergleichen zu faseln, weil... weil das ist<br />
irgendwie freakig und gruselig.“<br />
Nun musste er lächeln. „Ich bin nun einmal Wissenschaftler.“<br />
Hallie hielt den Daumen nach unten. „Freeeakig.“
Er schmunzelte. „Okay, keine Termiten mehr. Aber Ihr Bein<br />
ist jetzt soweit gesäubert. Ich werd’s gleich noch verbinden.<br />
Bis Hilfe eintrifft, müssen Sie das Bein jedenfalls absolut<br />
ruhig halten, damit es sich nicht entzündet.“<br />
„Ruhig halten. Hab verstanden.“<br />
„Und ja keinen Dreck in die Wunde kommen lassen. Sonst<br />
zwingen Sie mich, die Madentherapie einzusetzen, um die<br />
Wunde von nekrotischem Gewebe und Bakterienbefall zu<br />
reinigen.“<br />
Hallie sah ihn entgeistert an. „Das ist ’n Scherz?“<br />
Roe hob die Brauen und setzte eine Unschuldsmine auf.<br />
Hallie seufzte und lehnte sich zurück. „Alles klar. Danke,<br />
Termitensani.“<br />
Roe legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Durchhalten.“ Dann<br />
richtete er sich ächzend auf. Die Sonne stand hoch am<br />
Himmel. In der weiten Ebene flimmerte die Mittagshitze. Er<br />
beschloss Smith mit Hawk zu unterstützen. Auf dem Weg<br />
dorthin, begegnete er dem kleinen Mädchen, das - die Hände<br />
in den Jackentaschen gesteckt, durch die Reihen der Kapseln<br />
schlenderte. Sie schien sich zu langweilen. „Hey, uh...<br />
Judith?“<br />
„Judy. Nur Leute, die was blödes wollen, oder rummeckern<br />
nennen mich Judith.“<br />
„Judy, okay. Du könntest dich nützlich machen, wenn du<br />
magst.“<br />
„Und wie?“<br />
Er kniete sich vor ihr hin. „Hast du Lust mein<br />
Wissenschaftsoffizier zu sein?“<br />
„Ihr Wissenschaftsoffizier?“, wiederholte sie monoton und mit<br />
hochgezogenen Brauen.<br />
„Ja, warum nicht? Untersuche alles. Weißt du, wir benötigen<br />
dringend Verbände und medizinische Geräte. Du weißt schon.<br />
Wenn du dich also ein wenig für mich umsehen würdest, wäre<br />
das sehr hilfreich.“
„Geht klar.“<br />
„Prima, danke.“ Er tätschelte ihren Kopf – was Judy gar nicht<br />
gefiel - und ging weiter. Judy grummelte und versuchte<br />
schnell wieder ihre Frisur zu richten. „Ja, die einstige<br />
Gefangene der <strong>Shenandoah</strong> soll sich nun, auf dem Mond<br />
gestrandet, der Crew anschließen. Was wären die nur ohne<br />
mich...“ Sie rollte mit den Augen und sah sich um. Es gab<br />
genug Typen, die momentan nichts anderes zu tun hatten, als<br />
in den zahlreichen Trümmern herumzustochern und alles nach<br />
Verwertbarem zu sortieren.<br />
Da musste Sie ja nicht auch noch im Dreck wühlen. Tatsache<br />
war, dass sich Judy reichlich überflüssig vorkam, was schlicht<br />
und ergreifend daran lag, dass sie überflüssig war. Es gab an<br />
der Absturzstelle nichts zu tun für sie. Absolut nichts – keine<br />
Verbesserung der Situation also, denn auf der <strong>Shenandoah</strong> war<br />
es auch nicht anders gewesen. Und die Umgebung sah nicht<br />
besonders erkundenswert aus. Ödnis, Berge, Ödnis und wieder<br />
Berge und-<br />
Höhlen.<br />
Judy runzelte die Stirn. Sie entdeckte mindestens eine große<br />
Höhle am Fuß der sichelförmigen Hügelstruktur in der sie<br />
abgestürzt waren. Vielleicht war sie groß genug, um sie alle<br />
aufzunehmen. Falls Regen herabfiel, oder sie sich verstecken<br />
mussten, oder dergleichen. Jemand sollte sich die Sache mal<br />
näher ansehen. Außerdem war das besser, als zwischen den<br />
Toten und Erwachsenen, die ihr den Kopf tätschelten,<br />
herumzuschlendern.<br />
Er will, dass ich bei den Forschern bin, dachte Judy. Also<br />
muss ich Forschen.<br />
Sie zog ihre Jacke zu und marschierte pfeifend los.
Hawk<br />
„Wie geht es ihm?“, fragte D’Agosta.<br />
„Von Minute, zu Minute besser.“, meinte Hawk und seufzte.<br />
Sein Körper entspannte sich. „Wissen Sie, es hat einen Grund,<br />
warum Leute Morphium mögen.“, sagte er.<br />
Rhonda Smith befestigte einen weißen Verband um Hawks<br />
freiliegende Brust. Die Haut war verbrannt, das Fleisch stank<br />
verkohlt. Der Pilot konnte seit der Explosion noch immer<br />
nichts sehen. „Haben Sie neue medizinische Geräte<br />
gefunden?“<br />
„Leider nein.“, antwortete D’Agosta. „Die Anderen haben<br />
auch nichts dabei.“<br />
„Sicher?“<br />
„Ja, hundertprozentig.“<br />
Rhonda verzog das Gesicht.<br />
„Wie geht es ihm?“<br />
Sie schüttelte den Kopf. „Wir brauchen Hilfe.“ Sie wusste<br />
bloß, dass keine kommen konnte.<br />
„Nur Ein paar Tage.“, sagte D’Agosta. „Dann hat die Sternenflotte<br />
uns spätestens gefunden. Solange muss er durchhalten.“<br />
Smith sagte nichts.<br />
„Mir geht’s gut.“, versicherte Hawk mit schläfriger Stimme.<br />
„Ich bin nur traurig.“<br />
Rhonda sagte zu D’Agosta: „Ich werde die Wunde jetzt<br />
säubern. Bitte halten Sie ihn fest.“ Und lauter sagte sie:<br />
„Worüber bist du traurig, Cooper?“<br />
„Darüber, dass unwiderruflich alles zugrunde geht, Rhonda.<br />
Und die Borg werden auch zugrunde gehen. Arme Kerle ...<br />
Autsch! Was machst du da?“
„Erzähl einfach weiter.“ sagte Rhonda, über seinen Brustkorb<br />
gebeugt. „Wieso werden die Borg zugrunde gehen?“<br />
„Aussterben, werden sie, Rhonda. Weil sie versuchen, die<br />
Natur zu kontrollieren. Weißt du, das Leben ist so unglaublich<br />
Komplex. Ich meine, ein befruchtetes Ei hat wie viele Gene?“<br />
„Etwa hunderttausend.“, antwortete Rhonda, noch immer an<br />
seinen Wunden arbeitend.<br />
„Hunderttausend Gene, die koordiniert agieren, sich zu ganz<br />
bestimmten Zeiten an- und wieder abschalten, um aus einer<br />
einzelnen Zelle ein vollständiges Lebewesen zu machen.<br />
Diese eine Zelle teilt sich, und die nachfolgenden Zellen sind<br />
anders. Sie spezialisieren sich. Aus einigen werden Nerven.<br />
Aus anderen Organe. Aus wieder anderen Gliedmaßen.“<br />
„Du hast dich mit den Büchern beschäftigt, die ich dir gegeben<br />
habe.“<br />
„Ja, ist doch richtig, bisher, oder?“<br />
„Ja, vollkommen richtig. Erzähl weiter.“<br />
„Okay. Jede Zellinformation folgt ihrem eigenen Programm,<br />
sie entwickelt sich und zeigt Wechselwirkungen mit anderen.<br />
Schließlich gibt es zweihundertfünfzig verschiedene Arten<br />
von Zellen, die sich alle gemeinsam entwickeln, zu genau der<br />
richtigen Zeit. Der richtigen Zeit, ja. In dem Augenblick, da<br />
der Organismus ein Kreislaufsystem braucht, fängt das Herz<br />
an zu schlagen. Sobald Hormone benötigt werden, fangen die<br />
Nebennierendrüsen an, sie zu produzieren. Woche um Woche,<br />
vollzieht sich diese unglaublich komplexe Endwicklung mit<br />
absoluter Präzision – das ist perfekt. Eine natürliche<br />
Perfektion, die wir Menschen nicht imitieren können und die<br />
Borg auch nicht. Autsch, nicht so stürmisch.“<br />
„Sorry.“, sagte Rhonda und reinigte weiter seine Wunden.<br />
„Der springende Punkt ist der: Das Leben schafft sich seine<br />
eigene Ordnung, die von der Wechselwirkung seiner Elemente<br />
erzeugt wird. Das ist alles gut, aber es kommt noch ein<br />
weiterer Faktor dazu.“
„Der wäre?“<br />
„Das Verhalten, Rhonda. Und Verhaltensänderungen können<br />
sehr schnell entstehen. Wir bauen den Warpantrieb und<br />
niemand weiß, ob das eine gefährliche Entwicklung ist, oder<br />
nicht. Verhaltensprozesse entwickeln sich so unglaublich<br />
schnell... in zwanzigtausend Jahren sind die Menschen von der<br />
Jagd über den Ackerbau, zu Städten und der Raumfahrt<br />
gekommen. Ich glaube, das alles schief geht und die Borg sind<br />
durch ihre Verhaltensänderung auf dem besten Weg dorthin.<br />
Ich denke die Borg haben eine ähnliche Entwicklung gemacht,<br />
wie wir und dann kam die Verhaltensänderung. Sie wollten<br />
Ordnung mit dem Hive-Bewusstsein erzwingen, aber Ordnung<br />
ist selbstorganisierend, wie die Form eines Kristalls. Das<br />
Hive-Bewusstsein ist das Ende der Spezies Borg.“<br />
„Ja? Wieso?“<br />
„Weil er das Ende der Evolution bedeutet.“, sagte Hawk. „Es<br />
bedeutet Massensterben. Du als Biologin müsstest doch<br />
wissen, dass sich kleine Gruppen in Isolation am schnellsten<br />
entwickeln. Setzt man tausend Vögel auf eine Insel im Ozean,<br />
entwickeln die sich sehr schnell. Aber setzt man zehntausend<br />
Vögel auf einem großen Kontinent, verlangsamt sich ihre<br />
Entwicklung. Was unsere Spezies angeht, so vollzieht sich bei<br />
uns die Evolution vorwiegend über das Verhalten. Du weißt<br />
schon. Weil wir zu einer recht intelligenten Spezies wurden,<br />
wuchs im Laufe der Zeit das Gehirn und damit der Kopf.<br />
Damit die Geburt Mutter und Kind nicht tötet, kommen Babys<br />
also aufgrund der großen Köpfe viel früher zur Welt. Dadurch<br />
verloren wir den Verlust der Adaptiven Fähigkeit. Anpassung<br />
erfolgt bei uns also nicht mehr über die DNS, sondern durch<br />
Lehren. Anpassung bedeutet bei uns Verhaltensinnovation.<br />
Und jeder weiß, dass es nur in kleinen Gruppen zu Innovation<br />
kommt. Drei Leute in einem Komitee können durchaus etwas<br />
bewirken. Bei Zehn wird’s schon schwieriger. Bei Dreißig<br />
Leuten geschieht kaum noch was und bei Dreißigmillionen
geschieht gar nichts. Das ist die Wirkung der<br />
Massenanpassung – sie verhindert, dass etwas geschieht. Sie<br />
vernichtet die Vielfalt. Sie macht alles gleich. Regionale<br />
Unterschiede verschwinden. Alle Unterschiede verschwinden.<br />
Die intellektuelle Vielfalt – die wichtigste Ressource<br />
überhaupt - verschwindet. Deswegen werden die Borg<br />
irgendwann einfach erstarren. Alles wird bei ihnen stehen<br />
bleiben. Jeder denkt dasselbe. Gleichförmigkeit. Au, das tut<br />
weh. Bist du fertig?“<br />
„Fast.“, sagte Rhonda. „Halt durch.“<br />
„Und es wird schnell gehen. Sie werden alle sterben.“<br />
„Du erwähntest eingangs, dass auch wir zugrunde gehen. Weil<br />
wir uns anpassen?“<br />
„Nein, weil wir zuviel verändern. Es ist, wie auf einer<br />
Scheibe. Das Leben am Rande des Chaos. Und in der Mitte ist<br />
die Gleichförmigkeit. Veränderst du zu wenig, wie die Borg es<br />
irgendwann werden, dann bleibst du stehen. Alles bleibt<br />
stehen, es findet keine Evolution mehr statt. Alle sterben.<br />
Veränderst du zuviel und fällst über den Rand – Ende. Und ich<br />
habe uns heute näher an den Rand gebracht. Diese Gruppe.“<br />
„Sag so etwas nicht.“<br />
„Es ist aber so. Der Schmetterlingseffekt. Kleine Dinge haben<br />
große Wirkungen. Weißt du, Toye hat heute meinen Bruder<br />
angesprochen. Ich war abgelenkt. Dadurch vermasselte ich<br />
den Warpsprung. Peng! Wir sind auf diesem Mond gestrandet.<br />
Das verursacht noch weitere Verschiebungen. Jemand streitet<br />
sich um Essen, tötet einen anderen. Der war wichtig für die<br />
Gruppe. Es gerät alles aus dem Gleichgewicht. Andere Sachen<br />
gehen schief. Und weitere sterben. Und plötzlich ist alles<br />
vorbei. Rhonda, ich habe uns in eine Katastrophe gesteuert. In<br />
eine, die uns allen das Leben kosten wird. Es wurde etwas in<br />
Gang gesetzt und ist nun unaufhaltsam.“ Er tastete nach ihrem<br />
Arm und griff ihn fest. Seine Stimme war plötzlich wieder
sehr ernst. „Wir werden sterben, Rhonda! Alles geht<br />
zugrunde!“<br />
Noch vor dreißig Minuten hätte er es nicht geglaubt. Nicht in<br />
alles in der Welt, und wenn es ihm der Konstrukteur dieser<br />
Rettungskapsel, die Chefingenieurin und noch dazu Henry<br />
Archer persönlich in die Hand und beim Augenlicht der<br />
Kinder versprochen hätten. Es war einfach unmöglich. Keine<br />
Rettungskapsel konnte diesen Absturz ohne volle Energie<br />
überstehen, von den Passagieren ganz zu schweigen.<br />
Ensign Hallie hatte zwar in einem Augenblick der Verwirrung<br />
das Wort „Notlandung“ benutzt, aber es war ein Absturz<br />
gewesen. Ein Bilderbuchabsturz sogar. Crocker hatte nach der<br />
siebten, oder achten Rolle aufgehört zu zählen, wie oft sich<br />
ihre Rettungskapsel überschlug. Außerdem hatte Crocker<br />
seine ganze Kraft gebraucht, sich irgendwo festzuhalten, da<br />
sein Gurt gerissen war, um nicht wie der unglückselige<br />
Feta’Nekkesh quer durch das Innere geschleudert zu werden<br />
und sich den Schädel einzuschlagen. Dabei hatte er noch<br />
gesehen, wie sich hinter den Fenstern Wrackteile durch die<br />
Luft bewegt hatten, die eine verdächtige Ähnlichkeit zu den<br />
Teilen gehabt hatten, die eigentlich an ihrer Kapsel gehört<br />
hätten.<br />
Nein – sie konnten diesen Absturz gar nicht überlebt haben.<br />
Aber genau das hatten sie. Und einige andere in anderen<br />
Kapseln auch noch.<br />
Seine Kapsel hockte groß und fett neben einer anderen, gegen<br />
die sie geprallt war – was schließlich ihre Überschlagsreihe<br />
beendet hatte. Sie war zerrupft und einer entschieden größeren<br />
Zahl von Teilen beraubt, als es gesund war, aber trotzdem in<br />
einem Stück und auch bis auf den unglückseligen Nekkesh<br />
und Hallie, die sich das Bein böse verletzt hatte, waren alle<br />
noch an einem Stück – jedenfalls alle aus seiner Kapsel. Mal
von Prellungen abgesehen – und davon hatten sie reichlich<br />
abbekommen. Es gab nicht eine Stelle an seinem Körper, die<br />
nicht weh tat, brannte, oder sich taub anfühlte.<br />
Crocker stöhnte und knackte mit den Fingergelenken, was<br />
zwar keinen erkennbaren Sinn hatte, sich aber irgendwie gut<br />
anfühlte.<br />
Er streckte seine schmerzenden Beine und sah sich um. Hawk<br />
lag noch immer im Morphium-Wahn auf dem heißen Boden.<br />
Smith war über ihn gebeugt und tat mit einem Sanitäter ihr<br />
bestmöglichstes, um ihn im Hier und Jetzt zu behalten. Dass<br />
sie Gefühle für ihn hegte, wie Crocker zu Ohren gekommen<br />
war, motivierte Smith in ihrem Tun natürlich enorm. Der Rest<br />
der Leute war einigermaßen okay. Zwar standen Verletzte<br />
regelrecht Schlange, aber niemand sonst war in ernsthafter<br />
Lebensgefahr. Offenkundig hatte es bei diesem Absturz nur<br />
zwei Möglichkeiten gegeben: Leben, oder sterben.<br />
Der Rest versuchte mit den Überresten der Rettungskapseln<br />
eine Art Basislager aufzubauen, aber die wenigsten schienen<br />
es mit Sinn und Verstand zu tun. Die Meisten hatten offenbar<br />
noch gar nicht begriffen, was eigentlich geschehen war. Die<br />
einzige, die einen geistesanwesenden Eindruck machte, war<br />
die blonde Frau mit dem Schwert, die mit Allan D’Agosta in<br />
der Rettungskapsel heruntergekommen war. Alle anderen...<br />
Crocker schüttelte den Kopf. Sie sammelten die Wrackteile,<br />
um sie nur von einem Ort zum anderen zu bringen. Zumindest<br />
zwei Techniker rationierten das Essen. Und Transporterchief<br />
Isaac versuchte die Notbake an einer der Kapseln in Gang zu<br />
bringen und mit anderen in Kontakt zu treten, aber mehr als<br />
statisches Rauschen und ein missmutiges Beep seitens des<br />
Gerätes erklang nicht. In der Ferne saß jemand auf einem<br />
Felsen und starrte auf einen Punkt, der überall, nur nicht hier<br />
existierte.<br />
Crocker kannte ihn/sie. Es war Chief Petty Offizier/in Natira<br />
198 aus der Stellarkartographie. Er/sie sollte nur für ein paar
Wochen an Bord arbeiten, um ihre praktische Ausbildung auf<br />
einem Raumschiff zu beenden, die für eine Versetzung an das<br />
kartographische Institut auf Antares Drei eine Notwendigkeit<br />
war. Selbst für Zivilisten. Sein/Ihr Sohn hatte ihn/sie für diese<br />
Zeitspanne an Bord begleitet. Er/sie war nicht mit ihm/ihr in<br />
die Kapsel gekommen. Niemand konnte wissen, ob er/sie noch<br />
lebte. Das galt leider nicht nur für ihn/sie. Auch von<br />
Commander Bowman, Captain O’Conner oder den anderen<br />
Mitgliedern der Kommandocrew fehlte jede Spur. Und wenn<br />
Admiral Nechayev nicht unweit von hier runtergekommen<br />
wäre, hätte Crocker keinesfalls mit D’agosta tauschen wollen.<br />
Genaugenommen wollte er es allerdings auch jetzt nicht, denn<br />
eine große Hilfe war Nechayev bei weitem nicht. Auch sie<br />
schien abwesend und mit ihren Gedanken ganz woanders zu<br />
sein. Crocker hatte eben mitbekommen, wie sie zwar eine<br />
beeindruckende Rede abgeliefert, aber dann schnell wieder die<br />
Sache in D’Agostas Hand gelegt hatte, nur um sich<br />
anschließend zurückzuziehen.<br />
Vielleicht fühlte sie sich schuldig. Vielleicht interessierte sie<br />
sich nicht für die Belange der anderen. Crocker wusste es<br />
nicht. Er wollte sich auch keine Gedanken darüber machen.<br />
Was zählte, war jetzt ein gutes Durchhaltevermögen.<br />
„He, Söhnchen. Wie ist dein Name?“, rief er einem untätigen<br />
Sicherheitsoffizier zu. Er konnte höchstens zweiundzwanzig<br />
sein.<br />
„Meinen sie mich?“<br />
„Wen sonst? Also?“<br />
„Garnere, Sir.“<br />
„Garnere, wie? Was machst du da?“<br />
„Ich... ahm... ich habe Ausschau nach Anderen gehalten?“<br />
Crocker brummte. „Da ist eine feine Linie zwischen Ausschau<br />
halten und einfach in der Gegend herumstehen, wie ein Idiot.<br />
Hör zu, Söhnchen, du könntest dich mal was nützlich machen
und mir dabei helfen die Ausrüstung und alles verwertbare<br />
zusammenzusuchen, die noch funktioniert.“<br />
Der junge Mann mit der spitzen Nase und dem erstaunlich<br />
breiten Unterkiefer zögerte kurz. „Okay. Und wie ist dein<br />
Name?“<br />
„Du kennst mich nicht? Es gibt Personen an Bord, die mich<br />
nicht kennen? Ich bin Crocker.“<br />
„Der Crocker? Der große Crocker?“<br />
„Wahrheitsgemäß bin ich nur einsachtzig, aber du kannst mich<br />
auch großer Crocker nennen.”<br />
Garnere lächelte frech und kaute auf seinem Kaugummi.<br />
Crocker kannte diese Art Offizier nur zu gut: Er hielt sich für<br />
einen wilden Cowboy. War mit seinen jungen Jahren vielleicht<br />
mal bei nem Kampfeinsatz dabei gewesen und hatte den<br />
Kaffee für den kommandierenden Offizier gehalten. Und nun<br />
fühlte er sich wie der größte Kriegsveteran überhaupt. Also<br />
musste man ihn auch behandeln, wie einen Cowboy. „Komm<br />
Junge, machen wir uns nützlich.“
Bloodcat-Clan<br />
Die Mittagssonne strömte durch die Luftschlitze in den<br />
ansonsten recht dunklen Kontrollraum der stählernen Festung<br />
und gab dem Raum eine Heiterkeit, die Jaina nicht empfand.<br />
Er telefonierte und sah dabei den Anführer seines Clans an,<br />
der in seiner ledernen Uniform inmitten des regen Treibens,<br />
durcheinanderlaufender Soldaten, wie eine Insel der Ruhe<br />
stand, keine Mine verzog und dadurch kühl wie ein<br />
Leichenbestatter wirkte.<br />
Sein Name war Vesta.<br />
Je nachdem mit wem man sprach, war Vesta prominent als der<br />
raffinierteste, oder eben als der geduldigste Soldat seiner<br />
Generation. Er war ende vierzig, hatte blondes, kurzes Haar<br />
mit Geheimratsecken, so groß wie Landebuchten und einen<br />
durchdringenden Blick.<br />
Am Auffälligsten war vielleicht die Narbe, die sich vom<br />
mittleren Haaransatz über das halbe Gesicht hinunter bis zur<br />
rechten Wange erstreckte. Sein rechtes Auge, dass sich im<br />
Einflussbereich der Wunde erstreckt hatte, war seither blutrot<br />
unterlaufen, was ihm einen zusätzlich beunruhigenden<br />
Eindruck verlieh.<br />
Die Narbe hatte er sich während eines Gefechtes auf der<br />
Tarkonheimatwelt zugezogen, als er alleine mit einem<br />
unterlegenen Trupp Verteidiger dem massiven Angriff zweier<br />
Garnisonen des Kinjal-Clans standgehalten und anschließend<br />
auch noch zurückgeschlagen hatte. Im Grunde eine<br />
Unmöglichkeit. Aber mit Gewitztheit und der richtigen Taktik<br />
hatte er es dennoch geschafft und überlebt. Und gerade
aufgrund seiner Fähigkeiten war es vielen ein Rätsel, warum<br />
er hier draußen, auf der Mülldeponie des zweigespaltenen<br />
Tarkonimperiums diesen heruntergekommenen Verschlag<br />
Soldaten führte. Manche behaupteten es sei eine Taktik von<br />
ihm, er plane auf dem Mond etwas besonderes, was ihrem<br />
Clan die Herrschaft über die verhassten Kinjal-Mistkerle<br />
bringen konnte. Andere wiederum behaupteten, er sei nur<br />
hierher versetzt worden, weil er der Obrigkeit durch seine<br />
Intelligenz ein Dorn im Auge war – denn Vesta war freilich<br />
Loyal dem Bloodcat-Clan gegenüber, aber nicht unbedingt<br />
ihren wohlgenährten Führern, die auch in der Vergangenheit<br />
oft genug versagt hatten – weshalb sie eben jene<br />
Zweigespaltenheit und die Probleme mit den Kinjal erst<br />
hatten. Was auch immer entsprach, mittlerweile war er nicht<br />
mehr der Kommandant einer stolzen Garnison, auf der<br />
Heimatwelt, sondern der Anführer einer Erzabbaufestung auf<br />
dem ungastlichen Mond eines verseuchten Planeten. Jaina<br />
schrieb es seinem straffen Führungsstil zu, dass die Soldaten<br />
hier draußen nicht zu einem solchen Sauhaufen<br />
verkümmerten, wie ihn Beliars Männer darstellten.<br />
„Ich verstehe, Lieutenant.“, sagte Jaina in den Hörer. „Und die<br />
Sensoren haben alles aufgezeichnet? Gut, gut... ja, das werde<br />
ich weiterleiten.“ Er legte auf und wandte sich Vesta zu, der<br />
bisher die Berichte auf dem Tisch studierte hatte, über die er,<br />
sich auf den Tisch abstützend, beugte. Vesta blickte erstmals<br />
auf und sah über den Tisch hinweg zu Jaina. Mit tiefer Stimme<br />
fragte er: „Ist das hier bestätigt?“<br />
„Ja, Sir. Die Sensordaten lassen keine anderen Schlüsse zu.“<br />
Vesta zog die Stirn kraus und blickte wieder auf die Berichte<br />
vor sich. Jaina verstand nicht, wie Vesta so ruhig bleiben<br />
konnte. Was heute passiert war, das... das war schrecklich.<br />
Einfach schrecklich. Er öffnete und schloss die Fäuste und<br />
musste sich wirklich beherrschen, nicht hysterisch auf und ab<br />
zu laufen.
Vesta hingegen fasste die Nachrichten ruhig auf. „Ich möchte<br />
genau wissen, was geschehen ist. Der ganze Hergang und wie<br />
es dazu kommen konnte. Sämtliche Sensordaten, verstanden?“<br />
„Ja, Sir.“, bestätigte Jaina. „Wir sind bislang noch dabei die<br />
Daten auszuwerten.“<br />
„Sehr gut.“<br />
„Das sind zu viele Probleme.“, sagte Jaina und begann sich<br />
über den Nasenrücken zu reiben. „Die Tierwelt macht uns zu<br />
schaffen. Der Waffenstillstand mit Beliar ist mehr als brüchig.<br />
Bei dem Einsturz der Stollen Sieben und Acht, letzte Woche,<br />
sind haufenweise Arbeiter verschieden. Und jetzt diese Sache.<br />
Wir sind komplett von der Heimatwelt isoliert, wenn diese<br />
Berichte hier stimmen – und daran besteht kein Zweifel.“ Er<br />
atmete tief ein und beruhigte sich wieder. „Ich meine, was<br />
werden wir jetzt tun?“<br />
Vesta hatte ihm die ganze Zeit über geduldig zugehört und<br />
hob nun eine Braue. „Das einzige, was wir tun können,<br />
Lieutenant. Was wir tun müssen; Die nicht mehr<br />
veränderlichen Entwicklungen akzeptieren, ruhig bleiben und<br />
dann entsprechende Maßnahmen ergreifen.“ Er räusperte sich<br />
und hob die Stimme, sodass ihn alle im Kontrollraum hören<br />
konnten. „Sämtliche Einheiten sollen sich unverzüglich in die<br />
Festung zurückziehen und auf den Notfallposten einfinden.<br />
Die Abbauarbeiten in den Stollen werden vorrübergehend<br />
ausgesetzt, die Artillerie und die Gefechtsstationen müssen<br />
besetzt werden. Schadet sicher auch nicht die Jäger<br />
aufzutanken, was meinen Sie, Lieutenant Jaina?“<br />
„Gute Idee, Sir.“, nickte Jaina eifrig.“<br />
„Darüber hinaus“, sagte Vesta. „will ich die abschließenden<br />
Resultate der Sensordaten sehen. Haltet Augen und Ohren<br />
offen, Kenntnis ist gegenwärtig das kostbarste Gut.“ Die<br />
Männer und Frauen im Kontrollraum verharrten noch einen<br />
Moment. Dann riefen und liefen plötzlich alle durcheinander,<br />
um Vestas Befehle auszuführen.
Jaina war erleichtert. In der Gegenwärtigen Situation hätten<br />
sie keinen besseren Anführer haben können, als Vesta. Denn<br />
er wusste, was zu tun war. Er würde sie alle aus diesem<br />
Schlammassel befreien, da war sich Jaina gewiss.<br />
„Und darüber hinaus.“, sagte Vesta wieder leise zu Jaina.<br />
„können wir uns nur besinnen und aufpassen, wie sich die<br />
Situation entwickelt. Wir lassen Beliar den ersten Schritt<br />
unternehmen und entscheiden, ob unser Waffenstillstand<br />
weiterhin bestand hat.“<br />
„Was glauben Sie, wie wird er reagieren?“<br />
Vesta lachte spöttisch. „Oh, ich bin sicher Beliar wird die<br />
Nachricht ebenfalls sehr ruhig aufnehmen...“
Kinjal-Clan<br />
„Das ist dein Desaster!“, brüllte Beliar und schlug dem<br />
Lieutenant, der ihm gerade den neuesten Bericht in Form eines<br />
Datenblattes unterbreitet hatte, aus der Hand. Im Fensterlosen<br />
Kontrollraum der Kinjal-Festung, traute sich niemand etwas<br />
zu sagen, aus Furcht, den ewig brodelnden Vulkan Beliar zur<br />
Eruption zu bringen.<br />
Beliar war ein gefürchteter Hund. Kalt, skrupellos und absolut<br />
hart, was ihn zum geborenen Anführer der Kinjal machte –<br />
dem Clan, dessen Erwähnung überall im Imperium Ehrfurcht<br />
verursachte. Viel Ehrfurcht. Immerhin waren sie es gewesen,<br />
die das Imperium gespaltet und die Aufteilung in Klassen<br />
unterbunden hatten und das war nur geglückt, in dem sie<br />
visionären Anführern wie Beliar gefolgt waren, die sich<br />
irgendwann gegen das militärische Regime des Königshauses<br />
aufgelehnt und für die Gesellschaft problematische Anhänger<br />
um sich geschart hatten. Infolgedessen waren die Kinjal eine<br />
Skrupellose Vereinigung, die gegen Verbündete und Feinde<br />
gleichermaßen brutal vorgingen und nie einen Hehl daraus<br />
gemacht hatten, ihre Ziele durch den Einsatz von Gewalt und<br />
der Verbreitung von Schrecken zu erreichen. So waren sie<br />
aufgestiegen und zur Macht gekommen – auch wenn ihnen in<br />
letzter Zeit viele harte Dämpfer von den Bloodcats erteilt<br />
wurden.<br />
Entsprechend wild war Beliar, musste er doch einen Trupp<br />
Wölfe anführen, die jederzeit auch über sich selbst herfallen<br />
konnten. Aber Beliar war keinesfalls dumm. Höchstens... ein<br />
wenig cholerisch.
Und im Moment stand Beliar kurz vor dem Ausbruch. Seine<br />
Glatze war Nass vor Schweiß. Wenn Blicke hätten töten<br />
könnten, er wäre in diesem Moment eine<br />
Massenvernichtungswaffe gewesen.<br />
Die einzige, die vor ihm keine Angst hatte und seinen Respekt<br />
genoss, weil sie mindestens ebenso kalt und zielstrebig war,<br />
war seine rechte Hand und Befehlshaberin der Soldaten Theia.<br />
„Stecken die Bloodcats dahinter?“, fragte sie den Soldaten.<br />
„Haben sie den Waffenstillstand gebrochen?“<br />
„Das können wir mit ziemlicher Sicherheit verneinen, Sir.“<br />
Beliar hielt sich die Faust an den Kinnbart und zeigte Zähne.<br />
„Wer war es dann?“, fragte er.<br />
„Das wissen wir nicht.“<br />
„Warum sagen Sie, kann kein Warpfeld mehr aufgebaut<br />
werden?“<br />
Der Soldat wurde sichtlich unruhig. „Das wissen wir nicht.“<br />
„Sitzen wir nun etwa hier fest?“, fragte er. „Auf diesem<br />
elenden Scheißklumpen von Mond? Wenn das so ist wäre ich<br />
nämlich sehr ungehalten.“<br />
„Wir... wir-“<br />
Beliar rollte die Augen. „Sie wissen es noch nicht.“ Er zog<br />
eine Waffe aus dem Halfter an seiner schwarzen Lederuniform<br />
und richtete sie auf den Mann. „Was haben Sie vor?“, fragte<br />
dieser.<br />
Beliar zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“ Ein<br />
Schuss löste sich donnernd und der Mann wurde<br />
niedergestreckt. An seiner Stirn klaffte ein Loch, er war tot.<br />
„O, das hatte ich also vor. Nun gut.“ Beliar steckte die Waffe<br />
wieder weg und dreht sich zu Theia. „Ich verlange<br />
Antworten!“<br />
„Wir werten die Sensordaten noch aus.“, erwiderte sie<br />
unbeeindruckt. „Aber eines ist klar, überall in der Region sind<br />
kleine Raumschiffe runtergekommen. Es könnte sich um eine<br />
Invasion handeln.“
Sich am Bart spielend, trat Beliar zu einem der Sichtschlitze.<br />
Dahinter dehnte sich weitläufige Einöde aus. „Was ist mit den<br />
Kometen die vorhin runterkamen?“<br />
„Das waren vermutlich beides Raumschiffe. Bei der Anzahl an<br />
Einheiten die von dem einen Schiff abgeworfen wurden, kann<br />
es sich nur um schwere Kreuzer und Trägerschiffe gehandelt<br />
haben.“<br />
„Warum sind sie dann abgestürzt?“<br />
Theia zuckte mit den Schultern. „Das war unter Umständen<br />
kein Absturz. Oder aber die Waffe, die sie im Orbit zündeten<br />
hat ihnen selbst zugesetzt.“<br />
Beliar fletschte die Zähne. „Ich will den Verantwortlichen<br />
dieser Katastrophe. Der Kinjal-Clan wurde soeben angegriffen<br />
und wir werden zurückschlagen.“ Er wandte sich zu Theia um.<br />
„Besetzen Sie die Geschützstationen und entsenden Sie<br />
Spähtrupps, die unser Territorium verteidigen und gegen jeden<br />
Fremden vorgehen. Eindringlinge werden erschossen.“, sagte<br />
er düster. „Überlebende werden erneut erschossen.“
Nechayev<br />
Nechayev fand die Umgebung höchst beunruhigend. Es blitzte<br />
ständig am Himmel, aber Donner war keiner zu hören. Auch<br />
sonst nichts. Als ob auf diesem Planeten keine Geräusche<br />
existierten und die Sternenflottenoffiziere seien nun als<br />
Eindringlinge entlarvt.<br />
Als Krachmacher.<br />
Sie sah sich um. Nachdem sie vor der Sternenflottencrew eine<br />
beeindruckend zielsichere, aber nicht ganz ehrliche Predigt<br />
gehalten hatte, war sie vom Lager entfernt auf einen Hügel<br />
geschlendert und überblickte nun die vor ihnen liegende<br />
Ebene.<br />
In Gedanken ging sie noch einmal durch, was sie vorhin<br />
geschwafelt hatte. Sie werden gerettet werden. Diese Narren!<br />
Sie hatten ja keine Ahnung.<br />
Auf dem sandigen Boden kroch Ungeziefer um ihre Stiefel.<br />
Grün gesprenkelte Käfer mit zuckenden Fühlern. Sie sahen<br />
aus wie Kellerasseln, waren aber so groß, wie eine Faust. Eine<br />
riesige Faust. Nechayev trat eines der Tiere leidenschaftslos<br />
weg und glaubte dabei ein kleines Gequieke zu vernehmen.<br />
Sie hasste Insekten. Für einen Augenblick fragte sie sich,<br />
wieso überhaupt. Weil sie anders aussahen? Nein, das konnte<br />
es nicht sein. Als Sternenflottenbalg, das mit fremden Spezies<br />
– manche mit sechs Armen, andere mit vier Augen, oder<br />
gleich einer Körperstruktur, die nicht einzuordnen war -,<br />
herangewachsen war, konnte es nicht am Aussehen liegen.<br />
Nechayev führte die unter Menschen – unter allen<br />
intelligenten Lebewesen – so weit verbreitete Insektenphobie<br />
einfach darauf zurück, dass sie schlicht und ergreifend
zahlenmäßig weit unterlegen waren. Sechsundneunzig Prozent<br />
aller Tierarten, allein auf der Erde, waren wirbellos. Anders<br />
gesagt: Nur etwa jede zehnte Lebensform war kein Insekt. Die<br />
Vorstellung daran empfand sie irgendwie sehr<br />
furchteinflößend.<br />
Nechayev schob diese Gedanken kopfschüttelnd beiseite und<br />
klappte den Tricorder in ihrer Hand auf. Aber es nützte nichts,<br />
sein Energielevel stand auf null. Frustriert klappte sie das<br />
kleine Gerät wieder zu und drehte sich zu Nottingham, der<br />
schweigend hinter ihr lauerte und die Umgebung auf Gefahren<br />
absuchte.<br />
„Ian, das hier bringt nichts.“, sagte sie. „Die Ausrüstung der<br />
Leute ist ebenso unbrauchbar, wie unsere.“ Nechayev seufzte.<br />
„Ich hatte mir das anders vorgestellt.“<br />
„Wir sollten die Restenergie in unserer Kapsel gebrauchen.“,<br />
sagte Nottingham. „Es ist nicht viel, aber mehr, als wir hier<br />
haben.“<br />
„Ja, das sollten wir.“, sagte sie. „Kümmern Sie sich drum?“<br />
Nottingham nickte knapp und machte sich sogleich auf den<br />
Weg. Wenige Sekunden später war Nechayev wieder allein.<br />
Am Himmel blitzte es. Kein Donner.<br />
Kein Donner.<br />
Nechayev betrachtete den nutzlosen Tricorder in ihrer Hand<br />
und warf ihn wütend fort. „Mistding.“ Zwischen ihren Stiefeln<br />
bewegten sich die Käfer und in den folgenden Minuten war es<br />
Nechayev ein Trost, dem schmatzenden Geräusch zu lauschen,<br />
das entstand, wenn sie die Käfer mit den Stiefeln zermatschte.<br />
Sie befanden sich in seinem privaten Quartier. Captain Gabriel<br />
O’Conner befand sich mit zerknittertem Gesichtsausdruck<br />
hinter seinem Schreibtisch und nahm einen breiten Datenblock<br />
von Nechayev entgegen.<br />
Alynna Nechayev machte ein zufriedenes Gesicht, mit einem
angedeuteten Lächeln und lauernden Augen, als würde es ihr<br />
perverses Vergnügen bereiten, O’Conner zu quälen. O’Conner<br />
sah verdrossen drein, wie ein Kommandant eben, dem man<br />
jemanden vor die Nase gesetzt hatte, den er nicht leiden<br />
konnte.<br />
Er presste die Lippen zusammen und überflog die Liste. Es<br />
war eine ganze Reihe von Anleitungen, Spezifikationen und<br />
Befehlen, die ihm allesamt Merkwürdig erschienen. Im ersten<br />
Punkt wurde angeordnet, die Chefingenieurin der <strong>Shenandoah</strong><br />
möge Multiphasenschilde um den Warpkern errichten. Er<br />
hatte diese Schildkonfiguration noch nie gesehen. Wozu sollte<br />
diese Maßnahme gut sein, fragte er sich. Sah aus, als würden<br />
die Konfigurationen dazu dienen, den Warpkern vor starker<br />
Subraumstrahlung zu schützen, aber auf ihrem Weg zur<br />
diplomatischen Konferenz gab es keinerlei gefahrbergende<br />
Regionen. Nur leerer Raum.<br />
Im nächsten Punkt sollte die technische Station eine neue<br />
Schildmodulation in die Programmdaten des Hauptdeflektors<br />
einfügen, sodass die Hülle extremen Thermalen Druck bis zu<br />
Zwölftausend Grad Kelvin wiederstehen konnte. Außerdem<br />
sollte die gesamte Krankenstation Arithrazin-Impfungen – was<br />
maßgeblich zur Behandlung von hohen Theta-Strahlen-Dosen<br />
eingesetzt wurde -, an der ganzen Besatzung durchführen.<br />
Was hatte das alles mit der diplomatischen Konferenz zu tun?<br />
Ja, an dem Treffen würden zwielichtige Figuren teilnehmen,<br />
Diverse Fraktionen, denen man nicht unbedingt trauen konnte<br />
und entsprechende Vorkehrungen waren normal, aber all diese<br />
Punkte auf Nechayevs Liste waren wohl kaum gebräuchliche<br />
Sicherheitsmaßnahmen. Rechnete sie etwa mit einem Gefecht?<br />
Wusste sie mehr, als er?<br />
Er hatte in den vergangenen neun Stunden, seit ihrem <strong>Star</strong>t<br />
von Deep Space Nine häufig solche Fragen gestellt und<br />
Admiral Nechayev hatte immer homogen reagiert: mit einem<br />
herablassenden Lächeln und dem Hinweis sie wisse, was sie
tue. Nechayev war erst seit neun Stunden an Bord – neun<br />
Stunden! – und hatte gleich nach dem <strong>Star</strong>t keinen Zweifel<br />
bestehen gelassen, wer nun die Befehlsgewalt über sein Schiff<br />
hatte. O’Conner brummte, sagte aber nichts. Es würde ohnehin<br />
nichts bringen. Die einzige Option, die ihm verblieb bestand<br />
darin abzuwarten, bis die Mission beendet und Admiral<br />
Alynna Nechayev wieder von seinem Schiff verschwunden<br />
war. Er segnete alle Punkte auf der ersten Seite ab und setzte<br />
seine Unterschrift mit elektronischem Fingerabdruck drunter.<br />
Dann nahm er sich die nächste Seite vor.<br />
Nechayev blickte sich in seinem Quartier um, musterte den<br />
offenen Schrank und das darin enthaltene Chaos aus Anzügen,<br />
Datenblöcken und privaten Dingen unter denen sie die<br />
rausragende Kante eines Spielbrettes entdeckte.<br />
„Sie spielen Schach?“, fragte sie.<br />
O’Conner sah kurz auf, begegnete flüchtig ihrem Blick und<br />
wandte sich lieber wieder dem Datenblock zu. „Gelegentlich.“<br />
„Schach ist mein Leben.“, sagte Nechayev mit atypischer, fast<br />
schon verträumter Stimme. „Es ist nicht nur ein Spiel, sondern<br />
auch Kunst und Wissenschaft zugleich. Schach hat gut<br />
zweitausend Jahre überlebt, und das nur, weil das Spiel sich<br />
den jeweiligen Zeitumständen angepasst hat. Weil es<br />
fortschrittlich und lehrreich zugleich ist. Das Glück über einen<br />
bahnbrechenden Zug geht nie vorbei.“<br />
O’Conner runzelte die Stirn. Er hatte irgendwie das Gefühl,<br />
dass sie nicht notwendigerweise über Schach sprach, konnte<br />
den merkwürdigen Klang ihrer Stimme aber nicht einordnen.<br />
Sie lächelte... und beobachtete ihn, lauernd wie ein Fuchs.<br />
„Es ist nicht mein Spiel.“, brummte O’Conner und hakte<br />
weitere Punkte auf der letzten Seite ab.<br />
Das Lächeln in Nechayevs Gesicht wuchs in die Breite, wurde<br />
tückischer. „Schach ist ein sehr komplexes Spiel.“, sagte sie.<br />
„Für eine Partie mit vierzig Zügen gibt es mehr verschiedene<br />
Verläufe als Moleküle im Universum. Die wichtigste
Eigenschaft eines Spielers in einem entscheidenden Kampf ist<br />
seine Selbstsicherheit, seine Zielstrebigkeit. Es ist ein geistiges<br />
Messen, bei dem sich nur der Brutale durchsetzen kann.“ Sie<br />
zuckte mit den Schultern. „Man muss dafür geboren sein,<br />
schätze ich.“<br />
O’Conner, der keine Ahnung hatte, ob sie ihm etwas mitteilen,<br />
oder einfach nur provozieren wollte, hatte auch keine Lust und<br />
Geduld es herauszufinden. Er segnete den letzten Punkt ab,<br />
unterschrieb erneut mitsamt Fingerabdruck und legte den<br />
Block beiseite. Dann beugte er sich vor und faltete die Hände.<br />
„Ich bin vorhin den Bericht von Lieutenant Penkala<br />
durchgegangen. Über das Frachtgut, das wir auf DS9<br />
eingeladen haben. Er habe die Container einer routinemäßigen<br />
Untersuchung auf gefährliche Substanzen und Strahlungen<br />
prüfen wollen, aber die Verriegelungssperren ließen sich nicht<br />
öffnen und verlangten eine Kommandoautorisation der Stufe<br />
Zwölf oder höher. Wissen Sie etwas darüber?“<br />
Das prominente Pokerface kehrte in Nechayevs Züge zurück.<br />
Dabei lächelte sie raffiniert und lies keinerlei Schlüsse über<br />
ihre wahren Gedanken zu. Nechayev teilte anderen nie alles<br />
mit, was in ihr vor ging, traute niemandem. Eine innere<br />
Stimme warnte sie vor Vertrauensseeligkeit, ermahnte sie,<br />
andere nicht wissen zu lassen, was in ihrem Kopf vorging. Die<br />
Gefahr verraten zu werden, bestand immer. „Ich habe<br />
Lieutenant Penkala unlängst persönlich zugesichert, dass die<br />
Container unschädlich sind und keine Untersuchung nötig ist.<br />
Mein Begleiter Howard King kümmert sich um sämtliche<br />
Sicherheitsfragen.“<br />
O’Conner überlegte einen Moment. Dann fragte er: „Sind die<br />
Container ebenfalls unentbehrlich für die... richtungsweisende<br />
Konferenz, zu der wir unterwegs sind?“<br />
Nechayev ging nicht darauf ein. Sie behielt das kalte Lächeln<br />
bei und stemmte die Hände in die Hüften. „Seien Sie ganz<br />
unbesorgt, Captain. In wenigen Stunden sind Sie mich wieder
los. Ich bin sicher, dies wird eine ganz normale, eintönige<br />
Mission werden...“<br />
Das regelmäßige Geräusch schwerer Schritte ließ Nechayev<br />
aufsehen. Sie wusste, dass D’Agosta hinter ihr aufgetaucht<br />
war, noch ehe sie sich umgedreht und in das Gesicht des<br />
unsicheren Offiziers geblickt hatte. Der, für seinen Rang<br />
verhältnismäßig junge Mann, trottete mit hängenden Schultern<br />
heran.<br />
Nechayev kannte diese Art von Offizieren: Angreifbar, nervös<br />
und ganz und gar ungeeignet für den Rang und Posten, den er<br />
bekleidete. Ein Beta-Männchen. Unterwürfig und unschlüssig<br />
zugleich. Bis andere ranghohe Offiziere auftauchten, musste<br />
sie sich mit ihm begnügen. Es sollte ihr sogar Recht sein, denn<br />
D’Agosta stellte keine Fragen und würde kaum ihre Befehle<br />
hinterfragen – geschweige denn sich gegen sie aufwenden, da<br />
er Nechayev brauchte. Dies konnte sie ganz klar aus seinem<br />
Blick ablesen. Selbst wenn D’Agosta sie vielleicht nicht<br />
mochte – was aber nicht mal zuzutreffen schien, denn er stand<br />
ihr neutral gegenüber -, so war er doch ohne Nechayev<br />
aufgeschmissen und heilfroh, jemand ranghöheren in der<br />
Gruppe zu haben, der ihm die unangenehme Aufgabe des<br />
Entscheidungen treffen abnahm. Nechayev erhob sich und<br />
glättete ihre Uniform. „Wie geht es dem Piloten?“, fragte sie,<br />
als D’Agosta kurz zum Basislager hinter ihnen blickte.<br />
„Er hat durch die Explosion bedeutende Verbrennungen<br />
erlitten. Es sieht nicht gut aus.“<br />
Nechayev verzog das Gesicht. Sie wusste, was Hawk für<br />
Smith bedeutete. Wenn er starb, konnte das Konsequenzen für<br />
ihre gemeinsame Zusammenarbeit haben.<br />
Zusammenarbeit. Nechayev schüttelte den Kopf. Was sollte es<br />
denn jetzt noch für eine Zusammenarbeit zwischen ihr und<br />
Smith geben?
