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Shenandoah - Star Trek NX

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STAR TREK<br />

CAST AWAY<br />

RENE BARZ<br />

CRASHDOWN<br />

Roman<br />

<strong>Star</strong> <strong>Trek</strong>©<br />

Cast Away<br />

Band 1<br />

Deutsche Erstausgabe<br />

Ω<br />

MAYEN, 2006<br />

STARFURY PRODUCTIONS<br />

Band 01<br />

Deutsche Erstausgabe


Nichts auf der Welt ist so gewiss wie der Tod.<br />

JEAN FROISSART


In der Zukunft ist die Menschheit überheblich geworden.<br />

1. Die Föderation beurteilt technischen Fortschritt viel zu<br />

optimistisch. Was fehlt, ist die warnende Stimme.<br />

Irgendwann werden die Forscher die Kontrolle über ihre<br />

Entdeckungen verlieren: was technisch möglich ist, wird<br />

auch gemacht - Ohne, dass die Entdecker und Erfinder<br />

dafür Verantwortung übernehmen. Seit Entdeckung des<br />

Omega-Partikels ist jedoch zu beobachten, dass die<br />

Föderation die Notwendigkeit erkannt haben, über die<br />

Konsequenzen ihrer Forschung nachzudenken. Deshalb<br />

verweigern sich einzelne Individuen heiklen Themen.<br />

Nicht jede Entdeckung sollte gemacht, nicht jede<br />

technische Möglichkeit ausgenutzt werden.<br />

2. Die Föderation glaubt allem gewachsen zu sein.<br />

Außenteams werden auf fremde Welten gebeamt, nur mit<br />

einem dünnen Zweiteiler bekleidet, einem Handphaser<br />

und Tricorder bestückt. Bei Routineeinsätzen mag das<br />

gut gehen. Wenn aber ein Notfall eintritt, kann niemand<br />

auf die Konsequenzen vorbereitet sein. Wer unerwartet,<br />

von einem Augenblick zum anderen, seiner gewohnten<br />

Umgebung entrissen und beispielsweise in den Urwald<br />

transportiert wird, findet sich in einer völlig anderen<br />

Natur wieder. Gefährliche Wetterbedingungen, giftige<br />

Pflanzen, wilde Tiere. Und wie jedes in sich<br />

geschlossene Ökosystem, duldet diese fremde Welt keine<br />

Touristen, sondern fordert Eindringlinge mit Gefahren<br />

und Überraschungen heraus und nur die stärksten und<br />

anpassungsfähigsten Individuen überleben.<br />

Darum geht es in dieser Miniserie.


Einleitung<br />

Im Jahr 2385 startete ein Föderationsraumschiff der Akira-<br />

Klasse unter dem Befehl von Admiral Alynna Nechayev zu<br />

einer diplomatischen Mission tief in den unerforschten,<br />

cardassianischen Raum.<br />

Die Crew bestand aus einer knapp vierhundert Mann starken<br />

Besatzung, die sich nach einem katastrophalen Zwischenfall<br />

plötzlich inmitten eines Krieges, gestrandet auf einem weit<br />

entfernten Mond wiederfand.<br />

Sie kämpften gegen die Tücken eines fremden Ökosystems,<br />

gegen einen unbarmherzigen, brutalen Gegner und Verrat aus<br />

den eigenen Reihen.<br />

Diese Besatzung erlitt die höchste Opferzahl, seit dem Ende<br />

des Dominion-Krieges.<br />

Dies waren die Männer und Frauen der USS <strong>Shenandoah</strong>,<br />

NCC 74101<br />

Das ist ihre Geschichte.


Prolog<br />

„Die Sicht der Dinge“<br />

„Einen Moment, ich komme ja gleich. Ja, ja. Bin schon<br />

unterwegs.<br />

Ja, bitte? – Ah ja, Sie müssen der Autor von CBS-Terranews<br />

sein. Richtig, wir hatten den Termin für heute angesetzt. Nein,<br />

nein, es kommt nicht ungelegen. Nein, wirklich. Sie müssen<br />

nur meinem Gedächtnis verzeihen, ich habe ein wenig die Zeit<br />

aus den Augen verloren. Mitunter ziehen die Tage einfach an<br />

mir vorüber, ohne dass ich das genaue Datum kenne. Ich bin<br />

nicht mehr der Jüngste, müssen Sie wissen. Zeit spielt in<br />

meinem Alter keine so große Rolle mehr.<br />

Aber bitte, treten Sie ein. Fühlen Sie sich ganz, wie zuhause.<br />

Es ist mir eine außerordentliche Freude, Sie kennen zu lernen.<br />

Kommen Sie, kommen Sie. Ihre Jacke können Sie übrigens<br />

dort drüben aufhängen. Warten Sie, ich helfe ihnen. Oh, Sie<br />

sind ja klitschnass. Das Wetterkontrollsystem scheint heute<br />

von einem Kobold gequält zu werden. Aber so ist die Technik<br />

– irgendwann versagt jede Maschine, nicht wahr?<br />

Soll ich ihnen ein Handtuch holen? Nein? Sind Sie sicher? Ich<br />

könnte...- Ah, ich verstehe. Sie wollen gleich zur Sache<br />

kommen. Nun gut, begeben wir uns doch ins Wohnzimmer,<br />

dort ist es um einiges gemütlicher. Folgen Sie mir. Vorsicht,<br />

Stufe.<br />

Hoppla. Na, ich hab Sie ja gewarnt.


Also, wollen Sie etwas trinken, bevor wir anfangen? Vielleicht<br />

einen andorianischen Rockshoald? Meine Tochter brachte mir<br />

erst letzte Woche Nachschub. Ich kann von dem Gesöff gar<br />

nicht genug bekommen, müssen Sie wissen. In Ordnung. Ein,<br />

oder zwei Stück Zucker?<br />

Pur. Wie ein richtiger Andorianer, was?<br />

So. Einen Moment, ich bin gleich bei ihnen. Nein, nein, Sie<br />

brauchen mir nicht zu helfen. So alt bin ich nun auch wieder<br />

nicht. Hier, bitte sehr. Vorsicht, die Tasse ist noch heiß. Setzen<br />

Sie sich.<br />

Okay, beginnen wir. Ich denke, die Vorstellung der eigenen<br />

Person kann ich doch getrost überspringen, immerhin wissen<br />

Sie ja wer ich bin. Geburtsdatum, Geburtsort und den ganzen<br />

Kram können Sie aus meiner Personalakte entnehmen. Die<br />

Sternenflotte verfügt zweifelsohne noch immer darüber. Tja,<br />

die Flotte ist nach wie vor eine sehr konservative und korrekt<br />

bürokratische Institution, nicht wahr? Alte Gewohnheiten<br />

sterben eben selten aus, schätze ich. Wissen Sie, damals waren<br />

die Zeiten noch etwas anders.<br />

Wie lange ist es jetzt her? 30 Jahre, was? Wie die Zeit doch<br />

vergeht. Zu jener Zeit standen wir gerade erst an der Schwelle<br />

zu dem, was sie heute als das friedliche Paradies namens<br />

Alpha-Quadrant kennen. Wir hatten kaum die Asche des<br />

Dominion-Krieges von unseren Uniformen abgeschüttelt, als<br />

der gesamte Quadrant beinahe der Invasion einer<br />

unglaublichen Macht aus so einem Taschenuniversum zum<br />

Opfer gefallen wäre.<br />

Aber Sie kennen sicher die Geschichten der legendären<br />

<strong>Star</strong>fury und ihrer Besatzung. Tz. Es wurde viel Quatsch über<br />

die damaligen Vorfälle berichtet. Ihnen, als jemand mit<br />

journalistischer Ausbildung, muss ich sicher nicht sagen, wie<br />

schnell sich eine Geschichte während der Weitererzählung<br />

ändern kann.


Es ist, als würde man einen Schneeball den Schneehügel<br />

hinunterstoßen. Am Ende ist er um einiges größer als zu<br />

Beginn seiner Reise. Viele übertrieben einfach bei den<br />

Nacherzählungen.<br />

Es waren weder zwei riesige Spinnen gewesen, gegen die das<br />

Schiff angetreten war, noch wurde die <strong>Star</strong>fury selbst zu einer<br />

Riesenspinne, wie die Nydarianer in ihrer Nacherzählung<br />

behaupteten. Und der legendäre Rene Bartez war erst recht<br />

kein blonder Hüne mit dickeren Armen als ein Brikar. Das<br />

können Sie mir ruhig glauben, ich bin ihm nämlich mal<br />

begegnet.<br />

Nein, nein, so war das alles nicht. Die Geschichte zog<br />

dennoch immer weitere Kreise. Es war sozusagen das genaue<br />

Gegenteil eines Schwarzen Lochs. Anstelle ins Nichts gesaugt<br />

zu werden und für allezeit zu verschwinden, verbreiteten sich<br />

die Gegebenheiten in alle Richtungen und nahmen dabei<br />

immer größere Dimensionen an.<br />

Dabei hatte es die Geschichte gar nicht nötig, ausgeschmückt<br />

zu werden. Die Wahrheit war bereits so unfassbar, dass sie<br />

keinerlei Übertreibung benötigte.<br />

Trotzdem kam es zu immer neuen Ausstaffierungen, während<br />

die Geschichte von einer Welt an die andere, von einem<br />

Sonnensystem zum nächsten, weitergegeben wurde - wobei sie<br />

jedes Mal großartiger und imponierender wurde. Und<br />

genauso verhielt es sich leider auch mit unserer Geschichte.<br />

Nach und nach entstanden die verschiedensten Varianten der<br />

Ereignisse, eine phantastischer, als die andere, und ein völlig<br />

falsches Abbild dessen, was wirklich geschehen war,<br />

überflutete den Föderationsraum. Um das zu verhindern –<br />

oder eher gesagt, um es zu beenden, sind Sie hier. Haben Sie<br />

schon ausgetrunken? Möchten Sie noch einen Rockshoald?<br />

Nein. Also schön. Fahren wir fort.<br />

Sehen Sie, eben jener Crew der <strong>Star</strong>fury gelang das<br />

unmögliche. Sie verhinderten ein ausnahmsloses Armageddon,


aber so knapp, sodass alle mächtigen Fraktionen des<br />

Quadranten dem Tode praktisch noch in das Auge sehen<br />

konnten. Sehen mussten. Seither existieren im Alpha-<br />

Quadranten paradiesische Zustände.<br />

Kriege hat es seit langem keine mehr gegeben, nicht wahr?<br />

Die Kooperation zwischen den unterschiedlichsten Welten ist<br />

seither größer denn je. Diese Entwicklung trat schon sehr früh<br />

nach den damaligen Ereignissen ein. Als die Sache mit uns<br />

geschah, war der Zustand – wie schon gesagt - aber ein wenig<br />

anders. Die Großmächte sahen von weiteren Kriegen,<br />

Kämpfen und Konflikten zwar ab, aber der Quadrant war<br />

nach wie vor ein gefährlicher Ort.<br />

Auch – oder gerade für – Sternenflottenoffiziere. Und es war<br />

nur ein winzig kleiner Schritt, der uns von der Erkenntnis<br />

trennte, dass die Sternenflotte und ihre Angehörigen ebenso<br />

gefährlich und grausam sein konnten, wie das Universum -<br />

wie die Natur - selbst.<br />

Ein kleiner, aber leidvoller Schritt, den wir alle durchführen<br />

mussten und zwar, bei dem Zwischenfall, der uns diesen<br />

zweifelhaften Ruhm bescherte. Zunächst sollte die ganze<br />

Sache ja vertuscht werden, aber das gelang nicht. Die Presse<br />

hatte jedenfalls die eigentümliche Vorstellung, dass unsere<br />

Rückkehr und das, was wir von der <strong>Shenandoah</strong> damals<br />

vollbracht hatten, das Interesse der Öffentlichkeit verdiente.<br />

Leider steckte die Begeisterung der Öffentlichkeit selbst<br />

diejenigen an, die aufzeichneten und deshalb stellte man uns<br />

alle als Helden dar. Insbesondere auch mich.<br />

Glauben Sie mir, ich war alles andere, als ein Held. Es<br />

dauerte nicht lange, bis ich begriff, dass man mich zu einer<br />

modernen Odyssee hochstilisierte. Mein Name war in aller<br />

Munde, ausgesprochen mit Respekt mit Verehrung, oder mit<br />

Bewunderung. Den Übrigen erging es nicht anders.<br />

Da! Da ist es! Selbst wenn ich in Ihre Augen sehe, erkenne ich<br />

darin die Bewunderung.


Nein, nein, leugnen Sie es nicht. Ist schon in Ordnung. Ich<br />

schätze dieser Glanz und die Anerkennung wird in den<br />

nächsten Stunden verblassen. Aber eines nach dem anderen.<br />

Ach, was hatte man mir und dem Rest nur alles angedichtet.<br />

Schließlich handelte es sich bei uns ja um diejenigen, die das<br />

Ende der Raumfahrt verhindert hatten. Woo-oo-oo - der Stoff,<br />

aus dem die Träume sind.<br />

Tapfere Krieger, die sich sämtlichen Gefahren furchtlos<br />

wiedersetzten und um Leben und Tot kämpften, während rings<br />

um sie herum die zahlreichen Feinde hereinbrachen.<br />

Hmpf.<br />

Was wir getan hatten wurde seitens der Öffentlichkeit<br />

vorbehaltlos akzeptiert und um ihr Image zu wahren, sprang<br />

die Sternenflotte nach kurzem Zögern auf den Zug auf. Ich<br />

gehe sogar so weit, zu behaupten, dass ein paar der<br />

heroischsten und somit positivsten Varianten der Geschichte<br />

von ihr in die Welt gesetzt wurde.<br />

Das beschämt mich wirklich, immerhin starben während<br />

dieser unfreiwilligen Mission über dreihundert Männer und<br />

Frauen eines gewaltsamen Todes.<br />

Und viele von ihnen wären sicher noch am Leben, hätten wir –<br />

hätte ich – andere Entscheidungen getroffen. Wenn ich<br />

rascher, oder klüger gehandelt hätte. Außerdem bin ich nie so<br />

tollkühn gewesen, wie es oft heißt.<br />

Nein, ganz sicher nicht. Niemals habe ich aus reiner<br />

Abenteuerlust Verletzungen riskiert und ich fand auch zu<br />

keinem Zeitpunkt Gefallen daran das Leben eines Gegners<br />

auszulöschen. Nein, ich verhielt mich menschlich und somit<br />

fehlbar. Außerdem hatte ich häufig einfach nur Angst. Sicher,<br />

es gab einige Heldentaten bei uns – will ich gar nicht<br />

bestreiten -, aber mindestens ebenso viele Dinge, auf die<br />

niemand stolz sein sollte und auf die vor allem ich überhaupt<br />

nicht stolz bin.


Aber viele Berichterstatter hielten es anscheinend für<br />

notwendig, fortwährend zu übertreiben und deshalb traf ich<br />

nun die Entscheidung, die ganze Geschichte einem seriösen<br />

Autor darzulegen. Sie verstehen vielleicht, dass ich Ihnen<br />

gegenüber anfangs deswegen so skeptisch gegenüberstand.<br />

Ich wollte einfach sicher sein, dass nicht wieder irgendein<br />

Schund geschrieben wird, sondern die ganze, dreckige<br />

Wahrheit. Aber ich denke, Sie sind genau der Richtige. Sie<br />

schätzen die Wahrheit genauso wie ich. Außerdem gefällt mir<br />

die Tatsache, dass Sie die anderen, noch Lebenden, ebenso<br />

befragen werden wie mich, um sich ein vollständiges Bild zu<br />

machen. Ich bestehe darauf, dass einmal alles ordentlich<br />

dokumentiert wird.<br />

Die Männer und Frauen, mit denen ich damals diese Hölle<br />

erlebte, haben es verdient. Und die Öffentlichkeit hat es<br />

verdient, endlich die Wahrheit zu erfahren. Die Holo-Filme<br />

mit ihrer eindrucksvollen Tricktechnik und dergleichen kann<br />

ich zwar nicht verhindern und erst recht nicht für deren<br />

Wahrheitsgehalt einstehen, aber ich versichere Ihnen, dass<br />

alle Beschreibungen, Ideen und Worte, die ich Ihnen in den<br />

folgenden Stunden erzählen werde, die wahre Geschichte über<br />

den <strong>Shenandoah</strong>-Vorfall wiedergeben. So, wie ich alles<br />

gehört, gesehen, erlebt und gefühlt habe.“


Ankunft<br />

Es gab nichts, außer dem alles verzehrenden Licht. Und<br />

Shannyn befand sich mitten drin. Sie schloss geblendet die<br />

Augen, aber das Schimmern reichte durch ihre Lieder: blau,<br />

dann hellblau und schließlich ein Weiß, das alle anderen<br />

Farben verschlang. Ein sonderbares Gefühl breitete sich ein.<br />

Sie glaubte zu spüren, wie sie etwas anhob. Es folgten ein oder<br />

zwei Sekunden der Taubheit, während der sie überhaupt nichts<br />

fühlte. Dann kehrten Geräusche und Tastsinn mit einem jähen<br />

Knall zurück, als sie aus dem Zeittunnel stürzte. Das grelle<br />

Weiß löste sich ruckartig auf und verschwand. Shannyn fühlte<br />

wieder festen Boden unter den Füßen. War sie tatsächlich<br />

geschwebt? Im nächsten Moment schwankte Shannyn, bis sie<br />

merkte, dass nicht sie, sondern der Boden unter ihren Füßen<br />

kippte. Sie stolperte über etwas auf dem Boden, prallte gegen<br />

eine Wand und hielt sich instinktiv an einer Haltestange vor<br />

den gewaltigen Erschütterungen fest.<br />

Sie wusste nicht, wo sie wahr und öffnete die Augen. Und<br />

starrte direkt auf den bedrohlich anmutende Trabant eines<br />

weiß-gelben Planeten, der sich inmitten einer wabernden,<br />

roten Nebelmasse drehte.<br />

Shannyn sah durch ein schmales Aussichtsfenster. Der Mond<br />

füllte fast den gesamten Bildausschnitt. Gelegentliche Blitze<br />

zuckten lautlos über seine dunkle, zerklüftete Oberfläche.<br />

Sie war im Weltraum.<br />

Auf einem Raumschiff.<br />

Und dann kochten hinter dem Fenster blaue Energiestrahlen<br />

durch das All, trafen auf unsichtbare Schilde und sie musste


sich erneut festhalten, um nicht von den neuen<br />

Erschütterungen umgeworfen zu werden.<br />

Shannyn drehte den Kopf und sah sich blinzelnd in der neuen<br />

Umgebung um. Es handelte sich um den zerstörten Korridor<br />

eines Sternenflottenschiffs. Er lag teils im Dunkeln. Viele<br />

Deckenlichter flackerten unkontrolliert, an manchen Stellen<br />

waren sie gänzlich ausgefallen. In dem Gang schrillten<br />

Sirenen und die Alarmanzeigen leuchteten rot.<br />

Brandspuren verrußten die Wände. Deckenplatten waren<br />

herabgefallen und Trümmer und Schutt eines anhaltenden<br />

Kampfes bedeckte den ganzen Boden. Irgendwo in einem<br />

Gangabschnitt hinter ihr war eine Kühlmittelleitung geplatzt.<br />

Grauer Rauch quoll aus ihr hinaus und hüllte einen Bereich<br />

des Ganges wie eine Wand ein. Shannyn trat zurück und wäre<br />

beinahe erneut über das Objekt von vorhin gestolpert. Sie<br />

bemerkte, dass es ein Körper war. Ein Sternenflottenoffizier. –<br />

Seine Augen waren seltsam verdreht, die Haut vor<br />

Verbrennungen aufgedunsen. Sie wusste, dass für ihn keine<br />

Hoffnung mehr bestand. Erst jetzt bemerkte sie den beißenden<br />

Geruch verbrannten Fleischs.<br />

Und dann sah sie den Cardassianer. Er kam ihr entfernt<br />

bekannt vor, auch wenn sie ergrautes Haar, ein verkrüppeltes<br />

Bein und das fehlen des rechten Auges an ihm vermisste. Er<br />

stand weiter vorn im Gang, in der Mitte einer Kreuzung und<br />

starrte Shannyn mit einer Mischung aus Verblüffung und<br />

Faszination an. Er rührte sich nicht, starrte sie einfach an.<br />

Wie lange stand er schon da?<br />

Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Bis jemand den<br />

Cardassianer von hinten anstieß, wodurch er vorwärts<br />

taumelte. Eine Orionerin in Sternenflottenuniform tauchte auf.<br />

Im Gegensatz zu dem Cardassianer schenkte sie Shannyn<br />

keinerlei Beachtung. Sie bemerkte sie nicht einmal, sondern<br />

war viel zu sehr damit beschäftigt, trotz der heftigen<br />

Erschütterungen, einen Phaser auf die Person vor sich


gerichtet zu halten und die perlweisen Zähne zu blecken.<br />

„Wenn Sie uns in einen hinterhalt gelockt haben, mach ich Sie<br />

fertig, Dorak!“, sagte sie und stieß den Cardassianer weiter, in<br />

den nächsten Gang hinein. Plötzlich erzitterte das Schiff<br />

erneut. Lose Deckenplatten klapperten.<br />

Alles klapperte.<br />

Dann spürte Shannyn eine Präsenz hinter sich, noch bevor<br />

diese Shannyn am Hals berührten konnte. Sie wirbelte<br />

instinktiv herum und wollte die Hand fortstoßen, als sie den<br />

Mann erkannte.<br />

Seine Hand fuhr unbeeindruckt an ihren roten Uniformkragen,<br />

wo er zwei der vier Rangpins entfernte und sie sich in die<br />

Taschen steckte. Shannyn kniff die Brauen zusammen und<br />

verzog die Miene. Rot-blonde Strähnen fielen ihr ins Gesicht.<br />

Sie fragte: „Sind die Sprünge immer so schmerzhaft?“<br />

„Für ungeübte, ja.“, nickte der Mann.<br />

Shannyn sah sich erneut im Korridor um. Sie waren allein.<br />

Der Cardassianer und die ruppige Sicherheitswächterin waren<br />

verschwunden. „Der Angriff hat bereits begonnen?“<br />

„Der beste Zeitpunkt Sie herzubringen. Hier beginnt alles.“<br />

„Oder endet alles, je nach Standpunkt.“<br />

„Sind Sie bereit?"<br />

Ein Schatten fuhr über ihr Gesicht. „Wie könnte ich?"<br />

„Sie hatten ausreichend Zeit sich darauf vorzubereiten.“, sagte<br />

der Mann. „Ihr halbes Leben.“<br />

„Mir war aber nie bekannt, wann Sie aufkreuzen würden,<br />

Ducane.“<br />

Er zuckte ungerührt mit den Schultern. Erneut schüttelte sich<br />

das Schiff, der Boden kippte für einen Moment zur Seite.<br />

Während Shannyn mit ihrem Gleichgewicht zu kämpfen hatte,<br />

stand der Mann völlig ruhig, mit hinter dem Rücken<br />

verschränkten Händen da, als würden ihn die Erschütterung<br />

überhaupt nicht betreffen. „Die Unberechenbarkeit der<br />

Dinge.“, sagte er nur. „Sie wissen, was vor sich geht?“


„Denke schon.“, antwortete Shannyn. „Wir haben Sternzeit<br />

50927.1. Dieses Schiff –die USS <strong>Shenandoah</strong> – befand sich<br />

auf dem Weg zu einer diplomatischen Mission, tief im<br />

cardassianischen Raum-„<br />

„Und das Erscheinen mysteriöser Anzeigen auf den<br />

Sichtschirmen geschah fast gleichzeitig mit dem Auftauchen<br />

eines Kampfschiffes der Breen-Konföderation, das feindselig<br />

reagiert hat.“, beendete Ducane den Satz. „Richtig. Sie sind<br />

also hinreichen instruiert. Nun, viel Glück.“<br />

Er wollte sich abwenden, aber Shannyn griff nach seinem Arm<br />

und wirbelte ihn herum. „Die Berichte über all das, was<br />

damals passierte sind sehr unterschiedlich. Bestenfalls vage.<br />

Es gibt massenhaft verschiedene Versionen der Ereignisse.<br />

Woher weiß ich, wie stark ich mich einmischen kann, was ich<br />

tun soll und was nicht?“<br />

Der Mann lächelte geheimnisvoll. „Erfüllen Sie einfach ihr<br />

Schicksal und versuchen Sie nicht ihm zu entrinnen.“<br />

Shannyn sah sich erneut um und schnaufte. „Wenn ich eines<br />

von meinem Vater gelernt habe, dann das.“<br />

Als sie sich wieder umdrehte, war der Mann verschwunden<br />

und Shannyn allein.<br />

Das Schiff erzitterte erneut. Sie rückte den Rucksatz auf ihrem<br />

Rücken zurecht, damit er nicht klapperte, blieb noch eine<br />

Sekunde stehen und lief dann los.


Gefechtsstationen<br />

Lieutenant Liandra Caseys schmerzerfüllter Schrei hallte<br />

durch den zerstörten Kontrollraum. In einem Meer aus Funken<br />

begleitet, stürzte sie von der explodierenden Technikstation<br />

fort. Sie wurde auf die Rampe geschleudert und krümmte sich<br />

zusammen. Dickflüssiges Blut sickerte aus einer schweren<br />

Platzwunde ihres halb verbrannten Gesichts und ein<br />

herzzerreißendes Wimmern kam zwischen<br />

zusammengebissenen Lippen hervor.<br />

Captain Gabriel O’Conner kam sich schuldig vor. Er war im<br />

Entscheidenden Moment nicht auf der Brücke gewesen, hatte<br />

den Kontrollraum einer Person überlassen, der er nicht traute,<br />

nur um sich den Luxus von Schlaf zu gönnen, mit dem<br />

Ergebnis, dass sein Schiff unter feindlichem Beschuss stand.<br />

Mürrisch warf er einen Blick über die Schulter, zu der<br />

blonden, alten Frau, die in Commander Bowmans Sessel saß,<br />

als wäre es ihr Thron. Die Knöpfe am Kragen ihrer<br />

Sternenflottenuniform gaben ihr den seiner Meinung nach<br />

unverdienten Rang eines Sechs-Sterne-Admirals. Bisher<br />

deutete alles darauf hin, dass ihr Ego dem Rang in nichts<br />

nachstand.<br />

In dem Moment als Nechayev sein Schiff betreten hatte, hatte<br />

O’Conner gewusst, dass die Frau sie alle in Schwierigkeiten<br />

bringen würde. Doch er hätte nicht gedacht, dass sie die<br />

<strong>Shenandoah</strong> mitten in ein Gefecht führte.<br />

In ein solch aussichtsloses noch dazu. Was zum Teufel hatte<br />

sie sich nur dabei gedacht, den Kurs zu ändern und unter Warp


zu gehen, dabei direkt diesem angrifflustigen Hundesöhnen in<br />

die Arme fallend?<br />

Die <strong>Shenandoah</strong> wurde soeben von einer weiteren Salve des<br />

gegnerischen Schiffes erschüttert, das irgendwo an Backbord<br />

durch die Nebelschwaden sauste. Die Plasmastrahlenkanonen<br />

des Breen-Schiffes waren effektiv und setzten den Schilden<br />

der beschädigten <strong>Shenandoah</strong> ordentlich zu. Trotzdem fragte<br />

sich O’Conner, warum diese Mistkerle nicht einfach ihre<br />

gefürchtete Energiedämmwaffe einsetzten.<br />

Die Erschütterung zerriss eine Energieleitung seitlich des<br />

Sichtschirms. Eine Feuerfontäne züngelte bis zur Decke<br />

hinauf, erstarb dort und hinterließ schwarze Brandspuren.<br />

O’Conner warf einen kurzen Blick zu den Monitoren im<br />

hinteren Bereich der Brücke, wo eben noch das griechische<br />

Symbol für Omega blau geglüht hatte. Nun waren zwei dieser<br />

Monitore ausgefallen, ein anderer flackerte. Erst als Nechayev<br />

einen Code eingetippt hatte, waren die Omega-Symbole<br />

wieder verschwunden und die Systeme brauchbar. Den<br />

ahnungslosen Crewmitgliedern, die plötzlich vor den<br />

Konsolen gestanden hatten, die von ihnen keine Befehle mehr<br />

entgegen nahmen, hatte sie natürlich nicht erklärt, worum es<br />

sich bei Omega handelte. Diese Daten waren streng<br />

vertraulich. Nur sie wusste davon. Und O’Conner.<br />

Das Deck kippte unter dem nächsten Beschuss zur Seite.<br />

Etliche Offiziere stürzten zu Boden, einige hielten sich wacker<br />

an den Konsolen fest.<br />

Sirenen heulten.<br />

„Die Sonden senden jetzt ihre Daten.“, rief Rhonda Smith dem<br />

Captain zu. Die Ärztin vertrat den Wissenschaftsoffizier<br />

Castor an dessen Konsole. O’Conner hätte lieber Castor dort<br />

sitzen gehabt, aber der hatte Smith vor kurzem den Posten<br />

überlassen.<br />

Mit beginn der Mission, dachte O’Conner. Normalerweise<br />

vertraute er Rhonda Smith bedingungslos, aber seit Nechayev


an Bord gekommen war, verhielt sich die Ärztin anders. Wie<br />

unter Zwang. Nechayev schien einen unbekannten Einfluss<br />

auf sie zu haben und das weckte sein Misstrauen gegenüber<br />

Smith. Dennoch war sie ein wahres Multitalent, seit jeher ein<br />

Wunderkind. O’Conner wusste nicht wie sie es machte –<br />

niemand wusste das so recht, aber die stille Brünette<br />

beherrschte innerhalb kürzester Zeit die verschiedensten<br />

Dinge. So war sie inzwischen Expertin in den mannigfachsten<br />

wissenschaftlichen Bereichen und einem Dutzend weiterer.<br />

Vielleicht lag es an ihrem eidetischen Gedächtnis. Vielleicht<br />

lag es an was anderem.<br />

„Weitere Schiffe in der Nähe?“, fragte O’Conner. „Haben wir<br />

unwissentlich eine Renegatenbasis entdeckt?“<br />

In was für ein Planetensystem jenseits der erforschten<br />

Territorien des cardassianischen Raumes Nechayev sie auch<br />

immer geführt hatte, die Sensoren waren so gut wie<br />

unbrauchbar. Selbst die Sonden arbeiteten unzuverlässig. Der<br />

Passiv-Energie-Indikator, der in der Umgebung abgestrahlte<br />

Energie maß, zeigte Werte jenseits der normalen Skala an.<br />

Nur, was genau diesen wahren Höllensturm auf den<br />

Energieanzeigen verursachte, konnte man unmöglich sagen.<br />

„Es ist nur ein Schiff, Sir. Ein Delta.“<br />

O’Conner begegnete dem ernsten Gesicht seines ersten<br />

Offiziers, stolperte unter dem Beschuss an ihr vorbei und<br />

beugte sich zu Smith an die Konsole, um sich die wenigen<br />

Werte anzusehen, die von der Sonde geliefert wurden. Delta –<br />

das war eines der neueren Kampfschiffe der Breen. Dem<br />

Verhältnis von Länge und Breite nach zu urteilen, musste es<br />

ein Typ der Klasse III oder IV sein. Nicht gerade das größte<br />

Schiff, dass die Breen jemals in Dienst gestellt hatten, aber<br />

groß genug um ihnen Probleme zu bereiten. Erst recht, wenn<br />

sie sich dazu entschlossen, ihr anderes Waffensystem<br />

einzusetzen. Zwar war die <strong>Shenandoah</strong> als schwerer Kreuzer<br />

der Akria-Klasse ebenfalls nicht zu verachten, aber mit den


energieabsorbierenden Waffen der Breen konnten sie es nicht<br />

aufnehmen. Denen waren schon weitaus größere Schiffe zum<br />

Opfer gefallen. Das Delta war unangenehm. Sogar äußerst<br />

unangenehm.<br />

Robust und auch noch verdammt gut bewaffnet. Der Raumer<br />

verfügte über einen weiteren, entscheidenden Vorteil: sie<br />

waren besonders manövrierfähig. Diese Dinger waren gebaut<br />

worden, um über ahnungslose Opfer wie Pumas herzufallen.<br />

Sie war ohne weitere in der Lage ein Schiff der Akira-Klasse<br />

auszumanövrieren und das mussten diese Verbrecher auch<br />

wissen. Dennoch gingen sie vorsichtig vor und nutzten nur die<br />

halbe Leistung dessen, was ihr Schiff wirklich vermochte.<br />

O’Conner wusste zwar nicht genau, wo sich sein Schiff<br />

gegenwärtig befand, aber ihm war nicht entgangen, was sich<br />

in dieser Region befand und die Vorsichtigkeit der Breen<br />

führte er auf genau jenes Ding zurück.<br />

Wo hatte Nechayev sie nur hineingebracht?<br />

„Ruderkontrolle: Ausweichmanöver! Dreißig Grad Backbord,<br />

nach unten abtauchen.“<br />

„Aye, Sir.“, bestätigte Chief Crocker. Der bärtige, ältere Mann<br />

stand breitbeinig hinter Steuermann Cooper Hawk und<br />

Navigator Joe Toye und gab den Befehl weiter. „Dreißig Grad<br />

Backbord, nach unten abtauchen.“<br />

Die <strong>Shenandoah</strong> sackte abrupt ab und entging nur knapp einer<br />

weiteren Salve.<br />

„Ich hoffe das war noch nicht alles, Captain.“, sagte Admiral<br />

Nechayev in einem herablassenden Tonfall. Sie richtete sich<br />

auf, legte die Hände auf die Hüften und streckte ihre<br />

Wirbelsäule, wie eine auf der Lauer liegende Katze. O’Conner<br />

warf einen verschwörerischen Blick über die Brücke. Rauch<br />

quoll durch den Raum, das Umweltkontrollsystem kam kaum<br />

hinterher ihn abzusaugen. Der Kontrollraum war ramponiert.<br />

Zwei Stationen zerstört, Verletzte lagen auf dem Boden und<br />

wurden von Hilfskräften versorgt. Die Offiziere rannten


hektisch umher und riefen sich gegenseitig gehetzt Befehle zu.<br />

„Admiral.“, begann Captain O’Conner mit gepresster Stimme.<br />

„Wir können es mit denen nicht aufnehmen. Ich empfehle auf<br />

Warp zu gehen.“<br />

„Sie haben das Zeichen auf den Monitoren vorhin gesehen,<br />

Captain.“, erwiderte Nechayev ruhig. „Ich muss Ihnen kaum<br />

erklären, was auf dem Spiel steht.“ Ihre harte, unnachgiebige<br />

Stimme klang so, als ob sie abtreten, Kadett gesagt hätte. Und<br />

sie musste O’Conner nicht erklären, was auf dem Spiel stand.<br />

Aber gerade weil er es genau wusste, wollte er sein Schiff so<br />

weit wie möglich aus der Gefahrenzone bringen. Er sah zu<br />

einem der Monitore. Auf dem eckigen Schirm war eine<br />

Darstellung des kompletten Systems abgebildet. O’Conner sah<br />

die Sonne, den verseuchten Planeten mit seinem Mond und die<br />

Nebelmasse. Und irgendwo hinter dem blauen Pünktchen, das<br />

die <strong>Shenandoah</strong> symbolisierte, glühte noch immer das<br />

griechische Zeichen für Omega auf.<br />

„Doktor Smith.“, befahl Nechayev. „Lassen Sie Mr. King zum<br />

Frachtraum vier bringen, isolieren Sie das Transportersystem<br />

und geben Sie mir ein Zielkoordinatenraster.“<br />

Auf den Schirmen erschienen Fadenkreuze, legten sich auf die<br />

von den Sensoren übertragene Darstellung des Delta und<br />

begannen sich selbstständig auf das Ziel auszurichten.<br />

„Die werden mir nicht zuvorkommen“, murmelte sie und<br />

ballte die Faust. „Ich will es haben!“<br />

O’Conner nahm sie am Arm. Er musste sich zügeln, nicht mit<br />

den Zähnen zu knirschen. „Ich glaube es gibt da noch ein paar<br />

Dinge, die Sie bedenken sollten.“<br />

„Zum Beispiel?“, fragte Nechayev.<br />

„Zum Beispiel die Sicherheit der Leute auf meinem Schiff.“<br />

Nechayev schüttelte den Kopf. „Über die Gefahr bin ich mir<br />

bewusst. Wir werden das Risiko eingehen.“<br />

„Die Sensoren machen auf dem Mond in diesem System<br />

Leben aus. Eine Siedlung.“


Nechayev winkte ab. „Unwichtig.“<br />

O’Conner wurde langsam richtig wütend. Wie konnte jemand<br />

eine derartig gefährliche Situation nur so gründlich<br />

verkennen? Aber er war sich sicher, dass Nechayev sogar sehr<br />

viel mehr wusste, als er und dass regte ihn noch mehr auf.<br />

„Hören Sie zu-“<br />

„Nein Captain, Sie hören mir zu. Entweder helfen Sie mir nun<br />

das Renegatenschiff der Breen zu vertreiben, nötigenfalls aus<br />

dem Weltall zu fegen, oder ich sehe mich gezwungen das<br />

Kommando zu übernehmen.“ Sie sah sich um, weil sie<br />

bemerkte, sehr laut gesprochen zu haben und dass sie alle<br />

beobachteten. Jetzt wandten sie allerdings schnell die Köpfe<br />

ab und konzentrierten sich wieder auf ihre Pflichten.<br />

Zumindest taten sie so.<br />

O’Conner starrte Nechayev an, verübte mit ihr ein<br />

Augenduell... und verlor.<br />

„He.“, unterbrach Crocker. „Falls es irgendwen interessiert,<br />

dieser Knaller da draußen wendet.“<br />

Alle Köpfe ruckten herum. Auf dem Schirm war deutlich zu<br />

erkennen, wie der dunkle Schatten des Delta wendete und aus<br />

einer Nebelschwade heraus- und auf sie zuschoss. Jetzt<br />

wollten die Hunde ernst machen. Nechayev hatte die<br />

<strong>Shenandoah</strong> in eine Position gebracht, wo das Schiff zwischen<br />

den Breen und dem Grund ihres hier seins lag und sie<br />

beabsichtigte nicht den Weg zu räumen.<br />

Commander Bowman rief: „Das Delta kommt herum.“<br />

Admiral Nechayev schob sich an O’Conner vorbei. Soweit es<br />

sie betraf, war er kein brauchbares Mitglied der Crew mehr,<br />

auch wenn er sich noch auf der Brücke befand.<br />

„Kollisionsalarm.“<br />

„Position halten.“, befahl Nechayev. „Volle Energie auf die<br />

vorderen Schilde. Wir werden nicht weichen.“<br />

O’Conner wusste, dass sie einen Fehler beging, aber er wusste<br />

auch, dass er sie bei der kleinsten Zwischenbemerkung von


der Brücke holen würde. Im Grunde konnte er gar nichts mehr<br />

tun. O’Conner drehte den Kopf und beobachtete stumm den<br />

schnell näherkommenden Schatten auf dem Hauptschirm.


Explosion<br />

Das Breen-Schiff raste direkt auf sie zu und machte keinerlei<br />

Anstalten auszuweichen, ebenso wie die <strong>Shenandoah</strong>. Auch<br />

Nechayev war wild entschlossen nicht aufzugeben. Ihr ganzer<br />

Wille, ihre ganze Aufmerksamkeit waren auf das sich<br />

nähernde Schiff gerichtet. Nicht nur Smith, alle auf der Brücke<br />

hatten schweißglänzende Gesichter, als ob jemand Kübelweise<br />

Wasser über ihre Köpfe geschüttet hätte. Die ganze Brücke<br />

stank förmlich nach Angst.<br />

„Admiral…“, bat Pilot Cooper Hawk. Seine Hände ruhten auf<br />

den Navigationskontrollen, die stechend blauen Augen blieben<br />

auf den Sichtschirm gerichtet. Dennoch wirkte er irgendwie<br />

abwesend.<br />

„Position wird gehalten, egal was die Breen machen.“<br />

Sicherheitschef Spiers hielt seinen Blick gebannt auf die<br />

Monitore gerichtet. „Delta öffnet Torpedorohre.“<br />

„Wie viele?“, fragte Nechayev hektisch.<br />

„Alle.“<br />

„Gegenmaßnahmen!“, schrie Bowman. „Alles raus!“ Sie<br />

plante, dass sie alles losschickten, was die <strong>Shenandoah</strong> hatte:<br />

Irrfelder, falsches Plasma, elektrostatische Störsignale – alles,<br />

was die Zielerfassungssensoren der Breen verwirren konnte.<br />

Spiers wollte sich augenblicklich daran machen, die Tasten<br />

seiner Kontrollen zu bearbeiten, aber Smith hielt seinen Arm<br />

fest. „Nicht! Das könnte es destabilisieren.“<br />

Spiers wollte gerade nachfragen, was Es eigentlich war, als<br />

der Kollisionsalarm losschrillte.<br />

Das Schiff auf dem Sichtschirm schwoll an ... schwoll an ...<br />

schwoll an, hatte sie fast erreicht und dann hielt es O’Conner


nicht mehr aus, schnellte zur Steuerkonsole und schrie:<br />

„Ausweichen!“<br />

„Nein!“, rief Nechayev, aber da tauchte die <strong>Shenandoah</strong><br />

bereits ab – gerade noch rechtzeitig. Die Breen sausten so<br />

knapp über sie hinweg, dass O’Conner glaubte ein dumpfes<br />

Dong zu hören. Das war der Moment, wo die Breen das Feuer<br />

eröffneten. Ihre Torpedos rasten durchs All...<br />

... und trafen auf.<br />

Das ganze Schiff wurde erschüttert, die Monitorbilder fingen<br />

an zu rollen, wurden weiß und zeigten schließlich nur noch<br />

undeutliche Schlieren.<br />

Sirenen heulten.<br />

Die Besatzung versuchte verzweifelt die schlingernde<br />

<strong>Shenandoah</strong> zu stabilisieren, dann kamen von überall her die<br />

Schadensmeldungen herein. Alle schrieen durcheinander. Eine<br />

verzerrte Stimme rief über die Kommunikationsanlage:<br />

„Maschinenraum ... Chief ist tot. Wir haben hier unten große<br />

Probleme ... Warpkern ... schlüsselt ... Programm ... -gendwas<br />

stimmt hier nicht, der-“ Und dann brach der Kontakt völlig ab.<br />

Nechayev kämpfte sich durch die Erschütterungen zu Smith<br />

an die wissenschaftliche Station. „Wo sind die Breen?“<br />

„Sie sind- O Nein.“ Die Ärztin riss ihre blauen Augen auf.<br />

„Die Breen machen ihr Transportersystem klar.“<br />

„Mein Gott.“<br />

Nechayev sah verzweifelt zum Sichtschirm, wo das Delta<br />

Position über der vielleicht wichtigsten Entdeckung dieses<br />

Jahrtausends machte und Necahyev fühlte, wie sie den Boden<br />

unter den Füßen zu verlieren drohte. Die Breen schienen ihr<br />

zuvorzukommen.<br />

Aber noch gab Nechayev nicht auf, nicht hier, nicht jetzt!<br />

Soweit war es noch nicht.


„Was ist mit den Waffen?“, fragte sie laut. „Was haben wir<br />

noch?“<br />

Spiers studierte seine Anzeigen. „Phaserbänke ausgefallen.<br />

Torpedos Bereit.“<br />

„Ziel fixieren.“<br />

Spiers sah flüchtig zu O’Conner, als wolle er sich von ihm<br />

eine stumme Bestätigung abholen. O’Conner nickte kaum<br />

merklich.<br />

„Ziel fixieren, Lieutenant!“, wiederholte Nechayev.<br />

„Ziel fixiert.“<br />

Smith bekam große Augen. „Admiral! Das ist zu riskant. Ein<br />

falscher Schuss-“<br />

Nechayev beugte sich zu ihr herab. „Es gibt drei Arten von<br />

Menschen, Rhonda. Diejenigen, die Dinge geschehen machen,<br />

diejenigen, die zusehen, wie Dinge geschehen und diejenigen,<br />

die sich wundern, wie Dinge geschehen. In welche Kategorie<br />

gehören Sie?“ Sie wartete gar keine Antwort ab und sagte<br />

lauter: „Wir gehen das Risiko ein.“<br />

Ein kurzer Blick auf die Monitore verriet: Das Feuerleitsystem<br />

war kampfbereit. Auf den Zielmonitoren erschien die vorausberechnete<br />

Schussbahn in Form von farbig markierten<br />

Strahlen, deren Endpunkte im den sensiblen Stellen des Delta<br />

lagen.<br />

Aber die seltsamen Bedingungen des Nebels in dem System<br />

behinderte und verwirrten die Zielsensoren stark, weshalb die<br />

<strong>Shenandoah</strong> bisher auch nur die zuverlässigen Phaser benutzt<br />

hatte.<br />

Wenn die Zielsensoren der Torpedos-<br />

Nein! Der Schuss musste hundertprozentig sitzen. Für ihren<br />

Vater, für ihren verschiedenen Gatten - für jedermann! Sie<br />

durften die Sache nicht vermasseln.<br />

Jemand sagte: „Delta aktivieret Transportersystem.“<br />

Nechayev presste die Zähne zusammen. „Feuer!“


Zwei rotglühende Torpedos verließen die Rohre der mächtigen<br />

<strong>Shenandoah</strong> und zuckten durch den Weltraum. Sie schossen<br />

auf das Delta zu, korrigierten kurz ihre Bahnen, als sich die<br />

durch den Nebel verwirrten Zielmechanismen neu auf die<br />

feindlichen Energiewerte einrichteten. Nechayev hielt den<br />

Atem an. Unter dem Delta baute sich das schwache Flimmern<br />

eines Transporterstrahls auf. Und dann fanden die Torpedos<br />

ihr Ziel.<br />

Sie explodierten mit furchtbarer Gewalt und ein Feuerball<br />

entstand an der Schiffshülle des Delta. Dann zuckten in alle<br />

Richtungen Strahlenbündel aus blauweißer Energie über das<br />

gesamte Schiff. Stotternd fielen die Warpreaktoren aus.<br />

Auf der Brücke der <strong>Shenandoah</strong> setzte für einen Moment ein<br />

Höllenlärm ein, als die Mannschaftsmitglieder jubelten,<br />

lachten und sich erleichtert die Hände schüttelten.<br />

„Überlastung ihres Transportersystems.“, meldete Spiers.<br />

Das Schimmern des Transporters im Weltraum flackerte und<br />

erstarb.<br />

Nechayev atmete erleichtert aus.<br />

Und dann sahen sie, wie plötzlich alle Energieanzeigen bis<br />

ausschlugen. Ein wahrer Höllensturm tobte auf den Sensoren.<br />

Der Jubel verstummte. Smith hielt sich panisch an ihrer<br />

Station fest. „Es destabilisiert sich.“<br />

Nechayev’s Magen knotete sich zusammen. „Nein.“, flüsterte<br />

sie.<br />

Gabriel O’Conner sah auf den Monitoren das Unheil, dass sich<br />

anbahnte und versuchte zu Hawk zu gelangen. „Hawk! Sitzen<br />

sie nicht untätig da wie ein Borg! Auf Warp gehen!“, brüllte er<br />

„Warpantrieb! Bringen sie uns auf Warp!“<br />

Aber Hawk reagierte nicht. Er saß an seiner Konsole, starrte<br />

ins Leere und wirkte abwesend. O’Conner wusste nicht, ob der


Lieutenant ihn nicht hörte, oder seinen Befehl aus einem<br />

anderen Grund ignorierte. Es spielte keine Rolle mehr. Alles<br />

war zu spät.<br />

Ein grellweißes Licht blitzte auf dem Sichtschirm und eine<br />

Explosion zerriss den Subraum.<br />

Die Wucht der Schockwelle kam unerwartet und warf alle<br />

Offiziere auf der Brücke von den Beinen, sodass sie über den<br />

Boden des Kontrollraums rollten. Zwei Konsolen platzten in<br />

einem Funkenregen auseinander. Um sie herum knirschte und<br />

knarrte die ganze Konstruktion.<br />

Es klang erschreckend laut. O’Conner rappelte sich auf. Er sah<br />

noch, dass Commander Bowman an der Stirn blutete – dann<br />

kam die nächste Schockwelle. Sie schleuderte O’Conner<br />

gegen die Seitenwand. Hart schlug sein Kopf gegen das<br />

Metall, ihn durchfuhr ein stechender Schmerz. Sicherheitschef<br />

Spiers fiel auf ihn, knurrte und fluchte. In dem Bemühen auf<br />

die Beine zu kommen, stieß Spiers mit der Hand in O’Conners<br />

Gesicht. O’Conner fiel erneut zu Boden, neben ihm schlug<br />

funkensprühend ein Deckenträger auf. Das ganze Schiff<br />

schwankte wie bei einem Erdbeben. Die Sirenen heulten. Alle<br />

hielten sich krampfhaft an Türrahmen, Konsolen und<br />

Wandverkleidungen fest, um das Gleichgewicht nicht zu<br />

verlieren.<br />

Was aber O’Conner am meisten erschreckte, war das<br />

Geräusch – das unvorstellbar laute metallische Knirschen und<br />

Krachen der Außenhülle.<br />

Die <strong>Shenandoah</strong> geriet völlig außer Kontrolle.<br />

Nechayev befand sich an der gegenüberliegenden Wand und<br />

versuchte, sich zur Wissenschaftlichen Station vorzuarbeiten.<br />

Sie schrie Befehle, doch außer dem entsetzlichen Geräusch,<br />

das klang, als würde sich das Schiff wie eine Sardinenbüchse<br />

zusammenquetschen, konnte O’Conner kaum etwas verstehen.