„Und die Frau? Diese-“<br />
„Hallie.“<br />
„Hallie, ja, richtig.“<br />
„Sie behauptet zwar tapfer das Gegenteil, aber ich weiß, dass<br />
sie ziemlich starke Schmerzen hat.“, antwortete D’Agosta<br />
besorgt. „Wenn sie Fieber bekommt, dann weiß ich nicht, ob<br />
Smith etwas für sie tun kann.“<br />
Nechayev nickte. Sie hatte das Bein der Frau gesehen. Es war<br />
eine sehr tiefe Wunde und sie hatte viel Blut verloren. Wenn<br />
es Komplikationen gab, dann würden sie Hallie verlieren,<br />
denn die medizinische Ausrüstung funktionierte kaum, bis gar<br />
nicht und die meisten medizinischen Systeme und dem<br />
allergrößten Teil der Ausrüstung, lag über Meilen verteilt im<br />
sandigen Boden, auf dem man sie bald schon gar nichts mehr<br />
sehen würden, wie der Wind den Boden umwälzte. Sie hatten<br />
bis auf ein paar Morphiumrationen kaum etwas, um<br />
Schmerzen zu lindern, geschweige denn Entzündungen zu<br />
bekämpfen. Für Nechayev war es fast sicher, dass sie Hallie<br />
verlieren würden. Und für Hawk mahlte sie sich auch keine<br />
guten Chancen aus. Andererseits war Smith eine begabte und<br />
talentierte Ärztin, die es schaffen könnte.<br />
Trotzdem: zwei von – wie viele waren sie überhaupt? Einige.<br />
Hallie und Hawk würden das vermutlich anders sehen, aber es<br />
war kein schlechter Schnitt. Nicht, wenn man nicht die<br />
unzähligen Toten mitrechnete, die auf der <strong>Shenandoah</strong> oder<br />
auf der Flucht dergleichen ums Leben gekommen warn.<br />
„Der Rest ist einigermaßen in Ordnung, was den körperlichen<br />
Zustand betrifft.“, sagte D’Agosta. „Ein paar verstauchte<br />
Arme, Prellungen, Schnittwunden, Kratzer. Aber ich denke es<br />
hätte schlimmer kommen können. Trotz des Energieverlustes,<br />
haben die Fluchtkapseln hervorragend standgehalten.<br />
Jedenfalls unsere.“<br />
„Die Sternenflotte baut nur robuste Dinge.“<br />
„Zum Glück, sonst wären wir jetzt alle tot.“
„Vielleicht sind wir das ja schon.“, flüsterte Nechayev. Sie<br />
nahm eine Handvoll Sand auf und warf die Ladung den<br />
Abhang hinunter, aber der Wind packte ihn und verwandelte<br />
ihn in eine auseinandertreibende Wolke, ehe die Sandkörner<br />
den Boden berührten konnten. „Es sieht nicht besonders gut<br />
für uns aus, Lieutenant Commander D’Agosta.“, fügte sie in<br />
etwas sanfterem Ton hinzu.<br />
„Wir leben, oder?“<br />
„Das ist aber auch schon alles.“, antwortete Nechayev. „Ist<br />
ihnen eigentlich klar, wo wir sind?“<br />
„Sicher.“, antwortete D’Agosta.<br />
„So? Dann wissen Sie mehr als ich.“ Nechayev lächelte, aber<br />
es lag kein Humor in diesem Lächeln. Nicht einmal ein<br />
bisschen Freundlichkeit. „Und vermutlich mehr, als die<br />
Sternenflotte.“<br />
„Wir sind im cardassianischen Raum. Auf der Strecke Deep<br />
Space Nine bis Portas IV. Da sollte doch das diplomatische<br />
Treffen zwischen uns, den Breen und der cardassianischen,<br />
provisorischen Regierung stattfinden, oder? Um den<br />
Geltungsbereich von Septimus auszuhandeln, nicht wahr?“<br />
„Nicht ganz. Wir waren zwar dorthin unterwegs, sind aber im<br />
unerforschten Territorium der Cardassianer geflogen und zu<br />
meinem bedauern durch meinen Befehl etwas vom üblichen<br />
Kurs abgekommen. Ich bin ziemlich sicher, dass dieser Mond<br />
hier und dieser Planet“ Sie deutete mit dem Finger hinauf, zu<br />
dem Planetoiden, der sich dicht über ihren Köpfen am Himmel<br />
drehte „auf den meisten Sternenkarten nicht einmal zu finden<br />
ist.“<br />
„Die Sternenflotte wird uns suchen.“<br />
Nechayev sagte nichts. Natürlich würde die Sternenflotte nach<br />
ihnen suchen, aber nur bis zu einem bestimmten Gebiet, wo<br />
sie plötzlich verblüfft feststellen würden, dass sie nur noch mit<br />
Impulsgeschwindigkeit weiterreisen können.
„Wir sind mindestens hundert Lichtjahre von allen Handels –<br />
und Flugrouten entfernt.“, sagte Nechayev. „Hier sind nicht<br />
einmal die Cardassianer unterwegs. Die Kommunikation<br />
funktioniert nicht, die meiste Ausrüstung ist mit der<br />
<strong>Shenandoah</strong> zerstört worden. Wir haben kaum Notrationen,<br />
keine Medikamente, praktisch keine neue Kleidung und unser<br />
einziger, noch verbliebener Pilot versuchte eine spektakuläre<br />
Karriere als menschliche Fackel, aber ansonsten haben wir<br />
wirklich richtiges Glück gehabt.“<br />
„Zu essen dürfte es genug geben. Die Sensoren machten eine<br />
Siedlung aus, bevor wir absprangen.“, antwortete D’Agosta.<br />
Er klang ein wenig eingeschüchtert. „Ich glaube sie zumindest<br />
bei der Standartprüfung des Sonnensystems auf den<br />
Sensoranzeigen gesehen zu haben. Unsere Überlebenschancen<br />
sind also gar nicht mal so schlecht, wie es zunächst aussah.<br />
Wir müssen doch nur ein paar Tage durchhalten. Wenn die<br />
Sternenflotte ein Standartsuchmuster durchführt, werden sie<br />
uns finden. Vielleicht nicht sofort, aber in einigen Tagen,<br />
spätestens. Das werden sie doch, oder?“<br />
„Ja, sicher.“, log Nechayev und versuchte erneut zu lächeln.<br />
Es wollte ihr nicht gelingen. „Kommen Sie.“ Sie klopfte sich<br />
den Staub von der Uniform, nickte D’Agosta flüchtig zu und<br />
begann vorsichtig den steilen Hügel hinabzubalancieren. Sie<br />
hatte das Gefühl, dass sie mit D’Agosta in Streit geriet, wenn<br />
sie weiterhin dort oben bleiben und diskutieren würden und<br />
das wollte sie nicht. Er konnte ja auch nichts dafür. Niemand<br />
konnte etwas dafür, dass die Breen ebenso schnell gewesen<br />
waren wie sie selbst.<br />
Trotzdem – wenn sie hier nicht wieder wegkamen, und nicht<br />
möglichst bald wieder wegkamen, dann waren mehr als drei<br />
Jahrzehnte Arbeit umsonst gewesen. Es war zum Verzweifeln!<br />
Alles hatte sie geschafft. Jahrelang gesucht, schließlich das<br />
Gesuchte entdeckt. Einen wasserdichten Vorwand für ein<br />
geeignetes Schiff herausgefunden. Sicherheitsvorkehrungen
durchschaut und überwunden. Den Sturz von Sektion 31<br />
weggesteckt, ohne selbst erwischt zu werden. Und dann kam<br />
so ein verdammtes Renegatenschiff der Breen und machte<br />
alles zunichte!<br />
Alles war vernichtet, die ganze Arbeit!<br />
Sie verscheuchte den Gedanken wieder und ging mit weit<br />
ausgreifenden Schritten auf das Basislager zu – sofern man<br />
einige in der Nähe heruntergekrachter Rettungskapseln als<br />
Basislager bezeichnen konnte. Noch immer lagen überall<br />
Trümmer herum, auch wenn das Chaos jetzt wie ein<br />
einigermaßen organisiertes Chaos ausschaute, da keine<br />
Sternenflottenoffiziere zwischen den Kapseln herumlagen und<br />
schrieen, oder bluteten. Oder bluteten und gleichzeitig<br />
schrieen.<br />
Sie steuerte auf die Kapsel zu, aus der ein helles, unrytmisches<br />
Klopfen und Hämmern drang und als sie beinahe an der<br />
Kapsel waren, erschien ein paar ölverschmierte, dünne Hände<br />
über dem Rand der offenstehenden Luke, gefolgt von einer<br />
staubigen Uniform und einem nur unwesentlich weniger<br />
schmutzigem Gesicht, dass D’Agosta vor allem wegen den<br />
langen, hellroten Haaren erkannte, die sozusagen Brenda<br />
Isaac’s Markenzeichen waren. „Admiral!“, erkannte<br />
halbbajoranische Frau erschrocken, den Neuankömmling und<br />
richtete sich sofort steif auf.<br />
Aufgrund dieser Reaktion lief eine wellenförmige Bewegung<br />
über Nechayevs Gesicht. D’Agosta nahm an, dass es sich um<br />
ein weiteres, missglücktes Lächeln handelte. „Wie sieht es<br />
aus?“<br />
„Die Kommunikation springt einfach nicht an. Ich weiß nicht,<br />
Sir, sieht nicht gut aus.“<br />
„Kriegen Sie es wieder hin?“, fragte Nechayev.<br />
„Die Geräte sind soweit in Ordnung – im Grunde sogar<br />
unbeschädigt.“, antwortete Isaac. „Jedenfalls ist nichts kaputt,<br />
was ein gewiefter Techniker nicht in ein paar Stunden selbst
eparieren könnte. Das tatsächliche Problem ist die Energie –<br />
es ist nämlich keine Vorhanden.“<br />
„Können Sie nun Kontakt zu anderen Rettungskapseln<br />
herstellen, oder nicht?“, fragte Nechayev. „Wir müssen in<br />
Erfahrung bringen, ob irgendwer die Container gefunden hat.“<br />
„Ich weiß es nicht.“, antwortet Isaac ehrlich. „Ich bin Transporterchief,<br />
keine Kommunikationstechnikerin. Einer von den<br />
Anderen will mir helfen etwas zu improvisieren. Ein paar der<br />
Phaser sollen wohl noch über Restenergie verfügen, vielleicht<br />
können wir die anzapfen. Aber ob das klappt, weiß ich nicht.<br />
Vielleicht ist ja noch jemand unter den Übrigen Leuten hier,<br />
der es besser kann. Ehrlich gesagt, ich hab Angst mehr kaputt<br />
zu machen, als zu reparieren.“<br />
„Fürchten Sie sich nie etwas zu versuchen.“, sagte Nechayev.<br />
„Denken Sie daran; Amateure haben die Arche Noah gebaut,<br />
Profis die Titanic.“<br />
„Ich werde dran denken, Sir. Tja, wenn’s klappt... Wir sollten<br />
dann womöglich versuchen die Siedler auf diesem Mond zu<br />
kontaktieren, sofern wir in ihrer Nähe sind. Die können uns<br />
vielleicht helfen.“<br />
„Ich halte das für keine gute Idee und würde einen Kontakt zu<br />
fremden Kulturen soweit es geht, lieber vermeiden.“<br />
„Vielleicht geht das gar nicht.“, sagte D’Agosta plötzlich und<br />
nickte in eine bestimmte Richtung. Nechayev folgte seinem<br />
Blick und bemerkte, wie etwas durch die Wüste auf sie zu<br />
kam. Ein Fahrzeug. Es näherte sich mit hoher<br />
Geschwindigkeit und wirbelte viel Staub auf.<br />
„Nein.“, sagte Nechayev. „Das ist eines von unseren.“
Jeep<br />
Es war ein Jeep Explorer der Sternenflotte. Je näher er kam,<br />
desto mehr drosselte er die Geschwindigkeit. Schließlich hielt<br />
er an.<br />
„Ich will verdammt sein.“, sagte Chief Crocker ungläubig.<br />
Zwei Gestalten zwängten sich hinter dem Steuer hervor und<br />
stolperten auf die sandige Fläche. Penkala und Dike hatten das<br />
unmögliche geschafft und überlebt, um davon zu erzählen.<br />
Sofort kam Smith angelaufen und untersuchte sie, doch außer<br />
einigen Schnittverletzungen und Prellungen schien ihnen<br />
nichts zu fehlen.<br />
„<strong>Star</strong>ker Auftritt, was?“, sagte Penkala leichthin. Sofort war er<br />
von einigen Helfern umgeben, die sich um ihn scharten.<br />
Nechayev stand außerhalb der Gruppe und wollte sich gerade<br />
zum gehen abwenden, als Penkala sie erspähte. Plötzlich riss<br />
er die Augen auf und starrte Nechayev fassungslos an. Und<br />
dann begann er aufgebracht mit den Händen zu fuchteln und<br />
zu schreien. „Sie elendes Miststück! Wo waren Sie? Hä, wo<br />
waren Sie?“<br />
Nechyev antwortete nicht und wie ein allmählich anfahrender<br />
Motor, stapfte Penkala auf sie zu. Erst langsam, dann immer<br />
schneller.<br />
Er brüllte aus vollem Hals und spuckte: „Ich rede mit ihnen,<br />
Nechayev! Wo waren Sie? Wo ... waren ... Sie?“ Nun stürmte<br />
Penkala los und prallte gegen die Frau. Beide gingen sofort zu<br />
Boden. Penkala umschloss ihre Oberarme und begann sie zu<br />
schütteln und gegen den harten Boden zu stoßen. „Wo sind sie<br />
geblieben, als wir zurückkamen und in die Kapsel wollten, Sie
Pakledratte? Warum sind Sie ohne uns abgesprungen,<br />
warum?“<br />
Die Anderen versuchten sie auseinander zubringen und<br />
schafften es nur mit Mühe und viel Kraft, den tobenden<br />
Penkala, der eigentlich dafür bekannt war, keiner Fliege was<br />
zu leide zu tun und stattdessen lieber den Pausenclown der<br />
<strong>Shenandoah</strong> zu spielen, zurückzuziehen.<br />
Dike und Crocker hielten ihn fest, aber Penkala strampelte.<br />
„Alex, Warte!“<br />
„Beruhigen Sie sich, Penkala!“<br />
Doch er wollte sich nicht beruhigen. „Warum haben Sie nicht<br />
gewartet?“, brüllte er. „Sie haben uns angelogen und<br />
zurückgelassen.”<br />
Necheyev rappelte sich schwankend auf. Blut rann ihr aus<br />
dem Mundwinkel.<br />
„Nicht aufregen, Alex.“, versuchte D’Agosta zu schlichten.<br />
„Nicht aufregen?“, brüllte Penkala. „Nicht aufregen? Meinem<br />
Kopiloten Byers wurde vor meinen Augen der Kopf von den<br />
Schultern gefegt und ich soll mich nicht aufregen?“ Er kniff<br />
die Augen zu und bekam offenbar einen Schwächeanfall.<br />
Langsam sackte er zu Boden und hustete. „Wo waren Sie<br />
nur? Wo waren Sie nur?“<br />
Isaac fragte: „Alex. Was ist denn passiert?“<br />
Penkala saß auf dem Boden, war völlig fertig. „Was passiert<br />
ist? Wir sind mit der dem Argo-Shuttle rausgekommen. Sie<br />
wissen schon, diesem Jeeptransporter. Und zwar im letzten<br />
Moment. Aber dafür haben wir so ziemlich jeden verloren, der<br />
bei uns war. Und nur, weil ihre tolle Nechayev dort, einfach<br />
die Kapsel verschloss und startete, wo noch locker fünf Mann<br />
reingepasst hätten.“<br />
„Wollen Sie sich jetzt rächen, Söhnchen?“, brummte Crocker<br />
verärgert. „Das bringt die Anderen auch nicht zurück.“<br />
„Ich will keine Rache.“, sagte Penkala. „Ich will sie ermorden.<br />
Das ist Gerechtigkeit.“
Aber er hatte sich wieder unter Kontrolle und unternahm<br />
keinen weiteren Angriffsversuch. „Sie ist einfach ohne uns<br />
abgehauen, obwohl sie genau wusste, dass wir zu ihr<br />
unterwegs waren.“<br />
Alle Blicke richteten sich auf Nechayev. „Es blieb keine Zeit<br />
mehr.“, sagte sie schnaufend. Sie wies alle Vorwürfe von sich.<br />
„Die Systeme waren beschädigt, wir mussten starten.“.<br />
„Ja, natürlich.“, schüttelte Penkala den Kopf.<br />
Ein nervöser Howard King mischte sich ein. „Admiral<br />
Nechayev sagt die Wahrheit. Es ging nicht anders. Das<br />
Automationssystem hatte eine Fehlfunktion, die Kapsel ist von<br />
sich aus gestartet. W-w-wir haben da nicht viel dran ändern<br />
können.“<br />
Penkala rollte die Augen.<br />
D’Agosta ging in die Hocke. „Haben Sie andere Leute auf<br />
dem Weg hierher gesehen?“<br />
Penkala setzte ein ironisches Lächeln auf. „D’Agosta, die<br />
Kapseln sind viel zu spät ausgestoßen worden. Dazu noch<br />
ohne Energie für den Autopiloten. Die <strong>Shenandoah</strong> war<br />
einfach zu tief im Gravitationsfeld des Mondes drin. Viel zu<br />
tief. Haben Sie auch nur die blasseste Ahnung, wie ungünstig<br />
die Evakuierung verlaufen ist?“<br />
D’Agosta schüttelte den Kopf. „Unser einziger Pilot ist<br />
verletzt. Wie ungünstig ist die Evakuierung denn verlaufen?“<br />
„Wer auch immer die <strong>Shenandoah</strong> runterbrachte, ich nehme<br />
an, derjenige vollführte einen spiralförmigen Sinkflug, hat’s<br />
aber vermasselt – vermutlich weil die nötige Ruderkontrolle<br />
fehlte.“<br />
D’Agosta fürchtete sich vor der Antwort: „Okay und was<br />
bedeutet das für uns?“<br />
„Das bedeutet.“, sagte Penkala. „die Rettungskapseln könnten<br />
überall verteilt sein.“
Notruf<br />
„Wir könnten überall gelandet sein.“ Ronald Spiers öffnete<br />
den Schraubverschluss seiner Feldflasche, trank einen Schluck<br />
Wasser und bot sie anschließend Gabriel O’Conner an, der<br />
direkt neben ihm stand. O’Conner betrachtete die graue<br />
Flasche kurz und lehnte dann dankend ab. Sie waren vor etwa<br />
drei Stunden in einem Tal aufgeschlagen. Hart aufgeschlagen!<br />
Wie durch ein Wunder war niemand der fünf Kapselinsassen<br />
ums Leben gekommen. Ensign Martin hatte sich den Arm<br />
gebrochen und litt unter starken Schmerzen. Spiers hatte ihm<br />
Morphium verabreicht – mehr konnte er auch gar nicht tun.<br />
Nun schlief Martin im innern der Kapsel. Aber das war zum<br />
Glück auch schon alles.<br />
„Überall wäre besser, als hier, Ron.“<br />
Ronald Spiers war ein verboten gutaussehender Mann in den<br />
Dreißigern, allerorts für seine Kühnheit und Vorliebe für<br />
Waffen bekannt. Seine auffallendsten Merkmale waren seine<br />
spitzbübische Mine, die jederzeit einem perfekt eingeübte<br />
Hundeblick weichen konnte, um Frauen ins Bett zu<br />
bekommen und die markante Narbe am Hals, die er sich<br />
einfach nicht operativ entfernen lassen wollte. Er meinte,<br />
dadurch sähe er noch ein wenig wilder aus.<br />
Spiers und O’Conner waren seit Jahren gute Freunde, hatten<br />
sich unzählige Male gegenseitig das Leben gerettet und<br />
pflegten aus diesem Grund einen lockeren Umgangston.<br />
„Ich glaube die <strong>Shenandoah</strong> hatte dort drüben ihren<br />
Crashdown.“, sagte Spiers und deutete auf die weit entfernten<br />
Berge, deren Spitzen gerade mal zu erkennen waren, da sie<br />
von dunklem Fels und Hügeln umgeben waren.
„Wie kommst du darauf?“<br />
„Die Erschütterung des Bodens vorhin. Sie machte auf mich<br />
den Eindruck, als hätte sie dort ihren Ursprung. Außerdem war<br />
sie so heftig, das kann nur die <strong>Shenandoah</strong> verursacht haben.<br />
Wenn der Absturzwinkel stimmt, müssten sich die Kapseln<br />
also in einem enorm erhöhten Radios darum befinden.“<br />
Er vollführte mit dem Zeigefinger eine vertikale<br />
Kreisbewegung in der Luft, um es zu veranschaulichen.<br />
„In einem enorm erhöhten Radius.“, seufzte O’Conner. „Sie<br />
könnten wirklich überall sein.“<br />
Spiers legte O’Conner eine Hand auf die Schulter. „Kopf<br />
hoch, Gabe. Ich bin schon in weitaus schlimmeren Situationen<br />
gewesen und mit heiler Haut wieder entkommen und du<br />
ebenfalls.“<br />
„Ja, vermutlich.“<br />
„Und wenn alle Stricke reißen, haben wir immer noch einen<br />
Trost.“<br />
„So?“, fragte O’Conner. „Und welchen?“<br />
Spiers hob die Mundwinkel ein klein wenig nach oben, was<br />
bei ihm immer ein sehr breites Lächeln bedeutete. „Ich habe<br />
mindestens fünfmal Robinson Crusoe gelesen.“<br />
O’Conner seufzte erneut. „Ich wünschte wirklich, ich hätte es<br />
wenigstens einmal gelesen.“<br />
Sie gingen zurück zur Kapsel. Sie war beim Aufprall nicht<br />
umgestürzt und lehnte nun gegen eine der zahlreichen<br />
aufragenden Felsen.<br />
Tessler stand halb darin verborgen und spielte an der Notbake<br />
herum. Er hatte nach ihrem Ausstieg zusammen mit B’Sogg<br />
die Bake notdürftig repariert. Das Ergebnis sah genau aus wie<br />
ihre Zukunftsaussichten: Abenteuerlich, aber nicht besonders<br />
Vertrauenserweckend.<br />
O’Conner jedenfalls war nicht besonders wohl bei dem<br />
Gedanken, ihre letzte Energie – auch die der Waffen – für eine<br />
Anlage zu riskieren, dessen Aufbau nun einzig aus Draht und
ehelfsmäßig zusammengesuchten Trümmern bestand. Na ja.<br />
Vielleicht würden sie das aber auch gar nicht müssen, denn<br />
Tessler war in den vergangenen Stunden immer schweigsamer<br />
geworden.<br />
Als O’Conner und Spiers die Kapsel erreichten, knallte er<br />
gerade einen Schaltkasten zu und stieß einen wütenden Schrei<br />
aus. „Dieses verdammte–„<br />
„Wie sieht’s aus, Tessler?“, fragte O’Conner.<br />
Tessler war ein nervöser Techniker, etwa vierzig Jahre alt und<br />
Vollblut-Bajoraner, der als solcher ein ziemlich aufbrausendes<br />
Temperament und Leidenschaft für seinen Beruf mitbrachte.<br />
Für O’Conner hätte er glatt als älterer und humorloserer<br />
Bruder von Ronald Spiers durchgehen können.<br />
„Captain!“, entfuhr es Tessler. „Hab Sie gar nicht kommen<br />
gehört.“<br />
„Können Sie das Ding reparieren, oder nicht?“<br />
„So viel zu reparieren gibt’s da nicht, Captain. Die Ausrüstung<br />
ist ja in Ordnung, diese Kapseln sind so konstruiert, dass sie<br />
auch enorme Belastungen aushalten.“<br />
„Woran hapert es dann?“<br />
„An der Energie, Sir. Die Pegel sind in jeder Beziehung auf<br />
Null. Ich bekomme einfach keinen Saft.“<br />
Die Restenergie aller Handfeuerwaffen aus dem Notfallkoffer<br />
hatten sie vorhin bereits für andere Reparaturen verbraucht.<br />
Und in den übrigen Geräten war gar nichts mehr drin.<br />
„Würde eine kleine Energiemenge ausreichen?“, fragte Spiers.<br />
„Ja, ja, ich denke schon. Wenn wir etwas hätten-“<br />
Ron Spiers hob das rechte Bein, griff unter die Hose und rollte<br />
seine schwarzen Socken auf. Zum Vorschein kam ein kleiner<br />
Phaser, des Typs 1, etwa handgroß und ziemlich alt. Dieser<br />
Typ wurde schon seit Jahren nicht mehr eingesetzt, höchstens<br />
noch als Rasierer. Aber immerhin schlummerte in ihrem<br />
Innern eine Sarium-Krellid-Energiezelle, die nun von Nutzen<br />
sein konnte.
Er reichte ihn Tessler. Dieser nahm den Phaser verwundert<br />
entgegen. „Wo haben Sie das Ding denn her?“<br />
„Das ist Gladys.“, sagte Spiers mit einem Grinsen. „Die habe<br />
ich immer dabei, für Notfälle. Ich gebe sie nicht gerne her,<br />
aber es ist wohl notwendig. Dürften sowieso nur Energie für<br />
zwei, oder drei Schuss übrig sein. Vielleicht reicht es ja für<br />
ihre kleine Tuschelbox.“<br />
„Warum hast du den Phaser immer dabei?“, fragte O’Conner<br />
stirnrunzelnd.<br />
„Um mich zu rasieren, natürlich.“, antwortete Spiers ironisch.<br />
Tessler schloss mit einigen Modifikationen den Phaser an die<br />
Schalttafel an, isolierte das System der Notbake von den<br />
Anderen Systemen und nickte nach einer Weile den Kopf.<br />
„Okay, das müsste reichen.“<br />
Er drehte an den Reglern. Aus den Lautsprechern drang nur<br />
statisches Rauschen. „SOS, SOS. Hier spricht Lieutenannt<br />
Tessler Vija von Rettungskapsel-„<br />
„Dreizehn.“, sagte Spiers.<br />
„Von Rettungskapsel dreizehn. Kann mich da draußen jemand<br />
empfangen?“<br />
Nichts.<br />
„SOS, SOS. Hier spricht Lieutenant Tessler Vija, von<br />
Fluchtkapsel dreizehn, kann mich irgendwer hören?“<br />
Noch immer nichts.<br />
„Senden Sie weiter.“, sagte O’Conner. „Irgendwer muss das<br />
hören.“<br />
„...SOS, SOS. Hier spricht Lieutenant Tessler Vija, von<br />
Fluchtkapsel dreizehn, kann mich irgendwer hören?“<br />
An der Kommunikation bedienten zwei Soldaten Schalter und<br />
Hebel.<br />
„Wird schwächer.“, sagte der eine.<br />
„Kompensieren und Verstärker hinzufügen.“, sagte der andere.
Beliar beugte sich im dunklen Kontrollraum über die Konsole<br />
zu den knisternden Lautsprechern herab und begegnete den<br />
Blick des wachhabenden Offiziers. „Wann haben Sie das<br />
empfangen?“<br />
„Wir entdeckten es vor... ungefähr einer Minute auf<br />
unbekannter Frequenz.“, sagte der Mann. „Scheint sich um ein<br />
Notsignal zu handeln. Von wem es auch immer stammt, sie<br />
senden es nach wie vor. Soll ich antworten?“<br />
„Nein, halten sie Funkstille.“<br />
„...Sternenflottenfluchtkapsel dreizehn, hier spricht Lieutenant<br />
Tessler Vija. Bitte kommen. Ich wiederhole...„<br />
Einer der beiden Soldaten an der Konsole fragte: „Sprachen<br />
die Neuankömmlinge, die vorhin eintrafen – wie hießen die<br />
noch gleich? Na ist ja auch egal. Sprachen die nicht von einer<br />
Sternenflotte?“<br />
Beliar nickte. „Ganz recht. Und sie erwähnten auch, dass die<br />
für unseren Schlammassel verantwortlich sind. Ist es möglich<br />
das Signal zurückzuverfolgen und die Position des Senders<br />
exakt zu bestimmen?“<br />
„Schon geschehen.“, antwortete der Soldat. Beliar entblößte<br />
Zähne. „Ausgezeichnet.“ Er drehte sich zu Theia um. „Holen<br />
Sie ihre Männer.“ Theia schlug zackig die Hacken zusammen<br />
und eilte los. „... hier spricht Lieutenant Tessler Vijar, vom<br />
Fluchtkapsel dreizehn. Ist da jemand?“<br />
Beliar hörte zu und lächelte.<br />
Tessler sendete weiter. Aber niemand meldete sich. „Na jetzt<br />
wissen wir immerhin, dass die Ausrüstung in Ordnung ist.“,<br />
sagte Tessler nach einer Weile. „Weil das Signal rausgeht.“<br />
„Kann es denn sonst niemand empfangen?“<br />
„Ich fürchte nicht.“, meinte Tessler niedergeschlagen. „Es<br />
meldet sich ja niemand. Möglicherweise haben die Anderen
mit ganz ähnlichen Energieproblemen zu kämpfen. Oder es ist<br />
etwas in den Felsen, dass das Trägersignal blockiert.“<br />
„Können wir irgendwie feststellen, ob andere das Signal<br />
empfangen?“<br />
„Leider nein. Und wenn wir so weitermachen, leeren wir nur<br />
die Energiezelle, was bedeutet-„<br />
Ein helles Klicken war zu hören und dann eine Frauenstimme.<br />
Zunächst nur durch starke Interferenzen begleitet, aber es<br />
wurde schnell erstaunlich deutlich und klar. „...Isaac von<br />
Kapsel siebenundvierzig.“<br />
„Ja, wir haben ein Signal!“, jubelte Tessler. Dann drückte er<br />
die Sprechtaste der Notbake. „Isaac? Brenda? Tessler hier,<br />
bitte kommen.“<br />
Aus dem Gerät kam ein anhaltendes statisches Zischen. Die<br />
Verbindung brach kurz ab, dann glaubte O’Conner plötzlich<br />
Allan D’Agostas leise Stimme zu hören. „Hallo? Tessler? Hier<br />
D’Agosta. Hallo?“<br />
Tessler betätigte die Sprechtaste. „D’Agosta, hier Tessler.<br />
Können sie mich empfangen?“<br />
Wieder statisches Rauschen.<br />
„Hallo?“<br />
Tessler seufzte. „D’Agosta, Isaac. Sie müssen die Amplitude<br />
erhöhen. Over.“<br />
„Hallo? Hier ist D’Agosta, Hallo?“<br />
Tessler schüttelte entrüstet den Kopf. „Die wissen nicht, wie<br />
sie das Gerät zu bedienen haben. Gottverdammt. So was sollte<br />
man doch mit jedem Offizier mindestens hundertmal<br />
durchgehen. Aber er hat natürlich nicht aufgepasst. Diese<br />
Dinger sind doch keine Spielzeuge.“ Er drückte wieder die<br />
Sprechtaste. „D’Agosta, hier-“<br />
„Ja, Lieutenant. Ich kann Sie jetzt verstehen.“<br />
„Den Propheten sei dank.“, schnaufte Tessler.<br />
O’Conner nahm ihm die Sprechverbindung weg. „D’Agosta,<br />
hier ist O’Conner. Wie ist ihr Status?“
„Captain?“, D’Agosta klang erlöst. „Was bin ich froh Sie zu<br />
hören.“<br />
„Wie ist ihr Status?“<br />
„Nicht so, wie er sein sollte, denke ich. Wir haben Verletzte,<br />
aber das bekommen wir hin. Aber die Energie ist offline.<br />
Keine Notsysteme.“<br />
„Ja, bei uns dasselbe Problem.“, seufzte O’Conner.<br />
Tessler machte ein angestrengtes Gesicht. „Wir haben nur<br />
noch einen Energiebalken.“, warnte er.<br />
„D’Agosta, sind noch andere Überlebende bei ihnen?“<br />
„Ja, Wir sind hier mit mehreren Rettungskapseln<br />
runtergekommen. Sechs, oder sieben. Eine Achte befindet sich<br />
in einigen Kilometern Entfernung. Admiral Nechayev und ihre<br />
Begleiter befand sich darin.“<br />
„Nechayev?“<br />
O’Conner und Spiers tauschten einen Blick.<br />
„Ist sie bei ihnen?“<br />
„Nein, sie geht in der Landschaft spazieren, glaube ich.“<br />
„Steht jemand der Kommandooffiziere zur Verfügung?“<br />
„Nein. Ich bin neben Nechayev der ranghöchste, fürchte ich.<br />
Wie ist ihr Zustand?“<br />
„Na ja, wir leben. Spiers, Tessler, Martin, B’Sogg und ich<br />
haben es geschafft. Wir haben sonst noch niemanden gesehen.<br />
Offenbar sind wir weit weg.“<br />
„Aber am nächsten zu uns dran, Captain. Isaac meint, sonst<br />
hätten wir ihr Signal nicht empfangen.“<br />
O’Conner fluchte. Wenn alle anderen noch weiter entfernt<br />
waren-<br />
„Captain, vielleicht können wir Sie abholen. Uns steht ein<br />
Jeep zur Verfügung.“<br />
„Ein Jeep?“<br />
„Richtig gehört, Sir. Alex Penkala und Joe Dike sind mit ihm<br />
gelandet. Isaac meint, wir könnten ihre Position-„<br />
Knistern. Zischen.
„O, o.“, sagte Tessler.<br />
Spiers beugte sich vor. „Was ist los?“<br />
„Wir verlieren die Verbindung. Die Energie ist jetzt fast völlig<br />
aufgebraucht.“<br />
„Warum?“<br />
„Die Energiezelle. Sie entlädt sich sehr schnell.“<br />
O’Conner nahm das Funkgerät. „D’Agosta, hören Sie mich?“<br />
Aus dem Lautsprecher drang D’Agostas abgehakte Stimme.<br />
„…undeutlich … einigermaßen.“<br />
„Hören Sie mir jetzt genau zu, Allan. Ich erteile ihnen bis zu<br />
meiner Rückkehr das Kommando über die Gruppe.“<br />
„…das … ich?“<br />
„Ja, Sie. Niemand sonst. Seien Sie vorsichtig, Allan und<br />
passen Sie auf Nechayev auf. Ich vertraue ihr nicht!“<br />
Aus der Notbake rauschte es, die Verbindung wurde ständig<br />
schlechter. „-Admiral … Basislager … ich.“<br />
„Allan? Allan, verdammt, haben Sie mich verstanden?!“ Und<br />
dann kam ein letztes, langsam verklingendes Rauschen.<br />
Tessler schaltete den Apparat aus und legte ihn weg.<br />
O’Conner rieb sich die schmerzenden Augen. Dann wandte er<br />
sich an Spiers. „Wir müssen zu ihnen. D’Agosta wird allein<br />
mit Nechayev nicht fertig!“
Hawk<br />
Eine Stunde verstrich. Rhonda Smith bemerkte, wie Alynna<br />
Nechayev auf einem nahen Hügel stand und gelegentlich zu<br />
ihr herübersah. Rhonda wandte dann immer den Blick ab und<br />
gab sich beschäftigt. Am Horizont ging die Sonne langsam<br />
unter und tauchte den Himmel in ein helles rosa-rot. Der Wind<br />
brachte angenehme Kühle.<br />
Hinter ihr, irgendwo im Lager sprang der Motor des Jeeps an<br />
und versorgte über ein Verbindungskabel eines der wenigen<br />
intakten Phasergewehre mit Energie. Im Gegensatz zum<br />
Grossteil der restlichen Ausrüstung verfügte der Jeep über<br />
Solarzellen auf dem Dach, deren gespeicherte Energie vom<br />
Tag sie anzapfen vermochten. Ein heller, beständiger Strahl<br />
schoss aus der Vorfeuerkammer und verursachte beim<br />
Auftreffen auf dem Metall einer Rettungskapsel einen weiten<br />
Funkenregen. Langsam wurde ein großes Loch in die Kapsel<br />
geschnitten.<br />
Die Techniker wollten versuchen zwei der Kapseln<br />
auseinander zu nehmen, wieder zusammen zu schweißen und<br />
auf diesem Wege ein brauchbares Notlazarett für Smith und<br />
die Verletzten zu improvisieren.<br />
Natürlich war das knifflig, ihnen stand nur notdürftiges<br />
Werkzeug zur Verfügung und sie mussten außerdem ständig<br />
einen Blick auf die Energiezellen des Jeeps werfen, um sie<br />
nicht gänzlich zu verbrauchen. Da die Nacht einbrach, würden<br />
die Solarzellen ihnen in den kommenden Stunden nichts<br />
nützen und so mussten sie rationieren. Aber es war keine<br />
große Sache. Sie mussten nur die Kapseln aufschweißen, die<br />
Stühle und Behälter im Innern entfernen, durch behelfsmäßige
Liegen ersetzen und das Ganze wieder wetterfest abdichten.<br />
Smith sah zu, wie mehrere Leute eine Art Tauziehen mit der<br />
benachbarten Kapsel vollführten. Die daran befestigten Seile<br />
wurden mit einem „Hau ruck“ straff gezogen, während von<br />
hinten weitere Helfer kräftig schoben und quälend langsam<br />
rutschte die Kapsel über den Sand zur anderen Kapsel herüber.<br />
Smith wandte sich wieder dem schwach piependen Tricorder<br />
in ihrer Hand zu und hielt ihn kniend knapp über den Boden.<br />
Zunächst hatte sie Schwierigkeiten gehabt, ihn zu aktivieren,<br />
weil auch er keine Energie hatte, aber Penkala und Dike waren<br />
in der Lage gewesen auch ihn mit dem Motor des Jeeps zu<br />
verbinden und kurzzeitig ein wenig Saft zu geben.<br />
Allan D’Agosta, der gebückt neben ihr stand und sich an den<br />
Oberschenkeln abstützte, fragte: „Irgendwas entdeckt?“<br />
„Boronit-Erz.“, sagte sie. „Ein sehr seltenes Sulfit. Ich bin<br />
überrascht, es in dieser Größenordnung vorzufinden. Fast der<br />
komplette Boden setzt sich aus Boronit zusammen.“ Sie drehte<br />
den Tricorder ein wenig, damit D’Agosta ebenso einen Blick<br />
darauf werfen konnte. Die Anzeigen machten ihn allerdings<br />
nicht schlauer.<br />
„Außerdem messe ich eine schwache Untergrundstrahlung.“<br />
„Gefährlich für Menschen?“, fragte D’Agosta.<br />
Smith machte ein nachdenkliches Gesicht. „Nein. Nicht, wenn<br />
wir uns nicht mehrere Monate auf der Oberfläche aufhalten.“<br />
Smith klappte den Tricorder zu und richtete sich auf. „Ich sehe<br />
mal nach Hawk.“<br />
„Gut, Doktor.“<br />
Sie schob eine Strähne hinter das Ohr und ging zu Hawk<br />
herüber. Der Pilot schwerverletzte Pilot ruhte auf der Tür und<br />
hatte die Augen geschlossen. Sein verbrannter Brustkorb lag<br />
frei, hob und senkte sich langsam.<br />
„Cooper, wie geht es dir?“<br />
Ein leises Stöhnen. Er war noch immer voll mit Morphium.