Er klammerte sich an der Wandverkleidung fest und sah, wie<br />

die halbe Brückenmannschaft hilflos durch den Kontrollraum<br />

geschleudert wurde. Der Sichtschirm rollte, zeigte undeutliche<br />

Schlieren. O’Conner glaubte zu erkennen, wie das Delta - was<br />

davon übriggeblieben war – an ihnen vorbeigeschleudert<br />

wurde.<br />

Allan D’Agosta, der Systemanalytiker und zweite Offizier,<br />

rollte über den Boden und bekam irgendwann den Sessel des<br />

ersten Offiziers zu greifen, wo er sich verzweifelt<br />

festklammerte. Smith konnte er nicht sehen, aber Pilot Cooper<br />

Hawk hielt sich mit verblüffender Verbissenheit an den<br />

Steuerkontrollen und versuchte das Schiff unter Kontrolle zu<br />

bekommen.<br />

„Hawk!“, rief der O’Conner. „Hawk! Wir müssen-“ Dann<br />

prallte irgendjemand gegen ihn und brachte ihn zu fall.<br />

O’Conner rutschte über den Boden, als sich die <strong>Shenandoah</strong><br />

aufbäumte und prallte gegen die Stufen des Kommandodecks.<br />

Dort stellte er entsetzt fest, dass der rollende Sichtschirm den<br />

Mond des einzigen Planeten dieses Sternensystems zeigten.<br />

Und er sprang auf sie zu!<br />

In Wahrheit aber, war es nicht der Mond, der auf sie zusprang,<br />

sondern-<br />

Der Ire O’Conner schnappte nach Luft. Sie stürzten der<br />

Oberfläche entgegen. Was immer da im Weltraum explodiert<br />

war, die Druckwelle hatte die <strong>Shenandoah</strong> erfasst und sie auf<br />

den Trabanten zugeschleudert.<br />

Es musste etwas geschehen. Er kam wieder auf die Füße und<br />

stand in einem feinen Funkenregen. Er sah sich um: überall<br />

spielten die Konsolen verrückt, fielen aus, gingen wieder an<br />

und kurz darauf wieder aus.<br />

Das verdammte Schiff bricht auseinander, dachte O’Conner.<br />

Er wankte zu Hawk, hielt sich an dessen Stuhl fest und schrie<br />

dich an seinem Ohr: „Fluglage stabilisieren!“<br />

„Wir stürzen ab!“


„Ich weiß.“, sagte O’Conner. „Können Sie hochziehen? Das<br />

Schiff von der Atmosphäre abprallen lassen?“<br />

Hawk schüttelte verzweifelt den Kopf. Wo er vorhin noch<br />

abwesend schien, war er nun völlig klar bei der Sache. „Ist zu<br />

spät, wir haben den Abprallpunkt bereits überschritten.<br />

Verdammt! Die Energieanzeigen spinnen, der Antrieb reagiert<br />

auf gar nichts.“<br />

Es stimmte. Die Indikatoren für die Energiesysteme zeigten<br />

eine Katastrophe an.<br />

„Dann bringen sie uns spiralförmig runter, Lieutenant. Wie<br />

Sie es gelernt haben.“<br />

In demselben Augenblick brüllte jemand verzweifeltes über<br />

die Kommanlage: „Maschinenraum an ... Virus ... alles aus.“<br />

Dann erfolgte ein Klicken und der Kontakt brach ein letztes<br />

Mal ab und konnte auch nicht wieder hergestellt werden.<br />

„Ich hab über nichts Kontrolle!“, rief Hawk verzweifelt. „Das<br />

wird eine schlimme Bruchlandung, Sir.“<br />

Reibungshitze durch den Atmosphäreneintritt ließ bereits<br />

Flammen auf dem Sichtschirm erscheinen. Das verfluchte<br />

Diskussegment begann zu brennen! Die <strong>Shenandoah</strong><br />

schlingerte nicht mehr, schüttelte sich dafür aber wie bei<br />

einem Erdbeben. Alles klapperte und zitterte. Der Sichtschirm<br />

flackerte, zeigte, wie sie der Oberfläche entgegenstürzten.<br />

O’Conner drehte den Kopf und sah jemanden am Boden<br />

liegen, unmittelbar bevor Crocker über den Körper stolperte<br />

und schwer gegen die Wand schlug. O’Conner durfte ihm<br />

nicht helfen. Er musste handeln. In nächster Nähe vor seinem<br />

Gesicht leuchteten riesig die Buchstaben:<br />

ENERGIEAUSFALL. Die Systeme sponnen.<br />

Alles war verrückt.<br />

Wenn sie bei dem Absturz keine Energie für die<br />

Trägheitsabsorber hatten-<br />

„Schluss jetzt!“, schrie O’Conner durch den Lärm. „Schluss<br />

jetzt, wir evakuieren.“


Mit einem Mal tauchte neben O’Conner Nechayevs Gesicht<br />

auf, das Haar zerzaust. „Das können Sie nicht tun!“<br />

„Ach nein?“<br />

„Die Mission ist nicht vorüber, Captain! Hawk, tun Sie ihre<br />

Pflicht und bringen Sie-„<br />

„Sparen Sie sich die Mühe, Admiral.“, sagte O’Conner und<br />

stieß sie weg. Er hatte nun wieder das Kommando<br />

übernommen.<br />

„Sie machen einen großen Fehler!“, rief Nechayev, während<br />

sie rückwärts auf den Sitz der Ops-Station fiel.<br />

O’Conner ignorierte sie. „Smith!“, rief er. „Was ist mit den<br />

Fluchtkapseln? Sind die auch von dem Energieausfall<br />

betroffen?“<br />

Rhondas Hände flogen über die Tasten. Sie schüttelte den<br />

Kopf. „Ich... lässt sich nicht genau sagen. Ich weiß es nicht.“<br />

„Sind die Kapseln okay?“, schrie er, um den Lärm zu<br />

übertönen. Er deutete zum Sichtschirm, wo der Mond nun den<br />

ganzen Bildausschnitt ausfüllte. „Ich muss wissen, ob meine<br />

Besatzung es auch sicher nach unten schafft, bevor ich sie da<br />

rausschicke.“<br />

Die Ärztin schüttelte verzweifelt den Kopf. „Es... es tut mir<br />

leid, Sir. Ich bekomme falsche Anzeigen geliefert. Sie<br />

widersprechen sich.“<br />

Commander Bowman tauchte neben O’Conner auf und sah<br />

ihn ernst an. „Die Kapseln verfügen über gute Notfallsysteme.<br />

Mit ihnen hat die Crew mehr Chancen heil nach unten zu<br />

kommen, als in einem Schiff ohne ausreichende Energie für<br />

die Trägheitsabsorber.“<br />

O’Conner fasste einen Entschluss. „Stoßen wir die Kapseln<br />

aus.“<br />

Das ohrenbetäubende Knirschen der Außenhülle wollte nicht<br />

aufhören. Die Stöße warfen O’Conner von einer Seite zur<br />

anderen. Er versuchte sich auf den Beinen zu halten, während


er zum Kommandostuhl taumelte. Dort bekam er die Lehne zu<br />

fassen und betätigte die Kontrollen.<br />

„Achtung.“, sagte O’Conner über die Sprechanlage, bemüht<br />

seine Stimme möglichst ruhig zu halten. „Alle Mann das<br />

Schiff verlassen! Ich wiederhole, alle Mann sofort das Schiff<br />

verlassen. Dies ist keine Übung! Wir verlassen die<br />

<strong>Shenandoah</strong>.“<br />

O’Conner begegnete für einen Moment Nechayevs wütenden<br />

Blick. Doch anstatt einen drohenden Kommentar von sich zu<br />

geben, wirbelte sie herum und stolperte zum Turbolift.<br />

O’Conner kümmerte sich nicht länger drum, stieß sich vom<br />

Kommandostuhl ab und taumelte zurück zu Lieutenant Hawk.<br />

Der Pilot brachte das Schiff in einen spiralförmigen Sinkflug,<br />

damit die Kapseln in einem möglichst kleinen Radius, dicht<br />

beieinander landeten – falls auch die Koordinatenraster<br />

Fehlfunktionen erlitten.<br />

Hawk schluckte. Es war verrückt. Einfach verrückt. Und das<br />

nur, weil er den Warpantrieb nicht rechtzeitig aktiviert hatte.<br />

Eine Sekunde, die über ihr aller Leben entschied. Eine<br />

verfluchte Sekunde.<br />

Was hab ich getan? Was hab ich nur getan?<br />

Der Planet schwoll weiter an.<br />

Die ehemalige Kampfpilotin Ashley Bowman kam mit der<br />

gegenwärtigen Ausnahmesituation wesentlich besser zurecht,<br />

als die meisten Anderen, denn sie war es aus zahlreichen<br />

Gefechtssituationen gewöhnt, wenn um sie herum alles<br />

zusammenbrach, brannte und erstarb. Sie hielt sich wild am<br />

Holz der hufeisenförmigen Sicherheitsstation fest und suchte<br />

den Kontrollraum nach einem bestimmten Gesicht ab.<br />

Dann entdeckte sie endlich Allan D’Agosta. Er klammerte<br />

sich unter ihr im Kommandodeck an ihrem Stuhl des ersten


Offiziers fest und schien nicht recht zu wissen, was er machen<br />

solle.<br />

D’Agosta war Mitte dreißig, alleinerziehender Vater und<br />

durch und durch ein netter Kerl. Ein netter Kerl deshalb, weil<br />

er nicht im Dominion-Krieg gekämpft und auch sonst ein<br />

wohlbehütetes Leben genossen hatte. Sympathisch, nur viel zu<br />

passiv. Und er sollte nicht in Situationen wie diese geraten,<br />

weil sie für ihn absolutes Neuland waren. Nicht nach dem,<br />

was er alles durchgemacht hatte.<br />

Bowman beugte sich zu ihm herab: „Allan, verschwinde. Hol<br />

Judy.“<br />

D’Agostas verwirrter Blick glitt über die Brücke. Bowman<br />

war sich nicht einmal sicher, ob er sie gehört hatte. Sie langte<br />

über die Sicherheitskonsole und umschloss mit der Hand feste<br />

seine Schulter. Nun schrak er auf und sah zu ihr hoch.<br />

„Allan!“, wiederholte sie. „Hol deine Tochter, hol Judy!“<br />

„Was... was ist mit dir?“<br />

„Ich komme nach.“<br />

„Aber-„<br />

„Hol Judy, verdammt!“, rief sie und gab ihm einen Stoß. Dann<br />

taumelte er endlich los und schaffte es zum Turbolift. Ihre<br />

Blicke trafen sich ein letztes Mal. Die Tür schloss sich hinter<br />

D’Agosta und sperrte den Kontrollraum aus.<br />

Weiter vorn auf der Brücke stürzte O’Conner erneut zu Boden<br />

und wäre um ein Haar mit dem Kopf an einen Stuhl<br />

geschlagen. Die Erschütterung war so heftig, dass es diesmal<br />

sogar Hawk aus dem Sitz riss. Er schleuderte Quer durch den<br />

Raum zum Sichtschirm. Hawk rollte ab und rappelte sich auf,<br />

als O’Conner plötzlich vor ihm stand. Er sah im das erste Mal<br />

in die Augen. Und hielt dem Blick nicht stand. Hawk fühlte<br />

sich schuldig.<br />

„Captain, es-„


„Ist schon gut, Lieutenant.“, sagte er. „Verschwinden Sie.“<br />

„Captain-„<br />

„Sie sollen verschwinden, habe ich gesagt!“, knurrte<br />

O’Conner und stieß den Piloten fort. Er sah, wie Smith zu ihm<br />

rannte und ihn an der Hand nahm. Sie zog ihn hinter sich her.<br />

Dann brüllte O’Conner: „Los raus, alle Mann raus. Räumt den<br />

Kontrollraum!“<br />

Die Menschen im Innern begannen durcheinander zu laufen<br />

und zu den Ausgängen zu hasten. O’Conner brummte, als sich<br />

Bowman neben ihn hinter die Navigations-Kontrollen. Ein<br />

Blick verriet ihm, dass sie nicht gehen würde. Und er wusste,<br />

jede Diskussion mit ihr war von vornherein zum Scheitern<br />

verurteilt.<br />

Er quittierte ihre Entscheidung mit einem Kopfschütteln und<br />

widmete sich der Bändigung seines sterbenden Schiffes.


Evakuierung<br />

Gellender Alarm begleitete ihn, während er durch den<br />

wankenden Korridor rannte. Rote Warnlampen blitzten auf.<br />

Überall heulte das Evakuierungssignal.<br />

Allan D’Agosta sah auf sein Chronometer. Eine Minute. Er<br />

hatte eine ganze Minute von der Brücke zu Deck Sieben<br />

gebraucht, weil der Turbolift plötzlich einfach stehen<br />

geblieben war. Und Deck Sieben war nicht einmal sein Ziel.<br />

Er würde es nicht schaffen! Wenn er Pech hatte, war Judy<br />

längst auf und davon.<br />

Ganz allein.<br />

In einer der anderen Kapseln.<br />

Sein Herz hämmerte. Panik stieg in Allan auf und es schnürte<br />

ihm die Kehle zu. Er rannte weiter. Immer weiter. Das Schiff<br />

erbebte erneut, alles wackelte. Alles war verrückt. Er stürmte<br />

um eine Ecke, wo er mit Transporterchief Brenda Isaac<br />

zusammenstieß. Die Halb-Bajoranerin hatte eine breite<br />

Schnittverletzung an der Wange. Dunkles Blut verschmierte<br />

ihr kantiges Gesicht und verklebte das lange, rote Haar.<br />

Überall im Schiff jaulten akustische Melder.<br />

„Brenda!“, überschrie er den Lärm. „Brenda, haben Sie meine<br />

Tochter gesehen? Wissen Sie, wo Judy ist?“<br />

„Ich weiß nicht!“ Ihr Gesicht war – vom Blut einmal<br />

abgesehen - blass und voller Angst.<br />

D’Agosta schob sich an ihr vorbei und rannte verzweifelt<br />

weiter. Im nächsten Korridorabschnitt blinkten zwischen all<br />

den Alarmsirenen und Lichtern eine Anzeige auf:<br />

„ENERGIEAUSFALL.“


Das ganze Schiff war betroffen. D’Agosta eilte durch einen<br />

Verbindungsgang und kam erneut an Isaac vorbei. Er rannte<br />

im Kreis. Wieso rannte er im Kreis?<br />

„Was ist überhaupt los?“, schrie sie ihm entgegen.<br />

„Wir stürzen ab! Wo ist Castor? Wo ist Chief Vescala?“<br />

„Ich weiß nicht! Ich weiß es nicht!“, rief Isaac und stolperte in<br />

einen anderen Seitengang. D’Agosta suchte in der Menge<br />

panisch durcheinanderrennender und zu den Rettungskapseln<br />

fliehender Menschen nach vertrauten Gesichtern, während er<br />

den Weg zu seinem Quartier fortsetzte.<br />

„Ich suche meine Tochter!“, rief er. „Hat irgendwer meine<br />

kleine Tochter-„<br />

Jemand hielt ihn am Arm fest und wirbelte Allan herum.<br />

Beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren und wäre<br />

gestürzt. Ihm gegenüber stand eine Frau mit rotblondem Haar,<br />

und durchdringenden, blauen Augen. Sie trug einen Rucksack<br />

und schwere, blank polierte Stiefel über der Uniform.<br />

„Was sagen Sie da?“, fragte sie stirnrunzelnd. „Auf diesem<br />

Schiff sind Kinder?“<br />

„Ja. Ich... ich suche meine Tochter. Judy.“<br />

„Wo haben Sie sie das letzte Mal gesehen?“<br />

Die <strong>Shenandoah</strong> sackte zur Seite. D’Agosta stolperte gegen<br />

die Wand. Die Frau ließ seinen Arm nicht los, was ihn vor<br />

einem Sturz bewahrte. „In meinem Quartier. Deck Acht.“ Die<br />

Frau schob ihn vorwärst. „Gehen wir!“<br />

Im Licht der Sonne, die über dem Planetentermius stand, raste<br />

die <strong>Shenandoah</strong> im Tiefflug in die Stratosphäre des großen<br />

Mondes hinein und verlor in einem konstanten Sinkflug<br />

allmählich an Höhe. Die rechte Warpgondel war aufgerissen,<br />

Trümmer, die eigentlich an das Schiff gehörten, schälten sich<br />

ab. Sie zogen einen langen Plasmastreifen hinter sich her,


während sich ein Feuerball aufgrund des Atmosphäreeintritts<br />

vorne am Schiff bildete.<br />

Unter ihnen raste die hellbraune, von rötlichen Flecken<br />

durchsetzte Landschaft hinweg und verwusch aufgrund der<br />

Geschwindigkeit zu einem braunen Etwas. Captain Gabriel<br />

O’Conner saß hinter den Steuerkontrollen und starrte auf die<br />

flackernden Anzeigen seines Schiffes. Ihn erfasste ein<br />

seltsames Gefühl der Unwirklichkeit, als er Begriff, was<br />

geschehen war.<br />

Das konnte nicht wahr sein! Das konnte doch alles gar nicht<br />

wahr sein. Noch vor einer halben Stunde war seine Welt völlig<br />

in Ordnung gewesen. Mit einem Schlag war alles aus den<br />

Fugen geraten. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er<br />

eine Hand auf seiner Schulter ruhten spürte.<br />

„Captain, es wird Zeit für Sie von Bord zu gehen.“ Ashley<br />

Bowman stand hinter ihm und sah mit ernstem Blick herab.<br />

„Ich nehme ihren Platz ein.“ Ihre Intention war klar, aber<br />

O’Conner schüttelte nur den Kopf. „Ich verlasse mein Schiff<br />

nicht, Commander.“<br />

Der Druck auf seine Schulter wurde stärker, fast schmerzlich.<br />

„Sir, wenn die Anzeigen stimmen, die ich eben gesehen habe,<br />

dann benötigt die Besatzung ihren Captain.“ Sie beugte sich<br />

durch die Erschütterungen zu ihm herab. Ihre dunklen Augen<br />

bohrten sich in die seinen. „Ich habe keine Ahnung was da<br />

eben passiert ist und es ist mir auch ziemlich egal. Vielleicht<br />

war es eine Geheimmission, oder die Sternenflotte hat<br />

irgendwelche Statuten, dass nur hochrangige Offiziere über<br />

dieses Es, von dem seit unplanmäßigem Eintritt in dieses<br />

System die Rede war, informiert werden. Aber aufgrund ihres<br />

abweisenden Gebarens vorhin Nechayev gegenüber, denke<br />

ich, dass Sie ganz genau wissen in was für einer Lage wir uns<br />

derzeit befinden und somit bestens geeignet sind<br />

Entscheidungen auf einer vernünftigen Sachlage zu fällen.<br />

Also spielen Sie nicht den Helden. Ich werd’s auch nicht tun,


das Schiff so lange wie möglich auf Kurs halten und dann<br />

verschwinden.“<br />

O’Conner starrte sie lange an. Sie gaben ein ungleiches Paar<br />

bei der Kommandierung des Schiffes ab. O’Conner alt, grau<br />

und ruppig und Bowman kompakt, muskulös, und asketisch.<br />

Sie ergänzten sich hervorragend.<br />

Und Bowman hatte verdammt recht, auch wenn er es ungern<br />

zugab. Aber in der aktuellen Lage war er für die Besatzung<br />

faktisch bedeutender als sie und das schmeckte sehr bitter.<br />

„Captain.“, sagte sie leise. „Bitte.“<br />

Wie in Trance erhob sich O’Conner. Das Schiff wackelte. Da<br />

war noch so viel, was er sagen wollte. „Commander, ich-“<br />

Bowman umschloss seine Oberarme. „Captain. Egal was Sie<br />

mir mitteilen wollen, sagen Sie es auf der Oberfläche.“ Damit<br />

war die Sache für sie abgehakt. Bowman klemmte sich hinter<br />

das Steuerschaltpult und drückte zügig auf den Tasten herum.<br />

O’Conner riss sich aus seiner <strong>Star</strong>re los und eilte mit Spiers<br />

zur Tür. Bowman blieb allein zurück.<br />

Als sie durch die Korridore zur nächsten Fluchtkapsel eilten,<br />

drosselte Ronald Spiers sein Tempo so, dass er ein paar Meter<br />

hinter O’Conner blieb.<br />

Die Sirenen heulten und die Bodenerschütterungen drohten sie<br />

immer wieder umzustoßen, aber sie hielten sich irgendwie auf<br />

den Beinen und rannten weiter. Überall tönte das<br />

Evakuierungssignal. Unterwegs schlug Spiers ständig auf den<br />

Kommunikator an seiner Brust. „Spiers an Ramina.“<br />

Keine Antwort.<br />

„Spiers an Ramina. Ramina, melde dich, Baby. Komm schon,<br />

Spiers an-“<br />

Ein Klicken.<br />

„Ramina hier.“, meldete die blecherne Stimme der Orionerin.<br />

Auch die Kommunikation war von den Systemausfällen


etroffen. Immer wieder hörte Spiers Störungen, statisches<br />

Rauschen.<br />

Gott sei dank. „Wo bist du?“<br />

„Hangardeck. Unterwegs zu den Rettungskapseln.“<br />

„Ausgezeichnet. Wie ist der Zustand unseres Reiseführers?“<br />

Auf der anderen Seite der Sprechverbindung ertönte ein<br />

wütendes Schnaufen. „Der ist bei mir. Hab ihn vorhin in<br />

Shuttlerampe vier dabei erwischt, wie er grade ein Runabout<br />

entwenden wollte. Er hat sich ausgerechnet das mit den<br />

defekten Andockklemmen ausgesucht.“<br />

Sie erreichten endlich ihre Fluchtkapsel. Die Zugangsluken<br />

waren heruntergefahren. Einer aus seiner Abteilung– Ensign<br />

Martin drängte sie und andere der Brückenoffiziere zum<br />

Einsteigen.<br />

„Hör mir zu.“, sagte Spiers. „Personenbewachung wird nicht<br />

ausgesetzt. Du musst auf den Kerl aufpassen.“<br />

„Ich werde ihn besser hüten, als meinen Augapfel.“<br />

Spiers grinste knapp. „Wir sehen uns unten, Süße.“ Er klopfte<br />

erneut auf seinen Kommunikator, um die Verbindung zu<br />

unterbrechen. Dann stieg er hinter O’Conner in die Kapsel.<br />

Die Frau hatte die Führung übernommen, Allan versuchte mit<br />

ihr mitzuhalten. Immer noch blitzten die Lichter, schrillten die<br />

Sirenen.<br />

„Achtung, an alle.“, ertönte Commander Bowmans gefasste<br />

Stimme über die Sprechanlage. Sie klang blechern. „Verlassen<br />

Sie unverzüglich das Schiff. Dies ist keine Übung!“<br />

Es war zum verzweifeln. Ashley war auch noch an Bord!<br />

D’Agosta bemerkte plötzlich, dass ihnen nicht mehr sehr viele<br />

Offiziere entgegen kamen. Die meisten waren wohl schon bei<br />

den Kapseln.<br />

Panik erfasste ihn. Wie viel Zeit hatten sie noch?


„Achtung!“, rief die Frau. Sie rutschte eine Leiter zum<br />

nächsten Deck hinab – so gekonnt, wie ein Feuerwehrmann an<br />

einer Rutschstange. D’Agosta folgte ihr ungeschickt.<br />

In dem Korridorabschnitt bot sich ihm ein schreckliches Bild.<br />

Die Feuerwalze einer Explosion hatte sich durch den Gang<br />

gefressen und verbrannte Schotts hinterlassen. Leitungen<br />

lagen frei, man sah ganze Reihen von Leiterplatten. Die<br />

Leuchtstreifen dazwischen glühten rot.<br />

Auf allen Bildschirmen, die noch funktionierten, erschien<br />

immer wieder die Schrift ENERGIEAUSFALL. Was zum<br />

Teufel ging nur auf dem Schiff vor sich? Was hatte sie da im<br />

Orbit bloß erwischt?<br />

Plötzlich blieb die Frau stehen. „Welches Quartier ist es?“<br />

D’Agosta blinzelte. Sie waren angekommen. „O Nein!“<br />

„Was ist los?“ Dann sah sie es selbst.<br />

Ein Balken war vor der Tür des Quartiers herabgestürzt und<br />

hatte sich verkeilt.<br />

Die Frau zögerte keine Sekunde. „Los, packen Sie mit an!“<br />

Sie ging in die Hocke, fletschte die Zähne und versuchte den<br />

Träger vom Türrahmen wegzuziehen. Der Lärm der Sirenen<br />

und das Blitzen der Lichter schien ihr überhaupt nichts<br />

auszumachen.<br />

Nun versuchten sie es gemeinsam. D’Agosta ächzte. Das<br />

Schiff schüttelte sich weiter.<br />

Ihm wurde furchtbar heiß.<br />

Schließlich gelang es ihnen mit gemeinsamer Kraft den Träger<br />

wegzuziehen. Allan sprang zurück. Mit einem gewaltigen<br />

Knall prallte er auf dem Boden auf. Die Frau schlug gegen den<br />

Türöffner und drehte den Kopf weg, als die Türhälften<br />

auseinander stoben und eine Feuerzunge nach ihr bleckte.<br />

D’Agosta schnappte nach Luft. In ihrem Quartier brannte es!


Shannyn sprang unbeeindruckt in hinein. D’Agosta folgte ihr<br />

auf den Fuß. Zuerst dachte er, das ganze Quartier brenne.<br />

Flammen leckten an den Wänden empor, dichte Rauchwolken<br />

stiegen zur Decke.<br />

Die Hitze war beinahe greifbar.<br />

Hustend tastete er sich vorwärts, stieß gegen Möbel.<br />

„Möglichst tief unten halten.“, rief die Frau und duckte sich.<br />

Allan hörte sie nicht. Er nahm gar nichts mehr wahr.<br />

„Judy! Judy!“ Er rief immer wieder nach seiner Tochter.<br />

„Judy!“<br />

Ein Husten. Und dann hörte er ihre erstickte Stimme. Es kam<br />

aus ihrem Zimmer.<br />

D’Agosta eilte durch den flimmernden Wohnraum. Im<br />

Feuerschein erkannte er den Türöffner und tastete danach,<br />

doch das Metall war so heiß, dass er die Hand sofort wieder<br />

zurückzog.<br />

Er versuchte es erneut – zog aber auch jetzt die Hand zurück.<br />

Es war viel zu heiß. Einfach zu heiß. Verflucht, er musste die<br />

blöde Tür aufbekommen.<br />

Das Schiff schüttelte sich erneut.<br />

D’Agosta kniete vor den Öffner und zog den Uniformärmel<br />

gerade über die Hand, als die Frau ohne Umstände den<br />

Türöffner mit einem kräftigen Karatekick eintrat. Die Sperre<br />

wurde dadurch gelöst, aber die Tür öffnete sich nur einen<br />

Spaltbreit.<br />

Allan schlug frustriert dagegen. Dann sah er durch den Spalt<br />

Judy. Sie war vierzehn Jahre alt und machte momentan eine<br />

spannende Phase durch, wo sie gegen alles und jeden<br />

Rebellierte – vor allem gegen ihren Vater. Vorhin hatten sie<br />

sich heftig gestritten und Allan fühlte sich nun schuldig. Judy<br />

hustete. Ihr schwarzes Haar war zerzaust, das Gesicht dunkel<br />

vom Rauch. Aber sie schien in Ordnung. „Judy! Bist du<br />

verletzt?“<br />

„Dad, Dad!“


„Judy!“<br />

„Die Tür klemmt. Dad, bitte..!“<br />

Es klang flehend. Sie hatte Angst. Irgendwo hinter ihr war<br />

Feuer.<br />

„Judy.“<br />

„Dad!“<br />

Shannyn erklärte: „Dafür haben wir keine Zeit.“ Sie stieß<br />

D’Agosta beiseite und sagte bestimmt, aber nicht rau zu dem<br />

Mädchen: „Judy, hör zu. Du musst von der Tür wegtreten,<br />

mindestens einen Meter.“<br />

Judy wusste nicht wer die Frau war, aber die Art wie sie<br />

sprach lies sie nicht an ihren Befehlen zweifeln. „Okay.“<br />

D’Agosta blinzelte verblüfft, als die Frau ein Gardeschwert<br />

zog, wie man sie an der Akademie trug. Er hatte gar nicht<br />

bemerkt, dass sie eines am Gürtel hatte. Sie schwang es, holte<br />

Anlauf und stieß die Klinge feste in den Spalt, um<br />

anschließend mit all ihrer Kraft die Tür aufzuhebeln. Zunächst<br />

rührte sich gar nichts, dann löste sich endlich der Widerstand<br />

und die Türhälften stoben zischend auseinander. Judy sprang<br />

aus ihrem Zimmer und hustete.<br />

„Los, verschwinden wir!“, sagte die Frau.<br />

Aber als sie loslaufen wollten, blieb Judy plötzlich stehen und<br />

wollte zurücklaufen. „Meine Musicbox!“<br />

Allan griff nach ihrer Hand und zog das Mädchen mit sich.<br />

„Keine Zeit!“<br />

Und dann kam es irgendwo im Schiff zur Explosion.<br />

D’Agosta war darauf nicht gefasst. Er lies Judys Hand los und<br />

wurde gegen die Wand geschleudert. Der Knall dröhnte ihm<br />

schmerzhaft in den Ohren.<br />

D’Agosta wandte sich um und bemerkte, wie sich die<br />

Flammen im Quartier ausbreiteten. Wo war Judy? Dann sah<br />

er, dass sie gestürzt war. Sie kam mühsam auf die Füße, rief<br />

ihm etwas zu, glitt in der nächsten Erschütterung aus und fiel<br />

auf eines der lodernden Feuer zu. Die Frau fing sie im letzten


Moment ab, warf sich das Mädchen über die Schulter und<br />

rannte den Korridor hinaus, wobei sie D’Agosta hinter sich<br />

her zog.<br />

D’Agosta bemerkte im Vorbeilaufen, dass die meisten<br />

Kapseln bereits abgeschossen waren. Er fragte sich<br />

unweigerlich, ob sie überhaupt noch eine finden würden.<br />

Unter normalen Umständen verlief eine Evakuierung gänzlich<br />

anders, jeder Offizier hatte eine bestimmte Kapsel<br />

zugewiesen, aber dies hier waren keine normalen Umstände.<br />

Dies hier war eine Katastrophe.<br />

„Beeilung, Beeilung!“ Sie hatten ihre Kapseln erreicht und<br />

stiegen nun ein. Die angsterfüllten Offiziere im Innern zogen<br />

die Gurte herab und hakten sie klickend ein.<br />

Die <strong>Shenandoah</strong> begann erneut zu erzittern und zu schwanken.<br />

Hawk sah im Korridor vor der Fluchtkapsel in Rhondas blaue<br />

Augen. „Was da eben im Kontrollraum passiert ist-“<br />

„Denk dir nichts.“, sagte sie nur.<br />

„Los, rein verdammt!“ Navigator Toye schlug mit der Faust<br />

gegen das Wandschott, um sie anzuspornen. „Quatschen<br />

können wir später, steigt endlich ein.“<br />

Die <strong>Shenandoah</strong> erzitterte schon wieder.<br />

Smith kletterte in die beengte Kapsel und gurtete sich<br />

ebenfalls an. Nur noch ein Sitz frei. Hawk war der Letzte.<br />

Toye würde in die Kapsel nebenan steigen.<br />

„Ich hätte den Dienst heute nicht antreten dürfen.“ Hawk<br />

schien verzweifelt. „Ich habe eben Mist gebaut, was?“<br />

Selbst Toye wich seiner Frage aus. „Später, Hawk.“ Er klopfte<br />

ihm auf die Schulter. „Wir sehen uns unten.“ Und rannte dann<br />

zu seiner eigenen Kapsel.<br />

Auf einmal erfolgte ein dumpfer Schlag, vielleicht eine<br />

Entladung, irgendwo aus dem Schiff. Die Menschen sahen<br />

einander an, versuchten zu verstehen, was das Geräusch zu


edeuten hatte, doch im nächsten Augenblick zerfetzte eine<br />

Explosion die gegenüberliegende Wand. Hawk, der gerade in<br />

die Kapsel steigen wollte, wurde von der Druckwelle erfasst<br />

und hineingeschleudert. Dort prallte er gegen die scharfe<br />

Kante einer Ausrüstungskiste und alles um ihn herum versank<br />

in Grau. Hinter ihm schnappte die Tür zu.<br />

Er sah noch, wie Rhonda den Gurt wieder öffnete, die Arme<br />

nach ihm ausstreckte und etwas schrie, aber er hörte nicht was.<br />

Er hörte gar nichts mehr. Er wusste, dass die Offiziere bei den<br />

Turbulenzen auf ihn bei der Kapselsteuerung angewiesen<br />

waren und dass er sie nun erneut im Stich lassen würde. Hawk<br />

verlor das Bewusstsein und alles wurde schwarz.<br />

Das Rütteln, dieses schreckliche Rütteln und Beben des<br />

Bodens weckten ihn abrupt.<br />

Sicherheitsoffizier Carwood Fowler starrte auf eine Reihe von<br />

flackernden Lichtern, blinzelte benommen und setzte sich auf.<br />

Dabei durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Er sah sich<br />

um und stellte fest, dass er auf dem Fußboden auf Deck Acht<br />

saß.<br />

Der Alarm heulte und entfachte einen wahren Feuersturm<br />

bebender Kopfschmerzen hinter seinen Schläfen.<br />

Feiner, nach Rauch riechender Dunst hing in der Luft. Die<br />

verkleideten Wände waren an mehreren Stellen schwarz und<br />

verkohlt. Es musste gebrannt haben, dachte er, während er<br />

erstaunt den Schaden betrachtete. Was war geschehen? Und<br />

warum schüttelte sich das Schiff? Langsam erhob er sich auf<br />

die Knie, kaum auf die Füße und fand an einer Stange halt. Er<br />

wandte sich dem Turbolift auf der anderen Seite zu, doch war<br />

die Tür aus irgendwelchen Gründen verschlossen. Er<br />

versuchte es mit den Tasten, aber die Tür rührte sich nicht.<br />

Allmählich kam ihm die Erinnerung. Er war während dem<br />

Angriff der Breen zur Sicherheitszentrale unterwegs gewesen,


als dieser gewaltige Donnerschlag erfolgt war, ihn von den<br />

Füßen und voll gegen ein Schott gerissen hatte. Danach<br />

konnte er sich an nichts mehr erinnern.<br />

Wo waren überhaupt die Anderen? Er sah sich um. Niemand<br />

da. Und dann bemerkte er das Evakuierungssignal.<br />

Evakuierung!<br />

Irgendetwas schreckliche musste geschehen sein und jetzt<br />

starb das Schiff. Einen schrecklichen Augenblick lang<br />

Fürchtete er, der einzige noch an Bord Verbliebene zu sein,<br />

dann aber hörte er ein Husten, das aus einem Seitenkorridor zu<br />

kommen schien. Er folgte dem Geräusch durch die<br />

Erschütterungen, da er aber niemanden fand, ging er wieder<br />

zurück. Entlang der Korridorwand verlief ein breiter<br />

Blutstreifen. Wieder hustete jemand. Irgendwo in einem<br />

Trümmerhaufen.<br />

Und dann sah Fowler die Beine unter einem runtergefallenen<br />

Trümmern herausragen. Eine Frau mit auffallend roten Haaren<br />

war eingeklemmt.<br />

„Isaac? Sind sie verletzt?“<br />

„Nein, nur eingeklemmt. Fowler, holen Sie mich hier raus.“<br />

„Haben Sie Garnere gesehen?“<br />

„Holen Sie mich raus.“, bat sie.<br />

„Isaac, Haben Sie Garnere gesehen?“<br />

„Nein, verdammt. Warum fragt mich jeder, ob ich weiß wo<br />

jemand ist?“<br />

„Keinen Schimmer. Vielleicht, weil Sie den tollen Posten des<br />

Transporterchief bekleiden und somit über Aufenthaltsorte<br />

recht gut bescheid wissen?“<br />

Isaac rollte die Augen. „Oh ja, Transporterchief – der Stoff<br />

aus dem die wirklich langweiligen Träume sind. Jetzt machen<br />

Sie endlich!“<br />

Fowler griff mit beiden Händen unter das Trümmerstück, biss<br />

die Zähne zusammen und stemmte sich hoch. Isaac krabbelte<br />

schnell raus. „Mein Retter!“


„Was ist überhaupt passiert?“, fragte er und lies das<br />

Trümmerstück wieder fallen.<br />

„Ich weiß es nicht. Aber wir sollten verschwinden.“ Fowler<br />

erhob keine Einwände. Gemeinsam eilten sie durch unzählige<br />

Gänge, begegneten aber niemanden. Alle waren von Bord. Die<br />

meisten Rettungskapseln waren schon abgeschossen. Er<br />

überlegte, ob sie sich zum Hangar begeben sollten, als sie<br />

endlich eine Kapsel erreichten, die noch nicht abgeschossen<br />

war. Im selben Moment wie Fowler und Isaac, bogen auch<br />

D’Agosta, seine Tochter und eine Frau, die Fowler noch nie<br />

gesehen hatte, um die Ecke und rannten auf die Kapsel zu.<br />

D’Agosta wollte irgendetwas rufen, als von tief aus dem<br />

Schiff eine Detonation erfolgte, das Deck zur Seite kippte und<br />

sie alle von den Füßen riss.<br />

Nechayev war zum Hangardeck unterwegs, als die Explosion<br />

erfolgte. Eine Frau, die gerade in eine Kapsel steigen wollte,<br />

erspähte sie im letzten Moment, hielt die Tür für Nechayev<br />

offen und rief: „Admiral, kommen Sie. Beeilung, steigen Sie<br />

in die Kapsel!“<br />

Dann zerriss es das halbe Deck. Nechayev stürzte und sah, wie<br />

die Frau von der Gewalt der Explosion mit solcher Wucht an<br />

die gegenüberliegende Wand geschleudert wurde, dass sie<br />

wahrscheinlich auf der Stelle tot war. Anschließend lag sie mit<br />

dem Gesicht nach unten inmitten eines Feuers, das rasch den<br />

Korridor füllte. Ihr Hinterkopf klaffte offen; Nechayev sah die<br />

breiige Masse ihres Gehirn.<br />

Sie wandte sich zur Flucht. Schon folgten ihr die Flammen<br />

über die Schwelle eines Notfallschotts, als sie die Schutztür<br />

hinter sich runterknallen lies und einen Hebel umlegte, um sie<br />

zu arretieren.<br />

Sie rannte weiter, versuchte sich zu orientieren. In Gedanken<br />

rief sie den Querschnitt des Schiffes auf und fragte sich, wie


sie in den Hangar gelangen konnte. Sie rannte weiter, auch<br />

wenn sie kaum etwas sehen konnte. In dem Korridorabschnitt<br />

verdichtete sich Rauch. Durch ihn hindurch erkannte sie<br />

undeutlich hier und da Flammen. Wie eine Blinde tastete sie<br />

sich auf der Suche nach einem Turbolift durch den Korridor.<br />

Sie musste husten, Augen und Lunge brannten.<br />

Dann hörte sie das Zischen eines Feuerlöschers. Und<br />

irgendjemand griff ihren Arm. Als er sie aus dem halb<br />

brennenden Korridor führte, erkannte Nechayev, dass es Ian<br />

Nottingham war – ihr Assistent und inoffizieller Leibwächter.<br />

Die lockigen Haare hingen dem großen Mann ins düstere<br />

Gesicht. In seiner komplett schwarzen Kluft wirkte er beinahe<br />

wie ein mittelalterlicher Templer.<br />

Erleichtert registrierte Nechayev, dass er den schwarzen<br />

Koffer bei sich trug. In seiner Begleitung befand sich Howard<br />

King, ein kleiner, dicklicher Mann im Anzug. Mit einem<br />

Taschentuch wusch er sich den Schweiß von Stirn und<br />

Halbglatze und hörte dabei nicht auf, zu husten.<br />

„Was ist unser Ziel?“, fragte Nottingham düster. Er sprach<br />

immer düster. Es schien ihn nicht im geringsten zu<br />

beeindrucken, dass um sie herum alles zusammenbrach. Aber<br />

das war sie von ihm gewöhnt.<br />

„Das Hangardeck.“, sagte Nechayev hustend. „Wir müssen<br />

zum Hangar – zum Frachtraum Vier, die Container sichern.“<br />

Es war absurd. Sie sollten die nächstbeste Kapsel aufsuchen<br />

und verschwinden - das wäre das einzig vernünftige gewesen,<br />

aber weder Nechayev, noch Nottingham schienen darin eine<br />

Notwendigkeit zu sehen. Nottingham nickte nur und deutete in<br />

eine Richtung. „Da lang.“ Sie liefen los.<br />

„Wo ist Doktor Smith?“<br />

„Weiß nicht. Wir wurden getrennt. Aber das macht nichts.“<br />

Unterwegs hörte Nechayev Bowman durch die Sprechanlage,<br />

aber ihre Stimme war rau und undeutlich. Das laute<br />

metallische Dröhnen der Außenhülle überwog alles. Das


ganze Schiff schwankte unter dem Atmosphäreneintritt. Die<br />

Erschütterungen sowie das entsetzliche Knirschen fanden kein<br />

Ende.<br />

Und dann waren sie mit einem Mal beim Hangar. Nechayev<br />

wollte aus der Zugangstüre treten, als sie mit jemanden<br />

zusammenstieß und stürzte.<br />

Zwei Offiziere – ein kleiner mit dichtem, zerzausten Haar, den<br />

sie als Ausrüstungsoffizier und Leiter der Frachtabteilung<br />

identifizierte und ein untersetzter afroamerikaner mit<br />

Schnauzbart -, drängten in den Korridor hinein.<br />

„Tschuldigung.“, sagte der kleinere und rappelte sich wieder<br />

auf. Erst dann erkannte er, wen er da eben umgestoßen hatte.<br />

„Admiral! Wir müssen von hier verschwinden.“<br />

Er half ihr hoch und wollte in den Gang laufen, aber Nechayev<br />

packte ihn an den Oberarmen und hielt ihn auf. „Nein! Nein,<br />

wir müssen die Container ausstoßen.“<br />

„Was?!“<br />

„Die Container.“<br />

„Admiral, wir ... müssen ... verschwinden!“<br />

Aber Nechayev wollte nicht hören. Sie drehte sie wieder um,<br />

gab ihnen einen Stoß und folgte in den Hangar. Und hier<br />

herrschte das größte Chaos des ganzen Schiffes.<br />

D’Agostas Kapsel wurde endlich ausgestoßen. Sofort wurden<br />

sie von heftigen Turbulenzen gepackt und überschlugen sich<br />

mehrmals, ehe Die Kapsel dank der automatisch schaltenden<br />

Manövrierdüsen in eine einigermaßen stabile Lage geriet.<br />

Dennoch, irgendwas stimmte nicht. So heftig durften die<br />

Erschütterung nicht sein.<br />

Allan drehte den Kopf. Er entdeckte auch hier einen<br />

Kontrollmonitor mit der Schrift: ENERGIEVERLUST.<br />

Und daneben: HITZESCHILD MINIMAL.<br />

Das darf nicht wahr sein.


Die Kapsel überschlug sich erneut. Judy keuchte, als sie gegen<br />

den Gurt gepresst wurde. Hinter den Fenstern loderte das<br />

Feuer der Reibungshitze.<br />

Irgendjemand schrie: „Wir gehen zu schnell runter!“<br />

Das Licht flackerte. Ging dann völlig aus und nach ein paar<br />

Sekunden wieder an.<br />

D’Agosta schaute sich um. Wo war der Aktivierungsknopf für<br />

die Bremsraketen? Er sah auf die dunkle Instrumententafel<br />

neben sich. Dort blinkte ein rotes Licht über einem mit<br />

„BREMSRAKETEN“ beschrifteten Knopf. Er drückte ihn.<br />

Nichts geschah.<br />

Er drückte ihn erneut.<br />

„BREMSRAKETENAUTOMATIK AUßER FUNKTION“<br />

Na klasse!<br />

Er musste den manuellen Hebel finden. Sie überschlugen sich<br />

erneut. Auch diesmal flackerte das Licht, blieb diesmal jedoch<br />

an. Judy kreischte. Allan entdeckte schließlich den Schalter<br />

für die manuelle Bedienung. Darüber blinkte ein rotes Licht.<br />

Der Schalter war Gegenüber. Er kam von seinem Sitzplatz aus<br />

nicht ran. Die Anderen begriffen nicht, dass sie den Hebel<br />

umlegen mussten. Fowler übergab sich und die blonde Frau<br />

bediente eine Konsole neben sich. Allan rief ihr etwas zu, was<br />

aber vom metallischen Kreischen der Außenhülle verschluckt<br />

wurde. Das Innere der Kapsel war voller Instrumente und<br />

scharfer Kanten. Wenn man hier drin umhergeschleudert<br />

wurde, wäre es bestimmt nicht angenehm.<br />

Aber hatte er denn eine Wahl? D’Agosta löste seinen Gurt.<br />

„Verflucht, was machen Sie denn da?“, rief jemand. „Sind Sie<br />

Wahnsinnig?“<br />

Allan ignorierte ihn und beugte sich rüber. Seine Finger<br />

berührten den Hebel der manuellen Aktivierung. Und glitten<br />

wieder ab. Er keuchte. Jeden Moment konnten sie sich erneut<br />

überschlagen und dann war es aus. Andererseits, wenn er die<br />

Schubraketen aktivierte und nicht angeschnallt war...-


Er hatte keine Wahl. Seine Finger erreichten erneut den Hebel.<br />

Diesmal bekam er ihn zu fassen und legte ihn um. Das rote<br />

Licht hörte auf zu blinken und leuchtete beständig.<br />

Auf einem kleinen bernsteinfarbenen Sichtschirm leuchtete<br />

die Anzeige auf: BREMSRAKETENZÜNDUNG.<br />

Der Sichtschirm schaltete sich ab.<br />

Geschafft, dachte D’Agosta. In dem Moment zündeten die<br />

Bremsraketen. Das nächste, was D’Agosta mitbekam war, wie<br />

er von einem unsichtbaren Titanen gepackt und durch die<br />

Kapsel geschleudert wurde. Und er war sich sicher, nun<br />

sterben zu müssen. Dann Schwärze. Nichts.<br />

Auf einem Steg im Hangar deutete King zu einer Ladebucht<br />

und brüllte: „Die sind da drin! Die wichtigen Container sind<br />

da drin.“<br />

Der Ausrüstungsoffizier – der übrigens Penkala hieß – deutete<br />

seinerseits zu einer Fluchtkapsel. Es war eine der letzten noch<br />

verbliebenden im Hangar. „Na und? Wir müssen da rein?“<br />

Explosionen aus dem Hangar drangen zu ihnen heran. Schreie.<br />

„Erst die Container ausstoßen!“, befahl Nechayev herrisch.<br />

„Und zwar alle. Wir benötigen Ausrüstung auf der<br />

Oberfläche.“<br />

„Warum können Sie nicht-“<br />

„Wir haben keinen Systemzugriff!“, sagte Nechayev und<br />

setzte in Bewegung. „Wir werden in der Kapsel auf Sie<br />

warten, versprochen.“<br />

Penkala rollte die Augen und wandte sich ab. Je schneller er<br />

den Befehl dieser Zicke ausführen würde, desto schneller kam<br />

er von Bord. Der Steg auf der oberen Eben führte durch<br />

sämtliche Räume in die der Hangar unterteilt war. Der<br />

Frachtraum war nicht weit entfernt. Penkala rannte, dicht<br />

gefolgt von seinem Kameraden Joseph Dike, durch einen<br />

Funkenregen den Steg entlang. Das Metall klapperte unter


seinen Schritten. Sie liefen durch eine Tür und in die<br />

dahinterliegenden Kontrollkammer für den weitläufigen<br />

Frachtraum unterhalb der Fenster. Etliche Container und<br />

Kisten waren darin untergebracht und stürzten um, als das<br />

Deck zur Seite kippte. Penkala fiel gegen Dike und beide<br />

gingen zu Boden. Eine Stichflamme züngelte aus einer<br />

geplatzten Konsole und verbrannte die Decke.<br />

Penkala rappelte sich hoch und eilte zum Kontrollterminal.<br />

Dort tippte er mit fliegenden Fingern seinen<br />

Genehmigungscode ein, während er gleichzeitig Dike<br />

zubrüllte: „Schnell, versiegle die Zugangstüren der<br />

Frachträume, damit niemand reinläuft.“<br />

„Sind versiegelt.“<br />

„Gut so.“ Penkala hörte, wie sich das Hangartor unter ihm<br />

aufglitt. Synchron dazu gellte das entsprechende Hornsignal.<br />

Jenseits der Tore flackerte das Feuer des Atmosphäreneintritt.<br />

Aber sie waren tief genug, um die Container abzuwerfen. Dem<br />

ungeachtet, selbst wenn sie es nicht gewesen wären – Penkala<br />

war es egal.<br />

Das Tor glitt weiter auf ... weiter ... es glitt höllisch langsam<br />

auf. „Komm schon, komm schon!“, feuerte Penkala es an und<br />

ballte gleichzeitig die Fäuste. Nach einer quälend langen Zeit<br />

rastete das Tor endlich ein. Dann schlug er mit der Faust auf<br />

eine bestimmte Taste und deaktivierte das Kraftfeld.<br />

Ruckzuck wurden die Container hinausgesaugt. Und damit<br />

waren sie fertig. Er holte tief Luft. Er würde doch noch vom<br />

Schiff kommen. Penkala schlug Dike auf die Schulter,<br />

bedeutete ihm auf diese Art zu folgen und rannte nach draußen<br />

- nur um zu sehen, wie sich die Luke zu ihrer Kapsel schloss!