„Ich habe darüber nach gedacht. Offensichtlich hat Toye alles<br />
in Gang gesetzt. Er trägt die Schuld. Fibonacci Zahlen.“, sagte<br />
er und schloss die Augen.<br />
Smith runzelte die Stirn. „Was sind Fibonacci Zahlen?“<br />
Hawk seufzte.<br />
„Cooper.“, sagte Smith. „Was sind Fibonacci Zahlen? Was<br />
meinst du damit?“<br />
„Lass mich in Frieden.“, sagte Hawk und winkte sie weg.<br />
„Jeder rette sich, so schnell er kann.“<br />
Joe Toye balancierte die breite Getränkeplatte gekonnt durch<br />
die heitere Menge und setzte sie auf dem breiten Tisch in der<br />
Mitte ab, ohne etwas vom Champagner zu verschütten. Es war<br />
ein gemütlicher, Abend, die Stimmung war gut und die Piloten<br />
der Beta-Schicht holten in einem der Mannschaftscasinos die<br />
Feier zu Joe Toyes achtundzwanzigsten Geburtstag nach.<br />
Sozusagen eine typisch amerikanische Privatfeier. „Oh, Toye,<br />
du hast es geschafft, ohne ein Glas fallen zu lassen.“, sagte<br />
jemand und klatschte anerkennend. „Reife Leistung.“<br />
Cooper Hawk stand an einem altmodischen Grill, den er<br />
irgendwo aufgetrieben hatte, trug über der roten Uniform eine<br />
Schürze mit der Aufschrift „Der Koch hat das Sagen“ und<br />
lachte herzlich, als die anderen zwar ein „Happy Birthday“-<br />
Lied für Toye anstimmten, aber nicht eine Note annähernd<br />
trafen.<br />
Hawk war glattrasiert und schlank. Ein ruhiger, bescheidener<br />
Kerl, den die meisten als nachdenklichen und aufmerksamen<br />
Beobachter kannten. Dennoch hatte er sich mit seinen knapp<br />
dreißig Jahren eine jugendliche Ausstrahlung bewahrt, die vor<br />
allem dann wirkte, wenn er lachte. Das geschah leider viel zu<br />
selten.<br />
Es zischte, als er die Burger auf dem Blech drehte. Hinter ihm<br />
wurde weitergelacht. Joe Toye war wie üblich in
Plauderlaune, sprach über seine Verlobte auf der Erde, das<br />
bald kommende Baby, wie sehr er beide vermisse und über die<br />
Veränderungen an ihrem Haus in New York, die er geplant<br />
hatte. „Der Wohnbereich wird umgebaut.“, sagte er. „Julia<br />
will etwas im Stil der Trill.“<br />
„Und wann wirst du sie wiedersehen?“<br />
„Nach dieser Mission werde ich meinen Urlaub einlösen.“,<br />
sagte Toye zu Ensign Lex.<br />
„Du freust dich bestimmt.“, sagte dieser.<br />
„Wow, Lex. Du musst meine Gedanken lesen. Wie hast du das<br />
nur erraten?“<br />
„Ich habe deine Gedanken gelesen.“, sagte Lex. „Letzte<br />
Woche während dem Pokerspiel. Und ich entdeckte bestimmte<br />
Gebiete, Erinnerungsstränge, die waren mit nichts gefüllt,<br />
außer... Glibber.“<br />
„Das wird wohl die Akademie sein.“, sagte Hawk, ohne den<br />
Blick von den Burgern zu nehmen. Alle lachten, die Feier lief<br />
gut. Irgendwann im Laufe des Abends ging Toye zu Hawk<br />
herüber. Er stand abseits der Gruppe am Reinigungsautomat<br />
und stellte das dreckige Geschirr ins Ausgabefach, wo es kurz<br />
in einem Schimmern verschwand und völlig sauber erschien.<br />
Toye klopfte ihm brüderlich auf die Schulter. „Was ist los,<br />
Coop?“, fragte er. „Du bist so still heute Abend?“<br />
Hawk zog die Schultern hoch. „Bin nicht so fit heute.“<br />
„Komm schon. Setz dich zu uns rüber und trink ein Bierchen.“<br />
„Toye, wir haben gleich noch Dienst auf der Brücke.“<br />
Toye seufzte übertrieben. „Alter Spielverderber. Steif, wie ein<br />
Borg.“<br />
Toye bereute seine Worte schon, als sie noch nicht ganz über<br />
seine Lippen gekommen waren. Als hätte jemand Gewichte<br />
dran gehängt, sackten Hawks Mundwinkel abrupt ab.<br />
„Oh, Nein, vergiss, die Bemerkung bitte.“, sagte Toye schnell.<br />
„Bitte, Coop. Das wollte ich nicht.“<br />
Hawk nickte. „Schon okay.“ Er trat an seinem Kollegen vorbei
und ging zur Tür. „Ich brauche ne Erfrischung.“<br />
In einem der öffentlichen Waschräume schüttete sich Hawk<br />
kaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete sich im Spiegel.<br />
Erschreckt bemerkte er, wie außerordentlich weiß sein Haar<br />
inzwischen war. Kurz geschnitten und weiß, vereinzelt sogar<br />
dunkelgrau. Ferner bemerkte ihm auf, wie schlaff sich das<br />
Hautgewebe um die Augen anfühlte. Das war ihm noch nie<br />
aufgefallen. Sicher, er war nicht mehr so jung und Tatbestand<br />
war auch, dass er in letzter Zeit nicht mehr viel Sport gemacht<br />
hatte.<br />
Er starrte sein Spiegelbild an und fragte sich, wie viele Jahre<br />
er durch seine Dummheiten wohl verloren hatte. Plötzlich stob<br />
die Eingangstür beiseite und jemand trat ein. Hawk nahm sich<br />
schnell ein Handtuch vom Haken und rubbelte das Gesicht ab,<br />
gleichzeitig hoffend, seine blutunterlaufenen Augen würden<br />
nicht zu sehr auffallen. Toye trat zögernd neben ihn. „Hey,<br />
Coop. Wir vermissen dich da drin.“<br />
„Ich komme gleich.“<br />
„Wir-“<br />
Hawk blaffte: „Ich komme ja gleich!“ Dann erschlafften seine<br />
Schultern. „Tut mir leid.“<br />
„Du hast es noch immer nicht überwunden, hm?“, fragte Toye<br />
leise. „Neal’s Ableben, meine ich.“<br />
Hawk lehnte an die Wand und starrte auf einen Fixpunkt der<br />
allerorts existierte, nur nicht im Hier und Jetzt. „Heute ist sein<br />
Todestag.“<br />
„Ich weiß.“<br />
Hawk schloss müde die Augen, weil er fürchtete ansonsten in<br />
Tränen auszubrechen. Mit Grabesstimme sagte er: „Ich habe<br />
seine Leiche gefunden, Joe. Ausgerechnet ich.“ Er rieb sich<br />
den Nasenrücken. „Neal trieb zweihundert Jahre im Weltraum<br />
und ausgerechnet ich musste ihn finden.“ Er schluchzte. Sein
Lippen bebten. „Er sah noch so frisch aus. So... lebendig. Und<br />
überall diese scheiß Implantate.“<br />
Toye wusste nicht, was er sagen sollte. Hawk hatte enorm viel<br />
durchgemacht, seit dem Tod seines Bruders und noch mehr,<br />
seit er dessen Leiche im Sol-Sektor treibend gefunden hatte. In<br />
einem Raumanzug, halb von den Borg assimiliert und schon<br />
seit Jahrzehnten leblos, weil sich sprichwörtlich die Batterie<br />
geleert hatte.<br />
Cooper hatte lange Zeit wegen den Auswirkungen dieser<br />
Ereignisse in Behandlung verbracht. Zwar war er inzwischen<br />
wieder im aktiven Dienst, aber Toye wusste, wie zerbrechlich<br />
seine Psyche noch immer war.<br />
„Es war falsch. Sie hätten ihn nicht in der Vergangenheit<br />
zurücklassen dürfen.“<br />
Hawk klang verärgert. „Natürlich hätten sie das nicht. Picard<br />
wurde gerettet. Data. Eltiche andere Crewmitglieder. Und ihn<br />
haben sie einfach aufgegeben. Einfach vergessen.“<br />
„Was ich gesagt habe war dumm, Coop. Ich wollte dich nicht<br />
daran erinnern.“<br />
Hawk seufzte. „Schon gut. Du kannst ja nichts dafür. Ich... ich<br />
bin schon den ganzen Tag unkonzentriert. Mit den Gedanken<br />
irgenwie nicht bei der Sache. Du weißt schon. Ich brauche nur<br />
etwas Ruhe. Vielleicht lasse ich den Dienst heute ausfallen.“<br />
Toye legte ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihm ernst<br />
in die Augen. „Coop, du darfst dich jetzt nicht wieder<br />
zurückziehen. Du weißt, wozu das beim letzten Mal führte.<br />
Hast du mich verstanden?“<br />
Hawk nickte.<br />
„Ich mache mir große Sorgen um dich Coop. Du darfst nicht<br />
rückfällig werden. Nicht jetzt, wo du geschafft hast, endlich<br />
davon loszukommen.“<br />
„Ich werds verkraften.“<br />
„Ehrlich?“<br />
Erneut das Nicken.
„Lass die Hände von dem Zeug.“, beschwor Toye. „Bringt<br />
doch nichts. Du bist jetzt leitender Pilot und hast was zu<br />
verlieren, alles klar? Also die Hände von dem Zeug lassen.“<br />
„Mach ich. Mach ich wirklich.“<br />
„Okay.“, sagte Toye. „Sieh mal, du hast Rhonda. Du bist<br />
nicht allein, okay? Du hast Rhonda, ich hab Julia und wir<br />
beide werden eines Tages auf einer Parkbank sitzen, uns über<br />
die Frauen beschweren und den Kindern beim gemeinsamen<br />
Spielen zuschauen, alles klar?“<br />
Hawk starrte noch immer auf die Wand. Toye schnippte vor<br />
den Fingern vor seinem Gesicht her, bis Hawk aufsah. „Schon<br />
gut. Ich bin ja hier.“<br />
„Hab ich nicht den Eindruck. Also, geht’s wieder?“<br />
„Ja, geht.“<br />
„Gut, dann lass uns-“<br />
Und plötzlich gellte roter Alarm durch das Schiff und die die<br />
Stimme von Commander Bowman ertönte über die Kommunikationsverbindung:<br />
„Gefechtsstationen besetzen, alle Mann<br />
auf Gefechtsstationen. Führungsoffiziere sofort im Kontrollraum<br />
einfinden!“
King<br />
Schwarzer Rauch stieg noch immer von der Rettungskapsel in<br />
die Nacht auf, die vor wenigen Stunden explodiert war und<br />
Toye und weitere Personen in den Tod gerissen hatte. Howard<br />
King schüttelte den Kopf. Er hatte enormes Glück gehabt.<br />
Oder enormes Pech. Er lauschte den Rufen der Mannschaft.<br />
Schließlich drehte er sich um und schaute zu dem kleinen<br />
Basislager zurück, einer erbärmlichen Ansammlung von<br />
Rettungskapseln und Menschen.<br />
Die Meisten standen oder saßen in kleinen Gruppen<br />
zusammen, einige hatten ein Feuer entfacht und versammelten<br />
sich darum, denn in der Nacht sanken die Temperaturen auf<br />
der Oberfläche offenkundig rapide. Wieder Andere versuchten<br />
ein Lazarett zusammenzuschweißen, oder an Notrufsendern zu<br />
arbeiten. Howard wusste, dass es vergebene Mühe war. Hilfe<br />
würde sie ohnehin keine mehr erreichen – weil sie sich<br />
nämlich in einem der gottverlassensten Ecken des Universums<br />
befanden.<br />
Und Nechayev hatte schon wieder Abkürzungen genommen<br />
und war Risiken eingegangen. Das war die Situation, die King<br />
am meisten fürchtete. Er kannte Nechayev schon seit einer<br />
Weile, seit der Zeit, als er sich damals von Farnham<br />
verabschiedet und selbstständig gemacht hatte, somit noch<br />
frischgebackener Unternehmer und ein vielversprechender<br />
Techniker gewesen war. Seine Doktorarbeit hatte King mit<br />
Resonanzkammern gemacht. Er war zu einer Zeit mit seinem<br />
Unternehmen gestartet, als das Interesse an diesem Markt<br />
noch groß gewesen war, weil man hoffte, den Schlüssel zur<br />
Beständigkeit der höchst instabilen Protomaterie mithilfe der
Resonanzkammern zu finden. Es kam zu einem Wettrennen<br />
zwischen den privaten Firmen, der Sternenflotte und den<br />
Klingonen.<br />
Ursprünglich lag Kings Firma vorne, sie hatten hervorragende<br />
Ergebnisse erzielt. Sein Name war in allen Fachzeitschriften.<br />
Er hatte ein eigenes, großes Labor, ein großes Budget und<br />
talentierte Mitarbeiter.<br />
Doch plötzlich und unvermittelt, hatte er den Boden unter den<br />
Füßen verloren, als der Hauptwissenschaftsplanet Sinder II<br />
und mit dem Planeten sein Hauptlaboratorium in die Luft<br />
geflogen war. Und mit dem Labor die ganzen<br />
Arbeitsergebnisse. Binnen weniger Wochen hatte King alles<br />
verloren. Er zog verzweifelt in ein kleineres Labor um und<br />
versuchte sich schnell dem ebenfalls unberechenbaren, aber<br />
wertvollen Element zweihundertsechsundvierzig zuzuwenden.<br />
Aber King hatte sein früheres Selbstvertrauen verloren und<br />
seine Firma ging allmählich den Bach runter. Er versuchte<br />
sogar zu Farnham zurückzukehren, aber der Leiter der Firma –<br />
Enrico Jensen - hatte ihm die Tür vor der Nase zugeworfen. Es<br />
war die dunkelste Zeit seines Lebens. Doch dann schlug eine<br />
gewisse Alynna Nechayev vor, gemeinsam zu Mittag zu<br />
essen.<br />
Admiral Nechayev hatte einen unvergleichlichen Ruf. Sie war<br />
allgemein, als „Puppenspielerin“, bekannt, weil sie ihre Finger<br />
nicht nur in legalen Dingen zu haben schien und ordentlich<br />
manipulierte. Nachgewiesen konnte ihr aber noch nie etwas<br />
werden. In früheren Jahren hätte King sich nie zusammen mit<br />
ihr sehen lassen, zumal er für der Sternenflotte ohnehin nicht<br />
viel übrig hatte. Aber nun gestattete er Nechayev, ihn in ein<br />
teures Restaurant in Tycho-City auf dem Erd-Trabant<br />
einzuladen. Zur Mittagszeit hielten sich hier nicht viele Leute<br />
auf. Sie saßen in einer kleinen, versteckten Nische, an einem
eiten Panoramafenster, dessen Aussicht auf den blauen<br />
Mond und der sichelförmigen Erde dahinter einfach<br />
phantastisch war.<br />
„Forschung ist schwer.“, sagte Nechayev mitfühlend.<br />
„Das können Sie laut sagen.“, erwiderte King und stocherte in<br />
seinen Nudeln.<br />
„Schwer und Riskant.“, sagte Nechayev. „Tatsache ist, dass<br />
innovative Forschung sich selten sofort bezahlt macht. Aber<br />
begreift das die Leitung der Sternenflotte? Oder der zivilen<br />
Forschungsabteilung? Nein. Wenn Forschung nicht sofort das<br />
gewünschte Ergebnis bringt, zieht man Leute wie Sie zur<br />
Verantwortung, nicht wahr King? Und wenn die Forschung<br />
verschwindet, nimmt man ihnen ihre Mittel, habe ich recht?<br />
Das ist doch nicht fair.“<br />
„Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Admiral.“<br />
„Alynna. Alynna reicht.“<br />
„Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Alynna.“, korrigierte<br />
King.<br />
„Aber so läuft es.“ Nechayev zuckte mit den Schultern und<br />
spießte ein Blattsalat auf.<br />
King schwieg.<br />
„Ich persönlich bin bereit Risiken einzugehen, auch wenn ich<br />
damit nicht mit den Sternenflottenstatuten konform gehe.“,<br />
fuhr Nechayev fort. „Und originelle Arbeit ist immer riskant.<br />
Die meisten neuen Ideen sind schlecht, und der grossteil<br />
origineller Arbeit geht in die Hose, oder wird erst gar nicht<br />
erlaubt. Das ist nun mal die Realität. Wer sich zu innovativen<br />
Forschungen hingezogen fühlt, muss mit Fehlschlägen<br />
rechnen. Das ist okay an der Sternenflotten-Akademie, oder in<br />
der Sternenflotte selbst, wo man für Fehlschläge sogar noch<br />
gelobt wird, aber in der freien Industrie, wo Sie arbeiten?<br />
Nein, nein. Es bringt einen meistens in Schwierigkeiten. Und<br />
in denen stecken Sie ja im Augenblick, mein Lieber.“<br />
King schüttelte verzweifelt den Kopf. „Was soll ich denn
tun?“<br />
Nechayev beugte sich interessiert vor. „Nun, ich habe da eine<br />
ganz eigene Methodik, gute Ideen zu fördern. Ich nenne es<br />
visionäre Forschung und Technologieentwicklung. Einige<br />
Dinge sind für die Sternenflottenstatuten zu... sagen wir<br />
pikant. Die Entwicklung von Verteidigungsanlagen.<br />
Waffenforschung – nur als Beispiel genannt. So etwas beim<br />
Flottenkommando durchzubringen ist auf manchen Gebieten<br />
zu schwierig. Auch die Energieforschung fällt darunter. Hätte<br />
es die Sternenflotte zu Zefram Cochrans Zeiten schon<br />
gegeben, wäre dem Experimentieren mit Antimaterie wohl<br />
niemals zugestimmt worden. Meine Methodik ist, die privaten<br />
Firmen zu unterstützen. Oder sie unterstützen mich ein wenig,<br />
mit Forschungsgegenständen und Know-How – je nach Fall.<br />
Den Ruhm können dann die Firmen einsammeln, mir geht es<br />
nur um den Erhalt von Forschungsergebnissen.“<br />
King war verblüfft über die unverblümte Art, mit der<br />
Nechayev auf eine interessante Methode zugab, dass sie sich<br />
nicht ganz an die Sternenflottenregeln hielt und sogar<br />
Betriebsspionage für sie durchführte. Ja, sie nahm sich die<br />
Arbeiten von anderen Leuten.<br />
Er stocherte eine Weile in seinem Essen. „Warum erzählen Sie<br />
mir das?“<br />
„Weil ich ihn ihnen etwas sehe.“, sagte Nechayev. „Ich sehe<br />
Ehrgeiz. Frustrierten Ehrgeiz. Und ich sage ihnen, Howard,<br />
Sie müssen nicht frustriert sein. Und es muss auch nicht sein,<br />
dass ihre Firma den Bach runtergeht. Doch genau das wird<br />
passieren, wenn sie genauso weitermachen wie bisher. Wie alt<br />
ist ihr Sohn?“<br />
„Vier.“<br />
Nechayev seufzte. „Es ist nicht einfach mit einer so jungen<br />
Familie. Aber ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen. Sie<br />
arbeiteten schon länger mit Resonanzkammern, nicht wahr?“<br />
„Ja, meine Firma hat sie hergestellt und verbessert. Aber das
ist fehlgeschlagen, der Absatzmarkt hat sich anderen Dingen<br />
zugewandt, speziell auf dem Gebiet der Protomaterie. Die<br />
Resonanzkammern wurden trotz ihrer vielschichtigen<br />
Einsetzbarkeit von starren Harmonikkammern abgelöst, die<br />
speziell auf Protomaterie zugeschnitten sein müssen. Und…<br />
na ja, wir bekommen sie einfach nicht hin. Mit den<br />
Resonanzkammern kennen wir uns aus, aber damit? Ich<br />
wüsste nicht, wie das meine Firma retten könnte.“<br />
„Dann passen Sie gut auf, was ich ihnen nun vorzuschlagen<br />
habe.“<br />
Zwei Wochen später hatte Howard mit Alynna Nechayev<br />
zusammengearbeitet. Sie hatte ihn mit Geldern versorgt und er<br />
hatte ihr eine Resonanzkammer gebaut, wie sie sonst nirgends<br />
erhältlich war. Bei ihrer intensiven Zusammenarbeit in den<br />
vergangenen Monaten, hatte King all Seiten Nechayevs<br />
kennen gelernt – die charismatische, die visionäre, aber auch<br />
die dunkle, skrupellose Seite. King redete sich ein, dass er gut<br />
mit der skrupellosen Seite umgehen, sie in Schach halten<br />
konnte, dass er das im Laufe der vergangenen Monate gelernt<br />
hatte. Aber manchmal war er sich da nicht so sicher. Wie jetzt<br />
in diesem Augenblick. Denn hier waren sie, auf einem fernen<br />
Mond gestrandet, irgendwo in den tiefsten unerforschten<br />
Territorien des cardassianischen Raumes, wo selbst die noch<br />
nie ihre Flagge gehisst hatten.<br />
Nechayev hatte ein Spiel gespielt und hatte es verloren. Ob<br />
Rettung kommen konnte, wusste King nicht. Aber er war sich<br />
sicher, dass sie länger als nur ein paar Tage dauern würde. Er<br />
scharrte mit den Schuhen im Sand und ging zurück zum<br />
Lager, wo er etwas abseits davon Nechayev erspähte. „Hören<br />
Sie.“, sagte King. „Wir müssen uns unterhalten.“<br />
„Über was?“
„Über das hier.“ Nechayev blickte sich kurz verschwörerisch<br />
um. Nickte dann und deutete auf die Ebene, weg vom Lager.<br />
„Was haben Sie auf dem Herzen?“<br />
Und sie lächelte. Dieses charmante Lächeln.
Fluchtkapsel 13<br />
Auf einen Mond zu stoßen, dessen Name auf keiner Karte<br />
verzeichnet war, das war im Weltraum an sich nichts<br />
ungewöhnliches. Schon gar nicht hier, in einem Winkel des<br />
cardassianischen Territoriums, wo viele gar nicht wussten dass<br />
er existierte, geschweige denn, wo er lag. Aber rein gar nicht<br />
zu wissen, wo dieser Mond lag und wo auf diesem Mond sie<br />
sich nun überhaupt befanden, dass erschütterte O’Conner bis<br />
in die tiefsten Tiefen seiner irischen Seele. Das war aber nicht<br />
das beunruhigende.<br />
Das wirklich beunruhigende waren die Gestalten, die sie vor<br />
wenigen Minuten in der Nacht entdeckt hatten und die sich<br />
langsam den Hang hinunter, mit Fackeln in der Hand auf ihre<br />
Rettungskapsel zubewegten.<br />
O’Conner warf einen kurzen Blick zu seinen Leuten. Sie<br />
hatten das Feuer erlischt und kauerten nun vor der<br />
Rettungskapsel, versuchten mit zugekniffenen Augen etwas zu<br />
erkennen. „Was sind das für welche?“, murmelte Tessler<br />
angespannt. „Freundlich? Feindlich?“<br />
„Sehen feindlich aus.“, meinte Spiers.“<br />
„Der Schein könnte trügen.“, sagte O’Conner und atmete tief<br />
ein. „Ich gehe hin und rede mit ihnen.“<br />
„Hälst du das für eine gute Idee?“, fragte Spiers neben ihm.<br />
„Haben wir denn eine Wahl? Die haben uns längst entdeckt.<br />
Sieh genau hin, Ron. Wer immer sie sind, sie kommen direkt<br />
auf uns zu. Füher oder später werden wir mit ihnen reden<br />
müssen und um Missverständnissen vorzubeugen, sollte das<br />
früher als später geschehen. Auch wenn’s nicht verlockend<br />
erscheint.“
O’Conner wollte aufstehen, aber Spiers kräftige Hand auf<br />
seiner Schulter drückte ihn wieder herab. Gleichzeitig stand<br />
der Sicherheitsoffizier selbst auf. „Ich gehe.“<br />
„Ron, deine Sorge ist schmeichelhaft, aber-“<br />
„Die Crew braucht dich. D’Agosta braucht dich. Ich gehe. Nur<br />
für den Fall der Fälle.“<br />
Die Gestalten waren wieder nähergekommen. Vielleicht<br />
achtzig Meter, schätzte O’Conner. Vielleicht weniger.<br />
„Ron-“<br />
Aber Spiers war bereits mit festem Schritt losmarschiert. Die<br />
Nacht war ruhig. Irgendwo Zirpte eine Zikade.<br />
„Das gefällt mir nicht.“ sagte Tessler.<br />
„Vielleicht sollten wir verschwinden.“<br />
„In der Nacht?“, fragte O’Conner? „Und das, wo wir vorhin<br />
die Raubtiere, diese Tiger entdeckten?“ Er brummte. „Ohne<br />
Waffen und Orientierungsmittel, sind wir hier an der Kapsel<br />
genauso gut oder schlecht aufgehoben, wie in der Ödnis.“<br />
Spiers hatte die lederngekleideten Gestalten erreicht und blieb<br />
stehen, aber er kam nichteinmal dazu, den Mund zu öffnen.<br />
Eine Frau in der ersten Reihe zog kommentarlos ein Gewehr<br />
und Schoss Spiers nieder. Der Knall war ohrenbetäubend.<br />
Spiers lebloser Körper sackte zur Seite und klatschte auf den<br />
Boden wie ein nasser Sack.<br />
Das alles geschah so schnell und so undramatisch, dass<br />
O’Conner geschlagene fünf Sekunden einfach dastand und aus<br />
fassunglsos aufgerissenen Augen auf die Uniform seines<br />
Freundes starrte, unter der eine dunkle Blutlache entstand.<br />
Dann geschah alles gleichzeitig, rasend schnell. In den<br />
Händen der gut fünf Mann, die plötzlich losrannten und dabei<br />
ein markerschütterndes Gebrüll anstimmten, erschienen<br />
plötzlich primitiv anmutende, aber zweifellos wirksame<br />
Gewehre und Pistolen.<br />
Jemand brüllte: „Da ist er, schnappt ihn euch!“
Und O’Conner erkannte, dass sie hinter ihm her waren und<br />
offenbar genau wussten, wer er war und wie er auszusehen<br />
hatte.<br />
Das alles passierte innerhalb eine Sekunde. In der zweiten<br />
Sekunde stolperte O’Conner, stürzte zu Boden und rappelte<br />
sich wieder auf. Er lief zusammen mit Tessler zur Kapsel und<br />
versuchte Martin und B’Sogg zu wecken und aus der Kapsel<br />
zu zerren, wobei O’Conner erneut stürzte. Er sah über die<br />
Schulter und stellte schockiert fest, dass die Angreifer fast bei<br />
ihnen waren. O’Conner ballte die Fäuste, brüllte seinerseits<br />
und rannte ihnen entgegen. Er hoffte sie aufhalten zu können,<br />
hoffte, dass sie richtig kämpfen würden und das er ihnen dann<br />
in den Hintern treten und Spiers rächen würde. Hauptsache er<br />
verschaffte Tessler Zeit.<br />
Er holte ordentlich Schwung und lies die Faust fliegen, doch<br />
der erste der Typen tauchte gekonnt unter seinem Schlag<br />
hindurch, prallte gegen O’Conner und warf ihn zu Boden. Und<br />
dann fielen sie über ihn her.
Geräusch<br />
„Fahren sie Captain O`Conner holen.“<br />
Allan D’Agosta lehnte sich an die Streben des Jeeps und sah<br />
Penkala an, der auf dem Platz des Fahrers saß. Er und Dike<br />
hatten den Jeep sozusagen für sich annektiert und niemand<br />
sprach sich dagegen aus.<br />
„D’Agosta.“, sagte Penkala ruhig. „Ich hab’s doch schon<br />
erklärt, wir können erst los, wenn es hell ist. Die Energiezellen<br />
des Jeeps müssen erst wieder aufladen.“<br />
D’Agosta seufzte. „Sind wie wirklich leer?“<br />
„Ist fast alles aufgebraucht.“, nickte Penkala. „Hier sehen<br />
Sie.“ Er tippte auf die schwächlich glühende Energieanzeige<br />
an den Armaturen. Der Ladebalken war beinahe völlig<br />
erloschen. „Das reicht bei aktivierten Scheinwerfern höchstens<br />
noch für zwei Kilometer. Vielleicht drei. Aber dann ist auch<br />
schon Schluss. Tut mir leid.“<br />
„Schon okay.“ D’Agosta wirkte enttäusch.<br />
„Ist Nechayev wieder auf Wanderschaft?“, fragte Penkala.<br />
Allan nickte. „Wissen Sie, ich könnte Captain O’Conner hier<br />
wirklich brauchen.“<br />
„Kann ich verstehen. Wir werden gleich morgen früh<br />
losfahren, ihn suchen und abholen.“ Er sah über die Schulter<br />
zu den Bergen in dessen Sichelförmigen Tal die Absturzstelle<br />
der Kapseln lag. Dann drehte er sich wieder rum. „Wir haben<br />
ja jetzt grob seine Richtung. Glauben Sie mir, niemand will<br />
mehr als ich, dass O’Conner hier ist, Nechayev in den Wind<br />
schießt und sie dann ablöst, aber es geht nicht.“<br />
D’Agosta sah auf, als sich Schritte näherten.
„Ist doch alles halb so wild.“, sagte Manilow Crocker. Er hatte<br />
sich einen großen Beutel, ausgefüllt mit allerhand Notrationen<br />
umgeschnallt und versuchte die Leute ein wenig aufzuheitern,<br />
in dem er die Nahrung in den Reihen der Offiziere verteilte.<br />
Die Meisten waren sehr dafür. Und Crocker’s brummige, aber<br />
gleichzeitig sympathische Art tat ihr übriges.<br />
„Meinen sie?“, fragte Allan und nahm eine der verschweißten<br />
Tüten entgegen. Auf der Packung stand Truthahnkruste.<br />
„Meine ich.“, nickte Crocker. „Die Sternenflotte wird sofort<br />
ein Schiff zu uns schicken, sobald die merken, dass wir uns<br />
nicht melden. Ein paar Tage vielleicht, dann werden sie längst<br />
da sein. Und bis dahin sollten wir das ganze als ungeplante<br />
Campingtour betrachten.“<br />
„Wohl eher eine katastrophale Campingtour.“, schnaufte<br />
Penkala.<br />
„Wann sind Campingtouren nicht katastrophal?“, entgegnete<br />
Crocker und reichte auch ihm eine Tüte.<br />
„He!“, machte er, als Allan in die Tasche langte und sich ein<br />
zweites und ein drittes Paket nahm. „Keine<br />
Sonderbehandlungen.“<br />
„Die hier ist für Judy und diese hier ist für meinen<br />
Schutzengel.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und suchte<br />
das Lager nach einer bestimmten Person ab. Er fand die<br />
blonde Frau abseits der anderen auf einem Stein sitzen und das<br />
Schwert polierend.<br />
Sie sah auf, als D’Agosta ihr eine der Notrationen raschelnd<br />
vors Gesicht hielt. Ihr Blick wechselte zwischen Allan und der<br />
silbernen Tüte. Dann lächelte sie, steckte das Schwert zurück<br />
in das Futtertal und legte es sorgfältig neben sich auf den<br />
Boden, wo auch ihr Rucksack stand. Jetzt, wo er in Ruhe<br />
einen Blick darauf werfen konnte, stellte D’Agosta fest, dass<br />
es sich dabei um kein Sternenflottenmodell handelte. Auch<br />
ihre schweren Stiefel gehörten nicht zur allgemeinen<br />
Kleiderordnung.
Sie nahm die Ration entgegen. „Danke sehr.“<br />
„Nicht doch. Eigentlich bin ich ja hier, damit ich mich bei<br />
ihnen bedanken kann, nicht umgekehrt.“ Er deutete auf die<br />
freie Fläche neben ihr. „Darf ich?“<br />
Die Frau zuckte nur mit den Schultern, sagte aber nichts.<br />
D’Agosta war sich nicht ganz sicher, ob es ihr wirklich recht<br />
war, dass jemand den Kontakt zu ihr suchte, aber er setzte sich<br />
trotzdem.<br />
„Wie gesagt, ich wollte mich bei ihnen bedanken. Weiß nicht,<br />
ob ich Judy aus dem brennenden Quartier bekommen hätte,<br />
wenn Sie nicht gewesen wären. Sie und ihr Schwert.“<br />
Sie lächelte, entblößte perlweise Zähne. „Ist schon okay.“<br />
„Dabei weiß ich nicht mal, wie Sie heißen...“, sagte D’Agosta.<br />
Zu seiner Enttäuschung unternahm die Frau keinerlei<br />
Anstalten ihm ihren Namen zu verraten, sagte nur „Aha“ und<br />
riss die Tüte auf.<br />
Also probierte er eine andere Taktik und reckte ihr die offene<br />
Hand entgegen. „Ich bin Allan. Allan D’Agosta.“<br />
Die Frau schien zu zögern, ernsthaft darüber nachzudenken,<br />
ob sie ihren Namen preisgeben sollte, schüttelte ihm dann aber<br />
doch die Hand. „Shannyn. Shannyn Bartez.“<br />
D’Agosta horchte auf. „Kommt mir bekannt vor.“<br />
„Das höre ich leider öfters.“ Sie zuckte mit den Schultern.<br />
„Schätze es geht Leuten, die durch eine Verkettung von<br />
Zufällen und Verwandtschaftsgraden den Namen Kirk,<br />
Archer, oder Sisko tragen, ganz ähnlich.“<br />
„Hm.“, machte Allan. „Ich habe den Namen auch noch nie auf<br />
einer der Passagierlisten gesehen. Von ihrem Gesicht ganz zu<br />
schweigen.“<br />
„Ich bin neu an Bord.“, sagte Shannyn knapp.<br />
„Auf Deep Space Nine zu uns gestoßen?“<br />
Shannyn griff in die raschelnde Tüte, brach einen Brocken des<br />
keksartigen Inhalts ab und kaute darauf herum. „Genau.“
D’Agosta machte ein nachdenkliches Gesicht. „Okay, das ist<br />
einleuchtend. Die Personalakten der Neuzugänge habe ich<br />
noch nicht geprüft. Was hat Sie denn ausgerechnet auf die<br />
<strong>Shenandoah</strong> verschlagen?“<br />
Ein Schatten huschte über ihr attraktives Gesicht. „Ich muss<br />
mich meinem Schicksal stellen.“<br />
„Hm.“, machte Allan erneut. „Wo waren Sie vorher?“<br />
„Hier und dort.“<br />
Schweigen.<br />
„Und wo waren Sie genau?“<br />
Sie lächelte und sah zu ihm herüber.<br />
Tolle, blaue Augen. „Ist das eine Befragung?“, wollte sie<br />
wissen.<br />
Er lächelte ebenfalls. „Vielleicht.“<br />
„Ich bin ein wenig im Universum umhergetingelt. Hab diverse<br />
Orte und Planeten untersucht... War eben hier und dort.“<br />
„Oh, Abenteurerin?“<br />
„Abenteuererin, Wissenschaftlerin...“ Shannyn zuckte knapp<br />
mit den Schultern. „Manch einer würde mich sicher auch als<br />
Grabräuber bezeichnen. Kommt wohl ganz drauf an, mit wem<br />
sie sich unterhalten.“ Im Lager erklang fröhlicher Jubel, als es<br />
den Leuten endlich gelang, mit der Restenergie eines Phasers<br />
ein großes, nützliches Lagerfeuer zu entfachen.<br />
„Wissenschaftlerin, also.“, sagte D’Agosta. „Welches<br />
Fachgebiet?“<br />
Shannyn schürzte die Lippen. „Paläontologie, Anthropologie...<br />
einfach alles was mit ologie endet. Gelegentlich widme ich<br />
mich auch der Raubtierforschung, aber meine größte Passion<br />
ist sicherlich die galaxisweite Archäologie.“<br />
„Das sind ne Menge Interessen.“, sagte D’Agosta beeindruckt.<br />
„Ist ja auch ein großes Universum in dem es viel zu entdecken<br />
gibt.“<br />
„Machen Sie das schon lange?“
„Eine ganze Weile, ja. Seit über zwölf Jahren schon. Und seit<br />
meiner Doktorarbeit vor Zehn Jahren ununterbrochen.“<br />
„Interessant.“, entgegnete D’Agosta kopfnickend. „Und dann<br />
haben Sie sich zum Wechsel in die Kommandolaufbahn<br />
entschieden? Als Wissenschaftler bekommt man kein eigenes<br />
Kommando, stimmt’s.“<br />
„Denke schon.“<br />
„Wollen Sie denn eins? Ein eigenes Kommando, meine ich.“<br />
Shannyn atmete schwer, tat sich mit der Antwort auf diese<br />
Frage offenbar schwer. „Eigentlich war das ja nie mein Ziel.<br />
Ganz im Gegenteil sogar. Aber in letzter Zeit... Meinungen<br />
ändern sich eben.“<br />
„Hm.“<br />
Eine kleine Pause entstand.<br />
Dann sagte D’Agosta. „Ich strebte nie eins an.“<br />
„Warum tragen Sie dann die rote Uniform?“<br />
Er machte eine vage Geste. „Ich wollte zurück in den aktiven<br />
Dienst. Ursprünglich wieder als Offizier an der Ops, aber ich<br />
glaube Captain O’Conner dachte, mir etwas gutes zu tun mit<br />
dieser Uniform und der Beförderung.“<br />
„Hat er etwas gutes getan?“<br />
„Nicht wirklich.“, erwiderte D’Agosta niedergeschlagen.<br />
„Sonst wäre ich kaum auf dem Mond hier, oder?“ Er lächelte<br />
sanft. „Aber davon abgesehen auch nicht. Ich habe die Stelle<br />
für mich angenommen. Anfangs auch für Judy. Es geschah in<br />
den besten Absichten, endete aber in einer Katastrophe.“<br />
„Sie sind ein junger Vater.“, stellte Shannyn fest.<br />
D’Agosta nickte. „Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Judy<br />
war nicht unbedingt ein Wunschkind. Wie gesagt, nicht falsch<br />
verstehen. Ich liebe Sie über alles, aber die Kleine kam aus<br />
heiterem Himmel, wenn Sie so wollen. Schwupps, da war Sie.<br />
Das hatten wir nicht unbedingt geplant. Offen gestanden, traf<br />
mich das sogar sehr unvorbereitet.“<br />
„Wo ist ihre Frau?“
D’Agostas Gestalt erschlaffte einen Moment. „Debbie starb<br />
vor einigen Jahren.“<br />
„Das tut mir leid.“, meinte Shannyn mitfühlend.<br />
In der Ferne stoben blitzartig dreiköpfige Vögel überall auf<br />
und flatterten kreischend davon.<br />
„Ja. Ich hoffe, dass wir den Aufenthalt auf der Oberfläche hier<br />
überstehen.“<br />
Er sah auf, als Shannyn ihr eine Hand auf die Schulter legte<br />
und sehr ernst sagte: „Ich bringe Sie und ihre Tochter hier<br />
durch. Versprochen.“<br />
Er wollte etwas erwidern, als plötzlich ein krachend lautes<br />
Geräusch erklang.<br />
So laut, so furchtbar laut.<br />
D’Agosta erschrak und fuhr zusammen. Er drehte den Kopf<br />
Richtung Ebene, von wo das Geräusch dröhnte. Was immer<br />
das war, er konnte es nicht einordnen. Es klang beinahe...<br />
beinahe wie ein merkwürdiges Nebelhorn. Ein unirdischer<br />
Schrei, wie er ihn noch nie zuvor vernommen hatte. Und so<br />
laut!<br />
Es war furchterregend. Mehr Vögel flatterten panisch davon.<br />
„Was ist das?“, fragte D’Agosta.<br />
Shannyn neben ihm, sagte nichts. Die Menschen im Lager<br />
liefen nervös aus den Kapseln ins freie, sahen sich verwirrt an<br />
und starrten entsetzt in die Ebene.<br />
„Was ist los?“<br />
„Hast du das gehört?“<br />
„Ich weiß nicht.“<br />
„Dike, was ist das?“<br />
Der Ton des Nebelhorns begann von mehr als einer Richtung<br />
aus der Ebene zu kommen. Als nächstes bebte die Erde unter<br />
ihren Füßen. Und dann – Allan konnte kaum glauben, was er<br />
in der Dunkelheit sah – hob etwas gewaltiges das Erdreich an.<br />
Mindestens einen halben Kilometer hoch. Die Erde blähte sich<br />
auf, als sei unter ihr ein gigantischer Ballon, den jemand
aufblies. Und dann schrumpfte er wieder zusammen. Es<br />
wälzte ein bestimmtes Gebiet in der Ebene komplett um. Das<br />
Beben hörte zeitgleich mit dem Geräusch auf. Alles beruhigte<br />
sich. Die Nacht war wieder still.<br />
„Wow.“, sagte Shannyn. Und dann hörte sie Allan sagen: “Wo<br />
ist Judy?”
D’Agosta<br />
Der Türmelder summte. „Ich komme sofort.“ Allan D’Agosta<br />
war hinter den aufgestapelten Berichten und Arbeiten auf<br />
seinem Schreibtisch fast gar nicht zu sehen. Er seufzte, schob<br />
das Computerterminal beiseite und stand auf. Während er zur<br />
Tür ging, nahm er einen der zahlreichen Datenblöcke mit und<br />
sah auf die Überschrift.<br />
FRACHTABTEILUNG, Alex Penkala, Frachtgutverlegung<br />
aus Frachtraum vier.<br />
Das Datum war von letzter Woche. Es ging um Torpedos, die<br />
endlich an die Sicherheitszentrale ausgestellt werden sollten.<br />
Ein Bericht, der längst hätte fertig werden müssen. Er seufzte<br />
und warf einen Blick auf das Chronometer. Viertel vor Acht,<br />
Abends. Wer mochte um die Uhrzeit zu ihm kommen. Floyd?<br />
Er betätigte den Türöffner und sah zu seiner Überraschung,<br />
dass Sicherheitschef Ronald Spiers davor stand. Sehr zu<br />
Allans Verdruss hielt er Judy vor sich. Sie trug ihre braune<br />
Jacke, verdrehte fortwährend die Augen und schmollte.<br />
„O Nein.“, stöhnte Allen. „Judy. Schon wieder?“<br />
„Es ist kaum was passiert.“<br />
„Wenn kaum etwas passiert ist, würde ich gerne wissen,<br />
warum sich ein Sicherheitsoffizier in deiner Begleitung<br />
befindet.“<br />
„Ach, vergiss es einfach, Dad.“ Sie schob sich aufgebracht an<br />
ihm vorbei und stapfte ins Badezimmer.<br />
„Was.. was hat sie angestellt?“<br />
„Wir haben sie im Haupthangar erwischt, wie sie gerade eines
der Runabout’s für eine kleine Spritztour entwenden wollte.<br />
Zum Glück hat sie dabei einen erheblichen Defekt an den<br />
Andockklammern ausgelöst. Die klemmen jetzt erst mal und<br />
die Techniker bekommen das Ding irgendwie nicht los.<br />
Könnte noch ein paar Stunden dauern, bis sie rausgefunden<br />
haben, wie sie das beheben.“<br />
D’Agosta seufzte. „O nein.“<br />
„Allan, dies ist jetzt das vierte Mal, allein in dieser Woche.<br />
Wenn das so weitergeht, muss ich zusätzliches Sicherheitspersonal<br />
einstellen, dessen Vollzeitaufgabe es ist, einzig und<br />
allein auf ihre Tochter aufzupassen.“<br />
„Es... es wird nicht wieder vorkommen.“<br />
Spiers schien wenig überzeugt. „Na sicher.“<br />
Allan seufzte erneut. „Danke, Ron.“<br />
„Kein Problem.“ Er schlug D’Agosta freundschaftlich gegen<br />
die Schulter und trat dann zurück in den Korridor. Die Tür<br />
schloss sich zischend hinter ihm und Allan und Judy waren<br />
allein. Sie kam gerade aus dem Bad, er drehte sich zu ihr um.<br />
„Was hast du dir nur dabei gedacht?“<br />
„Mach nicht gleich wieder nen Aufstand, ja? Ich wollte nur<br />
eine kleine Runde drehen.“<br />
„Andere Kinder-“<br />
Judy hob warnend den Finger. „Lass andere Kinder da raus.<br />
Andere Kinder in meinem Alter können längst ein Runabout<br />
fliegen und wenn du es mir inzwischen beigebracht hättest,<br />
wie du es erst kürzlich versprochen hast, wäre das erst gar<br />
nicht erst passiert.“<br />
„Du weißt, dass ich momentan viel Arbeit habe und-“<br />
Judy verschränkte beleidigt die Hände vor der Brust. „Ja ja,<br />
blabla. Das alte Lied.“<br />
„Judy, was ist denn nur mit dir los?“<br />
„Herrgott, ich wollte mir nur ein wenig Spaß gönnen.“<br />
Er wandte sich kopfschüttelnd um und ging zurück zu seinem<br />
Schreibtisch. „Spaß? Judy, du bist auf einem Raumschiff-„
„Dieses Schiff ist scheiße!“ Sie rannte hinter ihm her. „Dad,<br />
ich wollte nicht so früh gehen. Ich wollte überhaupt nicht<br />
gehen!“<br />
„Das haben wir doch längst besprochen!“<br />
Judy wurde lauter: „Wir haben überhaupt nichts besprochen,<br />
Dad. Du hast eine Entscheidung für uns beide gefällt und mich<br />
gewaltsam meiner gewohnten Umgebung entrissen. Du hast<br />
mich gekidnappt.“<br />
„Jetzt übertreibst du.“<br />
Sie deutete zum Fenster hinaus. „In die endlosen Tiefen des<br />
Alls verschleppt hast du mich, jawohl! Gegen meinen Willen.“<br />
D’Agosta öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Judy<br />
lies ihm keine Chance. Jetzt kam sie offenbar erst so richtig in<br />
Fahrt. „Ich hab in den vergangenen fünf Jahren alles verpasst!<br />
Und jetzt wurde ich hierher entführt, damit ich in den nächsten<br />
zehn Jahren auch noch alles verpasse.“<br />
„Judy-“<br />
„Ich musste alles aufgeben und du hast mir nicht einmal Zeit<br />
gelassen, um mich von meinen Freunden, um mich von<br />
meinem Leben zu verabschieden.“ Sie stürmte in ihr Zimmer.<br />
„Judy-“ Allan rannte ihr hinterher. Judy schlug von ihnen auf<br />
die piependen Türkontrollen. Die Türhälften stoben vor Allan<br />
zusammen, fast wäre er dagegen gelaufen.<br />
Er betätigte den Türöffner. Nichts geschah. Die Tür war von<br />
innen verriegelt.<br />
„Judy, mach die Tür auf.“<br />
Keine Reaktion.<br />
„Judith D’Agosta mach sofort-“<br />
Judy drehte ihre Anlage auf. Gedämpfte Rockmusik dröhnte<br />
D’Agosta entgegen. Für ihn ein klares „Nicht stören“-Zeichen.<br />
Nun hatte er keine Chance mehr zu ihr zu kommen. Sie würde<br />
sich in ihr Zimmer einsperren, bis er alt und grau war. Allan<br />
schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und spürte ein<br />
heftiges Pochen hinter den Schläfen. Jetzt benötigte er Hilfe.