Penkala<br />

Junior-Lieutenant Alex Penkala schien zu seiner eigenen<br />

Verwunderung über ein schier unerschöpfliches Reportoir an<br />

Beleidigungen und Kraftausdrücken zu verfügen, die er nun<br />

allesamt voller Eifer der Luke entgegenwarf, hinter der sich<br />

vor wenigen Sekunden noch Admiral Nechayev befunden und<br />

eifrig versprochen hatte, auf ihn zu warten. Nun war Admiral<br />

Nechayev weg.<br />

Und mit ihr auch die Rettungskapsel in der Alex Penkala hätte<br />

sitzen sollen. So schrie er ein graues Schott und die hinter der<br />

kleinen Sichtluke lodernden Flammen an. „Komm zurück! Du<br />

tellaritisches Miststück!“ Er wusste, dass es vergebene<br />

Liebesmüh war. Dennoch hätte er stundenlang so<br />

weitermachen können, wenn er nicht über den unbändigen<br />

Drang zu überleben verfügt hätte. Außerdem zerfetzte eine<br />

ungeheure Explosion eine Zwischenwand des Hangars und<br />

verwandelte sie in ein Flammenmeer. Er wurde zu Boden<br />

geworfen. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen.<br />

Penkala keuchte.<br />

Mühsam zwang er sich wieder auf, riss sich mit einem letzten<br />

Fluch, bei dem das diplomatische Korps der Sternenflotte<br />

vermutlich ohnmächtig umgefallen wäre, von der Luke weg<br />

und sah sich im Hangar um. Sein Schiff, die <strong>Shenandoah</strong>,<br />

gehörte zur Akira-Klasse. Diese Großgewichte unter den<br />

Sternenflottenschiffen waren im Krieg vor allem als<br />

Trägerschiffe eingesetzt worden. Die meisten dieser Klasse<br />

verfügten über enorm riesige Hangars, in denen sich etliche<br />

Shuttles und Angriffsjäger tummelten und so war es auch hier<br />

an Bord der Fall.


Penkala war zur Zeit des Krieges nicht auf dem Schiff gelebt,<br />

aber die <strong>Shenandoah</strong> hatte sich in unzähligen Gefechten einen<br />

Namen gemacht und galt als äußerst robust, ihre<br />

Fliegerstaffeln als geschickt. Das Hangardeck war<br />

entsprechend riesig. Es erstreckte sich über drei Decks, ging<br />

von einem Ende bis zum anderen, komplett längsseits durch<br />

den Schiffsrumpf und sogar quer, wie ein Kreuz. An die<br />

dreihundert Meter in beide Richtungen also. Zwar gab es<br />

einige Zwischenwände, welche die zahlreichen Hangars und<br />

Frachträume unterteilten, aber nur die wenigsten reichten bis<br />

zur Decke, um die Bereiche abzuschotten.<br />

Von der oberen Ebene aus, wo Penkala momentan stand,<br />

vermochte man das ganze katastrophale Chaos überblicken.<br />

Penkala konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, von einer<br />

göttlichen Macht verspottet zu werden. Denn genau in dem<br />

Moment, wo er sich rumdrehte, schienen alle, aber auch<br />

wirklich restlos alle Rettungskapseln zeitgleich abzulegen und<br />

ihn allein zu lassen. Als wäre das nicht noch genug, gesellten<br />

sich auch noch so ziemlich alle Shuttles und Jäger hinzu und<br />

verließen die zahlreichen Hangartore in alle Richtungen –<br />

ohne ihn. Er wirbelte wieder zur Luke herum. „Sei verflucht,<br />

du alte, faltige Gewitterziege!“<br />

Die Turbulenzen rissen an der Rettungskapsel, schleuderten<br />

sie hin und her und ließen das kleine Ding sich mehrmals<br />

überschlagen. Nechayev sah durch die Dachfenster hinaus.<br />

Die außer Kontrolle geratene <strong>Shenandoah</strong> wurde immer<br />

kleiner, während der Planet unter ihnen sehr schnell sehr viel<br />

größer wurde. Sie wandte sich wieder der Kontrolltafel neben<br />

ihr zu und drückte auf den Tasten herum. Sie musste brüllen,<br />

um den Lärm zu übertönen. „Da wir nur drei Personen sind,<br />

kann ich die Energie für die Lebenserhaltung in die


Trägheitsabsorber umleiten. Es müsste reichen um den<br />

Aufprall zu dämpfen.“<br />

Howard King saß ihr gegenüber, ebenfalls in einen Sitz<br />

gepresst und von einem Gurt gehalten. „Wie konnten Sie<br />

ihnen das nur antun?“ rief er zu Nechayev, um den Lärm zu<br />

übertönen.<br />

Die Kapsel rumorte und kreischte.<br />

„Was denn?“, fragte Nottingham neben ihm unberührt.<br />

Nechayev antwortete nicht. Sie gab die letzte Codesequenz ein<br />

und knallte dann die Schalttafel wieder zu.<br />

„Wie konnten Sie nur?“, fragte King erregt. „Ich meine, was<br />

passiert ist... mein Gott.“<br />

„Was passiert ist, war ein Unfall.“, sagte Nechayev.<br />

„Ein Unfall?“<br />

„Genau, ein Unfall.“, erwiderte Nechayev ruhig. „Die Kapsel<br />

hatte eine Fehlfunktion und ist verfrüht gestartet.“<br />

King schüttelte den Kopf. „Mein Gott. Wenn da jemand<br />

Nachforschungen anstellt-“<br />

„King.“, hielt Nechayev entgegen. „Wir waren in einer<br />

chaotischen Notlage. Wir wollten ja warten, aber die Kapsel<br />

ist einfach gestartet. Wäre ihnen lieber, wenn wir gewartet<br />

hätten? Dann stünden unsere Überlebenschancen jetzt sehr,<br />

sehr schlecht. Es war ein bedauerlicher Unfall. Weswegen<br />

machen Sie sich Sorgen?“<br />

„Weswegen ich mir sorgen mache?<br />

„Ja, Howard. Weswegen machen Sie sich sorgen?“<br />

„Ich hab es gesehen, um Himmels willen.“<br />

„Nein, das haben Sie nicht.“, sagte Nechayev.<br />

„Ich hab überhaupt nichts gesehen.“, sagte Nottingham düster.<br />

King musterte ihn kurz. „Schön für Sie.“, sagte er. „Aber was<br />

ist, wenn es eine Untersuchung gibt?“<br />

Im Innern der Kapsel wurde es zunehmend heißer, die<br />

Erschütterungen stärker.<br />

Sie drangen immer tiefer in die Atmosphäre ein.


„Es wird keine geben.“, sagte Nechyev und sah ihn finster an.<br />

„Sie wissen, was da oben im Orbit geschehen ist, also machen<br />

Sie sich keine Gedanken um Untersuchungen.“<br />

King schüttelte mit dem Kopf. „Ich habe ja nicht gewusst, das<br />

Sie jemanden zurücklassen würden.“<br />

„Howard.“, sagte Nechayev seufzend. „Nichts wird passieren.<br />

Es waren Piloten. Die sind wahrscheinlich direkt nach uns<br />

rausgekommen, es waren noch genug Kapseln dort.“<br />

„Woher wissen Sie das?“<br />

„Weil ich weiß, was ich tue.“, antwortete Nechayev. „Deshalb.<br />

Im Gegensatz zum Rest dieser Crew, die überall auf dem<br />

Mond verstreut sein wird und wer weiß was für einen<br />

Blödsinn glaubt. Wir drei sind die Einzigen die wirklich<br />

wissen, was vorgefallen ist und wir sind die Einzigen, die mit<br />

Sicherheit die besten Überlebenschancen haben.“<br />

Die Kapsel machte einen Ruck und stürzte weiter auf den<br />

Planeten zu. „Howard, machen Sie sich keine Sorgen. Es sind<br />

nicht nur Frachtoffiziere, sondern auch ausgebildete Piloten.<br />

Die sind wahrscheinlich längst raus.“<br />

Penkala war mittendrin. Der Boden unter seinen Füßen kippte<br />

zur Seite. Die Beleuchtung schien sich nicht entscheiden zu<br />

können, ob sie an, oder aus bleiben solle und flackert<br />

unkontrolliert. Überhaupt schienen sämtliche Systeme zu<br />

spinnen.<br />

Im Hangar explodierten funkensprühend allerorts Konsolen.<br />

Dinge, die eigentlich fest verankert sein sollten, krachten von<br />

der hohen Decke hinunter und stürzten auf die umhereilenden<br />

Offiziere herab, begruben manche unter sich und beschädigten<br />

die Ausrüstung. Mit ohnmächtigem Entsetzen beobachtete<br />

Penkala das Geschehen.<br />

Durch dicke Glasscheiben konnte er in einen Seitenhangar<br />

sehen, wo die breiten Tore bereits offen standen und sich


gerade einige Offiziere zum dort verbliebenen Shuttle<br />

aufmachten. Entweder verlor dort jemand im Kontrollraum die<br />

Nerven, oder aber die Systeme erlitten einen Energieausfall,<br />

wodurch sich das blau schimmernde Kraftfeld deaktivierte.<br />

Die armen Seelen darin wurden unverzüglich hinausgesogen.<br />

Ihre erschreckten Schreie verklangen ebenso schnell, wie sie<br />

erklungen waren.<br />

Woanders verloren die Maschinen eines der Runabouts mitten<br />

im Aufstieg an Energie. Das Gefährt knallte geräuschvoll<br />

zurück auf den Boden, wobei die Antriebsgondeln abbrachen.<br />

Funkensprühend schlidderte das Runabout über den blanken<br />

Metallboden, fing Feuer und stürzte schließlich aus einem<br />

geöffneten Tor hinaus. Es durfte daran gezweifelt werden, ob<br />

die Insassen es bis zum Boden schafften. All diese Tragödien<br />

– und noch weitaus mehr – spielten sich in solch enorm kurzer<br />

Zeit parallel ab, dass Penkala kaum Gelegenheit hatte sie alle<br />

zu registrieren, geschweige denn zu verarbeiten. Alles was er<br />

wusste war, dass heute viele Menschen starben und das er<br />

zweifellos dazugehören würde, wenn er sich nun nicht<br />

konzentrierte.<br />

„Dike, sag mir, das ist nicht wahr.“<br />

„Ist es aber.“, sagte Dike mit erstarrter neben ihm.<br />

Etwa dreißig Meter weiter, auf der oberen Ebene sah er Leute,<br />

die in die Arbeiterbienen einstiegen. Diese kleinen,<br />

sphinxförmigen Fahrzeuge waren dafür gedacht, an der<br />

Außenhülle Reparaturen durchzuführen, während das Schiff<br />

still im Weltraum lag. Aber bestimmt nicht dafür, als<br />

Fluchtkapsel missbraucht zu werden. Sie verfügten über<br />

keinen Hitzeschild, was für die Insassen das sofortige Ende<br />

bei Verlassen der brennenden <strong>Shenandoah</strong> darstellen würde.<br />

„Nicht da rein! Geht nicht in die Bienen rein! Verdammt was<br />

macht ihr denn da?“, brüllte Penkala und rannte den Leuten<br />

winkend entgegen. Zwei blickten sogar zu ihm auf, schienen<br />

aber nicht zu versehen, was er sagte. Und erst recht nicht


warten zu wollen, bis er nahe genug war, um es ihnen zu<br />

erklären. Panik bestimmte nun ihr Handeln. Als neben ihnen<br />

eine der Arbeiterbienen von einem Deckenträger erfasst und<br />

mitsamt den Insassen zerquetscht wurde, spornte sie das nur<br />

noch mehr zur Eile an. Sie sprangen ins Cockpit hinein und<br />

rissen die Luke zu, noch ehe Penkala überhaupt fünf Meter<br />

gerannt war.<br />

Penkala sollte Recht behalten. Kaum hatten sie die<br />

<strong>Shenandoah</strong> verlassen, verwandelten sich die kleinen Schiffe<br />

in glühende Feuerbälle und tauchten den Hangar durch die<br />

riesigen Panoramafenster, an denen sie vorbeisausten für einen<br />

kurzen Moment in grellrotes Licht. Es war ein schmerzhafter,<br />

aber zumindest schneller Tot, was Penkala trotzdem kein<br />

bisschen beruhigte.<br />

Die übrigen Offiziere schienen das überhaupt nicht<br />

wahrzunehmen, oder nicht wahrhaben zu wollen und sprangen<br />

ebenfalls in ihre Arbeiterbienen.<br />

Dike rief: „Alex, lass sie.“<br />

Der dumpfe Schlag einer weiteren Explosion erklang, diesmal<br />

aus einem der Hangars, die abgeschottet waren. Dike packte<br />

Penkala an der Schulter und riss ihn grob zurück, so dass er<br />

das Gleichgewicht verlor, aber bevor er stürzte, sah er wieder<br />

das flammende Lodern von Feuer hinter den Fenstern. Die<br />

<strong>Shenandoah</strong> verwandelte sich allmählich in einen Kometen,<br />

sie drangen immer tiefer in die Atmosphäre ein. Penkala<br />

bemerkte erst jetzt, dass es plötzlich furchtbar heiß wurde.<br />

Ihnen blieb nicht viel Zeit, ehe sie verglühten, oder aber auf<br />

dem Mond aufprallten und als matschige Flecken an den<br />

Wänden endeten.<br />

Umständlich kam Penkala wieder auf die Beine und eilte Dike<br />

hinterher. Dieser sauste im Eiltempo den seitlichen Hauptsteg<br />

entlang. Nun erkannte auch Penkala sein Ziel: Ein einzelnes<br />

Runabout. Es stand noch immer im Haupthangar, halb von


Schutt bedeckt. In der Decke über dem Runabout klaffte ein<br />

großes Loch.<br />

Ein ganzer Raum war auf das Shuttle hinuntergekracht. Die<br />

Maschinen des Runabouts heulten auf, nur um sofort wieder<br />

abzuwürgen und im direkten Anschluss erneut aufzuheulen.<br />

Jemand war schon drin und versuchte das Schiff in die Luft zu<br />

bekommen.<br />

„Wartet auf uns!“, brüllte Penkala, ohne damit zu rechnen,<br />

dass ihn jemand hörte.<br />

Dike erreichte endlich eine Treppe nach unten und machte<br />

sich keinen Mühe die zahlreichen Stufen zu benutzen. Er<br />

schwang die Beine über das Geländer und rutschte gekonnt bis<br />

zum Deck hinunter. Penkala versuchte es ihm gleichzutun,<br />

verschätzte seine Fähigkeiten aber enorm, sodass er die letzten<br />

Meter schmerzhaft hinunterprallte und die Stufen<br />

herabpurzelte.<br />

„Komm schon!“, mahnte Dike, stürzte aber durch eine weitere<br />

Erschütterung des Bodens selbst. Penkala rannte an ihm vorbei<br />

und wollte die Stufen hinauf ins Cockpit eilen. Penkala wollte<br />

in das Shuttle hinein. Jemand anderes wollte allerdings hinaus,<br />

was dazu führte, dass sie kollidierten und in einem Gewirr aus<br />

Gliedmaßen in den Hangar zurückstürzten. Umständlich<br />

rappelte sich Penkala zum cirka tausendsten Mal an diesem<br />

Tag hoch. Verwirrt sah er den Offizier, der ihn umgestoßen<br />

hatte an – Ensign Byers, ein junger Mann vom Planeten<br />

Netonia, dessen Haut durchsichtig schimmerte. „Was ist los?“,<br />

fragte Penkala.<br />

„Die Andockklemmen lassen sich einfach nicht lösen.“, rief<br />

Byers sofort und stand ebenfalls auf. Er eilte vom Shuttle weg.<br />

„Außerdem läuft Plasma aus, das Ding könnte jede Sekunde<br />

explodieren!“<br />

Penkala und Dike wechselten einen Blick und rannten dem<br />

Mann schnell hinterher.


Penkala deutete auf die Treppe. „Nach oben! Wir<br />

verschwinden auf einem anderen Weg!“<br />

„Auf welchem?“, fragte Dike. „Alex? Hast du einen Plan?“<br />

„Lauf!“<br />

„Irgendwas detaillierteres?“<br />

„Lauf schnell.“<br />

Sie stürmten die Treppe hoch und folgten Penkala den langen<br />

Steg an der Seitenwand entlang. Das Metall unter ihren Füßen<br />

ratterte bei jedem Schritt. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.


Absturz<br />

Die Außenwand wurde furchtbar heiß, Penkala hatte das<br />

Gefühl, seine Haut würde sich allmählich abschälen. Eine<br />

verzweifelte Frau – eine junge Kollegin mit Sonnen-Tattoo<br />

auf der Wange und einem auffallend attraktivem Körperbau -<br />

kam ihnen entgegen. „Alex, alle Kapseln in Reichweite sind<br />

bereits weg! Was sollen wir tun?“ Er begnügte sich nicht mit<br />

Erklärungen, ergriff ihre Hand und zerrte die Frau einfach mit<br />

sich.<br />

„Wir verschwinden, Lonnie!“, sagte er nur. Während sie den<br />

Weg in umgekehrter Richtung wieder zurückrannten, kam<br />

Penkala immer mehr zu dem Entschluss, dass es ein<br />

furchtbarer Fehler gewesen war, an diesem Tag aus dem Bett<br />

zu steigen.<br />

„Alex, wo willst du hin?“, fragte Dike drängend.<br />

„Zum Jeep!“<br />

„Was? Sollen wir vielleicht zum Planeten fahren?“<br />

„Wir werden zur Hölle fahren, wenn wir uns nicht beeilen!“<br />

Nach einer quälend langen Zeit, die eigentlich nur aus<br />

wenigen Sekunden bestand, erreichte die Gruppe endlich<br />

einen speziellen Seitenhangar. Er war nicht sonderlich groß<br />

und er bot auch nur Platz für ein einziges Schiff, aber das war<br />

alles, was sie brauchten. Zu Penkalas Erstaunten befand sich<br />

das Schiff, dass er suchte auch noch an Ort und Stelle. Hastig<br />

eilten sie über die Treppe vom Steg hinunter und flitzten zu<br />

dem Shuttle. Das Seitenschott lies sich in der Eile nicht<br />

öffnen.


Dike wurde panisch: „Wir müssen von hier verschwinden!<br />

Jede weitere Sekunde, die wir bleiben, verringert sich unsere<br />

Überlebenschance um Tausend Prozent!“<br />

„Ist das ein Fakt, oder eine grobe Schätzung?“, fragte Penkala.<br />

„Ich kann ja nachrechnen!“<br />

Byers verlor nicht die Nerven und betätigte die Notfallöffnung<br />

der Hauptluke. Krachend schmetterte das schwere Teil an der<br />

Rückseite des Schiffes herab. Byers und Penkala verloren<br />

keine Zeit, eilten an dem fest verankerten Jeep im Laderaum<br />

des Schiffes vorbei und klemmten sich hinter die Pilotensitze.<br />

Mit geübten Handgriffen starteten sie die Maschinen. Byers<br />

wollte die Systemtest durchführen, aber Penkala schlug ihm<br />

auf die Hand. „Überspring das. Wir haben keine Zeit!“ Es war<br />

ohnehin überflüssig, die Sternenflotte war stets zwanghaft<br />

bemüht alles in hundertprozentigem Funktionszustand zu<br />

halten.<br />

Draußen im Hangar fiel das Licht flackernd aus. Sie saßen im<br />

Dunkeln.<br />

„Anschnallen!“, wies Penkala die Anderen an und zog seinen<br />

eigenen Gurt zurecht. Klackend rasteten die Sperren ein. „Ich<br />

kann mich nicht in den Hauptcomputer einklingen und das<br />

Hangartor öffnen.“, schrie Byers verzweifelt.<br />

Für Penkala stellte das kein unlösbares Problem dar. Als die<br />

Maschinen heulend zum Leben erwachten und sich das Shuttle<br />

erhob, aktivierte Penkala die Phaserstaffel, unwissend, dass er<br />

damit fast ihre gänzlich verbliebene Energie verbrauchte. Die<br />

orange-rot glühenden Strahlen brannten sich in die dicken<br />

Duraniumplatten und zerschnitten sie zu großen Stücken, die<br />

hinauswirbelten. Die Andockklemmen lösten sich klackend.<br />

Fast zeitgleich ging die Energieanzeige im Argoshuttle gen<br />

Null. Die Maschinen begannen zu stottern, das Schiff knallte<br />

wieder zurück auf den Boden. Penkalas Kinnladen wäre auf<br />

die Konsole geklappt, wenn es anatomisch dafür gebaut wäre.<br />

„Was zum-“


„Was hast du gemacht?“, wollte Byers wissen.<br />

„Das war doch nur ein Schuss. Irgendwas scheint nicht nur der<br />

<strong>Shenandoah</strong> Saft abgezogen zu haben.“<br />

„Warum funktionieren deine blödsinnigen Pläne nie?!“, fragte<br />

Dike verzweifelt.<br />

„Murphys Gesetz.“<br />

In dem Moment kippte der gesamte Hangar zur Seite. Das<br />

Argoshuttle schlidderte funkensprühend über den blanken<br />

Boden und krachte an die Seitenwand, nur um anschließend<br />

wieder zur anderen Richtung zu rutschen. Hilflos saßen die<br />

verzweifelten Offiziere in einem Gefährt, das gerade als<br />

Pingpongball missbraucht wurde.<br />

Hinter dem zersplitterten Hangartor und jenseits der Flammen,<br />

erstreckten sich der blutrote Himmel – sie hatten beinahe die<br />

Wolkendecke erreicht.<br />

„O Gott!“, brüllte Penkala verzweifelt und riss den Verschluss<br />

seiner Jacke auf. Es wurde unglaublich heiß! „Den Antrieb auf<br />

volle Leistung zünden!“<br />

„Wir haben dafür nicht genug Saft über, Penkala. Wir müssen<br />

Energie sparen.“<br />

„Reserven nützen uns gar nichts, wenn wir hier nicht bald<br />

rauskommen!“, schrie Penkala zurück.<br />

Der Pilot blieb vernünftig und hatte scheinbar keine weiteren<br />

Gegenargumente. Entschlossen zog der den Gashebel zurück.<br />

Das Shuttle zitterte, als der Antrieb aufheulte. Im ersten<br />

Moment hatte Penkala das schreckliche Gefühl, dass sich die<br />

Maschine trotzdem nicht von der Stelle bewegte, aber dann<br />

begann sie voranzuschliddern. Penkalas Herz schlug immer<br />

schneller und härter. Er war schweißgebadet, die ganze<br />

Uniform klebte an seiner Haut.<br />

Byers ging es nicht anders. Seine Hände zitterten so stark,<br />

dass er Mühe hatte die Kontrollen zu bedienen. Trotzdem gab<br />

er mehr Schub. Der Hangar glitt vorüber, neigte sich aber<br />

zeitgleich wieder zur Seite. Und mit ihm schlidderte auch das


Argoshuttle wieder auf die Seitenwand zu. Penkala hatte das<br />

ungute Gefühl, dass sie nicht durch die entstandene Öffnung<br />

gleiten, sondern gegen die Begrenzung daneben prallen<br />

würden, wenn sie nicht endlich vorwärts kämen. Wütend<br />

schlug er gegen die Kontrollen. Das Dröhnen der Maschinen<br />

wurde Lauter, als Byers noch mehr Schub gab. Penkala sah<br />

aus den Augenwinkeln, wie sich Dike hinter ihm an den<br />

Kanten seines Sitzes festklammerte. Die anderen standen um<br />

den Jeep herum. Er wollte sie erneut auffordern, sich endlich<br />

anzuschnallen, erkannte aber das Problem: Es gab nur drei<br />

Sitze - mal von denen im Jeep abgesehen. Und dort konnte<br />

sich niemand anschnallen. Er fluchte stumm und hoffte, dass<br />

die Turbulenzen nicht allzu stark werden würden, sollten sie<br />

es jemals aus diesem verdammten Hangar schaffen. „Wird das<br />

heute noch was?“<br />

Das Shuttle hob die Nase ein wenig in die Höhe, machte einen<br />

Hüpfer von kaum anderthalb Metern und fiel mit einem<br />

furchtbaren Krachen wieder zurück auf den Boden. Dike<br />

keuchte, schwieg aber tapfer weiter. Byers schob die<br />

Steuerkontrolle bis zum Anschlag vor. Die Maschinen brüllten<br />

auf. Das Shuttle glitt mit enervierender Langsamkeit auf die<br />

Öffnung zu, um gleichzeitig seitlich davon wegzurutschen.<br />

Einen weiteren Schuss um die Öffnung zu vergrößern, konnte<br />

Penkala aber unmöglich abgeben.<br />

Byers zählte langsam bis Drei und zog dann noch mal an den<br />

Gaskontrollen. Irgendetwas hinten am Schiff explodierte. Was<br />

es auch war, es verschaffte ihnen den restlichen<br />

Vorwärtsschub. Ein fürchterliches Splittern und Krachen<br />

erklang, als sie mit dem Flügel gegen den Torrahmen knallten.<br />

Das Shuttle wurde herumgerissen. Dann fiel es einfach wie ein<br />

schwerer Stein aus dem Hangar hinaus und von der<br />

<strong>Shenandoah</strong> weg. Sofort waren die Erschütterungen enorm.<br />

Penkala wurde gegen die Konsole geschleudert. Der<br />

Sicherheitsgurt presste ihm die Luft aus den Lungen. Er sackte


enommen in den Sitz zurück und nahm nur noch unklar war,<br />

wie Trümmer, Flammen und loderndes Feuer das Cockpit<br />

einhüllte.<br />

Das Shuttle sackte ab.<br />

Hinter Penkala schrieen die unangeschnallten Offiziere auf,<br />

als sie mit den Köpfen an die Decke knallten. Penkala hörte<br />

das kategorische Knacken eines Genickbruchs und verzog das<br />

Gesicht. Er konnte sich jetzt nicht umdrehen - nein er wollte<br />

sich jetzt gar nicht umdrehen.<br />

Wenn das Lonnie gewesen war...- Nein! Er musste sich jetzt<br />

konzentrieren. Blinzelnd versuchte er klar im Kopf zu werden<br />

und nicht in Ohnmacht zu fallen. Hinter den Frontfenstern, sah<br />

Penkala Dutzende Kapseln runtergehen, eine brannten so<br />

lichterloh, dass die Insassen es einfach nicht überleben konnte.<br />

Doch, wieso das ganze?<br />

Normalerweise mussten die Fluchtkapseln über bestens<br />

ausgerüstete Hitzeschilde verfügen. Ein Blick auf die eigene<br />

Energiereserve verriet das ganze Dilemma: Ihre eigenen<br />

Energiewerte waren auch unten. Byers bemerkte seinen Blick.<br />

„Das muss uns alle erwischt haben. Und ohne Energie für die<br />

Hitzeschilde-“<br />

„Ich zünde die Bremsraketen.“<br />

Sie wurden sofort langsamer, das Shuttle erzitterte dafür aber<br />

umso heftiger.<br />

„Was ist das dort drüben?“, fragte Dike und deutete in eine<br />

Richtung.<br />

Jenseits der Fenster erspähte Penkala einen glühenden<br />

Kometen zur Oberfläche stürzen. Die <strong>Shenandoah</strong> war es<br />

nicht.<br />

„Eine Rettungskapsel?“<br />

Penkala schüttelte mit dem Kopf. „Viel zu groß.“<br />

„Byers, Bleiben sie in der Nähe der Kapseln!“, rief Dike, um<br />

den Lärm zu übertönen.


„Wenn ich noch die Kontrolle hätte-“, setzte Byers an. Er<br />

stoppte mitten im Satz, als er etwas auf sich zurasen bemerkte.<br />

Penkala sah es im selben Moment und riss die Augen auf. Er<br />

kam überhaupt nicht mehr dazu irgendetwas zu brüllen. Ein<br />

Entsetzensschrei, oder eine Warnung. Bevor irgendwas über<br />

seine Lippen kam, prallte ein anderes, außer Kontrolle<br />

geratenes Shuttle in sie hinein. Entgegen seiner Vermutung<br />

verwandelten sie sich nicht in einen Feuerball am Himmel.<br />

Stattdessen wurde ihr Shuttle gespalten.<br />

Plötzlich flammte irgendwo hinter Penkala ein grell<br />

orangefarbenes Licht auf und in das Splittern und Bersten des<br />

auseinanderreißenden Hecks vermischte sich das Poltern einer<br />

Explosion. Jemand kreischte – ein schnell leiser werdendes<br />

Kreischen, von einer Person, die sich ebenso schnell entfernte.<br />

Penkala drehte sich in diesem Moment halb um und musste<br />

entsetzt mit ansehen, wie das Heck verschwand.<br />

Dort wo sonst eine Wand sein sollte, hatte man plötzlich einen<br />

Panoramablick auf die blutroten Wolken unter ihnen. Die<br />

Leute im Heck wurden mit den Trümmern nach draußen<br />

gerissen.<br />

Einzig Lonnie hielt sich hoffnungslos an den Streben des<br />

Jeeps fest, ihre Beine flogen in der Luft. Sie sah Penkala an.<br />

Er starrte zurück.<br />

Dann verlor sie den Halt, der Sog war einfach zu stark. Stumm<br />

wurde sie von ihm fortgerissen. Ein unglaublicher Wind zerrte<br />

an Penkala. Inzwischen war er nur noch halb bei Bewusstsein.<br />

Er hatte sich auf die Zunge gebissen, sodass er den<br />

Geschmack seines eigenen Blutes im Mund hatte und für<br />

einen Augenblick musste er mit aller Kraft dagegen<br />

ankämpfen, nicht ohnmächtig zu werden. Ein hässlicher<br />

Schmerz durchzuckte seinen rechten Arm. Als wäre es nicht<br />

sein eigener Arm, stellte er mit beinahe kindlicher Neugierde<br />

fest, dass ein riesiger Metallsplitter sich in den Oberarm<br />

gebohrt hatte. Schmerzen verspürte er keine.


Byers neben ihm kreischte. Die wenige Kontrolle, die sie sich<br />

ohnehin nur zu besitzen eingebildet hatten, entglitt ihnen nun<br />

gänzlich.<br />

Penkala sah aus dem Frontfenster hinaus und stellte verblüfft<br />

fest, dass sie nicht mehr knapp über den Wolken waren. Die<br />

Maschine sank tiefer und plötzlich war rechts und links von<br />

ihnen kein freier Himmel mehr, sondern das dunkle Rot<br />

scharfkantiger Felsen, die mit erschreckender<br />

Geschwindigkeit an ihnen vorüberhuschten. Er widerstand der<br />

Versuchung, erneut nach hinten, zum klaffenden Loch zu<br />

blicken. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Stelle, auf die<br />

sie zurasten. Wo Byers vermutlich landen wollte, sofern er<br />

überhaupt noch die Richtung ihres Absturzes beeinflussen<br />

konnte. Als er sie entdeckte, sträubten sich ihm sämtliche<br />

Haare auf dem Kopf. Es war kein flacher Berghang, wie<br />

Penkala Irrsinnigerweise vermutet hatte, sondern eine schier<br />

bodenlose, meilenlange Schlucht, die das Gebirge vor ihnen<br />

spaltete. Nicht einmal ein Meisterpilot hätte ein Shuttle dort<br />

hineinsteuern können. Und Byers war Techniker. Aber ihnen<br />

blieb keine andere Wahl. „Wahnsinn. Das ist Wahnsinn.“,<br />

murmelte er benommen. Womit er recht hatte.<br />

„Als hätten wir eine Wahl.“, brüllte Byers kopfschütteln. Er<br />

war offenbar von seinem eigenen Tun nicht sonderlich<br />

überzeugt.<br />

Dike beugte sich nach vorn. Weit von ihnen entfernt gingen<br />

einige Fluchtkapseln der <strong>Shenandoah</strong> ebenfalls zu Boden. Sie<br />

krachten aber direkt auf den Boden zu, während sie das Glück<br />

besaßen einigermaßen glatt runterzukommen. Was das für die<br />

Insassen der Kapseln bedeuten mochte, konnte sich jeder<br />

denken. „Wir sind nicht weit vom Landepunkt entfernt.“, rief<br />

Dike.<br />

„Das ist scheißegal.“, brüllte Byers. „Solange wir es überhaupt<br />

schaffen, heil runterzukommen.“


Der Spalt verengte sich zusehends, je tiefer sie kamen. Sie<br />

waren knapp über dem Boden. Vielleicht zehn Meter.<br />

Vermutlich hätte der schmale Pfad am Boden nicht einmal<br />

ausgereicht, um einen Albatros mit ausgestreckten Schwingen<br />

zu landen. Byers schrie auf, als die Wände von beiden Seiten<br />

zugleich auf das Shuttle zuzuspringen schienen. Instinktiv<br />

versuchte er die Maschine noch einmal in die Höhe zu reißen,<br />

aber es gelang ihm nicht. Ein fürchterliches Knattern erklang,<br />

als die Flügel auf beiden Seiten gleichzeitig die Felswand<br />

berührten – und brachen.<br />

Das brennende Impulstriebwerk rechts riss ab und flog davon,<br />

eine halbe Sekunde später folgte ihm auch das Triebwerk auf<br />

der linken Seite. Funken prasselten auf Penkala nieder. Das<br />

Shuttle knallte nun gänzlich auf den Boden, raste noch ein<br />

Stück weiter, rüttelte und bockte, als wolle es nun gänzlich<br />

auseinanderbrechen – und direkt vor ihnen bäumte sich<br />

plötzlich eine Felswand auf. Penkala riss die Hände vor die<br />

Augen und riss gleichzeitig den Kopf zur Seite – ein Fehler.<br />

Das letzte, was er sah, war, wie ein hervorragender Felsen<br />

durch die Sichtscheibe splitterte und Byers den Kopf von den<br />

Schultern riss, als sie mit der Wand kollidierten. Dann verlor<br />

er endgültig das Bewusstsein.


Unbekannter Mond<br />

Wie durch ein Wunder bekamen die Trägheitsabsorber genug<br />

Energie. Dennoch war der Aufprall auf dem Planeten so<br />

gewaltig, dass die Schnallen ihres Gurtes mit einem<br />

ohrenbetäubenden Klatschen rissen.<br />

Rhonda Smith schrie auf, als sie durch die umherschleudernde<br />

Rettungskapsel purzelte. Smith stieß sich den Kopf und sah<br />

Sterne, als sie auf dem Boden aufschlug. Die Kapsel kam für<br />

einen Moment zur Ruhe, stand aufrecht, wie sie eigentlich<br />

landen sollte, hatte aber scheinbar keinen festen und geraden<br />

Untergrund und schwankte mit einem metallischen Kreischen.<br />

Smith hörte den inzwischen wieder erwachten Hawk „Rhonda,<br />

Rhonda!“, rufen, als er sich von seinem eigenen Gurt befreite<br />

und auf den Boden sprang. Dies brachte die Kapsel aus dem<br />

Gleichgewicht. Sie kippte um.<br />

Hawk drehte das Gesicht weg, Inhalt der Notausrüstungen und<br />

Trümmer prasselten auf ihn herab. Als er wieder hochsah, war<br />

alles schief. Die Kapsel lag auf eine der sechs Seiten. Direkt<br />

über ihm war die Ausstiegsluke, die völlig eingedrückt war.<br />

Einige der abgedunkelten Fenster wiesen starke Risse und<br />

Spinnweben auf. Von draußen war kaum etwas zu erkennen.<br />

Er hörte das schrille Kreischen von Metall und spürte, wie die<br />

Kapsel einen leichten Hang mit dem Dach vorwärts<br />

hinabrutschte. Ganz langsam.<br />

Hawk kroch die Seitenwand entlang, er versuchte zu Rhonda<br />

zu kommen. Er sah zu einem Kabel hoch, aus dem in<br />

unbeständiger Reihenfolge Funken stoben, die kurzzeitig das<br />

Innere der Kapsel erhellten. Irgendwo daneben waren die<br />

Leitungen für die Kühlmittel, die nun über seinem Kopf


hingen. Auch sie waren beschädigt, irgendeine Flüssigkeit<br />

tropfte auf Hawk herab. Er hörte ein Zischen und merkte, dass<br />

es Säureartige Kühlflüssigkeit sein musste.<br />

Irgendwo vor ihm in der Dunkelheit stöhnte Rhonda. Wieder<br />

blitzten Funken auf und Hawk sah sie zusammengekrümmt an<br />

der Wand liegen, die normalerweise der Kapselboden war.<br />

Hawk kroch auf allen vieren weiter vorwärts, rutschte aber<br />

schließlich aus.<br />

Noch mehr Kühlflüssigkeit? Nein, es war warm. Beim<br />

nächsten Funkenregen sah er, dass es Blut war, dass an die<br />

Wand gespritzt sein musste. Die Medizintasche hatte sich<br />

beim Absturz gelockert und war durch den Innenraum<br />

geflogen. Hawk hatte gesehen, wie Fähnrich Thatcher sich<br />

daran den Kopf zertrümmert hatte. Seine Leiche hing noch<br />

immer angegurtet im Sitz, über Hawk. Die Arme und Beine<br />

baumelten lose herab, wie ein Marionette, deren Schnüre<br />

jemand durchtrennt hatte.<br />

Es war alles verrückt. Einfach verrückt.<br />

Hawk biss die Zähne zusammen. Die Kapsel rutschte weiter<br />

abwärts. Inzwischen hatte er Rhonda erreicht. Sie schlang die<br />

Arme um ihn.<br />

„Cooper.“, sagte sie. Ihre gesamte linke Gesichtshälfte war<br />

dunkel. Im Schein des nächsten Funkenregens sah er, dass sie<br />

Blutverschmiert war. „Alles okay?“<br />

„Du stellst fragen.“ Mit dem Handrücken wischte sie sich Blut<br />

aus dem Auge. „Kannst du sehen, was es ist?“<br />

Wieder stoben Funken und er sah, dass ihr ein kleines<br />

Metallteil knapp unter dem Haaransatz im Fleisch steckte. Er<br />

zog es heraus und drückte die Hand auf die plötzlich stark<br />

blutende Wunde. Von seinem Ärmel riss er einen Stofffetzen<br />

ab und drückte ihn dagegen. Sofort verfärbte sich der Stoff.<br />

„Tut es weh?“<br />

„Geht schon.“<br />

„Ich glaube, schlimm ist es nicht.“, sagte er.