Wissenschaftsoffizier Floyd Castors Quartier befand sich auf<br />
der anderen Seite des Korridors. Die grauen Wände waren<br />
tapeziert mit Blaupausen, Klemmbrettern mit etlichen,<br />
Kritzelnotizen und kryptischen Ausdrucken von langen<br />
Diagrammen.<br />
Elektronische Komponenten, Ausrüstungsgegenstände und<br />
Stapel Wissenschaftsmagazine türmten sich überall in dem<br />
mittelgroßen Raum. Floyd Castor rannte durch das Chaos und<br />
suchte irgendetwas bestimmtes.<br />
Castor war ein unkonventioneller, dynamischer Typ und Mitte<br />
dreißig. Ein in vielerlei Hinsicht leicht zerstreuter, aber dafür<br />
intelligenter Wissenschaftler, der vielleicht nicht die Brillanz<br />
einer Rhonda Smith aufwies, sich jedoch äußerst hartnäckig in<br />
eine Sache verbeißen konnte, bis er sie schließlich bewältige.<br />
Aber die meiste Zeit seines Lebens war er wohl einfach damit<br />
beschäftigt, Gegenstände zu suchen, die er verlegt hatte.<br />
Außerdem sah Castor verboten gut aus – für einen Wissenschaftler.<br />
Braune Augen, dunkles Haar, markante Züge – man<br />
hätte annehmen können, dass ihm die Frauen zu Füßen lagen,<br />
aber dem war nicht so. Es schien Castor aber auch in keinster<br />
Weise zu kümmern.<br />
„Floyd, ich will dich aber nicht stören.“<br />
Castor wühlte in einem Pappkarton und zog schließlich einen<br />
zerkratzten Tricorder hinaus. Dann schüttelte er den Kopf und<br />
sah zu D’Agosta hinüber, der sich auf seiner Couch einen<br />
kleinen freien Platz geschaffen hatte und nach vorne gebeugt<br />
die Finger knetete. Er war vor zwei Minuten völlig aufgewühlt<br />
hineingekommen – Familienprobleme.<br />
„Nicht doch, geht schon in Ordnung.“<br />
„Hast du denn keinen Dienst auf der Brücke?“<br />
„Ich?“, fragte Castor erstaunt und berührte mit den Händen<br />
seine Brust. „Nein. Das hat inzwischen Doktor Smith
übernommen, du weißt schon. Die Brünette, die was mit<br />
Hawk hat. Sie ist nun leitender Wissenschaftsoffizier.“<br />
„Kränkt dich das nicht?“, fragte D’Agosta.<br />
„Ne, keine Sorge. Es ist in Ordnung, wirklich. Letztlich bin<br />
ich sogar viel Glücklicher. Ist schon eine feine Sache, wenn<br />
die Forschungsprojekte nicht vom langweiligen Brückendienst<br />
unterbrochen werden. Obendrein ist Smith wirklich eine<br />
bessere Wahl.“<br />
„Sag nicht so was.“<br />
„Doch, das ist sie definitiv. Ich weiß nicht, wie sie es macht,<br />
Allan. Unsereins muss unzählige Wochen lernen, monatelang<br />
forschen und so weiter. Aber Smith schaut einmal über eine<br />
Gruppe Basenpaare und hat sofort alles kapiert. Sie ist ein<br />
Genie.“<br />
„Und was suchst du gerade?“<br />
„Ich bin auf dem Weg zum Labor, wo ich... verdammt, wo ist<br />
denn- ah, da!“<br />
Er suchte, einen länglichen Behälter, über dessen Zweck Allan<br />
höchstens spekulieren konnte, und fand ihn zwischen einem<br />
ungeöffneten Paket Bodenproben von Tellar.<br />
„Ich muss noch ins Labor, ein paar Tests mit radioaktiven<br />
Isotopen machen, an denen wir momentan arbeiten. Außerdem<br />
sollte Penkala endlich mal die neuen Sonden freigeben, die<br />
vorgestern von DS9 geliefert wurden. Die sind in irgendeinem<br />
Container verschwunden, keiner weiß in welchem. Aber egal.<br />
Also, wo ist Judy jetzt?“<br />
„Sie hat sich in ihr Zimmer eingesperrt.“, sagte D’Agosta.<br />
„Hat sie die Musik aufgedreht?“<br />
„Ja.“<br />
„Sieht übel aus, Allan.“<br />
D’Agosta schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. „Ich<br />
weiß langsam nicht mehr weiter, Floyd. Ich beginne an mir zu<br />
zweifeln. An meinen väterlichen Fähigkeiten.“<br />
„Ach, Allan, mach dir da nichts draus. Du bist ’n guter Vater,
glaub mir. Zu Passiv, aber ein guter Vater.“<br />
„Ich bin nicht passiv. Ich bin bedachtsam. Judy ist ein<br />
Energiebündel, vom Naturell her ein fegender Orkan-“<br />
„Wohingegen du eher einem lauen Lüftchen gleichst.<br />
Vielleicht hast du nur einfach ein anderes Bild von dir. Weißt<br />
du, das ganze psychologische Wissen hat einen Haken – kaum<br />
jemand kann es auf sich selbst anwenden. Man kann einen<br />
unglaublichen Scharfblick für die Unzulänglichkeiten seiner<br />
Freunde, Partner, Kinder entfalten. Aber sich selbst gegenüber<br />
ist man meistens blind. Die gleichen Leute, die mit nüchterner<br />
Klarheit ihre Umwelt durchschauen, wiegen sich in Illusionen,<br />
wenn es um sie selbst geht. Die Psychologie funktioniert nicht,<br />
wenn man in einen Spiegel schaut.“<br />
D’Agosta seufzte. „Unter Umständen hast du sogar recht.<br />
Deborah war der strenge Elternteil. Auf sie hat Judy immer<br />
gehört. Immer. Ich kann sie niemals ersetzen.“<br />
„Das musst du doch auch nicht.“, sagte Castor. „Du hast eine<br />
clevere Tochter. Cleverer, als die Meisten in ihrem Alter und<br />
bereits jetzt sehr eigenständig.“<br />
„Meinst du?“<br />
„Allan, sie bügelt deine Wäsche.“<br />
Eine Pause entstand.<br />
Nach einer Weile fragte D’Agosta: „Wie macht sie sich denn<br />
im Unterricht.“<br />
Floyd zuckte mit den Schultern. „Na ja, sie zeigt nicht gerade<br />
beträchtliche Begeisterung für die Dinge, die ich ihr beizubringen<br />
versuche.“<br />
„O Gott.“<br />
„Allan, das ist doch normal. Sie kommt langsam in die<br />
Pubertät und interessiert sich für andere Dinge.“<br />
„Ich fürchte sie ist schon mittendrin.“, sagte D’Agosta.<br />
Castor ging indess zum Replikator. „Zwei Raktajinos.“ Das<br />
Gerät gehorchte und zwei Tassen entstanden aus der Luft im<br />
Ausgabefach. Castor schnupperte am Aroma, dann reichte er
D’Agosta eine heiße Tasse und setzte sich behutsam neben<br />
ihn. „Ich bin mir nicht sicher, ob die <strong>Shenandoah</strong> der rechte<br />
Ort für Judy ist. Sieh mal, Ashley und ich haben versprochen,<br />
dass wir dir helfen. Alle an Bord haben das. Ich weiß nur<br />
nicht, ob wir ihr hier überhaupt jenes Wissen vermitteln<br />
können, dass sie sonst auf der Erde bekommt.“<br />
„Wenn es um die Noten geht-“<br />
„Ich meine nicht die Noten.“, sagte Castor. Er trank aus seiner<br />
Tasse, ohne den Blick von D’Agosta zu nehmen. Allan seufzte<br />
und sah sich im Quartier um. „Ich dachte es wäre eine gute<br />
Idee, sie zurück auf ein Sternenflottenschiff zu nehmen. Ich<br />
war mir so sicher, es wäre das Richtige für sie.“<br />
„Hast du es wirklich für Judy getan?“<br />
„Nein, mich hat auch die Stellung gereizt.“<br />
„Allan, also bitte.“, sagte Castor. Er legte D’Agosta eine Hand<br />
auf die Schulter. „Nimm das jetzt wirklich nicht persönlich,<br />
aber ein Affe in einem Raumanzug könnte deinen Posten hier<br />
übernehmen. Was hast du heute gemacht?“<br />
„Ich habe Berichte-„<br />
„Berichte geschrieben, genau. Machst du doch immer. Was<br />
bist du? Ein Systemanalytiker. Dazu wurdest du ausgebildet.<br />
Brauchen wir an Bord eines schweren Kreuzers – eines<br />
Trägers - einen Analytiker? Nein. Du bist ne bessere Tippse,<br />
weißt du das? Eine Ranghohe, aber eine Tippse.“<br />
D’Agosta nickte schwerfällig. „Captain O’Conner hat mir<br />
nach Deborahs Ableben den Job angeboten. Er wusste, dass<br />
ich etwas anderes erleben musste.“<br />
„Ach komm. Willst du mir etwa sagen, du hast die, Erde<br />
verlassen, nur um Papierkram zu erleben? Das kann doch<br />
unmöglich dein Herzenswunsch sein.“<br />
D’Agosta seufzte. „Du weißt, warum ich die Erde verlassen<br />
habe, Floyd.“<br />
„Klar, du läufst davon.“, nickte Castor. „Ich weiß. Du willst<br />
deine Vergangenheit zurücklassen, die Erde, New Jersey, euer
Zuhause. Aber ist es das, was auch Judy will?“ Allan wollte<br />
etwas sagen, aber Castor bedeutete ihm, er solle still sein.<br />
„Das ist nicht einmal die Frage. Es ist eher die Frage, ob es gut<br />
für sie ist.“<br />
„Wie meinst du das?“<br />
Floyd stand auf und ging wieder im Quartier umher, auf der<br />
Suche nach weiteren, verstreuten Ausrüstungsgegenständen.<br />
„Wie du schon sagtest, Judy ist in der Pubertät. Sie beginnt<br />
Erfahrungen zu machen.“<br />
Allan’s Augen weiteren sich. „Du meinst doch wohl nicht<br />
etwa-“<br />
Castor zuckte nur mit den Schultern. „Die Kinder von Heute<br />
werden sehr viel schneller erwachsen, als wir damals. Vor<br />
allem als wir beide es wurden. Judy ist schon jetzt um einiges<br />
Lebhafter als du in ihrem Alter. Mein Gott, Allan, wir beide<br />
waren verdammte Stubenhocker. Sind viel zu selten<br />
ausgegangen und haben viel zu spät damit angefangen.<br />
Irgendwann kam die Akademie, dann bei dir deine Tochter<br />
und es war nicht mehr möglich.“ Plötzlich lachte er. „Du<br />
erinnerst dich doch noch an Melaks Geburtstagsfeier?“<br />
D’Agostas Züge erhellte sich. „Wie könnte ich diese Feier je<br />
vergessen?“, sagte er sanft.<br />
Und Castor lachte weiter. „Als, du mit diesen fetten,<br />
besoffenen Pakleds im Wohnbereich Prallball gespielt hast.<br />
Was war noch gleich der Ball gewesen?“<br />
„Ein Brötchen.“<br />
„Ein Brötchen. Meine Güte, das war irre. Die ganze Party war<br />
irre. Und Borodin hat irgendwann nur noch völlig fertig in der<br />
Ecke gelegen.“<br />
Beide lachten.<br />
„Das waren gute Zeiten.“, sagte D’Agosta.<br />
„Nein.“, äußerte Castor und hob seine Tasse. „Das waren<br />
großartige Zeiten. Wenn ich mich nicht irre, hast du auf dieser<br />
Feier auch Deborah kennen gelernt, nicht wahr?“
D’Agostas Blick wurde wieder ernster. „Das habe ich.“<br />
„Diese Party war eine Dummheit. Eine gute Dummheit, weil<br />
wir Dummheiten selten fabrizierten, aber eine Dummheit. Und<br />
eine wunderbare Erfahrung. Würdest du diese Erfahrung<br />
missen wollen?“<br />
„Keinesfalls.“, sagte D’Agosta leise. „Ich verstehe, worauf du<br />
hinauswillst.“<br />
Castor nickte. „Judy muss ihre eigenen Erfahrungen machen.<br />
Sie muss sich ausleben und entfalten können. Auf diesem<br />
Raumschiff? Keine Chance. Es wird für sie wie ein Käfig sein.<br />
Und sie beginnt bereits an den Gitterstäben zu rütteln. Auf der<br />
Erde hat sie ihre Freunde, ihr Leben. Ihre Zukunft. Und du…<br />
ich denke, du findest auf der <strong>Shenandoah</strong> sicherlich auch nicht<br />
das, was du brauchst.“<br />
„Und das wäre?“<br />
„Eine Frau, die für Judy die Mutterrolle übernimmt. Und für<br />
dich auch.“<br />
Castor sah noch mal auf sein Chronometer und seufzte. „Ich<br />
muss jetzt los.“ Er stand auf und schwang seine Tasche über<br />
die Schulter. Dann ging er zum Ausgang. „He.“, rief ihm<br />
D’Agosta hinterher. „Danke.“<br />
„Dafür sind Freunde da. Weißt du, Allan, ich wäre traurig,<br />
wenn du nicht mehr an Bord arbeiten würdest. Ja, wirklich.<br />
Aber ich wäre noch trauriger, wenn Judy und du hier<br />
verwahrlosen. Und ein guter Freund sicherlich nicht, wenn ich<br />
da stillschweigend einfach zuschauen würde.“ Er wartete ein<br />
paar Sekunden.<br />
Schweigen.<br />
„Wir sehen uns nachher in der Messe.“<br />
„Ja, sicher.“ Allan war in Gedanken verloren. Bevor Castor in<br />
den Korridor hinaustrat, drehte er sich noch mal um. „Ich kann<br />
dir die Entscheidung nicht abnehmen. Aber du weißt, dass du<br />
irgendwas ändern musst, denn so kann’s nicht weitergehen.“<br />
Nun trat er aus dem Quartier und lies einen grübelnden
D’Agosta zurück. Keiner von beiden konnte ahnen, dass sie<br />
sich niemals wiedersehen würden.<br />
Es war zwei Uhr nachts, als Captain Gabriel O’Conner seine<br />
Uniformjacke schloss und versuchte das graue, zerzauste Haar<br />
zu bändigen. Dann lehnte er sich auf dem Stuhl hinter seinem<br />
Schreibtisch zurück. Sein Quartier war ruhig und nur schwach<br />
beleuchtet. Bis eben hatte er geschlafen. Ein unruhiger Schlaf.<br />
O’Conner hatte sich die ganze Zeit über von einer Seite zur<br />
anderen gewälzt, ohne ein Auge zuzutun. Er wusste warum.<br />
Es war das Gefühl, dass etwas an Bord nicht stimmte. Dass er<br />
die Kontrolle über sein Schiff nicht mehr hatte.<br />
O’Conner murrte und warf einen kurzen Blick zur Decke, als<br />
könne er bis zur Brücke hinaufsehen, die einige Decks über<br />
seinem Quartier lag.<br />
Dann wandte er sich dem Datenblock in seiner Hand zu. Er<br />
hielt ihn gerade vors Gesicht, sodass er sich im mattdunklen<br />
Glas des Displays sehen konnte. Er betrachtete sein Gesicht<br />
im Spiegelbild: ein zerknitterter, müder Mann, mit weißschwarzem<br />
Bart und ungekämmten Haaren. Was soll’s, dachte<br />
er. Warum sollte er auch nicht müde aussehen. Es war mitten<br />
in der Nacht. „Was ist das?“ Er sah über den Rand des<br />
Datenblocks.<br />
Vor ihm, auf der anderen Seite des Schreibtischs saß Allan<br />
D’Agosta und spielte nervös mit den Fingern. Er machte eine<br />
unsichere Mine. „Meine Kündigung, Sir.“<br />
„Das ist mir auch klar, Lieutenant Commander.“, rollte<br />
O’Conner mit den Augen. Er trank einen Schluck aus seinem<br />
warmen Kaffee und las sich das vollständige Schriftstück noch<br />
einmal in Ruhe durch. Eine Pause entstand.<br />
D’Agosta hörte auf, seine Finger zu knoten und starrte<br />
O’Conners Gitarre an, die neben dem Schreibtisch and der<br />
Wand gelehnt stand. Es war eine Sonderanfertigung mit
speziellem Hals.<br />
„Nicht schlecht, das Instrument.“, sagte D’Agosta. „Wo haben<br />
Sie die her, Sir? Sieht aus wie eine romulanische.“<br />
O’Conner las weiter. „Ist eine.“<br />
„Toll.“, sagte D’Agosta und sah sie sich genauer an. „Ich<br />
wusste gar nicht, dass sie spielen können. Ich wollte das auch<br />
mal probieren, aber-“<br />
„Allan.“, unterbrach O’Conner seufzend. „Lassen Sie das. Es<br />
ist zwei Uhr Nachts. Ich habe kaum geschlafen. Also bitte.“ Er<br />
legte den Datenblock auf den Tisch. „Sagen Sie mir jetzt, was<br />
das hier soll. Sie wollen das Schiff verlassen?“<br />
„Ja, Sir.“<br />
„Aber warum?“<br />
„Es ist wegen Judy.“ D’Agosta seufzte schwer. Seine Brauen<br />
zogen sich zusammen „Sie ist die vergangenen Nächte immer<br />
vom Sicherheitsdienst heimgebracht worden. Sie interessiert<br />
sich nicht für den Unterricht und sie-“ Er hielt einen Moment<br />
inne. „Ich fürchte, ich werde Judy verlieren, wenn ich sie<br />
weiter hier auf der <strong>Shenandoah</strong> behalte. Wir... wir sollten<br />
mehr Zeit miteinander verbringen. Sie schreit geradezu nach<br />
Aufmerksamkeit. Ja, ich denke, es ist ein Hilferuf. Ich weiß,<br />
dass Sie momentan zu tun haben, Sir, aber-“<br />
O’Conner schüttelte den Kopf. „Allan. Für ihre Belange habe<br />
ich immer Zeit. Es ist nur heute ein wenig Spät. Könnten wir<br />
das nicht morgen früh-“<br />
„Nein, Sir. Ich muss diese Entscheidung jetzt treffen. Das hier<br />
fällt mir nicht leicht. Ich brauche ihre Bestätigung, damit ich<br />
Judy etwas vorzeigen kann.“<br />
„War es denn nicht abgeklärt zwischen ihnen?“<br />
„Nein, ich habe sie von der Erde geholt. Das ist schon richtig.“<br />
„Allan, Sie sind ein guter Mann. Zuverlässig, Gewissenhaft-“<br />
„...Uninteressant. Seien wir ehrlich, Sir, Karriere werde ich in<br />
der Sternenflotte keine Durchführen. Ein Pakled könnte meine<br />
Arbeit mit Leichtigkeit übernehmen. Und für einen
Kommandoposten bin ich nicht engagiert genug. Ich bin<br />
Dankbar, dass Sie diese Geste damals für mich taten und mich<br />
zum Lieutenant Commander beförderten, aber es ist nur ein<br />
Symbol. Hinter diesen Rangabzeichen steckt eigentlich nichts.<br />
Ich im Kommandobereich - also wirklich! Ich kann ja nicht<br />
mal meine Familie zusammenhalten, wie soll ich da der<br />
Vorgesetzte für jemanden sein?“<br />
„Selbstmitleid steht ihnen nicht. Sie sind zu hart zu sich selbst.<br />
Aber ich erkenne ihre Gründe.“ O’Conner seufzte. „Also gut.“<br />
Er zog einen Stift hervor und wollte die Kündigung<br />
unterschreiben. Die <strong>Shenandoah</strong> ging unter Warp. O’Conner<br />
hob alarmiert den Kopf, gerade als er den Stift ansetzte. „Was<br />
zum-“<br />
Plötzlich schüttelte sich das Deck unter ihnen. Die Gitarre fiel<br />
mit einem schrillen Klang zu Boden. O’Conner lies den Stift<br />
sinken und sprang zum Fenster.<br />
Ein glühender Strahl kochte durch den Weltraum und traf auf<br />
ihre Schilde. Das Schiff schlingerte. Sie wurden angegriffen.
Höhle<br />
Es war heiß, staubig und dunkel. Judy ächzte und richtete sich<br />
nach dem Sturz in einen Seitengang wieder auf. Erst als sich<br />
ihre Augen nach einiger Zeit an das Halbdunkel gewöhnten,<br />
ging sie weiter. Oder zurück. Nach ein paar Metern blieb sie<br />
stehen und sah sich in der dunklen Höhle um. Die Wände<br />
guckten alle gleich aus. Braun und rissig. „Das ist nicht der<br />
Weg, den du gekommen bist.“, sagte sie zu sich selbst.<br />
Sie drehte den Kopf.<br />
Die Höhle hatte beim Betreten nur einen kleinen Eindruck<br />
gemacht, allerdings musste es hier Stollen geben, die sich über<br />
Meilen hinzogen. Es gab so viele Nebengänge und Nischen.<br />
Weitere Höhlen, groß und klein.<br />
Sie hustete.<br />
Nachdem sie gestürzt war, musste sie die Orientierung<br />
verloren und in die falsche Richtung gelaufen sein. „Du hast<br />
dich verirrt, Judy.“<br />
Sie ging weiter. Es war nicht gänzlich dunkel in der Höhle. Zu<br />
ihrer eigenen Verwunderung, wurde es etwas heller, je weiter<br />
sie ging. Woher das Licht stammte, konnte sie nicht sagen. Es<br />
gab keine Fackeln, keine Risse, durch die Licht drang. Es war,<br />
als würden die Wände selbst strahlen. Sie gelangte nach<br />
einigen Minuten in eine sehr viel größere Höhle, in der<br />
Strukturen, wie Baumstämme bis zur Decke wuchsen. Rotes<br />
Moos bedeckte alles. Sie glaubte ein Schmatzen unter ihren<br />
Stiefeln zu hören. Insekten. Judy schloss den Reißverschluss<br />
und schlug den Kragen ihrer Jacke auf. Sie fröstelte. „Wo<br />
zum Dren bist du, Judy?“ Ihre Stimme hallte von den Wänden<br />
wieder. „Das ist nicht witzig.“
Allmählich wurde ihr die Sache doch unheimlich. „Dad!“<br />
Keine Antwort.<br />
„Frell!“, fluchte sie. Lauter: „Dad!“<br />
Plötzlich hörte sie etwas. Eine Stimme. Weit vor sich. Jemand<br />
rief nach ihr.<br />
„Dad, bist du das?“ Sie rannte auf die Quelle der Geräusche<br />
zu. Sprang dabei gekonnt über einen Fels und rannte weiter.<br />
Nach einigen Sekunden erreichte sie eine Zwischenhöhle. Ein<br />
Bach oder etwas in der Art schien durch sie zu laufen. Aber es<br />
war kein Wasser. Die Flüssigkeit blubberte. Möglicherweise<br />
Säure.<br />
„Frell!“, sagte Judy erneut und sprang auf die Steine, die sie<br />
zum anderen Ufer führten. Es folgten weitere Höhlen. „Dad?“<br />
Aber die Geräusche waren inzwischen verstummt. Sie<br />
stemmte die Hände gegen die Knie und versuchte wieder zu<br />
Atem zu kommen. „Toll Judy, du bist einem blöden Phantom<br />
nachgerannt.“<br />
Sie sah sich die neue Umgebung an. Nun musste sie noch<br />
tiefer in die verschachtelte Höhlenstruktur geraten sein. „Hier<br />
findest du nie wieder heraus.“<br />
Dann hörte sie etwas. Ein Atmen. Nein, ein Schnaufen. Judy<br />
versteinerte. Weitete die Augen. Es war irgendwo hinter ihr.<br />
D’Agosta stieß einen der Offiziere weg und rannte zum<br />
nächsten Offizier. Fowler.<br />
„Judy! Haben Sie Judy gesehen?“<br />
Fowler verneinte. „Was ist denn los?“<br />
D’Agosta gab ihm keine Antwort, schnaufte und rannte zum<br />
Nächsten. „Haben Sie Judy gesehen?“ Wieder kopfschütteln.<br />
Allmählich bildete sich ein Tumult um ihn. Die Leute wurden<br />
nervös. „Hat jemand meine Tochter gesehen?“<br />
Smith kam vom Notlazarett angerannt. „Was ist passiert?“<br />
„Meine Tochter ist verschwunden.“
„Das Mädchen ist weg?“<br />
„Sie war doch eben noch dort und-“<br />
„Hat irgendwer das Mädchen gesehen?“, rief D’Agosta.<br />
Lautes Gemurmel erklang, irgendetwas wurde<br />
zwischengerufen.<br />
„Ich habe sie gesehen.“<br />
D’Agosta drehte den Kopf zu Isaac. „Wo?“<br />
„Sie ist da rüber gegangen.“, antwortete Isaac und deutete auf<br />
die Hügel, nicht unweit von ihrer Position.<br />
„Dort gibt es Höhlen.“, sagte Roe, der ganz in der Nähe stand.<br />
D’Agosta drehet sich zu Shannyn. „Können Sie fahren?“<br />
„Ja.“<br />
„Gut, Sie fahren.“, sagte er und sprang in den Jeep. Shannyn<br />
rutschte auf den Fahrersitz. Sie aktivierte die Solarzellen.<br />
Ratternd fuhr der Motor hoch.<br />
„Warten Sie!“, sagte Smith. „Ich komme mit.“<br />
Shannyn hielt sie zurück. „Bleiben Sie bei den Verletzten. Ich<br />
begleite D’Agosta.“<br />
„Ich ebenfalls.“. pflichtete Sicherheitsoffizier Fowler sofort<br />
bei. Er ging ein paar Schritte zu einer der Kapseln und nahm<br />
das momentan als einzig funktionierende Phasergewehr aus<br />
einer Kiste. Dann stieg er ein. „Holen wir sie!“<br />
„Beeilung.“, rief D’Agosta. „Wir dürfen sie nicht verlieren.“<br />
Shannyn legte den Gang ein und jagte in der Nacht auf die<br />
Hügel zu.<br />
Hawk lag im Lazarett und hörte dem Stimmgewirr zu, das von<br />
den anderen drang. Er hörte Panik, die Verwirrung.<br />
Irgendjemand wurde vermisst. Schwarzes Rauschen, dachte er.<br />
Alles geht auf einmal zugrunde. Die Wechselwirkung von<br />
unendlichen Dingen. Er seufzte und schloss die Augen.
Was Judy durchlebte, war die Hölle. Schwerfällig drehte sie<br />
sich um. Etwas kam näher. Das Schnaufen wurde lauter. Judy<br />
vermied es „hallo“ zu rufen. Aus zahlreichen Holo-Filmen<br />
wusste sie, dass dies überhaupt nichts brachte. Im Gegenteil,<br />
es war sogar sehr dumm. Wieso ein Monster auch noch die<br />
eigene Position verraten.<br />
Ebenso wenig, wich sie zurück, da sie ferner aus den<br />
zahlreichen Holo-Filmen wusste, dass man meistens hinter<br />
einem auf die Monster stieß, vor denen man vorne zu fliehen<br />
versuchte.<br />
Sie sagte überhaupt nichts und horchte. Das Schnaufen war<br />
verstummt. Aber irgendetwas war da vorn, das spürte sie. Und<br />
plötzlich polterte direkt vor ihr ein Fels herunter. Judy drehte<br />
sich weg, wollte Laufen und stolperte über einen Stein. Sie<br />
schlug hart auf den Boden, schürfte sich die Hände auf und<br />
bekam Staub in die Lungen.<br />
Judy hustete. Und nieste. Als sie auf sah, starrte sie auf Stiefel.<br />
Aber sie blickte auf keine Sternenflottenstiefel.<br />
Shannyn trat das Gaspedal ganz durch. Von den Kapseln bis<br />
zu den Hügeln war es nicht weit. Ein Kilometer vielleicht.<br />
Allerhöchstens.<br />
Die Wüste war steinig, der Jeep holperte. Ansonsten war der<br />
Weg problemlos befahrbar.<br />
„Es dürften keine Kinder hier sein.“, sagte Fowler düster. „Es<br />
ist gefährlich.“<br />
„Jetzt können wir nicht mehr viel dagegen tun.“, entgegnete<br />
D’Agosta. Der Jeep holperte über ein Kieselfeld. Sie näherten<br />
sich. Fowler fuhr die Energiezelle des Gewehrs hoch.<br />
„Wie viel Schuss?“, fragte D’Agosta.<br />
„Ich weiß nicht. Etwa Acht. Vielleicht noch Zehn.“<br />
„Das muss reichen.“<br />
„Glauben Sie, wir treffen auf feindliche Wesen?“
„Man kann nie wissen.“<br />
Sie erreichten den Bergfuß. Shannyn erspähte einen kleinen<br />
Höhleneingang, fuhr darauf zu und hielt an.<br />
Sie stiegen aus. Fowler ging zur Heckklappe und öffnete eine<br />
Ausrüstungskiste. Er nahm eine Handlampe aus dem Fach und<br />
prüfte die Batterieladung. Sie stand auf der Hälfte. Eine<br />
reichte er D’Agosta und die zweite legte er sich selbst um den<br />
Arm.<br />
Shannyn kniete bereits vor dem Eingang im Sand.<br />
„Fußspuren.“<br />
D’Agosta hielt seinen Stiefel über die Spur, um sicher zu<br />
gehen. „Es ist Judys Größe.“<br />
„Es ist nur eine Spur.“<br />
„Können Sie ihr folgen?“<br />
„Ich denke schon.“<br />
D’Agosta – unerwartet entschlossen -, aktivierte die Lampe.<br />
„Dann los.“<br />
Sie betraten die Höhle.<br />
Judy blinzelte. Es waren braune, sehr große Schuhe, auf die<br />
sie starrte. Aus eine Art Leder gefertigt. Wirkte fast wie<br />
Schlangenleder.<br />
Sie blickte noch höher... und höher... und höher. Bei der<br />
Gestalt handelte es sich um einen wahren Riesen. Mindestens<br />
zwei Meter groß. Wenn nicht noch größer. Judy sprang auf,<br />
zwei Schritte zurück und starrte in ein Gesicht, das aussah, als<br />
wäre es öfters mal gegen die Wand gelaufen. Judy keuchte<br />
und trat weiter zurück. Der Andere stapfte ihr hinterher. Sie<br />
probierte sich dezent umzuschauen. Eine Waffe trug sie nicht<br />
bei sich, Stöcke und Steine, die als Verteidigung wirken<br />
könnten, befanden sich keine in unmittelbarer Reichweite. Mit<br />
anderen Worten: Sie war praktisch wehrlos. Der Fremde kam
näher. Sein Gesicht wies seltsame Farbflecken auf, fast so, als<br />
würde sich ein Ozean auf ihm spiegeln würde.<br />
Die Braunen Augen saßen tief in den Höhlen und starrten sie<br />
plump an.<br />
Diese Augen! Hell und intelligent. Judy schluckte und spürte,<br />
wie ihr das Herz bis zum Hals schlug.<br />
Der Kerl außerordentlich groß und sehr kräftig gebaut, wirkte,<br />
wie ein Schwergewichtsboxer. Haare hatte er keine, am<br />
ganzen Körper nicht. Der Schädel war bullig und hart. Seine<br />
fünf Finger wölbten sich um einen Stock, der mit Blättern und<br />
Schnitzereien geschmückt war. Die Kleidung war eher<br />
rudimentär: Fell, Leder... Judy konnte nicht genau sagen,<br />
woraus sie sich zusammensetzte. Modern oder gar modisch<br />
ansprechend war sie aber keinesfalls. Nicht in einer Millionen<br />
Jahre wäre sie in einem solchen Aufzug durch die Gegend<br />
gelaufen.<br />
Judy versuchte zu lächeln. Aber Verbrechervisage erwiderte<br />
das Lächeln nicht. Er streckte die Hand nach ihr aus. Judy<br />
schrie.<br />
„Hier endet die Spur.“ Shannyn kniete auf dem Boden in der<br />
Dunkelheit der Eingangshöhle und schüttelte den Kopf. „Sie<br />
könnte überall sein. Aber... ich schätze, sie ist da herüber.“<br />
Sie deutete in einen verschachtelten Gang mit niedriger<br />
Decke.<br />
Fowler hielt nach Fußspuren Ausschau, die ihm entgangen<br />
waren. „Können Sie etwa im dunkeln sehen?“<br />
„Nein, aber gut hören.“<br />
D’Agosta begann wieder nach ihr zu rufen. „Judy!“<br />
Es kam keine Antwort.<br />
„Judy!“<br />
Nichts.<br />
„Judith D’Agosta!“
Von irgendwoher drang etwas zu ihnen. Sie hörten ein<br />
Geräusch, das im ersten Moment klang, wie statisches<br />
Rauschen. Doch dann erkannten sie, dass es ein schriller,<br />
menschlicher Schrei war.<br />
<strong>Star</strong>r vor Entsetzen stand Judy einfach nur in der Mitte der<br />
Höhle und kniff die Augen zu. Am ganzen Körper brach ihr<br />
kalter Schweiß aus. Sie wartete auf einen Angriff, auf einen<br />
Schlag, der ihr den Kopf von den Schultern schleudern würde,<br />
oder sonst eine Grausamkeit, die Verbrechervisage mit ihr<br />
anstellen mochte.<br />
Es kam nichts dergleichen. Stattdessen folgte eine sanfte, fast<br />
ängstliche Berührung an ihrer Wange. Verbrechervisage strich<br />
über ihre Wange und zog dann vorsichtig seinen Arm zurück.<br />
Judy öffnete langsam die Augen. Verbrechervisage neigte den<br />
Kopf ein wenig und sah sie neugierig aus großen, braunen<br />
Augen an. Er betrachtete ihre Jacke, schien sich für das<br />
Symbol an der Schulter zu interessieren. Er wollte es<br />
berühren, aber Judy sprang schnell zurück. Seine Finger waren<br />
dreckig, voller Erde und Sand. „Nicht!“<br />
Zu schrill.<br />
Der Fremde zog seine Hand übereilt zurück, schien ein wenig<br />
erschrocken zu sein.<br />
„Die war teuer!“, erklärte Judy. Sie seufzte. „Tut mir leid.“<br />
Verbrechervisage schnaubte und wackelte zweimal mit den<br />
Ohren.<br />
Sie beschloss etwas zu probieren. „Ich bin Judy.“, sagte sie<br />
vorsichtig. Mit der freien Hand klopfte sie auf ihre Brust.<br />
„Judy.“<br />
Jemand rief ihren Namen. Ihr Vater! Er musste sie gehört<br />
haben und kam näher. Verbrechervisage schien keine Angst zu<br />
haben. Er sah vom Eingang der Höhle, aus der die Rufe kamen<br />
zu dem Mädchen. „Ju-di.“, versuchte Verbrechervisage ihren
Namen zu imitieren. Das Wort war verzerrt, aber kam dem<br />
Klang ihres Namens recht nahe. Er neigte den Kopf und<br />
deutete nun auf seine Brust. „Athol.“<br />
„Athol.“, wiederholte Judy.<br />
Er brummte zufrieden. „Ich bin Athol. Du bist Ju-di.“<br />
Die Rufe nach ihr wurden lauter.<br />
„Du kannst es fast. Sag Judy. Judy D’Agosta.“<br />
„Da-goo-sta.“<br />
Judy kicherte. „Fast.”<br />
„Judy, bist du das?“ Das Mädchen drehte sich zum<br />
Höhleneingang. Ihr Vater, Shannyn und ein Sicherheitsmann<br />
kamen in die Höhle gelaufen. D’Agosta riss Augen und Mund<br />
auf, als er den Riesen sah. Ihm stockte der Atem. Er streckte<br />
die Hand nach seiner Tochter aus. „Judy, bist du in Ordnung?“<br />
Der Mann von der Sicherheit hob sofort seine Waffe und<br />
richtete sie auf Athol.<br />
„Es ist okay, Dad.“, sprang Judy schnell auf und brachte sich<br />
in die Schusslinie vor Athol. „Er will nichts böses.“<br />
Dennoch winkte Allen sie zu sich. „Komm her, komm her.“<br />
Sie kam. Allan schloss sie erleichtert in die Arme, drückte<br />
Judy feste an sich. Der Fremde stand einfach da und wartete<br />
ab.<br />
„Er ist harmlos, Dad.“<br />
Fowler warf D’Agosta einen fragenden Seitenblick zu. Dieser<br />
nickte, woraufhin Fowler seine Waffe senkte.<br />
„Ich ... bin Athol.“, sagte der Fremde.<br />
D’Agosta lies Judy nun los und trat ein paar vorsichtige<br />
Schritte auf den Fremden zu. „Allan. Allan D’Agosta.“<br />
„Da-gos-ta.”, sagte der Fremde, diesmal schon viel<br />
geschickter.<br />
„Gut so. Ich bin ein Mensch. Und du?“<br />
„Amphion. Ich bin ein Amphion.“<br />
„Ein Einheimischer?“<br />
„Einheimisch?“ Seine Stimme war tief, aber nicht bösartig.
„Kommst du von diesem Planeten?“<br />
„Amphion leben auf dem Planeten.“, nickte Athol.<br />
D’Agosta trat zwei Schritte zurück und drehte sich unauffällig<br />
zu Shannyn. Er fragte leise: „Haben wir Probleme mit den<br />
Kommunikatoren?“<br />
Sie zog ihren von der Brust und öffnete das kleine Gerät.<br />
„Nein, ich denke nicht. Die Mignonzellen sind voll. Sie laden<br />
sich ja auch kontinuierlich selbst auf. Keine Fehlfunktion.“,<br />
flüsterte sie ebenfalls. „Ich schätze die reden so primitiv.“<br />
„Dumm.“, korrigierte Fowler. „Die reden dumm.“<br />
„Dumm ist gut.“, entschied D’Agosta eifrig nickend. „Dumm<br />
ist meistens auch gleich Gutmütig.“<br />
„Lebt dein Volk in diesen Höhlen?“<br />
„Wir leben in einem Camp. Nicht weit von hier. In einem<br />
Camp.“ Er winkte emsig. „Kommt mit, kommt mit.“<br />
Die Leute wechselten einen Blick.<br />
„Es ist okay, Dad. Er tut uns nichts.“<br />
„Wir könnten durchaus ein paar Verbündete gebrauchen.“,<br />
sagte Shannyn leise. „Denkbar, dass sie Medizin für uns<br />
haben. Oder Nahrungsmittel.“<br />
„Ich weiß nicht recht...-“<br />
„Ich bin ja bei ihnen und passe auf.“<br />
D’Agosta überlegte einen Moment. Dann nickte er. „Also<br />
gut.“
Nottingham<br />
Ian Nottingham sah zu dem düsteren, Wolkenbehangenen<br />
Nachhimmel hoch. Man konnte dort nur wenige Sterne sehen.<br />
Dafür war der Planet, um den sie kreisten umso deutlicher. Er<br />
war so groß, dass Nottingham das Gefühl hatte, ihn berühren<br />
zu können, wenn er nur die Hand nach ihm ausstreckte.<br />
Dennoch spendete er in der Nacht kein Licht. Nottingham sah<br />
auf die Energieanzeige seiner Handlampe: nur noch drei<br />
glühende Balken waren verblieben. Wenn er die Zeitspanne<br />
mit einrechnete, die er zurück zum Lager brauchte, hatte er<br />
vielleicht noch eine Stunde, die Kapsel, mit der sie abgestürzt<br />
waren, zu durchsuchen. Das war mehr als ausreichend.<br />
Er öffnete die Zugangsluke, als bemerkte, wie sich jemand<br />
näherte. Es war King, der ihm zu winkte und sich im<br />
Laufschritt näherte. Dabei keuchte und Quiekte er wie ein<br />
massiges Schwein.<br />
„Hey, Mr. Nottingham!”<br />
„King? Was machen Sie hier draußen?”<br />
Endlich erreichte King die Kapsel. Er japste und stützte sich<br />
mit gebeugtem Oberkörper an den Knien ab.<br />
„Dachte ich könnte helfen.“<br />
„Ich brauche keine Hilfe.“<br />
„Hey, Nottingham. Dies hier war ebenso meine<br />
Unternehmung, wie auch ihre. Meine Zukunft – und die<br />
meiner Familie - hing beträchtlich vom Ausgang unserer<br />
Bemühung ab und wie es momentan ausschaut, stehen die<br />
Karten nicht sehr gut. Alles ist schief gegangen, bevor wir<br />
richtig loslegen konnten. Also sollten wir die Sache einfach<br />
vergessen und zu guter Letzt zusammenarbeiten, um
wenigstens wieder nach Hause zu kommen. Vielleicht nicht<br />
reich, aber wenigstens gesund. Ich habe vorhin mit Alynna<br />
gesprochen. Sie meinte, sie beide hätten einen Notfallplan.<br />
Drum lassen sie mich bitte daran teil haben und helfen.“<br />
„Nottingham machte eine abfällige Geste. „Wie Sie meinen.“<br />
Er klappte einen grauen, Schuhkartongroßen Sicherungskasten<br />
an der Außenhülle auf und begann die Steckverbindungen zu<br />
lösen.“<br />
King kam allmählich wieder zu Atem. Nach einer Weile fragte<br />
er: „Sagen Sie mal, sind sie ein Mutant?“<br />
„Sie reden zuviel, King.“<br />
„Und Sie zu wenig.“<br />
„Wissen Sie, ich kannte mal einen genetisch verbesserten<br />
Arzt. Bin ihm auf einer Konferenz begegnet und ich frage<br />
mich-„<br />
„King.“, sagte Nottingham. „Ich habe aufgehört ihnen<br />
zuzuhören. Also, warum hören Sie nicht auf zu reden?“<br />
Eine lange Pause entstand.<br />
Und erneut war es King, der die Stille brach. „Wieso arbeiten<br />
Sie eigentlich für Nechayev? Sie sind schließlich kein Offizier<br />
der Sternenflotte.“<br />
„Ist eben so.“<br />
„Aha.“<br />
King war enttäuscht. Er wusste, dass Nottingham ihn nicht<br />
leiden konnte und in vielerlei Hinsicht war Nechayevs<br />
Beschützer ihm unheimlich. Er hielt sich immer im Schatten<br />
auf, sprach nur wenige Worte und diese auch noch äußerst<br />
bedacht. Gerade weil er sich vor Nottingham ein wenig<br />
fürchtete, beschloss King in die Offensive zu gehen. Er wollte<br />
den Nottingham ein wenig aus der Reserve locken, ihn zum<br />
Reden bringen. Dann würde er sicher feststellen, dass nichts<br />
unheilvolles an ihm existierte, dass er nur eine Show abzog<br />
und im Grunde ein ganz alltäglicher Mann in schwarzer Kluft<br />
war.
„Wo kommen Sie überhaupt her?“<br />
„Ich hoffe Sie haben das Lager nicht alleine verlassen.“, ging<br />
Nottingham gar nicht auf Kings Frage ein. Er sah auch nicht<br />
von der Schalttafel auf, an der er arbeitete und weitere Kabel<br />
herauszog. „Es ist nicht sicher hier draußen.“<br />
King winkte ab. „Was soll schon passieren?“<br />
„Ihnen ist niemand gefolgt, Sie hat niemand begleitet?“<br />
„Nein, ich denke nicht. Die Meisten der Leute haben nicht<br />
einmal von meiner Anwesenheit Kenntnis genommen, Sie<br />
werden auch nicht bemerken, wenn ich fort bin. Aber in einem<br />
Punkt haben recht. Hier draußen stimmt was nicht. Ich hatte<br />
vorhin bei den Felsen das Gefühl, als würde ich beobachtet.“<br />
„Einer unserer Leute?“<br />
King überlegte einen Moment. Dann schüttelte er den Kopf.<br />
„Nein. Vielleicht war es nichts, ich habe es mir vermutlich nur<br />
eingebildet. Ein Tier, oder so etwas. Trotzdem, der Ort hier ist<br />
unheimlich.“<br />
„Sie finden doch alles unheimlich.“<br />
King sagte nichts.<br />
„Wo Sie schon hier sind, können Sie mir auch gleich helfen,<br />
King.“<br />
„Ja, gerne.“<br />
„Geben Sie mir den Koffer.“<br />
„Was für ein Koffer?“, fragte King.<br />
Ohne den Blick von der Schalttafel zu nehmen, sagte<br />
Nottingham: „Im Innern der Kapsel, unter dem zweiten Sitz<br />
von rechts liegt ein großer schwarzer Koffer mit einem kleinen<br />
Kasten drin. Geben Sie mir beides.“<br />
King kletterte hinein und ächzte. „Uff, er ist schwer.“<br />
„Wegen den Polarisatoren. Nehmen Sie den Kasten raus.“<br />
„Sicher. Hier.“<br />
Nottingham griff nach hinten und nahm den Kasten, der aus<br />
schwarzem Metall bestand. Er hatte etwa die Größe eines<br />
Milchtüte und endete in der Schmalseite in einem Trichter. An
der Unterseite waren Schaltelemente befestigt. Die<br />
Energieanzeige stand auf Null. Nottingham klemmte sich den<br />
Kasten unter den rechten Arm und steckte das<br />
Energieverbindungskabel in die Schalttafel an der er gearbeitet<br />
hatte. Dann fasste er nach den Kontrollen.<br />
„Was machen Sie überhaupt?“, fragte King.<br />
„Ich lade die Energiezellen.“, antwortete Nottingham.<br />
„Energie? In der Kapsel gibt es noch Energie?“<br />
Nottingham nickte. „Nicht alles wurde beim Aufprall<br />
verbraucht. Die Notaggregate haben noch ein wenig.“<br />
„Aber diese Energie... wir brauchen Sie für die medizinischen<br />
Geräte! Die Verletzten– Mein Gott!„<br />
„Ich brauche diese Energie.“, fiel ihm Nottingham ins Wort.<br />
„Was ist das für ein Kasten?“<br />
„Ein Scanner.“<br />
„Was für eine Art Scanner?“<br />
Nottingham schwieg.<br />
Eines war klar, um ein medizinisches Gerät handelte es sich<br />
nicht. King erinnerte sich daran, wie Nottingham den Koffer<br />
schon zuvor im Schiff ständig mit sich herumgetragen hatte.<br />
King trat ein paar Schritte von ihm zurück und schüttelte den<br />
Kopf.<br />
„Mein Gott- Mein Gott!, sie haben die Operation noch immer<br />
nicht beendet! Aber das ist sie, mein lieber, sie ist vorüber.“<br />
„Sie ist nicht vorüber. Lediglich verändert.“<br />
„Mein Gott, Nottingham, wir brauchen diese Energie für die<br />
medizinischen Geräte. Der Pilot-„<br />
„Der Pilot kommt durch.“<br />
„Er hat an Brustkorb und Gesicht starke Verbrennungen<br />
erlitten. Die Dermalregeneratoren-“<br />
„Seien Sie endlich still.“, grollte Nottingham.<br />
„Nein. Nein, es reicht. Erst diese Männer im Schiff, nun das<br />
hier... ihre Vorgehensweise ist mir zu riskant. Ich mache da<br />
nicht länger mit.“
Nottingham stand auf. Er senkte den Kopf ein wenig und<br />
starrte King an, was ihm einen äußerst diabolisches Aussehen<br />
bescherte. Er streckte seine Finger und ballte sie wieder zu<br />
Fäusten. Öffnete sie, ballte sie. Das Leder seiner Handschuhe<br />
knirschte. Er trat auf King zu. King ging rückwärts.<br />
„Was werden Sie nun tun, Mister King?“<br />
„Sie machen mir keine Angst, Nottingham.“ King wandte sich<br />
ab und ging mit weiten Schritten über die dunkle Ebene.<br />
Nottingham folgte ihm, ebenso schnell. Seine Stiefel machten<br />
fast keine Geräusche. Wie ein Schatten begleitete er King.<br />
Und er fragte erneut: „Was werden Sie nun tun, Mister King?“<br />
In Kings Hals bildete sich ein Kloß. „Ich werde jetzt die<br />
Anderen Informieren! Ich werde-“<br />
Plötzlich war Nottingham hinter King und hielt ihm den Mund<br />
zu. Mit der anderen Hand umschloss er Kings Stirn. King<br />
strampelte und schlug um sich, erwischte Nottingham aber<br />
nicht. Er wollte schreien, schaffte es aber nicht. Kalter<br />
Schweiß brach ihm aus. Nottingham brachte seinen Mund<br />
nahe an Kings Ohr. „Sie werden jetzt nur noch schweigen.“<br />
Kurz überraschte es King, als er die Knochen in seinem<br />
Genick krachen hörte.<br />
Und dann Schwärze.<br />
Nichts.