Die Kapsel rutschte weiter.<br />

„Sind wir die Einzigen?“, fragte Smith.<br />

„Ja. Thatcher und Gahv hat’s erwischt.“<br />

Ein unheimliches Knirschen erklang. „Was ist das?“, fragte<br />

Smith mit tonloser Stimme.<br />

Sie rutschten weiter abwärts. Abwärts.<br />

Hawk drehte sich um und rutschte auf allen vieren zurück zum<br />

Dach. Mit dem Ärmel versuchte er die beschlagenen Scheiben<br />

abzuwischen, um etwas zu erkennen. „Wir rutschen.“<br />

„Wohin, Cooper?“<br />

Er kniff die Augen zusammen und starrte hinaus. Dann wurde<br />

er bleich.<br />

Direkt vor ihnen: roter Sand. Einige Meter weiter: Nichts. Er<br />

richtete sich auf. „Zu einem Abhang.“<br />

Dieser Abhang war einhundertfünfzig Meter nackter Fels, der<br />

beinahe Senkrecht zum Talboden abfiel. Diesen Sturz würden<br />

sie in der angeschlagenen Kapsel niemals überleben. Der<br />

Aufprall hatte die letzte Restenergie gekostet.<br />

Trägheitsdämpfer gab es nun keine mehr.<br />

„Frell!“, fluchte Hawk. Sie rutschten weiter. Unaufhörlich. Er<br />

kroch von den Dachfenstern, weg, die Seitenwand ein Stück<br />

hinauf und stellte sich wie auf einem Surfbrett hin. Er<br />

erreichte die Zugangsluke, aber sie war schrecklich verbogen.<br />

Er legte den Hebel für die Absprengung um. Nichts geschah.<br />

Hawk wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte nicht die<br />

geringste Ahnung. Die Kapsel lag auf der Seite und alles war<br />

verrückt.<br />

Seine Schulter brannte und er roch, wie sich das Kühlmittel<br />

durch seine Uniform fraß. Vielleicht auch schon durch sein<br />

Fleisch. Es brannte heftig. Es war dunkel in der Kapsel. Keine<br />

Energie, überall lagen Trümmer. Irgendetwas knallte auf das<br />

Dach, beziehungsweise die Seite der Kapsel – herabprasselnde<br />

Trümmer. Hawk stürzte und stieß sich den Hinterkopf an einer<br />

Ingenieurstasche. Der Deckel ging auf und Geräte und Chips


tropften auf ihn herab. Wieder blitzten Funken auf und Hawk<br />

sah, dass sie die Kante erreichten.<br />

„Rhonda!“, rief er, rannte los und zog sie aufrecht. Am Boden<br />

gab es eine Notluke, vielleicht, wenn sie–<br />

Aber es war zu spät.<br />

Die Kapsel ächzte und knarzte und dann sah Hawk die untere<br />

Hälfte in die Tiefe sinken. Die Kapsel rutschte über den<br />

Abhang. Es fing langsam an und dann wurde es immer<br />

schneller. Die Seite, die eben noch der neue Boden gewesen<br />

war, kippte weg, alles fiel. Rhonda fiel und griff im Sturz noch<br />

nach ihm, erreichte ihn aber nicht. Weil er nicht wusste, was<br />

er tun sollte, packte er in die Einkerbungen der Bodenluke, die<br />

eigentlich dazu gedacht waren, sie anzuheben und nicht um<br />

daran zu hängen. Die Luke war kalt und feucht – mehr Blut.<br />

Die Kapsel kippte immer stärker, sackte tiefer. Metall<br />

knirschte.<br />

Hawk spürte, wie seine Hände von dem Metall glitten ...<br />

glitten ... glitten ... und dann konnte er sich nicht mehr halten<br />

und fiel, stürzte hilflos auf das untere Ende der Kapsel zu. Er<br />

sah eine offene Ausrüstungstür auf sich zurasen, knallte<br />

dagegen, spürte einen brennenden Schmerz und krümmte sich.<br />

Und langsam hüllte sanfte Schwärze ihn ein.<br />

Der Absturz hatte Allan nicht umgebracht. Er raubte ihm auch<br />

nicht das Bewusstsein. Er tat ihm nicht einmal besonders weh,<br />

denn irgendwer hatte es geschafft, die Trägheitsdämpfer mit<br />

Energie zu versorgen, die den größten Teil der Wucht des<br />

Aufpralls nahmen. Trotzdem blieb er eine Weile benommen<br />

liegen, ehe er es wagte, sich behutsam aufzusetzen und ebenso<br />

behutsam mit den Fingerspitzen über seinen Körper zu tasten,<br />

wie um sich davon zu überzeugen, dass noch alles an seinem<br />

Platz und relativ unbeschädigt war. Erst danach wagte er es,<br />

sich vorsichtig aufzurichten. „Judy?“


Nichts.<br />

„Judy?!“<br />

„Ich bin okay.“, drang die hustende Stimme des Mädchens<br />

von irgendwoher. Im Innern der Rettungskapsel herrschte<br />

Dunkelheit. Die Lampen waren beim Aufschlag mit einem<br />

grellen, die Augen blendenden Aufblitzen erloschen. Durch<br />

die feinen Risse der äußeren Hülle drangen nun schwache<br />

Lichtstrahlen herein und gestatteten es D’Agosta, einen ersten<br />

Blick auf die vom Aufprall durcheinander geworfenen<br />

Gestalten zu werfen. Was er sah, erfüllte ihn nicht gerade mit<br />

Zuversicht.<br />

Er erkannte Fowlers große, fragende Augen, und schließlich<br />

konnte er auch Isaac ausmachen, deren Wangenknochen noch<br />

immer Blutbespritzt waren. Sie löste den Gurt und tastete<br />

seine Tochter Judy nach Verletzungen ab. Shannyn stöhnte<br />

benommen und löste ebenfalls den Sicherheitsgurt. Ohne ihn<br />

hätte ihr eine ebenso unliebsame Begegnung mit dem Boden<br />

bevorgestanden, wie ihn D’Agosta erlebt hatte.<br />

Nach und nach kamen alle wieder zu sich und versuchten, sich<br />

im Halbdunkel zu orientieren. Von irgendwo zauberte Isaac<br />

einen medizinischen Tricorder her, klappte ihn aber sogleich<br />

wieder zu. Keine Daten. Er war offenbar bei dem Absturz zu<br />

schaden gekommen. Also stand Isaac vorsichtig auf, ging von<br />

einem zum anderen und fragte, ob irgendjemand medizinische<br />

Hilfe benötigte. D’Agosta hielt es für wenig wahrscheinlich,<br />

dass Brenda einigermaßen zusammenhängende Antworten<br />

bekam.<br />

Mühsam schob er sich nun durch den engen Innenraum zu<br />

Judy und half ihr die Gurte zu lösen. „Alles in Ordnung?“<br />

Ihrem Gesichtsausdruck zu folge, war das wohl eine reichlich<br />

dämliche Frage und D’Agosta pflichtete ihr in diesem Punkt<br />

sogar bei. „Bleib noch sitzen.“<br />

Offenbar hatte sie die Lust verloren, Einwände gegen seine<br />

Vorschläge zu erheben und nickte langsam. D’Agosta


stolperte über jemanden, entschuldigte sich bei dem - oder der<br />

- Unbekannten und gelangte dahin, wo seiner Erinnerung<br />

zufolge die Einstiegsluke liegen musste – natürlich nicht, ohne<br />

sich dabei mindestens einmal das Bein an irgendeinem<br />

vorragenden Metallteil zu stoßen.<br />

Zu seiner Verwunderung war Shannyn längst wieder auf den<br />

Beinen und hockte ebenfalls neben der Luke.<br />

„Wir haben Glück gehabt, wie?“, fragte D’Agosta.<br />

„Glück?“ Shannyn tastete vorsichtig zu zwei langen Kratzern<br />

an ihrer linken Wange. Schon die kleinste Berührung tat weh,<br />

dennoch lies sie sich nichts anmerken. Dann beugte sie sich<br />

wieder über die Instrumente. „Irgendwelche Ergebnisse?“<br />

„Ich versuche gerade, etwas rauszukriegen.“ Nachdem sie eine<br />

Weile auf die Anzeigen gestarrt hatte, schüttelte Shannyn den<br />

Kopf. „Ich bekomme keine vernünftigen Werte. Genauer<br />

gesagt, bekomme ich gar keine Werte. Das Energielevel ist<br />

gleich Null.“<br />

„Wir brauchen dringend Daten über die Zusammensetzung der<br />

Atmosphäre.“<br />

„Tut mir leid, keine Daten.“<br />

Keine Daten. Sie hatten herausbekommen wollen, ob sie in der<br />

Atmosphäre des Planeten leben konnten, bevor die Tür<br />

geöffnet wurde; und jetzt sah es danach aus, als müssten sie<br />

die Tür öffnen, um zu prüfen, ob man in der Luft überleben<br />

konnte. Zwar hatten die Scanner der <strong>Shenandoah</strong> den Mond<br />

beiläufig als Grenzgänger unter Klasse-M-Planeten aufgefasst,<br />

und damit eignete sich die Welt für humanoides Leben.<br />

Außerdem lebten ja auch einheimische Spezies auf dem<br />

Planeten. Dennoch hatten die Scanner auch auf bestimmte<br />

Bereiche aufmerksam gemacht, wo die Atemluft extrem dünn,<br />

teilweise sogar toxisch angereichert war.<br />

„Wir müssen-“<br />

Mit starker Verärgerung nahm Shannyn das einsetzende<br />

Gemurmel hinter sich wahr. Nicht weil es sich um Gemurmel


handelte, sondern weil ihr die Richtung des Inhalts nicht<br />

gefiel, denn kaum hatten sie den schlimmsten Absturz der<br />

Geschichte erlebt, verfielen die Leute nicht in Dankbarkeit,<br />

sondern in Panik. Und das, wo sich ein kleines Mädchen in der<br />

Kapsel befand.<br />

„Mund halten!“, rief sie mit einer Lautstärke, die sofort<br />

wirkte. Augenblicklich verstummte das Gemurmel.<br />

„Was ist?“, fragte Fowler. „Hören Sie was?“<br />

„Mund halten, schließt Sie mit ein.“<br />

D’Agosta runzelte die Stirn, dann hörte er es - gedämpfte<br />

Schreie drangen von außerhalb an sein Ohr. Und<br />

irgendwelcher Lärm. Jemand rief um Hilfe! Es gab also<br />

Atmosphäre.<br />

„Öffnen Sie die Luke.“, ließ sich Isaac’s brüchige Stimme<br />

vernehmen. Shannyn riss den Notschalter herunter und sofort<br />

wurde die Tür aus der Verankerung gesprengt. Scheppernd<br />

knallte sie auf den heißen Boden. Von einem zum anderen<br />

Moment fand sich D’Agosta in der Hölle wieder.<br />

Rhonda Smith hörte ein rhythmisches Knarzen. Sie wusste<br />

nicht wo sie war und öffnete die Augen. Und blickte direkt in<br />

ein rotbraunes Tal hinab, das einhundertfünfzig Meter unter<br />

ihr lag. Der Bildausschnitt, den sie sah, schwankte leicht hin<br />

und her. Sie sah durch das Dachfenster der Kapsel, die vom<br />

Klippenrand herunterhing.<br />

Sie fielen nicht mehr. Aber sie hingen bedrohlich in der Luft.<br />

Irgendwo musste sich die Kapsel verfangen haben und<br />

Rhonda befürchtete, dass dies nicht von langer Dauer sein<br />

würde. Neben ihr befand sich eine zertrümmerte Kontrolltafel.<br />

Lose Drähte hingen heraus, die Anzeigen waren erloschen.<br />

Das Blut in ihrem linken Auge ließ sie nicht klar sehen. Sie<br />

öffnete ihre Jacke, zog das Hemd darunter aus der Hose und<br />

riss zwei Tuchstreifen ab. Den einen faltete sie zu einer


Kompresse zusammen, die sie sich an die Stirnwunde drückte.<br />

Den zweiten band sie sich um den Kopf, um die Kompresse zu<br />

fixieren. Schmerz durchzuckte sie und Smith biss die Zähne<br />

zusammen. Die Kapsel schwankte noch immer. Sie starrte<br />

nach oben und sah die ganze Kapsel, die senkrecht nach unten<br />

hing. Hawk war etwa einen Meter über ihr, er hing über eine<br />

Ausklapptür, hinter der diverse Kontrollmechanismen lagen,<br />

gekrümmt und rührte sich nicht.<br />

„Cooper.“, sagte sie.<br />

Er antwortete nicht. Die Kapsel erzitterte wieder und ächzte<br />

unter ihrem eigenen Gewicht. Smith versuchte sich das äußere<br />

der Kapsel vorzustellen – man sah sie nicht allzu häufig von<br />

außen. Die Schubdüsen am Boden ragten seitlich ein wenig<br />

heraus, eine der Düsen musste sich in den zackigen Fels<br />

verkanntet haben. Die ganze Kapsel hing nun daran und<br />

baumelte frei in der Luft. Sie hingen nur noch an Düsen! Und<br />

die würde der Belastung nicht lange standhalten.<br />

„Cooper.“, sagte sie. „Cooper.“<br />

Ohne auf die Schmerzen in ihrem Körper zu achten, rappelte<br />

sie sich hoch. Ihr wurde schwindelig und sie fragte sich, wie<br />

viel Blut sie wohl verloren hatte. Die Kapsel schwankte unter<br />

ihr. Die Funken aus der gebrochenen Leitung stoben erneut<br />

und sie sah sein Gesicht. Er stöhnte. „Cooper.“<br />

Seine Augen waren geschlossen. „Es tut mir leid.“<br />

„Lass das.“<br />

„Ich habe den Warpsprung nicht initialisiert. Ich habe dich in<br />

diesen Schlamassel gebracht.“<br />

„Cooper, kannst du dich bewegen? Bist du okay?“<br />

Er stöhnte. „Meine Rippen.“<br />

„Cooper.“<br />

„Ich weiß.“, erwiderte er müde und schüttelte den Kopf.<br />

„Cooper, wir müssen hier raus.“ Sie fasste ihn unter den<br />

Achseln und hob ihn in die Höhe. „Und du kommst mit mir.“


Wieder schüttelte er niedergeschlagen den Kopf. Sie hatte<br />

diese Geste von ihm schon früher in ihrem Leben gesehen,<br />

dieses hoffnungslose Kopfschütteln des Aufgebens. Und sie<br />

hasste es. Rhonda Smith gab nie auf. Niemals. Hawk ächzte.<br />

„Ich kann nicht.“<br />

„Du musst.“, sagte sie.<br />

„Rhonda...“<br />

„Ich will nichts hören. Es gibt nichts zu besprechen, außer,<br />

dass du mit mir von hier verschwindest.“ Sie zog fester und<br />

bekam ihn sogar von der Metalltür. Er schaffte es irgendwie<br />

sich aufrecht zu stellen. Er schwankte, aber er stand.<br />

Sie fragte: „Was machen wir jetzt?“<br />

„Ich weiß es nicht.“, sagte er leise. „Die Luke lässt sich nicht<br />

öffnen.“<br />

„Gibt es eine Notluke?“<br />

Er nickte schwach.<br />

„Wo?“<br />

Keine Antwort.<br />

Rhonda sah hoch. „Ist das da oben die Notluke?“<br />

Er deutete nach oben und nickte. „Okay, Cooper. Los geht’s.“<br />

Sie beugte sich vor und versuchte irgendwo halt zu finden. Die<br />

Stühle über ihnen waren ideal.<br />

„Rhonda, ich kann nicht-“<br />

„Komm schon. Sofort, verdammt noch mal!“<br />

Mit zitternden Armen griff er nach allem, woran er sich<br />

festhalten konnte und stemmte sich hoch. Sie fingen an nach<br />

oben zur Bodenluke zu klettern, wobei sie sich an allem<br />

festhielten, was ihre Hände erreichen konnten. An einigen<br />

Stellen gab es Haltegriffe und wenn es keine gab, klammerten<br />

sie sich an Stuhlkanten und Ausrüstungskoffer.<br />

„Was habe ich da oben nur angerichtet, Rhonda?“<br />

Sie schwieg.<br />

„Ob Toye und die Anderen es geschafft haben?“


Smith stellte sich mit dem einen Bein auf einen<br />

Ausrüstungskoffer und fand mit dem anderen Fuß einen<br />

einigermaßen günstigen Stand in einem Haltegriff.<br />

Sie sah die Luke, fand aber keinen Öffnungsmechanismus.<br />

„Cooper, wie geht das auf?“<br />

Wie in Trance hob er einen Arm und löste eine Entriegelung<br />

an seiner Seite. Nun sah Rhonda es auch. Sie griff nach dem<br />

Hebel der Entriegelung an ihrer Seite und riss sie zurück. Die<br />

Bodenluke fiel aus ihrer Halterung und knallte scheppernd<br />

nach unten, gegen das Dach. Rhonda fasste in die Öffnung<br />

hinein, fand eine zweite Luke, die den Ausstieg nach unten,<br />

beziehungsweise Oben absicherte. Sie tastete blind mit den<br />

Fingern, da sie von ihrem Standpunkt aus nichts sehen konnte,<br />

solange, bis sie einen Hebel zu fassen bekam. Nach<br />

mehrmaligem Betätigen, öffnete sich endlich die Luke nach<br />

draußen. Sofort strömte heiße, stickige Luft in das innere der<br />

Kapsel. Rhonda schnaufte. Wenn sie sich hinaufziehen wollte,<br />

musste es beim ersten mal klappen, da ihr sonst der Halt<br />

fehlte. „Rhonda, schaffst du das?“<br />

„Ja.“, sagte sie. Sie streckte die Arme aus, griff nach den<br />

Kanten der Öffnung, stieß sich ab und begann sich<br />

hinauszuziehen.<br />

D’Agosta hustete. Die Luft war extrem heiß und stickig und<br />

brannte in seinen Lungen. Es roch nach Plasma, irgendwo war<br />

ein Leck. Drückender Wind trieb ihm Sand ins Gesicht, so<br />

heftig, dass es sich anfühlte, wie tausend kleiner Nadelstiche.<br />

Doch das war nicht das Schlimme. Das Schlimme, war der<br />

Anblick, der sich ihm darbot.<br />

Insgesamt waren sieben Rettungskapseln recht nahe<br />

beieinander heruntergekommen. D’Agosta glaubte jedenfalls,<br />

dass es sieben waren, aber eine war anscheinend zerplatzt und<br />

etliche Trümmer lagen überall verteilt, prasselten Teilweise


sogar noch immer über die ganze Region vom Himmel herab.<br />

Eine junge Frau, die Allan als das jüngste Mitglied der<br />

Stellarkartographie kannte, hielt sich das Bein und schrie sich<br />

die Luft aus den Lungen. Eine der Kapseln summte<br />

unkontrolliert auf, erstarb und summte wieder auf.<br />

Männer und Frauen stolperten aus den Kapseln, wandelten<br />

ziellos, mit purem Entsetzen in den Minen hin und her, hatten<br />

keine Ahnung, was geschehen war und konnten nicht glauben,<br />

noch am Leben zu sein. Manche waren schwer verletzt, andere<br />

schienen nicht einmal einen Kratzer zu haben, standen aber<br />

dennoch unter Schock. Rauch, Feuer und Fragmente waren<br />

überall. Der beißende Plasmagestank wurde schlimmer.<br />

Allan stieg aus seiner Kapsel aus und trat auf den heißen<br />

Wüstensand.<br />

Sie waren innerhalb einer weitläufigen, sichelförmigen<br />

Hügelformation runtergekommen. Die Region war erodiert,<br />

voller scharfkantiger, roter Felsen und ansonsten Öde. Eine<br />

große, sandige Trockenwüste erstreckte sich direkt vor ihnen<br />

über ein weites Gebiet und jenseits davon lagen beträchtliche,<br />

karge Berge. Die einzige Vegetation bestand aus vereinzelten<br />

Farnwiesen, zahlreichen Stachelhalmen, baumartige, aber nur<br />

höchstens ein Meter hohen Zykadophyten, und feuerrotem<br />

Kraut, dass überall wuchs – selbst auf den Felsen. Richtige<br />

Baumwälder konnte er nirgends entdecken.<br />

Alles war hellrot, orange oder braun. Insgesamt erinnerte ihn<br />

die Landschaft sehr stark an Vulkan.<br />

Die Luft war trocken und furchtbar heiß. Selbst der Himmel<br />

schien zu brennen. Noch immer kamen Rettungskapseln<br />

herunter. Die meisten von ihnen brannten Lichterloh, andere<br />

knallten mit solcher Geschwindigkeit auf den Boden, dass sie<br />

regelrecht zu halber Größe zusammengedrückt wurden. Der<br />

Energieausfall musste sie alle betroffen haben. Ein Donnern<br />

lies ihn emporblicken.


Die <strong>Shenandoah</strong> raste in ihrem spiralförmigen Sinkflug ein<br />

letztes Mal über ihre Position hinweg. D’Agosta zuckte<br />

instinktiv zusammen.<br />

Es war ein gewaltiger, aber auch furchteinflößender Anblick.<br />

Das einst so stolze Schiff verschwand hinter den Bergketten<br />

jenseits der Ebene und wenige Sekunden später erfolgte der<br />

Aufschlag. Er war so gewaltig, dass er sie alle von den Füßen<br />

fegte.<br />

Rhonda wusste zwar nicht wie, aber irgendwie schaffte sie es<br />

trotz des schlechten Haltes und der Schmerzen im ganzen<br />

Körper, sich aus der Luke zu ziehen. Ihre Vermutung<br />

bestätigte sich hier oben. die Bremsraketen hatten sich in den<br />

Fels geschlagen. Das Metall bekam allerdings große Risse und<br />

auch an dem Gestein fielen kleine Kieselbrocken ab. Der<br />

Vorsprung an dem sie hingen, begann abzubrechen. Rhonda<br />

verlor keine Zeit und kroch zur Luke zurück.<br />

„O Nein.“, sagte Hawk, als er nach oben sah.<br />

Rhonda streckte ihm die Hände entgegen. „Benutz nur deine<br />

Arme.“, sagte sie.<br />

Hawk verzog das Gesicht und griff nach den Kanten der Luke,<br />

genau wie sie zuvor. Dann lies er seinen Stand los und<br />

baumelte plötzlich in der Luft. Er strampelte mit den Beinen,<br />

versuchte irgendwo halt zu finden, aber da er genau in der<br />

Mitte hing und es unter ihm absolut nichts gab, war das<br />

vergebene Liebesmüh. Er versuchte sich hochzuziehen, aber<br />

der Griff an den Kannten fiel ihm schon schwer genug. Die<br />

Unterseite der Kapsel war schlüpfrig. Man hätte sie rutschfest<br />

konstruieren sollen. Aber wer würde je die Unterseite einer<br />

Rettungskapsel rutschfest machen?<br />

„Komm schon.“, drängte Smith und versuchte ihm unter die<br />

Arme zu greifen – sprichwörtlich. Ein Blick über die Schulter


verriet, dass die Bremsrakete langsam riss... langsam aufriss...<br />

und der Riss immer breiter wurde.<br />

Hawk verzog das Gesicht zu einer Grimasse und versuchte<br />

seine letzten Kräfte zu mobilisieren. Seine Beine baumelten<br />

schlaff hin und her – aber er kam hoch. Rhonda packte ihn am<br />

Kragen und hievte ihn das letzte Stück hinauf. Hawk rollte<br />

sich über den Rand und keuchte. Trotzdem, noch waren sie<br />

nicht in Sicherheit. „Los, auf den Klippenrand.“<br />

„O Nein.“, keuchte Hawk erneut, rappelte sich auf und griff<br />

nach oben. Das Gestein war warm und spitz, er schlitzte sich<br />

die Hände auf. Dennoch zog er sich hoch, über den Rand.<br />

Mit einem metallischen Peng riss das Gewebe des<br />

Verbindungsstücks der Bremsraketen. Die Verbindungskabel<br />

dehnten sich, die Kapsel sackte einen Meter ab. Die Kapsel<br />

hing nun nur noch an Verbindungskabeln, die sich immer<br />

weiter dehnten und zu reißen drohten. Rhonda riss die Augen<br />

auf, starrte nach oben. Hawk sah über den Rand und streckte<br />

ihr seine blutenden Hände entgegen. In dem Moment vernahm<br />

er ein gewaltiges Donnern über sich und schaute hoch. Ein<br />

Komet raste knapp über sie hinweg, zog einen brennenden<br />

Schweif hinter sich her und lärmte höllisch – die <strong>Shenandoah</strong>.<br />

Hawk wusste, wenn sie aufschlug, würde es eine riesengroße<br />

Erschütterung geben.<br />

„Spring!“, schrie Hawk. Rhonda sprang. Sie bekam seine<br />

rechte Hand zu fassen. Rutschte ab und drohte wieder<br />

zurückzufallen. In dem Moment spürte sie einen brennenden<br />

Schmerz an der Kopfhaut.<br />

„Tut mir leid., sagte Hawk und zog sie an dem Pferdeschwanz<br />

ihrer Haare hoch. Der Schmerz war heftig, aber das war ihr<br />

gleichgültig, denn die <strong>Shenandoah</strong> prallte soeben auf. Die<br />

ganze Erde bebte und jetzt lösten sich unter dieser Belastung<br />

die Verbindungskabel endgültig.<br />

Von unten kam ein lautes Knallen. Peng, Peng, Peng – die<br />

Kabel rissen und dann löste sich die Kapsel mit einem letzten


Ächzen endgültig los und stürzte, immer kleiner werdend, in<br />

die Tiefe, bis sie auf dem Talboden an Felsen zerschellte.<br />

Hawk zog weiter, mit unglaublicher Kraft und dann berührten<br />

Rhondas Finger das Gestein und sie war über dem Rand. In<br />

Sicherheit.<br />

Sie drehte sich auf den Rücken und sah dann zu Hawk hoch.<br />

„Danke.“, sagte sie. Blut tropfte von ihrem bandagierten Kopf.<br />

Hawk lies sich neben sie auf die Erde plumpsen. Er öffnete die<br />

Hand und ein Büschel ihrer braunen Haare fiel auf den Sand.<br />

„Was für ein Tag.“, sagte er.<br />

„Doktor Smith?“ Jemand kam hinter ihnen angerannt. Sie<br />

drehten sich um. Ein Sternenflottenoffizier. Nicht weit entfernt<br />

– vielleicht einhundert oder einhundertfünfzig Meter, waren<br />

andere Kapseln aufgeschlagen, eine ganze Gruppe von ihnen.<br />

„Doktor Smith, wir brauchen ihre Hilfe.“


Nachwirkungen<br />

Die blonde Frau, die inzwischen ebenfalls ausgestiegen war –<br />

und dessen Name er noch immer nicht wusste -, half D’Agosta<br />

nach Ende der Bodenerschütterung hoch. Auch er beobachtete<br />

dann entsetzt den Zustand, der Sternenflottentruppen. Wie in<br />

Trance ging D’Agosta durch das Trümmerfeld. Ein Sanitäter<br />

war über einen Mann gebeugt, der sich nicht rührte und<br />

versuchte hartnäckig sein Leben mit einer primitiven Mund zu<br />

Mund Beatmung zu retten. Er wirkte verzweifelt, sah sich um<br />

und erspähte D’Agosta.<br />

„Helfen sie mir.“<br />

Für einen kurzen Moment stand Allan einfach nur da, ehe er<br />

sich aus seiner Benommenheit losriss. Er öffnete den<br />

Reißverschluss seiner Uniformjacke und eilte zu dem Sanitäter<br />

hin. Seine Knie wurden aufgeschürft, als er sich einfach fallen<br />

lies und dabei noch einige Zentimeter über den Boden<br />

rutschte. „Roe, richtig?“<br />

Der Sanitäter runzelte die Stirn, schien einen Moment verwirrt<br />

und nickte dann. „Ja, Eugene Roe.“<br />

„Allan D’Agosta.“<br />

„Haben Sie medizinische Ausrüstung in ihrer Kapsel gehabt?“<br />

„Ja, aber defekt.“<br />

„Tricorder?“<br />

„Arbeiten nicht. Weiß nicht genau, warum. Wir haben einen<br />

massiven Energieausfall in sämtlichen Gerätschaften.“,<br />

erklärte D’Agosta.<br />

Der Sanitäter nahm die Information ruhig hin. „Hier, sein<br />

Kopf muss weiter nach hinten, sonst blasen wir ihm Luft in<br />

den Magen. Halten sie ihn so fest. Genau so.“


Mit dem Handrücken wusch er sich Schweiß von der Stirn,<br />

dann setzte die Herzmassage fort. Einmal, Zweimal, Dreimal,<br />

Viermal, Fünfmal und beatmete ihn. Dann wiederholte er das<br />

ganze.<br />

Einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal.<br />

Beamten.<br />

„Komm schon, komm schon.“ Plötzlich keuchte der Mann –<br />

ein Techniker – und schnappte nach Luft. „Recht so.“, nickte<br />

Roe. „Große, tiefe Atemzüge. Tiefe Atemzüge.“ D’Agosta<br />

nahm zufrieden war, dass der Mann wieder atmete. Dann<br />

drang ein weiterer Hilfeschrei zu ihm. Er kam von einer Frau,<br />

die unter den Trümmern einer umgekippten Rettungskapsel<br />

begraben war. Ihr Bein hing fest, sie kam nicht frei. Die<br />

Trümmer waren zu schwer,<br />

Er konnte sie niemals alleine hochheben. D’Agosta drehte sich<br />

nach weiterer Hilfe um. Als hätte sie seine Gedanken gelesen,<br />

war die blonde Frau längst neben ihm und rannte los.<br />

„Helfen sie mir?“, fragte er.<br />

„Sicher.“<br />

Sie rannten an einer Kapsel vorbei. Der Plasmagestank wurde<br />

stärker, ging offenbar von ihr aus. „Vorsicht.“, hielt ein Mann<br />

seine Arme warnend hoch und hinderte beide daran, der<br />

Kapsel zu nahe zu kommen. Es war Crocker. „Bleibt weg von<br />

dem entweichenden Plasma. Wenn’s sich entzündet, gibt’s nen<br />

gewaltigen Knall.“<br />

„Chief, Sie müssen uns helfen.“, sagte D’Agosta und schlug<br />

einen Bogen ein. Von der Wüste her – von einem Abhang, sah<br />

D’Agosta, dass Smith und Hawk zu ihnen gelaufen kamen. Sie<br />

wollten ebenfalls helfen. Zu ihrem Glück war es kein großes<br />

Trümmerstück, sie mussten keine ganze Kapsel fortbekommen<br />

– dafür war es aber schwer.<br />

D’Agosta fasste unter die Ränder der Trümmerplatte. „Auf<br />

Drei! Eins. Zwei. Drei.“ Mit zusammengebissenen Zähnen<br />

bewegten sie die Platte einige Meter. Es reichte für Smith, um


die Frau unter den Trümmern hervorzuziehen. Das Bein<br />

blutete stark und war extrem verbogen. Allan sah das Weiß<br />

eines Knochens.<br />

„Smith!“<br />

Die Ärztin begann sofort mit der Untersuchung. D’Agosta<br />

riskierte einen Blick in die Kapsel, sich fragend, ob dort<br />

drinnen auch jemand medizinische Hilfe benötigte. Er bereute<br />

sofort nachgesehen zu haben. Die Insassen hatten nicht das<br />

Glück aktivierter Trägheitsdämpfer gehabt. Ihr Knochengerüst<br />

war vollkommen zermatscht. Mit einer Grimasse und einem<br />

flauen Gefühl im Magen, schloss D’Agosta die Luke wieder.<br />

Crocker hatte ihm über die Schulter gesehen und begegnete<br />

seinem Blick. Da ertönte Geschrei hinter ihnen - Die Kapsel,<br />

aus der das unsichtbare Plasma austrat. Die Luke schwang auf.<br />

Drinnen loderte ein Feuer. Zwei Leute wollten rausspringen:<br />

unter ihnen Toye.<br />

Hawk riss die Augen auf. „Toye! Toye, raus da.“ Er begann zu<br />

winken und auf die Kapsel zuzulaufen. „Los, macht schon,<br />

raus da!“ Crocker versuchte ihn festzuhalten, bekam ihn aber<br />

nicht zu fassen. Entgegen aller Vernunft rannte Hawk wild mit<br />

den Armen gestikulierend auf sie zu. „Ihr müsst da raus, los<br />

ra-“<br />

Weiter kam er nicht. Ein Funken des Feuers im Innern der<br />

Kapsel entzündete das Plasma. Es gab einen grellen Lichtblitz.<br />

In einer monströsen Explosion, wurde die Kapsel und alle<br />

Insassen zerfetzt. Der Boden rumpelte. Die Druckwelle<br />

erfasste den strauchelnden Hawk, riss ihn von den Beinen und<br />

warf den Piloten wie ein Spielzeug mehrere Meter durch die<br />

Luft.<br />

Smith kam panisch hoch, rief Hawks Namen und hetzte zu<br />

ihm, doch der Pilot rührte sich überhaupt nicht.<br />

Trümmer prasselten auf D’Agosta nieder. Die Druckwelle<br />

hatte ihn glatt umgehauen. Er hustete. Neben ihm lag Crocker.<br />

„Sind Sie okay?“


„Aye.“<br />

Allan drehte den Kopf. „Und was ist mit Ihnen?“ Die junge<br />

Frau mit dem verletzten Bein – Ensign Hallie - nickte<br />

benommen. Sie war kaum bei Bewusstsein.<br />

„Bleiben Sie bei ihr, Chief.“<br />

„Glauben Sie mir, Ich gehe nirgendwo hin.“<br />

Hawk zuckte vor Schmerz zusammen, als D’Agosta und ein<br />

Sanitäter ihn auf einen Tisch ausstreckte. Eigentlich war es<br />

kein Tisch, sondern lediglich die verbogene Türluke einer<br />

Rettungskapsel, die man auf den heißen Boden gelegt hatte,<br />

aber es musste reichen. „Sieht aus, als hätte ich kein Glück,<br />

was?“<br />

„Nein, hast du nicht.“, sagte Rhonda. „Aber jetzt bleib ruhig,<br />

Cooper.“<br />

Der Sani betrachtete den verbannten Körper des Lieutenants,<br />

begegnete Smiths ernsten Blick und begann dann Stofffetzen<br />

auf die Blutungen zu stopfen, was sich als Schwierig erwies,<br />

da Hawk aus fast allen Öffnungen blutete. Und davon gab es<br />

reichlich. Er hatte viel Blut verloren.<br />

„Rhonda, ich kann nichts sehen. Meine Augen.“<br />

„Ruhig bleiben, Cooper.“ Sie sah auf. „Haben wir irgendwo<br />

einen Arztkoffer?“<br />

Der Sani schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Vielleicht ist<br />

noch einer in einer der Rettungskapseln.“<br />

„D’Agosta, sehen Sie nach.“ Smith wandte sich an den Sani.<br />

„Und Sie sehen nach der Frau.“<br />

Der Sani eilte mit D’Agosta fort. Smith und Hawk waren ein<br />

wenig Abseits allein. Rhonda betastete Hawks Oberkörper.<br />

„Wie schlimm ist es?“, fragte Hawk.<br />

„Könnte schlimmer sein.“, sagte sie leichthin. „Du wirst es<br />

überleben.“


In Wahrheit sah es übel aus. Hawks Oberkörper war fast<br />

vollständig verbrannt, Gesicht und Brust aufgedunsen. Überall<br />

hatte er Wunden und die waren Schmutzig.. Rhonda sah Sand<br />

darin. Sie würde die Wunde – die Wunden – reinigen müssen.<br />

„Rhonda.”, sagte Hawk. „Du hast mich angeschnallt, als ich<br />

ohnmächtig war, nicht? Ich verdanke dir mein Leben.“<br />

„Schon gut, Cooper.“<br />

„Nein, nein, das tue ich wirklich.“<br />

„Cooper, diese Ernsthaftigkeit passt nicht zu dir.“<br />

Er starrte geradeaus, konnte noch immer nichts außer<br />

Schwärze sehen. „Ich habe heute Mist gebaut, nicht wahr?“,<br />

sagte er leise.<br />

„Mach dir keine Gedanken.“<br />

D’Agosta kam mit einem kleinen Medikit zurück. Sie öffnete<br />

die Tasche und sah sich das Inventar an. „Das ist alles?“<br />

„Leider. Wir haben jede Menge Morphium und Medikamente,<br />

aber keine Geräte.“<br />

„Morphium.”, wiederholte Hawk leise.<br />

Smith beugte sich über ihn und sah ihm in die Augen, obwohl<br />

sie wusste, dass er ihren Blick nicht erwidern konnte.<br />

„Cooper, ich muss deine Wunden reinigen und das wird dir<br />

ohne Morphium nicht sonderlich gut gefallen. Aber mir gefällt<br />

es wiederum nicht, wenn ich dir welches gebe.“<br />

„Gib es mir.“, sagte Hawk.<br />

„Cooper, du weißt, dass Morphium nicht gut für dich ist. Nicht<br />

nach dem, was du dadurch in den letzten Jahren durchmachen<br />

musstest. Kannst du die Schmerzen aushalten?“<br />

„Morphium.“<br />

„Cooper-“<br />

Hawk seufzte. Er rollte den rechten Ärmel auf und streckte ihr<br />

den Arm hin. „Mach schon.“


„Folge dem Stift.“<br />

„Dad-“<br />

„Folge dem Stift.“, befahl D’Agosta mit ein wenig mehr<br />

Nachdruck, was nichts bedeutete, da er im Grunde immer nur<br />

sanft sprach. Vater und Tochter hatten sich in den Schatten<br />

hinter die Kapsel begeben, mit der sie abgestürzt waren. Wie<br />

ein Monument stand sie mitten in der Wüste, ganz in der Nähe<br />

der anderen Kapseln und umgeben von Trümmern, die bis vor<br />

kurzem noch zahlreich vom Himmel über das komplette<br />

Umland niedergeregnet waren.<br />

D’Agosta kniete vor seiner Tochter und führte die Bewegung<br />

ruhig und gleichmäßig aus. Was er als Stift bezeichnete, war<br />

ein länglicher Metallsplitter, den er langsam vor Judys Gesicht<br />

hin und herbewegte. Rechts, Links, Auf und Ab. Wiederwillig<br />

und genervt folgte das Mädchen dem Stift. D’Agosta seufzte<br />

und ließ ihn sinken. „Dir fehlt wirklich nichts?“<br />

„Mir geht’s gut. Was ist mit dir?“<br />

D’Agosta seufzte erneut. „Geht so. Ich könnte ein paar Aspirin<br />

vertragen.“ Er griff neben sich und rollte eine dünne braune<br />

Jacke mit vielen Taschen auf. Sie war aus festem Stoff<br />

gefertigt, fühlte sie an, wie Polyester. Über der rechten<br />

Brusttasche prankte der Schriftzug einer Band. Daneben, am<br />

Ärmel gab es den dazupassenden Patch mit einer Unterschrift.<br />

„Hier, deine Jacke.“, sagte D’Agosta. Du hast sie in der<br />

Kapsel liegen gelassen.“<br />

„Sie hat ein Loch.“, sagte Judy. „Hier, siehst du?“<br />

Er runzelte die Stirn.<br />

„Wovon?“<br />

Sie kratzte sich am Kinn und setzte eine übertrieben<br />

nachdenkliche Mine auf. „Hm, lass mich überlegen... von dem<br />

Feuer, von den Explosionen, von dem Absturz, von dem<br />

Aufprall... Oder waren es etwa doch nur klingonische<br />

Motten?“ Sie schnaufte. „Such dir was aus, Dad.“


Von dem Loch einmal abgesehen, hatte die Jacke das Feuer in<br />

ihrem Quartier und alles andere aber sehr gut überstanden. Sie<br />

war nicht mal bemerkenswert schmutzig.<br />

Es war Judys Lieblingsjacke. Das modisch zeitgemäßeste.<br />

Und teuerste. Judy hätte sich auch kaum mit einer replizierten<br />

Version zufrieden gegeben. Dem ungeachtet liebte Judy diese<br />

Jacke hauptsächlich aufgrund des Sänger-Autogramm auf dem<br />

Oberarmpatch.<br />

Dennoch sagte er: „Ich kaufe dir eine neue.“<br />

Judy legte den Kopf schief und deutete auf die trostlose<br />

Ebene. „In dem Supermarkt, der auch deine Aspirin vorrätig<br />

hat?“ Sie sprach flippig und sarkastisch – wie üblich.<br />

D’Agosta nickte. „Vielleicht.“ Er schlug die Jacke aus – eine<br />

kleine Staubwolke bildete sich - und legte sie Judy dann über<br />

die Schultern. Mit ihren schwarz lackierten Fingernägeln und<br />

den wuschigen, schwarzen Haaren war sie das typische Girly.<br />

„Ich hab’s dir gesagt, Dad.“, meine Judy in einem gequälten<br />

Ton. „Tausendmal. Wir hätten nicht auf dem Schiff bleiben<br />

sollen. Aber du hörst ja nie auf mich.“<br />

„Ja, du hast es gesagt.“<br />

„Es sieht schlimm aus, oder?“<br />

„Denk dir nichts.“, erwiderte Allan. „Man wird uns suchen. Es<br />

wird alles gut.“<br />

„Das behauptest du immer.“, sagte Judy.<br />

„Weil es immer stimmt.“, entgegnete D’Agosta.<br />

„Das ist nicht wahr. Du hast schon einmal gesagt, dass alles<br />

wieder gut wird, aber das wurde es da auch nicht.“<br />

„Judy-“<br />

„Dad! Ich bin kein kleines Kind mehr.“<br />

D’Agosta seufzte. „Doch, Judy, bist du. Du weigerst dich nur<br />

immens dich wie eines zu benehmen.“<br />

„Das hier ist eine Katastrophe. Ich meine, wir sind vom<br />

verfrellten Himmel gefallen.“ Sie sprach nun leiser. „Wo sind<br />

die Anderen? Wo ist Ashley?“


D’Agosta sah in die Ferne. Erinnerte sich daran, wie Ashley<br />

Bowman gesagt hatte, er solle Judy holen. „Sie ist in die<br />

Rettungskapseln gestiegen, das weiß ich.“, behauptete er.<br />

„Vermutlich ist sie ganz in der Nähe heruntergekommen. Wir<br />

werden Sie finden. Und Floyd hat es sicher auch geschafft.<br />

Spätzchen, bitte. Mach dir keine Sorgen. In ein paar Tagen<br />

sind wir in Sicherheit und dann werden wir auf der Erde<br />

bleiben.“<br />

„Versprochen?“<br />

„Versprochen. Diesmal höre ich auf dich.“<br />

Er steckte ihr das Hemd in die Hose.<br />

Judy schien verärgert. „Hey, das gehört so.“<br />

Dann schob er ihr Haar hinter die Ohren und lächelte.<br />

„Dad, lass das.“, sagte sie ohne großen Nachdruck. „In der<br />

ModernGalaxy steht, das wird in zwei Monaten so getragen.“<br />

„In der ModernGalaxy, wie?“ D’Agosta schaute auf, als er<br />

Schritte hörte. Brenda Isaac begrüßte ihn mit einem knappen<br />

Nicken. Inzwischen hatte sie ihr Gesicht gereinigt. Der tiefe<br />

Schnitt auf der Wange blutete schon lange nicht mehr. „Ich<br />

habe Tupfer mitgebracht.“, sagte sie und kniete sich neben<br />

D’Agosta. „Wie geht es ihr?“<br />

„Munter, wie immer.“, antwortete Allan. Er nahm die Tupfer<br />

aus einem kleinen Beutel und tupfte Judy damit vorsichtig die<br />

Blutflecken kleiner Kratzer von der Stirn. „Sie hat ein paar<br />

Schnittwunden. Aber es ist nichts gebrochen.“<br />

„Ich hatte ja so unglaubliches Glück.“, sagte Judy übertrieben<br />

sarkastisch.<br />

„Ihr Kopf sieht allerdings übel aus.“, feixte D’Agosta.<br />

Isaac lächelte. „Mach dir keine Sorgen, Kleine. Es wird alles<br />

gut.“<br />

Judy rollte mit den Augen. „Hmpf.“<br />

„Brenda, wer war in den restlichen Kapseln? Einer der<br />

Führungsoffiziere?“<br />

„Ne, ich glaube Sie sind der Einzige.“


Ein Kloß bildete sich in Allans Hals. Er war der Einzige. Der<br />

Ranghöchste.<br />

„Und... und wie ist der übrige Status?“, fragte Allan langsam.<br />

Isaac zögerte. Blickte von Judy zu Allan. Er wusste, dass dies<br />

bedeutete, sie habe schlechte Nachrichten, wolle sie vor seiner<br />

Tochter aber nicht aussprechen. „Sieht alles ganz gut aus.“<br />

„D’Agosta!“, rief plötzlich jemand anderes. Allan drehte den<br />

Kopf. „Was ist?“<br />

„Kommen Sie.“<br />

D’Agosta runzelte die Stirn. „Was ist?“<br />

„Wir haben noch weitere Überlebende gefunden!“<br />

In der Ferne erspähte D’Agosta drei Gestalten auf das Lager<br />

zumarschieren. Eine von ihnen war ihm vertraut. Er erkannte<br />

die Uniform, denn niemand sonst an Bord trug eine solche. Er<br />

erkannte ebenso die Frisur, auch wenn sie nun völlig zerstört<br />

war. Es war Nechayev.


Basislager<br />

Sie kamen über die Lichtung gelaufen, riefen „Admiral!<br />

Admiral! Sie sind in Sicherheit.“ Es war eine kleine Gruppe<br />

von Sternenflottenoffizieren. Der Systemanalytiker namens<br />

D’Agosta, mit seinem dichten dunklem Haar und den<br />

außerordentlich schwarzen Augen und zwei Leute von der<br />

Sicherheit. Sie verlangsamten einige Meter vor Nechayev und<br />

hielten dann ganz an. „Admiral. Geht es ihnen gut? Haben Sie<br />

Verletzungen erlitten?“<br />

„Wir sind heil runtergekommen.“, sagte Nechayev, ohne<br />

stehen zubleiben.<br />

„Das kann man von den meisten nicht behaupten.“, sagte<br />

D’Agosta und schloss sich ihr, Nottingham und King an. Aus<br />

Nottinghams Mine konnte er absolut keine Regung lesen.<br />

King hingegen schien nervös. Der Schweiß rann ihm über die<br />

Stirn, immer wieder tupfte er ihn mit einem weißen Tuch ab.<br />

Nechayev fragte: „Wie viele haben es geschafft?“<br />

„Hm, Wir haben noch keine Zählung durchgeführt. Viele sind<br />

es nicht. Haben Sie vielleicht andere-“<br />

„Nein.“, sagte Nechayev. „Niemanden sonst.“ Sie erreichte die<br />

Absturzstelle der in einer Gruppe heruntergekommenen<br />

Kapseln und sofort bildeten die erschöpften Überlebenden der<br />

Raumschiffkatastrophe einen erwartungsvollen Halbkreis um<br />

sie. Manche wirkten durch ihre Anwesenheit erleichtert – vor<br />

allem D’Agosta.<br />

Andere schienen argwöhnisch zu sein, immerhin war<br />

Nechayev der Besatzung fremd und nur für diese eine Mission<br />

an Bord gekommen. Schließlich blieb Nechayev in der Gruppe<br />

stehen. Und sah in die erwartungsvollen Augen Allan


D’Agostas. „Was... was sollen wir jetzt tun, Sir?“, fragte er.<br />

„Wie lauten ihre Befehle?“<br />

Es kam Nechayev beinahe vor, als würde kollektiv der Atem<br />

angehalten.<br />

Lächerlich!<br />

„Die Verletzten wurden versorgt?“<br />

„Soweit es die medizinische Ausrüstung zuließ.“, nickte<br />

D’Agosta.<br />

„In Ordnung.“, entgegnete Nechayev und begann Aufgaben<br />

zuzuweisen. „Erstens: Wir schlagen ein Basislager auf, von<br />

dem aus wir unser weiteres Vorgehen koordinieren. Dieses<br />

Absturzstelle wird dafür genügen. Die Kapseln werden<br />

aufgerichtet und notdürftig repariert, sodass sie uns genügend<br />

Schutz vor Witterungsverhältnissen bieten können, bis wir ein<br />

anderes Arrangement gefunden haben. Sofern wir Waffen<br />

haben, können wir diese zur Verteidigung, oder Notfalls zur<br />

Jagd verwenden. Andernfalls werden wir welche Herstellen.<br />

Speere, Äxte. So was in der Art.“ Sie drehte den Kopf.<br />

„Zweitens: D’Agosta, Sie weisen Teams an die Ausrüstung zu<br />

sortieren und den Zustand der Ausrüstung zu prüfen. Phaser,<br />

Notbaken, Tricorder, hitzereflektierende Decken, Schlafsäcke<br />

Nahrungsrationen, sowie medizinische Geräte - alles, was aus<br />

den Notfallkoffern der Fluchtkapseln übrig geblieben ist.<br />

Danach werden die Geräte in einer der Kapseln, die wir ab<br />

sofort als Ausrüstungskapsel verwenden gelagert und sortiert.<br />

Ich erwarte eine vollständige Auflistung unseres Equipment<br />

innerhalb der nächsten Stunden mit Vermerk, welche Geräte<br />

noch ein wenig Energie haben.“<br />

Sie sprach schnell und bestimmt. D’Agosta fühlte sich mit<br />

jedem Wort zunehmend von einer gewaltigen Verantwortung<br />

erleichtert.<br />

„Drittens: Wir werden zwar bestimmte Teams einteilen, aber<br />

jeder hat es nun zur Aufgabe, Ausschau nach Wasser,<br />

Nahrung und Zuflucht zu finden. Berge, Höhlen, Felsen, die


vor Wind, Wetter und dieser unerträglichen Hitze schützen<br />

und so weiter. Als nächstes müssen wir herausfinden, wie<br />

lange der Tag-Nacht-Zyklus des Mondes ist und ob er<br />

überhaupt einen hat, der für den nötigen Kondensationseffekt<br />

nützlich ist. Wenn das der Fall ist, dann sollten wir ein Solar-<br />

Destilliergerät konstruieren. Am besten sogar mehrere auf<br />

einmal. Hat jemand davon Ahnung?“<br />

Zaghafte Blicke wurden ausgetauscht.<br />

„Aye. Hier ich!“, hob jemand die Hand.<br />

„Rang und Name?“<br />

„Chief Manilow Crocker.“<br />

„Hervorragend, Chief, Sie sind jetzt unser Wasseroffizier.“ Sie<br />

atmete tief ein. „Doktor Smith, irgendwelche medizinischen<br />

Hinweise?“<br />

Smith starrte Nechayev nur an. Ihr Blick war eiskalt. Und<br />

wäre sie dazu in der Lage gewesen, sie hätte Blitze mit den<br />

Augen verschossen. Allan wusste nicht recht, was zwischen<br />

den beiden Vorgefallen war, aber Rhonda war wütend, kein<br />

Zweifel.<br />

Dennoch verbarg sie es gut und sprach neutral, als sie vortrat.<br />

„Wer ausgedehnte Strecken zu Fuß bewältigen muss, wendet<br />

ein ruhiges, gleichmäßiges Schritttempo an, um Energie zu<br />

sparen und unnötiges Schwitzen zu vermeiden. Atmen Sie<br />

durch die Nase und sprechen Sie möglichst wenig, um die<br />

Austrocknung durch Verdurstung aus dem Mund zu<br />

vermeiden. Halten sie sich bestmöglich nur in den Schatten<br />

der Felsen oder Fluchtkapseln auf.“<br />

Nechayev fügte hinzu: „Das Allerwichtigste ist, dass niemand<br />

in Panik gerät. Wir sollten uns genau über alle Aspekte der<br />

Situation informieren, eine umfassende Analyse des Terrains<br />

vornehmen, mögliche Gefahren untersuchen, sowie nützliche<br />

Materialien sammeln. Bewahren sie Ruhe. Der Absturz mag<br />

verheerend gewesen sein und die Umstände des Unfalls sind<br />

uns noch nicht ganz klar, aber unsere gegenwärtige Lage wird


nicht von Dauer sein.“ Ohne rot zu werden, versicherte sie:<br />

„Wir werden gerettet werden. Wenn Sie sich an ihr<br />

Überlebenstraining halten, wird ihnen nichts geschehen.“<br />

Nechayev nickte, als müsse sie ihre eigenen Worte bestätigen.<br />

„Das wär’s dann. An die Arbeit.“<br />

„Nicht in Panik geraten.“, wiederholte Halli in einem<br />

sarkastischen Tonfall Nechayevs Worte. Sie fuhr sich durch<br />

das kurze, blonde Haar „Die hat vielleicht Nerven. Au!“<br />

Ensign Hallie gehörte zur menschenähnlichen Spezies der<br />

Naberi, eine der zahlreichen Mitgliedswelten der Föderation.<br />

Für ihre Rasse typisch, schimmerte Hallie’s Haut in einem<br />

sehr hellen rosa. Die Wangen glühten immer rot. Hallie war<br />

noch sehr jung, gerade mal neunzehn Zyklen alt. Aus ihren<br />

großen, offenen braunen Augen hatte sich jedoch jegliche<br />

Unschuld zurückgezogen – teils durch ihren schneidenden<br />

Sarkasmus, teils wegen der Dinge, die sie im Dominion-Krieg<br />

gesehen hatte, als sie bei den Bodentruppen kämpfte.<br />

Sanitäter Roe, der ihr Bein vorhin hochgelegt hatte und es nun<br />

mit äußerster Sorgfalt behandelte, zuckte mit den Schultern,<br />

ohne von seiner Arbeit aufzusehen. „Tschuldigung.“<br />

„Kriegen Sie’s wieder hin?“<br />

„Denke schon, Hallie. Ist nicht so wild.“ Eine Untertreibung.<br />

Es klaffte eine tiefe Wunde in ihrem Bein, die fast bis zum<br />

Knochen ging. Aber die Arterie war unverletzt geblieben und<br />

das war ein Glück. Die Wunde war allerdings schmutzig, er<br />

musste sie nun säubern und das war eine schmerzhafte<br />

Prozedur.<br />

„Autsch!“<br />

Sie verformte das Gesicht zu einer Grimasse und vergrub die<br />

langen Fingernägel in den Stoff ihrer Jacke.<br />

„Soll ich ihnen nicht doch lieber Morphium geben?“


Hallie biss die Zähne zusammen. „Damit ich rosa Elefanten<br />

sehe? Wie Hawk? Nein, ich halte das schon aus.“<br />

„Eine übertriebene Tapferkeit.“, tadelte Roe gleichmütig. In<br />

Wahrheit war er froh, so konnten sie das Morphium horten.<br />

„Heißt es nicht, was mich nicht umbringt, macht mich nur<br />

noch härter?“<br />

„Ihre Entscheidung.“<br />

Hallie verkrampfte und zuckte zusammen, als Roe die Wunde<br />

weiter säuberte. Er bemühte sich so sanft vorzugehen wie<br />

möglich, aber die Schmerzen ließen sich nicht vermeiden.<br />

Nicht, wenn Hallie weiter darauf bestand keine Schmerzmittel<br />

einzunehmen.<br />

Nach einer Weile sagte sie mit gepressten Lippen: „Also hat<br />

jetzt Admiral Nechayev die Befehlsgewalt, was?“<br />

„Scheint so, ja.“ Er sah kurz auf. „Sie mögen Sie nicht?“<br />

„Ne. Außerdem habe ich... Gerüchte gehört.“<br />

„Gerüchte? Was für Gerüchte?“<br />

„Nach allem was man so sagt, ist Sie ein ziemlich harter<br />

Knochen. Und offenbar ist Sie in zwielichtige Operationen<br />

verwickelt. Zumindest soll das während dem Krieg so<br />

gewesen sein. Man munkelt da so einiges. Autsch! Verdammt,<br />

Roe!“<br />

Er wackelte über ihr Bein gebeugt mit den Schultern. „Selbst<br />

schuld.“<br />

„Sie sind ein Sadist.“<br />

„Erzählen Sie weiter von Nechayev.“<br />

Hallie fragte: „Wollen Sie mich ablenken?“<br />

„Wenn es funktioniert, warum nicht? Also, was haben Sie<br />

denn noch gehört?“<br />

„Ach, ich weiß nicht genau. Sie scheint was mit Sektion 31 am<br />

Hut gehabt zu haben und so weiter. Nechayev ist jedenfalls<br />

nicht unbedingt jemand, von dem ich gerne Befehle entgegen<br />

nehmen würde.“<br />

„Wer wäre dann besser? Vielleicht D’Agosta?“


Hallie machte nur: „Hm.“<br />

Roe lächelte. „Oder vielleicht niemand?“<br />

Sie schnaubte. „Anarchie ist das Letzte, was wir in dieser<br />

Lage gebrauchen können. Irgendwer muss die Befehle geben,<br />

sonst fallen alle übereinander her. Aua.“<br />

„Durchhalten. Sie machen das ganz prima, Hallie. Bin auch<br />

gleich fertig. Übrigens, das ist ein tiefsitzendes, menschliches<br />

Vorurteil.“<br />

„Was meinen Sie?“<br />

„Menschen gehen davon aus, dass eine Gesellschaf eine<br />

zentrale Führung braucht.“, erklärte Roe. „Machtblöcke haben<br />

Regierungen. Unternehmen ein Management. Flotten ihre<br />

Admiräle, Raumschiffe ihre Kommandanten. Menschen<br />

glauben gemeinhin, dass eine Gesellschaft ohne zentrale<br />

Führung im Chaos versinkt. Wie Sie eben sagten.“<br />

„Ist es denn nicht so? Als Sicherheitsoffizier bin ich jedenfalls<br />

noch keiner Gesellschaftsstruktur begegnet, bei der das anders<br />

wäre. Die Binären und die Borg mal ausgenommen, aber die<br />

haben ja auch einen miteinander verbundenen Geist. Aber eine<br />

Gesellschaft ohne Hive-Bewusstsein und ohne zentrale<br />

Führung bringt doch nichts vernünftiges Zustande.“<br />

„Das stimmt nicht ganz. Ich sage ihnen, dass extrem dumme<br />

Wesen, mit einem Gehirn, kleiner als ein Nadelkopf<br />

Bauprojekte verwirklichen können, die komplizierter sind, als<br />

das meiste, was der Mensch geschaffen hat. Aber so ist es.<br />

Und das ohne zentrale Führung.“<br />

„Ich fürchte ihnen nicht ganz folgen zu können.“, gestand<br />

Hallie.<br />

Roe war weiter an ihrem Bein beschäftigt. „Afrikanische<br />

Termiten zum Beispiel. Diese kleinen Insekten bauen<br />

regelrechte Wohnburgen von dreißig Metern Durchmesser mit<br />

Türmen, die sechs Meter hoch in die Luft ragen, wussten Sie<br />

das?“<br />

„Nein, wusste ich nicht.“


„Um diese Leistung richtig zu würdigen, muss man sich nur<br />

vorstellen, dass diese Bauten, wenn Termiten so groß wie<br />

Menschen wären, Wolkenkratzer von einer Meile Höhe und<br />

fünf Meilen Durchmesser wären. Und wie ein Wolkenkratzer<br />

hat der Termitenhügel eine ausgeklügelte Innenarchitektur, die<br />

für frische Luft sorgt, überschüssiges CO2 und Hitze abführt<br />

und so fort. Im Innern des Baus befinden sich Gärten, wo die<br />

Nahrung wächst, Gemächer für das königliche Paar und Platz<br />

für sage und schreibe zwei Millionen Termiten. Kein Hügel ist<br />

genau wie der andere; jeder wird entsprechend den<br />

Bedingungen und Vorteilen der jeweiligen Gegend gebaut.“<br />

„Ach?“<br />

„Ja. Und das alles gelingt ohne Architekt, ohne Vorarbeiter,<br />

ohne zentrale Autorität. Es ist auch kein Konstruktionsplan in<br />

den Termitengenen einprogrammiert. Wirklich nicht. Die<br />

gigantischen Schöpfungen Sind stattdessen das Ergebnis von<br />

verhältnismäßig einfachen Regeln der Termiten im Umgang<br />

miteinander. Regeln wie: „Wenn du riechst, dass eine Termite<br />

hier war, leg ein Sandkügelchen an die Stelle.“ Und dennoch<br />

ist das Ergebnis unbestreitbar komplexer als viele menschliche<br />

Werke.“<br />

Hallie hob die Brauen und erwiderte äußerst sarkastisch: „Ist<br />

nicht wahr!“<br />

„Doch.“ Roe richtete sich auf und klopfte die Hände ab.<br />

„Fertig. Und ich hab Sie obendrein auch noch gekonnt<br />

abgelenkt.“<br />

Dann bemerkte er, dass Hallie ihn sehr argwöhnisch anblickte.<br />

„Wissen Sie Roe, Sie sind sehr attraktiv.“<br />

„So?“<br />

„Ja, sind Sie. Und genau deswegen, sollten Sie nicht anfangen<br />

von Termiten und dergleichen zu faseln, weil... weil das ist<br />

irgendwie freakig und gruselig.“<br />

Nun musste er lächeln. „Ich bin nun einmal Wissenschaftler.“<br />

Hallie hielt den Daumen nach unten. „Freeeakig.“


Er schmunzelte. „Okay, keine Termiten mehr. Aber Ihr Bein<br />

ist jetzt soweit gesäubert. Ich werd’s gleich noch verbinden.<br />

Bis Hilfe eintrifft, müssen Sie das Bein jedenfalls absolut<br />

ruhig halten, damit es sich nicht entzündet.“<br />

„Ruhig halten. Hab verstanden.“<br />

„Und ja keinen Dreck in die Wunde kommen lassen. Sonst<br />

zwingen Sie mich, die Madentherapie einzusetzen, um die<br />

Wunde von nekrotischem Gewebe und Bakterienbefall zu<br />

reinigen.“<br />

Hallie sah ihn entgeistert an. „Das ist ’n Scherz?“<br />

Roe hob die Brauen und setzte eine Unschuldsmine auf.<br />

Hallie seufzte und lehnte sich zurück. „Alles klar. Danke,<br />

Termitensani.“<br />

Roe legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Durchhalten.“ Dann<br />

richtete er sich ächzend auf. Die Sonne stand hoch am<br />

Himmel. In der weiten Ebene flimmerte die Mittagshitze. Er<br />

beschloss Smith mit Hawk zu unterstützen. Auf dem Weg<br />

dorthin, begegnete er dem kleinen Mädchen, das - die Hände<br />

in den Jackentaschen gesteckt, durch die Reihen der Kapseln<br />

schlenderte. Sie schien sich zu langweilen. „Hey, uh...<br />

Judith?“<br />

„Judy. Nur Leute, die was blödes wollen, oder rummeckern<br />

nennen mich Judith.“<br />

„Judy, okay. Du könntest dich nützlich machen, wenn du<br />

magst.“<br />

„Und wie?“<br />

Er kniete sich vor ihr hin. „Hast du Lust mein<br />

Wissenschaftsoffizier zu sein?“<br />

„Ihr Wissenschaftsoffizier?“, wiederholte sie monoton und mit<br />

hochgezogenen Brauen.<br />

„Ja, warum nicht? Untersuche alles. Weißt du, wir benötigen<br />

dringend Verbände und medizinische Geräte. Du weißt schon.<br />

Wenn du dich also ein wenig für mich umsehen würdest, wäre<br />

das sehr hilfreich.“


„Geht klar.“<br />

„Prima, danke.“ Er tätschelte ihren Kopf – was Judy gar nicht<br />

gefiel - und ging weiter. Judy grummelte und versuchte<br />

schnell wieder ihre Frisur zu richten. „Ja, die einstige<br />

Gefangene der <strong>Shenandoah</strong> soll sich nun, auf dem Mond<br />

gestrandet, der Crew anschließen. Was wären die nur ohne<br />

mich...“ Sie rollte mit den Augen und sah sich um. Es gab<br />

genug Typen, die momentan nichts anderes zu tun hatten, als<br />

in den zahlreichen Trümmern herumzustochern und alles nach<br />

Verwertbarem zu sortieren.<br />

Da musste Sie ja nicht auch noch im Dreck wühlen. Tatsache<br />

war, dass sich Judy reichlich überflüssig vorkam, was schlicht<br />

und ergreifend daran lag, dass sie überflüssig war. Es gab an<br />

der Absturzstelle nichts zu tun für sie. Absolut nichts – keine<br />

Verbesserung der Situation also, denn auf der <strong>Shenandoah</strong> war<br />

es auch nicht anders gewesen. Und die Umgebung sah nicht<br />

besonders erkundenswert aus. Ödnis, Berge, Ödnis und wieder<br />

Berge und-<br />

Höhlen.<br />

Judy runzelte die Stirn. Sie entdeckte mindestens eine große<br />

Höhle am Fuß der sichelförmigen Hügelstruktur in der sie<br />

abgestürzt waren. Vielleicht war sie groß genug, um sie alle<br />

aufzunehmen. Falls Regen herabfiel, oder sie sich verstecken<br />

mussten, oder dergleichen. Jemand sollte sich die Sache mal<br />

näher ansehen. Außerdem war das besser, als zwischen den<br />

Toten und Erwachsenen, die ihr den Kopf tätschelten,<br />

herumzuschlendern.<br />

Er will, dass ich bei den Forschern bin, dachte Judy. Also<br />

muss ich Forschen.<br />

Sie zog ihre Jacke zu und marschierte pfeifend los.