Amphion-Camp<br />
„Mach so etwas nie wieder!“, tadelte D’Agosta seine Tochter<br />
an. Sie folgten in Zweierreihen Athol, der sie zielstrebig durch<br />
die beengenden Höhlen führte. D’Agosta hatte sich<br />
vorgenommen, den Weg, den sie gingen genau einzuprägen,<br />
hatte inzwischen allerdings völlig die Orientierung verloren.<br />
Den anderen schien es nicht anders zu ergehen. Fowler sah<br />
sich nervös und mit gespitzten Lippen um. Seine Hände<br />
hielten das Phasergewehr fest umklammert.<br />
Shannyns Mine blieb ausdruckslos, sie folgte Athol in kurzem<br />
Abstand. Vielleicht hatte sie sich den Weg eingeprägt.<br />
„Okay, Dad.“<br />
„Wer weiß, wo er uns wirklich hinführt. Vermutlich sollen wir<br />
ihr Abendessen werden.“, flüsterte D’Agosta leise.<br />
„Das ist nicht fair, Dad. Gerade du als Sternenflottenoffizier<br />
solltest doch wissen, dass der Schein oft trügt.“<br />
D’Agosta zögerte und lächelte dann. „Ich habe nur einen<br />
kleinen Scherz gemacht.“<br />
Sie wanderten weiter. Schon nach kurzer Zeit schnaufte<br />
D’Agosta. Der Mangel an Sauerstoff machte sich deutlich<br />
bemerkbar und erforderte harte Arbeit der Lungen. Er<br />
erinnerte sich an Skiausflüge mit Deborah in den Bergen von<br />
Colorado: Damals hatte er eine ähnliche Atemnot empfunden,<br />
denn er war die Luft des Tieflands nicht gewöhnt. Das sanfte<br />
Verhalten von Athol jedoch beruhigte ihn und die letzten<br />
Zweifel verflogen, als Shannyn stolperte – der Amphion war<br />
sofort zur Stelle, um sie vor einem Sturz zu bewahren. Seine<br />
Hand schloss sich um ihren Arm. Der Griff war fest, aber<br />
nicht schmerzhaft.
„Es tut nicht weh.“, sagte sie zu den anderen. Nach<br />
ungezählten Minuten der Wanderung durch ähnliche Höhlen,<br />
erreichten sie endlich den Ausgang und traten auf eine<br />
weitere, felsige Lichtung hinaus.<br />
Es war noch immer Nacht und es gab kaum Licht, obwohl der<br />
Planet nah am Himmel stand und normalerweise das Licht der<br />
Sonne hätte reflektieren müssen. Das war vielleicht ein toller<br />
Ausblick, wenn man sich an Bord eines Raumschiffes befand,<br />
aber jetzt, während sie auf diesem Planeten gestrandet waren<br />
und von Athol durch die fremde Gegend geführt wurden – ob<br />
er es gut meinte, oder nicht -, wirkte der Anblick unheilvoller<br />
als je zuvor. D’Agosta sah sich nach dem Jeep um, konnte ihn<br />
aber nirgendwo finden. Überhaupt kam ihm die ganze<br />
Landschaft unbekannt vor. „Wir... wir sind auf der anderen<br />
Seite des Berges.“ Er musste schneller gehen, um zu Athol<br />
aufschließen zu können. „Wir sind auf der anderen Seite,<br />
richtig?“<br />
Der Amphion nickte. „Die Höhlen führen durch den Berg.“<br />
D’Agosta deutete über die Schulter zum Berghang. Ihm wurde<br />
Mulmig zumute. Ohne Athol würden sie keinesfalls zurück<br />
durch die Höhlen finden. „Da-dahinter ist unser Lager.“<br />
„Und das“, streckte Athol einen Arm in eine bestimmte<br />
Richtung. „ist unser Camp.“<br />
D’Agosta kniff die Augen zu. Nun konnte er sehen, was die<br />
empfindlichen Augen des Ampthion schon seit einer ganzen<br />
Weile wahrnahmen: ein keines Camp mit ein paar Feuern, an<br />
denen sich weitere Geschöpfe versammelt hatten. Es gab keine<br />
erkennbaren Unterkünfte - keine, mit denen D’Agosta<br />
gerechnet hatte.<br />
Dafür jede Menge Felsen. Große Felsen, kleine Felsen. Und<br />
ausgehöhlte Felsen, in denen Kerzenlicht flackerte. Sie<br />
wohnten in den Steinen!<br />
Um das Camp herum waren einige Felder bestellt. In<br />
regelmäßigen Abständen flackerten dort Fackeln und warfen
ein irreguläres Licht. D’Agosta entdeckte sogar ein paar<br />
Tiergehege.<br />
Athol führte sie zum Camp. Die dortigen Amphion hatten sie<br />
längst gesehen und bildeten eine Gruppe aus knapp dreißig<br />
Wartenden. Einige junge Individuen – etwa einen Meter groß<br />
und ebenso haarlos, wie Athol, spähten hinter der schützenden<br />
Barriere ihrer Eltern hervor.<br />
Athol schob Allan behutsam vor. „D’Agosta.“, sagte er und<br />
formulierte einige Worte, die der Translator nicht übersetzte.<br />
Allan gab den Anderen ein Zeichen. Shannyn und die Anderen<br />
stellten sich nacheinander vor, während die Amphion sie<br />
neugierig musterten.<br />
Erneut spürte D’Agosta, wie Athol ihn vorschob. In der Mitte<br />
des Camps, an einem der lodernden Feuer, bedeutete Athol<br />
ihm mit sanften Druck auf die Schulter, platz zu nehmen.<br />
Zusammen mit seinen Begleitern setzte er sich, darauf<br />
bedacht, dass Judy nahe bei ihm blieb. Aber einige Amphion-<br />
Frauen hatten sich um sie geschart und kümmerten sich um<br />
eine kleine Schnittverletzung. Sie versuchten ihr sogar den<br />
Staub aus den Haaren zu klopfen. Und Judy kicherte. Das<br />
erste Mal seit dem Absturz – und sogar seit einiger Zeit davor<br />
– war sie wieder so pfiffig und lebensfroh, wie immer. Sie<br />
schien enorm Stolz darauf zu sein, diese Leute entdeckt zu<br />
haben. Judy begegnete kurz seinem Blick.<br />
Allan lächelte.<br />
Sie lächelte zurück.<br />
Er drehte sich wieder zum Feuer. Er empfand die Wärme des<br />
Feuers als angenehm. Obwohl es Tagsüber hier unglaublich<br />
heiß war, vermochten die Nächte sehr kalt zu sein. Nach dem<br />
Sonnenuntergang war es praktisch zu einem Temperatursturz<br />
gekommen. Aus einem Reflex heraus hob er den Kopf zum<br />
Himmel, aber noch immer verschluckten dichte Wolken die<br />
Sterne. Nur der nahe Planet kämpfte sich durch.
Ein ebenfalls kräftiger, aber alter Amphion trat vor. Er wirkte<br />
steif, was auf Förmlichkeit hindeutete und öffnete neben<br />
D’Agosta einen Beutel auf dem Boden. Er brummte, bestrich<br />
ein rotes Blatt mit einer weißen Paste und tastete nach<br />
D’Agostas Stirnwunde. Allan zischte schmerzerfüllt und<br />
wollte zurückschrecken. Aber zu seiner Verwunderung spürte<br />
er, wie der Schmerz sofort verging. Das Hämmern hinter<br />
seiner Stirn, das ihn die vergangenen Stunden gequält hatte,<br />
löste sich fast sofort in Nichts auf.<br />
Der Amphion zeigte Anteilnahme, zog das Blatt wieder<br />
zurück und verstaute es in seinem Beutel. Er verbeugte sich.<br />
Es erfüllte ihn offenbar mit Zufriedenheit, sich Nützlich<br />
machen zu können.<br />
„Danke.“, sagte D’Agosta noch immer erstaunt. „Herzlichen<br />
Dank.“<br />
Der Fremde verbeugte sich noch einmal und zog sich dann<br />
zurück. Über das Feuer hinweg begegnete Dagosta Shannyns<br />
Blick. „Es... es tut überhaupt nicht mehr weh.“, sagte er und<br />
fasste an die Wunde. Kein Schmerz. „Gar nichts. Als wäre es<br />
völlig verheilt.“<br />
Nun setzte sich auch endlich Athol zu der Gruppe. Er zog die<br />
Beine zu sich, zu einem Schneidersitz und beugte sich vor.<br />
„Ihr seid freundliche Wesen, nicht wahr?“<br />
„Nun... ja. Ja, wir sind Forscher.“, antwortete D’Agosta.<br />
Athol nickte. „Wir möchten euch in unsere Familie<br />
aufnehmen.“<br />
D’Agosta lächelte. „Oh. Das... danke. Das ist uns eine große<br />
Ehre.“<br />
„Dann müssen wir Tara’to teilen.“<br />
D’Agosta runzelte die Stirn. „Tara’to?“<br />
Er wusste, worum es sich handelte, als die Amphion Schüsseln<br />
verteilte.<br />
Tara’to war offenbar ein Gericht. D’Agosta warf einen<br />
direkten Blick auf die Mahlzeit und bereute es sofort. Die
Maden waren in dem Brei aus zerstampften Blättern und<br />
Früchten unübersehbar. Fowler verzog das Gesicht, als er die<br />
Schüssel entgegennahm.<br />
Shannyn zeigte keinerlei Regung. D’Agosta rechnete mit<br />
einem diplomatischen Zwischenfall, wenn Judy den Inhalt sah,<br />
aber zu seiner Verwunderung sah er, dass dem Mädchen nicht<br />
dieselbe Mahlzeit gegeben wurde, sondern Obst. Frisches,<br />
saftiges, lecker aussehendes Obst. Judy bedankte sich, sah<br />
nicht unhämisch zu ihrem Vater und grinste. D’Agosta sah<br />
von dem Obst zum Inhalt seines Tellers hin und her und Judy<br />
grinste breit über beide Backen.<br />
„Danke.“, sagte D’Agosta laut genug, dass alle ihn hören<br />
konnten. „Danke. Es ist uns eine große Ehre, dass sie ihre<br />
Nahrung mit uns teilen und in ihre Familie aufnehmen<br />
wollen.“ Leiser fügte er hinzu: „Ich wollte schon immer,<br />
einem Indianerstamm zugehören.“<br />
„Bleibt uns denn gar nichts erspart? Das kann ich nicht<br />
essen!“ sagte Fowler, gerade laut genug, dass D’Agosta ihn<br />
hören konnte.<br />
„Sie müssen. Entweder Sie essen die Maden, Mr. Fowler, oder<br />
die Maden essen Sie.“, sagte dieser und warf einen Seitenblick<br />
auf Athols Arme. Sie waren wie Baumstämme. Der Amphion<br />
blickte sie erwartungsvoll an. Wenn sie nichts aßen, würden<br />
sie das vermutlich als Beleidigung auffassen und sicher nicht<br />
zögern, ihnen den Schädel einzuschlagen. „Ja. Ja, ich denke,<br />
das sollten wir tun.“<br />
Ohne zu zögern griff Shannyn in die Schüssel und begann zu<br />
essen. „Sehr kulinarisch. Danke.“, sagte Shannyn, ohne<br />
erkennbaren Hauch von Ironie. Sie kann es gut verstecken,<br />
dachte D’Agosta. Der Koch nahm das Kompliment entgegen,<br />
in dem er sich kurz verbeugte.<br />
Athol neigte würdevoll den Kopf, schöpfte ebenfalls etwas aus<br />
seiner Schüssel und kaute genüsslich.
D’Agosta atmete tief durch und nahm sich ein Beispiel an<br />
Shannyn, in dem er die gewölbte Hand als Löffel verwendete.<br />
„Komm schon, Dad. Alles aufessen, damit es schönes Wetter<br />
gibt.“, grinste Judy und zahlte ihm auf diese Weise den Spinat<br />
heim, den er sie immer zu essen gezwungen hatte. Sie selbst<br />
mampfte ihr Obst.<br />
Er warf ihr einen Seitenblick zu, füllte den Mund mit dem<br />
Brei und schluckte rasch, bevor er alles wieder auszuspucken<br />
drohte. Der Gedanke, die kleinen weißen Würmer zu kauen,<br />
war schier unerträglich. Glücklicherweise rutschte die<br />
glitschige Masse problemlos durch den Hals und zu<br />
D’Agostas außerordentlichen Erstaunen zeichnete sie sich<br />
sogar durch einen guten Geschmack aus. Er dachte an den<br />
Nährwert allein und zwang sich, die Mahlzeit fortzusetzen.<br />
Aus den Augenwinkeln beobachtete er, dass sich auch Fowler<br />
dazu zwang.<br />
„Ihr seid mit dem Kometen gekommen.“, sagte Athol<br />
schließlich. Es war eine Frage, keine Feststellung.<br />
„Mit dem Komet...-“, sagte D’Agosta, ehe er begriff. „Ach so.<br />
Das ist richtig. Unser Raumschiff... wir stürzten vor einigen<br />
Stunden ab und mussten mit Rettungskapseln abspringen.“ Er<br />
seufzte. „Dabei ging einiges Schief, ich fürchte, wir sind<br />
überall verstreut in einem sehr großen Umkreis.“<br />
„Ihr seid in unserem Reservat gestrandet.“, nickte Athol.<br />
„Reservat? Ich verstehe nicht.“<br />
Athol sagte: „Nachdem wir auf den Mond kamen und nicht<br />
mehr gebraucht wurden, steckten sie unser Volk in<br />
Reservate.“<br />
„Euer Volk hat sich nicht auf dem Mond entwickelt?“, fragte<br />
D’Agosta.<br />
Athol hielt sich die Schüssel direkt vor das Gesicht, leerte und<br />
stellte sie dann beiseite. „Die Tarkon brachten uns hierher.“<br />
„Tarkon?“
Ahol nickte eifrig mit dem mächtigen Schädel. „Sie reisen mit<br />
wahrhaft kolossalen Schiffen durch den Weltraum, so wie ihr.<br />
Aber die Tarkon sind nicht nett.“ Er seufzte. „Wir waren einst<br />
eine friedliebende Spezies, ohne fortschrittliche Technologien<br />
wie sie die Tarkon haben. Fast ausschließlich Bauern. Bis die<br />
Tarkon eines Tages kamen, unser Volk gewaltsam versklavten<br />
und als Arbeiterklasse benutzten.“ Er wurde sichtlich traurig.<br />
„Eines Tages erhoben wir uns zum Aufstand, aber wir<br />
verloren nach einem sieben-Stunden-Krieg. Die meisten von<br />
uns wurden niedergemetzelt. Die letzten Überlebenden<br />
unseres Volkes sind nun hier auf dem Mond, wo niemand von<br />
den Tarkon sein möchte.“<br />
„Sie werden als Sklaven missbraucht?“, fragte D’Agosta. Er<br />
beendete die Mahlzeit endlich und stellte die Schüssel auf den<br />
Boden. Er war froh, dass der Brei in seinem Magen blieb.<br />
„Noch vor vielen Jahren, ja.“, schilderte Athol. „Wir mussten<br />
als Arbeiterklasse auf den Heimatplaneten des Tarkon-<br />
Imperiums schufften, so auch hier.“<br />
„Diese Tarkon stammen also auch nicht von hier? Von dem<br />
Mond?“, fragte Fowler. Sein Gesicht war grün angelaufen.<br />
„Tun sie nicht, nein. Aber zwei große Häuser der Tarkon sind<br />
auf der Oberfläche vertreten.“, antwortete Athol.<br />
„Ein Imperium?“, wiederholte D’Agosta. „Komisch, von<br />
Tarkon habe ich nie etwas gehört.“<br />
„Vermutlich ist es nicht umfassend genug, um für die<br />
Cardassianer wichtig zu sein.“, sagte Shannyn. „Athol, ist das<br />
Imperium der Tarkon groß.“<br />
Er nickte eifrig. „Sehr groß. Sehr groß.“<br />
Auf diese Aussage konnte sie nicht viel geben. Für solch<br />
Primitive, wie Athol waren auch fünf besiedelte Planeten<br />
schon eine ganze Menge.<br />
Judy sah hoch. „Vielleicht kommen sie von dem Planeten da<br />
oben.“
„Nein, Spätzchen.“, sagte D’Agosta. „Die Sensoren der<br />
<strong>Shenandoah</strong> haben angezeigt, dass die Oberfläche toxisch ist.<br />
Da lebt seit langer, langer Zeit niemand mehr. Athol, was für<br />
Arbeiten mussten sie hier verrichten?“<br />
„Verschiedene Dinge. Am meisten arbeiteten wir in den<br />
Erzminen und Bergwerken. Die Oberfläche des Planeten ist<br />
wenig einladend, aber der Boden enthält wertvolle Erze. Wir<br />
ernteten die Früchte der Tiefe. Sie sind überall.“<br />
„Ein so reicher Boden?“, fragte D’Agosta.<br />
Athol nickte. „Umfangreiche Kostbarkeiten. Spezielle Erze<br />
liefern Energie für die Raumschiffe der Tarkon. Wir bauten<br />
sie ab, unter den Aufmerksamen Blicken der Wächter. Aber<br />
irgendwann brauchten die Tarkon uns nicht mehr.“ Bei diesen<br />
Worten war die Bitterkeit in seiner Stimme deutlich zu hören.<br />
„Wieso brauchten sie euch nicht mehr?“<br />
„Dies erledigen nun Maschinen.“<br />
Shannyn und D’Agosta wechselten einen Blick. „Sind diese<br />
Maschinen unterirdisch am Graben? Wir haben vorhin eine<br />
gewaltige Erschütterung miterlebt, liegt es daran?“<br />
„Nein, das sind nicht die Maschinen. Die, die uns verdrängten,<br />
sind groß. Einer der Clans braucht noch immer Amphion und<br />
behandelt sie gut. Wir arbeiteten einst für diese Siedlung. Wir<br />
holten die Kostbarkeiten aus dem Boden des Planeten und sie<br />
behandelten uns gut und schützten uns vor den gefährlichen<br />
Tieren. Wir brauchten uns gegenseitig. Doch dann kam die<br />
zweite Siedlung. Viele von uns wurden ausgelöscht, einfach<br />
so. Der Rest wird in Reservaten gehalten.“<br />
„Aber warum lassen sie euch dann jetzt nicht einfach gehen?“,<br />
fragte D’Agosta.<br />
„Weil sie uns noch brauchen. Hin und wieder kommen sie um<br />
unsere Frauen zu nehmen, das Essen zu stehlen, oder um<br />
Arbeiter zu rekrutieren.“<br />
„Böse Jungs.“, murmelte Shannyn.
„Die Siedlung.“, sagte D’Agosta. Er erinnerte sich an die<br />
Anzeigen auf den Scannern, wonach sie den Kurs der<br />
Rettungskapseln richteten. „Diese Tarkon haben eine Siedlung<br />
hier in der Nähe, nicht wahr?“<br />
„Zwei Siedlungen.“, nickte Athol und deutete in eine wage<br />
Richtung. „Eine dort drüben, hinter den Hügeln. Eine viel<br />
weiter weg. Einst lebten wir dort, zusammen mit den Tarkon.<br />
Schliefen, aßen und durften uns Partner suchen.“ Er schob die<br />
Unterlippe vor. „Aber diese Zeiten sind vorbei.“<br />
„Gibt es viele Schiffe auf dem Planeten?“, fragte Fowler. Zu<br />
seinem Bedauern verneinte Athol. „Alle Tausend Zyklen<br />
kommt ein großer Himmelsvogel und bringt neue Soldaten,<br />
Maschinen, Wasser und viel Nahrung. Aber das ist sehr selten.<br />
Tausend Zyklen.“<br />
D’Agosta fragte: „Kannst du uns zurück durch die Höhlen<br />
führen?“<br />
„Das werde ich, aber nicht jetzt. Es ist schon spät, zu dunkel<br />
für einen Aufbruch. Die Unsichtbaren jagen in der Nacht. Sie<br />
könnten auch heute wieder unterwegs sein.“<br />
„Die Unsichtbaren?“, staunte D’Agosta.<br />
„Wir sollten erst in einigen Stunden gehen, wenn es hell ist,<br />
sonst ist es zu gefährlich. Ruht euch aus. Ihr seid bei uns<br />
willkommen.“<br />
„Das Angebot ist sehr nett, Athol.“, sagte D’Agosta und<br />
überlegte, welche Worte er wählen sollte. „Aber wir können<br />
nicht bleiben. Unsere Freunde, auf der anderen Seite des<br />
Berges, werden sich Sorgen machen und Suchtrupps schicken.<br />
Wenn sie sich in den Höhlen verirren... Ich meine, so weit ist<br />
es doch gar nicht.“<br />
Athols Gestalt erschlaffte einen Moment, doch der Amphion<br />
bewahrte seine Würde. „Dann werde ich euch führen. Wenn<br />
wir Fackeln nehmen, ist die Gefahr, dass uns etwas geschieht<br />
geringer.“
„Vielen Dank. Wir möchten euch nicht beleidigen, aber es<br />
dient nur dem Schutz unserer Leute. Wenn ihr wollt, werden<br />
wir morgen wiederkommen.“<br />
Athol erhob sich schwerfällig, wobei seine Knie knackten.<br />
„Ihr müsst unbedingt vorsichtig sein!“, sagte er. „Wenn euch<br />
die Tarkon entdecken, werdet ihr alle getötet.“
Smith<br />
„Es war ein Unfall.“, sagte Nottingham unschuldig und reichte<br />
den Scannerkasten an Nechayev weiter. Sie standen auf einem<br />
Hügel ganz in der Nähe des Lagers vor einer Lichtung und<br />
blickten auf die Auswirkungen des unheimlichen Geräuschs<br />
und der Umwälzung des Bodens, die vor knapp zwei Stunden<br />
stattgefunden hatten. Aber es war mitten in der Nacht und sie<br />
konnten kaum etwas erkennen. Nechayev aktivierte den<br />
Kasten und drehte an den Reglern, während sie sagte: „Ian.<br />
Das musste nun wirklich nicht sein.“<br />
„Niemand wird ihn vermissen, oder fragen stellen. Er wurde<br />
einfach von einem Tier erwischt.“<br />
„Der Mann hatte Frau und Kinder.“<br />
„Er bedrohte die Mission.“, war alles, was Nottingham sagte.<br />
Nechayev erwiderte nichts. Sie bediente weiterhin den Kasten.<br />
„Haben Sie die Disk?“<br />
Nottingham griff in seinen Mantel und nahm eine sechseckige,<br />
Potato-Chip-große Scheibe heraus, die er Nechayev reichte.<br />
Sie steckte die Disk in den Schlitz an der Seite des Scanners.<br />
Auf dem kleinen Monitor tauchte die karge Oberfläche des<br />
Mondes auf. Genau der Planquadrat in dem sie sich befanden.<br />
Da waren die Berge, das Tal, die Ebene... irgendwo in der<br />
Mitte mussten sie heruntergekommen sein. Ja. Ja, dort bei den<br />
sichelfömigen Hügeln.<br />
„Reicht die Energie?“, fragte Nottingham.<br />
Der Balken stand fast gänzlich auf null. „Nein, es sei denn, die<br />
Energieanzeige ist defekt.“<br />
„Empfangen Sie denn etwas?“<br />
„Ein bisschen Geduld, Ian. Das System liest gerade die Disk.“
Und dann erlosch der Bildschirm. Aber für den Bruchteil einer<br />
Sekunde – unmittelbar, bevor sich der Scanner abgeschaltet<br />
hatte, waren auf dem Bildschirm eine dreieckige Markierung<br />
und die Beschriftung ERSTGRUP aufgetaucht. Nechayev<br />
atmete schneller, aufgeregter. Sie versuchte den Scanner<br />
wieder zu aktivieren, aber der Bildschirm blieb dunkel. Sie sah<br />
auf.<br />
Nottingham runzelte die Stirn. „Was haben Sie?“<br />
„Hoffnung.“, sagte Nechayev. Sie drehte sich zum Lager:<br />
„Wir brauchen Smith!“<br />
In der Dunkelheit der Nacht betrachtete Smith das notdürftig<br />
aufgebaute Lazarett und nickte dann den Sanitätern zu. „Okay,<br />
tragt sie rein.“<br />
Sie ächzten, als sie die schwere Tür anhoben und durch den<br />
die Luke bugsierten. Das Hineintragen war knifflig, aber sie<br />
schafften es sicher und ohne irgendwo anzuecken. Die<br />
Oberfläche war stabil, glatt und nicht gebogen und somit ideal<br />
als Bett. Denn das Lazarett bestand aus nicht mehr als einer<br />
halbzusammengeschweißten Hülle. Medizinische Ausrüstung<br />
und Betten fehlten. Als nächstes war ihr Patient – Hawk dran.<br />
Der Pilot lag auf dem Boden, malte mit dem Finger Kreise in<br />
die Luft und summte vor sich hin.<br />
Sie hängte sich eine Medizintasche um die Schulter und wollte<br />
gerade den Sanitätern bei den Umräumarbeiten helfen, als sie<br />
bemerkte, dass Nechayev zwischen den Rettungskapseln<br />
auftauchte und auf sie zuhielt. Smith seufzte innerlich.<br />
Nechayev nickte zu Hawk und fragte: „Wie geht’s ihm?“<br />
„Er hält sich tapfer.“, sagte Smith. „Ein bisschen deliriös.“<br />
„Ganz und gar nicht.“, wiedersprach Hawk. „Ich bin absolut<br />
klar im Kopf.“<br />
Smith kniff die Augen zusammen. „Was wollen sie?“<br />
„Sie sprechen, Rhonda.“
Sie nahm Smith beim Arm und führte sie ein paar Metern vom<br />
Lager weg. Als sie sich vergewissert hatte, dass sich niemand<br />
in Hörreichweite befand, holte sie den groben Scannerkasten<br />
hinter dem Rücken hervor und sagte: „Sie müssen das hier für<br />
mich aufladen, Rhonda. Und zwar gleich morgen früh, sobald<br />
der Jeep das Lazarett wieder mit Strom versorgt.“<br />
Smith runzelte die Stirn und nahm den Scanner entgegen. Sie<br />
kannte seine Funktionsweise. Schließlich hatte sie ihn ja selber<br />
konstruiert.<br />
„Warum sollte ich-“<br />
Und dann bemerkte sie den Ausdruck in Nechayevs Gesicht.<br />
„Sie haben etwas empfangen?“<br />
Nechayev nickte enthusiastisch. „Es ist noch nicht vorbei. Und<br />
ich brauche ihre Hilfe, Rhonda. Wir entdeckten ein Signal –<br />
was wir auch zu entdecken erhofft hatten. Aber ich weiß nicht<br />
von wo. Sie müssen zum einen den Scanner aufladen-“<br />
Smith schüttelte den Kopf, schloss die Augen. „Nach allem,<br />
was sich zugetragen hat, geben sie noch immer nicht auf? Was<br />
soll denn noch furchtbares passieren? Wie viele Leben müssen<br />
noch dran glauben, ehe Sie ihren weißen Wal erlegt haben?“<br />
Sie senkte schnell ihre Stimme und sah sich um. Niemand<br />
hatte sie gehört. „Wollen Sie alle noch mehr hintergehen?<br />
Mehr Geheimniskrämerei?“<br />
„Die Anderen erfahren, was Sie erfahren müssen. Darüber<br />
hinaus sind Sie für mich nicht von Belang.“<br />
„Das können Sie nicht tun, Admiral.“<br />
Nechayev hob warnend den Zeigefinger: „Sagen Sie mir nicht,<br />
was ich tun kann!“<br />
„Das ist Wahnsinn.“<br />
Nechayev zuckte mit den schultern. „Es ist Forschung.“<br />
„So nennen Sie das?“<br />
„So nenne ich das, ganz recht. Forschung hat sich geändert,<br />
Rhonda. Wir sind nicht mehr auf der Suche nach Antworten,<br />
sondern nach Industrie. Medikamente, Stoffe, Elemente und
vieles mehr. So wird Forschung heute finanziert – von<br />
Konzernen und Unternehmen wie Farnham. Sie suchen nach<br />
Vermögen.“<br />
„Sie vielleicht, Admiral Aber ich nicht. Nicht mehr. Und ich<br />
habe auch keine Zeit mehr für ihre kleinen Missionen und<br />
Operationen. Ich muss mich um jemanden kümmern, der von<br />
den Folgen ihrer verheerenden Manie betroffen ist. Hawk<br />
braucht mich.“<br />
Sie wollte sich gerade abwenden, als sie Nechayev in einem<br />
merkwürdigen Tonfall sagen hörte: „Hawk, ja richtig. Der<br />
Pilot. Ich bin sicher, Sie werden ihn durchbringen, Rhonda.<br />
Sie sind eine hervorragende Ärztin. Er wird also<br />
quicklebendig sein, wenn wir zurückkehren. Aber was dann?“<br />
Nechayev begann um Smith herumzuschleichen. „Man wird<br />
eine Untersuchung der Katastrophe durchführen.“, sagte sie.<br />
„Man wird sagen, es sei ein Pilotenfehler gewesen, da jemand<br />
den Warpsprung verpatzt hat. Und es werden<br />
Nachforschungen eingeleitet. Schließlich findet man heraus,<br />
dass Sie, Doktor, Hawk’s Akte gefälscht und ihm so den<br />
Dienst an Brod gestattet haben, obwohl er unter<br />
Morphiumeinfluss stand und alles andere als Dienstfähig war.<br />
Was wird das für ihn bedeuten? Soll ich weiter reden?“<br />
Smith starrte sie eine ganze Weile einfach nur an. Dann hörte<br />
sie sich fragen: „Was brauchen sie?“<br />
„Ein Labor.”<br />
Smith sagte nichts.<br />
„Unsere Arbeit ist noch nicht beendet, Rhonda. Noch nicht.“<br />
„Okay, gut. Sie bekommen ihr verdammtes Labor.“<br />
„Ach und Rhonda.... vergessen Sie niemals, warum Sie in<br />
meiner Schuld stehen. Niemals!“
Amphion-Camp<br />
Keine Sterne. Nur dieser riesige, weißrote Planet direkt über<br />
ihren Köpfen und dunkle drohende Wolken. „Es ist<br />
unheimlich.“, flüsterte Fowler.<br />
D’Agosta sah zum Himmel hoch und nickte. Er fuhr sich mit<br />
den Fingern durch das kurze, schwarze Haar. Es war Zerzaust.<br />
Aber in der Wildnis dieses Mondes gab es vermutlich<br />
wichtigeres, als eine perfekt sitzende Frisur. Er wandte sich<br />
um und sah im Schein des flackernden Feuers, dass Judy von<br />
Amphion umzingelt war und irgendeine Geschichte erzählte.<br />
Etwas über einen neuen Holo-Film. Die primitiven hingen ihr<br />
förmlich an den Lippen. Die Amphion schien einen Narren an<br />
dem seiner Tochter gefressen zu haben. Vielleicht, weil sie<br />
selbst keine Kinder mehr haben durften.<br />
Verblüffend – überall in der Galaxis war es gleich: Kindliches<br />
aussehen, führte zu einem selbstorganisiertem, erwachsenen<br />
Verhalten.<br />
Und Judy war sehr lebhaft, hatte im Kontakt mit den<br />
gutmütigen Amphion offenbar eine Aufgabe gefunden, die ihr<br />
gefiel.<br />
Shannyn nahm von einem Amphion eine Art Wasserkanister<br />
entgegen und bedankte sich.<br />
Athol hatte sich einen schweren Pelz umgelegt und bereitete<br />
nun auf den Abmarsch vor. In seiner rechten Hand hielt er<br />
eine große Fackel. Wenn sie sich vom Lager entfernten, waren<br />
sie praktisch völlig im dunkeln, fast völlig blind. Dann<br />
mussten sie sich ganz auf den Amphion verlassen, um zu<br />
überleben.
D’Agosta und Fowler gingen zurück zu ihnen. „Es wird Zeit.“,<br />
sagte D’Agosta.<br />
Damit begann der Marsch durch die finstere Nacht. Weit<br />
kamen sie nicht. Nur wenige Meter vom Lager entfernt, schrie<br />
eine der Frauen hinter ihnen gellend auf. Die Amphion riefen<br />
irgendetwas wild durch die Gegend. Athol packte D’Agosta<br />
am Kragen und zog ihn zurück zum Lager. „Ihr müsst sofort<br />
in Sicherheit, ihr müsst in Sicherheit!“<br />
„Was... was ist denn?“<br />
Sie wurden in eines der kleinen Felsenhäuser gestoßen, die<br />
Kerzen darin erlöscht. Und dann sah D’Agosta, was los war:<br />
Bedrohliche Geländewagen, die wild lärmend und Hupend auf<br />
das Camp zugestürzt kamen.<br />
Zwei Jeeps und ein kleines, schlichtes Motorrad, umrundeten<br />
Krawall schlagend das Camp der Amphion. Die Fahrzeuge<br />
wirkten alt und verbraucht.<br />
Die Stahlverkleidung war größtenteils verrostet, hier und dort<br />
war mit rot/schwarzer Farbe drübergemalt worden. Die<br />
Insassen machten einen nicht weniger heruntergekommenen<br />
Eindruck. Es machte ihnen offenbar einen riesigen Spaß,<br />
hupend und schreiend, wie eine Motorradgang um das Lager<br />
zu brausen und die Amphion einzuschüchtern. Frauen schrieen<br />
umher, versteckten sich in den Häusern und sogar die Männer<br />
traten zurück. Die Tarkon führten das Spiel noch eine Zeitlang<br />
so weiter, dann fuhren sie in das Camp rein. Einer der Jeeps<br />
zertrümmere eine kleine Sandburg. Sie bremsten haarscharf,<br />
schlidderten noch ein paar Zentimeter durch den Sand und<br />
hielten nahe an den Amphion. Dann stiegen sie aus. Shannyn<br />
konnte von ihrem Standpunkt nicht allzu viel erkennen, wusste<br />
aber sofort, dass von den Kerlen – zweifellos Tarkon - nichts<br />
gutes ausging.
Auch ohne die Berichte Athols. Diese Typen - etwa ein<br />
Dutzend – waren stämmige, breitschultrige Gestalten, die für<br />
gewöhnliche Straßenräuber und Rowdys entschieden zu<br />
militärisch aussahen. Ihre Kleidung war eine Mischung aus<br />
schwarz-rotem, harten Leder und dienten unbestreitbar der<br />
Uniformierung. An Schultern und Brust erfasste Shannyn so<br />
etwas wie Rangabzeichen und Verdienstorden. Diese<br />
Exemplare hier hatten nicht viele davon. Sie umzingelten<br />
Athol und begannen den Amphion herumzustoßen und lachten<br />
dabei dreckig.<br />
Shannyn versuchte der Unterredung zu folgen, bekam aber nur<br />
die Hälfte mit. „Was ist? Was denn ist nur los?“, flüsterte<br />
D’Agosta hinter ihr. Er konnte nichts sehen und wenn er sich<br />
vorbeugte, riskierte er entdeckt zu werden.<br />
„Sscht!“, machte Shannyn.<br />
Die Tarkon wurden allmählich wütend. Offenbar suchten sie<br />
etwas.<br />
Und dann bekam Shannyn auch endlich mit, wonach sie<br />
suchten. Einer der Tarkon fragte zähnefletschend: „Wo ist die<br />
Sternenflotte?“<br />
„Ich greife ein.“, entschied Shannyn. „Helfen Sie mir?“<br />
„Eingreifen? Aber... ich... ich bin kein Kämpfer.“, zögerte<br />
D’Agosta.<br />
„Macht nichts, lenken Sie die Typen einfach ab, den Rest<br />
erledige ich.“<br />
Fowler zog die Stirn kraus. „Das ist ihr Plan? Selbst Wile E.<br />
Coyote würde mit einem besseren Plan aufkreuzen.“<br />
„Shannyn, das sind acht Mann. Groß und ziemlich kräftig, wie<br />
es aussieht.“, sagte D’Agosta. „Sie können niemals alleine-“<br />
„Ich schaff das schon.“ Sie drehte sich zu dem<br />
Sicherheitswächter. „Fowler, Was ist mit ihnen?“
„Na ja, also ich kann Karate, Kung Fu... und siebenundvierzig<br />
andere gefährliche Wörter.“<br />
Shannyn starrte ihn einfach nur an. Sie fand das nicht<br />
komisch. Fowler seufzte. „Hören Sie, die kenne ich doch gar<br />
nicht. Vielleicht sollten wir einfach warten. Die ziehen<br />
bestimmt gleich wieder ab.“ Auch er scheute offensichtlich die<br />
Konfrontation.<br />
Shannyn seufzte stumm. Der feige Fowler und der viel zu<br />
gutartige D’Agosta.<br />
Sie wollte eine spitze Bemerkung antworten, dann viel ihr<br />
aber plötzlich wieder ein, Admiral Felix Alvarez, einer ihrer<br />
alter Ausbilder, sie einmal in der klingonischen Savanne von<br />
Kelrath’Kathena III besucht hatte.<br />
Er war einer dieser arroganten Theoriereiter gewesen und<br />
erzählte immer viel über seine Erfahrungen auf Vulkan und<br />
Orion mit den vulkanischen Tigern und anderen Raubtieren.<br />
Shannyn hatte ihn mit zu einem Fressplatz in der Savanne<br />
mitgenommen und er wurde prompt ohnmächtig. Er wog über<br />
einhundert Kilo und sie musste ihn am Kragen wegschleifen,<br />
während Targs in der Fresszeit sie umkreisten und anfauchten.<br />
Das war ihr eine Lehre gewesen.<br />
Sie baute sich auf. „Wer Angst hat, oder keine<br />
Kampferfahrung hat, den brauche ich nicht. Der bleibt einfach<br />
hier. Ich will mich um den nicht auch noch kümmern müssen,<br />
klar? Ich mache das allein.“<br />
„Sie wollen gegen die alle antreten?“, fragte Fowler.<br />
„Sieht nicht fair aus, nicht wahr?“, entgegnete Shannyn.<br />
„Vielleicht sollte ich mir einen Arm auf den Rücken binden.“<br />
Und damit marschierte sie aus dem Felsen hinaus. Direkt auf<br />
diese Männer zu.<br />
D’Agosta und Fowler wechselten einen Blick.<br />
„Sie... Sie ist mutig.“, sagte D’Agosta.<br />
Fowler zögerte ein paar Sekunden. Dann schnaubte er<br />
beleidigt und machte eine abfällige Bewegung. „Sie ist doch
nur ne Frau.“ Der Sicherheitsoffizier umfasste sein Gewehr<br />
und trat ebenfalls hinaus.<br />
D’Agosta seufzte laut. Er drehte sich zu seiner Tochter. „Judy,<br />
bleib hier drin! Egal, was passiert.“<br />
„Aber-“<br />
„Hast du gehört?“<br />
„Ja.“<br />
„Gut.“ Nun trat er selbst raus und spürte, wie Adrenalin durch<br />
seinen Körper gepumpt wurde. „Das gibt Ärger.“, wusste er.<br />
Fowler nickte. Sie schlossen zu Shannyn auf.<br />
Die Tarkon hatten sie noch nicht bemerkt.<br />
„Seien Sie auf der Hut.“, riet Shannyn und trat an die Tarkon<br />
heran. Der Anführer der Tarkon schüttelte Athol, was an sich<br />
schon beeindruckend war. „Was ist los, Amphion? Hast du die<br />
Hosen voll?“<br />
„Ich glaube das reicht.“, sagte Shannyn<br />
Der Anführer der Truppe wandte ruckartig den Kopf, starrte<br />
die Neuankömmlinge an und lies Athol so ruckartig los, dass<br />
er hilflos zurücktaumelte.<br />
„Sie lassen die Amphion nun in Ruhe!“, sagte D’Agosta mutig<br />
und wunderte sich nur eine Sekunde später, eben dies gesagt<br />
zu haben. Es klang so anders, so... verwegen. Der Mut verflog<br />
sofort wieder.<br />
Die Augen des Tarkons funkelten tückisch, während er sich<br />
mit wiegenden Schritten auf D’Agosta zu bewegte, in dem er<br />
anscheinend das lohnendere Opfer entdeckt zu haben glaubte.<br />
Es kam zu einer Größendemonstration. Die drei Offiziere<br />
standen den acht Tarkon gegenüber.<br />
Der Anführer der Truppe schlug die Fäuste zusammen und<br />
brummte D’Agosta an. Der Kerl war gut dreißig Zentimeter<br />
größer als er und nicht nur das. Das Gesicht des Tarkons<br />
sprach Bände. Zu sagen, dass es Brutal war, wäre untertrieben<br />
gewesen. Es war eine typische Schlägervisage. Breit, voller<br />
Narben und mit einer Nase, die mindestens schon ein Dutzend
Mal gebrochen gewesen sein musste. Kerle wie er fand man<br />
überall im Universum. Und überall lief eine Konfrontation mit<br />
ihnen auf Ärger aus. Großen Ärger.<br />
„Was sollen wir?“, knurrte er<br />
„Die... ähm... die Amphion in Ruhe lassen?“, sagte D’Agosta,<br />
aber diesmal zögerlicher.<br />
„Was mischt du dich denn ein. Zwerg?“<br />
„Allan D’Agosta. Und ich bin kein Zwerg. Es liegt mir fern,<br />
mich irgendwo einzumischen.“, sagte D’Agosta vorsichtig.<br />
„Aber, was Sie hier machen, ist falsch.“<br />
„So?“, knurrte der Tarkon und kam einen weiteren Schritt auf<br />
D’Agosta zu. D’Agosta sah sich rasch um. Shannyn ballte die<br />
Fäuste und fixierte den Kerl, während Fowler sein Gewehr<br />
bereit hielt, den Tarkon anstarrend, der bei dem Jeep geblieben<br />
war und ebenfalls eine Waffe trug. Ein primitives Gewehr.<br />
„Du musst Sternenflotte sein. Ja, wir haben von euch gehört.“,<br />
sagte der Große lauernd. „Freunde der Amphion, wie?“<br />
Allmählich wurde es D’Agosta enorm mulmig zumute. Der<br />
Bursche war auch ein gutes Stück größer als er und er machte<br />
nicht den Eindruck, als ließe er sich durch ein paar freundliche<br />
Worte beruhigen.<br />
„Bitte, ich wollte lediglicht-“<br />
Den Kerl interessierte nicht, was D’Agosta sagen wollte. Er<br />
schlug ohne Vorwarnung zu. Und sehr viel schneller, als Allan<br />
es erwartet hätte. Zum Glück war Shannyn noch schneller.<br />
Hätte sie seine Hände nicht genau beobachtet, dann hätte ihn<br />
der erste Fausthieb sofort ins Reich der Träume befördert. So<br />
zertrümmerte er nur einen bröckligen Fels, als Shannyn ihn<br />
zur Seite stieß. Dann geschah alles gleichzeitig. Das Krachen<br />
des Gesteins mischte sich mit dem Keuchen des Typen, als<br />
Shannyn ihm die Faust ins Gesicht schlug. Das Ergebnis<br />
entsprach wohl nicht ganz ihrer Absicht. Der Kerl wankte<br />
zurück und heulte vor Schmerz, aber das lag wohl eher daran,<br />
dass er sich die Faust an dem Fels zerschmettert hatte.
Zeitgleich erfolgten ein Schuss aus dem Phasergewehr, als<br />
Fowler abdrückte. Der Strahl berührte fast sanft die Brust des<br />
Tarkon, der gerade sein eigenes Gewehr hob. Der Kerl wurde<br />
jählings von den Füßen gerissen und landete mit weit<br />
ausgebreiteten Armen auf dem harten Untergrund. Ein zweiter<br />
Takon zögerte keine Sekunde, sprang vor und wollte nach<br />
seinem Gewehr greifen.<br />
Allan blieb keine Zeit Fowler eine Warnung zuzurufen, denn<br />
in diesem Moment war einer der Tarkon heran und er hatte<br />
plötzlich alle Hände voll zu tun.<br />
Hätte der Kerl mit ein bisschen mehr Überlegung angegriffen,<br />
hätte D’Agosta vermutlich nicht den Hauch einer Chance<br />
gehabt.<br />
Er war einen guten Kopf größer und wog mindestens dreißig<br />
Kilo mehr. In seinen Augen loderte pure Mordlust. Und wie<br />
alle mordlüsternen, großen Kerle, verließ er sich völlig auf<br />
seine überlegene Kraft. D’Agosta tauchte mehr aus einem<br />
Reflex, als durch Absicht unter seinen Fäusten hindurch,<br />
packte den Arm mit beiden Händen, drehte sich halb um seine<br />
Achse und zerrte gleichzeitig mit aller Kraft.<br />
Seine Rechnung ging nicht ganz auf. Statt im hohen Bogen ber<br />
seinem Kopf hinwegzusegeln und sich am nächsten Felsen<br />
den Schädel einzuschlagen, kam der Kerl nur ins Stolpern und<br />
viel auf alle Viere. D’Agosta war verzweifelt. Er konnte nicht<br />
kämpfen! Er hatte noch nie an einer Schlägerei teilgenommen,<br />
war eher immer davor geflüchtet.<br />
Verflucht, er war auf der Grundschule sogar von einem<br />
Mädchen verprügelt worden!<br />
Allerdings musste er etwas unternehmen, das war ihm klar.<br />
Fowler rang mit seinem Gegner und vollführte eine Art<br />
Tauziehen um das Gewehr. So lange, bis er schließlich auf die<br />
Idee kam, den Abzug zu betätigen. Sein Gegenüber rechnete<br />
damit überhaupt nicht, taumelte mehr vor Schreck, als vor den<br />
Auswirkungen des Schusses zurück und überschlug sich.
Dafür prallte sofort ein dritter von hinten gegen Fowler und<br />
riss ihn von den Beinen. Dadurch verlor er sein Gewehr, dass<br />
über den Boden davon schlidderte.<br />
Auch Shannyn war nicht mehr allein. Sie wurde von gleich<br />
zwei weiteren Tarkon attackiert. Aber es sah eigentlich nicht<br />
so aus, als bräuchte sie Hilfe. Einer der beiden versuchte in<br />
ihren Rücken zu gelangen, aber Shannyn schien plötzlich<br />
Augen im Hinterkopf zu haben, denn sie stieß blitzartig den<br />
Ellenbogen zurück und der Kerl hatte in der nächsten Minute<br />
genug damit zu tun, das Amten neu zu lernen. Der andere<br />
versuchte den Moment auszunutzen und attackierte Shannyn<br />
direkt von vorn, aber auch ehr war nicht sonderlich<br />
erfolgreich.<br />
Sie tauchte mit einer fast spielerisch anmutenden Bewegung<br />
unter seinem Fausthieb hindurch, wirbelte herum und setzte<br />
mit einem Handkantenschlag nach, der ihn wie einen nassen<br />
Sack zu Boden stürzen lies. Das ganze hatte kaum eine<br />
Sekunde gedauert. Eine weitere Sekunde vergeudete D’Agosta<br />
damit, einfach dazustehen und Shannyn anzustarren. Dann<br />
prallte irgendetwas großes gegen D’Agosta und noch im Sturz<br />
wurde ihm bewusst, dass es etwas lebendiges war. Der<br />
Tarkon, der ihn angegriffen hatte, war wieder auf die Beine<br />
gekommen und griff erneut an.<br />
D’Agosta rollte sich ab und war blitzschnell wieder auf den<br />
Beinen. Er wiederstand dem Drang seiner Beine, in Deckung<br />
springen zu wollen und beschloss sich mit dem Kerl<br />
anzulegen. Shannyn schaffte es ja auch! Und er war immerhin<br />
ein Mann. Also schlug er zu. Und zog sogleich seine Faust<br />
wieder schmerzerfüllt weg. Sein Gegner schwankte nicht mal.<br />
Er schien überhaupt ein Kinn aus Stahl und einen Magen aus<br />
Beton zu haben, wie D’Agosta im nächsten Angriff bemerkte.<br />
Er schien seine Schläge gar nicht zu spüren, sondern grinste<br />
nur. „Du schlägst, wie ein Mädchen.“
D’Agosta konnte dagegen nicht viel sagen, er bemerkte ja<br />
selbst, dass er viel zu zaghaft zuschlug. Das war eine neue<br />
Erfahrung für ihn. Außerdem spürte er, wie seine Kräfte<br />
allmählich nachzulassen begannen. Also versuchte er es noch<br />
einmal, diesmal fester.<br />
Es kam wie es kommen musste: D’Agosta brachte einen<br />
gezielten Faustschlag auf der Nase des Kerls an, aber der<br />
Bursche steckte den Hieb einfach weg und stürmte mit weit<br />
ausgebreiteten Armen auf D’Agosta zu, der plötzlich von den<br />
Füßen gerissen und herumgewirbelt wurde, während sich die<br />
Arme des Kerls wie Schraubstöcke um seinen Brustkorb<br />
schlossen. D’Agosta bekam keine Luft mehr. Irgendwo hinter<br />
ihm hörte er Fowler stöhnen und sah ihn aus den<br />
Augenwinkeln auf den Boden stürzen. Er rührte sich nicht<br />
mehr. Shannyn schien weniger Probleme zu haben. Für den<br />
Bruchteil einer Sekunde sah er sie und die beiden anderen<br />
Kerle, die einen wilden Tanz aufzuführen schienen.<br />
Mein Gott, was taten sie ihr an?<br />
D’Agosta bäumte sich auf, als sein Gegner den Druck auf<br />
seinen Brustkorb noch verstärkte. Er hatte das schreckliche<br />
Gefühl, sein Rückrat würde brechen, aber er hatte nicht einmal<br />
mehr Luft zum schreien. Bunte Sterne tanzten vor seinen<br />
Augen. In seiner Verzweiflung versetzte er dem Kerl eine<br />
Kopfnuss, wobei er sich selbst vermutlich mehr weh tat, als<br />
dem Gegner. Es reichte aber, um frei zu kommen. Der Griff<br />
um seinen Brustkorb lockerte sich, D’Agosta fiel, blieb<br />
benommen liegen und versuchte dann wieder auf die Füße zu<br />
kommen.<br />
Vergeblich.<br />
Seine Arme spielten nicht mehr mit, als er sich hochstemmen<br />
wollte. Sein Gegner indes stand immer noch da, breitbeinig,<br />
mit stierem Blick und weit nach vorn gebeugt. Aber er tat ihm<br />
nicht den Gefallen endlich umzufallen. Der Kerl hatte
offensichtlich nicht nur den IQ, sondern auch die Kondition<br />
eines Ochsen.<br />
Endlich gelang es ihm, sich wankend auf die Füße zu erheben.<br />
Seine Arme waren wie Blei, als er die Fäuste hob und mit<br />
letzter Kraft auf den Tarkon zuwankte. Der Kerl hob ebenfalls<br />
die Riesenpranken – und stürzte stocksteif vornüber, als<br />
jemand von hinten einen Stein auf seinem Schädel<br />
zerschmetterte. Der Schädel ging dabei ebenso zu Bruch.<br />
D’Agosta konnte sich gerade noch in Deckung bringen, um<br />
nicht unter dem Riesen begraben zu werden. Die nächsten<br />
Zehn Sekunden verbrachte er damit, verdutzt auf die schlanke<br />
Gestalt zu starren, die hinter dem Tarkon aufgetaucht war.<br />
„Ju... Judy!“, stammelte er. Er wollte noch mehr sagen,<br />
brachte aber keine Wort hervor, drehte den Kopf stattdessen<br />
nach den anderen.<br />
Fowler lag bewusstlos mit dem Gesicht nach unten auf dem<br />
Boden. Er atmete aber noch. Die beiden Kerle, die Shannyn<br />
angegriffen hatten, lagen nebeneinander. Der eine sah aus, als<br />
hätte er versucht, mit Kinn und Nase den Sandboden zu<br />
polieren. Er stöhnte leise.<br />
Der andere rührte sich überhaupt nicht mehr. Sein Gesicht war<br />
relativ unbeschädigt, aber so, wie sein linker Arm dalag,<br />
musste er mindestens ein zusätzliches Gelenk darin haben. Die<br />
Tarkon, die noch grade stehen und laufen konnten, eilten zu<br />
den beiden Jeeps und ergriffen die Flucht.<br />
Irgendjemand Schrie. Eine Amphion. Weitere Schreie.<br />
Befehle, hektisches Gerede.<br />
D’Agosta hustete. Seine Kräfte versagten endgültig. Die Knie<br />
wurden weich. Er brach zusammen und er sah ein, dass er dem<br />
Griff der Bewusstlosigkeit nicht entkommen konnte. Aber dne<br />
Bruchteil einer Sekunde, bevor ihm endgültig die Sinne<br />
schwanden, sah er etwas, von dem er nicht sicher war, ob es<br />
sich schon um ein Traumbild handelte, der auf der anderen<br />
Seite der Ohnmacht auf ihn wartete. Eine Kriegeramazone,
mit langem blonden Haar, kam auf einem Motorrad, direkt aus<br />
der Hölle stammend, auf ihn zugerast und hielt schliddernd<br />
vor ihm an. Bevor sie ihn umbringen konnte, verlor D’Agosta<br />
endgültig das Bewusstsein.<br />
„Sie haben meine Tochter!“, schrie eine alte Amphion entsetzt<br />
und kam auf Shannyn zugerannt. „Sie haben meine Tochter.“<br />
„Die Tarkon?“<br />
Die Frau nickte bemüht.<br />
„Weswegen?“<br />
„Sie entführen Frauen.“, antwortete Athol.<br />
„Wo sind sie hin?“<br />
„Dorthin.“, sagte die Frau und deutete über die Ebene. Dank<br />
dem Staub, den das Fahrzeug aufwirbelte, konnte man es im<br />
schwachen Planetenlicht gerade noch erkennen. „Bitte, helfen<br />
sie mir!“<br />
Shannyn zögerte keinen Moment und rannte zu dem Motorrad,<br />
dass die Tarkon zurückgelassen hatten.<br />
Sie hob es auf und schwang sich drüber, einen schnellen Blick<br />
über die Armaturen werfend. Gasgriff, Bremsgriff, Anlasser.<br />
Ein leichtes Grinsen huschte über ihre Züge. Zur Probe drehte<br />
sie am Gasgriff. Das Motorrad schoss vor, sie lenkte einen<br />
Bogen und blieb neben den anderen stehen. Der<br />
Sicherheitsoffizier war betäubt, D’Agosta glotzte sie aus<br />
verständnislosen Augen an, verdrehte selbige und stürzte dann<br />
benommen vornüber. Die beiden schieden aus.<br />
Shannyns Blick wechselte zwischen Judy und Athol, blieb<br />
dann bei dem Mädchen verharren. „Steig auf.“, sagte Shannyn<br />
und nahm das Gewehr von der Schulter. Judy kletterte hinter<br />
ihr auf das Motorrad. Shannyn streckte ihr die Waffe hin.<br />
„Kannst du schießen?“<br />
„Nein. Ich meine, ich hab noch nie.“<br />
„Kannst du Motorrad fahren?“
„Nein, ich –„<br />
„Dann musst du schießen.“, entschied Shannyn. „Sieh her:<br />
Das ist der Abzug. Dies hier ist der Regler für die<br />
Emissionsstärke, da gehst du nicht dran. Und das ist der<br />
Sicherungshebel. Draufdrücken. Okay? Das wird ne holprige<br />
Fahrt, also erst entsichern, wenn wir nahe dran sind.“<br />
„Nahe dran an was?“<br />
Aber Shannyn gab keine Antwort mehr. Sie gab gas, das<br />
Motorrad beschleunigte und schoss hinter den fliehenden<br />
Tarkon her, auf die Ebene hinaus. Judy legte den Arm um<br />
Shannyn und klammerte sich fest.
Verfolgung<br />
Judy hatte Angst, aber die Art, wie Shannyn über Waffen,<br />
über Motorräder und sonst einfach alles sprach, beruhigte sie.<br />
Direkt und unverblümt. Und Judy erkannte allmählich, dass<br />
Shannyn sich durch nichts aufhalten lies, dass sie einfach tat,<br />
was sie sich in den Kopf gesetzt hatte.<br />
Und diese Einstellung, sich von nichts und niemandem<br />
aufhalten zu lassen, zu glauben, dass man tun konnte, was man<br />
tun wollte, war etwas, das sie nun selbst nachzuahmen<br />
versuchte. Das Motorrad jagte über die sandige Ebene. Mit der<br />
einen Hand klammerte Judy sich an Shannyn fest, in der<br />
anderen hielt sie das Gewehr. Das Sternenflottengewehr war<br />
schwer, und ihr Arm wurde allmählich müde. Das Motorrad<br />
holperte über das unebene Gelände, wich ständig aufragenden<br />
Felsen aus. Der Wind blies ihr die schwarzen Haare ins<br />
Gesicht.<br />
„Festhalten.“, rief Shannyn.<br />
Der riesige Planet brach über ihnen durch die schwarzen<br />
Wolken, der grobkörnige Sand wirkte wie vertrocknetes Blut.<br />
Der Geländewagen war Vierzig Meter vor ihnen, gerade noch<br />
in Reichweite des Scheinwerfers.<br />
Abgesehen von ihnen sah Judy keine weiteren Wagen in der<br />
Nähe, der andere war vor wenigen Minuten in eine andere<br />
Richtung abgebogen, in der Hoffnung Shannyn auf eine<br />
falsche Fährte locken zu können. Aber sie folgten dem<br />
richtigen, die Amphion war auf dem Beifahrersitz deutlich zu<br />
erkennen. Und kreischte.<br />
Sie nährten sich dem Jeep. Der Fahrer fuhr schnell und<br />
teufelswild.
Shannyn schwenkte nach rechts, als sie den Jeep erreichten.<br />
Der Abstand wurde immer kleiner, mit dem Motorrad waren<br />
sie schneller. Sie beugte sich zurück, brachte den Mund nahe<br />
an Judys Ohr. „Mach dich fertig!“, rief sie.<br />
„Was muss ich tun?“<br />
Sie fuhren nun, etwa auf Höhe der Hinterräder, neben dem<br />
Jeep her. Shannyn beschleunigte, direkt neben den Fahrer her.<br />
Der sah zur Seite und blickte sie grimmig an. Eine Waffe hatte<br />
er offenbar keine. „Der Motorblock!“, rief sie. „Schieß auf den<br />
Motorblock.“<br />
Judy kniff die Augen zu. Der Motorbereich des Jeeps war<br />
offen, die Maschinen lagen frei. Es waren recht viele.<br />
„Wohin?“<br />
„Irgendwo in den Motorblock!“<br />
Judy hantierte mit dem Gewehr. „Jetzt?“<br />
„Nein! Warte, warte!“<br />
Der Fahrer geriet in Panik, als das Motorrad sich näherte. Er<br />
beschleunigte. Judy versuchte die Finger an den<br />
Sicherungshebel zu bekommen. Das Gewehr hüpfte. Alles<br />
hüpfte. Sie berührte den Hebel, rutschte wieder ab. Sie würde<br />
beide Hände benutzen müssen und das bedeutete, Shannyn<br />
loslassen.<br />
„Mach dich fertig.“, rief Shannyn.<br />
„Aber ich kann nicht-„<br />
„Jetzt, tu es!“<br />
Shannyn schwenkte nach links und fuhr im Abstand von nur<br />
knapp einem Meter neben dem Jeep her. Der Fahrer fletschte<br />
die Zähne, musterte die Frau und das Kind, die ihn offenbar<br />
herausfordern wollten. Sein Blick blieb besonders lange auf<br />
Judy haften. Er hob den Arm und wollte nach ihr greifen.<br />
Shannyn schwenkte von ihm weg. Judy schoss. Das Gewehr<br />
ruckte in ihren Händen und sie umklammerte wieder Shannyn.<br />
Der Jeep fuhr weiter.<br />
„Was ist passiert?“
„Du hast daneben geschossen.“<br />
Judy schüttelte den Kopf. „Oh.“<br />
„Macht nichts.“, rief Shannyn. „Du schaffst es. Ich fahre näher<br />
ran.“<br />
Sie schwenkte wieder auf den Jeep zu. Aber diesmal lief es<br />
anders: Als sie neben ihm waren, riss der Fahrer das Lenkrad<br />
herum und machte einen Schlenker auf sie zu. Shannyn<br />
erschrak, riss im letzten Moment ihrerseits den Lenker herum<br />
und bremste ab, um schnell wieder hinter den Jeep zu geraten.<br />
Der Abstand vergrößerte sich wieder.<br />
„Ein richtiger Mistkerl, was?“, rief Shannyn. „Lässt einem<br />
keine zweite Chance.“<br />
Der Jeep lenkte in die eine Richtung, schlug dann plötzlich<br />
einen Haken und raste über die Ebene davon. „Er fährt auf die<br />
Stadt dort zu.“, rief Judy.<br />
Nun sah es Shannyn auch. Keine Stadt. Eine Festung. Sie<br />
waren nur noch wenige Kilometer entfernt.<br />
„Er glaubt er kann uns entwischen.“<br />
Sie waren jetzt zehn Meter hinter dem Jeep und verloren an<br />
Boden. Der Wagen raste über sehr unebenes Gelände und das<br />
Motorrad holperte und schlingerte. Shannyn schüttelte den<br />
Kopf. „Das wird nichts. Halt dich fest.“<br />
Sie schwenkte nach links, von dem Jeep weg und einen<br />
kleinen Abhang hinunter.<br />
„Was soll das?“, rief Judy.<br />
„Wir müssen ihm den Weg abschneiden.“<br />
Kreischend flog ein Schwarm prähistorisch aussehender Vögel<br />
vor ihnen auf.<br />
Shannyn fuhr durch die flatternden Flügel und Judy zog den<br />
Kopf ein. Das Gewehr in ihrer Hand ruckte. „Aufpassen!“, rief<br />
Shannyn.<br />
„Was ist passiert?“<br />
„Dein Gewehr ist losgegangen.“<br />
Judy schluckte. „Wie viel Schuss haben wir noch?“
„Noch zwei. Die müssen sitzen!“<br />
Shannyn zog den Gashebel weiter zurück und das Motorrad<br />
schoss nach vorn. Direkt vor ihnen kam eine Steigung.<br />
Shannyn raste unbeeindruckt darauf zu. „Halt dich fest!“<br />
„Was...-“<br />
Auf einmal flogen sie durch die Luft. Für eine Sekunde schien<br />
die Zeit still zu stehen. Die Räder drehten sich ohne Boden<br />
unter den Füßen. Ein kalter Wind fuhr durch Judys Haar.<br />
Dann setzten sie mit einem lauten Knall auf, der Judys innere<br />
Skelettstruktur durcheinander warf. Um ein Haar hätte sie das<br />
Gewehr fallen gelassen.<br />
Sie hatten kurz aufholen können, waren nun wieder nahe am<br />
Jeep. Dennoch betrug der Abstand noch 20 Meter. Der Wagen<br />
raste auf die Festung zu. „Er entwischt uns!“<br />
D’Agosta rappelte sich auf. Sein Schädel dröhnte, er hatte das<br />
Gefühl, mindestens zwanzig Torpedos seien hinter seiner Stirn<br />
explodiert. Er schwankte ein wenig.<br />
Das hinderte ihn aber nicht daran, den Kopf zu schütteln.<br />
„Was sagen Sie da?“ Er packte Athol an beiden Schultern und<br />
schüttelte den Riesen.<br />
„Shannyn und meinte Tochter machen, was?“<br />
Sie jagten dem Jeep hinterher. Sie hatten wieder ebenes<br />
Gelände erreicht und Shannyn beschleunigte das Motorrad.<br />
Der Fahrer drehte den Kopf nach ihnen, fluchte und änderte<br />
die Richtung.<br />
Er versuchte Abstand zu gewinnen, aber auf der freien Ebene,<br />
waren sie schneller. Dennoch näherten sie sich der Festung.<br />
Sie kamen auf gleiche Höhe mit dem Jeep, flankierten ihn<br />
links. Shannyn steuerte nach rechts. Der Fahrer warf ihnen
eine nicht jugendfreie Geste zu und steuerte ebenfalls nach<br />
rechts.<br />
„Er beendet sein Vorhaben zur Festung zu fahren.“, jubelte<br />
Judy. Sie nahm an, der Fahrer hätte seinen Plan aufgegeben<br />
und raste nun planlos über die ebene.<br />
Shannyn hielt das Tempo und kam dem Jeep langsam immer<br />
näher. Sie holten stetig und unerbittlich auf. Judy war<br />
aufgeregt. Sie versuchte das Gewehr auszurichten und<br />
bereitete sich auf den zweiten Schuss vor.<br />
„Verdammt!“, rief Shannyn.<br />
„Was?“<br />
„Schau!“<br />
Judy streckte sich und sah Shannyn über die Schulter. Direkt<br />
vor sich sah sie Felsen. Viele, große Felsen, die wie nach<br />
einem Steinschlag aus heiterem Himmel einfach so in der<br />
Ebene dicht beieinander lagen. Im Mondlicht sahen auch sie<br />
aus, wie vertrocknetes Blut.<br />
Der Jeep fuhr direkt darauf zu.<br />
„Er glaubt er kann uns abhängen!“ Shannyn gab mehr Gas und<br />
verkürzte den Abstand. „Schnapp ihn dir! Jetzt!“ Judy zielte<br />
und schoss. Das Gewehr ruckte. Der Jeep fuhr weiter.<br />
„Daneben.“<br />
Die Felsen sausten schnell heran, der Jeep brach aus und raste<br />
in das Felsengebiet hinein.<br />
„Und jetzt?“, rief Judy.<br />
„Wir haben kaum eine andere Wahl.“, rief Shannyn und zog<br />
mit dem Jeep gleich, während sie in den Schatten des ersten<br />
Felsens eintauchte. Judy sah, dass die Felsen extrem spitz<br />
waren.<br />
Jetzt waren sie in einem weiteren Schatten, dann wieder im<br />
Mondlicht, dann wieder im Schatten. Es war, als würden sie<br />
durch einen Wald fahren. Nur, dass es hier anstatt Bäume<br />
große, spitze Felsen gab. Der Jeep schwenkte zur Seite,<br />
Shannyn war nicht so schnell. Sie konnte dem Fels direkt vor
ihnen nicht mehr ausweichen, gab dafür noch mehr Gas. Es<br />
war nur ein kleiner Fels. Und Flach auf ihrer Seite –<br />
glücklicherweise.<br />
Das Motorrad hüpfte, für einen Moment drohten sie das<br />
Gleichgewicht zu verlieren, fanden es aber sofort wieder.<br />
Judys Herz hämmerte bis zum Hals. Der Jeep schlug noch ein<br />
paar Haken und raste dann aus der Felsenebene hinaus.<br />
„Scheiße.“, rief Shannyn und riss das Motorrad herum. Ein<br />
Stein hing tief und verfehlte sie knapp und dann hatten sie die<br />
Felsformationen ebenfalls hinter sich gelassen. Sie jagten dem<br />
Jeep hinterher. Das Motorrad sauste über die sandige Ebene.<br />
„Letzte Chance.“, rief Shannyn. „Tu’s!“<br />
Judy hob das Gewehr. Shannyn gab noch einmal Gas und kam<br />
dem Jeep sehr nahe. Der Fahrer schwenkte wieder auf sie zu,<br />
um sie zu rammen, doch Shannyn wich nicht aus, sondern<br />
schlug ihm kräftig mit der Faust gegen den Kiefer. Sein Kopf<br />
flog herum. Er verdrehte die Augen. „Jetzt!“<br />
Judy drückte den Lauf gegen den Motorblock und feuerte. Das<br />
Gewehr schnellte zurück und stieß ihr in den Bauch. Der Jeep<br />
fuhr weiter.<br />
„Nein!“<br />
Und plötzlich durchzuckten elektromagnetische Entladungen<br />
den Motorblock. Blitze zuckten. Der Jeep wurde langsamer<br />
und blieb stehen. Shannyn bremste ebenfalls ab und hielt an.<br />
Der Tarkon hinter dem Steuer stöhnte.<br />
Er war über dem Lenkrad zusammengesackt. Fünf Meter von<br />
ihm entfernt stieg Shannyn ab.<br />
Sie nahm das Gewehr und deutete auf die Magazinanzeige.<br />
Judy sah noch drei glühende Balken. „Ich habe gedacht das sei<br />
der Letzte.“, sagt sie.<br />
„Ich habe gelogen.“, sagte Shannyn sanft. „Warte hier.“<br />
Judy blieb beim Motorrad, während Shannyn vorsichtig auf<br />
den Tarkon zu ging.<br />
Er stöhnte.
Wachte auf.<br />
Shannyn schoss noch einmal und wartete, bis der schlaffe<br />
Körper des Betäubten aus dem Wagen kippte.<br />
Dann ging sie zur verängstigten Frau und reichte ihr die Hand.<br />
Shannyn half der Amphion auf die Beine und versuchte sie<br />
durch gutes Zureden zu beruhigen. Die Frau war sehr<br />
hysterisch, schien aber zu begreifen, dass von Shannyn und<br />
Judy keine Gefahr ausging und beruhigte sich allmählich.<br />
Dann sah sie sich den Tarkonwagen an. Neben dem Lenker<br />
erspähte sie eine Art Anlasser und betätigte ihn. Nichts<br />
geschah.<br />
Das Armaturenbrett blieb dunkel. Shannyn beugte sich über<br />
den Motorblock und sah nun, dass Judys Schuss mehr getan<br />
hatte, als nur die Elektronik auszuschalten. Es roch verschmort<br />
und beißender Rauch quoll aus den Maschinen empor.<br />
Shannyn seufzte und trat zurück. „Wir werden auf dem<br />
Motorrad ein wenig zusammenrücken müssen.“<br />
Judy sah auf einen Bereich irgendwo hinter Shannyn. Sie hatte<br />
die Augen zugekniffen und schaute konzentriert. „Da drüben,<br />
zwischen den Felsen ist etwas.“, sagte sie. „Sehen Sie? Dort,<br />
an diesem Berghang.“<br />
Shannyn folgte ihrem Blick. Zunächst konnte sie gar nichts<br />
erkennen, doch dann sah sie, wie sich das Licht des<br />
tiefhängenden Planeten auf einer metallischen Oberfläche<br />
spiegelte. „Das ist eine Rettungskapsel.“<br />
„Ob da noch jemand lebt?“<br />
„Möglich. Wir könnten nachsehen. Was meinst du?“<br />
Judy überlegte. Offen gestanden, wollte sie zurück zu ihrem<br />
Dad. Andererseits wusste sie auch von der Wichtigkeit,<br />
weitere Überlebende des Raumschiffabsturzes zu finden. „Ja,<br />
könnten wir machen.“<br />
„Keine Sorge, ich pass auf dich auf. Es ist auch nicht weit.“
Sie ging zum Motorrad und schwang das Bein darüber. Dann<br />
bedeutete sie der Amphion, sich hinter sie zu klammern und<br />
holte Judy auf die Lenkstange. „Bist du so weit?“<br />
Das Mädchen nickte.<br />
Shannyn gab Gas.
Fluchtkapsel 13<br />
Sie fuhren auf die Kapsel zu. Die Tarkonfestung hinter dem<br />
Hügel wurde zunächst immer größer, als sie eine Kuppe<br />
hinauffuhren und verschwand dann hinter einer kleinen<br />
Bergformation, als es wieder abwärts, in eine kleine Talsohle<br />
voller aufragender Felsen ging. Ein paar Meter vor der Kapsel<br />
hielt Shannyn an und stieg mit den anderen ab. Es war<br />
unheimlich. Alles war völlig still, lediglich die offen stehende<br />
Tür der Kapsel quietschte bedächtig im sanften Wind. Ein<br />
furchtbarer Gestank lag in der Luft, wie von...<br />
„Iieh.“<br />
Judy erspähte im selben Moment wie Shannyn die Leiche<br />
eines Sternenflottenoffiziers. Shannyn hielt das Mädchen an<br />
den Schultern fest und drehte sie von der Leiche weg. „Nicht<br />
hinsehen.“<br />
„Ich werd es verkraften.“, behauptete Judy, klang gleichzeitig<br />
aber nicht sonderlich überzeugend. Sie war sichtlich bleicher<br />
geworden.<br />
Shannyn streifte sich den Rucksack von der Schulter und<br />
übereichte ihn Judy. „Da ist was zu trinken drin, falls du<br />
Wasser brauchst.“<br />
„Okay.“<br />
„Bleib zurück.“<br />
„Okay.“<br />
Während Shannyn kurz in die Kapsel sah – offenbar leer – und<br />
anschließend zur Leiche ging, um sie zu untersuchen, fand<br />
Judy eine kleine Feldflasche in dem Rucksack. Sie schraubte<br />
den Verschluss auf und trank hastig. Dann nahm sie den<br />
Rucksack.
Sie schnallte ihn sich um und zog die Gurte straff.<br />
Anschließend trat Judy ein paar Schritte von der Leiche fort.<br />
Der Gestank war unerträglich. Aber das konnte doch keine<br />
Verwesung sein.<br />
So lange waren sie noch gar nicht gestrandet. Die Amphion<br />
begann zu zittern. Immer wieder blickte sie sich nervös in der<br />
Dunkelheit um. Als hätte sie angst vor einer sehr nahen<br />
Gefahr. Als wüsste sie mehr, als sie. Sie flüsterte immer<br />
wieder: „Blutkatze. Blutkatze.“.<br />
Die Stille der Nacht machte Judy angst. Sie schauderte. Am<br />
Himmel grollte Donner.<br />
Schweigend ging Shannyn in die Hocke und betrachtete die<br />
Leiche.<br />
Es war die eines männlichen Menschen mit goldener Uniform.<br />
Offenbar ein Lieutenant. Den klaffenden Schusswunden in<br />
seinem Brustkorb nach zu urteilen, hatten ihn die Tarkon<br />
erwischt. Oder sonst wer. Aber da war noch mehr. Sein linker<br />
Arm war verstümmelt, allerdings nicht von einer Waffe. An<br />
dem zerfetzten Fleisch erkannte Shannyn, dass sich ein Tier an<br />
der Leiche zu schaffen gemacht hatte – erst kürzlich. Außerdem<br />
entdeckte sie Schleifspuren, als wenn etwas versucht<br />
hätte, die Leiche fortzuschleppen.<br />
„Das ist Lieutenant Spiers.“, sagte Judy mit Übelkeit im<br />
Gesichtsausdruck. Sie hatte sich wieder etwas näher<br />
herangewagt. „War Lieutenant Spiers, vielmehr.“<br />
„Der Sicherheitschef?“, fragte Shannyn.<br />
„Richtig.“<br />
„Na Klasse.“<br />
„Dann haben wir die Kapsel von Captain O’Conner entdeckt,<br />
nicht? Aber wo ist er? Und Tessler? Und die alle?“<br />
Shannyn deutete auf Fußspuren. Einige stammten eindeutig<br />
von Sternenflotten-Asolo-Stiefeln. Andere von Unbekannten,
aber Shannyn zweifelte nicht daran, dass es Tarkon wahren.<br />
Sie drehte den Kopf, folgte den Spuren und erspähte<br />
Reifenspuren. Sie waren zum Tarkonlager–<br />
Shannyn drehte sich um und sah aus den Augenwinkeln<br />
heraus eine Bewegung. Etwas kleines braunes, das über den<br />
Boden huschte. Ein Tier etwas von der Größe einer Ratte.<br />
Judy stöhnte erleichtert auf. Dann war das Tier wieder<br />
zwischen den Felsen verschwunden.<br />
Judy lachte erleichtert. „Yoz! Ich dachte schon, dass sei jetzt<br />
irgendein fieses Monster und-“<br />
Plötzlich sprang, von einem furchtbaren Gebrüll begleitet, ein<br />
Tiger mit feuerrotem Fell hinter einem Felsen hervor und griff<br />
Judy von hinten an, ehe Shannyn reagieren konnte.<br />
Das Tier sprang ihr auf den Rücken und Judy wurde zu Boden<br />
gerissen. Dabei lies sie das Gewehr fallen. Shannyn umschloss<br />
den Griff ihres Kurzschwertes und schnappte nach Luft, als<br />
die Blutkatze seine spitzen Fangzähne herabschlug – in den<br />
Rucksack.<br />
Nur in den Rucksack.<br />
Das Tier machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf, als<br />
es seine Beute reißen wollte und mit einem lauten Klatschen<br />
rissen die Rucksackgurte.<br />
Irgendwie gelang es Judy sich aufzurappeln. Die Panik stand<br />
ihr ins Gesicht geschrieben.<br />
„Los rein!“, befahl Shannyn und stieß sowohl Judy, als auch<br />
die Amphion in die Kapsel. Just in diesem Moment bemerkte<br />
die Blutkatze, dass etwas nicht stimmte und lies von dem<br />
Rucksack ab. Das mächtige Tier fauchte Shannyn an und<br />
machte sich zum Sprung bereit. Shannyn warf sich ebenfalls<br />
durch die Einstiegsluke in die Kapsel, landete auf dem Rücken<br />
und stieß die Tür mit den Beinen zu, als die Blutkatze dagegen<br />
prallte.<br />
Während draußen das Tier dagegen hämmerte, stemmte sie<br />
sich gegen die Tür. In der Dunkelheit der Kapsel tastete sie
nach einem Schloss, oder einem Kontrollmechanismus, konnte<br />
aber keines finden. Dann reagierte Judy. Ihre Hände bewegten<br />
sich an der Luke. Noch immer hämmerte die Blutkatze<br />
dagegen.<br />
Augenblicke später sagte Judy: „Ich hab’s.“ Shannyn hörte das<br />
Klicken der Verriegelung und trat einen Schritt zurück. Judy<br />
fasste nach ihrer Hand. Das Tier hämmerte und fauchte.<br />
„Wir schaffen es.“, sagte Shannyn tröstend.<br />
Die Amphion zog sich Panisch an die Rückwand zurück, als<br />
plötzlich eine zweite Blutkatze auftauchte und dort gegen das<br />
Fenster sprang.<br />
Die Amphion kreischte erschrocken auf. Dann sah Shannyn<br />
eine dritte Blutkatze. Und eine vierte. Die Tiere hörten auf,<br />
sich gegen das Fenster und die Tür zu werfen. Aus Richtung<br />
der Tür hörte Shannyn ein metallisches Kratzen und dann sah<br />
sie durch einen dünnen Sehschlitz, dass die Tiere auf dem<br />
Motorrad rumhüpften und es anfauchten. Die Krallen an ihren<br />
Pfoten waren ausgefahren. Nicht mehr lange und die Reifen<br />
würden platzen. Jetzt mussten sie schnell handeln.<br />
Judy hatte Angst in der dunklen Fluchtkapsel, aber Shannyns<br />
Art beruhigte sie erneut. Sie blieb konzentriert. Mit einem<br />
Sinn für praktisches und bewahrte die nötige Ruhe. Judy hörte<br />
die Amphion wimmern. Sie lies sich von ihrer Angst<br />
kontrollieren und war unfähig sich zu bewegen. Dann<br />
verdrehte sie die Augen und fiel in Ohnmacht.<br />
Nein, das war es nicht, wie Judy sein wollte. Sie wollte sein<br />
wie Shannyn. Also riss sie sich zusammen und zog in der<br />
Dunkelheit die Ausrüstungskisten auf, kniff die Augen<br />
zusammen, um etwas erkennen zu können.<br />
Ihr Vater hatte ihr einst bei einer der zahlreichen Übungen die<br />
Notfallmaßnahmen bei einer Evakuierung gezeigt und ihr auch<br />
alles in den Kapseln gezeigt. Und sie war sich ziemlich sicher,
dass sie in einer der Kisten eine Tasche mit aufgedrucktem<br />
Totenkopf gesehen hatte. Vielleicht waren da ja Waffen drin.<br />
Sie suchte weiter, lies die Kisten offen, die sie bereits<br />
durchsucht hatte. Und plötzlich berührten ihre Finger eine<br />
grobe Tasche. Sie spähte in die Kiste. Ja, das war die Tasche!<br />
Judy zog das erstaunlich schwere Objekt aus der Kiste.<br />
„Shannyn, sehen Sie!“<br />
Shannyn trug die Tasche zu dem Fenster, durch das ein wenig<br />
Sternenlicht in die Kapsel fiel. Sie zog den Reißverschluss auf<br />
und musterte den Inhalt. Die Tasche war in wattierte Fächer<br />
unterteilt. Sie sah drei Würfel aus irgendeiner Substanz.<br />
Gummi, oder so was. Und einen kleinen silberfarbenen<br />
Zylinder – wie eine Flasche. Sie konnte die Beschriftung nicht<br />
erkennen.<br />
Die Tiere draußen fauchten.<br />
„Was ist das für ein Zeug?“<br />
„Ich glaube Rauchbomben.“<br />
„Nur Rauch?“, fragte sie. „Macht die nur Rauch?“<br />
„Ja, aber-„<br />
„Das hier ist besser.“, sagte sie und hob den Zylinder in die<br />
Höhe. Diese Beschriftung konnte sie lesen. „Cholinesterase-<br />
Bombe.“<br />
„Was macht die?“, fragte Judy.<br />
„Setzt ein Gas frei. Ruft eine kurzzeitige Lähmung hervor.“<br />
„Wie kurzfristig?“<br />
„Ein paar Minuten, glaube ich.“<br />
„Wissen sie, wie das Ding funktioniert?“<br />
Shannyn nickte und drehte den Zylinder in der Hand. An<br />
einem Ende befand sich eine Verschlussklappe mit einem<br />
Sicherungsstift. „Den Stift abziehen und werfen, Judy.“,<br />
erklärte sie. „So funktioniert das. Nach drei Sekunden geht sie<br />
los, wenn ich mich nicht irre.“
„Okay. Was tun wir?“<br />
„Wir verschwinden jetzt.“, erklärte Shannyn und ging zur Tür.<br />
Der Zylinder flog durch die Luft, seine silbrige Hülle blitzte<br />
einen kurzen Moment im Mondlicht. Die Blutkatzen drängten<br />
sich ein paar Meter von der Fluchtkapsel entfernt um das<br />
Motorrad. Eines der Tigerartigen Tiere hob den Kopf und sah<br />
den Zylinder, der einige Meter weiter weg im roten Sand<br />
landete. Shannyn stand wartend an der Tür.<br />
Nichts passierte.<br />
Keine Explosion.<br />
Nichts.<br />
„Verdammt.“<br />
Neugierig streifte die Blutkatze zu dem im Gras liegenden<br />
Zylinder. Er fauchte Shannyn an und senkten den Kopf und als<br />
er ihn wieder hob, hielt er den Zylinder zwischen seinen<br />
Fangzähnen.<br />
Shannyn sagte: „Es hat nicht funktioniert.“<br />
Plötzlich gab es eine laute Explosion und eine Wolke dichten,<br />
grauen Rauchs wehte los. Die Tiere verschwanden komplett in<br />
der Wolke. Shannyn schloss schnell die Tür.<br />
„Und jetzt?“, fragte Judy.<br />
Die Amphion lag schwer über Shannyns Schulter geworfen,<br />
als sie vorsichtig und Judy aus der Kapsel traten. Die Wolke<br />
war vor einer Minute verschwunden. Die erste Blutkatze, die<br />
sie im Sand fanden, lag mit geöffneten Augen, aber absolut<br />
regungslos auf der Seite.<br />
Doch er war nicht tot.<br />
Shannyn konnte sehen, wie sich sein Bauch kaum merklich<br />
auf und ab bewegte.<br />
Das Tier war nur gelähmt.
„Wie lange hält das Zeug an?“, fragte Judy.<br />
„Keine Ahnung.“, entgegnete sie. „Kein Wind im Moment.<br />
Dann sollte es ne Weile wirken.“<br />
Sie gingen weiter. Die Blutkatzen lagen um sie herum im Sand<br />
verstreut. Die zwei wichen den Körpern aus. Der faulige<br />
Gestank der angeknabberten Leiche stieg ihnen in die Nase.<br />
Shannyn hielt nach dem Gewehr Ausschau, fand es aber nicht.<br />
Vermutlich lag es unter einem der Tiere begraben. Dann<br />
erspähte sie ihren Rucksack und hob ihn auf. Zwei dicke<br />
Löcher von den Fangzähnen klafften im Stoff. Sie seufzte,<br />
machte schnell einen Knoten in eine der gerissenen Gurte und<br />
schwang sich den Rucksack um die Schulter.<br />
Judy stöhnte verzweifelt.<br />
Eines der Tiere lag über dem Motorrad. Shannyn lies die<br />
Amphion behutsam zu Boden sinken.<br />
Dann zerrte sie am Lenker und versuchte das Motorrad unter<br />
dem Tier herauszuziehen. Doch die Blutkatze war zu schwer.<br />
„Du ziehst es raus.“, entschied Shannyn.<br />
Ohne zu zögern ging sie um das Motorrad herum, bückte sich,<br />
schlang der Blutkatze die Arme um den Hals und zog den<br />
Kopf hoch.<br />
Das Fell war angenehm weich, aber der Gestank, der dem Tier<br />
aus dem Maul drang, war Sinnesbetäubend. Sie kümmerte sich<br />
nicht weiter drum. Ächzend richtete sie sich auf und hob das<br />
Tier in die Höhe.<br />
„Hast du es?“, fragte sie Judy gepresst.<br />
„Noch nicht.“, sagte Judy und zog an der Lenkstange.<br />
Shannyns Gesicht war nur wenige Zentimeter von Kopf und<br />
Maul der Blutkatze entfernt. Als sie nachfasste, um ihn besser<br />
in den Griff zu bekommen, zuckte der Kopf leicht hin und her.<br />
Ein offenes Auge starrte sie blicklos an. Shannyn zog mit aller<br />
Kraft, versuchte das Tier noch ein Stückchen höher zu<br />
bekommen.<br />
„Fast.“, sagte Judy.
Shannyn ächzte, lies aber nicht los.<br />
Das Auge blinzelte. Erschrocken lies sie das Tier fallen. Da<br />
hatte Judy das Motorrad bereits weggezerrt. Sie plumpste auf<br />
den Boden. „Geschafft“<br />
Shannyn ging um die Blutkatze herum. Eines der mächtigen<br />
Beine zuckte. Der Brustkorb hebte und senkte sich jetzt<br />
deutlich.<br />
„Los.“, sagte Shannyn. „Judy, auf die Lenkstange.“ Sie nahm<br />
die Amphion huckepack und nahm sie hinter sich auf den Sitz,<br />
ohne die Blutkatze aus den Augen zu lassen.<br />
Der Kopf zuckte.<br />
Wieder blinzelte das Tier.<br />
Es wachte unverkennbar auf.<br />
„Los, zeit zu verschwinden.“
Amphion-Camp<br />
Das Motorrad fuhr einen kleinen Hügel hinunter auf die<br />
Siedlung der Amphion zu.<br />
Judy saß auf der Motorstange, während sich die inzwischen<br />
erwachte Amphionfrau ängstlich um Shannyn klammerte und<br />
die Augen nicht öffnete. Über Judys Schulter sah Shannyn im<br />
Licht des Planeten ein Dutzend Amphion und D’Agosta vor<br />
den Hütten stehen.<br />
Sie hielt an und alle stiegen ab. Judy wurde sofort von<br />
D’Agosta in Empfang genommen. Er fiel ihr um den Hals und<br />
drückte sie feste an sich. „Dad, du erwürgst mich.“ Es war ihm<br />
egal. Er würde sie nie wieder loslassen und drückte sie nur<br />
noch fester. Er sah zu Shannyn auf. „Danke.“<br />
„Wofür?“<br />
„Dass Sie sie mir wieder heil zurückgebracht haben.“<br />
Shannyn nickte.<br />
Athol gab in einer fremden Sprache kurze, präzise Befehle.<br />
Die Amphion, die sich um die Frau versammelt hatten und ihr<br />
medizinische Hilfe gaben, nickten und eilten in ihre Steine.<br />
Athol kam zu ihr. „Ihr habt euer Leben riskiert, um uns vor<br />
den Tarkon zu schützen.“, stellte er sichtlich beeindruckt fest.<br />
„Wieso?“<br />
„Wir sehen nicht tatenlos dabei zu, wenn jemand gequält<br />
wird.“, sagte Shannyn knapp. Sie nickte zu den Amphion. Sie<br />
packten Sachen ein. Scheinbar bereiteten sie sich auf einen<br />
Marsch vor. „Was machen die da?“<br />
Athol seufzte. „Wir müssen weiterziehen. Die Tarkon werden<br />
wütend sein. Und Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.“
Shannyn und D’Agosta wechselten einen Blick. Womöglich<br />
hätten sie sich doch nicht einmischen sollen. Nun hatten sie<br />
alles noch schlimmer gemacht.<br />
„Das wollten wir nicht-“<br />
„Schon gut.“, sagte Athol. „Wir mussten auf kurz oder Lang<br />
ohnehin gehen. Die Tarkon wurden in letzter Zeit immer<br />
brutaler. Wütender.“<br />
„Und wohin gehen Sie jetzt?“, fragte D’Agosta.<br />
„Wir haben überall kleine Camps. Manche auch gut versteckt.<br />
Wir werden uns zu einer jenseits der Berge begeben.“ Er<br />
breitete die Arme aus. „Ihr könnt mit uns kommen. Alle von<br />
euch. Auch die Übrigen aus eurem Camp.“<br />
„Das ist sehr freundlich.“, sagte D’Agosta. „Aber wir müssen<br />
ablehnen.“<br />
„Dad-“, began Judy.<br />
„Wir müssen ein Basislager errichten, das weißt du doch. Die<br />
<strong>Shenandoah</strong> finden. Weitere Überlebende.“<br />
„Wenn das so ist, dann schließen wir uns euch gerne an.“,<br />
verkündete Athol feierlich. „Vier von uns werden euch<br />
begleiten und bei ihrer Suche helfen.“<br />
„Wissen Sie, das ist nicht nötig.“<br />
„Doch, das ist es.“ Sagte Athol. „Ihr kennt das Terrain nicht.<br />
Niemand von euch kennt das Terrain. Nein, nein, tut ihr nicht.<br />
Die gefährlichen Tiere. Gefahren. Überall gibt es Minen,<br />
kleine Haftdrohnen der Tarkon. Wir hingegen kennen diese<br />
Gefahren. Wir könnten euch führen. Euch zeigen, welche<br />
Pflanzen man essen kann. Welche Früchte. Das ist das<br />
Mindeste, was wir tun können.“<br />
„So viele Gefahren?“<br />
Athol nickte eifrig. „Es gibt viele wilde Tiere.“<br />
D’Agosta und Fowler sahen sich an. Dann nickte D’Agosta.<br />
„Schlaft. Ruht euch aus. Seid unsere Gäste.“, sagte Athol.<br />
„Gleich morgen früh werden wir ausbrechen..“
Athol führte Allan und Judy zu einem bestimmten Fels in dem<br />
sie die Nacht verbringen konnten. Fowler und Shannyn<br />
wurden woanders untergebracht. Es war zwar eng, aber man<br />
konnte es aushalten. Unweigerlich fragte er sich, wie die<br />
riesigen Amphion in diesen kleinen Einkerbungen im Fels<br />
schlafen konnten. Sobald er im Innern war, überwältigte ihn<br />
die Erschöpfung.<br />
Der Boden war mit einer pieksenden Heudecke übersät, aber<br />
sie war wenigstens warm. Sie legten sich hin und spürten<br />
wohltuende Wärme. Judy rollte sich zusammen und schloss<br />
die Augen. Allen legte seinen Arm um das Mädchen. In der<br />
Entfernung hörte er Tiere schreien. Sie waren weit weg. Judy<br />
sagte nichts mehr, sie war fast augenblicklich eingeschlafen.<br />
Allan fragte sich, wie spät es wohl war, kam aber zu keinem<br />
Ergebnis. Es war eben Nacht. Er spürte Judys Wärme an<br />
seinem Körper. D’Agosta schloss die Augen und schlief<br />
ebenfalls ein.