Hawk<br />

„Wie geht es ihm?“, fragte D’Agosta.<br />

„Von Minute, zu Minute besser.“, meinte Hawk und seufzte.<br />

Sein Körper entspannte sich. „Wissen Sie, es hat einen Grund,<br />

warum Leute Morphium mögen.“, sagte er.<br />

Rhonda Smith befestigte einen weißen Verband um Hawks<br />

freiliegende Brust. Die Haut war verbrannt, das Fleisch stank<br />

verkohlt. Der Pilot konnte seit der Explosion noch immer<br />

nichts sehen. „Haben Sie neue medizinische Geräte<br />

gefunden?“<br />

„Leider nein.“, antwortete D’Agosta. „Die Anderen haben<br />

auch nichts dabei.“<br />

„Sicher?“<br />

„Ja, hundertprozentig.“<br />

Rhonda verzog das Gesicht.<br />

„Wie geht es ihm?“<br />

Sie schüttelte den Kopf. „Wir brauchen Hilfe.“ Sie wusste<br />

bloß, dass keine kommen konnte.<br />

„Nur Ein paar Tage.“, sagte D’Agosta. „Dann hat die Sternenflotte<br />

uns spätestens gefunden. Solange muss er durchhalten.“<br />

Smith sagte nichts.<br />

„Mir geht’s gut.“, versicherte Hawk mit schläfriger Stimme.<br />

„Ich bin nur traurig.“<br />

Rhonda sagte zu D’Agosta: „Ich werde die Wunde jetzt<br />

säubern. Bitte halten Sie ihn fest.“ Und lauter sagte sie:<br />

„Worüber bist du traurig, Cooper?“<br />

„Darüber, dass unwiderruflich alles zugrunde geht, Rhonda.<br />

Und die Borg werden auch zugrunde gehen. Arme Kerle ...<br />

Autsch! Was machst du da?“


„Erzähl einfach weiter.“ sagte Rhonda, über seinen Brustkorb<br />

gebeugt. „Wieso werden die Borg zugrunde gehen?“<br />

„Aussterben, werden sie, Rhonda. Weil sie versuchen, die<br />

Natur zu kontrollieren. Weißt du, das Leben ist so unglaublich<br />

Komplex. Ich meine, ein befruchtetes Ei hat wie viele Gene?“<br />

„Etwa hunderttausend.“, antwortete Rhonda, noch immer an<br />

seinen Wunden arbeitend.<br />

„Hunderttausend Gene, die koordiniert agieren, sich zu ganz<br />

bestimmten Zeiten an- und wieder abschalten, um aus einer<br />

einzelnen Zelle ein vollständiges Lebewesen zu machen.<br />

Diese eine Zelle teilt sich, und die nachfolgenden Zellen sind<br />

anders. Sie spezialisieren sich. Aus einigen werden Nerven.<br />

Aus anderen Organe. Aus wieder anderen Gliedmaßen.“<br />

„Du hast dich mit den Büchern beschäftigt, die ich dir gegeben<br />

habe.“<br />

„Ja, ist doch richtig, bisher, oder?“<br />

„Ja, vollkommen richtig. Erzähl weiter.“<br />

„Okay. Jede Zellinformation folgt ihrem eigenen Programm,<br />

sie entwickelt sich und zeigt Wechselwirkungen mit anderen.<br />

Schließlich gibt es zweihundertfünfzig verschiedene Arten<br />

von Zellen, die sich alle gemeinsam entwickeln, zu genau der<br />

richtigen Zeit. Der richtigen Zeit, ja. In dem Augenblick, da<br />

der Organismus ein Kreislaufsystem braucht, fängt das Herz<br />

an zu schlagen. Sobald Hormone benötigt werden, fangen die<br />

Nebennierendrüsen an, sie zu produzieren. Woche um Woche,<br />

vollzieht sich diese unglaublich komplexe Endwicklung mit<br />

absoluter Präzision – das ist perfekt. Eine natürliche<br />

Perfektion, die wir Menschen nicht imitieren können und die<br />

Borg auch nicht. Autsch, nicht so stürmisch.“<br />

„Sorry.“, sagte Rhonda und reinigte weiter seine Wunden.<br />

„Der springende Punkt ist der: Das Leben schafft sich seine<br />

eigene Ordnung, die von der Wechselwirkung seiner Elemente<br />

erzeugt wird. Das ist alles gut, aber es kommt noch ein<br />

weiterer Faktor dazu.“


„Der wäre?“<br />

„Das Verhalten, Rhonda. Und Verhaltensänderungen können<br />

sehr schnell entstehen. Wir bauen den Warpantrieb und<br />

niemand weiß, ob das eine gefährliche Entwicklung ist, oder<br />

nicht. Verhaltensprozesse entwickeln sich so unglaublich<br />

schnell... in zwanzigtausend Jahren sind die Menschen von der<br />

Jagd über den Ackerbau, zu Städten und der Raumfahrt<br />

gekommen. Ich glaube, das alles schief geht und die Borg sind<br />

durch ihre Verhaltensänderung auf dem besten Weg dorthin.<br />

Ich denke die Borg haben eine ähnliche Entwicklung gemacht,<br />

wie wir und dann kam die Verhaltensänderung. Sie wollten<br />

Ordnung mit dem Hive-Bewusstsein erzwingen, aber Ordnung<br />

ist selbstorganisierend, wie die Form eines Kristalls. Das<br />

Hive-Bewusstsein ist das Ende der Spezies Borg.“<br />

„Ja? Wieso?“<br />

„Weil er das Ende der Evolution bedeutet.“, sagte Hawk. „Es<br />

bedeutet Massensterben. Du als Biologin müsstest doch<br />

wissen, dass sich kleine Gruppen in Isolation am schnellsten<br />

entwickeln. Setzt man tausend Vögel auf eine Insel im Ozean,<br />

entwickeln die sich sehr schnell. Aber setzt man zehntausend<br />

Vögel auf einem großen Kontinent, verlangsamt sich ihre<br />

Entwicklung. Was unsere Spezies angeht, so vollzieht sich bei<br />

uns die Evolution vorwiegend über das Verhalten. Du weißt<br />

schon. Weil wir zu einer recht intelligenten Spezies wurden,<br />

wuchs im Laufe der Zeit das Gehirn und damit der Kopf.<br />

Damit die Geburt Mutter und Kind nicht tötet, kommen Babys<br />

also aufgrund der großen Köpfe viel früher zur Welt. Dadurch<br />

verloren wir den Verlust der Adaptiven Fähigkeit. Anpassung<br />

erfolgt bei uns also nicht mehr über die DNS, sondern durch<br />

Lehren. Anpassung bedeutet bei uns Verhaltensinnovation.<br />

Und jeder weiß, dass es nur in kleinen Gruppen zu Innovation<br />

kommt. Drei Leute in einem Komitee können durchaus etwas<br />

bewirken. Bei Zehn wird’s schon schwieriger. Bei Dreißig<br />

Leuten geschieht kaum noch was und bei Dreißigmillionen


geschieht gar nichts. Das ist die Wirkung der<br />

Massenanpassung – sie verhindert, dass etwas geschieht. Sie<br />

vernichtet die Vielfalt. Sie macht alles gleich. Regionale<br />

Unterschiede verschwinden. Alle Unterschiede verschwinden.<br />

Die intellektuelle Vielfalt – die wichtigste Ressource<br />

überhaupt - verschwindet. Deswegen werden die Borg<br />

irgendwann einfach erstarren. Alles wird bei ihnen stehen<br />

bleiben. Jeder denkt dasselbe. Gleichförmigkeit. Au, das tut<br />

weh. Bist du fertig?“<br />

„Fast.“, sagte Rhonda. „Halt durch.“<br />

„Und es wird schnell gehen. Sie werden alle sterben.“<br />

„Du erwähntest eingangs, dass auch wir zugrunde gehen. Weil<br />

wir uns anpassen?“<br />

„Nein, weil wir zuviel verändern. Es ist, wie auf einer<br />

Scheibe. Das Leben am Rande des Chaos. Und in der Mitte ist<br />

die Gleichförmigkeit. Veränderst du zu wenig, wie die Borg es<br />

irgendwann werden, dann bleibst du stehen. Alles bleibt<br />

stehen, es findet keine Evolution mehr statt. Alle sterben.<br />

Veränderst du zuviel und fällst über den Rand – Ende. Und ich<br />

habe uns heute näher an den Rand gebracht. Diese Gruppe.“<br />

„Sag so etwas nicht.“<br />

„Es ist aber so. Der Schmetterlingseffekt. Kleine Dinge haben<br />

große Wirkungen. Weißt du, Toye hat heute meinen Bruder<br />

angesprochen. Ich war abgelenkt. Dadurch vermasselte ich<br />

den Warpsprung. Peng! Wir sind auf diesem Mond gestrandet.<br />

Das verursacht noch weitere Verschiebungen. Jemand streitet<br />

sich um Essen, tötet einen anderen. Der war wichtig für die<br />

Gruppe. Es gerät alles aus dem Gleichgewicht. Andere Sachen<br />

gehen schief. Und weitere sterben. Und plötzlich ist alles<br />

vorbei. Rhonda, ich habe uns in eine Katastrophe gesteuert. In<br />

eine, die uns allen das Leben kosten wird. Es wurde etwas in<br />

Gang gesetzt und ist nun unaufhaltsam.“ Er tastete nach ihrem<br />

Arm und griff ihn fest. Seine Stimme war plötzlich wieder


sehr ernst. „Wir werden sterben, Rhonda! Alles geht<br />

zugrunde!“<br />

Noch vor dreißig Minuten hätte er es nicht geglaubt. Nicht in<br />

alles in der Welt, und wenn es ihm der Konstrukteur dieser<br />

Rettungskapsel, die Chefingenieurin und noch dazu Henry<br />

Archer persönlich in die Hand und beim Augenlicht der<br />

Kinder versprochen hätten. Es war einfach unmöglich. Keine<br />

Rettungskapsel konnte diesen Absturz ohne volle Energie<br />

überstehen, von den Passagieren ganz zu schweigen.<br />

Ensign Hallie hatte zwar in einem Augenblick der Verwirrung<br />

das Wort „Notlandung“ benutzt, aber es war ein Absturz<br />

gewesen. Ein Bilderbuchabsturz sogar. Crocker hatte nach der<br />

siebten, oder achten Rolle aufgehört zu zählen, wie oft sich<br />

ihre Rettungskapsel überschlug. Außerdem hatte Crocker<br />

seine ganze Kraft gebraucht, sich irgendwo festzuhalten, da<br />

sein Gurt gerissen war, um nicht wie der unglückselige<br />

Feta’Nekkesh quer durch das Innere geschleudert zu werden<br />

und sich den Schädel einzuschlagen. Dabei hatte er noch<br />

gesehen, wie sich hinter den Fenstern Wrackteile durch die<br />

Luft bewegt hatten, die eine verdächtige Ähnlichkeit zu den<br />

Teilen gehabt hatten, die eigentlich an ihrer Kapsel gehört<br />

hätten.<br />

Nein – sie konnten diesen Absturz gar nicht überlebt haben.<br />

Aber genau das hatten sie. Und einige andere in anderen<br />

Kapseln auch noch.<br />

Seine Kapsel hockte groß und fett neben einer anderen, gegen<br />

die sie geprallt war – was schließlich ihre Überschlagsreihe<br />

beendet hatte. Sie war zerrupft und einer entschieden größeren<br />

Zahl von Teilen beraubt, als es gesund war, aber trotzdem in<br />

einem Stück und auch bis auf den unglückseligen Nekkesh<br />

und Hallie, die sich das Bein böse verletzt hatte, waren alle<br />

noch an einem Stück – jedenfalls alle aus seiner Kapsel. Mal


von Prellungen abgesehen – und davon hatten sie reichlich<br />

abbekommen. Es gab nicht eine Stelle an seinem Körper, die<br />

nicht weh tat, brannte, oder sich taub anfühlte.<br />

Crocker stöhnte und knackte mit den Fingergelenken, was<br />

zwar keinen erkennbaren Sinn hatte, sich aber irgendwie gut<br />

anfühlte.<br />

Er streckte seine schmerzenden Beine und sah sich um. Hawk<br />

lag noch immer im Morphium-Wahn auf dem heißen Boden.<br />

Smith war über ihn gebeugt und tat mit einem Sanitäter ihr<br />

bestmöglichstes, um ihn im Hier und Jetzt zu behalten. Dass<br />

sie Gefühle für ihn hegte, wie Crocker zu Ohren gekommen<br />

war, motivierte Smith in ihrem Tun natürlich enorm. Der Rest<br />

der Leute war einigermaßen okay. Zwar standen Verletzte<br />

regelrecht Schlange, aber niemand sonst war in ernsthafter<br />

Lebensgefahr. Offenkundig hatte es bei diesem Absturz nur<br />

zwei Möglichkeiten gegeben: Leben, oder sterben.<br />

Der Rest versuchte mit den Überresten der Rettungskapseln<br />

eine Art Basislager aufzubauen, aber die wenigsten schienen<br />

es mit Sinn und Verstand zu tun. Die Meisten hatten offenbar<br />

noch gar nicht begriffen, was eigentlich geschehen war. Die<br />

einzige, die einen geistesanwesenden Eindruck machte, war<br />

die blonde Frau mit dem Schwert, die mit Allan D’Agosta in<br />

der Rettungskapsel heruntergekommen war. Alle anderen...<br />

Crocker schüttelte den Kopf. Sie sammelten die Wrackteile,<br />

um sie nur von einem Ort zum anderen zu bringen. Zumindest<br />

zwei Techniker rationierten das Essen. Und Transporterchief<br />

Isaac versuchte die Notbake an einer der Kapseln in Gang zu<br />

bringen und mit anderen in Kontakt zu treten, aber mehr als<br />

statisches Rauschen und ein missmutiges Beep seitens des<br />

Gerätes erklang nicht. In der Ferne saß jemand auf einem<br />

Felsen und starrte auf einen Punkt, der überall, nur nicht hier<br />

existierte.<br />

Crocker kannte ihn/sie. Es war Chief Petty Offizier/in Natira<br />

198 aus der Stellarkartographie. Er/sie sollte nur für ein paar


Wochen an Bord arbeiten, um ihre praktische Ausbildung auf<br />

einem Raumschiff zu beenden, die für eine Versetzung an das<br />

kartographische Institut auf Antares Drei eine Notwendigkeit<br />

war. Selbst für Zivilisten. Sein/Ihr Sohn hatte ihn/sie für diese<br />

Zeitspanne an Bord begleitet. Er/sie war nicht mit ihm/ihr in<br />

die Kapsel gekommen. Niemand konnte wissen, ob er/sie noch<br />

lebte. Das galt leider nicht nur für ihn/sie. Auch von<br />

Commander Bowman, Captain O’Conner oder den anderen<br />

Mitgliedern der Kommandocrew fehlte jede Spur. Und wenn<br />

Admiral Nechayev nicht unweit von hier runtergekommen<br />

wäre, hätte Crocker keinesfalls mit D’agosta tauschen wollen.<br />

Genaugenommen wollte er es allerdings auch jetzt nicht, denn<br />

eine große Hilfe war Nechayev bei weitem nicht. Auch sie<br />

schien abwesend und mit ihren Gedanken ganz woanders zu<br />

sein. Crocker hatte eben mitbekommen, wie sie zwar eine<br />

beeindruckende Rede abgeliefert, aber dann schnell wieder die<br />

Sache in D’Agostas Hand gelegt hatte, nur um sich<br />

anschließend zurückzuziehen.<br />

Vielleicht fühlte sie sich schuldig. Vielleicht interessierte sie<br />

sich nicht für die Belange der anderen. Crocker wusste es<br />

nicht. Er wollte sich auch keine Gedanken darüber machen.<br />

Was zählte, war jetzt ein gutes Durchhaltevermögen.<br />

„He, Söhnchen. Wie ist dein Name?“, rief er einem untätigen<br />

Sicherheitsoffizier zu. Er konnte höchstens zweiundzwanzig<br />

sein.<br />

„Meinen sie mich?“<br />

„Wen sonst? Also?“<br />

„Garnere, Sir.“<br />

„Garnere, wie? Was machst du da?“<br />

„Ich... ahm... ich habe Ausschau nach Anderen gehalten?“<br />

Crocker brummte. „Da ist eine feine Linie zwischen Ausschau<br />

halten und einfach in der Gegend herumstehen, wie ein Idiot.<br />

Hör zu, Söhnchen, du könntest dich mal was nützlich machen


und mir dabei helfen die Ausrüstung und alles verwertbare<br />

zusammenzusuchen, die noch funktioniert.“<br />

Der junge Mann mit der spitzen Nase und dem erstaunlich<br />

breiten Unterkiefer zögerte kurz. „Okay. Und wie ist dein<br />

Name?“<br />

„Du kennst mich nicht? Es gibt Personen an Bord, die mich<br />

nicht kennen? Ich bin Crocker.“<br />

„Der Crocker? Der große Crocker?“<br />

„Wahrheitsgemäß bin ich nur einsachtzig, aber du kannst mich<br />

auch großer Crocker nennen.”<br />

Garnere lächelte frech und kaute auf seinem Kaugummi.<br />

Crocker kannte diese Art Offizier nur zu gut: Er hielt sich für<br />

einen wilden Cowboy. War mit seinen jungen Jahren vielleicht<br />

mal bei nem Kampfeinsatz dabei gewesen und hatte den<br />

Kaffee für den kommandierenden Offizier gehalten. Und nun<br />

fühlte er sich wie der größte Kriegsveteran überhaupt. Also<br />

musste man ihn auch behandeln, wie einen Cowboy. „Komm<br />

Junge, machen wir uns nützlich.“


Bloodcat-Clan<br />

Die Mittagssonne strömte durch die Luftschlitze in den<br />

ansonsten recht dunklen Kontrollraum der stählernen Festung<br />

und gab dem Raum eine Heiterkeit, die Jaina nicht empfand.<br />

Er telefonierte und sah dabei den Anführer seines Clans an,<br />

der in seiner ledernen Uniform inmitten des regen Treibens,<br />

durcheinanderlaufender Soldaten, wie eine Insel der Ruhe<br />

stand, keine Mine verzog und dadurch kühl wie ein<br />

Leichenbestatter wirkte.<br />

Sein Name war Vesta.<br />

Je nachdem mit wem man sprach, war Vesta prominent als der<br />

raffinierteste, oder eben als der geduldigste Soldat seiner<br />

Generation. Er war ende vierzig, hatte blondes, kurzes Haar<br />

mit Geheimratsecken, so groß wie Landebuchten und einen<br />

durchdringenden Blick.<br />

Am Auffälligsten war vielleicht die Narbe, die sich vom<br />

mittleren Haaransatz über das halbe Gesicht hinunter bis zur<br />

rechten Wange erstreckte. Sein rechtes Auge, dass sich im<br />

Einflussbereich der Wunde erstreckt hatte, war seither blutrot<br />

unterlaufen, was ihm einen zusätzlich beunruhigenden<br />

Eindruck verlieh.<br />

Die Narbe hatte er sich während eines Gefechtes auf der<br />

Tarkonheimatwelt zugezogen, als er alleine mit einem<br />

unterlegenen Trupp Verteidiger dem massiven Angriff zweier<br />

Garnisonen des Kinjal-Clans standgehalten und anschließend<br />

auch noch zurückgeschlagen hatte. Im Grunde eine<br />

Unmöglichkeit. Aber mit Gewitztheit und der richtigen Taktik<br />

hatte er es dennoch geschafft und überlebt. Und gerade


aufgrund seiner Fähigkeiten war es vielen ein Rätsel, warum<br />

er hier draußen, auf der Mülldeponie des zweigespaltenen<br />

Tarkonimperiums diesen heruntergekommenen Verschlag<br />

Soldaten führte. Manche behaupteten es sei eine Taktik von<br />

ihm, er plane auf dem Mond etwas besonderes, was ihrem<br />

Clan die Herrschaft über die verhassten Kinjal-Mistkerle<br />

bringen konnte. Andere wiederum behaupteten, er sei nur<br />

hierher versetzt worden, weil er der Obrigkeit durch seine<br />

Intelligenz ein Dorn im Auge war – denn Vesta war freilich<br />

Loyal dem Bloodcat-Clan gegenüber, aber nicht unbedingt<br />

ihren wohlgenährten Führern, die auch in der Vergangenheit<br />

oft genug versagt hatten – weshalb sie eben jene<br />

Zweigespaltenheit und die Probleme mit den Kinjal erst<br />

hatten. Was auch immer entsprach, mittlerweile war er nicht<br />

mehr der Kommandant einer stolzen Garnison, auf der<br />

Heimatwelt, sondern der Anführer einer Erzabbaufestung auf<br />

dem ungastlichen Mond eines verseuchten Planeten. Jaina<br />

schrieb es seinem straffen Führungsstil zu, dass die Soldaten<br />

hier draußen nicht zu einem solchen Sauhaufen<br />

verkümmerten, wie ihn Beliars Männer darstellten.<br />

„Ich verstehe, Lieutenant.“, sagte Jaina in den Hörer. „Und die<br />

Sensoren haben alles aufgezeichnet? Gut, gut... ja, das werde<br />

ich weiterleiten.“ Er legte auf und wandte sich Vesta zu, der<br />

bisher die Berichte auf dem Tisch studierte hatte, über die er,<br />

sich auf den Tisch abstützend, beugte. Vesta blickte erstmals<br />

auf und sah über den Tisch hinweg zu Jaina. Mit tiefer Stimme<br />

fragte er: „Ist das hier bestätigt?“<br />

„Ja, Sir. Die Sensordaten lassen keine anderen Schlüsse zu.“<br />

Vesta zog die Stirn kraus und blickte wieder auf die Berichte<br />

vor sich. Jaina verstand nicht, wie Vesta so ruhig bleiben<br />

konnte. Was heute passiert war, das... das war schrecklich.<br />

Einfach schrecklich. Er öffnete und schloss die Fäuste und<br />

musste sich wirklich beherrschen, nicht hysterisch auf und ab<br />

zu laufen.


Vesta hingegen fasste die Nachrichten ruhig auf. „Ich möchte<br />

genau wissen, was geschehen ist. Der ganze Hergang und wie<br />

es dazu kommen konnte. Sämtliche Sensordaten, verstanden?“<br />

„Ja, Sir.“, bestätigte Jaina. „Wir sind bislang noch dabei die<br />

Daten auszuwerten.“<br />

„Sehr gut.“<br />

„Das sind zu viele Probleme.“, sagte Jaina und begann sich<br />

über den Nasenrücken zu reiben. „Die Tierwelt macht uns zu<br />

schaffen. Der Waffenstillstand mit Beliar ist mehr als brüchig.<br />

Bei dem Einsturz der Stollen Sieben und Acht, letzte Woche,<br />

sind haufenweise Arbeiter verschieden. Und jetzt diese Sache.<br />

Wir sind komplett von der Heimatwelt isoliert, wenn diese<br />

Berichte hier stimmen – und daran besteht kein Zweifel.“ Er<br />

atmete tief ein und beruhigte sich wieder. „Ich meine, was<br />

werden wir jetzt tun?“<br />

Vesta hatte ihm die ganze Zeit über geduldig zugehört und<br />

hob nun eine Braue. „Das einzige, was wir tun können,<br />

Lieutenant. Was wir tun müssen; Die nicht mehr<br />

veränderlichen Entwicklungen akzeptieren, ruhig bleiben und<br />

dann entsprechende Maßnahmen ergreifen.“ Er räusperte sich<br />

und hob die Stimme, sodass ihn alle im Kontrollraum hören<br />

konnten. „Sämtliche Einheiten sollen sich unverzüglich in die<br />

Festung zurückziehen und auf den Notfallposten einfinden.<br />

Die Abbauarbeiten in den Stollen werden vorrübergehend<br />

ausgesetzt, die Artillerie und die Gefechtsstationen müssen<br />

besetzt werden. Schadet sicher auch nicht die Jäger<br />

aufzutanken, was meinen Sie, Lieutenant Jaina?“<br />

„Gute Idee, Sir.“, nickte Jaina eifrig.“<br />

„Darüber hinaus“, sagte Vesta. „will ich die abschließenden<br />

Resultate der Sensordaten sehen. Haltet Augen und Ohren<br />

offen, Kenntnis ist gegenwärtig das kostbarste Gut.“ Die<br />

Männer und Frauen im Kontrollraum verharrten noch einen<br />

Moment. Dann riefen und liefen plötzlich alle durcheinander,<br />

um Vestas Befehle auszuführen.


Jaina war erleichtert. In der Gegenwärtigen Situation hätten<br />

sie keinen besseren Anführer haben können, als Vesta. Denn<br />

er wusste, was zu tun war. Er würde sie alle aus diesem<br />

Schlammassel befreien, da war sich Jaina gewiss.<br />

„Und darüber hinaus.“, sagte Vesta wieder leise zu Jaina.<br />

„können wir uns nur besinnen und aufpassen, wie sich die<br />

Situation entwickelt. Wir lassen Beliar den ersten Schritt<br />

unternehmen und entscheiden, ob unser Waffenstillstand<br />

weiterhin bestand hat.“<br />

„Was glauben Sie, wie wird er reagieren?“<br />

Vesta lachte spöttisch. „Oh, ich bin sicher Beliar wird die<br />

Nachricht ebenfalls sehr ruhig aufnehmen...“


Kinjal-Clan<br />

„Das ist dein Desaster!“, brüllte Beliar und schlug dem<br />

Lieutenant, der ihm gerade den neuesten Bericht in Form eines<br />

Datenblattes unterbreitet hatte, aus der Hand. Im Fensterlosen<br />

Kontrollraum der Kinjal-Festung, traute sich niemand etwas<br />

zu sagen, aus Furcht, den ewig brodelnden Vulkan Beliar zur<br />

Eruption zu bringen.<br />

Beliar war ein gefürchteter Hund. Kalt, skrupellos und absolut<br />

hart, was ihn zum geborenen Anführer der Kinjal machte –<br />

dem Clan, dessen Erwähnung überall im Imperium Ehrfurcht<br />

verursachte. Viel Ehrfurcht. Immerhin waren sie es gewesen,<br />

die das Imperium gespaltet und die Aufteilung in Klassen<br />

unterbunden hatten und das war nur geglückt, in dem sie<br />

visionären Anführern wie Beliar gefolgt waren, die sich<br />

irgendwann gegen das militärische Regime des Königshauses<br />

aufgelehnt und für die Gesellschaft problematische Anhänger<br />

um sich geschart hatten. Infolgedessen waren die Kinjal eine<br />

Skrupellose Vereinigung, die gegen Verbündete und Feinde<br />

gleichermaßen brutal vorgingen und nie einen Hehl daraus<br />

gemacht hatten, ihre Ziele durch den Einsatz von Gewalt und<br />

der Verbreitung von Schrecken zu erreichen. So waren sie<br />

aufgestiegen und zur Macht gekommen – auch wenn ihnen in<br />

letzter Zeit viele harte Dämpfer von den Bloodcats erteilt<br />

wurden.<br />

Entsprechend wild war Beliar, musste er doch einen Trupp<br />

Wölfe anführen, die jederzeit auch über sich selbst herfallen<br />

konnten. Aber Beliar war keinesfalls dumm. Höchstens... ein<br />

wenig cholerisch.


Und im Moment stand Beliar kurz vor dem Ausbruch. Seine<br />

Glatze war Nass vor Schweiß. Wenn Blicke hätten töten<br />

könnten, er wäre in diesem Moment eine<br />

Massenvernichtungswaffe gewesen.<br />

Die einzige, die vor ihm keine Angst hatte und seinen Respekt<br />

genoss, weil sie mindestens ebenso kalt und zielstrebig war,<br />

war seine rechte Hand und Befehlshaberin der Soldaten Theia.<br />

„Stecken die Bloodcats dahinter?“, fragte sie den Soldaten.<br />

„Haben sie den Waffenstillstand gebrochen?“<br />

„Das können wir mit ziemlicher Sicherheit verneinen, Sir.“<br />

Beliar hielt sich die Faust an den Kinnbart und zeigte Zähne.<br />

„Wer war es dann?“, fragte er.<br />

„Das wissen wir nicht.“<br />

„Warum sagen Sie, kann kein Warpfeld mehr aufgebaut<br />

werden?“<br />

Der Soldat wurde sichtlich unruhig. „Das wissen wir nicht.“<br />

„Sitzen wir nun etwa hier fest?“, fragte er. „Auf diesem<br />

elenden Scheißklumpen von Mond? Wenn das so ist wäre ich<br />

nämlich sehr ungehalten.“<br />

„Wir... wir-“<br />

Beliar rollte die Augen. „Sie wissen es noch nicht.“ Er zog<br />

eine Waffe aus dem Halfter an seiner schwarzen Lederuniform<br />

und richtete sie auf den Mann. „Was haben Sie vor?“, fragte<br />

dieser.<br />

Beliar zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“ Ein<br />

Schuss löste sich donnernd und der Mann wurde<br />

niedergestreckt. An seiner Stirn klaffte ein Loch, er war tot.<br />

„O, das hatte ich also vor. Nun gut.“ Beliar steckte die Waffe<br />

wieder weg und dreht sich zu Theia. „Ich verlange<br />

Antworten!“<br />

„Wir werten die Sensordaten noch aus.“, erwiderte sie<br />

unbeeindruckt. „Aber eines ist klar, überall in der Region sind<br />

kleine Raumschiffe runtergekommen. Es könnte sich um eine<br />

Invasion handeln.“


Sich am Bart spielend, trat Beliar zu einem der Sichtschlitze.<br />

Dahinter dehnte sich weitläufige Einöde aus. „Was ist mit den<br />

Kometen die vorhin runterkamen?“<br />

„Das waren vermutlich beides Raumschiffe. Bei der Anzahl an<br />

Einheiten die von dem einen Schiff abgeworfen wurden, kann<br />

es sich nur um schwere Kreuzer und Trägerschiffe gehandelt<br />

haben.“<br />

„Warum sind sie dann abgestürzt?“<br />

Theia zuckte mit den Schultern. „Das war unter Umständen<br />

kein Absturz. Oder aber die Waffe, die sie im Orbit zündeten<br />

hat ihnen selbst zugesetzt.“<br />

Beliar fletschte die Zähne. „Ich will den Verantwortlichen<br />

dieser Katastrophe. Der Kinjal-Clan wurde soeben angegriffen<br />

und wir werden zurückschlagen.“ Er wandte sich zu Theia um.<br />

„Besetzen Sie die Geschützstationen und entsenden Sie<br />

Spähtrupps, die unser Territorium verteidigen und gegen jeden<br />

Fremden vorgehen. Eindringlinge werden erschossen.“, sagte<br />

er düster. „Überlebende werden erneut erschossen.“


Nechayev<br />

Nechayev fand die Umgebung höchst beunruhigend. Es blitzte<br />

ständig am Himmel, aber Donner war keiner zu hören. Auch<br />

sonst nichts. Als ob auf diesem Planeten keine Geräusche<br />

existierten und die Sternenflottenoffiziere seien nun als<br />

Eindringlinge entlarvt.<br />

Als Krachmacher.<br />

Sie sah sich um. Nachdem sie vor der Sternenflottencrew eine<br />

beeindruckend zielsichere, aber nicht ganz ehrliche Predigt<br />

gehalten hatte, war sie vom Lager entfernt auf einen Hügel<br />

geschlendert und überblickte nun die vor ihnen liegende<br />

Ebene.<br />

In Gedanken ging sie noch einmal durch, was sie vorhin<br />

geschwafelt hatte. Sie werden gerettet werden. Diese Narren!<br />

Sie hatten ja keine Ahnung.<br />

Auf dem sandigen Boden kroch Ungeziefer um ihre Stiefel.<br />

Grün gesprenkelte Käfer mit zuckenden Fühlern. Sie sahen<br />

aus wie Kellerasseln, waren aber so groß, wie eine Faust. Eine<br />

riesige Faust. Nechayev trat eines der Tiere leidenschaftslos<br />

weg und glaubte dabei ein kleines Gequieke zu vernehmen.<br />

Sie hasste Insekten. Für einen Augenblick fragte sie sich,<br />

wieso überhaupt. Weil sie anders aussahen? Nein, das konnte<br />

es nicht sein. Als Sternenflottenbalg, das mit fremden Spezies<br />

– manche mit sechs Armen, andere mit vier Augen, oder<br />

gleich einer Körperstruktur, die nicht einzuordnen war -,<br />

herangewachsen war, konnte es nicht am Aussehen liegen.<br />

Nechayev führte die unter Menschen – unter allen<br />

intelligenten Lebewesen – so weit verbreitete Insektenphobie<br />

einfach darauf zurück, dass sie schlicht und ergreifend


zahlenmäßig weit unterlegen waren. Sechsundneunzig Prozent<br />

aller Tierarten, allein auf der Erde, waren wirbellos. Anders<br />

gesagt: Nur etwa jede zehnte Lebensform war kein Insekt. Die<br />

Vorstellung daran empfand sie irgendwie sehr<br />

furchteinflößend.<br />

Nechayev schob diese Gedanken kopfschüttelnd beiseite und<br />

klappte den Tricorder in ihrer Hand auf. Aber es nützte nichts,<br />

sein Energielevel stand auf null. Frustriert klappte sie das<br />

kleine Gerät wieder zu und drehte sich zu Nottingham, der<br />

schweigend hinter ihr lauerte und die Umgebung auf Gefahren<br />

absuchte.<br />

„Ian, das hier bringt nichts.“, sagte sie. „Die Ausrüstung der<br />

Leute ist ebenso unbrauchbar, wie unsere.“ Nechayev seufzte.<br />

„Ich hatte mir das anders vorgestellt.“<br />

„Wir sollten die Restenergie in unserer Kapsel gebrauchen.“,<br />

sagte Nottingham. „Es ist nicht viel, aber mehr, als wir hier<br />

haben.“<br />

„Ja, das sollten wir.“, sagte sie. „Kümmern Sie sich drum?“<br />

Nottingham nickte knapp und machte sich sogleich auf den<br />

Weg. Wenige Sekunden später war Nechayev wieder allein.<br />

Am Himmel blitzte es. Kein Donner.<br />

Kein Donner.<br />

Nechayev betrachtete den nutzlosen Tricorder in ihrer Hand<br />

und warf ihn wütend fort. „Mistding.“ Zwischen ihren Stiefeln<br />

bewegten sich die Käfer und in den folgenden Minuten war es<br />

Nechayev ein Trost, dem schmatzenden Geräusch zu lauschen,<br />

das entstand, wenn sie die Käfer mit den Stiefeln zermatschte.<br />

Sie befanden sich in seinem privaten Quartier. Captain Gabriel<br />

O’Conner befand sich mit zerknittertem Gesichtsausdruck<br />

hinter seinem Schreibtisch und nahm einen breiten Datenblock<br />

von Nechayev entgegen.<br />

Alynna Nechayev machte ein zufriedenes Gesicht, mit einem


angedeuteten Lächeln und lauernden Augen, als würde es ihr<br />

perverses Vergnügen bereiten, O’Conner zu quälen. O’Conner<br />

sah verdrossen drein, wie ein Kommandant eben, dem man<br />

jemanden vor die Nase gesetzt hatte, den er nicht leiden<br />

konnte.<br />

Er presste die Lippen zusammen und überflog die Liste. Es<br />

war eine ganze Reihe von Anleitungen, Spezifikationen und<br />

Befehlen, die ihm allesamt Merkwürdig erschienen. Im ersten<br />

Punkt wurde angeordnet, die Chefingenieurin der <strong>Shenandoah</strong><br />

möge Multiphasenschilde um den Warpkern errichten. Er<br />

hatte diese Schildkonfiguration noch nie gesehen. Wozu sollte<br />

diese Maßnahme gut sein, fragte er sich. Sah aus, als würden<br />

die Konfigurationen dazu dienen, den Warpkern vor starker<br />

Subraumstrahlung zu schützen, aber auf ihrem Weg zur<br />

diplomatischen Konferenz gab es keinerlei gefahrbergende<br />

Regionen. Nur leerer Raum.<br />

Im nächsten Punkt sollte die technische Station eine neue<br />

Schildmodulation in die Programmdaten des Hauptdeflektors<br />

einfügen, sodass die Hülle extremen Thermalen Druck bis zu<br />

Zwölftausend Grad Kelvin wiederstehen konnte. Außerdem<br />

sollte die gesamte Krankenstation Arithrazin-Impfungen – was<br />

maßgeblich zur Behandlung von hohen Theta-Strahlen-Dosen<br />

eingesetzt wurde -, an der ganzen Besatzung durchführen.<br />

Was hatte das alles mit der diplomatischen Konferenz zu tun?<br />

Ja, an dem Treffen würden zwielichtige Figuren teilnehmen,<br />

Diverse Fraktionen, denen man nicht unbedingt trauen konnte<br />

und entsprechende Vorkehrungen waren normal, aber all diese<br />

Punkte auf Nechayevs Liste waren wohl kaum gebräuchliche<br />

Sicherheitsmaßnahmen. Rechnete sie etwa mit einem Gefecht?<br />

Wusste sie mehr, als er?<br />

Er hatte in den vergangenen neun Stunden, seit ihrem <strong>Star</strong>t<br />

von Deep Space Nine häufig solche Fragen gestellt und<br />

Admiral Nechayev hatte immer homogen reagiert: mit einem<br />

herablassenden Lächeln und dem Hinweis sie wisse, was sie


tue. Nechayev war erst seit neun Stunden an Bord – neun<br />

Stunden! – und hatte gleich nach dem <strong>Star</strong>t keinen Zweifel<br />

bestehen gelassen, wer nun die Befehlsgewalt über sein Schiff<br />

hatte. O’Conner brummte, sagte aber nichts. Es würde ohnehin<br />

nichts bringen. Die einzige Option, die ihm verblieb bestand<br />

darin abzuwarten, bis die Mission beendet und Admiral<br />

Alynna Nechayev wieder von seinem Schiff verschwunden<br />

war. Er segnete alle Punkte auf der ersten Seite ab und setzte<br />

seine Unterschrift mit elektronischem Fingerabdruck drunter.<br />

Dann nahm er sich die nächste Seite vor.<br />

Nechayev blickte sich in seinem Quartier um, musterte den<br />

offenen Schrank und das darin enthaltene Chaos aus Anzügen,<br />

Datenblöcken und privaten Dingen unter denen sie die<br />

rausragende Kante eines Spielbrettes entdeckte.<br />

„Sie spielen Schach?“, fragte sie.<br />

O’Conner sah kurz auf, begegnete flüchtig ihrem Blick und<br />

wandte sich lieber wieder dem Datenblock zu. „Gelegentlich.“<br />

„Schach ist mein Leben.“, sagte Nechayev mit atypischer, fast<br />

schon verträumter Stimme. „Es ist nicht nur ein Spiel, sondern<br />

auch Kunst und Wissenschaft zugleich. Schach hat gut<br />

zweitausend Jahre überlebt, und das nur, weil das Spiel sich<br />

den jeweiligen Zeitumständen angepasst hat. Weil es<br />

fortschrittlich und lehrreich zugleich ist. Das Glück über einen<br />

bahnbrechenden Zug geht nie vorbei.“<br />

O’Conner runzelte die Stirn. Er hatte irgendwie das Gefühl,<br />

dass sie nicht notwendigerweise über Schach sprach, konnte<br />

den merkwürdigen Klang ihrer Stimme aber nicht einordnen.<br />

Sie lächelte... und beobachtete ihn, lauernd wie ein Fuchs.<br />

„Es ist nicht mein Spiel.“, brummte O’Conner und hakte<br />

weitere Punkte auf der letzten Seite ab.<br />

Das Lächeln in Nechayevs Gesicht wuchs in die Breite, wurde<br />

tückischer. „Schach ist ein sehr komplexes Spiel.“, sagte sie.<br />

„Für eine Partie mit vierzig Zügen gibt es mehr verschiedene<br />

Verläufe als Moleküle im Universum. Die wichtigste


Eigenschaft eines Spielers in einem entscheidenden Kampf ist<br />

seine Selbstsicherheit, seine Zielstrebigkeit. Es ist ein geistiges<br />

Messen, bei dem sich nur der Brutale durchsetzen kann.“ Sie<br />

zuckte mit den Schultern. „Man muss dafür geboren sein,<br />

schätze ich.“<br />

O’Conner, der keine Ahnung hatte, ob sie ihm etwas mitteilen,<br />

oder einfach nur provozieren wollte, hatte auch keine Lust und<br />

Geduld es herauszufinden. Er segnete den letzten Punkt ab,<br />

unterschrieb erneut mitsamt Fingerabdruck und legte den<br />

Block beiseite. Dann beugte er sich vor und faltete die Hände.<br />

„Ich bin vorhin den Bericht von Lieutenant Penkala<br />

durchgegangen. Über das Frachtgut, das wir auf DS9<br />

eingeladen haben. Er habe die Container einer routinemäßigen<br />

Untersuchung auf gefährliche Substanzen und Strahlungen<br />

prüfen wollen, aber die Verriegelungssperren ließen sich nicht<br />

öffnen und verlangten eine Kommandoautorisation der Stufe<br />

Zwölf oder höher. Wissen Sie etwas darüber?“<br />

Das prominente Pokerface kehrte in Nechayevs Züge zurück.<br />

Dabei lächelte sie raffiniert und lies keinerlei Schlüsse über<br />

ihre wahren Gedanken zu. Nechayev teilte anderen nie alles<br />

mit, was in ihr vor ging, traute niemandem. Eine innere<br />

Stimme warnte sie vor Vertrauensseeligkeit, ermahnte sie,<br />

andere nicht wissen zu lassen, was in ihrem Kopf vorging. Die<br />

Gefahr verraten zu werden, bestand immer. „Ich habe<br />

Lieutenant Penkala unlängst persönlich zugesichert, dass die<br />

Container unschädlich sind und keine Untersuchung nötig ist.<br />

Mein Begleiter Howard King kümmert sich um sämtliche<br />

Sicherheitsfragen.“<br />

O’Conner überlegte einen Moment. Dann fragte er: „Sind die<br />

Container ebenfalls unentbehrlich für die... richtungsweisende<br />

Konferenz, zu der wir unterwegs sind?“<br />

Nechayev ging nicht darauf ein. Sie behielt das kalte Lächeln<br />

bei und stemmte die Hände in die Hüften. „Seien Sie ganz<br />

unbesorgt, Captain. In wenigen Stunden sind Sie mich wieder


los. Ich bin sicher, dies wird eine ganz normale, eintönige<br />

Mission werden...“<br />

Das regelmäßige Geräusch schwerer Schritte ließ Nechayev<br />

aufsehen. Sie wusste, dass D’Agosta hinter ihr aufgetaucht<br />

war, noch ehe sie sich umgedreht und in das Gesicht des<br />

unsicheren Offiziers geblickt hatte. Der, für seinen Rang<br />

verhältnismäßig junge Mann, trottete mit hängenden Schultern<br />

heran.<br />

Nechayev kannte diese Art von Offizieren: Angreifbar, nervös<br />

und ganz und gar ungeeignet für den Rang und Posten, den er<br />

bekleidete. Ein Beta-Männchen. Unterwürfig und unschlüssig<br />

zugleich. Bis andere ranghohe Offiziere auftauchten, musste<br />

sie sich mit ihm begnügen. Es sollte ihr sogar Recht sein, denn<br />

D’Agosta stellte keine Fragen und würde kaum ihre Befehle<br />

hinterfragen – geschweige denn sich gegen sie aufwenden, da<br />

er Nechayev brauchte. Dies konnte sie ganz klar aus seinem<br />

Blick ablesen. Selbst wenn D’Agosta sie vielleicht nicht<br />

mochte – was aber nicht mal zuzutreffen schien, denn er stand<br />

ihr neutral gegenüber -, so war er doch ohne Nechayev<br />

aufgeschmissen und heilfroh, jemand ranghöheren in der<br />

Gruppe zu haben, der ihm die unangenehme Aufgabe des<br />

Entscheidungen treffen abnahm. Nechayev erhob sich und<br />

glättete ihre Uniform. „Wie geht es dem Piloten?“, fragte sie,<br />

als D’Agosta kurz zum Basislager hinter ihnen blickte.<br />

„Er hat durch die Explosion bedeutende Verbrennungen<br />

erlitten. Es sieht nicht gut aus.“<br />

Nechayev verzog das Gesicht. Sie wusste, was Hawk für<br />

Smith bedeutete. Wenn er starb, konnte das Konsequenzen für<br />

ihre gemeinsame Zusammenarbeit haben.<br />

Zusammenarbeit. Nechayev schüttelte den Kopf. Was sollte es<br />

denn jetzt noch für eine Zusammenarbeit zwischen ihr und<br />

Smith geben?


„Und die Frau? Diese-“<br />

„Hallie.“<br />

„Hallie, ja, richtig.“<br />

„Sie behauptet zwar tapfer das Gegenteil, aber ich weiß, dass<br />

sie ziemlich starke Schmerzen hat.“, antwortete D’Agosta<br />

besorgt. „Wenn sie Fieber bekommt, dann weiß ich nicht, ob<br />

Smith etwas für sie tun kann.“<br />

Nechayev nickte. Sie hatte das Bein der Frau gesehen. Es war<br />

eine sehr tiefe Wunde und sie hatte viel Blut verloren. Wenn<br />

es Komplikationen gab, dann würden sie Hallie verlieren,<br />

denn die medizinische Ausrüstung funktionierte kaum, bis gar<br />

nicht und die meisten medizinischen Systeme und dem<br />

allergrößten Teil der Ausrüstung, lag über Meilen verteilt im<br />

sandigen Boden, auf dem man sie bald schon gar nichts mehr<br />

sehen würden, wie der Wind den Boden umwälzte. Sie hatten<br />

bis auf ein paar Morphiumrationen kaum etwas, um<br />

Schmerzen zu lindern, geschweige denn Entzündungen zu<br />

bekämpfen. Für Nechayev war es fast sicher, dass sie Hallie<br />

verlieren würden. Und für Hawk mahlte sie sich auch keine<br />

guten Chancen aus. Andererseits war Smith eine begabte und<br />

talentierte Ärztin, die es schaffen könnte.<br />

Trotzdem: zwei von – wie viele waren sie überhaupt? Einige.<br />

Hallie und Hawk würden das vermutlich anders sehen, aber es<br />

war kein schlechter Schnitt. Nicht, wenn man nicht die<br />

unzähligen Toten mitrechnete, die auf der <strong>Shenandoah</strong> oder<br />

auf der Flucht dergleichen ums Leben gekommen warn.<br />

„Der Rest ist einigermaßen in Ordnung, was den körperlichen<br />

Zustand betrifft.“, sagte D’Agosta. „Ein paar verstauchte<br />

Arme, Prellungen, Schnittwunden, Kratzer. Aber ich denke es<br />

hätte schlimmer kommen können. Trotz des Energieverlustes,<br />

haben die Fluchtkapseln hervorragend standgehalten.<br />

Jedenfalls unsere.“<br />

„Die Sternenflotte baut nur robuste Dinge.“<br />

„Zum Glück, sonst wären wir jetzt alle tot.“


„Vielleicht sind wir das ja schon.“, flüsterte Nechayev. Sie<br />

nahm eine Handvoll Sand auf und warf die Ladung den<br />

Abhang hinunter, aber der Wind packte ihn und verwandelte<br />

ihn in eine auseinandertreibende Wolke, ehe die Sandkörner<br />

den Boden berührten konnten. „Es sieht nicht besonders gut<br />

für uns aus, Lieutenant Commander D’Agosta.“, fügte sie in<br />

etwas sanfterem Ton hinzu.<br />

„Wir leben, oder?“<br />

„Das ist aber auch schon alles.“, antwortete Nechayev. „Ist<br />

ihnen eigentlich klar, wo wir sind?“<br />

„Sicher.“, antwortete D’Agosta.<br />

„So? Dann wissen Sie mehr als ich.“ Nechayev lächelte, aber<br />

es lag kein Humor in diesem Lächeln. Nicht einmal ein<br />

bisschen Freundlichkeit. „Und vermutlich mehr, als die<br />

Sternenflotte.“<br />

„Wir sind im cardassianischen Raum. Auf der Strecke Deep<br />

Space Nine bis Portas IV. Da sollte doch das diplomatische<br />

Treffen zwischen uns, den Breen und der cardassianischen,<br />

provisorischen Regierung stattfinden, oder? Um den<br />

Geltungsbereich von Septimus auszuhandeln, nicht wahr?“<br />

„Nicht ganz. Wir waren zwar dorthin unterwegs, sind aber im<br />

unerforschten Territorium der Cardassianer geflogen und zu<br />

meinem bedauern durch meinen Befehl etwas vom üblichen<br />

Kurs abgekommen. Ich bin ziemlich sicher, dass dieser Mond<br />

hier und dieser Planet“ Sie deutete mit dem Finger hinauf, zu<br />

dem Planetoiden, der sich dicht über ihren Köpfen am Himmel<br />

drehte „auf den meisten Sternenkarten nicht einmal zu finden<br />

ist.“<br />

„Die Sternenflotte wird uns suchen.“<br />

Nechayev sagte nichts. Natürlich würde die Sternenflotte nach<br />

ihnen suchen, aber nur bis zu einem bestimmten Gebiet, wo<br />

sie plötzlich verblüfft feststellen würden, dass sie nur noch mit<br />

Impulsgeschwindigkeit weiterreisen können.


„Wir sind mindestens hundert Lichtjahre von allen Handels –<br />

und Flugrouten entfernt.“, sagte Nechayev. „Hier sind nicht<br />

einmal die Cardassianer unterwegs. Die Kommunikation<br />

funktioniert nicht, die meiste Ausrüstung ist mit der<br />

<strong>Shenandoah</strong> zerstört worden. Wir haben kaum Notrationen,<br />

keine Medikamente, praktisch keine neue Kleidung und unser<br />

einziger, noch verbliebener Pilot versuchte eine spektakuläre<br />

Karriere als menschliche Fackel, aber ansonsten haben wir<br />

wirklich richtiges Glück gehabt.“<br />

„Zu essen dürfte es genug geben. Die Sensoren machten eine<br />

Siedlung aus, bevor wir absprangen.“, antwortete D’Agosta.<br />

Er klang ein wenig eingeschüchtert. „Ich glaube sie zumindest<br />

bei der Standartprüfung des Sonnensystems auf den<br />

Sensoranzeigen gesehen zu haben. Unsere Überlebenschancen<br />

sind also gar nicht mal so schlecht, wie es zunächst aussah.<br />

Wir müssen doch nur ein paar Tage durchhalten. Wenn die<br />

Sternenflotte ein Standartsuchmuster durchführt, werden sie<br />

uns finden. Vielleicht nicht sofort, aber in einigen Tagen,<br />

spätestens. Das werden sie doch, oder?“<br />

„Ja, sicher.“, log Nechayev und versuchte erneut zu lächeln.<br />

Es wollte ihr nicht gelingen. „Kommen Sie.“ Sie klopfte sich<br />

den Staub von der Uniform, nickte D’Agosta flüchtig zu und<br />

begann vorsichtig den steilen Hügel hinabzubalancieren. Sie<br />

hatte das Gefühl, dass sie mit D’Agosta in Streit geriet, wenn<br />

sie weiterhin dort oben bleiben und diskutieren würden und<br />

das wollte sie nicht. Er konnte ja auch nichts dafür. Niemand<br />

konnte etwas dafür, dass die Breen ebenso schnell gewesen<br />

waren wie sie selbst.<br />

Trotzdem – wenn sie hier nicht wieder wegkamen, und nicht<br />

möglichst bald wieder wegkamen, dann waren mehr als drei<br />

Jahrzehnte Arbeit umsonst gewesen. Es war zum Verzweifeln!<br />

Alles hatte sie geschafft. Jahrelang gesucht, schließlich das<br />

Gesuchte entdeckt. Einen wasserdichten Vorwand für ein<br />

geeignetes Schiff herausgefunden. Sicherheitsvorkehrungen


durchschaut und überwunden. Den Sturz von Sektion 31<br />

weggesteckt, ohne selbst erwischt zu werden. Und dann kam<br />

so ein verdammtes Renegatenschiff der Breen und machte<br />

alles zunichte!<br />

Alles war vernichtet, die ganze Arbeit!<br />

Sie verscheuchte den Gedanken wieder und ging mit weit<br />

ausgreifenden Schritten auf das Basislager zu – sofern man<br />

einige in der Nähe heruntergekrachter Rettungskapseln als<br />

Basislager bezeichnen konnte. Noch immer lagen überall<br />

Trümmer herum, auch wenn das Chaos jetzt wie ein<br />

einigermaßen organisiertes Chaos ausschaute, da keine<br />

Sternenflottenoffiziere zwischen den Kapseln herumlagen und<br />

schrieen, oder bluteten. Oder bluteten und gleichzeitig<br />

schrieen.<br />

Sie steuerte auf die Kapsel zu, aus der ein helles, unrytmisches<br />

Klopfen und Hämmern drang und als sie beinahe an der<br />

Kapsel waren, erschien ein paar ölverschmierte, dünne Hände<br />

über dem Rand der offenstehenden Luke, gefolgt von einer<br />

staubigen Uniform und einem nur unwesentlich weniger<br />

schmutzigem Gesicht, dass D’Agosta vor allem wegen den<br />

langen, hellroten Haaren erkannte, die sozusagen Brenda<br />

Isaac’s Markenzeichen waren. „Admiral!“, erkannte<br />

halbbajoranische Frau erschrocken, den Neuankömmling und<br />

richtete sich sofort steif auf.<br />

Aufgrund dieser Reaktion lief eine wellenförmige Bewegung<br />

über Nechayevs Gesicht. D’Agosta nahm an, dass es sich um<br />

ein weiteres, missglücktes Lächeln handelte. „Wie sieht es<br />

aus?“<br />

„Die Kommunikation springt einfach nicht an. Ich weiß nicht,<br />

Sir, sieht nicht gut aus.“<br />

„Kriegen Sie es wieder hin?“, fragte Nechayev.<br />

„Die Geräte sind soweit in Ordnung – im Grunde sogar<br />

unbeschädigt.“, antwortete Isaac. „Jedenfalls ist nichts kaputt,<br />

was ein gewiefter Techniker nicht in ein paar Stunden selbst


eparieren könnte. Das tatsächliche Problem ist die Energie –<br />

es ist nämlich keine Vorhanden.“<br />

„Können Sie nun Kontakt zu anderen Rettungskapseln<br />

herstellen, oder nicht?“, fragte Nechayev. „Wir müssen in<br />

Erfahrung bringen, ob irgendwer die Container gefunden hat.“<br />

„Ich weiß es nicht.“, antwortet Isaac ehrlich. „Ich bin Transporterchief,<br />

keine Kommunikationstechnikerin. Einer von den<br />

Anderen will mir helfen etwas zu improvisieren. Ein paar der<br />

Phaser sollen wohl noch über Restenergie verfügen, vielleicht<br />

können wir die anzapfen. Aber ob das klappt, weiß ich nicht.<br />

Vielleicht ist ja noch jemand unter den Übrigen Leuten hier,<br />

der es besser kann. Ehrlich gesagt, ich hab Angst mehr kaputt<br />

zu machen, als zu reparieren.“<br />

„Fürchten Sie sich nie etwas zu versuchen.“, sagte Nechayev.<br />

„Denken Sie daran; Amateure haben die Arche Noah gebaut,<br />

Profis die Titanic.“<br />

„Ich werde dran denken, Sir. Tja, wenn’s klappt... Wir sollten<br />

dann womöglich versuchen die Siedler auf diesem Mond zu<br />

kontaktieren, sofern wir in ihrer Nähe sind. Die können uns<br />

vielleicht helfen.“<br />

„Ich halte das für keine gute Idee und würde einen Kontakt zu<br />

fremden Kulturen soweit es geht, lieber vermeiden.“<br />

„Vielleicht geht das gar nicht.“, sagte D’Agosta plötzlich und<br />

nickte in eine bestimmte Richtung. Nechayev folgte seinem<br />

Blick und bemerkte, wie etwas durch die Wüste auf sie zu<br />

kam. Ein Fahrzeug. Es näherte sich mit hoher<br />

Geschwindigkeit und wirbelte viel Staub auf.<br />

„Nein.“, sagte Nechayev. „Das ist eines von unseren.“


Jeep<br />

Es war ein Jeep Explorer der Sternenflotte. Je näher er kam,<br />

desto mehr drosselte er die Geschwindigkeit. Schließlich hielt<br />

er an.<br />

„Ich will verdammt sein.“, sagte Chief Crocker ungläubig.<br />

Zwei Gestalten zwängten sich hinter dem Steuer hervor und<br />

stolperten auf die sandige Fläche. Penkala und Dike hatten das<br />

unmögliche geschafft und überlebt, um davon zu erzählen.<br />

Sofort kam Smith angelaufen und untersuchte sie, doch außer<br />

einigen Schnittverletzungen und Prellungen schien ihnen<br />

nichts zu fehlen.<br />

„<strong>Star</strong>ker Auftritt, was?“, sagte Penkala leichthin. Sofort war er<br />

von einigen Helfern umgeben, die sich um ihn scharten.<br />

Nechayev stand außerhalb der Gruppe und wollte sich gerade<br />

zum gehen abwenden, als Penkala sie erspähte. Plötzlich riss<br />

er die Augen auf und starrte Nechayev fassungslos an. Und<br />

dann begann er aufgebracht mit den Händen zu fuchteln und<br />

zu schreien. „Sie elendes Miststück! Wo waren Sie? Hä, wo<br />

waren Sie?“<br />

Nechyev antwortete nicht und wie ein allmählich anfahrender<br />

Motor, stapfte Penkala auf sie zu. Erst langsam, dann immer<br />

schneller.<br />

Er brüllte aus vollem Hals und spuckte: „Ich rede mit ihnen,<br />

Nechayev! Wo waren Sie? Wo ... waren ... Sie?“ Nun stürmte<br />

Penkala los und prallte gegen die Frau. Beide gingen sofort zu<br />

Boden. Penkala umschloss ihre Oberarme und begann sie zu<br />

schütteln und gegen den harten Boden zu stoßen. „Wo sind sie<br />

geblieben, als wir zurückkamen und in die Kapsel wollten, Sie


Pakledratte? Warum sind Sie ohne uns abgesprungen,<br />

warum?“<br />

Die Anderen versuchten sie auseinander zubringen und<br />

schafften es nur mit Mühe und viel Kraft, den tobenden<br />

Penkala, der eigentlich dafür bekannt war, keiner Fliege was<br />

zu leide zu tun und stattdessen lieber den Pausenclown der<br />

<strong>Shenandoah</strong> zu spielen, zurückzuziehen.<br />

Dike und Crocker hielten ihn fest, aber Penkala strampelte.<br />

„Alex, Warte!“<br />

„Beruhigen Sie sich, Penkala!“<br />

Doch er wollte sich nicht beruhigen. „Warum haben Sie nicht<br />

gewartet?“, brüllte er. „Sie haben uns angelogen und<br />

zurückgelassen.”<br />

Necheyev rappelte sich schwankend auf. Blut rann ihr aus<br />

dem Mundwinkel.<br />

„Nicht aufregen, Alex.“, versuchte D’Agosta zu schlichten.<br />

„Nicht aufregen?“, brüllte Penkala. „Nicht aufregen? Meinem<br />

Kopiloten Byers wurde vor meinen Augen der Kopf von den<br />

Schultern gefegt und ich soll mich nicht aufregen?“ Er kniff<br />

die Augen zu und bekam offenbar einen Schwächeanfall.<br />

Langsam sackte er zu Boden und hustete. „Wo waren Sie<br />

nur? Wo waren Sie nur?“<br />

Isaac fragte: „Alex. Was ist denn passiert?“<br />

Penkala saß auf dem Boden, war völlig fertig. „Was passiert<br />

ist? Wir sind mit der dem Argo-Shuttle rausgekommen. Sie<br />

wissen schon, diesem Jeeptransporter. Und zwar im letzten<br />

Moment. Aber dafür haben wir so ziemlich jeden verloren, der<br />

bei uns war. Und nur, weil ihre tolle Nechayev dort, einfach<br />

die Kapsel verschloss und startete, wo noch locker fünf Mann<br />

reingepasst hätten.“<br />

„Wollen Sie sich jetzt rächen, Söhnchen?“, brummte Crocker<br />

verärgert. „Das bringt die Anderen auch nicht zurück.“<br />

„Ich will keine Rache.“, sagte Penkala. „Ich will sie ermorden.<br />

Das ist Gerechtigkeit.“


Aber er hatte sich wieder unter Kontrolle und unternahm<br />

keinen weiteren Angriffsversuch. „Sie ist einfach ohne uns<br />

abgehauen, obwohl sie genau wusste, dass wir zu ihr<br />

unterwegs waren.“<br />

Alle Blicke richteten sich auf Nechayev. „Es blieb keine Zeit<br />

mehr.“, sagte sie schnaufend. Sie wies alle Vorwürfe von sich.<br />

„Die Systeme waren beschädigt, wir mussten starten.“.<br />

„Ja, natürlich.“, schüttelte Penkala den Kopf.<br />

Ein nervöser Howard King mischte sich ein. „Admiral<br />

Nechayev sagt die Wahrheit. Es ging nicht anders. Das<br />

Automationssystem hatte eine Fehlfunktion, die Kapsel ist von<br />

sich aus gestartet. W-w-wir haben da nicht viel dran ändern<br />

können.“<br />

Penkala rollte die Augen.<br />

D’Agosta ging in die Hocke. „Haben Sie andere Leute auf<br />

dem Weg hierher gesehen?“<br />

Penkala setzte ein ironisches Lächeln auf. „D’Agosta, die<br />

Kapseln sind viel zu spät ausgestoßen worden. Dazu noch<br />

ohne Energie für den Autopiloten. Die <strong>Shenandoah</strong> war<br />

einfach zu tief im Gravitationsfeld des Mondes drin. Viel zu<br />

tief. Haben Sie auch nur die blasseste Ahnung, wie ungünstig<br />

die Evakuierung verlaufen ist?“<br />

D’Agosta schüttelte den Kopf. „Unser einziger Pilot ist<br />

verletzt. Wie ungünstig ist die Evakuierung denn verlaufen?“<br />

„Wer auch immer die <strong>Shenandoah</strong> runterbrachte, ich nehme<br />

an, derjenige vollführte einen spiralförmigen Sinkflug, hat’s<br />

aber vermasselt – vermutlich weil die nötige Ruderkontrolle<br />

fehlte.“<br />

D’Agosta fürchtete sich vor der Antwort: „Okay und was<br />

bedeutet das für uns?“<br />

„Das bedeutet.“, sagte Penkala. „die Rettungskapseln könnten<br />

überall verteilt sein.“


Notruf<br />

„Wir könnten überall gelandet sein.“ Ronald Spiers öffnete<br />

den Schraubverschluss seiner Feldflasche, trank einen Schluck<br />

Wasser und bot sie anschließend Gabriel O’Conner an, der<br />

direkt neben ihm stand. O’Conner betrachtete die graue<br />

Flasche kurz und lehnte dann dankend ab. Sie waren vor etwa<br />

drei Stunden in einem Tal aufgeschlagen. Hart aufgeschlagen!<br />

Wie durch ein Wunder war niemand der fünf Kapselinsassen<br />

ums Leben gekommen. Ensign Martin hatte sich den Arm<br />

gebrochen und litt unter starken Schmerzen. Spiers hatte ihm<br />

Morphium verabreicht – mehr konnte er auch gar nicht tun.<br />

Nun schlief Martin im innern der Kapsel. Aber das war zum<br />

Glück auch schon alles.<br />

„Überall wäre besser, als hier, Ron.“<br />

Ronald Spiers war ein verboten gutaussehender Mann in den<br />

Dreißigern, allerorts für seine Kühnheit und Vorliebe für<br />

Waffen bekannt. Seine auffallendsten Merkmale waren seine<br />

spitzbübische Mine, die jederzeit einem perfekt eingeübte<br />

Hundeblick weichen konnte, um Frauen ins Bett zu<br />

bekommen und die markante Narbe am Hals, die er sich<br />

einfach nicht operativ entfernen lassen wollte. Er meinte,<br />

dadurch sähe er noch ein wenig wilder aus.<br />

Spiers und O’Conner waren seit Jahren gute Freunde, hatten<br />

sich unzählige Male gegenseitig das Leben gerettet und<br />

pflegten aus diesem Grund einen lockeren Umgangston.<br />

„Ich glaube die <strong>Shenandoah</strong> hatte dort drüben ihren<br />

Crashdown.“, sagte Spiers und deutete auf die weit entfernten<br />

Berge, deren Spitzen gerade mal zu erkennen waren, da sie<br />

von dunklem Fels und Hügeln umgeben waren.


„Wie kommst du darauf?“<br />

„Die Erschütterung des Bodens vorhin. Sie machte auf mich<br />

den Eindruck, als hätte sie dort ihren Ursprung. Außerdem war<br />

sie so heftig, das kann nur die <strong>Shenandoah</strong> verursacht haben.<br />

Wenn der Absturzwinkel stimmt, müssten sich die Kapseln<br />

also in einem enorm erhöhten Radios darum befinden.“<br />

Er vollführte mit dem Zeigefinger eine vertikale<br />

Kreisbewegung in der Luft, um es zu veranschaulichen.<br />

„In einem enorm erhöhten Radius.“, seufzte O’Conner. „Sie<br />

könnten wirklich überall sein.“<br />

Spiers legte O’Conner eine Hand auf die Schulter. „Kopf<br />

hoch, Gabe. Ich bin schon in weitaus schlimmeren Situationen<br />

gewesen und mit heiler Haut wieder entkommen und du<br />

ebenfalls.“<br />

„Ja, vermutlich.“<br />

„Und wenn alle Stricke reißen, haben wir immer noch einen<br />

Trost.“<br />

„So?“, fragte O’Conner. „Und welchen?“<br />

Spiers hob die Mundwinkel ein klein wenig nach oben, was<br />

bei ihm immer ein sehr breites Lächeln bedeutete. „Ich habe<br />

mindestens fünfmal Robinson Crusoe gelesen.“<br />

O’Conner seufzte erneut. „Ich wünschte wirklich, ich hätte es<br />

wenigstens einmal gelesen.“<br />

Sie gingen zurück zur Kapsel. Sie war beim Aufprall nicht<br />

umgestürzt und lehnte nun gegen eine der zahlreichen<br />

aufragenden Felsen.<br />

Tessler stand halb darin verborgen und spielte an der Notbake<br />

herum. Er hatte nach ihrem Ausstieg zusammen mit B’Sogg<br />

die Bake notdürftig repariert. Das Ergebnis sah genau aus wie<br />

ihre Zukunftsaussichten: Abenteuerlich, aber nicht besonders<br />

Vertrauenserweckend.<br />

O’Conner jedenfalls war nicht besonders wohl bei dem<br />

Gedanken, ihre letzte Energie – auch die der Waffen – für eine<br />

Anlage zu riskieren, dessen Aufbau nun einzig aus Draht und


ehelfsmäßig zusammengesuchten Trümmern bestand. Na ja.<br />

Vielleicht würden sie das aber auch gar nicht müssen, denn<br />

Tessler war in den vergangenen Stunden immer schweigsamer<br />

geworden.<br />

Als O’Conner und Spiers die Kapsel erreichten, knallte er<br />

gerade einen Schaltkasten zu und stieß einen wütenden Schrei<br />

aus. „Dieses verdammte–„<br />

„Wie sieht’s aus, Tessler?“, fragte O’Conner.<br />

Tessler war ein nervöser Techniker, etwa vierzig Jahre alt und<br />

Vollblut-Bajoraner, der als solcher ein ziemlich aufbrausendes<br />

Temperament und Leidenschaft für seinen Beruf mitbrachte.<br />

Für O’Conner hätte er glatt als älterer und humorloserer<br />

Bruder von Ronald Spiers durchgehen können.<br />

„Captain!“, entfuhr es Tessler. „Hab Sie gar nicht kommen<br />

gehört.“<br />

„Können Sie das Ding reparieren, oder nicht?“<br />

„So viel zu reparieren gibt’s da nicht, Captain. Die Ausrüstung<br />

ist ja in Ordnung, diese Kapseln sind so konstruiert, dass sie<br />

auch enorme Belastungen aushalten.“<br />

„Woran hapert es dann?“<br />

„An der Energie, Sir. Die Pegel sind in jeder Beziehung auf<br />

Null. Ich bekomme einfach keinen Saft.“<br />

Die Restenergie aller Handfeuerwaffen aus dem Notfallkoffer<br />

hatten sie vorhin bereits für andere Reparaturen verbraucht.<br />

Und in den übrigen Geräten war gar nichts mehr drin.<br />

„Würde eine kleine Energiemenge ausreichen?“, fragte Spiers.<br />

„Ja, ja, ich denke schon. Wenn wir etwas hätten-“<br />

Ron Spiers hob das rechte Bein, griff unter die Hose und rollte<br />

seine schwarzen Socken auf. Zum Vorschein kam ein kleiner<br />

Phaser, des Typs 1, etwa handgroß und ziemlich alt. Dieser<br />

Typ wurde schon seit Jahren nicht mehr eingesetzt, höchstens<br />

noch als Rasierer. Aber immerhin schlummerte in ihrem<br />

Innern eine Sarium-Krellid-Energiezelle, die nun von Nutzen<br />

sein konnte.


Er reichte ihn Tessler. Dieser nahm den Phaser verwundert<br />

entgegen. „Wo haben Sie das Ding denn her?“<br />

„Das ist Gladys.“, sagte Spiers mit einem Grinsen. „Die habe<br />

ich immer dabei, für Notfälle. Ich gebe sie nicht gerne her,<br />

aber es ist wohl notwendig. Dürften sowieso nur Energie für<br />

zwei, oder drei Schuss übrig sein. Vielleicht reicht es ja für<br />

ihre kleine Tuschelbox.“<br />

„Warum hast du den Phaser immer dabei?“, fragte O’Conner<br />

stirnrunzelnd.<br />

„Um mich zu rasieren, natürlich.“, antwortete Spiers ironisch.<br />

Tessler schloss mit einigen Modifikationen den Phaser an die<br />

Schalttafel an, isolierte das System der Notbake von den<br />

Anderen Systemen und nickte nach einer Weile den Kopf.<br />

„Okay, das müsste reichen.“<br />

Er drehte an den Reglern. Aus den Lautsprechern drang nur<br />

statisches Rauschen. „SOS, SOS. Hier spricht Lieutenannt<br />

Tessler Vija von Rettungskapsel-„<br />

„Dreizehn.“, sagte Spiers.<br />

„Von Rettungskapsel dreizehn. Kann mich da draußen jemand<br />

empfangen?“<br />

Nichts.<br />

„SOS, SOS. Hier spricht Lieutenant Tessler Vija, von<br />

Fluchtkapsel dreizehn, kann mich irgendwer hören?“<br />

Noch immer nichts.<br />

„Senden Sie weiter.“, sagte O’Conner. „Irgendwer muss das<br />

hören.“<br />

„...SOS, SOS. Hier spricht Lieutenant Tessler Vija, von<br />

Fluchtkapsel dreizehn, kann mich irgendwer hören?“<br />

An der Kommunikation bedienten zwei Soldaten Schalter und<br />

Hebel.<br />

„Wird schwächer.“, sagte der eine.<br />

„Kompensieren und Verstärker hinzufügen.“, sagte der andere.


Beliar beugte sich im dunklen Kontrollraum über die Konsole<br />

zu den knisternden Lautsprechern herab und begegnete den<br />

Blick des wachhabenden Offiziers. „Wann haben Sie das<br />

empfangen?“<br />

„Wir entdeckten es vor... ungefähr einer Minute auf<br />

unbekannter Frequenz.“, sagte der Mann. „Scheint sich um ein<br />

Notsignal zu handeln. Von wem es auch immer stammt, sie<br />

senden es nach wie vor. Soll ich antworten?“<br />

„Nein, halten sie Funkstille.“<br />

„...Sternenflottenfluchtkapsel dreizehn, hier spricht Lieutenant<br />

Tessler Vija. Bitte kommen. Ich wiederhole...„<br />

Einer der beiden Soldaten an der Konsole fragte: „Sprachen<br />

die Neuankömmlinge, die vorhin eintrafen – wie hießen die<br />

noch gleich? Na ist ja auch egal. Sprachen die nicht von einer<br />

Sternenflotte?“<br />

Beliar nickte. „Ganz recht. Und sie erwähnten auch, dass die<br />

für unseren Schlammassel verantwortlich sind. Ist es möglich<br />

das Signal zurückzuverfolgen und die Position des Senders<br />

exakt zu bestimmen?“<br />

„Schon geschehen.“, antwortete der Soldat. Beliar entblößte<br />

Zähne. „Ausgezeichnet.“ Er drehte sich zu Theia um. „Holen<br />

Sie ihre Männer.“ Theia schlug zackig die Hacken zusammen<br />

und eilte los. „... hier spricht Lieutenant Tessler Vijar, vom<br />

Fluchtkapsel dreizehn. Ist da jemand?“<br />

Beliar hörte zu und lächelte.<br />

Tessler sendete weiter. Aber niemand meldete sich. „Na jetzt<br />

wissen wir immerhin, dass die Ausrüstung in Ordnung ist.“,<br />

sagte Tessler nach einer Weile. „Weil das Signal rausgeht.“<br />

„Kann es denn sonst niemand empfangen?“<br />

„Ich fürchte nicht.“, meinte Tessler niedergeschlagen. „Es<br />

meldet sich ja niemand. Möglicherweise haben die Anderen


mit ganz ähnlichen Energieproblemen zu kämpfen. Oder es ist<br />

etwas in den Felsen, dass das Trägersignal blockiert.“<br />

„Können wir irgendwie feststellen, ob andere das Signal<br />

empfangen?“<br />

„Leider nein. Und wenn wir so weitermachen, leeren wir nur<br />

die Energiezelle, was bedeutet-„<br />

Ein helles Klicken war zu hören und dann eine Frauenstimme.<br />

Zunächst nur durch starke Interferenzen begleitet, aber es<br />

wurde schnell erstaunlich deutlich und klar. „...Isaac von<br />

Kapsel siebenundvierzig.“<br />

„Ja, wir haben ein Signal!“, jubelte Tessler. Dann drückte er<br />

die Sprechtaste der Notbake. „Isaac? Brenda? Tessler hier,<br />

bitte kommen.“<br />

Aus dem Gerät kam ein anhaltendes statisches Zischen. Die<br />

Verbindung brach kurz ab, dann glaubte O’Conner plötzlich<br />

Allan D’Agostas leise Stimme zu hören. „Hallo? Tessler? Hier<br />

D’Agosta. Hallo?“<br />

Tessler betätigte die Sprechtaste. „D’Agosta, hier Tessler.<br />

Können sie mich empfangen?“<br />

Wieder statisches Rauschen.<br />

„Hallo?“<br />

Tessler seufzte. „D’Agosta, Isaac. Sie müssen die Amplitude<br />

erhöhen. Over.“<br />

„Hallo? Hier ist D’Agosta, Hallo?“<br />

Tessler schüttelte entrüstet den Kopf. „Die wissen nicht, wie<br />

sie das Gerät zu bedienen haben. Gottverdammt. So was sollte<br />

man doch mit jedem Offizier mindestens hundertmal<br />

durchgehen. Aber er hat natürlich nicht aufgepasst. Diese<br />

Dinger sind doch keine Spielzeuge.“ Er drückte wieder die<br />

Sprechtaste. „D’Agosta, hier-“<br />

„Ja, Lieutenant. Ich kann Sie jetzt verstehen.“<br />

„Den Propheten sei dank.“, schnaufte Tessler.<br />

O’Conner nahm ihm die Sprechverbindung weg. „D’Agosta,<br />

hier ist O’Conner. Wie ist ihr Status?“


„Captain?“, D’Agosta klang erlöst. „Was bin ich froh Sie zu<br />

hören.“<br />

„Wie ist ihr Status?“<br />

„Nicht so, wie er sein sollte, denke ich. Wir haben Verletzte,<br />

aber das bekommen wir hin. Aber die Energie ist offline.<br />

Keine Notsysteme.“<br />

„Ja, bei uns dasselbe Problem.“, seufzte O’Conner.<br />

Tessler machte ein angestrengtes Gesicht. „Wir haben nur<br />

noch einen Energiebalken.“, warnte er.<br />

„D’Agosta, sind noch andere Überlebende bei ihnen?“<br />

„Ja, Wir sind hier mit mehreren Rettungskapseln<br />

runtergekommen. Sechs, oder sieben. Eine Achte befindet sich<br />

in einigen Kilometern Entfernung. Admiral Nechayev und ihre<br />

Begleiter befand sich darin.“<br />

„Nechayev?“<br />

O’Conner und Spiers tauschten einen Blick.<br />

„Ist sie bei ihnen?“<br />

„Nein, sie geht in der Landschaft spazieren, glaube ich.“<br />

„Steht jemand der Kommandooffiziere zur Verfügung?“<br />

„Nein. Ich bin neben Nechayev der ranghöchste, fürchte ich.<br />

Wie ist ihr Zustand?“<br />

„Na ja, wir leben. Spiers, Tessler, Martin, B’Sogg und ich<br />

haben es geschafft. Wir haben sonst noch niemanden gesehen.<br />

Offenbar sind wir weit weg.“<br />

„Aber am nächsten zu uns dran, Captain. Isaac meint, sonst<br />

hätten wir ihr Signal nicht empfangen.“<br />

O’Conner fluchte. Wenn alle anderen noch weiter entfernt<br />

waren-<br />

„Captain, vielleicht können wir Sie abholen. Uns steht ein<br />

Jeep zur Verfügung.“<br />

„Ein Jeep?“<br />

„Richtig gehört, Sir. Alex Penkala und Joe Dike sind mit ihm<br />

gelandet. Isaac meint, wir könnten ihre Position-„<br />

Knistern. Zischen.


„O, o.“, sagte Tessler.<br />

Spiers beugte sich vor. „Was ist los?“<br />

„Wir verlieren die Verbindung. Die Energie ist jetzt fast völlig<br />

aufgebraucht.“<br />

„Warum?“<br />

„Die Energiezelle. Sie entlädt sich sehr schnell.“<br />

O’Conner nahm das Funkgerät. „D’Agosta, hören Sie mich?“<br />

Aus dem Lautsprecher drang D’Agostas abgehakte Stimme.<br />

„…undeutlich … einigermaßen.“<br />

„Hören Sie mir jetzt genau zu, Allan. Ich erteile ihnen bis zu<br />

meiner Rückkehr das Kommando über die Gruppe.“<br />

„…das … ich?“<br />

„Ja, Sie. Niemand sonst. Seien Sie vorsichtig, Allan und<br />

passen Sie auf Nechayev auf. Ich vertraue ihr nicht!“<br />

Aus der Notbake rauschte es, die Verbindung wurde ständig<br />

schlechter. „-Admiral … Basislager … ich.“<br />

„Allan? Allan, verdammt, haben Sie mich verstanden?!“ Und<br />

dann kam ein letztes, langsam verklingendes Rauschen.<br />

Tessler schaltete den Apparat aus und legte ihn weg.<br />

O’Conner rieb sich die schmerzenden Augen. Dann wandte er<br />

sich an Spiers. „Wir müssen zu ihnen. D’Agosta wird allein<br />

mit Nechayev nicht fertig!“


Hawk<br />

Eine Stunde verstrich. Rhonda Smith bemerkte, wie Alynna<br />

Nechayev auf einem nahen Hügel stand und gelegentlich zu<br />

ihr herübersah. Rhonda wandte dann immer den Blick ab und<br />

gab sich beschäftigt. Am Horizont ging die Sonne langsam<br />

unter und tauchte den Himmel in ein helles rosa-rot. Der Wind<br />

brachte angenehme Kühle.<br />

Hinter ihr, irgendwo im Lager sprang der Motor des Jeeps an<br />

und versorgte über ein Verbindungskabel eines der wenigen<br />

intakten Phasergewehre mit Energie. Im Gegensatz zum<br />

Grossteil der restlichen Ausrüstung verfügte der Jeep über<br />

Solarzellen auf dem Dach, deren gespeicherte Energie vom<br />

Tag sie anzapfen vermochten. Ein heller, beständiger Strahl<br />

schoss aus der Vorfeuerkammer und verursachte beim<br />

Auftreffen auf dem Metall einer Rettungskapsel einen weiten<br />

Funkenregen. Langsam wurde ein großes Loch in die Kapsel<br />

geschnitten.<br />

Die Techniker wollten versuchen zwei der Kapseln<br />

auseinander zu nehmen, wieder zusammen zu schweißen und<br />

auf diesem Wege ein brauchbares Notlazarett für Smith und<br />

die Verletzten zu improvisieren.<br />

Natürlich war das knifflig, ihnen stand nur notdürftiges<br />

Werkzeug zur Verfügung und sie mussten außerdem ständig<br />

einen Blick auf die Energiezellen des Jeeps werfen, um sie<br />

nicht gänzlich zu verbrauchen. Da die Nacht einbrach, würden<br />

die Solarzellen ihnen in den kommenden Stunden nichts<br />

nützen und so mussten sie rationieren. Aber es war keine<br />

große Sache. Sie mussten nur die Kapseln aufschweißen, die<br />

Stühle und Behälter im Innern entfernen, durch behelfsmäßige


Liegen ersetzen und das Ganze wieder wetterfest abdichten.<br />

Smith sah zu, wie mehrere Leute eine Art Tauziehen mit der<br />

benachbarten Kapsel vollführten. Die daran befestigten Seile<br />

wurden mit einem „Hau ruck“ straff gezogen, während von<br />

hinten weitere Helfer kräftig schoben und quälend langsam<br />

rutschte die Kapsel über den Sand zur anderen Kapsel herüber.<br />

Smith wandte sich wieder dem schwach piependen Tricorder<br />

in ihrer Hand zu und hielt ihn kniend knapp über den Boden.<br />

Zunächst hatte sie Schwierigkeiten gehabt, ihn zu aktivieren,<br />

weil auch er keine Energie hatte, aber Penkala und Dike waren<br />

in der Lage gewesen auch ihn mit dem Motor des Jeeps zu<br />

verbinden und kurzzeitig ein wenig Saft zu geben.<br />

Allan D’Agosta, der gebückt neben ihr stand und sich an den<br />

Oberschenkeln abstützte, fragte: „Irgendwas entdeckt?“<br />

„Boronit-Erz.“, sagte sie. „Ein sehr seltenes Sulfit. Ich bin<br />

überrascht, es in dieser Größenordnung vorzufinden. Fast der<br />

komplette Boden setzt sich aus Boronit zusammen.“ Sie drehte<br />

den Tricorder ein wenig, damit D’Agosta ebenso einen Blick<br />

darauf werfen konnte. Die Anzeigen machten ihn allerdings<br />

nicht schlauer.<br />

„Außerdem messe ich eine schwache Untergrundstrahlung.“<br />

„Gefährlich für Menschen?“, fragte D’Agosta.<br />

Smith machte ein nachdenkliches Gesicht. „Nein. Nicht, wenn<br />

wir uns nicht mehrere Monate auf der Oberfläche aufhalten.“<br />

Smith klappte den Tricorder zu und richtete sich auf. „Ich sehe<br />

mal nach Hawk.“<br />

„Gut, Doktor.“<br />

Sie schob eine Strähne hinter das Ohr und ging zu Hawk<br />

herüber. Der Pilot schwerverletzte Pilot ruhte auf der Tür und<br />

hatte die Augen geschlossen. Sein verbrannter Brustkorb lag<br />

frei, hob und senkte sich langsam.<br />

„Cooper, wie geht es dir?“<br />

Ein leises Stöhnen. Er war noch immer voll mit Morphium.


„Ich habe darüber nach gedacht. Offensichtlich hat Toye alles<br />

in Gang gesetzt. Er trägt die Schuld. Fibonacci Zahlen.“, sagte<br />

er und schloss die Augen.<br />

Smith runzelte die Stirn. „Was sind Fibonacci Zahlen?“<br />

Hawk seufzte.<br />

„Cooper.“, sagte Smith. „Was sind Fibonacci Zahlen? Was<br />

meinst du damit?“<br />

„Lass mich in Frieden.“, sagte Hawk und winkte sie weg.<br />

„Jeder rette sich, so schnell er kann.“<br />

Joe Toye balancierte die breite Getränkeplatte gekonnt durch<br />

die heitere Menge und setzte sie auf dem breiten Tisch in der<br />

Mitte ab, ohne etwas vom Champagner zu verschütten. Es war<br />

ein gemütlicher, Abend, die Stimmung war gut und die Piloten<br />

der Beta-Schicht holten in einem der Mannschaftscasinos die<br />

Feier zu Joe Toyes achtundzwanzigsten Geburtstag nach.<br />

Sozusagen eine typisch amerikanische Privatfeier. „Oh, Toye,<br />

du hast es geschafft, ohne ein Glas fallen zu lassen.“, sagte<br />

jemand und klatschte anerkennend. „Reife Leistung.“<br />

Cooper Hawk stand an einem altmodischen Grill, den er<br />

irgendwo aufgetrieben hatte, trug über der roten Uniform eine<br />

Schürze mit der Aufschrift „Der Koch hat das Sagen“ und<br />

lachte herzlich, als die anderen zwar ein „Happy Birthday“-<br />

Lied für Toye anstimmten, aber nicht eine Note annähernd<br />

trafen.<br />

Hawk war glattrasiert und schlank. Ein ruhiger, bescheidener<br />

Kerl, den die meisten als nachdenklichen und aufmerksamen<br />

Beobachter kannten. Dennoch hatte er sich mit seinen knapp<br />

dreißig Jahren eine jugendliche Ausstrahlung bewahrt, die vor<br />

allem dann wirkte, wenn er lachte. Das geschah leider viel zu<br />

selten.<br />

Es zischte, als er die Burger auf dem Blech drehte. Hinter ihm<br />

wurde weitergelacht. Joe Toye war wie üblich in


Plauderlaune, sprach über seine Verlobte auf der Erde, das<br />

bald kommende Baby, wie sehr er beide vermisse und über die<br />

Veränderungen an ihrem Haus in New York, die er geplant<br />

hatte. „Der Wohnbereich wird umgebaut.“, sagte er. „Julia<br />

will etwas im Stil der Trill.“<br />

„Und wann wirst du sie wiedersehen?“<br />

„Nach dieser Mission werde ich meinen Urlaub einlösen.“,<br />

sagte Toye zu Ensign Lex.<br />

„Du freust dich bestimmt.“, sagte dieser.<br />

„Wow, Lex. Du musst meine Gedanken lesen. Wie hast du das<br />

nur erraten?“<br />

„Ich habe deine Gedanken gelesen.“, sagte Lex. „Letzte<br />

Woche während dem Pokerspiel. Und ich entdeckte bestimmte<br />

Gebiete, Erinnerungsstränge, die waren mit nichts gefüllt,<br />

außer... Glibber.“<br />

„Das wird wohl die Akademie sein.“, sagte Hawk, ohne den<br />

Blick von den Burgern zu nehmen. Alle lachten, die Feier lief<br />

gut. Irgendwann im Laufe des Abends ging Toye zu Hawk<br />

herüber. Er stand abseits der Gruppe am Reinigungsautomat<br />

und stellte das dreckige Geschirr ins Ausgabefach, wo es kurz<br />

in einem Schimmern verschwand und völlig sauber erschien.<br />

Toye klopfte ihm brüderlich auf die Schulter. „Was ist los,<br />

Coop?“, fragte er. „Du bist so still heute Abend?“<br />

Hawk zog die Schultern hoch. „Bin nicht so fit heute.“<br />

„Komm schon. Setz dich zu uns rüber und trink ein Bierchen.“<br />

„Toye, wir haben gleich noch Dienst auf der Brücke.“<br />

Toye seufzte übertrieben. „Alter Spielverderber. Steif, wie ein<br />

Borg.“<br />

Toye bereute seine Worte schon, als sie noch nicht ganz über<br />

seine Lippen gekommen waren. Als hätte jemand Gewichte<br />

dran gehängt, sackten Hawks Mundwinkel abrupt ab.<br />

„Oh, Nein, vergiss, die Bemerkung bitte.“, sagte Toye schnell.<br />

„Bitte, Coop. Das wollte ich nicht.“<br />

Hawk nickte. „Schon okay.“ Er trat an seinem Kollegen vorbei


und ging zur Tür. „Ich brauche ne Erfrischung.“<br />

In einem der öffentlichen Waschräume schüttete sich Hawk<br />

kaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete sich im Spiegel.<br />

Erschreckt bemerkte er, wie außerordentlich weiß sein Haar<br />

inzwischen war. Kurz geschnitten und weiß, vereinzelt sogar<br />

dunkelgrau. Ferner bemerkte ihm auf, wie schlaff sich das<br />

Hautgewebe um die Augen anfühlte. Das war ihm noch nie<br />

aufgefallen. Sicher, er war nicht mehr so jung und Tatbestand<br />

war auch, dass er in letzter Zeit nicht mehr viel Sport gemacht<br />

hatte.<br />

Er starrte sein Spiegelbild an und fragte sich, wie viele Jahre<br />

er durch seine Dummheiten wohl verloren hatte. Plötzlich stob<br />

die Eingangstür beiseite und jemand trat ein. Hawk nahm sich<br />

schnell ein Handtuch vom Haken und rubbelte das Gesicht ab,<br />

gleichzeitig hoffend, seine blutunterlaufenen Augen würden<br />

nicht zu sehr auffallen. Toye trat zögernd neben ihn. „Hey,<br />

Coop. Wir vermissen dich da drin.“<br />

„Ich komme gleich.“<br />

„Wir-“<br />

Hawk blaffte: „Ich komme ja gleich!“ Dann erschlafften seine<br />

Schultern. „Tut mir leid.“<br />

„Du hast es noch immer nicht überwunden, hm?“, fragte Toye<br />

leise. „Neal’s Ableben, meine ich.“<br />

Hawk lehnte an die Wand und starrte auf einen Fixpunkt der<br />

allerorts existierte, nur nicht im Hier und Jetzt. „Heute ist sein<br />

Todestag.“<br />

„Ich weiß.“<br />

Hawk schloss müde die Augen, weil er fürchtete ansonsten in<br />

Tränen auszubrechen. Mit Grabesstimme sagte er: „Ich habe<br />

seine Leiche gefunden, Joe. Ausgerechnet ich.“ Er rieb sich<br />

den Nasenrücken. „Neal trieb zweihundert Jahre im Weltraum<br />

und ausgerechnet ich musste ihn finden.“ Er schluchzte. Sein


Lippen bebten. „Er sah noch so frisch aus. So... lebendig. Und<br />

überall diese scheiß Implantate.“<br />

Toye wusste nicht, was er sagen sollte. Hawk hatte enorm viel<br />

durchgemacht, seit dem Tod seines Bruders und noch mehr,<br />

seit er dessen Leiche im Sol-Sektor treibend gefunden hatte. In<br />

einem Raumanzug, halb von den Borg assimiliert und schon<br />

seit Jahrzehnten leblos, weil sich sprichwörtlich die Batterie<br />

geleert hatte.<br />

Cooper hatte lange Zeit wegen den Auswirkungen dieser<br />

Ereignisse in Behandlung verbracht. Zwar war er inzwischen<br />

wieder im aktiven Dienst, aber Toye wusste, wie zerbrechlich<br />

seine Psyche noch immer war.<br />

„Es war falsch. Sie hätten ihn nicht in der Vergangenheit<br />

zurücklassen dürfen.“<br />

Hawk klang verärgert. „Natürlich hätten sie das nicht. Picard<br />

wurde gerettet. Data. Eltiche andere Crewmitglieder. Und ihn<br />

haben sie einfach aufgegeben. Einfach vergessen.“<br />

„Was ich gesagt habe war dumm, Coop. Ich wollte dich nicht<br />

daran erinnern.“<br />

Hawk seufzte. „Schon gut. Du kannst ja nichts dafür. Ich... ich<br />

bin schon den ganzen Tag unkonzentriert. Mit den Gedanken<br />

irgenwie nicht bei der Sache. Du weißt schon. Ich brauche nur<br />

etwas Ruhe. Vielleicht lasse ich den Dienst heute ausfallen.“<br />

Toye legte ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihm ernst<br />

in die Augen. „Coop, du darfst dich jetzt nicht wieder<br />

zurückziehen. Du weißt, wozu das beim letzten Mal führte.<br />

Hast du mich verstanden?“<br />

Hawk nickte.<br />

„Ich mache mir große Sorgen um dich Coop. Du darfst nicht<br />

rückfällig werden. Nicht jetzt, wo du geschafft hast, endlich<br />

davon loszukommen.“<br />

„Ich werds verkraften.“<br />

„Ehrlich?“<br />

Erneut das Nicken.