Basislager<br />
Hawk stöhnte. „Ist es nicht Zeit für das Morphium?“<br />
Er lag im Freien, unter dem klaren Sternenhimmel, während<br />
Crewmitglieder noch immer damit beschäftigt waren, aus<br />
zweien der Kapseln ein Notlazarett zu zaubern. Sein Zustand<br />
war nach wie vor bedenklich. Immer wieder verlor er das<br />
Bewusstsein. In seinen Wachphasen, redete er unsinniges<br />
Zeug.<br />
„Noch nicht.“, sagte Smith.<br />
Hawk seufzte. „Wie viel Wasser haben wir hier?“<br />
„Keine Ahnung. Bisher haben wir keinen See entdeckt, auch<br />
kein-“<br />
„Nein, ich meine wie viel auf Vorrat? Überhaupt etwas?“<br />
Rhonda schüttelte den Kopf. „Nichtmehr viel. Benötigst du<br />
welches?“<br />
„Ihr müsst wasser destillieren. Stellt Tonnen oder so was auf.“<br />
Rhonda runzelte die Stirn.<br />
„Außerdem.“, fuhr Hawk fort. „haben wir Tricorder?<br />
Lampen? Heizdecken? Solche Sachen eben.“<br />
„Wir überprüfen die Ausrüstung noch. Richtest du dich auf<br />
eine Katastrophe ein?“<br />
Hawk lächelte humorlos. „Die ist doch längst passiert, oder?<br />
Der Hawk-Effekt.“<br />
„Cooper, mach dir nicht zu viele Gedanken.“ Sie wusste, dass<br />
er durch das Morphium beeinträchtigt war.<br />
„Du darfst den Mut nicht verlieren. Nicht den Mut verlieren.<br />
Im Moment sind wir in Ordnung.“<br />
„Genau dann passiert es.“, sagte Hawk. „Erst recht, wenn<br />
Nechayev hier ist.“
Smith horchte auf. Konnte er es wissen? „Du magst sie nicht,<br />
hm?“<br />
„Du doch auch nicht. Sie ist eben zielstrebige Elite. Ja, das ist<br />
sie Zielstrebig. Sie verspürt doch absolut keine Verbindung zu<br />
ihren Untergebenen und sieht sie nur als Werkzeug, nicht<br />
wahr? Tz, ich glaube das muss man in ihrer Situation auch<br />
haben: eingefrorene Emotionen.“ Leiser: „Hätte ich jetzt auch<br />
gerne.“<br />
„Cooper-“<br />
„Nein, im ernst. Es sind Leute wie Nechayev, die nichts gutes<br />
bringen. Und wegen Leuten wie ihr entstehen solche<br />
Katastrophen. Wegen Leute wie ihr und wegen Leuten wie<br />
mir.“<br />
„Wegen ihr? Was meinst du, Cooper?“<br />
„Rhonda halte mich nicht für dumm. Ich war auf der Brücke,<br />
als es passiert ist – was immer Es auch war. Du willst mir<br />
doch nicht etwa erzählen, dass es sich bei unserer Begegnung<br />
mit den Breen und diesem Ding um Zufall handelte, oder?“<br />
Smith sagte nichts.<br />
„Das werte ich als ein Nein. Nechayev hat was ausgeheckt,<br />
stimmt’s? Und wir sind die Bauern.“ Er seufzte. „Zielstrebige<br />
Elite, ich sag’s ja. Sie sehen nur die augenblickliche Situation.<br />
Sie denken beschränkt, nennen es aber detailgenau, sie sehen<br />
das Umfeld nicht, überlegen sich keine Konsequenzen. Und<br />
genau damit kommt es zu Unheil. Du weißt doch, was ich<br />
meine, oder?“<br />
Ein Schatten huschte über Rhondas Gesicht. Sie sprach jetzt<br />
leise: „Aus eigener Erfahrung.“<br />
„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht kränken.“<br />
„Schon okay.“<br />
„Du hast es rechtzeitig verstanden und das Ruder rumgerissen.<br />
Du hattest Herz. Aber die...? Die verstehen das einfach nicht.“<br />
Er keuchte vor Schmerz. „Das Morphium macht mich ganz<br />
Philosophisch.“
„Willst du Wasser?“<br />
„Nein, nein. Ich sag dir, was das Problem mit der zielstrebigen<br />
Elite ist. Sie plappern immer groß daher, wollen das Beste für<br />
uns, wollen Forschen. Was natürlich stimmt, aber das ist es<br />
nicht, was sie antreibt. Kein Mensch – auch nicht in unserem<br />
Jahrhundert – lässt sich von Abstraktionen wie der Suche nach<br />
Wahrheit antreiben. Was sie wirklich antreibt, ist der Drang,<br />
etwas zu erreichen. Sie konzentrieren sich nie auf die Frage,<br />
ob sie es tun sollen. Weil es ihnen nicht in den Kram passt,<br />
bezeichnen sie solche Überlegungen als sinnlos. Wenn sie es<br />
nicht machen, tut’s ein anderer. Sie glauben, es ist alles<br />
unausweichlich. Also versuchen sie einfach, es als erste zu<br />
tun. Ständiger Fortschritt.“<br />
„Du beschreibst das Phänomen der roten Königin?“, erkannte<br />
Smith.<br />
„Hm?“<br />
„Dieses Phänomen beschreibt den Aufrüstungszustand der<br />
Natur, der nur zu einem Zweck dient: Dort zu bleiben, wo man<br />
ist.“<br />
„Kannst du mir ein Beispiel geben?“<br />
„Klar. Sagen wir mal... Afrika? Also, irgendwann vor Äonen<br />
waren die Bäume in Afrika völlig harmlos. Dann kamen die<br />
Vorfahren der Giraffen und begannen die Bäume völlig kahl<br />
zu fressen. Die Evolution reagierte und gab den Bäumen ein<br />
Verteidigungssystem: Sie wurden höher. Infolgedessen<br />
entwickelten sich im Laufe der Zeit bei den Giraffen auch<br />
längere Hälse. Es herrschte also wieder Gleichstand. Damit sie<br />
weiterhin nicht kahlgefressen wurden, entwickelten die Bäume<br />
Dornen mit einem schwachen Gift. Damit sie nicht<br />
verhungern, bescherte die Evolution den Giraffen lange<br />
Zungen, mit denen sie durch die Dornen hindurchkamen, usw.<br />
Keiner Weiß genau wie die Evolution das macht, aber sie lässt<br />
sich alle Dinge stetig weiterentwickeln, einfach dazu, dass sie<br />
genau da bleiben, wo sie sind. Dasselbe Prinzip ist auf die
Rüstungspolitik der einzelnen Imperien des Quadranten<br />
anzuwenden. Es ist allgegenwärtig. Und weil die rote Königin<br />
zu Alice aus Alice im Wunderland sagte: "Du musst so schnell<br />
laufen, wie du kannst, um dort zu bleiben, wo du bist", wird<br />
das ganze das Rote-Königin-Phänomen genannt.“<br />
„Hm.“, machte Hawk.<br />
Eine Zeitlang herrschte Schweigen.<br />
„Die Sache ist doch die: der Rüstzustand der Natur ist<br />
harmlos.“, sagte Hawk nach einer Weile. „Aber die<br />
Spielregeln der Wissenschaft – der Sternenflotte allgemein -<br />
sind ganz anders. Sogar die reine, wissenschaftliche<br />
Entdeckung doch ist ein aggressiver, penetrierender Akt.“<br />
„Cooper-“<br />
„Doch, ist so. Pass auf. Umfangreiche Hilfsmittel sind zu einer<br />
Entdeckung nötig und danach verändern sie das Universum.<br />
Teilchenbeschleuniger durchziehen den Boden und<br />
hinterlassen radioaktive Nebenprodukte. Der Warpantrieb<br />
zerstört den Subraum. In die Vergangenheit gereiste<br />
Raumschiffe lassen meinen assimilierten Bruder im Weltraum<br />
umherfliegen. Heruntergekrachte Rettungskapseln verstreuen<br />
allerorts Abfall. Es gibt immer Spuren, dass wir irgendwo<br />
waren und unsere tollen Entdeckungen gemacht haben. Das ist<br />
immer eine Vergewaltigung der Natur. Immer. Und weißt du<br />
was?“<br />
„Was?“<br />
„Wir wollen es so. Ganz genau. Wir müssen überall unsere<br />
Nasen hineinstecken, wir müssen einfach unsere Spuren<br />
hinterlassen. Wir können nicht einfach zusehen. Wir wissen<br />
nichts so zu würdigen, wie es ist, weil wir uns einfach nicht in<br />
die natürliche Ordnung der Dinge einfügen können.“<br />
Er seufzte und sein Körper erschlaffte ein wenig.<br />
„Glaubst du nicht, dass du etwas übertreibst?“, fragte Smith.<br />
„Die oberste Direktive-“
„Wurde schon tausendmal verletzt. Ist doch nur eine<br />
Richtlinie.“ Hawk versuchte eine wegwerfende Geste zu<br />
bewerkstelligen, aber seine Hand wollte nicht reagieren. Er<br />
zuckte mit den Schultern und schmatzte.<br />
„Wo liegt der Ausweg?“<br />
„Wir müssen die Zielstrebigen loswerden. Ihnen die Macht<br />
nehmen.“<br />
„Verlieren wir dann nicht den Fortschritt?“<br />
„Welchen Fortschritt meinst du?“, fragte Hawk. „Die Anzahl<br />
der Stunden, die man mit der Hausarbeit zubringt, hat sich seit<br />
dreihundert Jahren nicht geändert, trotz aller Fortschritte.<br />
Trotz der ganzen Essensverwerter, trotz der<br />
Barionsäuberungsstrahlen und der Transporter. Mein Bad<br />
reinigt sich noch immer nicht von selbst. Ich muss es putzen.<br />
Warum dauert das noch immer so lange wie vor dreihundert<br />
Jahren? Weil es keinen Fortschritt gab. Nur Variation. Sieh<br />
mal, vor ein paar hundert Jahren hat man auf der Erde für<br />
dreißig Meilen noch einen halben Tag gebraucht. Dann kamen<br />
die Transporter und man brauchte nur noch eine halbe<br />
Sekunde. Nach nicht ganz. Eine halbe Minute. Und was<br />
machen wir? Bauen so viele Transporter, dass die Netzwerke<br />
annähernd überlastet sind und man wieder einen halben Tag<br />
braucht, ehe ein Platz frei wird.“<br />
Smith erwiderte nichts.<br />
„Weißt du, die Menschen, die vor dreißigtausend Jahren noch<br />
die Höhlenmalereien machten, die hatten es gut. Arbeiteten<br />
zwanzig Stunden pro Woche, um sich mit Nahrung, Kleidung<br />
und Unterkunft zu versorgen. Den Rest der Zeit konnten sie<br />
spielen, oder schlafen, oder tun was sie wollten. Und sie lebten<br />
in einer natürlichen Umgebung. Mit sauberer Luft, sauberem<br />
Wasser, wunderbaren Bäumen und Sonnenuntergängen. Kein<br />
beständiges Brummen von Raumschiffsystemen, kein Transporter,<br />
der einen umbringt und woanders eine zweite Version<br />
von einem wieder zusammensetzt und vor allem keine Borg.“
Rhonda lächelte. „Dafür Mammuts, und Säbelzahntiger...“<br />
„Die assimilieren dich aber nicht.“<br />
„Willst du ernsthaft die Uhr zurückdrehen?“, fragte Smith.<br />
„Um Vierundzwanzig Stunden, ja. Gerne. Darüber hinaus will<br />
ich höchstens, dass die Leute wie Nechayev aufwachen. Und<br />
das du von ihr fernbleibst.“<br />
„Cooper-“<br />
„Inzwischen sollten wir wissen, wann es Zeit ist für moderne<br />
Veränderungen und wann nicht. Vor allem jetzt. In unserer<br />
Situation.“<br />
„Bevor wir den Mond zerstören?“<br />
Er seufzte und schloss die unbrauchbaren Augen. „Ach,<br />
Rhonda. Das ist das Letzte, worüber ich mir Sorgen machen<br />
würde.“<br />
Joe Dike gähnte und streckte die Glieder. Er war noch nicht zu<br />
Schlaf gekommen, konnte einfach nicht abschalten. Sobald er<br />
die Augen schloss, hörte er die furchtbaren Schreie der<br />
Männer und Frauen, die gestorben waren. Er hörte sie, wie<br />
Echos der Zeit. Deutlich und erschreckend real. Also hatte er<br />
nach einer Weile den Versuch, endlich zu benötigtem Schlaf<br />
zu kommen, aufgegeben, döste ein wenig vor sich her, blickte<br />
zum wolkenbehangenen Himmel hinauf und lauschte der<br />
angenehmen Stille.<br />
Die Meisten schliefen noch dicht an die Lagerfeuer gedrängt,<br />
obwohl sich der weite Himmel langsam zu erhellen begann –<br />
die Nacht wich dem Tag. Nur wenige waren auf den Beinen<br />
und bastelten noch immer am Notlazarett, wobei sie sich aber<br />
Müde gaben, möglichst leise zu Arbeiten.<br />
Dike saß auf dem Beifahrersitz im Jeep und hatte die Füße<br />
über die Armaturen hochgelegt. Den Wagen hatten sie vor<br />
wenigen Stunden zurückgeholt. Von D’Agosta und den<br />
anderen keine Spur. Vielleicht waren sie O’Conner suchen.
Neben ihm saß Penkala. Bei einem flüchtigen Blick zur Seite,<br />
bemerkte Dike, dass auch er nicht schlief, sondern<br />
nachdenklich in die Ferne sah, zu den kahlen Tälern und<br />
Wüsten. Hin und wieder dröhnte ein Schrei dreiköpfiger<br />
Vögel zu ihnen, wie aus einer anderen, unwirklichen Welt. Sie<br />
hatten seit mehreren Stunden kein Wort mehr miteinander<br />
gewechselt.<br />
„Alles in Ordnung? Du bist so schweigsam.“, brach Dike die<br />
Stille.<br />
Penkala atmete geräuschvoll aus. „Ich sage nur, was wir alle<br />
denken: absolut nichts.“ Er seufzte schwer, sprach leise. „Ich<br />
muss immer wieder an Lonnie denken. An den Absturz.“<br />
„Geht mir nicht anders. Da oben ist einiges schiefgelaufen.<br />
Aber wir beide leben wenigstens noch. Ich schätze, wir hatten<br />
Glück.“<br />
Penkala lachte humorlos und schüttelt den Kopf. „Ich habe<br />
schwarze Katzen überfahren, die hatten mehr Glück als ich.“<br />
Er schüttelte den Kopf. Feiner Staub rieselte dabei von den<br />
braunen Haaren. „Ach, vergiss, es. Ich geh spazieren, brauche<br />
frische Luft.“ Er öffnete die Tür und wollte aussteigen, aber<br />
Dike hielt ihn am Oberarm fest. „Ich würde da jetzt nicht<br />
rausgehen.“, sagte er unheilschwanger und nickte jenseits des<br />
Lagers. „Nicht, bevor es hell ist.“<br />
Penkala runzelte die Stirn. Ein Bein hatte er bereits draußen.<br />
„Wovon sprichst du?“<br />
Dike zuckte unbehaglich mit den Schultern. „Als ich vorhin<br />
mal kurz austreten war, habe ich mich ein kleines Stück vom<br />
Lager entfernt.“<br />
„Ja und?“<br />
„Ich weiß nicht genau, aber ich hatte auf einmal das eindeutige<br />
Gefühl, als wäre da jemand. Als würde ich beobachtet. Und<br />
dann habe ich eine Bewegung gesehen. Bin mir nicht sicher,<br />
aber ich glaube es war eine Kreatur.“
„Eine Kreatur, Dike? Was für eine Kreatur? Die Art, die wir<br />
essen, oder die Art, die uns isst?“<br />
Joe Dike verzog das dunkle Gesicht und hob die Schultern.<br />
„Ich würde es lieber nicht herausfinden wollen.“<br />
In diesem Augenblick hörten sie ein tiefes, grollendes<br />
Geräusch, einen unirdischen Schrei von irgendwo aus dem Tal<br />
neben ihnen. Einen Augenblick später kam ein Antwortschrei<br />
aus einem anderen Teil des Tals.<br />
Penkala zog den Fuß wieder ins Innere des Jeeps und knallte<br />
seufzend die Tür zu.<br />
Er wollte sich gerade einem erneuten Versuch endlich zu<br />
schlafen hingeben, als plötzlich das bärtige Gesicht von Chief<br />
Manilow Crocker neben der Fahrertür auftauchte. „Jungs.“,<br />
brummte er. „Ihr könntet nur noch unproduktiver sein, wenn<br />
ihr die Sitze selbst wärt, auf denen ihr hockt. Wobei ihr dann<br />
natürlich zwei weitere unproduktive Idioten brauchen würdet,<br />
die sich wiederum auf euch setzen, um sagen zu können: was<br />
für unproduktive Idioten.“<br />
Als Penkalas Brustkorb auf und ab wippte, stellte er verblüfft<br />
fest, tatsächlich zu lachen.<br />
„Chief.“, sagte Dike übertrieben unschuldig. „Ich empfinde<br />
das als beleidigend.“<br />
„Oh, ich geh gleich Blümchen holen.“<br />
„Was können wir für Sie tun?“<br />
„Sehen Sie sich das hier mal an.“<br />
Penkala und Dike stiegen aus und folgten Crocker zu einem<br />
der knisternden Lagerfeuer.<br />
Crocker hatte dort mit einem dünnen Farnwedel eine grobe<br />
Karte der Umgebung in den Boden gezeichnet. „Ich hab<br />
versucht rauszufinden, wo die <strong>Shenandoah</strong> aufgeschlagen sein<br />
muss und wie weit sie nun von uns entfernt liegt.“<br />
„Was nützt uns das schon?“, fragte Dike. „Das Schiff ist doch<br />
längst Geschichte, oder glauben Sie allen ernstes, sie hätte den<br />
Aufschlag überstehen können.“
„Aye, glaube ich. Die Dinger sind robust“<br />
Dike schien weniger zuversichtlich.<br />
„Blöderweise“, fuhr Crocker fort. „hab ich nichts gesehen, als<br />
sie über uns hinwegfegte. War zu sehr damit beschäftigt mich<br />
aus der Sardinenbüchse dort“ er nickte zu einer der Kapseln<br />
„rauszuschälen. Also wenn von ihnen jemand-“<br />
„Sind das hier die Berge?“, fragte Penkala.<br />
„Das sollen sie darstellen, ja. He, ich bin nicht Picasso.“<br />
„Dann liegt sie irgendwo genau in diesem Bereich.“, erklärte<br />
Penkala und zeichnete mit dem Finger einen Kreis in den<br />
Sand.<br />
„Sind Sie sicher?“<br />
„Hundertprozentig.“<br />
„Hm.“, machte Crocker. „Das ist jenseits der Ebene dort. Ein<br />
verteufelt langer Weg.“<br />
„Wollen Sie zum Wrack marschieren?“, fragte Dike den<br />
Chief.<br />
„Andere Überlebende des Absturzes sind garantiert dorthin<br />
unterwegs. Irgendwo muss ja der Sammelpunkt sein, damit die<br />
Sternenflotte uns gleich findet.“<br />
„Chief, Sie waren doch auf der Brücke.“, sagte Penkala.<br />
„War ich.“<br />
„Was ist überhaupt passiert? Ich meine dieser Energieverlust<br />
überall ist doch seltsam. Die Breenwaffe-“<br />
„Das waren nicht die Breen.“<br />
„Nicht?“<br />
„Ne. Wir haben uns zwar mit den Jungs richtig geprügelt, aber<br />
was uns da so zusetzte, waren nicht die Breen. Aber was, kann<br />
ich ihnen auch nicht sagen.“<br />
„Ich glaube, es war das Big-Bang-Molekül.“, sagte Dike und<br />
kratzte sich am haarigen Kinn.<br />
„Machen Sie sich nicht lächerlich.“, raunte Crocker. Das Big-<br />
Bang-Molekül war ein weit verbreiteter Mythos über eine<br />
Atomverbindung, die für den Urknall verantwortlich gewesen
sein sollte. Blödsinn. Selbst die Sternenflottenwissenschaftler<br />
hatten das einstimmig für Schwachsinn erklärt und es wurde<br />
nur noch hinter vorgehaltener Hand über die Existenz eines<br />
solchen Moleküls getuschelt.<br />
„Haben Sie denn die blauen Symbole auf den Monitoren nicht<br />
gesehen, kurz bevor wir unter Warp gingen und angegriffen<br />
wurden?“, fragte Dike. „Ich wette wir waren gar nicht zu<br />
einem diplomatischen Treffen unterwegs und Nechayev war<br />
wegen dieser Sache an Bord.“<br />
„Hören Sie auf mit dem Unfug.“, brummte Crocker verärgert.<br />
„Das ist doch nur ein weiterer blödsinniger Techno-Mythos,<br />
nichts weiter. Von Leuten in die Welt gesetzt, die sonst nichts<br />
besseres zu tun haben.“<br />
Dike runzelte die Stirn. „Was ist ein Techno-Mythos?“<br />
„Das ist eine Theorie, Söhnchen. Wurde von einem gewissen<br />
Gellar entwickelt. Sie besagt in etwa, dass dadurch, da wir<br />
unsere alten Helden, wie zum Beispiel Herkules, Orpheus,<br />
Odysseus und die ganze Bagage, verloren haben, ersetzen wir<br />
sie nun durch neue, unserer Zeit angemessenere. Sie wissen<br />
schon. Sektion 31, Area 51-F, die Waffen der Promethaner.“<br />
„Nie gehört.“, sagte Dike.<br />
„Solltest mal ein Buch zur Hand nehmen, Sohn.“<br />
Alex Penkala, der nur mit halbem Ohr zugehört hatte und zu<br />
einer bestimmten Person im Lager starrte, ballte die Fäuste.<br />
„Ich wette, da gibt’s jemanden, der uns erzählen kann, was da<br />
oben überhaupt passiert ist.“ Und ehe Dike oder Crocker ihn<br />
zurückhalten konnten, stapfte er auf Nechayev zu, die gerade<br />
von einem Hügel herabkam. Nottingham war bei ihr und der<br />
schien sofort zu erkennen, dass Penkala auf Streit aus war.<br />
Penkala nahm ihn gar nicht wahr. Er rief: „He, Nechayev!<br />
Wenn Sie mir nicht sofort-“<br />
Weiter kam er nicht. Nottingham trat in Aktion. Penkala hatte<br />
absolut keine Ahnung, wie er das gemacht hatte, aber in der<br />
einen Sekunde hatte Nottingham noch gut zwei Meter von ihm
entfernt gestanden, und in der nächsten – Penkala war sich<br />
beinahe sicher, eine Krümmung des umliegenden Raums, wie<br />
bei einem Warpsprung zu sehen -, war er plötzlich vor Penkala<br />
gewesen und hatte ihn so mühelos nieder geschlagen, dass<br />
Penkala starke Zweifel an sich selbst bekam.<br />
Der komplette Vorgang – vom Angriff, bis zur Niederlage -,<br />
hatte nicht mehr als ein, allerhöchstens auch zwei, Sekunden<br />
gedauert und während der Zeit schien Nechayev nicht einmal<br />
irgendetwas bemerkt zu haben. Oder aber sie hatte Penkala<br />
erst gar keine Beachtung geschenkt, weil sie gewusst hatte,<br />
dass Nottingham eingreifen würde.<br />
Nottingham zog den Kragen seines Mantels zurecht und ging<br />
wortlos weiter. Penkala lag mit weit ausgebreiteten Armen auf<br />
dem Rücken und verstand nicht Welt nicht mehr. Er keuchte<br />
beim Versuch aufzustehen – die Rippen schmerzten Höllisch.<br />
Plötzlich war einer der Sanitäter bei ihm und half Penkala<br />
hoch. Er identifizierte ihn als Rö. Oder so ähnlich. „Danke.“<br />
Roe sagte: „Sie sollten sich nicht mit ihm anlegen.“<br />
„Danke für die Warnung. Au!“<br />
„Alles in Ordnung?“<br />
„Geht schon. Die treibt doch ein falsches Spiel. Wozu braucht<br />
ein Admiral sonst einen Leibwächter?“<br />
Roe seufzte. „An diesem Tage ist allerhand eigenartig. Selbst<br />
Doktor Smith. Ihre Anweisungen sind eigenartig. Sie baut die<br />
Kapseln eher in einen Laborbereich um, als in ein Lazarett.“<br />
Penkala wusch sich Blut von den Lippen und nickte düster.<br />
„Ich glaube wir haben Personen hier.“, sagte er. „die einiges<br />
zu verbergen haben. Wirklich einiges.“
Aufbruch<br />
Lautes Schnaufen eines Tieres, weckten D’Agosta. Er öffnete<br />
die Augen und starrte auf die steinige Decke eines Amphion-<br />
Fels, in dem er die Nacht verbracht hatte. Er war irgendwann<br />
einfach eingeschlafen. Müde war er aber dennoch.<br />
D’Agosta gähnte. Er streckte sich schläfrig, zuckte dabei vor<br />
Schmerz zusammen und setzte sich auf. Weiches, rötliches<br />
Licht strömte durch den offenen Eingang herein. Es war früher<br />
Morgen, also hatte er die ganze Nacht geschlafen! Sie war ihm<br />
aber schrecklich kurz vorgekommen. Vielleicht lag es an ihm.<br />
Vielleicht hatte der Mond aber auch eine schnelle Rotation<br />
und somit sehr kurze Tage und Nächte. D’Agosta seufzte. Sein<br />
Kopf, sein Arm – ach, sein ganzer Körper schmerzte, als hätte<br />
man ihn verprügelt. Und dann erinnerte er sich, dass man ihn<br />
tatsächlich verprügelt hatte. Draußen hörte er erneut das<br />
Schnaufen. Und dann Judys Kichern.<br />
D’Agosta stand langsam auf, trat hinaus in das kleine<br />
Amphion-Lager und sah sich um. Bei Tageslicht sah er, dass<br />
es größer war, als angenommen. Viele Amphion waren bereits<br />
auf den Beinen: sie packten ihre Sachen zusammen und<br />
machten sich bereit, das Lager zu verlassen.<br />
„Kau dein Futter.“, hörte er Judy sagen. „Mondon macht ne<br />
ganz schöne Sauerei, was?“<br />
D’Agosta umrundete den Fels und sah Judy bei einem Gehege<br />
stehen. Sie füttert mit beiden Händen Heu an ein Tier, das so<br />
aussah, wie ein großes lila Schwein und das die schnaufenden<br />
Geräusche produzierte, die Allan gehört hatte. Es wusste nicht<br />
wieso, aber irgendwie schien er zu wissen, dass es sich um ein<br />
junges Tier handelte, obwohl es so groß war. Etwa so groß wie
ein Pony. Das Junge hatte kleine Knubbel auf der Stirn, die<br />
wohl einmal Hörner werden sollten. Und sanfte Augen. Es<br />
streckte die Schnauze durch die Holzstangen und sah Judy an,<br />
die ihm noch mehr Heu gab. „So ist es brav.“, sagte Judy.<br />
„Lang ordentlich zu.“<br />
Sie streichelte dem Tier – dem Baby – den Kopf, genau wie<br />
Shannyn, die neben dem Mädchen kniete. Athol passte ein<br />
paar Meter weiter auf, dass nichts passierte. Er schien<br />
zufrieden zu sein.<br />
Judy drehte sich um, als sie ihren Vater bemerkte.<br />
„Hey, Dad. Darf ich dir Mondon vorstellen?“<br />
Allan suchte Shannyns Blick. Die sagte: „Es ist okay. Die<br />
Tiere sind harmlos. Gehören offenbar zu den wenigen<br />
Herbivoren des Mondes.<br />
„Herbivoren?“<br />
„Pflanzenfresser.“, erklärte Shannyn mit einem Lächeln. „Die<br />
Amphion halten sie, wie wir Schafe halten.“<br />
Judy sang: „Und er will mich nicht fressen. Deswegen mag ich<br />
ihn sehr.“<br />
D’Agosta machte einen Schritt auf sie zu und blieb gleich<br />
wieder stehen, weil ihm der Schmerz durch die Glieder fuhr.<br />
„Sie sehen ziemlich schlecht aus“, sagte Shannyn.<br />
„Mir geht’s auch ziemlich schlecht.“<br />
„Fowler auch. Seine Nase ist zugeschwollen. Aber er wird’s<br />
überleben.“<br />
„Wo ist er?“<br />
„Macht sich ausnahmsweise mal nützlich und hilft den<br />
Amphion beim Packen.“<br />
„Willst du ihn auch mal füttern, Dad?“<br />
Das Jungtier sah D’Agosta aus treudoofen Augen an. Heu<br />
hing ihm aus dem Maul und fiel beim Kauen zu Boden. Es<br />
kaute wie eine Kuh.<br />
„Er macht eine furchtbare Sauerei.“, seufzte Judy.
Das Baby hatte zuende gekaut und leckte sich die Lippen. Es<br />
öffnete das Maul und erwartete mehr. D’Agosta sah die<br />
kleinen, aber scharfen Zähne im Kiefer.<br />
„Also ehrlich, Mondon.“ Judy hob frisches Heu auf. „Man<br />
könnte meinen Athol füttert dich nicht.“<br />
„Warum heißt er Mondon?“, fragte Allan.<br />
„Weil er wie Mondon aussieht. Einer aus meiner Schule.“<br />
„Hast du was geschlafen, Judy?“<br />
„Ne. Nicht wirklich.“<br />
Allan kam näher und berührte vorsichtig die Haut am Nacken<br />
des Tieres.<br />
„Es ist okay, du kannst ihn streicheln, Allan D’Agosta.“, sagte<br />
Athol. „Er mag das.“<br />
Die knotige Haut fühlte sich trocken und warm an. Mondon<br />
quietschte leise, als D’Agosta ihn streichelte. Sein dicker<br />
Schwanz wedelte.<br />
„Er ist wirklich ganz zahm.“, stellte Allan fest. Was er aber<br />
auch feststellte, war, wie gut Judy alles wegsteckte. Und wie<br />
fröhlich und ungezwungen sie sich verhielt. Er erkannte das<br />
Mädchen kaum als jenes wieder, dass ihn gestern noch<br />
angeblafft und Rockmusik aufgedreht hatte. Und süße Babys<br />
streicheln war doch auch nicht ihr Ding. Das war doch völlig...<br />
uncool und nur was für Babys, wie sie noch vor wenigen<br />
Stunden behauptet hätte. Für einen Moment fürchtete<br />
D’Agosta, dass die Erfahrungen seit dem Absturz ihr<br />
psychisch geschadet haben könnte, dann jedoch bemerkte er,<br />
dass Judy immer wieder zu Shannyn sah mit einem gewissen<br />
Ausdruck in den Augen.<br />
Mit einem gewissen Glanz.<br />
Er runzelte die Stirn, dachte sich seinen Teil aber nur.<br />
Mondon zeigte derweil keine Spur von Furcht. „Vielleicht<br />
kann ich auf ihm reiten.“, sagte Judy.<br />
„Lieber nicht.“<br />
„Wetten, dass ich das könnte?“
„Das ist zu gefährlich, Judy.“<br />
„Dad-„<br />
D’Agosta sah zum Himmel. Es wurde jede Minute heller.<br />
Eigentlich sollten sie jetzt langsam aufbrechen. Von den<br />
ominösen „Unsichtbaren“ konnte ja kaum noch eine Gefahr<br />
ausgehen, wie Athol versichert hatte.<br />
Außerdem konnte es noch eine Weile dauern, bis sie wieder<br />
zurück im Lager waren. Und dass die Tarkon offenbar hinter<br />
ihnen herwaren, gefiel ihm gar nicht.<br />
Mondon war offenbar satt. Als mehrere Amphion nun auch<br />
die Herde bereit zum Aufbruch machte, drehte er sich um und<br />
trottete davon. „Bye Mondy.“, sagte Judy.<br />
Fowler stieß zu ihnen hinzu. „Alles bereit?“, fragte er.<br />
Dagosta nickte und wandte sich an Athol. „Können wir<br />
aufbrechen?“<br />
„Natürlich.“, verbeugte sich der Amphion leicht.<br />
„Wir wissen das wirklich zu schätzen.“ Erneut verbeugte sich<br />
Athol. Es war kurz vor Sonnenaufgang. Die Luft war bereits<br />
jetzt sehr warm, der Himmel rot und orange. Weiße<br />
Dunstschwaden wälzten sich über die sandige Erde. Athol<br />
winkte den anderen Amphion zu, die sie begleiten wollten.<br />
Dann hob er eine Art Wanderstock. „Lasst uns gehen.“<br />
Athol und die drei Amphion – er hatte sie ihnen als Canthar,<br />
Godar und Dagmind vorgestellt, wobei D’Agosta irgendwann<br />
ihre Namen durcheinandergeworfen hatte und nun nicht mehr<br />
wusste, wer denn jetzt wer war -, gingen voraus und führten<br />
D’Agosta und die Anderen zu der Höhle, durch die sie auch<br />
schon in der Nacht gegangen waren.<br />
Die Amphion betraten die Höhle aber nicht, stattdessen<br />
begannen sie große Felsen zusammen und sie vor den Eingang<br />
zu schieben und ihn somit verschlossen.<br />
„Was wird das?“, fragte D’Agosta mit großen Augen.
Athol erklärte: „Die Tarkon kennen diese Höhle. Wenn sie<br />
unser Camp leer vorfinden, werden sie vermuten wir seien bei<br />
euch und werden ihre Jagdtrupps losschicken, die weiter nach<br />
euch suchen. Wenn wir diese Höhlen hier verschließen, ist<br />
euer Lager hinter den Bergen vor den Tarkon vorerst sicher.“<br />
„Aber was ist jetzt mit uns?“<br />
„Es gibt einen anderen Weg über die Berge. Er ist lang und für<br />
die Bodenfahrzeuge der Tarkon nicht geeignet. Sie werden ihn<br />
nicht beschreiten.“<br />
Er deutete zu einem schmalen Pfad, der den Berg hoch führte<br />
und schon bald sehr viel steiler wurde. Shannyn, die bisher das<br />
Motorrad neben sich hergeschoben und anscheinend gehofft<br />
hatte, es mitzunehmen, stellte die Maschine ab und lies sich<br />
ihre Enttäuschung– wenn sie überhaupt welche empfand –<br />
nicht vernehmen.<br />
„Die Tarkon können uns über die Berge nicht verfolgen?“<br />
Athol schüttelte den Kopf. „Sie werden ihre Bodenfahrzeuge<br />
nicht aufgeben und mit denen müssten sie um den Berg ganz<br />
herum fahren. Dahinter liegt nur die offene Ebene – sie<br />
werden nicht wissen, wo ihr seid. Nicht zunächst.“<br />
„Das verschafft uns immerhin etwas Zeit.“, sagte Shannyn und<br />
sah zu D’Agosta.<br />
„Zeit, die Captain O’Conner dringend benötigt, um mit ihnen<br />
einen Dialog zu starten und Frieden auszuhandeln, wenn er bei<br />
ihnen in der Festung ist.“ Er war noch immer feste davon<br />
überzeugt, dass der Captain das schaffen würde.<br />
„Okay, gut. Aber wir sollten die Höhle auf anderem Wege<br />
verschließen. Fowler?“<br />
D’Agosta deutete auf das Phasergewehr in Fowlers Händen.<br />
„Ist noch genügend Energie für eine Überladung in dem<br />
Gewehr?“<br />
„Dafür wird’s gerade noch reichen.“<br />
Allan nahm Judy an der Hand und trat zurück.
Fowler grinste und schob sich an Athol vorbei, der gerade<br />
einen großen Fels anheben wollte. „Mach mal Platz, Meister<br />
Propper.“, sagte er und aktivierte die Überladung. Die<br />
Amphion traten zurück und warteten ab, was als nächstes<br />
passieren würde.<br />
Ein schnell schriller werdendes Geräusch ging von der Waffe<br />
aus, die Vorfeuerkammer glühte zischend weiß. Fowler warf<br />
das Gewehr in die Höhle hinein. Es landete scheppernd<br />
zwischen zwei großen Felsbrocken.<br />
Das Geräusch wurde durchdringender, begann nun in den<br />
Ohren zu schmerzen.<br />
Fowler sagte: „Drei ... zwei ... eins ... und Deckung!“<br />
D’Agosta drehte sich mit Judy weg, duckte den Kopf unter<br />
den Arm, als auch schon ein blendend weißer Ball den Tunnel<br />
erhellte. Obwohl er die Augen geschlossen hatte, war es so<br />
grell, dass er Punkte sah, als er die Augen wieder öffnete. Er<br />
drehte sich um. Der Höhleneingang war eingestürzt, Sand und<br />
Kies rieselte herab, eine dicke Staubwolke hüllte alles ein. Als<br />
sie vom Wind davongetragen wurde, entdeckte D’Agosta, dass<br />
niemand der Durchgang von niemandem mehr genutzt werden<br />
würde.<br />
„So macht man das.“, sagte Fowler stolz zum verblüfften<br />
Athol, der noch immer den Stein in den Händen hielt und ihn<br />
erst ablegte, als er verwundert den Kopf schüttelte. Dann<br />
deutete er auf den Bergpfad und sah stolz zu Allen D’Agosta,<br />
wirkte zufrieden, solch mächtige Verbündete zu haben. „Das<br />
spart benötigte Zeit. Wir müssen uns beeilen, weil bald die<br />
Kinjal erwachen. Außerdem ist der Weg über die Berge nicht<br />
einfach. Aber wir werden es schaffen.“<br />
D’Agosta hatte zwar keine Ahnung, was diese Kinjal waren,<br />
aber er zweifelte nicht daran, dass er sie auch gar nicht kennen<br />
lernen wollte. „Na dann mal los.“<br />
Athol nahm seinen Wanderstock zur Hand und die Gruppe<br />
begann den langen Marsch.
Hitze<br />
Schon nach kurzer Zeit war Allan D’Agosta zu der Erkenntnis<br />
gelangt, dass Athol mit einer Behauptung der weg über die<br />
Berge ist nicht einfach, stark untertrieben hatte.<br />
D’Agosta keuchte.<br />
Bereits nach einer geschätzten halben Stunde Fußmarsch war<br />
er sehr durstig und schwitzte stark. Er hatte die Jacke und den<br />
Uniformrollie angezogen, aber auch das verschaffte ihm nicht<br />
viel Linderung. Das eng anliegende, lila Unterhemd klebte an<br />
seinem Körper. Verärgert nahm er wahr, dass die anderen<br />
weitaus weniger Probleme zu haben schienen, als er. Shannyn<br />
trug die dicke Uniform noch immer komplett. Außerdem einen<br />
Rucksack. Zwar klebten ein paar Strähnen ihres rotblonden<br />
Haares an der nassen Stirn, aber darüber hinaus schien sie<br />
keine Probleme zu haben. Oder sie lies sich nichts anmerken –<br />
darin schien sie sowieso eine Expertin zu sein.<br />
Und ihre Stärke trieb wiederum Fowler an. Der<br />
Sicherheitsoffizier schwitzte zwar ähnlich stark wie D’Agosta,<br />
weigerte sich aber die Jacke abzustreifen und versuchte auch<br />
nicht allzu auffällig zu keuchen und zu schnaufen. Offenbar<br />
wollte er sich vor Shannyn keine Blöße geben. Sie marschierte<br />
vor ihm und hin und wieder warf Fowler ihr einen Blick zu,<br />
als könne er es einfach nicht begreifen und schüttelte mit dem<br />
Kopf. Auch Judy hatte keine Probleme, war aufgrund ihrer<br />
natürlichen Energiegeladenheit denkbar bestens auf die<br />
Anstrengungen vorbereitet. Athol und seine Leute waren<br />
ohnehin an die Oberflächenbegebenheiten angepasst.<br />
D’Agosta keuchte erneut. Es ging weiter den Beg hinauf. Der<br />
Pfad war kaum als solcher zu betiteln, war zwar schnell breiter
geworden, aber ging dafür auch steil bergauf. Und weiter<br />
bergauf. Immer nur bergauf. Ohne Rücksicht auf die<br />
Bedürfnisse seines Körpers, marschierten sie weiter.<br />
Die Hitze ließ einfach nicht nach. Auch der Wind brachte ihm<br />
nicht die herbeigesehnte kühle Brise. Dabei war es doch<br />
gestern nach dem Absturz auch nicht so heiß gewesen? Oder<br />
hatten sie einfach nur einen guten Tag erwischt? Und dann<br />
dachte D’Agosta nach, ob das wirklich gestern früh gewesen<br />
war? Tatsächlich. Es war kaum ein Tag vergangen. Es kam<br />
ihm vor wie ein Monat. Der ganze Marsch kam ihm vor, als<br />
seien sie schon einen Monat unterwegs. Aber D’Agosta hatte<br />
ja ohnehin längst das Zeitgefühl komplett verloren.<br />
Er sah zum wolkenlosen Himmel hinauf. Die Sonne krachte<br />
auf ihn herab. Der Mond verfügte offenbar wirklich über eine<br />
sehr schnelle Rotationsgeschwindigkeit und dadurch über<br />
einen entsprechend schnellen Tag-Nacht-Zyklus.<br />
Denn so lange konnten sie keinesfalls schon unterwegs sein,<br />
aber die brütende Sonne war dennoch aufgegangen, über sie<br />
hinweggewandert und ging schwerfällig schon fast wieder<br />
unter. D’Agostas innere Uhr spielte verrückt, er drohte an<br />
einem erheblichen Jet-Lag zu leiden.<br />
In der schwelenden Nachmittagshitze erfasste D’Agosta, dass<br />
der Pfad beständig abflachte. Schrittweise erreichten sie die<br />
Bergspitze. Eigentlich Hügelspitze, so groß war der Berg nun<br />
auch wieder nicht.<br />
„Huch!“, rief Judy und duckte sich. Zwei riesige Libellen mit<br />
Flügelspannweiten von über einem Meter summten laut an<br />
ihnen vorbei. „Was war das?“<br />
„Hanji“, antwortete Athol. „Sehr selten.“<br />
„Beißen die?“, wollte Judy wissen.<br />
„Nein.“, sagte Athol.