„Lass die Hände von dem Zeug.“, beschwor Toye. „Bringt<br />

doch nichts. Du bist jetzt leitender Pilot und hast was zu<br />

verlieren, alles klar? Also die Hände von dem Zeug lassen.“<br />

„Mach ich. Mach ich wirklich.“<br />

„Okay.“, sagte Toye. „Sieh mal, du hast Rhonda. Du bist<br />

nicht allein, okay? Du hast Rhonda, ich hab Julia und wir<br />

beide werden eines Tages auf einer Parkbank sitzen, uns über<br />

die Frauen beschweren und den Kindern beim gemeinsamen<br />

Spielen zuschauen, alles klar?“<br />

Hawk starrte noch immer auf die Wand. Toye schnippte vor<br />

den Fingern vor seinem Gesicht her, bis Hawk aufsah. „Schon<br />

gut. Ich bin ja hier.“<br />

„Hab ich nicht den Eindruck. Also, geht’s wieder?“<br />

„Ja, geht.“<br />

„Gut, dann lass uns-“<br />

Und plötzlich gellte roter Alarm durch das Schiff und die die<br />

Stimme von Commander Bowman ertönte über die Kommunikationsverbindung:<br />

„Gefechtsstationen besetzen, alle Mann<br />

auf Gefechtsstationen. Führungsoffiziere sofort im Kontrollraum<br />

einfinden!“


King<br />

Schwarzer Rauch stieg noch immer von der Rettungskapsel in<br />

die Nacht auf, die vor wenigen Stunden explodiert war und<br />

Toye und weitere Personen in den Tod gerissen hatte. Howard<br />

King schüttelte den Kopf. Er hatte enormes Glück gehabt.<br />

Oder enormes Pech. Er lauschte den Rufen der Mannschaft.<br />

Schließlich drehte er sich um und schaute zu dem kleinen<br />

Basislager zurück, einer erbärmlichen Ansammlung von<br />

Rettungskapseln und Menschen.<br />

Die Meisten standen oder saßen in kleinen Gruppen<br />

zusammen, einige hatten ein Feuer entfacht und versammelten<br />

sich darum, denn in der Nacht sanken die Temperaturen auf<br />

der Oberfläche offenkundig rapide. Wieder Andere versuchten<br />

ein Lazarett zusammenzuschweißen, oder an Notrufsendern zu<br />

arbeiten. Howard wusste, dass es vergebene Mühe war. Hilfe<br />

würde sie ohnehin keine mehr erreichen – weil sie sich<br />

nämlich in einem der gottverlassensten Ecken des Universums<br />

befanden.<br />

Und Nechayev hatte schon wieder Abkürzungen genommen<br />

und war Risiken eingegangen. Das war die Situation, die King<br />

am meisten fürchtete. Er kannte Nechayev schon seit einer<br />

Weile, seit der Zeit, als er sich damals von Farnham<br />

verabschiedet und selbstständig gemacht hatte, somit noch<br />

frischgebackener Unternehmer und ein vielversprechender<br />

Techniker gewesen war. Seine Doktorarbeit hatte King mit<br />

Resonanzkammern gemacht. Er war zu einer Zeit mit seinem<br />

Unternehmen gestartet, als das Interesse an diesem Markt<br />

noch groß gewesen war, weil man hoffte, den Schlüssel zur<br />

Beständigkeit der höchst instabilen Protomaterie mithilfe der


Resonanzkammern zu finden. Es kam zu einem Wettrennen<br />

zwischen den privaten Firmen, der Sternenflotte und den<br />

Klingonen.<br />

Ursprünglich lag Kings Firma vorne, sie hatten hervorragende<br />

Ergebnisse erzielt. Sein Name war in allen Fachzeitschriften.<br />

Er hatte ein eigenes, großes Labor, ein großes Budget und<br />

talentierte Mitarbeiter.<br />

Doch plötzlich und unvermittelt, hatte er den Boden unter den<br />

Füßen verloren, als der Hauptwissenschaftsplanet Sinder II<br />

und mit dem Planeten sein Hauptlaboratorium in die Luft<br />

geflogen war. Und mit dem Labor die ganzen<br />

Arbeitsergebnisse. Binnen weniger Wochen hatte King alles<br />

verloren. Er zog verzweifelt in ein kleineres Labor um und<br />

versuchte sich schnell dem ebenfalls unberechenbaren, aber<br />

wertvollen Element zweihundertsechsundvierzig zuzuwenden.<br />

Aber King hatte sein früheres Selbstvertrauen verloren und<br />

seine Firma ging allmählich den Bach runter. Er versuchte<br />

sogar zu Farnham zurückzukehren, aber der Leiter der Firma –<br />

Enrico Jensen - hatte ihm die Tür vor der Nase zugeworfen. Es<br />

war die dunkelste Zeit seines Lebens. Doch dann schlug eine<br />

gewisse Alynna Nechayev vor, gemeinsam zu Mittag zu<br />

essen.<br />

Admiral Nechayev hatte einen unvergleichlichen Ruf. Sie war<br />

allgemein, als „Puppenspielerin“, bekannt, weil sie ihre Finger<br />

nicht nur in legalen Dingen zu haben schien und ordentlich<br />

manipulierte. Nachgewiesen konnte ihr aber noch nie etwas<br />

werden. In früheren Jahren hätte King sich nie zusammen mit<br />

ihr sehen lassen, zumal er für der Sternenflotte ohnehin nicht<br />

viel übrig hatte. Aber nun gestattete er Nechayev, ihn in ein<br />

teures Restaurant in Tycho-City auf dem Erd-Trabant<br />

einzuladen. Zur Mittagszeit hielten sich hier nicht viele Leute<br />

auf. Sie saßen in einer kleinen, versteckten Nische, an einem


eiten Panoramafenster, dessen Aussicht auf den blauen<br />

Mond und der sichelförmigen Erde dahinter einfach<br />

phantastisch war.<br />

„Forschung ist schwer.“, sagte Nechayev mitfühlend.<br />

„Das können Sie laut sagen.“, erwiderte King und stocherte in<br />

seinen Nudeln.<br />

„Schwer und Riskant.“, sagte Nechayev. „Tatsache ist, dass<br />

innovative Forschung sich selten sofort bezahlt macht. Aber<br />

begreift das die Leitung der Sternenflotte? Oder der zivilen<br />

Forschungsabteilung? Nein. Wenn Forschung nicht sofort das<br />

gewünschte Ergebnis bringt, zieht man Leute wie Sie zur<br />

Verantwortung, nicht wahr King? Und wenn die Forschung<br />

verschwindet, nimmt man ihnen ihre Mittel, habe ich recht?<br />

Das ist doch nicht fair.“<br />

„Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Admiral.“<br />

„Alynna. Alynna reicht.“<br />

„Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Alynna.“, korrigierte<br />

King.<br />

„Aber so läuft es.“ Nechayev zuckte mit den Schultern und<br />

spießte ein Blattsalat auf.<br />

King schwieg.<br />

„Ich persönlich bin bereit Risiken einzugehen, auch wenn ich<br />

damit nicht mit den Sternenflottenstatuten konform gehe.“,<br />

fuhr Nechayev fort. „Und originelle Arbeit ist immer riskant.<br />

Die meisten neuen Ideen sind schlecht, und der grossteil<br />

origineller Arbeit geht in die Hose, oder wird erst gar nicht<br />

erlaubt. Das ist nun mal die Realität. Wer sich zu innovativen<br />

Forschungen hingezogen fühlt, muss mit Fehlschlägen<br />

rechnen. Das ist okay an der Sternenflotten-Akademie, oder in<br />

der Sternenflotte selbst, wo man für Fehlschläge sogar noch<br />

gelobt wird, aber in der freien Industrie, wo Sie arbeiten?<br />

Nein, nein. Es bringt einen meistens in Schwierigkeiten. Und<br />

in denen stecken Sie ja im Augenblick, mein Lieber.“<br />

King schüttelte verzweifelt den Kopf. „Was soll ich denn


tun?“<br />

Nechayev beugte sich interessiert vor. „Nun, ich habe da eine<br />

ganz eigene Methodik, gute Ideen zu fördern. Ich nenne es<br />

visionäre Forschung und Technologieentwicklung. Einige<br />

Dinge sind für die Sternenflottenstatuten zu... sagen wir<br />

pikant. Die Entwicklung von Verteidigungsanlagen.<br />

Waffenforschung – nur als Beispiel genannt. So etwas beim<br />

Flottenkommando durchzubringen ist auf manchen Gebieten<br />

zu schwierig. Auch die Energieforschung fällt darunter. Hätte<br />

es die Sternenflotte zu Zefram Cochrans Zeiten schon<br />

gegeben, wäre dem Experimentieren mit Antimaterie wohl<br />

niemals zugestimmt worden. Meine Methodik ist, die privaten<br />

Firmen zu unterstützen. Oder sie unterstützen mich ein wenig,<br />

mit Forschungsgegenständen und Know-How – je nach Fall.<br />

Den Ruhm können dann die Firmen einsammeln, mir geht es<br />

nur um den Erhalt von Forschungsergebnissen.“<br />

King war verblüfft über die unverblümte Art, mit der<br />

Nechayev auf eine interessante Methode zugab, dass sie sich<br />

nicht ganz an die Sternenflottenregeln hielt und sogar<br />

Betriebsspionage für sie durchführte. Ja, sie nahm sich die<br />

Arbeiten von anderen Leuten.<br />

Er stocherte eine Weile in seinem Essen. „Warum erzählen Sie<br />

mir das?“<br />

„Weil ich ihn ihnen etwas sehe.“, sagte Nechayev. „Ich sehe<br />

Ehrgeiz. Frustrierten Ehrgeiz. Und ich sage ihnen, Howard,<br />

Sie müssen nicht frustriert sein. Und es muss auch nicht sein,<br />

dass ihre Firma den Bach runtergeht. Doch genau das wird<br />

passieren, wenn sie genauso weitermachen wie bisher. Wie alt<br />

ist ihr Sohn?“<br />

„Vier.“<br />

Nechayev seufzte. „Es ist nicht einfach mit einer so jungen<br />

Familie. Aber ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen. Sie<br />

arbeiteten schon länger mit Resonanzkammern, nicht wahr?“<br />

„Ja, meine Firma hat sie hergestellt und verbessert. Aber das


ist fehlgeschlagen, der Absatzmarkt hat sich anderen Dingen<br />

zugewandt, speziell auf dem Gebiet der Protomaterie. Die<br />

Resonanzkammern wurden trotz ihrer vielschichtigen<br />

Einsetzbarkeit von starren Harmonikkammern abgelöst, die<br />

speziell auf Protomaterie zugeschnitten sein müssen. Und…<br />

na ja, wir bekommen sie einfach nicht hin. Mit den<br />

Resonanzkammern kennen wir uns aus, aber damit? Ich<br />

wüsste nicht, wie das meine Firma retten könnte.“<br />

„Dann passen Sie gut auf, was ich ihnen nun vorzuschlagen<br />

habe.“<br />

Zwei Wochen später hatte Howard mit Alynna Nechayev<br />

zusammengearbeitet. Sie hatte ihn mit Geldern versorgt und er<br />

hatte ihr eine Resonanzkammer gebaut, wie sie sonst nirgends<br />

erhältlich war. Bei ihrer intensiven Zusammenarbeit in den<br />

vergangenen Monaten, hatte King all Seiten Nechayevs<br />

kennen gelernt – die charismatische, die visionäre, aber auch<br />

die dunkle, skrupellose Seite. King redete sich ein, dass er gut<br />

mit der skrupellosen Seite umgehen, sie in Schach halten<br />

konnte, dass er das im Laufe der vergangenen Monate gelernt<br />

hatte. Aber manchmal war er sich da nicht so sicher. Wie jetzt<br />

in diesem Augenblick. Denn hier waren sie, auf einem fernen<br />

Mond gestrandet, irgendwo in den tiefsten unerforschten<br />

Territorien des cardassianischen Raumes, wo selbst die noch<br />

nie ihre Flagge gehisst hatten.<br />

Nechayev hatte ein Spiel gespielt und hatte es verloren. Ob<br />

Rettung kommen konnte, wusste King nicht. Aber er war sich<br />

sicher, dass sie länger als nur ein paar Tage dauern würde. Er<br />

scharrte mit den Schuhen im Sand und ging zurück zum<br />

Lager, wo er etwas abseits davon Nechayev erspähte. „Hören<br />

Sie.“, sagte King. „Wir müssen uns unterhalten.“<br />

„Über was?“


„Über das hier.“ Nechayev blickte sich kurz verschwörerisch<br />

um. Nickte dann und deutete auf die Ebene, weg vom Lager.<br />

„Was haben Sie auf dem Herzen?“<br />

Und sie lächelte. Dieses charmante Lächeln.


Fluchtkapsel 13<br />

Auf einen Mond zu stoßen, dessen Name auf keiner Karte<br />

verzeichnet war, das war im Weltraum an sich nichts<br />

ungewöhnliches. Schon gar nicht hier, in einem Winkel des<br />

cardassianischen Territoriums, wo viele gar nicht wussten dass<br />

er existierte, geschweige denn, wo er lag. Aber rein gar nicht<br />

zu wissen, wo dieser Mond lag und wo auf diesem Mond sie<br />

sich nun überhaupt befanden, dass erschütterte O’Conner bis<br />

in die tiefsten Tiefen seiner irischen Seele. Das war aber nicht<br />

das beunruhigende.<br />

Das wirklich beunruhigende waren die Gestalten, die sie vor<br />

wenigen Minuten in der Nacht entdeckt hatten und die sich<br />

langsam den Hang hinunter, mit Fackeln in der Hand auf ihre<br />

Rettungskapsel zubewegten.<br />

O’Conner warf einen kurzen Blick zu seinen Leuten. Sie<br />

hatten das Feuer erlischt und kauerten nun vor der<br />

Rettungskapsel, versuchten mit zugekniffenen Augen etwas zu<br />

erkennen. „Was sind das für welche?“, murmelte Tessler<br />

angespannt. „Freundlich? Feindlich?“<br />

„Sehen feindlich aus.“, meinte Spiers.“<br />

„Der Schein könnte trügen.“, sagte O’Conner und atmete tief<br />

ein. „Ich gehe hin und rede mit ihnen.“<br />

„Hälst du das für eine gute Idee?“, fragte Spiers neben ihm.<br />

„Haben wir denn eine Wahl? Die haben uns längst entdeckt.<br />

Sieh genau hin, Ron. Wer immer sie sind, sie kommen direkt<br />

auf uns zu. Füher oder später werden wir mit ihnen reden<br />

müssen und um Missverständnissen vorzubeugen, sollte das<br />

früher als später geschehen. Auch wenn’s nicht verlockend<br />

erscheint.“


O’Conner wollte aufstehen, aber Spiers kräftige Hand auf<br />

seiner Schulter drückte ihn wieder herab. Gleichzeitig stand<br />

der Sicherheitsoffizier selbst auf. „Ich gehe.“<br />

„Ron, deine Sorge ist schmeichelhaft, aber-“<br />

„Die Crew braucht dich. D’Agosta braucht dich. Ich gehe. Nur<br />

für den Fall der Fälle.“<br />

Die Gestalten waren wieder nähergekommen. Vielleicht<br />

achtzig Meter, schätzte O’Conner. Vielleicht weniger.<br />

„Ron-“<br />

Aber Spiers war bereits mit festem Schritt losmarschiert. Die<br />

Nacht war ruhig. Irgendwo Zirpte eine Zikade.<br />

„Das gefällt mir nicht.“ sagte Tessler.<br />

„Vielleicht sollten wir verschwinden.“<br />

„In der Nacht?“, fragte O’Conner? „Und das, wo wir vorhin<br />

die Raubtiere, diese Tiger entdeckten?“ Er brummte. „Ohne<br />

Waffen und Orientierungsmittel, sind wir hier an der Kapsel<br />

genauso gut oder schlecht aufgehoben, wie in der Ödnis.“<br />

Spiers hatte die lederngekleideten Gestalten erreicht und blieb<br />

stehen, aber er kam nichteinmal dazu, den Mund zu öffnen.<br />

Eine Frau in der ersten Reihe zog kommentarlos ein Gewehr<br />

und Schoss Spiers nieder. Der Knall war ohrenbetäubend.<br />

Spiers lebloser Körper sackte zur Seite und klatschte auf den<br />

Boden wie ein nasser Sack.<br />

Das alles geschah so schnell und so undramatisch, dass<br />

O’Conner geschlagene fünf Sekunden einfach dastand und aus<br />

fassunglsos aufgerissenen Augen auf die Uniform seines<br />

Freundes starrte, unter der eine dunkle Blutlache entstand.<br />

Dann geschah alles gleichzeitig, rasend schnell. In den<br />

Händen der gut fünf Mann, die plötzlich losrannten und dabei<br />

ein markerschütterndes Gebrüll anstimmten, erschienen<br />

plötzlich primitiv anmutende, aber zweifellos wirksame<br />

Gewehre und Pistolen.<br />

Jemand brüllte: „Da ist er, schnappt ihn euch!“


Und O’Conner erkannte, dass sie hinter ihm her waren und<br />

offenbar genau wussten, wer er war und wie er auszusehen<br />

hatte.<br />

Das alles passierte innerhalb eine Sekunde. In der zweiten<br />

Sekunde stolperte O’Conner, stürzte zu Boden und rappelte<br />

sich wieder auf. Er lief zusammen mit Tessler zur Kapsel und<br />

versuchte Martin und B’Sogg zu wecken und aus der Kapsel<br />

zu zerren, wobei O’Conner erneut stürzte. Er sah über die<br />

Schulter und stellte schockiert fest, dass die Angreifer fast bei<br />

ihnen waren. O’Conner ballte die Fäuste, brüllte seinerseits<br />

und rannte ihnen entgegen. Er hoffte sie aufhalten zu können,<br />

hoffte, dass sie richtig kämpfen würden und das er ihnen dann<br />

in den Hintern treten und Spiers rächen würde. Hauptsache er<br />

verschaffte Tessler Zeit.<br />

Er holte ordentlich Schwung und lies die Faust fliegen, doch<br />

der erste der Typen tauchte gekonnt unter seinem Schlag<br />

hindurch, prallte gegen O’Conner und warf ihn zu Boden. Und<br />

dann fielen sie über ihn her.


Geräusch<br />

„Fahren sie Captain O`Conner holen.“<br />

Allan D’Agosta lehnte sich an die Streben des Jeeps und sah<br />

Penkala an, der auf dem Platz des Fahrers saß. Er und Dike<br />

hatten den Jeep sozusagen für sich annektiert und niemand<br />

sprach sich dagegen aus.<br />

„D’Agosta.“, sagte Penkala ruhig. „Ich hab’s doch schon<br />

erklärt, wir können erst los, wenn es hell ist. Die Energiezellen<br />

des Jeeps müssen erst wieder aufladen.“<br />

D’Agosta seufzte. „Sind wie wirklich leer?“<br />

„Ist fast alles aufgebraucht.“, nickte Penkala. „Hier sehen<br />

Sie.“ Er tippte auf die schwächlich glühende Energieanzeige<br />

an den Armaturen. Der Ladebalken war beinahe völlig<br />

erloschen. „Das reicht bei aktivierten Scheinwerfern höchstens<br />

noch für zwei Kilometer. Vielleicht drei. Aber dann ist auch<br />

schon Schluss. Tut mir leid.“<br />

„Schon okay.“ D’Agosta wirkte enttäusch.<br />

„Ist Nechayev wieder auf Wanderschaft?“, fragte Penkala.<br />

Allan nickte. „Wissen Sie, ich könnte Captain O’Conner hier<br />

wirklich brauchen.“<br />

„Kann ich verstehen. Wir werden gleich morgen früh<br />

losfahren, ihn suchen und abholen.“ Er sah über die Schulter<br />

zu den Bergen in dessen Sichelförmigen Tal die Absturzstelle<br />

der Kapseln lag. Dann drehte er sich wieder rum. „Wir haben<br />

ja jetzt grob seine Richtung. Glauben Sie mir, niemand will<br />

mehr als ich, dass O’Conner hier ist, Nechayev in den Wind<br />

schießt und sie dann ablöst, aber es geht nicht.“<br />

D’Agosta sah auf, als sich Schritte näherten.


„Ist doch alles halb so wild.“, sagte Manilow Crocker. Er hatte<br />

sich einen großen Beutel, ausgefüllt mit allerhand Notrationen<br />

umgeschnallt und versuchte die Leute ein wenig aufzuheitern,<br />

in dem er die Nahrung in den Reihen der Offiziere verteilte.<br />

Die Meisten waren sehr dafür. Und Crocker’s brummige, aber<br />

gleichzeitig sympathische Art tat ihr übriges.<br />

„Meinen sie?“, fragte Allan und nahm eine der verschweißten<br />

Tüten entgegen. Auf der Packung stand Truthahnkruste.<br />

„Meine ich.“, nickte Crocker. „Die Sternenflotte wird sofort<br />

ein Schiff zu uns schicken, sobald die merken, dass wir uns<br />

nicht melden. Ein paar Tage vielleicht, dann werden sie längst<br />

da sein. Und bis dahin sollten wir das ganze als ungeplante<br />

Campingtour betrachten.“<br />

„Wohl eher eine katastrophale Campingtour.“, schnaufte<br />

Penkala.<br />

„Wann sind Campingtouren nicht katastrophal?“, entgegnete<br />

Crocker und reichte auch ihm eine Tüte.<br />

„He!“, machte er, als Allan in die Tasche langte und sich ein<br />

zweites und ein drittes Paket nahm. „Keine<br />

Sonderbehandlungen.“<br />

„Die hier ist für Judy und diese hier ist für meinen<br />

Schutzengel.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und suchte<br />

das Lager nach einer bestimmten Person ab. Er fand die<br />

blonde Frau abseits der anderen auf einem Stein sitzen und das<br />

Schwert polierend.<br />

Sie sah auf, als D’Agosta ihr eine der Notrationen raschelnd<br />

vors Gesicht hielt. Ihr Blick wechselte zwischen Allan und der<br />

silbernen Tüte. Dann lächelte sie, steckte das Schwert zurück<br />

in das Futtertal und legte es sorgfältig neben sich auf den<br />

Boden, wo auch ihr Rucksack stand. Jetzt, wo er in Ruhe<br />

einen Blick darauf werfen konnte, stellte D’Agosta fest, dass<br />

es sich dabei um kein Sternenflottenmodell handelte. Auch<br />

ihre schweren Stiefel gehörten nicht zur allgemeinen<br />

Kleiderordnung.


Sie nahm die Ration entgegen. „Danke sehr.“<br />

„Nicht doch. Eigentlich bin ich ja hier, damit ich mich bei<br />

ihnen bedanken kann, nicht umgekehrt.“ Er deutete auf die<br />

freie Fläche neben ihr. „Darf ich?“<br />

Die Frau zuckte nur mit den Schultern, sagte aber nichts.<br />

D’Agosta war sich nicht ganz sicher, ob es ihr wirklich recht<br />

war, dass jemand den Kontakt zu ihr suchte, aber er setzte sich<br />

trotzdem.<br />

„Wie gesagt, ich wollte mich bei ihnen bedanken. Weiß nicht,<br />

ob ich Judy aus dem brennenden Quartier bekommen hätte,<br />

wenn Sie nicht gewesen wären. Sie und ihr Schwert.“<br />

Sie lächelte, entblößte perlweise Zähne. „Ist schon okay.“<br />

„Dabei weiß ich nicht mal, wie Sie heißen...“, sagte D’Agosta.<br />

Zu seiner Enttäuschung unternahm die Frau keinerlei<br />

Anstalten ihm ihren Namen zu verraten, sagte nur „Aha“ und<br />

riss die Tüte auf.<br />

Also probierte er eine andere Taktik und reckte ihr die offene<br />

Hand entgegen. „Ich bin Allan. Allan D’Agosta.“<br />

Die Frau schien zu zögern, ernsthaft darüber nachzudenken,<br />

ob sie ihren Namen preisgeben sollte, schüttelte ihm dann aber<br />

doch die Hand. „Shannyn. Shannyn Bartez.“<br />

D’Agosta horchte auf. „Kommt mir bekannt vor.“<br />

„Das höre ich leider öfters.“ Sie zuckte mit den Schultern.<br />

„Schätze es geht Leuten, die durch eine Verkettung von<br />

Zufällen und Verwandtschaftsgraden den Namen Kirk,<br />

Archer, oder Sisko tragen, ganz ähnlich.“<br />

„Hm.“, machte Allan. „Ich habe den Namen auch noch nie auf<br />

einer der Passagierlisten gesehen. Von ihrem Gesicht ganz zu<br />

schweigen.“<br />

„Ich bin neu an Bord.“, sagte Shannyn knapp.<br />

„Auf Deep Space Nine zu uns gestoßen?“<br />

Shannyn griff in die raschelnde Tüte, brach einen Brocken des<br />

keksartigen Inhalts ab und kaute darauf herum. „Genau.“


D’Agosta machte ein nachdenkliches Gesicht. „Okay, das ist<br />

einleuchtend. Die Personalakten der Neuzugänge habe ich<br />

noch nicht geprüft. Was hat Sie denn ausgerechnet auf die<br />

<strong>Shenandoah</strong> verschlagen?“<br />

Ein Schatten huschte über ihr attraktives Gesicht. „Ich muss<br />

mich meinem Schicksal stellen.“<br />

„Hm.“, machte Allan erneut. „Wo waren Sie vorher?“<br />

„Hier und dort.“<br />

Schweigen.<br />

„Und wo waren Sie genau?“<br />

Sie lächelte und sah zu ihm herüber.<br />

Tolle, blaue Augen. „Ist das eine Befragung?“, wollte sie<br />

wissen.<br />

Er lächelte ebenfalls. „Vielleicht.“<br />

„Ich bin ein wenig im Universum umhergetingelt. Hab diverse<br />

Orte und Planeten untersucht... War eben hier und dort.“<br />

„Oh, Abenteurerin?“<br />

„Abenteuererin, Wissenschaftlerin...“ Shannyn zuckte knapp<br />

mit den Schultern. „Manch einer würde mich sicher auch als<br />

Grabräuber bezeichnen. Kommt wohl ganz drauf an, mit wem<br />

sie sich unterhalten.“ Im Lager erklang fröhlicher Jubel, als es<br />

den Leuten endlich gelang, mit der Restenergie eines Phasers<br />

ein großes, nützliches Lagerfeuer zu entfachen.<br />

„Wissenschaftlerin, also.“, sagte D’Agosta. „Welches<br />

Fachgebiet?“<br />

Shannyn schürzte die Lippen. „Paläontologie, Anthropologie...<br />

einfach alles was mit ologie endet. Gelegentlich widme ich<br />

mich auch der Raubtierforschung, aber meine größte Passion<br />

ist sicherlich die galaxisweite Archäologie.“<br />

„Das sind ne Menge Interessen.“, sagte D’Agosta beeindruckt.<br />

„Ist ja auch ein großes Universum in dem es viel zu entdecken<br />

gibt.“<br />

„Machen Sie das schon lange?“


„Eine ganze Weile, ja. Seit über zwölf Jahren schon. Und seit<br />

meiner Doktorarbeit vor Zehn Jahren ununterbrochen.“<br />

„Interessant.“, entgegnete D’Agosta kopfnickend. „Und dann<br />

haben Sie sich zum Wechsel in die Kommandolaufbahn<br />

entschieden? Als Wissenschaftler bekommt man kein eigenes<br />

Kommando, stimmt’s.“<br />

„Denke schon.“<br />

„Wollen Sie denn eins? Ein eigenes Kommando, meine ich.“<br />

Shannyn atmete schwer, tat sich mit der Antwort auf diese<br />

Frage offenbar schwer. „Eigentlich war das ja nie mein Ziel.<br />

Ganz im Gegenteil sogar. Aber in letzter Zeit... Meinungen<br />

ändern sich eben.“<br />

„Hm.“<br />

Eine kleine Pause entstand.<br />

Dann sagte D’Agosta. „Ich strebte nie eins an.“<br />

„Warum tragen Sie dann die rote Uniform?“<br />

Er machte eine vage Geste. „Ich wollte zurück in den aktiven<br />

Dienst. Ursprünglich wieder als Offizier an der Ops, aber ich<br />

glaube Captain O’Conner dachte, mir etwas gutes zu tun mit<br />

dieser Uniform und der Beförderung.“<br />

„Hat er etwas gutes getan?“<br />

„Nicht wirklich.“, erwiderte D’Agosta niedergeschlagen.<br />

„Sonst wäre ich kaum auf dem Mond hier, oder?“ Er lächelte<br />

sanft. „Aber davon abgesehen auch nicht. Ich habe die Stelle<br />

für mich angenommen. Anfangs auch für Judy. Es geschah in<br />

den besten Absichten, endete aber in einer Katastrophe.“<br />

„Sie sind ein junger Vater.“, stellte Shannyn fest.<br />

D’Agosta nickte. „Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Judy<br />

war nicht unbedingt ein Wunschkind. Wie gesagt, nicht falsch<br />

verstehen. Ich liebe Sie über alles, aber die Kleine kam aus<br />

heiterem Himmel, wenn Sie so wollen. Schwupps, da war Sie.<br />

Das hatten wir nicht unbedingt geplant. Offen gestanden, traf<br />

mich das sogar sehr unvorbereitet.“<br />

„Wo ist ihre Frau?“


D’Agostas Gestalt erschlaffte einen Moment. „Debbie starb<br />

vor einigen Jahren.“<br />

„Das tut mir leid.“, meinte Shannyn mitfühlend.<br />

In der Ferne stoben blitzartig dreiköpfige Vögel überall auf<br />

und flatterten kreischend davon.<br />

„Ja. Ich hoffe, dass wir den Aufenthalt auf der Oberfläche hier<br />

überstehen.“<br />

Er sah auf, als Shannyn ihr eine Hand auf die Schulter legte<br />

und sehr ernst sagte: „Ich bringe Sie und ihre Tochter hier<br />

durch. Versprochen.“<br />

Er wollte etwas erwidern, als plötzlich ein krachend lautes<br />

Geräusch erklang.<br />

So laut, so furchtbar laut.<br />

D’Agosta erschrak und fuhr zusammen. Er drehte den Kopf<br />

Richtung Ebene, von wo das Geräusch dröhnte. Was immer<br />

das war, er konnte es nicht einordnen. Es klang beinahe...<br />

beinahe wie ein merkwürdiges Nebelhorn. Ein unirdischer<br />

Schrei, wie er ihn noch nie zuvor vernommen hatte. Und so<br />

laut!<br />

Es war furchterregend. Mehr Vögel flatterten panisch davon.<br />

„Was ist das?“, fragte D’Agosta.<br />

Shannyn neben ihm, sagte nichts. Die Menschen im Lager<br />

liefen nervös aus den Kapseln ins freie, sahen sich verwirrt an<br />

und starrten entsetzt in die Ebene.<br />

„Was ist los?“<br />

„Hast du das gehört?“<br />

„Ich weiß nicht.“<br />

„Dike, was ist das?“<br />

Der Ton des Nebelhorns begann von mehr als einer Richtung<br />

aus der Ebene zu kommen. Als nächstes bebte die Erde unter<br />

ihren Füßen. Und dann – Allan konnte kaum glauben, was er<br />

in der Dunkelheit sah – hob etwas gewaltiges das Erdreich an.<br />

Mindestens einen halben Kilometer hoch. Die Erde blähte sich<br />

auf, als sei unter ihr ein gigantischer Ballon, den jemand


aufblies. Und dann schrumpfte er wieder zusammen. Es<br />

wälzte ein bestimmtes Gebiet in der Ebene komplett um. Das<br />

Beben hörte zeitgleich mit dem Geräusch auf. Alles beruhigte<br />

sich. Die Nacht war wieder still.<br />

„Wow.“, sagte Shannyn. Und dann hörte sie Allan sagen: “Wo<br />

ist Judy?”


D’Agosta<br />

Der Türmelder summte. „Ich komme sofort.“ Allan D’Agosta<br />

war hinter den aufgestapelten Berichten und Arbeiten auf<br />

seinem Schreibtisch fast gar nicht zu sehen. Er seufzte, schob<br />

das Computerterminal beiseite und stand auf. Während er zur<br />

Tür ging, nahm er einen der zahlreichen Datenblöcke mit und<br />

sah auf die Überschrift.<br />

FRACHTABTEILUNG, Alex Penkala, Frachtgutverlegung<br />

aus Frachtraum vier.<br />

Das Datum war von letzter Woche. Es ging um Torpedos, die<br />

endlich an die Sicherheitszentrale ausgestellt werden sollten.<br />

Ein Bericht, der längst hätte fertig werden müssen. Er seufzte<br />

und warf einen Blick auf das Chronometer. Viertel vor Acht,<br />

Abends. Wer mochte um die Uhrzeit zu ihm kommen. Floyd?<br />

Er betätigte den Türöffner und sah zu seiner Überraschung,<br />

dass Sicherheitschef Ronald Spiers davor stand. Sehr zu<br />

Allans Verdruss hielt er Judy vor sich. Sie trug ihre braune<br />

Jacke, verdrehte fortwährend die Augen und schmollte.<br />

„O Nein.“, stöhnte Allen. „Judy. Schon wieder?“<br />

„Es ist kaum was passiert.“<br />

„Wenn kaum etwas passiert ist, würde ich gerne wissen,<br />

warum sich ein Sicherheitsoffizier in deiner Begleitung<br />

befindet.“<br />

„Ach, vergiss es einfach, Dad.“ Sie schob sich aufgebracht an<br />

ihm vorbei und stapfte ins Badezimmer.<br />

„Was.. was hat sie angestellt?“<br />

„Wir haben sie im Haupthangar erwischt, wie sie gerade eines


der Runabout’s für eine kleine Spritztour entwenden wollte.<br />

Zum Glück hat sie dabei einen erheblichen Defekt an den<br />

Andockklammern ausgelöst. Die klemmen jetzt erst mal und<br />

die Techniker bekommen das Ding irgendwie nicht los.<br />

Könnte noch ein paar Stunden dauern, bis sie rausgefunden<br />

haben, wie sie das beheben.“<br />

D’Agosta seufzte. „O nein.“<br />

„Allan, dies ist jetzt das vierte Mal, allein in dieser Woche.<br />

Wenn das so weitergeht, muss ich zusätzliches Sicherheitspersonal<br />

einstellen, dessen Vollzeitaufgabe es ist, einzig und<br />

allein auf ihre Tochter aufzupassen.“<br />

„Es... es wird nicht wieder vorkommen.“<br />

Spiers schien wenig überzeugt. „Na sicher.“<br />

Allan seufzte erneut. „Danke, Ron.“<br />

„Kein Problem.“ Er schlug D’Agosta freundschaftlich gegen<br />

die Schulter und trat dann zurück in den Korridor. Die Tür<br />

schloss sich zischend hinter ihm und Allan und Judy waren<br />

allein. Sie kam gerade aus dem Bad, er drehte sich zu ihr um.<br />

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“<br />

„Mach nicht gleich wieder nen Aufstand, ja? Ich wollte nur<br />

eine kleine Runde drehen.“<br />

„Andere Kinder-“<br />

Judy hob warnend den Finger. „Lass andere Kinder da raus.<br />

Andere Kinder in meinem Alter können längst ein Runabout<br />

fliegen und wenn du es mir inzwischen beigebracht hättest,<br />

wie du es erst kürzlich versprochen hast, wäre das erst gar<br />

nicht erst passiert.“<br />

„Du weißt, dass ich momentan viel Arbeit habe und-“<br />

Judy verschränkte beleidigt die Hände vor der Brust. „Ja ja,<br />

blabla. Das alte Lied.“<br />

„Judy, was ist denn nur mit dir los?“<br />

„Herrgott, ich wollte mir nur ein wenig Spaß gönnen.“<br />

Er wandte sich kopfschüttelnd um und ging zurück zu seinem<br />

Schreibtisch. „Spaß? Judy, du bist auf einem Raumschiff-„


„Dieses Schiff ist scheiße!“ Sie rannte hinter ihm her. „Dad,<br />

ich wollte nicht so früh gehen. Ich wollte überhaupt nicht<br />

gehen!“<br />

„Das haben wir doch längst besprochen!“<br />

Judy wurde lauter: „Wir haben überhaupt nichts besprochen,<br />

Dad. Du hast eine Entscheidung für uns beide gefällt und mich<br />

gewaltsam meiner gewohnten Umgebung entrissen. Du hast<br />

mich gekidnappt.“<br />

„Jetzt übertreibst du.“<br />

Sie deutete zum Fenster hinaus. „In die endlosen Tiefen des<br />

Alls verschleppt hast du mich, jawohl! Gegen meinen Willen.“<br />

D’Agosta öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Judy<br />

lies ihm keine Chance. Jetzt kam sie offenbar erst so richtig in<br />

Fahrt. „Ich hab in den vergangenen fünf Jahren alles verpasst!<br />

Und jetzt wurde ich hierher entführt, damit ich in den nächsten<br />

zehn Jahren auch noch alles verpasse.“<br />

„Judy-“<br />

„Ich musste alles aufgeben und du hast mir nicht einmal Zeit<br />

gelassen, um mich von meinen Freunden, um mich von<br />

meinem Leben zu verabschieden.“ Sie stürmte in ihr Zimmer.<br />

„Judy-“ Allan rannte ihr hinterher. Judy schlug von ihnen auf<br />

die piependen Türkontrollen. Die Türhälften stoben vor Allan<br />

zusammen, fast wäre er dagegen gelaufen.<br />

Er betätigte den Türöffner. Nichts geschah. Die Tür war von<br />

innen verriegelt.<br />

„Judy, mach die Tür auf.“<br />

Keine Reaktion.<br />

„Judith D’Agosta mach sofort-“<br />

Judy drehte ihre Anlage auf. Gedämpfte Rockmusik dröhnte<br />

D’Agosta entgegen. Für ihn ein klares „Nicht stören“-Zeichen.<br />

Nun hatte er keine Chance mehr zu ihr zu kommen. Sie würde<br />

sich in ihr Zimmer einsperren, bis er alt und grau war. Allan<br />

schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und spürte ein<br />

heftiges Pochen hinter den Schläfen. Jetzt benötigte er Hilfe.


Wissenschaftsoffizier Floyd Castors Quartier befand sich auf<br />

der anderen Seite des Korridors. Die grauen Wände waren<br />

tapeziert mit Blaupausen, Klemmbrettern mit etlichen,<br />

Kritzelnotizen und kryptischen Ausdrucken von langen<br />

Diagrammen.<br />

Elektronische Komponenten, Ausrüstungsgegenstände und<br />

Stapel Wissenschaftsmagazine türmten sich überall in dem<br />

mittelgroßen Raum. Floyd Castor rannte durch das Chaos und<br />

suchte irgendetwas bestimmtes.<br />

Castor war ein unkonventioneller, dynamischer Typ und Mitte<br />

dreißig. Ein in vielerlei Hinsicht leicht zerstreuter, aber dafür<br />

intelligenter Wissenschaftler, der vielleicht nicht die Brillanz<br />

einer Rhonda Smith aufwies, sich jedoch äußerst hartnäckig in<br />

eine Sache verbeißen konnte, bis er sie schließlich bewältige.<br />

Aber die meiste Zeit seines Lebens war er wohl einfach damit<br />

beschäftigt, Gegenstände zu suchen, die er verlegt hatte.<br />

Außerdem sah Castor verboten gut aus – für einen Wissenschaftler.<br />

Braune Augen, dunkles Haar, markante Züge – man<br />

hätte annehmen können, dass ihm die Frauen zu Füßen lagen,<br />

aber dem war nicht so. Es schien Castor aber auch in keinster<br />

Weise zu kümmern.<br />

„Floyd, ich will dich aber nicht stören.“<br />

Castor wühlte in einem Pappkarton und zog schließlich einen<br />

zerkratzten Tricorder hinaus. Dann schüttelte er den Kopf und<br />

sah zu D’Agosta hinüber, der sich auf seiner Couch einen<br />

kleinen freien Platz geschaffen hatte und nach vorne gebeugt<br />

die Finger knetete. Er war vor zwei Minuten völlig aufgewühlt<br />

hineingekommen – Familienprobleme.<br />

„Nicht doch, geht schon in Ordnung.“<br />

„Hast du denn keinen Dienst auf der Brücke?“<br />

„Ich?“, fragte Castor erstaunt und berührte mit den Händen<br />

seine Brust. „Nein. Das hat inzwischen Doktor Smith


übernommen, du weißt schon. Die Brünette, die was mit<br />

Hawk hat. Sie ist nun leitender Wissenschaftsoffizier.“<br />

„Kränkt dich das nicht?“, fragte D’Agosta.<br />

„Ne, keine Sorge. Es ist in Ordnung, wirklich. Letztlich bin<br />

ich sogar viel Glücklicher. Ist schon eine feine Sache, wenn<br />

die Forschungsprojekte nicht vom langweiligen Brückendienst<br />

unterbrochen werden. Obendrein ist Smith wirklich eine<br />

bessere Wahl.“<br />

„Sag nicht so was.“<br />

„Doch, das ist sie definitiv. Ich weiß nicht, wie sie es macht,<br />

Allan. Unsereins muss unzählige Wochen lernen, monatelang<br />

forschen und so weiter. Aber Smith schaut einmal über eine<br />

Gruppe Basenpaare und hat sofort alles kapiert. Sie ist ein<br />

Genie.“<br />

„Und was suchst du gerade?“<br />

„Ich bin auf dem Weg zum Labor, wo ich... verdammt, wo ist<br />

denn- ah, da!“<br />

Er suchte, einen länglichen Behälter, über dessen Zweck Allan<br />

höchstens spekulieren konnte, und fand ihn zwischen einem<br />

ungeöffneten Paket Bodenproben von Tellar.<br />

„Ich muss noch ins Labor, ein paar Tests mit radioaktiven<br />

Isotopen machen, an denen wir momentan arbeiten. Außerdem<br />

sollte Penkala endlich mal die neuen Sonden freigeben, die<br />

vorgestern von DS9 geliefert wurden. Die sind in irgendeinem<br />

Container verschwunden, keiner weiß in welchem. Aber egal.<br />

Also, wo ist Judy jetzt?“<br />

„Sie hat sich in ihr Zimmer eingesperrt.“, sagte D’Agosta.<br />

„Hat sie die Musik aufgedreht?“<br />

„Ja.“<br />

„Sieht übel aus, Allan.“<br />

D’Agosta schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. „Ich<br />

weiß langsam nicht mehr weiter, Floyd. Ich beginne an mir zu<br />

zweifeln. An meinen väterlichen Fähigkeiten.“<br />

„Ach, Allan, mach dir da nichts draus. Du bist ’n guter Vater,


glaub mir. Zu Passiv, aber ein guter Vater.“<br />

„Ich bin nicht passiv. Ich bin bedachtsam. Judy ist ein<br />

Energiebündel, vom Naturell her ein fegender Orkan-“<br />

„Wohingegen du eher einem lauen Lüftchen gleichst.<br />

Vielleicht hast du nur einfach ein anderes Bild von dir. Weißt<br />

du, das ganze psychologische Wissen hat einen Haken – kaum<br />

jemand kann es auf sich selbst anwenden. Man kann einen<br />

unglaublichen Scharfblick für die Unzulänglichkeiten seiner<br />

Freunde, Partner, Kinder entfalten. Aber sich selbst gegenüber<br />

ist man meistens blind. Die gleichen Leute, die mit nüchterner<br />

Klarheit ihre Umwelt durchschauen, wiegen sich in Illusionen,<br />

wenn es um sie selbst geht. Die Psychologie funktioniert nicht,<br />

wenn man in einen Spiegel schaut.“<br />

D’Agosta seufzte. „Unter Umständen hast du sogar recht.<br />

Deborah war der strenge Elternteil. Auf sie hat Judy immer<br />

gehört. Immer. Ich kann sie niemals ersetzen.“<br />

„Das musst du doch auch nicht.“, sagte Castor. „Du hast eine<br />

clevere Tochter. Cleverer, als die Meisten in ihrem Alter und<br />

bereits jetzt sehr eigenständig.“<br />

„Meinst du?“<br />

„Allan, sie bügelt deine Wäsche.“<br />

Eine Pause entstand.<br />

Nach einer Weile fragte D’Agosta: „Wie macht sie sich denn<br />

im Unterricht.“<br />

Floyd zuckte mit den Schultern. „Na ja, sie zeigt nicht gerade<br />

beträchtliche Begeisterung für die Dinge, die ich ihr beizubringen<br />

versuche.“<br />

„O Gott.“<br />

„Allan, das ist doch normal. Sie kommt langsam in die<br />

Pubertät und interessiert sich für andere Dinge.“<br />

„Ich fürchte sie ist schon mittendrin.“, sagte D’Agosta.<br />

Castor ging indess zum Replikator. „Zwei Raktajinos.“ Das<br />

Gerät gehorchte und zwei Tassen entstanden aus der Luft im<br />

Ausgabefach. Castor schnupperte am Aroma, dann reichte er


D’Agosta eine heiße Tasse und setzte sich behutsam neben<br />

ihn. „Ich bin mir nicht sicher, ob die <strong>Shenandoah</strong> der rechte<br />

Ort für Judy ist. Sieh mal, Ashley und ich haben versprochen,<br />

dass wir dir helfen. Alle an Bord haben das. Ich weiß nur<br />

nicht, ob wir ihr hier überhaupt jenes Wissen vermitteln<br />

können, dass sie sonst auf der Erde bekommt.“<br />

„Wenn es um die Noten geht-“<br />

„Ich meine nicht die Noten.“, sagte Castor. Er trank aus seiner<br />

Tasse, ohne den Blick von D’Agosta zu nehmen. Allan seufzte<br />

und sah sich im Quartier um. „Ich dachte es wäre eine gute<br />

Idee, sie zurück auf ein Sternenflottenschiff zu nehmen. Ich<br />

war mir so sicher, es wäre das Richtige für sie.“<br />

„Hast du es wirklich für Judy getan?“<br />

„Nein, mich hat auch die Stellung gereizt.“<br />

„Allan, also bitte.“, sagte Castor. Er legte D’Agosta eine Hand<br />

auf die Schulter. „Nimm das jetzt wirklich nicht persönlich,<br />

aber ein Affe in einem Raumanzug könnte deinen Posten hier<br />

übernehmen. Was hast du heute gemacht?“<br />

„Ich habe Berichte-„<br />

„Berichte geschrieben, genau. Machst du doch immer. Was<br />

bist du? Ein Systemanalytiker. Dazu wurdest du ausgebildet.<br />

Brauchen wir an Bord eines schweren Kreuzers – eines<br />

Trägers - einen Analytiker? Nein. Du bist ne bessere Tippse,<br />

weißt du das? Eine Ranghohe, aber eine Tippse.“<br />

D’Agosta nickte schwerfällig. „Captain O’Conner hat mir<br />

nach Deborahs Ableben den Job angeboten. Er wusste, dass<br />

ich etwas anderes erleben musste.“<br />

„Ach komm. Willst du mir etwa sagen, du hast die, Erde<br />

verlassen, nur um Papierkram zu erleben? Das kann doch<br />

unmöglich dein Herzenswunsch sein.“<br />

D’Agosta seufzte. „Du weißt, warum ich die Erde verlassen<br />

habe, Floyd.“<br />

„Klar, du läufst davon.“, nickte Castor. „Ich weiß. Du willst<br />

deine Vergangenheit zurücklassen, die Erde, New Jersey, euer


Zuhause. Aber ist es das, was auch Judy will?“ Allan wollte<br />

etwas sagen, aber Castor bedeutete ihm, er solle still sein.<br />

„Das ist nicht einmal die Frage. Es ist eher die Frage, ob es gut<br />

für sie ist.“<br />

„Wie meinst du das?“<br />

Floyd stand auf und ging wieder im Quartier umher, auf der<br />

Suche nach weiteren, verstreuten Ausrüstungsgegenständen.<br />

„Wie du schon sagtest, Judy ist in der Pubertät. Sie beginnt<br />

Erfahrungen zu machen.“<br />

Allan’s Augen weiteren sich. „Du meinst doch wohl nicht<br />

etwa-“<br />

Castor zuckte nur mit den Schultern. „Die Kinder von Heute<br />

werden sehr viel schneller erwachsen, als wir damals. Vor<br />

allem als wir beide es wurden. Judy ist schon jetzt um einiges<br />

Lebhafter als du in ihrem Alter. Mein Gott, Allan, wir beide<br />

waren verdammte Stubenhocker. Sind viel zu selten<br />

ausgegangen und haben viel zu spät damit angefangen.<br />

Irgendwann kam die Akademie, dann bei dir deine Tochter<br />

und es war nicht mehr möglich.“ Plötzlich lachte er. „Du<br />

erinnerst dich doch noch an Melaks Geburtstagsfeier?“<br />

D’Agostas Züge erhellte sich. „Wie könnte ich diese Feier je<br />

vergessen?“, sagte er sanft.<br />

Und Castor lachte weiter. „Als, du mit diesen fetten,<br />

besoffenen Pakleds im Wohnbereich Prallball gespielt hast.<br />

Was war noch gleich der Ball gewesen?“<br />

„Ein Brötchen.“<br />

„Ein Brötchen. Meine Güte, das war irre. Die ganze Party war<br />

irre. Und Borodin hat irgendwann nur noch völlig fertig in der<br />

Ecke gelegen.“<br />

Beide lachten.<br />

„Das waren gute Zeiten.“, sagte D’Agosta.<br />

„Nein.“, äußerte Castor und hob seine Tasse. „Das waren<br />

großartige Zeiten. Wenn ich mich nicht irre, hast du auf dieser<br />

Feier auch Deborah kennen gelernt, nicht wahr?“


D’Agostas Blick wurde wieder ernster. „Das habe ich.“<br />

„Diese Party war eine Dummheit. Eine gute Dummheit, weil<br />

wir Dummheiten selten fabrizierten, aber eine Dummheit. Und<br />

eine wunderbare Erfahrung. Würdest du diese Erfahrung<br />

missen wollen?“<br />

„Keinesfalls.“, sagte D’Agosta leise. „Ich verstehe, worauf du<br />

hinauswillst.“<br />

Castor nickte. „Judy muss ihre eigenen Erfahrungen machen.<br />

Sie muss sich ausleben und entfalten können. Auf diesem<br />

Raumschiff? Keine Chance. Es wird für sie wie ein Käfig sein.<br />

Und sie beginnt bereits an den Gitterstäben zu rütteln. Auf der<br />

Erde hat sie ihre Freunde, ihr Leben. Ihre Zukunft. Und du…<br />

ich denke, du findest auf der <strong>Shenandoah</strong> sicherlich auch nicht<br />

das, was du brauchst.“<br />

„Und das wäre?“<br />

„Eine Frau, die für Judy die Mutterrolle übernimmt. Und für<br />

dich auch.“<br />

Castor sah noch mal auf sein Chronometer und seufzte. „Ich<br />

muss jetzt los.“ Er stand auf und schwang seine Tasche über<br />

die Schulter. Dann ging er zum Ausgang. „He.“, rief ihm<br />

D’Agosta hinterher. „Danke.“<br />

„Dafür sind Freunde da. Weißt du, Allan, ich wäre traurig,<br />

wenn du nicht mehr an Bord arbeiten würdest. Ja, wirklich.<br />

Aber ich wäre noch trauriger, wenn Judy und du hier<br />

verwahrlosen. Und ein guter Freund sicherlich nicht, wenn ich<br />

da stillschweigend einfach zuschauen würde.“ Er wartete ein<br />

paar Sekunden.<br />

Schweigen.<br />

„Wir sehen uns nachher in der Messe.“<br />

„Ja, sicher.“ Allan war in Gedanken verloren. Bevor Castor in<br />

den Korridor hinaustrat, drehte er sich noch mal um. „Ich kann<br />

dir die Entscheidung nicht abnehmen. Aber du weißt, dass du<br />

irgendwas ändern musst, denn so kann’s nicht weitergehen.“<br />

Nun trat er aus dem Quartier und lies einen grübelnden


D’Agosta zurück. Keiner von beiden konnte ahnen, dass sie<br />

sich niemals wiedersehen würden.<br />

Es war zwei Uhr nachts, als Captain Gabriel O’Conner seine<br />

Uniformjacke schloss und versuchte das graue, zerzauste Haar<br />

zu bändigen. Dann lehnte er sich auf dem Stuhl hinter seinem<br />

Schreibtisch zurück. Sein Quartier war ruhig und nur schwach<br />

beleuchtet. Bis eben hatte er geschlafen. Ein unruhiger Schlaf.<br />

O’Conner hatte sich die ganze Zeit über von einer Seite zur<br />

anderen gewälzt, ohne ein Auge zuzutun. Er wusste warum.<br />

Es war das Gefühl, dass etwas an Bord nicht stimmte. Dass er<br />

die Kontrolle über sein Schiff nicht mehr hatte.<br />

O’Conner murrte und warf einen kurzen Blick zur Decke, als<br />

könne er bis zur Brücke hinaufsehen, die einige Decks über<br />

seinem Quartier lag.<br />

Dann wandte er sich dem Datenblock in seiner Hand zu. Er<br />

hielt ihn gerade vors Gesicht, sodass er sich im mattdunklen<br />

Glas des Displays sehen konnte. Er betrachtete sein Gesicht<br />

im Spiegelbild: ein zerknitterter, müder Mann, mit weißschwarzem<br />

Bart und ungekämmten Haaren. Was soll’s, dachte<br />

er. Warum sollte er auch nicht müde aussehen. Es war mitten<br />

in der Nacht. „Was ist das?“ Er sah über den Rand des<br />

Datenblocks.<br />

Vor ihm, auf der anderen Seite des Schreibtischs saß Allan<br />

D’Agosta und spielte nervös mit den Fingern. Er machte eine<br />

unsichere Mine. „Meine Kündigung, Sir.“<br />

„Das ist mir auch klar, Lieutenant Commander.“, rollte<br />

O’Conner mit den Augen. Er trank einen Schluck aus seinem<br />

warmen Kaffee und las sich das vollständige Schriftstück noch<br />

einmal in Ruhe durch. Eine Pause entstand.<br />

D’Agosta hörte auf, seine Finger zu knoten und starrte<br />

O’Conners Gitarre an, die neben dem Schreibtisch and der<br />

Wand gelehnt stand. Es war eine Sonderanfertigung mit


speziellem Hals.<br />

„Nicht schlecht, das Instrument.“, sagte D’Agosta. „Wo haben<br />

Sie die her, Sir? Sieht aus wie eine romulanische.“<br />

O’Conner las weiter. „Ist eine.“<br />

„Toll.“, sagte D’Agosta und sah sie sich genauer an. „Ich<br />

wusste gar nicht, dass sie spielen können. Ich wollte das auch<br />

mal probieren, aber-“<br />

„Allan.“, unterbrach O’Conner seufzend. „Lassen Sie das. Es<br />

ist zwei Uhr Nachts. Ich habe kaum geschlafen. Also bitte.“ Er<br />

legte den Datenblock auf den Tisch. „Sagen Sie mir jetzt, was<br />

das hier soll. Sie wollen das Schiff verlassen?“<br />

„Ja, Sir.“<br />

„Aber warum?“<br />

„Es ist wegen Judy.“ D’Agosta seufzte schwer. Seine Brauen<br />

zogen sich zusammen „Sie ist die vergangenen Nächte immer<br />

vom Sicherheitsdienst heimgebracht worden. Sie interessiert<br />

sich nicht für den Unterricht und sie-“ Er hielt einen Moment<br />

inne. „Ich fürchte, ich werde Judy verlieren, wenn ich sie<br />

weiter hier auf der <strong>Shenandoah</strong> behalte. Wir... wir sollten<br />

mehr Zeit miteinander verbringen. Sie schreit geradezu nach<br />

Aufmerksamkeit. Ja, ich denke, es ist ein Hilferuf. Ich weiß,<br />

dass Sie momentan zu tun haben, Sir, aber-“<br />

O’Conner schüttelte den Kopf. „Allan. Für ihre Belange habe<br />

ich immer Zeit. Es ist nur heute ein wenig Spät. Könnten wir<br />

das nicht morgen früh-“<br />

„Nein, Sir. Ich muss diese Entscheidung jetzt treffen. Das hier<br />

fällt mir nicht leicht. Ich brauche ihre Bestätigung, damit ich<br />

Judy etwas vorzeigen kann.“<br />

„War es denn nicht abgeklärt zwischen ihnen?“<br />

„Nein, ich habe sie von der Erde geholt. Das ist schon richtig.“<br />

„Allan, Sie sind ein guter Mann. Zuverlässig, Gewissenhaft-“<br />

„...Uninteressant. Seien wir ehrlich, Sir, Karriere werde ich in<br />

der Sternenflotte keine Durchführen. Ein Pakled könnte meine<br />

Arbeit mit Leichtigkeit übernehmen. Und für einen


Kommandoposten bin ich nicht engagiert genug. Ich bin<br />

Dankbar, dass Sie diese Geste damals für mich taten und mich<br />

zum Lieutenant Commander beförderten, aber es ist nur ein<br />

Symbol. Hinter diesen Rangabzeichen steckt eigentlich nichts.<br />

Ich im Kommandobereich - also wirklich! Ich kann ja nicht<br />

mal meine Familie zusammenhalten, wie soll ich da der<br />

Vorgesetzte für jemanden sein?“<br />

„Selbstmitleid steht ihnen nicht. Sie sind zu hart zu sich selbst.<br />

Aber ich erkenne ihre Gründe.“ O’Conner seufzte. „Also gut.“<br />

Er zog einen Stift hervor und wollte die Kündigung<br />

unterschreiben. Die <strong>Shenandoah</strong> ging unter Warp. O’Conner<br />

hob alarmiert den Kopf, gerade als er den Stift ansetzte. „Was<br />

zum-“<br />

Plötzlich schüttelte sich das Deck unter ihnen. Die Gitarre fiel<br />

mit einem schrillen Klang zu Boden. O’Conner lies den Stift<br />

sinken und sprang zum Fenster.<br />

Ein glühender Strahl kochte durch den Weltraum und traf auf<br />

ihre Schilde. Das Schiff schlingerte. Sie wurden angegriffen.