Judy streckte die Hand aus, ohne stehen zu bleiben. Eine der<br />
Libellen setzte sich darauf. Sie spürte das Gewicht des riesigen<br />
Insekts.<br />
„Judy, sei vorsichtig.“, sagte D’Agosta. Er fürchtete, dass das<br />
Tier sie beißen würde. Aber die Libelle schlug nur langsam<br />
mit ihren transparenten, rotgeäderten Flügeln und flog wieder<br />
davon, als Judy den Arm bewegte.<br />
„Warum sind hier alle Tiere so groß“, fragte Judy.<br />
„Ich weiß nicht.“, entgegnete D’Agosta. Über diesen Punkt<br />
hatte er auch schon nachgedacht, war aber zu keinem<br />
brauchbaren Ergebnis gekommen. Die Insekten, die<br />
Blutkatzen nach Shannyns Beschreibung, die Tiere der<br />
Amphion und nun auch diese Libelle – alles war riesig.<br />
„Vielleicht liegt das an der Strahlung, die Doktor Smith<br />
entdeckt hat.“<br />
Weiter vorn fragte Fowler Shannyn: „He, ihr Schwert. Ist es<br />
Scharf?“<br />
„Sicher. Was sollte es mir sonst bringen?“<br />
„Kann ich’s mal halten?“<br />
Shannyn lächelte. „Nein.“<br />
„Och, warum nicht?“<br />
„Man sollte niemals jemandem ein Schwert geben, der nicht<br />
tanzen kann. Und dass Sie über keinerlei Rhythmusgefühl<br />
verfügen, stellten sie in ihrer groben Konfrontation mit dem<br />
Tarkon gekonnt unter Beweis.“<br />
Fowler wirkte gekränkt. „Hey, der war ziemlich groß.“<br />
„Na und?“, fragte Shannyn. „Ich habe mit mehreren gekämpft<br />
und hatte weniger Probleme.“<br />
„Ach.“, winkte Fowler ab. „Die haben sich wahrscheinlich nur<br />
zurückgehalten, weil Sie ne Frau sind.“<br />
„Sind Sie sexist, Fowler?“<br />
„Hm, ne. Ich bin doch kein Sexist.“ Sein Grinsen wuchs in die<br />
Breite. „Ich sage nur, dass Frauen keine Ahnung von allem<br />
haben.“
Shannyn hob die Brauen und sah ihn nur an.<br />
„Mal ganz ehrlich.“, sagte Fowler noch immer breit grinsend.<br />
„Wie Sie da gegen diese Recken gekämpft haben... das muss<br />
doch nicht sein, oder? Also, wenn Gott gewollt hätte, dass<br />
Frauen wie Preisboxer Tarkon verprügeln, dann hätte er sie als<br />
Männer erschaffen. Im Mittelalter haben die Frauen ja auch<br />
nicht in der Arena gekämpft. Nein, sie haben ihren Männern<br />
die Waffen gereicht, so wie sich das gehört.“<br />
„Sie sind über die Rolle der Frau im Mittelalter falsch<br />
informiert, Fowler.“<br />
„Bin ich das?“, fragte er und blieb stehen. Auch Shannyn hielt<br />
an. „Ja, Sind Sie. Es war nichts ungewöhnliches, dass sie die<br />
Burg leiteten und die Verteidigung kommandierten, wenn die<br />
herrschenden Männer auf Reisen waren. Sie hatten politische<br />
und wirtschaftliche Macht.“<br />
„Geben Sie es lieber auf, Mr. Fowler.“, mischte sich nun auch<br />
D’Agosta ein und blieb stehen. „Den Kampf der Geschlechter<br />
kann niemand gewinnen.“ Er zwinkerte. „Auf beiden Seiten<br />
wird zu viel geflirtet.“<br />
Fowler sah über seine Schulter. „He, was hat Ghandi denn?“<br />
D’Agosta drehte sich um.<br />
Die Amphion traten hinter Athol zurück und kauerten sich auf<br />
dem Boden dicht zusammen. Athol neigte den Kopf von einer<br />
Seite zur anderen. Seine Arme bewegten sich in langsamen<br />
Bogen von links nach rechts.<br />
„Vielleicht hört er was?“, fragte Judy.<br />
„Also ich höre nichts.“, sagte Fowler. „Und ich hab exzellente<br />
Ohren.“<br />
„Wir wissen nichts über die Physiologie der Amphion.“, sagte<br />
Shannyn leise. Ihre Hand legte sich langsam auf den Knauf<br />
ihres Schwertes. „Über ihre Biochemie, ihr Nervensystem, ihr<br />
Verhalten. Und über ihre Sinnesausstattungen wissen wir auch<br />
nichts.“<br />
„Ja, aber-“
„Das sind hier einheimisch, Fowler. Und kennen sich besser<br />
aus, als wir.“<br />
D’Agosta lauschte. Es war absolut still. Alles war still. Sogar<br />
merkwürdig still. Sie standen auf einem Grat und waren von<br />
aufragenden Felsen, und dunkelroten Koniferen umgeben.<br />
Eine leichte Brise ging.<br />
„Glauben Sie die haben eine Art sechster Sinn, oder so was?“,<br />
flüsterte Fowler. Er hatte sich instinktiv ebenfalls geduckt.<br />
„Fowler. Es gibt ja noch viele andere Wahrnehmungsarten.<br />
Tholianer sehen Infrarot, Fledermäuse haben Echo-Ortung.<br />
Vögel, Schildkröten und Andorianer haben Magnetsensoren –<br />
sie orientieren sich am Magnetfeld der Erde. Oder von Andor.<br />
Die Amphion haben vielleicht noch andere<br />
Wahrnehmungsmöglichkeiten, die wir uns gar nicht vorstellen<br />
können.“<br />
„Ist doch lächerlich.“<br />
„Dann erklären Sie mir, was sie da tun.“, sagte Shannyn.<br />
Die Amphion auf dem Boden hatten die Augen geschlossen<br />
und stimmten eine Art summenden Gesang an. Athol stand<br />
vor einer dichten Wand aus drei Meter emporragenden<br />
Schachtelhalmen, bewegte noch immer die kräftigen Arme hin<br />
und her. Fowler runzelte die Stirn und ging zu Athol herüber.<br />
„He, Picard-“<br />
Ein merkwürdiges Klicken erklang, etwas gewaltiges brach<br />
unmittelbar darauf durch die Halme. Und dann stand Fowler<br />
plötzlich Aug in Aug einem Skorpion gegenüber. Aber keinem<br />
normalen. Das Vieh sah zwar wie die Skorpione aus, die<br />
Fowler aus Büchern und Bildern kannte, war aber viel, viel<br />
größer. So groß wie ein Shuttle des Typs Sechs – ein sechs<br />
Meter langer Brocken. Der wuchtige, schwarzblaue Körper<br />
endete in einem Schwanz mit gefährlichem Stachel. Carwood<br />
Fowler stand stocksteif da. Er war wie gelähmt. Einen<br />
furchtbaren Moment lang geschah überhaupt nichts und dann<br />
alles auf einmal.
Der Skorpion vollführte eine zuckende Bewegung. Fowler<br />
kreischte erschrocken auf, stolperte und fiel auf den Hintern.<br />
Der Stachel des Skorpions drohte ihn zu durchbohren, als<br />
plötzlich Shannyn neben ihm war und das Schwert zog. Es<br />
sauste blitzend durch die Luft, schneller, als das Auge folgen<br />
konnte und durchtrennte den Schwanz des Skorpions. Das<br />
Untier heulte mit einem merkwürdigen Geräusch auf, schwang<br />
die Klaue und schleuderte Shannyn durch die Luft.<br />
Der Aufprall quetschte ihr die Luft aus den Lungen, dennoch<br />
wirbelte sie herum und sah, wie Athol aktiv wurde. Athol<br />
sprang geschickt auf den Rücken des Skorpions, hielt sich da<br />
wie auf einem Surfbrett und stieß dann die geballte Faust mit<br />
aller Kraft in den Nacken des Tieres.<br />
Und unvermittelt - als hätte Athol einen Schalter umgelegt -,<br />
brach der Skorpion zusammen. Er zuckte noch einmal und lag<br />
dann Bewegungslos auf dem Boden. Athol hatte ihn mit<br />
bloßen Händen erlegt.<br />
Shannyn erhob sich ächzend und half dann auch Fowler hoch.<br />
„Alles in Ordnung?“<br />
„Nichts ist in Ordnung.“, sagte Fowler mit großen Augen. Er<br />
zitterte noch immer.<br />
Shannyn fragte Athol: „Wie hast du das gemacht?“<br />
„Es gibt eine Lücke in ihrem Panzer.“, entgegnete Athol und<br />
deutete auf den breiten Rücken des Tieres. Shannyn sah dort<br />
einen matten, Fleck im Zwischenraum zweier Körperpanzerplatten.<br />
„Ihre einzige Schwachstelle.“<br />
„Das zentrale Nervensystem.“, erkannte Shannyn.<br />
Athol wusste zwar nicht, was ein zentrales Nervensystem war,<br />
nickte aber.<br />
„Gut zu wissen.“, meinte Shannyn.<br />
D’Agosta, der seine Arme fest um Judy geschlungen hatte und<br />
kaum begreifen konnte, was er da eben beobachtet hatte, lies<br />
den reglosen Skorpion nicht aus den Augen. „Was ist das?“
„Ein Kinjal.“, sagte Athol und breitete die Arme aus. „Das ist<br />
jetzt deren Territorium. Nur in der Nacht jagen sie nicht.“<br />
„Aber warum? Ich dachte wir sollten Tagsüber wandern, weil<br />
es dann sicherer sei.“<br />
„Das ist es auch. Die Kinjal jagen Nachts über nicht, weil mit<br />
eintreffender Dunkelheit auch die Unsichtbaren kommen. Die<br />
Kinjal fürchten sie. Und wir ebenfalls.“ Er stampfte an<br />
D’Agosta vorbei, hob den Wanderstock auf und die Amphion<br />
begannen ihren Weg fortzusetzen. „Kommt, es ist nicht mehr<br />
weit bis zum Gipfel.“<br />
D’Agosta fühlte sich mit einem Mal wieder stark genug den<br />
Weg fortzusetzen, um möglichst schnell zurück ins Lager zu<br />
kommen.<br />
Er schob Judy weiter und sah ein letztes Mal zu dem reglosen<br />
Skorpion rüber. Athols Worte beunruhigten ihn sehr, denn er<br />
konnte sich nur schwer vorstellen, wie dieses Monstrum sich<br />
vor etwas fürchten sollte.
Geräusch<br />
Penkala warf einen flüchtigen Blick über die Schulter zu den<br />
sichelförmigen Bergen herüber, in dessen Tal sich ihr<br />
Basislager befand.<br />
D’Agostas Gruppe wurde seit gestern vermisst und die<br />
Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie von wilden Tieren oder<br />
schlimmerem getötet worden waren. Heute morgen hatte Alex<br />
selbst gesehen, wie eine dichte Staubwolke aus der Höhle<br />
gequollen war, als wäre sie eingestürzt. Niemand sonst hatte<br />
es gesehen, die meisten hatten noch geschlafen. Und Alex<br />
dachte nicht daran, es jemandem mitzuteilen. Sie hatten auch<br />
so schon genug Probleme. Er wollte nicht, dass sich nun noch<br />
jemand unnötige Gedanken und Sorgen machte. Die Höhle<br />
war offenkundig eingestürzt, jeder Suchtrupp hätte ohnehin<br />
nichts mehr erreichen können.<br />
Sie wunderten sich zwar, dass D’Agostas Gruppe noch nicht<br />
aufgetaucht war, aber die meisten dachten sie würden nur das<br />
Umland erkunden, da ohnehin alle am Tag nach einem<br />
Suchmuster überall verstreut waren, Nahrung, Wasser und<br />
Vorräte suchten.<br />
So auch Isaac, die nicht unweit der Absturzstelle etwas<br />
gefunden und nun Penkala gerufen hatte. Er entdeckte ihr<br />
auffallend leuchtendes Haar in einer kleinen Bodenerhebung<br />
und lief hin.<br />
Isaac kniete in einer Mulde, die von Farnwedeln umgeben<br />
war. Die Farnwedel waren riesig, so lang und so breit, wie<br />
Schranktüren.<br />
Etwas gelbes lag auf dem Boden in der Mulde, Penkala konnte<br />
aber nicht genau erkennen, was. „Was haben sie da?“, fragte<br />
er. Isaac bückte sich und brachte zwei Eier zum Vorschein.
Große, gelb schwarz besprenkelte Eier. Die Schale war hart<br />
und mit einem unregelmäßigen Muster versehen. Fast wie<br />
Hautschuppen.<br />
Isaac strahlte. „Muss ein Nest dieser dreiköpfigen Vögel sein.<br />
Aber die Besitzer haben es wohl aufgegeben und die Eier<br />
zurückgelassen.“<br />
„Das ist großartig. Wie viele haben Sie?“<br />
Isaac ging in die Knie und versuchte die dichten Farnwedel<br />
beiseite zu schieben. Hässliche, große Insekten krabbelten den<br />
plötzlichen Sonnenlicht ausgesetzt um ihre Beine und<br />
verschwanden schnell wieder im Dickgicht der Farne.<br />
„Es sind insgesamt sieben. Aber vielleicht finden wir ja<br />
weitere Nester in der Umgebung.“ Sie schlug einen grauen<br />
Beutel mit dem Sternenflottenlogo auf der Vorderseite aus und<br />
begann die Eier hineinzustopfen.<br />
„Komisch, oder?“, sagte sie. „Wer war wohl der Jemand, der<br />
als erster nach der Entdeckung eines Nestes auf den Gedanken<br />
kam, dass man diese weißen komischen Dinger in den Nestern<br />
auch essen konnte?“<br />
„Keine Ahnung.“, entgegnete Penkala. „Aber ich hoffe, dass<br />
es tatsächlich so ablief. Dass sie als zunächst die Nester<br />
entdeckten und sich dann fragten, ob sie das essen können.“<br />
„Hm?”, machte Isaac. „Wie meinen Sie das?”<br />
„Na was glauben Sie? Wenn sie nicht zuerst die Nester<br />
entdeckten... Wer war dann der erste, der ein Huhn sah und<br />
sagte: „Siehst du das Tier dort drüben? Ich werde das erste,<br />
was aus seinem Hintern kommt essen.“<br />
Isaac schloss den Beutel, kletterte aus dem Nest und grinste.<br />
„Die Frage ist tatsächlich interessanter, als die Frage ob Huhn,<br />
oder Ei zuerst existierten.“ Sie lachte. „Glauben Sie, dass-“<br />
In dem Moment hörten sie erneut das merkwürdige Geräusch<br />
vom Vortag. Auch diesmal kam es aus der irgendwo Ebene,<br />
war aber viel weiter entfernt, klang nur schwach und dumpf.<br />
Penkala konnte es nicht einordnen, er konnte von seinem
Standpunkt auch nichts sehen. Dann erbebte der Boden. Die<br />
Blätter raschelten. Die Erschütterung hielt etwa eine Minute<br />
an und verklang, genau wie das Geräusch.<br />
Alles war wieder still.<br />
Isaac sah sich beunruhigt um. „Was ist das zum Teufel?“<br />
Penkala sagte nichts. Er fragte sich nur immer wieder: Wo<br />
sind wir nur gelandet?<br />
In den Bergen murrte Fowler: „Verdammte Blutsauger.“ und<br />
schlug sich gegen den Hals. Er saß auf einem Stein, hörte die<br />
Moskitos summen und starrte eine Palmenreihe an, die in der<br />
Hitze flirrte.<br />
D’Agosta, der neben ihm saß sagte: „Kein Zweifel. Wenn die<br />
Sternenflotte uns abholt, sind wir ganz zerstochen.“ Er trank<br />
noch einen Schluck Wasser und schraubte dann die Flasche<br />
zu, die Shannyn ihm vorhin gegeben hatten. Er hielt nach ihr<br />
Ausschau und entdeckte sie nur ein paar Meter bei Athol stehend<br />
und über irgendetwas redend, was D’Agosta aber nicht<br />
genau verstehen konnte. Judy war bei den anderen Amphion<br />
und wies sie an, Früchte zusammen. Allan stellte fest, dass<br />
Judy die Amphion ganz schön unter Kontrolle hatte. Die<br />
Gruppe hatte vor ein paar Minuten eine Rast eingelegt und<br />
D’Agosta war darüber sehr froh, schließlich schmerzten ihm<br />
die Füße inzwischen ganz gewaltig.<br />
Von ihrem Standpunkt am Scheitelpunkt des Berges hatten sie<br />
einen guten Überblick über das trockene Umland, dass sich<br />
vor ihnen ausdehnte. Dabei waren sie gar nicht so hoch, wie er<br />
zunächst angenommen hatte – ganz im Gegenteil. Irgendwo<br />
hörte er dreiköpfige Vögel kreischend davonfliegen und im<br />
nächsten Moment trug der Wind das unheimliche Geräusch<br />
vom Vortag an sie heran. Es klang nur sehr schwach und weit<br />
weg.
Irgendwie war ihm dieses Geräusch entfernt vertraut, aber er<br />
kam einfach nicht drauf. Die Amphion hatten auch keine<br />
Ahnung was es war und woher es kam. Sie meinten, es würde<br />
hin und wieder erklingen und den Boden überall auf dem<br />
Planeten fragmentarisch umwälzen. Sie hätten sogar schon ein<br />
Camp deswegen verloren und ab und zu seien unvorsichtige<br />
Wanderer dem Phänomen zum Opfer gefallen.<br />
Im nächsten Moment spürte D’Agosta eine leichte<br />
Erschütterung des Bodens. Sie war nicht besonders, eigentlich<br />
sogar sehr unerheblich im Vergleich zu der, die sie am Vortag<br />
erlebt hatten. Nach einer Weile war alles wieder ruhig. Sanfter<br />
Wind blies in der Abendsonne.<br />
D’Agosta und Fowler wechselten einen Blick. Dann wurde er<br />
von Shannyn gerufen. D’Agosta erhob sich umständlich und<br />
ging zu ihr rüber.<br />
„Vielleicht interessiert es Sie.“, sagte sie.<br />
„Was denn?“<br />
Shannyn deutete mit deutete zum weitläufigen Tal aus dem sie<br />
gekommen waren. Allan sah das Camp der Amphion, dann<br />
kilometerweit nichts, dann einen Wald aus Felsen, dann<br />
wieder nur Sand und dahinter... eine weitläufige Festung, von<br />
einem stählernen Schutzwall umgeben und mit bedrohlich<br />
aussehenden Wachtürmen.<br />
„Athol zufolge die Festung des Kinjal-Clans.“, sagte Shannyn.<br />
„Ihm entsprechend gibt es eine zweite Festung im Süden. Die<br />
gehört aber einem anderen Clan an und ist viel weiter weg. Er<br />
meint, wenn Captain O’Conner irgendwo festgehalten wird,<br />
dann in der dort drüben.“<br />
Der stählerne Wall wirkte auf D’Agosta sehr kraftstrotzend. Er<br />
hatte vorhin überlegt, ob sie vielleicht einen Rettungsversuch<br />
starten sollten, aber im Anbetracht des Anblicks, der sich ihm<br />
darbot, hielt er die Erfolgschancen für eine solche Aktion sehr<br />
gering.<br />
„Ich hoffe nur.“, sagte er. „Dass es ihm gut geht.“
Pakt<br />
Die Wachen packten ihn, schlugen ihn nieder und stießen<br />
Gabriel O’Conner aus seiner Zelle im Gefängnistrakt, wo er<br />
die letzten Stunden nach seinem Erwachen verbracht hatte.<br />
Ihm tat alles weh. Blaue, grüne und lila Flecken zogen sich<br />
über Gesicht und Körper, schmerzten Höllisch bei Berührung<br />
und Bewegung. Am meisten setzte ihm jedoch nicht der<br />
körperliche, sondern der seelische Schmerz zu. Innerhalb von<br />
nur anderthalb Tagen – auch wenn es die Tage einer andere<br />
Rotationsgeschwindigkeit waren -, hatte er einfach alles<br />
verloren. Sein Kommando, Schiff und seine Besatzung. Er<br />
konnte noch immer nicht glauben, dass Ronald Spiers<br />
gestorben war. Und die Art und Weise, wie es geschehen war<br />
– ganz undramatisch. Kein Aufbäumen, keine Agonie. Er hatte<br />
einfach aufgehört zu leben, das war alles.<br />
Gerade von Spiers, einem der wenigen echten Helden, die der<br />
Dominion-Krieg hervorgebracht hat, hätte er erwartet, in<br />
einem gewaltigen Feuerwerk aus bunten Explosionen, mit<br />
hocherhobener Faust und Messer zwischen den Zähnen<br />
unterzugehen, während er seine Feinde aufs gröbste<br />
Verfluchte und zeitgleich den Frauen zugrinste.<br />
Aber nicht so. Nicht hier draußen im Nirgendwo, auf einem<br />
höllenartigen Mond, niedergestreckt von primitiven Soldaten<br />
eines primitiven Regimes. Das hatte sein Freund nicht<br />
verdient. Das hatte niemand verdient. Von Tessler, Martin,<br />
B’Sogg oder anderen fehlte jede Spur. Nachdem sie ihn<br />
ohnmächtig geprügelt hatten, war O’Conner allein in einer<br />
Zelle erwacht und hatte nur warten können. Er wusste nicht,<br />
was mit den anderen geschehen war. Vielleicht waren sie tot.<br />
Vielleicht würde er es auch bald sein. Zwei der
hochgewachsenen, bulligen Wachen flankierten ihn, während<br />
ein dritter immer wieder mit einem Gewehrkolben in<br />
O’Conners Rücken stieß und ihn weiter durch die<br />
heruntergekommenen Korridore der Festung trieb. O’Conners<br />
Mut sank. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in einer<br />
schier ausweglosen Situation befand. Bisher war er immer<br />
irgendwie davongekommen, aber vielleicht klappte das ja<br />
nicht jedes Mal. Einmal war immer das erste Mal.<br />
Dummerweise gehörte diese Situation zu denen, bei denen das<br />
erst Mal auch gleichzeitig das letzte Mal war.<br />
Sie erreichten das Ende des Korridors. Eine dicke Stahltür<br />
wurde aufgeschoben und O’Conner hineingestoßen. Er<br />
stolperte in die Dunkelheit.<br />
Lediglich ein paar diffuse Leuchtstreifen spendeten hier und<br />
dort Licht. Vorwiegend waren weite Teile des Raumes aber in<br />
unheilvolle Schatten getaucht. Einer der Soldaten versetzte<br />
ihm erneut einen Stoß, der ihn zwei Schritte vorwärts taumeln<br />
lies.<br />
„Bitte entschuldigen Sie, Captain O’Conner.“, sagte der<br />
glatzköpfige auf dem Thron in der Mitte des Raumes.<br />
O’Conner fragte sich, woher er seinen Namen kannte. „Die<br />
Umgangsformen meiner Untergebenen lassen manchmal ein<br />
wenig zu wünschen übrig.“, sagte der Glatzkopf. „Tja, wer<br />
kann es ihnen verdenken? Wir sind ein wildes Volk. Manche<br />
würden sagen, wir seien ein angriffslustiges Volk. Aber das<br />
trifft auf andere offenbar genauso zu.“<br />
O’Conner entging nicht, wie die Wache hinter ihm breitbeinig<br />
Stellung bezog. In der Hand hielt sie ein scharfes, blank<br />
poliertes Messer, dessen Klinge aufblitzte, sobald ein<br />
Lichtstrahl in einem bestimmten Winkel darauf fiel.<br />
„Wer sind Sie?“, fragte O’Conner.<br />
„Meine Feinde nennen mich „Beliar, der Schreckliche“, aber<br />
Sie können auch einfach Beliar zu mir sagen.“<br />
Reizend, dachte O’Conner.
Beliar fuhr fort: „Und Sie sind dabei ertappt worden, wie sie<br />
nach ihrem hinterhältigen Angriff in unser Territorium<br />
eingefallen sind und eine kläglich missglückte Invasion<br />
versuchten.“<br />
O’Conner war verwirrt. „Invasion? Welche Invasion? Wir<br />
sind-“<br />
„Gescheitert, sind Sie. Ihre Truppen wurden von uns<br />
größtenteils aufgebracht und ermordet.“<br />
O’Conner schnappte nach Atem. „Sie haben-“ Er musste all<br />
seine Kraft aufbringen, um weiterzusprechen. „Sie haben<br />
meine Männer getötet?“<br />
In Beliars Augen blitzte es. „Es war der Zorn der Kinjal, als<br />
Reaktion auf die Waffe, die Sie im Orbit zündeten um uns<br />
zustürzen.“, sagte er erregt. „Sie haben das Unheil<br />
herausgefordert, Captain! Nicht ich.“<br />
O’Conner sprach nichts von alledem aus, was ihm auf der<br />
Zunge lag. Er schloss für einen Moment die Augen, atmete<br />
zischend ein und knirschte mit dem Zähnen. Nechayev! Diese<br />
verdammte Nechayev und ihre Mission! Für Beliar musste es<br />
natürlich so aussehen, als sei die Sternenflotte an allem Schuld<br />
und damit hatte ja gar nicht mal so unrecht.<br />
„Hören Sie.“, sagte er gepresst. „Das ist ein Missverständnis.<br />
Wir haben im Orbit keine Waffe gegen ihr Volk gezündet. Bis<br />
vor wenigen Stunden wussten wir nicht einmal, dass es ihr<br />
Volk überhaupt gibt.“<br />
Beliar ballte die Faust. „Lügen! Alles Lügen!“ Er erhob sich<br />
von seinem Thron und begann eine Wanderung durch den<br />
Raum. „Uns wurde gesagt, dass Sie mit derlei Behauptungen<br />
versuchen würden, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.<br />
Wissen Sie Captain, ich ließ Sie herbringen, um mir selbst ein<br />
Bild von ihnen zu machen. Ich erwartete einen Mann, der für<br />
seine Taten gerade steht, keinen Feigling, der noch immer<br />
seinen hinterhältigen Plan leugnet.“
„Wir hatten keine feindlichen Absichten.“, sagte O’Conner<br />
mit dem Blick starr geradeaus.<br />
Beliar seufzte und kehrte zu seinem Thron zurück. „Das<br />
Macht die Zündung der Waffe im Orbit keinesfalls<br />
ungeschehen, finden sie nicht? Nun, wir können unseren<br />
Warpantrieb nicht mehr einsetzen, was uns von der<br />
Heimatwelt abschneidet. Und dafür werden Sie büßen.“<br />
„Es war keine Waffe.“, meinte O’Conner niedergeschlagen.<br />
Wenn er an Beliars Position gewesen wäre, hätte er seinen<br />
Worten vermutlich auch nicht geglaubt. „Die Sternenflotte<br />
hegt keine feindlichen Absichten gegen die Kinjal. Wir<br />
kommen in Freundschaft.“<br />
Beliar betrachtete ihn eine Weile und vollführte dann eine<br />
knappe, fast nebensächliche Geste. Sie war verheerend.<br />
O’Conner spürte einen stechenden Schmerz in der Brust,<br />
blickte verwirrt an sich herab und stellte fast verblüffender<br />
Trockenheit fest, dass eine Klinge von hinten seinen Brustkorb<br />
durchbohrt hatte. Er wollte danach greifen, aber seine Arme<br />
widersetzten sich seinen Befehlen. Übelkeit überkam ihn.<br />
Unter ihm knickten die Beine ein und O’Conner ging auf die<br />
Knie. Und er wusste, dass er nun sterben würde. Er sah schwer<br />
atmend und mit großen Augen auf. Beliar wirkte weit weg.<br />
Und während O’Conner ihn ansah, wich er immer weiter<br />
zurück, entschwand langsam in der Ferne. Der schrecklich<br />
weit entfernte Beliar beugte sich auf seinem Thron zu<br />
O’Conner vor und fletschte die Zähne. „Freundschaft? Sie<br />
kommen zu spät, Captain. Wir haben bereits eine neue,<br />
lukrative Freundschaft geschlossen.“<br />
Das letzte, was O’Conner sah – oder zu sehen glaubte -, war,<br />
wie eine schwere Gestalt aus dem Schatten neben Beliar trat.<br />
Dann verdrehte er die Augen und stürzte vornüber. Die<br />
verstümmelten, elektronischen Töne aus dem Helm des Breen<br />
verklang zu Todesstille.
Unter Kontrolle<br />
Es war spät. Fast Mitternacht. In der kalten Ebene war es<br />
vollkommen still, als D’Agostas Gruppe endlich in das<br />
Basislager zurückkehrte.<br />
Crocker versuchte mit Geschichten und Witzen ein wenig<br />
Stimmung zu verbreiten. Die Laune der Leute die ihm<br />
zuhörten, war allgemein nicht übel. Zumindest hatte sie schon<br />
mal schlechter gestanden.<br />
Alle anderen schliefen in den Kapseln, oder unter<br />
überhängenden Felsen. Aber niemand war allein, sie befanden<br />
sich immer in Gruppen. Im Zentrum der Kapseln flackerte der<br />
Schein von mehreren Lagerfeuern. D’Agosta war beeindruckt.<br />
In nur einem Tag hatten die Leute es nicht nur geschafft ein<br />
Notlazarett zusammen zu schweißen, sondern auch die<br />
Gegend aufzuräumen. Die Trümmer waren sortiert, alles<br />
verwertbare nummeriert und ordentlich in die Kapsel<br />
gebracht, die man nun als Vorratslager missbrauchte.<br />
Die Amphion machten sich derweil auf, weitere Feuer um das<br />
Lager herum zu entfachen, um die Unsichtbaren zu vertreiben.<br />
Inzwischen wusste D’Agosta nicht mehr, was er von den<br />
Erzählungen dieser ominösen „Monster“ halten sollte.<br />
Vielleicht waren die Amphion einfach nur abergläubig. Ein<br />
Risiko wollte er dennoch nicht eingehen.<br />
Etwa einhundert Meter hinter dem Lager flatterte ein großes,<br />
schwarzes Leinentuch im Wind. Man hatte schwere Steine auf<br />
die Zipfel gelegt, damit es nicht weggeweht wurde. Unter dem<br />
Tuch waren die Leichen derjenigen gestapelt, die den Absturz<br />
nicht überstanden hatten. Bisher war noch niemand dazu<br />
gekommen sie zu begraben. Wenn der Wind ungünstig stand,
trug er den fauligen Geruch von anfangender Verwesung zu<br />
ihnen herüber. Aber das war glücklicherweise nicht oft der<br />
Fall, da der Wind fast immerzu von Norden wehte. Die<br />
Verletzten waren versorgt und die Techniker arbeiteten an den<br />
Notrufbaken.<br />
Irgendwann morgen sollten sie fertig sein und dann würden sie<br />
die Sternenflotte rufen. In ein paar Tagen war es vorbei. Dann<br />
säßen sie in Rettungsschiffen bei einer heißen Tasse<br />
Schokolade und durften sich darauf vorbereiten, ihr Leben<br />
wieder in normale Bahnen zu lenken.<br />
Hilfe würde eintreffen.<br />
In der Zwischenzeit konnten sie nichts anderes tun, als warten.<br />
Judy sammelte für Athol Stöcke und Blätter, alles was sich für<br />
die Feuer verwenden ließ.<br />
Shannyn und Fowler saßen etwas abseits der übrigen Leute an<br />
einem Lagerfeuer. D’Agosta wollte gleich zu ihnen<br />
zurückkehren. Da Nechayev sich aber nach wie vor nicht für<br />
ihre Belange zu interessieren schien, musste er erst<br />
organisatorische Dinge übernehmen.<br />
Penkala ging vor D’Agosta in die Hocke. „Wir haben die<br />
Zählung gestern beendet.“, sagte er. „Isaac hat sich die Mühe<br />
gemacht und alle Namen und Daten notiert.“ Er blickte kurz<br />
zu Judy und sagte dann leiser: „Auch die der Toten, soweit wir<br />
in der Lage waren, sie zu identifizieren.“<br />
„Gut gemacht.“, nickte D’Agosta. „Wie viele sind wir?“<br />
„Siebenundvierzig.“<br />
D’Agostas Augen weiteten sich. „Siebenundvierzig?“,<br />
wiederholte er. „Nicht mehr? An Bord der <strong>Shenandoah</strong> waren<br />
mehr als vierhundert Besatzungsmitglieder.“ Er schlug die<br />
Hände vor dem Gesicht zusammen. „Das ist wirklich<br />
katastrophal.“<br />
„Wir haben viele gute Männer und Frauen da oben verloren.“,<br />
nickte Penkala. Leiser sagte er: „Ich wünschte Nechayev<br />
würde dazugehören.“
D’Agosta runzelte die Stirn. „Gab es Probleme?“<br />
„Kann man so sagen.“, nickte Penkala. „Ich wollte sie zur<br />
Rede stellen. Fragen, was da oben im Orbit passiert ist. Ich<br />
nehme an, sie ist die einzige, die wirklich von uns eine<br />
Antwort auf diese Frage hat.“<br />
„Und wie lautete ihre Antwort?“<br />
„Bang.“, machte Penkala. „Die Antwort bestand aus einem<br />
Faustschlag, den ich mir von ihrem Leibwächter einfing, ehe<br />
ich überhaupt in ihre Nähe kam.“<br />
„Oh.“<br />
„Ja, oh. Ich nehme nicht an, dass sie eine Ahnung dessen<br />
haben, was überhaupt vorgefallen ist?“<br />
„Nein. Auf der Brücke herrschte immer nur die Rede von Es.<br />
Keine Ahnung, was das bedeutet. Ich kam aber auch erst in<br />
den Kontrollraum, als der Angriff bereits im vollen Gang war“<br />
Penkala nickte. „Nun, Sie können Nechayev ja selbst fragen.“,<br />
sagte er und deutete hinter Penkala. Dort kam Nechayev<br />
gerade einen Hügel hinunterbalanciert<br />
„O’Conner hat ihnen im letzten Funkspruch das Kommando<br />
übertragen und... Sie sollten immerhin wissen, in was für<br />
umständen wir uns befinden, nicht wahr?“<br />
D’Agosta machte ein nachdenkliches Gesicht.<br />
„Tja, das ist jetzt ihre Sache.“, sagte Penkala und erhob sich.<br />
„Ich halte mich ab sofort da raus.“ Er ging fort und lies<br />
D’Agosta allein. Der blickte ein paar Sekunden erwägend zum<br />
Admiral und beschloss dann, etwas zu unternehmen. Er erhob<br />
sich in die Hände klatschend und marschierte auf sie zu.<br />
Er fing sie ab, kurz bevor Nechayev wieder aus dem Lager<br />
verschwunden wäre. „Admiral!“, rief er.<br />
Fowler sah auf, als sich Nechayev neben ihrem Lagerfeuer<br />
umdrehte und D’Agosta zu wandte.
„Admiral.“ Er blieb vor ihr stehen und sah Nechayev über die<br />
Schulter. „Wo wollen Sie denn immer hin?“<br />
Nechayev ging gar nicht erst auf seine Frage ein. „Was gibt es,<br />
Lieutenant Commander?“<br />
D’Agosta suchte nach den richtigen Worten. „Es ist so,<br />
Admiral. Die Leute beginnen sich allmählich Fragen zu<br />
stellen. Und ich ehrlich gesagt auch. Sobald die Sternenflotte<br />
eintrifft, wir das sowieso Top-Thema sein, also würden Sie es<br />
uns jetzt sagen, oder nicht?“<br />
„Was soll ich ihnen sagen?“<br />
„Ich würde gerne wissen, was überhaupt passiert ist.“<br />
„Allan, hören Sie zu, es tut mir leid, wenn sie-“<br />
„Nein.“, D’Agosta schnitt ihr das Wort ab. „Was hatte das<br />
alles zu bedeuten? Die Breen, das seltsame Symbol, dass auf<br />
sämtlichen Monitoren auftauchte und den Zugang zum<br />
Computer verweigerte, ehe sie ihren Code eingaben, die<br />
außerordentlichen Energiewerte im Nebel? Die einzige Frage,<br />
die ich habe ist, was geschah da oben?“<br />
„Das weiß niemand.“, erwiderte Nechayev. Sie legte ihm eine<br />
Hand auf die Schulter. „Allan, ich kann diese Dinge nicht mit<br />
ihren diskutieren. Zum einen, weil ich selbst nicht genau weiß,<br />
was passierte, zum anderen, weil es – sobald wir es nach<br />
unserer Rettung in Erfahrung gebracht haben – vielleicht von<br />
der Sternenflotte als Geheimhaltung eingestuft wird und dann<br />
so wenig Leute wie möglich davon wissen sollten. Tut mir<br />
leid, Allan, aber sie sind nicht ranghoch genug.“<br />
D’Agosta gab sich mit dieser Antwort zufrieden. Es leuchtete<br />
ein. Immerhin hatte er keine Sicherheitsgenehmigung. Und<br />
Nechayev wusste was sie tat, immerhin hatte sie weitaus mehr<br />
Erfahrung als er. Ja, sie hatte absolut recht.<br />
Nechayev lächelte. „Also warum setzen Sie sich nicht wieder<br />
zu ihrer Tochter hier und warten ab, bis wir gerettet werden?“
Und dann sagte Shannyn, die neben ihnen am auf einem Stein<br />
saß und das Feuer beobachtete, ohne aufzublicken: „Sie haben<br />
nicht vor es ihnen zu sagen, oder?“<br />
Nechayev - noch immer lächelnd -, drehte den Kopf zu der<br />
blonden Frau und blinzelte verwirrt. „Was meinen Sie genau?“<br />
„Ihnen zu sagen, dass Hilfe nicht eintreffen wird. Ihnen die<br />
Wahrheit sagen, damit Sie sich auf alles, was sie noch<br />
erwartet, vorbereiten können.“<br />
„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“, behauptete Nechayev.<br />
Nun sah Shannyn auf. „Natürlich nicht.“<br />
Sie stand und wandte sich zu D’Agosta. „Allan, haben Sie je<br />
etwas von der Omega-Direktive gehört? Gerüchte?“<br />
D’Agosta runzelte die Stirn. „Nein.“<br />
„Lieutenant!“, zischte Nechayev.<br />
Aber Shannyn ignorierte sie. „Die Omega-Direktive ist sehr<br />
wichtig, sogar weitaus elementarer als die oberste Direktive<br />
der Sternenflotte. Sie setzt sie außer Kraft, sobald die<br />
Sensoren eines Schiffes Omega entdecken. Das war es, was<br />
sie auf den Monitoren sahen, das war es, was alle<br />
Computersysteme automatisch sperrte und erst durch<br />
Nechayevs Zugriffscodes entsperrte.“<br />
Nechayev wurde immer wütender.<br />
D’Agosta runzelte die Stirn, begriff nicht, was Shannyn ihm<br />
sagen wollte. „Was ist dieses... Omega? Was bewirkt es?“<br />
„Lieutenant Bartez, unterstehen Sie sich, diese Information<br />
preiszugeben.“ Nechayevs ganzer Körper bebte vor Wut. „Ich<br />
werde Sie vors Militärgericht bringen.“<br />
„Wenn sie eines auf der Oberfläche finden – nur zu.“, sagte<br />
Shannyn knapp und wandte sich wieder zu D’Agosta. „Omega<br />
ist ein Molekül – ein extrem instabiles Molekül, das besonders<br />
viel Energie absondert. Manche bezeichnen es auch als<br />
Perpetuum Mobile. Ein einziges Molekül enthält genauso viel<br />
Energie wie ein Warpkern. Eine ganze Reihe dieser Moleküle<br />
kann den Subraum eines ganzen Quadranten zerstören. Und
das würde das Ende interstellarer Reisen bedeuten, weil der<br />
Einsatz des Warpantrieb nach einer solchen Explosion nicht<br />
mehr möglich ist. Deswegen muss jedes Schiff, dass dieses<br />
Molekül entdeckt versuchen, es zu zerstören.“<br />
Nechayev stierte sie an. „Sie können unmöglich davon wissen.<br />
Omega untersteht strikter Geheimhaltung. Nur den Admirälen<br />
und Captains der Flotte ist Omega bekannt.“<br />
„Ich bin viel herumgekommen, habe vieles gehört.“, erklärte<br />
Shannyn nur.<br />
„Das wird ein Nachspiel haben!“, fauchte Nechayev, wirbelte<br />
herum und trat aus dem Lager hinaus in die Ebene.<br />
D’Agosta war sprachlos. Er musste erst verarbeiten, was er da<br />
gehört hatte. „Und dieses Molekül, dieses... dieses Ding... ist<br />
da oben explodiert?“<br />
Shannyn nickte. „Dadurch wurde der Subraum zerstört.<br />
Innerhalb eines gewissen Radius wird der Warpantrieb nicht<br />
mehr funktionieren. Nur die Impulstriebwerke.“<br />
„Aber mit Impulstriebwerk zu fliegen dauert ewig.“<br />
„Ich weiß.“, erwiderte Shannyn. „Ich weiß. Hilfe wird nicht in<br />
naher Zukunft eintreffen, Allan. Nicht nach ein paar Tagen.<br />
Fürs Erste sind wir auf uns allein gestellt.“<br />
D’Agosta keuchte. Aber nicht wegen dem, was Shannyn<br />
gesagt hatte. Sondern weil Judy mit einigen Ästen im Arm<br />
ganz in der Nähe stand und ihn anstarrte. Sie hatte alles<br />
gehört.<br />
Nechayevs Ärger verflog allmählich, wandelte sich in<br />
verbissene Entschlossenheit, als sie in der Dunkelheit der<br />
Nacht zu Nottingham stieß.<br />
Der Wind lies ihre Hosenbeine flattern. Sie blickte mit<br />
zusammengekniffenen Augen über die Ebene.<br />
Irgendwo dort draußen.
„Ich frage mich, wie sich der Engländer Robert Fludd gefühlt<br />
hat, als er seine Getreidemaschine konstruierte“, sagte<br />
Nottingham, ohne den Blick von der Ödnis zu nehmen. „Die<br />
perfekte Idee eines Perpetuum Mobile. Seine Wassermühle<br />
sollte von immer derselben Wassermenge angetrieben werden.<br />
Das Wasser, stellte sich der Erfinder vor, sollte das Mühlrad<br />
antreiben, das Mühlrad sollte den Mühlstein drehen, aber<br />
zugleich sollte der Mühlstein das Wasser wieder hochpumpen,<br />
damit es das Mühlrad neuerlich antrieb. Schön ausgedacht –<br />
aber es ging natürlich nicht. Er scheiterte.“<br />
„Er lebte in der falschen Zeit.“, sagte Nechayev nach einer<br />
ganzen Weile. „Jeder ist der Ansicht, ein Perpetuum Mobile<br />
könnte nicht funktionieren. Energie kann man schließlich im<br />
Grunde nicht einfach erzeugen. Man kann lediglich potentielle<br />
– gespeicherte – Energie befreien, in dem man zum Beispiel<br />
einen hochgehobenen Stein fallen lässt, oder das Wasser eines<br />
Staudammes abfließen lässt. Aber man kann eine Energieform<br />
in eine andere Verwandeln: Bewegungsenergie nicht in<br />
elektrische Energie – zum Beispiel im Stromgenerator. Oder<br />
elektrische Energie in Wärme- und Lichtenergie, wie bei der<br />
Glühbirne. Und so weiter. Die Summe der Energie der Energie<br />
insgesamt jedoch bleibt immer gleich.“ Sie kratzte sich am<br />
Kinn. „Das erste Energiegesetz besagt, dass Energie niemals<br />
wirklich verloren geht, wissen sie? Auch wenn beim Fliegen<br />
mit Warp ein Teil der in den Dilithiumkristallen gespeicherten<br />
Energie nicht in Bewegungsenergie übertragen, sondern als<br />
Wärme abgegeben wird, so erhitzt eine aktivierte<br />
Dilithiumkammer doch die Kühltanks und diese Hitze<br />
erwärmt die Umgebung. Auch hier wird Energie verwandelt –<br />
ungewollt allerdings, denn natürlich wäre es besser, mehr<br />
Energie in Bewegung, als in nutzlose Hitze umzusetzen.“<br />
„Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte Nottingham.<br />
„Auf folgendes: Energie geht nie verloren, Ian, aber sie<br />
entsteht auch nicht aus nichts. Es gibt keine Maschine, aus der
mehr herauskommt, als in irgendeiner Form hineingesteckt<br />
wird. Bis heute.“ Sie deutete auf den nutzlosen Scanner in<br />
Nottinghams Hand. „Es ist vielleicht noch hier irgendwo, Ian.<br />
Wir können es noch schaffen, die Mission retten und die<br />
Arbeit meines Vaters verwirklichen. Wir können noch immer<br />
gewinnen. Der Scanner hat es einen Moment lang angezeigt.“<br />
Sie deutete auf die Eben. „Irgendwo hier ist noch immer<br />
Hoffnung... ist noch immer Omega.“<br />
Es kam für Allan D’Agosta beinahe einer Verspottung gleich,<br />
als Chief Crocker im Lager ein altes Seemannslied anstimmte:<br />
What shall we do with a drunken sailor. Zunächst fielen nur<br />
ein paar der Leute, dann eine ganze Reihe und schließlich das<br />
ganze Lager in den Gesang mit ein. Manche trafen den Ton,<br />
andere nicht, aber sie sangen laut in der Nacht. Und immer<br />
wieder:<br />
What'll we do with a drunken sailor,<br />
What'll we do with a drunken sailor,<br />
What'll we do with a drunken sailor,<br />
Earl-aye in the morning?<br />
D’Agosta erschauderte. Es kam ihm vor, wie eine Szene aus<br />
einer anderen Welt. Aus einer Welt in der die Leute sich in<br />
Sicherheit wogen. Aber das waren sie nicht. Sie hatten nicht<br />
das Schlimmste überstanden. Es stand ihnen allen noch bevor.<br />
Way hay and up she rises<br />
Patent blocks o' diff'rent sizes,<br />
Way hay and up she rises<br />
Earl-aye in the morning<br />
Er beugte sich zu Judy herab. Sie hatte alles gehört. Alles<br />
gehört. Judy hatte einen eigenartigen Klang in der Stimme, als<br />
sie fragte: „Dad. Sind wir verloren?“
„Ich weiß es nicht.“, antwortete D’Agosta und sah zu den<br />
ahnungslosen Leuten, die sangen und Hilfe erwarteten, die<br />
nicht eintreffen würde. „Ich weiß es nicht.“<br />
Fortsetzung folgt...
Danksagung und Schlusswort<br />
Für alle, die dieses Projekt trotz <strong>Star</strong>tschwierigkeiten<br />
weiterhin unterstützten.<br />
In die Miniserie Cast Away fließen natürlich hin und wieder<br />
wissenschaftliche Forschungsbereiche und Themen mit ein,<br />
die ich als sehr interessant erachte, unter anderem die<br />
Evolutionsbiologie. All jenen, die ein wenig mehr über unsere<br />
Existenz erfahren möchten, lege ich „Das egoistische Gen“<br />
von Richard Dawkins nahe.<br />
Es ist, als stoße man in einem dunklen und stickigen Raum die<br />
Türen und Fenster auf. Es wird einem klar, mit was für einem<br />
Chaos halbverdauter Ideen wir gewöhnlich leben, vor allem<br />
die Geisteswissenschaftler unter uns. Wir verstehen die<br />
Evolution „irgendwie“, obwohl wir insgeheim glauben, dass<br />
es mit dem Leben möglicherweise mehr auf sich hat als nur<br />
das. Einige von uns glauben sogar, dass es „irgendwie so was<br />
wie“ Gott gibt, der sich um alles kümmert, was ein bisschen<br />
unwahrscheinlich klingt. Dawkins sorgt für jede Menge Licht<br />
und frische Luft und zeigt, dass der Aufbau der Evolution<br />
eigentlich sehr klar ist und sehr spannend, wenn man sie<br />
plötzlich begreift. Und wenn man sie nicht begreift, dann<br />
haben wir nicht den geringsten Schimmer davon, wer wir sind<br />
und woher wir kommen. Dennoch ist diese Miniserie natürlich<br />
reine Fiktion und dient hauptsächlich der Unterhaltung. Die<br />
darin ausgedrückten Ansichten sind meine eigenen, genau wie<br />
eventuell vorhandene sachliche Fehler.<br />
Rechtschreibfehler dürft ihr aber gerne behalten...