Höhle<br />

Es war heiß, staubig und dunkel. Judy ächzte und richtete sich<br />

nach dem Sturz in einen Seitengang wieder auf. Erst als sich<br />

ihre Augen nach einiger Zeit an das Halbdunkel gewöhnten,<br />

ging sie weiter. Oder zurück. Nach ein paar Metern blieb sie<br />

stehen und sah sich in der dunklen Höhle um. Die Wände<br />

guckten alle gleich aus. Braun und rissig. „Das ist nicht der<br />

Weg, den du gekommen bist.“, sagte sie zu sich selbst.<br />

Sie drehte den Kopf.<br />

Die Höhle hatte beim Betreten nur einen kleinen Eindruck<br />

gemacht, allerdings musste es hier Stollen geben, die sich über<br />

Meilen hinzogen. Es gab so viele Nebengänge und Nischen.<br />

Weitere Höhlen, groß und klein.<br />

Sie hustete.<br />

Nachdem sie gestürzt war, musste sie die Orientierung<br />

verloren und in die falsche Richtung gelaufen sein. „Du hast<br />

dich verirrt, Judy.“<br />

Sie ging weiter. Es war nicht gänzlich dunkel in der Höhle. Zu<br />

ihrer eigenen Verwunderung, wurde es etwas heller, je weiter<br />

sie ging. Woher das Licht stammte, konnte sie nicht sagen. Es<br />

gab keine Fackeln, keine Risse, durch die Licht drang. Es war,<br />

als würden die Wände selbst strahlen. Sie gelangte nach<br />

einigen Minuten in eine sehr viel größere Höhle, in der<br />

Strukturen, wie Baumstämme bis zur Decke wuchsen. Rotes<br />

Moos bedeckte alles. Sie glaubte ein Schmatzen unter ihren<br />

Stiefeln zu hören. Insekten. Judy schloss den Reißverschluss<br />

und schlug den Kragen ihrer Jacke auf. Sie fröstelte. „Wo<br />

zum Dren bist du, Judy?“ Ihre Stimme hallte von den Wänden<br />

wieder. „Das ist nicht witzig.“


Allmählich wurde ihr die Sache doch unheimlich. „Dad!“<br />

Keine Antwort.<br />

„Frell!“, fluchte sie. Lauter: „Dad!“<br />

Plötzlich hörte sie etwas. Eine Stimme. Weit vor sich. Jemand<br />

rief nach ihr.<br />

„Dad, bist du das?“ Sie rannte auf die Quelle der Geräusche<br />

zu. Sprang dabei gekonnt über einen Fels und rannte weiter.<br />

Nach einigen Sekunden erreichte sie eine Zwischenhöhle. Ein<br />

Bach oder etwas in der Art schien durch sie zu laufen. Aber es<br />

war kein Wasser. Die Flüssigkeit blubberte. Möglicherweise<br />

Säure.<br />

„Frell!“, sagte Judy erneut und sprang auf die Steine, die sie<br />

zum anderen Ufer führten. Es folgten weitere Höhlen. „Dad?“<br />

Aber die Geräusche waren inzwischen verstummt. Sie<br />

stemmte die Hände gegen die Knie und versuchte wieder zu<br />

Atem zu kommen. „Toll Judy, du bist einem blöden Phantom<br />

nachgerannt.“<br />

Sie sah sich die neue Umgebung an. Nun musste sie noch<br />

tiefer in die verschachtelte Höhlenstruktur geraten sein. „Hier<br />

findest du nie wieder heraus.“<br />

Dann hörte sie etwas. Ein Atmen. Nein, ein Schnaufen. Judy<br />

versteinerte. Weitete die Augen. Es war irgendwo hinter ihr.<br />

D’Agosta stieß einen der Offiziere weg und rannte zum<br />

nächsten Offizier. Fowler.<br />

„Judy! Haben Sie Judy gesehen?“<br />

Fowler verneinte. „Was ist denn los?“<br />

D’Agosta gab ihm keine Antwort, schnaufte und rannte zum<br />

Nächsten. „Haben Sie Judy gesehen?“ Wieder kopfschütteln.<br />

Allmählich bildete sich ein Tumult um ihn. Die Leute wurden<br />

nervös. „Hat jemand meine Tochter gesehen?“<br />

Smith kam vom Notlazarett angerannt. „Was ist passiert?“<br />

„Meine Tochter ist verschwunden.“


„Das Mädchen ist weg?“<br />

„Sie war doch eben noch dort und-“<br />

„Hat irgendwer das Mädchen gesehen?“, rief D’Agosta.<br />

Lautes Gemurmel erklang, irgendetwas wurde<br />

zwischengerufen.<br />

„Ich habe sie gesehen.“<br />

D’Agosta drehte den Kopf zu Isaac. „Wo?“<br />

„Sie ist da rüber gegangen.“, antwortete Isaac und deutete auf<br />

die Hügel, nicht unweit von ihrer Position.<br />

„Dort gibt es Höhlen.“, sagte Roe, der ganz in der Nähe stand.<br />

D’Agosta drehet sich zu Shannyn. „Können Sie fahren?“<br />

„Ja.“<br />

„Gut, Sie fahren.“, sagte er und sprang in den Jeep. Shannyn<br />

rutschte auf den Fahrersitz. Sie aktivierte die Solarzellen.<br />

Ratternd fuhr der Motor hoch.<br />

„Warten Sie!“, sagte Smith. „Ich komme mit.“<br />

Shannyn hielt sie zurück. „Bleiben Sie bei den Verletzten. Ich<br />

begleite D’Agosta.“<br />

„Ich ebenfalls.“. pflichtete Sicherheitsoffizier Fowler sofort<br />

bei. Er ging ein paar Schritte zu einer der Kapseln und nahm<br />

das momentan als einzig funktionierende Phasergewehr aus<br />

einer Kiste. Dann stieg er ein. „Holen wir sie!“<br />

„Beeilung.“, rief D’Agosta. „Wir dürfen sie nicht verlieren.“<br />

Shannyn legte den Gang ein und jagte in der Nacht auf die<br />

Hügel zu.<br />

Hawk lag im Lazarett und hörte dem Stimmgewirr zu, das von<br />

den anderen drang. Er hörte Panik, die Verwirrung.<br />

Irgendjemand wurde vermisst. Schwarzes Rauschen, dachte er.<br />

Alles geht auf einmal zugrunde. Die Wechselwirkung von<br />

unendlichen Dingen. Er seufzte und schloss die Augen.


Was Judy durchlebte, war die Hölle. Schwerfällig drehte sie<br />

sich um. Etwas kam näher. Das Schnaufen wurde lauter. Judy<br />

vermied es „hallo“ zu rufen. Aus zahlreichen Holo-Filmen<br />

wusste sie, dass dies überhaupt nichts brachte. Im Gegenteil,<br />

es war sogar sehr dumm. Wieso ein Monster auch noch die<br />

eigene Position verraten.<br />

Ebenso wenig, wich sie zurück, da sie ferner aus den<br />

zahlreichen Holo-Filmen wusste, dass man meistens hinter<br />

einem auf die Monster stieß, vor denen man vorne zu fliehen<br />

versuchte.<br />

Sie sagte überhaupt nichts und horchte. Das Schnaufen war<br />

verstummt. Aber irgendetwas war da vorn, das spürte sie. Und<br />

plötzlich polterte direkt vor ihr ein Fels herunter. Judy drehte<br />

sich weg, wollte Laufen und stolperte über einen Stein. Sie<br />

schlug hart auf den Boden, schürfte sich die Hände auf und<br />

bekam Staub in die Lungen.<br />

Judy hustete. Und nieste. Als sie auf sah, starrte sie auf Stiefel.<br />

Aber sie blickte auf keine Sternenflottenstiefel.<br />

Shannyn trat das Gaspedal ganz durch. Von den Kapseln bis<br />

zu den Hügeln war es nicht weit. Ein Kilometer vielleicht.<br />

Allerhöchstens.<br />

Die Wüste war steinig, der Jeep holperte. Ansonsten war der<br />

Weg problemlos befahrbar.<br />

„Es dürften keine Kinder hier sein.“, sagte Fowler düster. „Es<br />

ist gefährlich.“<br />

„Jetzt können wir nicht mehr viel dagegen tun.“, entgegnete<br />

D’Agosta. Der Jeep holperte über ein Kieselfeld. Sie näherten<br />

sich. Fowler fuhr die Energiezelle des Gewehrs hoch.<br />

„Wie viel Schuss?“, fragte D’Agosta.<br />

„Ich weiß nicht. Etwa Acht. Vielleicht noch Zehn.“<br />

„Das muss reichen.“<br />

„Glauben Sie, wir treffen auf feindliche Wesen?“


„Man kann nie wissen.“<br />

Sie erreichten den Bergfuß. Shannyn erspähte einen kleinen<br />

Höhleneingang, fuhr darauf zu und hielt an.<br />

Sie stiegen aus. Fowler ging zur Heckklappe und öffnete eine<br />

Ausrüstungskiste. Er nahm eine Handlampe aus dem Fach und<br />

prüfte die Batterieladung. Sie stand auf der Hälfte. Eine<br />

reichte er D’Agosta und die zweite legte er sich selbst um den<br />

Arm.<br />

Shannyn kniete bereits vor dem Eingang im Sand.<br />

„Fußspuren.“<br />

D’Agosta hielt seinen Stiefel über die Spur, um sicher zu<br />

gehen. „Es ist Judys Größe.“<br />

„Es ist nur eine Spur.“<br />

„Können Sie ihr folgen?“<br />

„Ich denke schon.“<br />

D’Agosta – unerwartet entschlossen -, aktivierte die Lampe.<br />

„Dann los.“<br />

Sie betraten die Höhle.<br />

Judy blinzelte. Es waren braune, sehr große Schuhe, auf die<br />

sie starrte. Aus eine Art Leder gefertigt. Wirkte fast wie<br />

Schlangenleder.<br />

Sie blickte noch höher... und höher... und höher. Bei der<br />

Gestalt handelte es sich um einen wahren Riesen. Mindestens<br />

zwei Meter groß. Wenn nicht noch größer. Judy sprang auf,<br />

zwei Schritte zurück und starrte in ein Gesicht, das aussah, als<br />

wäre es öfters mal gegen die Wand gelaufen. Judy keuchte<br />

und trat weiter zurück. Der Andere stapfte ihr hinterher. Sie<br />

probierte sich dezent umzuschauen. Eine Waffe trug sie nicht<br />

bei sich, Stöcke und Steine, die als Verteidigung wirken<br />

könnten, befanden sich keine in unmittelbarer Reichweite. Mit<br />

anderen Worten: Sie war praktisch wehrlos. Der Fremde kam


näher. Sein Gesicht wies seltsame Farbflecken auf, fast so, als<br />

würde sich ein Ozean auf ihm spiegeln würde.<br />

Die Braunen Augen saßen tief in den Höhlen und starrten sie<br />

plump an.<br />

Diese Augen! Hell und intelligent. Judy schluckte und spürte,<br />

wie ihr das Herz bis zum Hals schlug.<br />

Der Kerl außerordentlich groß und sehr kräftig gebaut, wirkte,<br />

wie ein Schwergewichtsboxer. Haare hatte er keine, am<br />

ganzen Körper nicht. Der Schädel war bullig und hart. Seine<br />

fünf Finger wölbten sich um einen Stock, der mit Blättern und<br />

Schnitzereien geschmückt war. Die Kleidung war eher<br />

rudimentär: Fell, Leder... Judy konnte nicht genau sagen,<br />

woraus sie sich zusammensetzte. Modern oder gar modisch<br />

ansprechend war sie aber keinesfalls. Nicht in einer Millionen<br />

Jahre wäre sie in einem solchen Aufzug durch die Gegend<br />

gelaufen.<br />

Judy versuchte zu lächeln. Aber Verbrechervisage erwiderte<br />

das Lächeln nicht. Er streckte die Hand nach ihr aus. Judy<br />

schrie.<br />

„Hier endet die Spur.“ Shannyn kniete auf dem Boden in der<br />

Dunkelheit der Eingangshöhle und schüttelte den Kopf. „Sie<br />

könnte überall sein. Aber... ich schätze, sie ist da herüber.“<br />

Sie deutete in einen verschachtelten Gang mit niedriger<br />

Decke.<br />

Fowler hielt nach Fußspuren Ausschau, die ihm entgangen<br />

waren. „Können Sie etwa im dunkeln sehen?“<br />

„Nein, aber gut hören.“<br />

D’Agosta begann wieder nach ihr zu rufen. „Judy!“<br />

Es kam keine Antwort.<br />

„Judy!“<br />

Nichts.<br />

„Judith D’Agosta!“


Von irgendwoher drang etwas zu ihnen. Sie hörten ein<br />

Geräusch, das im ersten Moment klang, wie statisches<br />

Rauschen. Doch dann erkannten sie, dass es ein schriller,<br />

menschlicher Schrei war.<br />

<strong>Star</strong>r vor Entsetzen stand Judy einfach nur in der Mitte der<br />

Höhle und kniff die Augen zu. Am ganzen Körper brach ihr<br />

kalter Schweiß aus. Sie wartete auf einen Angriff, auf einen<br />

Schlag, der ihr den Kopf von den Schultern schleudern würde,<br />

oder sonst eine Grausamkeit, die Verbrechervisage mit ihr<br />

anstellen mochte.<br />

Es kam nichts dergleichen. Stattdessen folgte eine sanfte, fast<br />

ängstliche Berührung an ihrer Wange. Verbrechervisage strich<br />

über ihre Wange und zog dann vorsichtig seinen Arm zurück.<br />

Judy öffnete langsam die Augen. Verbrechervisage neigte den<br />

Kopf ein wenig und sah sie neugierig aus großen, braunen<br />

Augen an. Er betrachtete ihre Jacke, schien sich für das<br />

Symbol an der Schulter zu interessieren. Er wollte es<br />

berühren, aber Judy sprang schnell zurück. Seine Finger waren<br />

dreckig, voller Erde und Sand. „Nicht!“<br />

Zu schrill.<br />

Der Fremde zog seine Hand übereilt zurück, schien ein wenig<br />

erschrocken zu sein.<br />

„Die war teuer!“, erklärte Judy. Sie seufzte. „Tut mir leid.“<br />

Verbrechervisage schnaubte und wackelte zweimal mit den<br />

Ohren.<br />

Sie beschloss etwas zu probieren. „Ich bin Judy.“, sagte sie<br />

vorsichtig. Mit der freien Hand klopfte sie auf ihre Brust.<br />

„Judy.“<br />

Jemand rief ihren Namen. Ihr Vater! Er musste sie gehört<br />

haben und kam näher. Verbrechervisage schien keine Angst zu<br />

haben. Er sah vom Eingang der Höhle, aus der die Rufe kamen<br />

zu dem Mädchen. „Ju-di.“, versuchte Verbrechervisage ihren


Namen zu imitieren. Das Wort war verzerrt, aber kam dem<br />

Klang ihres Namens recht nahe. Er neigte den Kopf und<br />

deutete nun auf seine Brust. „Athol.“<br />

„Athol.“, wiederholte Judy.<br />

Er brummte zufrieden. „Ich bin Athol. Du bist Ju-di.“<br />

Die Rufe nach ihr wurden lauter.<br />

„Du kannst es fast. Sag Judy. Judy D’Agosta.“<br />

„Da-goo-sta.“<br />

Judy kicherte. „Fast.”<br />

„Judy, bist du das?“ Das Mädchen drehte sich zum<br />

Höhleneingang. Ihr Vater, Shannyn und ein Sicherheitsmann<br />

kamen in die Höhle gelaufen. D’Agosta riss Augen und Mund<br />

auf, als er den Riesen sah. Ihm stockte der Atem. Er streckte<br />

die Hand nach seiner Tochter aus. „Judy, bist du in Ordnung?“<br />

Der Mann von der Sicherheit hob sofort seine Waffe und<br />

richtete sie auf Athol.<br />

„Es ist okay, Dad.“, sprang Judy schnell auf und brachte sich<br />

in die Schusslinie vor Athol. „Er will nichts böses.“<br />

Dennoch winkte Allen sie zu sich. „Komm her, komm her.“<br />

Sie kam. Allan schloss sie erleichtert in die Arme, drückte<br />

Judy feste an sich. Der Fremde stand einfach da und wartete<br />

ab.<br />

„Er ist harmlos, Dad.“<br />

Fowler warf D’Agosta einen fragenden Seitenblick zu. Dieser<br />

nickte, woraufhin Fowler seine Waffe senkte.<br />

„Ich ... bin Athol.“, sagte der Fremde.<br />

D’Agosta lies Judy nun los und trat ein paar vorsichtige<br />

Schritte auf den Fremden zu. „Allan. Allan D’Agosta.“<br />

„Da-gos-ta.”, sagte der Fremde, diesmal schon viel<br />

geschickter.<br />

„Gut so. Ich bin ein Mensch. Und du?“<br />

„Amphion. Ich bin ein Amphion.“<br />

„Ein Einheimischer?“<br />

„Einheimisch?“ Seine Stimme war tief, aber nicht bösartig.


„Kommst du von diesem Planeten?“<br />

„Amphion leben auf dem Planeten.“, nickte Athol.<br />

D’Agosta trat zwei Schritte zurück und drehte sich unauffällig<br />

zu Shannyn. Er fragte leise: „Haben wir Probleme mit den<br />

Kommunikatoren?“<br />

Sie zog ihren von der Brust und öffnete das kleine Gerät.<br />

„Nein, ich denke nicht. Die Mignonzellen sind voll. Sie laden<br />

sich ja auch kontinuierlich selbst auf. Keine Fehlfunktion.“,<br />

flüsterte sie ebenfalls. „Ich schätze die reden so primitiv.“<br />

„Dumm.“, korrigierte Fowler. „Die reden dumm.“<br />

„Dumm ist gut.“, entschied D’Agosta eifrig nickend. „Dumm<br />

ist meistens auch gleich Gutmütig.“<br />

„Lebt dein Volk in diesen Höhlen?“<br />

„Wir leben in einem Camp. Nicht weit von hier. In einem<br />

Camp.“ Er winkte emsig. „Kommt mit, kommt mit.“<br />

Die Leute wechselten einen Blick.<br />

„Es ist okay, Dad. Er tut uns nichts.“<br />

„Wir könnten durchaus ein paar Verbündete gebrauchen.“,<br />

sagte Shannyn leise. „Denkbar, dass sie Medizin für uns<br />

haben. Oder Nahrungsmittel.“<br />

„Ich weiß nicht recht...-“<br />

„Ich bin ja bei ihnen und passe auf.“<br />

D’Agosta überlegte einen Moment. Dann nickte er. „Also<br />

gut.“


Nottingham<br />

Ian Nottingham sah zu dem düsteren, Wolkenbehangenen<br />

Nachhimmel hoch. Man konnte dort nur wenige Sterne sehen.<br />

Dafür war der Planet, um den sie kreisten umso deutlicher. Er<br />

war so groß, dass Nottingham das Gefühl hatte, ihn berühren<br />

zu können, wenn er nur die Hand nach ihm ausstreckte.<br />

Dennoch spendete er in der Nacht kein Licht. Nottingham sah<br />

auf die Energieanzeige seiner Handlampe: nur noch drei<br />

glühende Balken waren verblieben. Wenn er die Zeitspanne<br />

mit einrechnete, die er zurück zum Lager brauchte, hatte er<br />

vielleicht noch eine Stunde, die Kapsel, mit der sie abgestürzt<br />

waren, zu durchsuchen. Das war mehr als ausreichend.<br />

Er öffnete die Zugangsluke, als bemerkte, wie sich jemand<br />

näherte. Es war King, der ihm zu winkte und sich im<br />

Laufschritt näherte. Dabei keuchte und Quiekte er wie ein<br />

massiges Schwein.<br />

„Hey, Mr. Nottingham!”<br />

„King? Was machen Sie hier draußen?”<br />

Endlich erreichte King die Kapsel. Er japste und stützte sich<br />

mit gebeugtem Oberkörper an den Knien ab.<br />

„Dachte ich könnte helfen.“<br />

„Ich brauche keine Hilfe.“<br />

„Hey, Nottingham. Dies hier war ebenso meine<br />

Unternehmung, wie auch ihre. Meine Zukunft – und die<br />

meiner Familie - hing beträchtlich vom Ausgang unserer<br />

Bemühung ab und wie es momentan ausschaut, stehen die<br />

Karten nicht sehr gut. Alles ist schief gegangen, bevor wir<br />

richtig loslegen konnten. Also sollten wir die Sache einfach<br />

vergessen und zu guter Letzt zusammenarbeiten, um


wenigstens wieder nach Hause zu kommen. Vielleicht nicht<br />

reich, aber wenigstens gesund. Ich habe vorhin mit Alynna<br />

gesprochen. Sie meinte, sie beide hätten einen Notfallplan.<br />

Drum lassen sie mich bitte daran teil haben und helfen.“<br />

„Nottingham machte eine abfällige Geste. „Wie Sie meinen.“<br />

Er klappte einen grauen, Schuhkartongroßen Sicherungskasten<br />

an der Außenhülle auf und begann die Steckverbindungen zu<br />

lösen.“<br />

King kam allmählich wieder zu Atem. Nach einer Weile fragte<br />

er: „Sagen Sie mal, sind sie ein Mutant?“<br />

„Sie reden zuviel, King.“<br />

„Und Sie zu wenig.“<br />

„Wissen Sie, ich kannte mal einen genetisch verbesserten<br />

Arzt. Bin ihm auf einer Konferenz begegnet und ich frage<br />

mich-„<br />

„King.“, sagte Nottingham. „Ich habe aufgehört ihnen<br />

zuzuhören. Also, warum hören Sie nicht auf zu reden?“<br />

Eine lange Pause entstand.<br />

Und erneut war es King, der die Stille brach. „Wieso arbeiten<br />

Sie eigentlich für Nechayev? Sie sind schließlich kein Offizier<br />

der Sternenflotte.“<br />

„Ist eben so.“<br />

„Aha.“<br />

King war enttäuscht. Er wusste, dass Nottingham ihn nicht<br />

leiden konnte und in vielerlei Hinsicht war Nechayevs<br />

Beschützer ihm unheimlich. Er hielt sich immer im Schatten<br />

auf, sprach nur wenige Worte und diese auch noch äußerst<br />

bedacht. Gerade weil er sich vor Nottingham ein wenig<br />

fürchtete, beschloss King in die Offensive zu gehen. Er wollte<br />

den Nottingham ein wenig aus der Reserve locken, ihn zum<br />

Reden bringen. Dann würde er sicher feststellen, dass nichts<br />

unheilvolles an ihm existierte, dass er nur eine Show abzog<br />

und im Grunde ein ganz alltäglicher Mann in schwarzer Kluft<br />

war.


„Wo kommen Sie überhaupt her?“<br />

„Ich hoffe Sie haben das Lager nicht alleine verlassen.“, ging<br />

Nottingham gar nicht auf Kings Frage ein. Er sah auch nicht<br />

von der Schalttafel auf, an der er arbeitete und weitere Kabel<br />

herauszog. „Es ist nicht sicher hier draußen.“<br />

King winkte ab. „Was soll schon passieren?“<br />

„Ihnen ist niemand gefolgt, Sie hat niemand begleitet?“<br />

„Nein, ich denke nicht. Die Meisten der Leute haben nicht<br />

einmal von meiner Anwesenheit Kenntnis genommen, Sie<br />

werden auch nicht bemerken, wenn ich fort bin. Aber in einem<br />

Punkt haben recht. Hier draußen stimmt was nicht. Ich hatte<br />

vorhin bei den Felsen das Gefühl, als würde ich beobachtet.“<br />

„Einer unserer Leute?“<br />

King überlegte einen Moment. Dann schüttelte er den Kopf.<br />

„Nein. Vielleicht war es nichts, ich habe es mir vermutlich nur<br />

eingebildet. Ein Tier, oder so etwas. Trotzdem, der Ort hier ist<br />

unheimlich.“<br />

„Sie finden doch alles unheimlich.“<br />

King sagte nichts.<br />

„Wo Sie schon hier sind, können Sie mir auch gleich helfen,<br />

King.“<br />

„Ja, gerne.“<br />

„Geben Sie mir den Koffer.“<br />

„Was für ein Koffer?“, fragte King.<br />

Ohne den Blick von der Schalttafel zu nehmen, sagte<br />

Nottingham: „Im Innern der Kapsel, unter dem zweiten Sitz<br />

von rechts liegt ein großer schwarzer Koffer mit einem kleinen<br />

Kasten drin. Geben Sie mir beides.“<br />

King kletterte hinein und ächzte. „Uff, er ist schwer.“<br />

„Wegen den Polarisatoren. Nehmen Sie den Kasten raus.“<br />

„Sicher. Hier.“<br />

Nottingham griff nach hinten und nahm den Kasten, der aus<br />

schwarzem Metall bestand. Er hatte etwa die Größe eines<br />

Milchtüte und endete in der Schmalseite in einem Trichter. An


der Unterseite waren Schaltelemente befestigt. Die<br />

Energieanzeige stand auf Null. Nottingham klemmte sich den<br />

Kasten unter den rechten Arm und steckte das<br />

Energieverbindungskabel in die Schalttafel an der er gearbeitet<br />

hatte. Dann fasste er nach den Kontrollen.<br />

„Was machen Sie überhaupt?“, fragte King.<br />

„Ich lade die Energiezellen.“, antwortete Nottingham.<br />

„Energie? In der Kapsel gibt es noch Energie?“<br />

Nottingham nickte. „Nicht alles wurde beim Aufprall<br />

verbraucht. Die Notaggregate haben noch ein wenig.“<br />

„Aber diese Energie... wir brauchen Sie für die medizinischen<br />

Geräte! Die Verletzten– Mein Gott!„<br />

„Ich brauche diese Energie.“, fiel ihm Nottingham ins Wort.<br />

„Was ist das für ein Kasten?“<br />

„Ein Scanner.“<br />

„Was für eine Art Scanner?“<br />

Nottingham schwieg.<br />

Eines war klar, um ein medizinisches Gerät handelte es sich<br />

nicht. King erinnerte sich daran, wie Nottingham den Koffer<br />

schon zuvor im Schiff ständig mit sich herumgetragen hatte.<br />

King trat ein paar Schritte von ihm zurück und schüttelte den<br />

Kopf.<br />

„Mein Gott- Mein Gott!, sie haben die Operation noch immer<br />

nicht beendet! Aber das ist sie, mein lieber, sie ist vorüber.“<br />

„Sie ist nicht vorüber. Lediglich verändert.“<br />

„Mein Gott, Nottingham, wir brauchen diese Energie für die<br />

medizinischen Geräte. Der Pilot-„<br />

„Der Pilot kommt durch.“<br />

„Er hat an Brustkorb und Gesicht starke Verbrennungen<br />

erlitten. Die Dermalregeneratoren-“<br />

„Seien Sie endlich still.“, grollte Nottingham.<br />

„Nein. Nein, es reicht. Erst diese Männer im Schiff, nun das<br />

hier... ihre Vorgehensweise ist mir zu riskant. Ich mache da<br />

nicht länger mit.“


Nottingham stand auf. Er senkte den Kopf ein wenig und<br />

starrte King an, was ihm einen äußerst diabolisches Aussehen<br />

bescherte. Er streckte seine Finger und ballte sie wieder zu<br />

Fäusten. Öffnete sie, ballte sie. Das Leder seiner Handschuhe<br />

knirschte. Er trat auf King zu. King ging rückwärts.<br />

„Was werden Sie nun tun, Mister King?“<br />

„Sie machen mir keine Angst, Nottingham.“ King wandte sich<br />

ab und ging mit weiten Schritten über die dunkle Ebene.<br />

Nottingham folgte ihm, ebenso schnell. Seine Stiefel machten<br />

fast keine Geräusche. Wie ein Schatten begleitete er King.<br />

Und er fragte erneut: „Was werden Sie nun tun, Mister King?“<br />

In Kings Hals bildete sich ein Kloß. „Ich werde jetzt die<br />

Anderen Informieren! Ich werde-“<br />

Plötzlich war Nottingham hinter King und hielt ihm den Mund<br />

zu. Mit der anderen Hand umschloss er Kings Stirn. King<br />

strampelte und schlug um sich, erwischte Nottingham aber<br />

nicht. Er wollte schreien, schaffte es aber nicht. Kalter<br />

Schweiß brach ihm aus. Nottingham brachte seinen Mund<br />

nahe an Kings Ohr. „Sie werden jetzt nur noch schweigen.“<br />

Kurz überraschte es King, als er die Knochen in seinem<br />

Genick krachen hörte.<br />

Und dann Schwärze.<br />

Nichts.


Amphion-Camp<br />

„Mach so etwas nie wieder!“, tadelte D’Agosta seine Tochter<br />

an. Sie folgten in Zweierreihen Athol, der sie zielstrebig durch<br />

die beengenden Höhlen führte. D’Agosta hatte sich<br />

vorgenommen, den Weg, den sie gingen genau einzuprägen,<br />

hatte inzwischen allerdings völlig die Orientierung verloren.<br />

Den anderen schien es nicht anders zu ergehen. Fowler sah<br />

sich nervös und mit gespitzten Lippen um. Seine Hände<br />

hielten das Phasergewehr fest umklammert.<br />

Shannyns Mine blieb ausdruckslos, sie folgte Athol in kurzem<br />

Abstand. Vielleicht hatte sie sich den Weg eingeprägt.<br />

„Okay, Dad.“<br />

„Wer weiß, wo er uns wirklich hinführt. Vermutlich sollen wir<br />

ihr Abendessen werden.“, flüsterte D’Agosta leise.<br />

„Das ist nicht fair, Dad. Gerade du als Sternenflottenoffizier<br />

solltest doch wissen, dass der Schein oft trügt.“<br />

D’Agosta zögerte und lächelte dann. „Ich habe nur einen<br />

kleinen Scherz gemacht.“<br />

Sie wanderten weiter. Schon nach kurzer Zeit schnaufte<br />

D’Agosta. Der Mangel an Sauerstoff machte sich deutlich<br />

bemerkbar und erforderte harte Arbeit der Lungen. Er<br />

erinnerte sich an Skiausflüge mit Deborah in den Bergen von<br />

Colorado: Damals hatte er eine ähnliche Atemnot empfunden,<br />

denn er war die Luft des Tieflands nicht gewöhnt. Das sanfte<br />

Verhalten von Athol jedoch beruhigte ihn und die letzten<br />

Zweifel verflogen, als Shannyn stolperte – der Amphion war<br />

sofort zur Stelle, um sie vor einem Sturz zu bewahren. Seine<br />

Hand schloss sich um ihren Arm. Der Griff war fest, aber<br />

nicht schmerzhaft.


„Es tut nicht weh.“, sagte sie zu den anderen. Nach<br />

ungezählten Minuten der Wanderung durch ähnliche Höhlen,<br />

erreichten sie endlich den Ausgang und traten auf eine<br />

weitere, felsige Lichtung hinaus.<br />

Es war noch immer Nacht und es gab kaum Licht, obwohl der<br />

Planet nah am Himmel stand und normalerweise das Licht der<br />

Sonne hätte reflektieren müssen. Das war vielleicht ein toller<br />

Ausblick, wenn man sich an Bord eines Raumschiffes befand,<br />

aber jetzt, während sie auf diesem Planeten gestrandet waren<br />

und von Athol durch die fremde Gegend geführt wurden – ob<br />

er es gut meinte, oder nicht -, wirkte der Anblick unheilvoller<br />

als je zuvor. D’Agosta sah sich nach dem Jeep um, konnte ihn<br />

aber nirgendwo finden. Überhaupt kam ihm die ganze<br />

Landschaft unbekannt vor. „Wir... wir sind auf der anderen<br />

Seite des Berges.“ Er musste schneller gehen, um zu Athol<br />

aufschließen zu können. „Wir sind auf der anderen Seite,<br />

richtig?“<br />

Der Amphion nickte. „Die Höhlen führen durch den Berg.“<br />

D’Agosta deutete über die Schulter zum Berghang. Ihm wurde<br />

Mulmig zumute. Ohne Athol würden sie keinesfalls zurück<br />

durch die Höhlen finden. „Da-dahinter ist unser Lager.“<br />

„Und das“, streckte Athol einen Arm in eine bestimmte<br />

Richtung. „ist unser Camp.“<br />

D’Agosta kniff die Augen zu. Nun konnte er sehen, was die<br />

empfindlichen Augen des Ampthion schon seit einer ganzen<br />

Weile wahrnahmen: ein keines Camp mit ein paar Feuern, an<br />

denen sich weitere Geschöpfe versammelt hatten. Es gab keine<br />

erkennbaren Unterkünfte - keine, mit denen D’Agosta<br />

gerechnet hatte.<br />

Dafür jede Menge Felsen. Große Felsen, kleine Felsen. Und<br />

ausgehöhlte Felsen, in denen Kerzenlicht flackerte. Sie<br />

wohnten in den Steinen!<br />

Um das Camp herum waren einige Felder bestellt. In<br />

regelmäßigen Abständen flackerten dort Fackeln und warfen


ein irreguläres Licht. D’Agosta entdeckte sogar ein paar<br />

Tiergehege.<br />

Athol führte sie zum Camp. Die dortigen Amphion hatten sie<br />

längst gesehen und bildeten eine Gruppe aus knapp dreißig<br />

Wartenden. Einige junge Individuen – etwa einen Meter groß<br />

und ebenso haarlos, wie Athol, spähten hinter der schützenden<br />

Barriere ihrer Eltern hervor.<br />

Athol schob Allan behutsam vor. „D’Agosta.“, sagte er und<br />

formulierte einige Worte, die der Translator nicht übersetzte.<br />

Allan gab den Anderen ein Zeichen. Shannyn und die Anderen<br />

stellten sich nacheinander vor, während die Amphion sie<br />

neugierig musterten.<br />

Erneut spürte D’Agosta, wie Athol ihn vorschob. In der Mitte<br />

des Camps, an einem der lodernden Feuer, bedeutete Athol<br />

ihm mit sanften Druck auf die Schulter, platz zu nehmen.<br />

Zusammen mit seinen Begleitern setzte er sich, darauf<br />

bedacht, dass Judy nahe bei ihm blieb. Aber einige Amphion-<br />

Frauen hatten sich um sie geschart und kümmerten sich um<br />

eine kleine Schnittverletzung. Sie versuchten ihr sogar den<br />

Staub aus den Haaren zu klopfen. Und Judy kicherte. Das<br />

erste Mal seit dem Absturz – und sogar seit einiger Zeit davor<br />

– war sie wieder so pfiffig und lebensfroh, wie immer. Sie<br />

schien enorm Stolz darauf zu sein, diese Leute entdeckt zu<br />

haben. Judy begegnete kurz seinem Blick.<br />

Allan lächelte.<br />

Sie lächelte zurück.<br />

Er drehte sich wieder zum Feuer. Er empfand die Wärme des<br />

Feuers als angenehm. Obwohl es Tagsüber hier unglaublich<br />

heiß war, vermochten die Nächte sehr kalt zu sein. Nach dem<br />

Sonnenuntergang war es praktisch zu einem Temperatursturz<br />

gekommen. Aus einem Reflex heraus hob er den Kopf zum<br />

Himmel, aber noch immer verschluckten dichte Wolken die<br />

Sterne. Nur der nahe Planet kämpfte sich durch.


Ein ebenfalls kräftiger, aber alter Amphion trat vor. Er wirkte<br />

steif, was auf Förmlichkeit hindeutete und öffnete neben<br />

D’Agosta einen Beutel auf dem Boden. Er brummte, bestrich<br />

ein rotes Blatt mit einer weißen Paste und tastete nach<br />

D’Agostas Stirnwunde. Allan zischte schmerzerfüllt und<br />

wollte zurückschrecken. Aber zu seiner Verwunderung spürte<br />

er, wie der Schmerz sofort verging. Das Hämmern hinter<br />

seiner Stirn, das ihn die vergangenen Stunden gequält hatte,<br />

löste sich fast sofort in Nichts auf.<br />

Der Amphion zeigte Anteilnahme, zog das Blatt wieder<br />

zurück und verstaute es in seinem Beutel. Er verbeugte sich.<br />

Es erfüllte ihn offenbar mit Zufriedenheit, sich Nützlich<br />

machen zu können.<br />

„Danke.“, sagte D’Agosta noch immer erstaunt. „Herzlichen<br />

Dank.“<br />

Der Fremde verbeugte sich noch einmal und zog sich dann<br />

zurück. Über das Feuer hinweg begegnete Dagosta Shannyns<br />

Blick. „Es... es tut überhaupt nicht mehr weh.“, sagte er und<br />

fasste an die Wunde. Kein Schmerz. „Gar nichts. Als wäre es<br />

völlig verheilt.“<br />

Nun setzte sich auch endlich Athol zu der Gruppe. Er zog die<br />

Beine zu sich, zu einem Schneidersitz und beugte sich vor.<br />

„Ihr seid freundliche Wesen, nicht wahr?“<br />

„Nun... ja. Ja, wir sind Forscher.“, antwortete D’Agosta.<br />

Athol nickte. „Wir möchten euch in unsere Familie<br />

aufnehmen.“<br />

D’Agosta lächelte. „Oh. Das... danke. Das ist uns eine große<br />

Ehre.“<br />

„Dann müssen wir Tara’to teilen.“<br />

D’Agosta runzelte die Stirn. „Tara’to?“<br />

Er wusste, worum es sich handelte, als die Amphion Schüsseln<br />

verteilte.<br />

Tara’to war offenbar ein Gericht. D’Agosta warf einen<br />

direkten Blick auf die Mahlzeit und bereute es sofort. Die


Maden waren in dem Brei aus zerstampften Blättern und<br />

Früchten unübersehbar. Fowler verzog das Gesicht, als er die<br />

Schüssel entgegennahm.<br />

Shannyn zeigte keinerlei Regung. D’Agosta rechnete mit<br />

einem diplomatischen Zwischenfall, wenn Judy den Inhalt sah,<br />

aber zu seiner Verwunderung sah er, dass dem Mädchen nicht<br />

dieselbe Mahlzeit gegeben wurde, sondern Obst. Frisches,<br />

saftiges, lecker aussehendes Obst. Judy bedankte sich, sah<br />

nicht unhämisch zu ihrem Vater und grinste. D’Agosta sah<br />

von dem Obst zum Inhalt seines Tellers hin und her und Judy<br />

grinste breit über beide Backen.<br />

„Danke.“, sagte D’Agosta laut genug, dass alle ihn hören<br />

konnten. „Danke. Es ist uns eine große Ehre, dass sie ihre<br />

Nahrung mit uns teilen und in ihre Familie aufnehmen<br />

wollen.“ Leiser fügte er hinzu: „Ich wollte schon immer,<br />

einem Indianerstamm zugehören.“<br />

„Bleibt uns denn gar nichts erspart? Das kann ich nicht<br />

essen!“ sagte Fowler, gerade laut genug, dass D’Agosta ihn<br />

hören konnte.<br />

„Sie müssen. Entweder Sie essen die Maden, Mr. Fowler, oder<br />

die Maden essen Sie.“, sagte dieser und warf einen Seitenblick<br />

auf Athols Arme. Sie waren wie Baumstämme. Der Amphion<br />

blickte sie erwartungsvoll an. Wenn sie nichts aßen, würden<br />

sie das vermutlich als Beleidigung auffassen und sicher nicht<br />

zögern, ihnen den Schädel einzuschlagen. „Ja. Ja, ich denke,<br />

das sollten wir tun.“<br />

Ohne zu zögern griff Shannyn in die Schüssel und begann zu<br />

essen. „Sehr kulinarisch. Danke.“, sagte Shannyn, ohne<br />

erkennbaren Hauch von Ironie. Sie kann es gut verstecken,<br />

dachte D’Agosta. Der Koch nahm das Kompliment entgegen,<br />

in dem er sich kurz verbeugte.<br />

Athol neigte würdevoll den Kopf, schöpfte ebenfalls etwas aus<br />

seiner Schüssel und kaute genüsslich.


D’Agosta atmete tief durch und nahm sich ein Beispiel an<br />

Shannyn, in dem er die gewölbte Hand als Löffel verwendete.<br />

„Komm schon, Dad. Alles aufessen, damit es schönes Wetter<br />

gibt.“, grinste Judy und zahlte ihm auf diese Weise den Spinat<br />

heim, den er sie immer zu essen gezwungen hatte. Sie selbst<br />

mampfte ihr Obst.<br />

Er warf ihr einen Seitenblick zu, füllte den Mund mit dem<br />

Brei und schluckte rasch, bevor er alles wieder auszuspucken<br />

drohte. Der Gedanke, die kleinen weißen Würmer zu kauen,<br />

war schier unerträglich. Glücklicherweise rutschte die<br />

glitschige Masse problemlos durch den Hals und zu<br />

D’Agostas außerordentlichen Erstaunen zeichnete sie sich<br />

sogar durch einen guten Geschmack aus. Er dachte an den<br />

Nährwert allein und zwang sich, die Mahlzeit fortzusetzen.<br />

Aus den Augenwinkeln beobachtete er, dass sich auch Fowler<br />

dazu zwang.<br />

„Ihr seid mit dem Kometen gekommen.“, sagte Athol<br />

schließlich. Es war eine Frage, keine Feststellung.<br />

„Mit dem Komet...-“, sagte D’Agosta, ehe er begriff. „Ach so.<br />

Das ist richtig. Unser Raumschiff... wir stürzten vor einigen<br />

Stunden ab und mussten mit Rettungskapseln abspringen.“ Er<br />

seufzte. „Dabei ging einiges Schief, ich fürchte, wir sind<br />

überall verstreut in einem sehr großen Umkreis.“<br />

„Ihr seid in unserem Reservat gestrandet.“, nickte Athol.<br />

„Reservat? Ich verstehe nicht.“<br />

Athol sagte: „Nachdem wir auf den Mond kamen und nicht<br />

mehr gebraucht wurden, steckten sie unser Volk in<br />

Reservate.“<br />

„Euer Volk hat sich nicht auf dem Mond entwickelt?“, fragte<br />

D’Agosta.<br />

Athol hielt sich die Schüssel direkt vor das Gesicht, leerte und<br />

stellte sie dann beiseite. „Die Tarkon brachten uns hierher.“<br />

„Tarkon?“


Ahol nickte eifrig mit dem mächtigen Schädel. „Sie reisen mit<br />

wahrhaft kolossalen Schiffen durch den Weltraum, so wie ihr.<br />

Aber die Tarkon sind nicht nett.“ Er seufzte. „Wir waren einst<br />

eine friedliebende Spezies, ohne fortschrittliche Technologien<br />

wie sie die Tarkon haben. Fast ausschließlich Bauern. Bis die<br />

Tarkon eines Tages kamen, unser Volk gewaltsam versklavten<br />

und als Arbeiterklasse benutzten.“ Er wurde sichtlich traurig.<br />

„Eines Tages erhoben wir uns zum Aufstand, aber wir<br />

verloren nach einem sieben-Stunden-Krieg. Die meisten von<br />

uns wurden niedergemetzelt. Die letzten Überlebenden<br />

unseres Volkes sind nun hier auf dem Mond, wo niemand von<br />

den Tarkon sein möchte.“<br />

„Sie werden als Sklaven missbraucht?“, fragte D’Agosta. Er<br />

beendete die Mahlzeit endlich und stellte die Schüssel auf den<br />

Boden. Er war froh, dass der Brei in seinem Magen blieb.<br />

„Noch vor vielen Jahren, ja.“, schilderte Athol. „Wir mussten<br />

als Arbeiterklasse auf den Heimatplaneten des Tarkon-<br />

Imperiums schufften, so auch hier.“<br />

„Diese Tarkon stammen also auch nicht von hier? Von dem<br />

Mond?“, fragte Fowler. Sein Gesicht war grün angelaufen.<br />

„Tun sie nicht, nein. Aber zwei große Häuser der Tarkon sind<br />

auf der Oberfläche vertreten.“, antwortete Athol.<br />

„Ein Imperium?“, wiederholte D’Agosta. „Komisch, von<br />

Tarkon habe ich nie etwas gehört.“<br />

„Vermutlich ist es nicht umfassend genug, um für die<br />

Cardassianer wichtig zu sein.“, sagte Shannyn. „Athol, ist das<br />

Imperium der Tarkon groß.“<br />

Er nickte eifrig. „Sehr groß. Sehr groß.“<br />

Auf diese Aussage konnte sie nicht viel geben. Für solch<br />

Primitive, wie Athol waren auch fünf besiedelte Planeten<br />

schon eine ganze Menge.<br />

Judy sah hoch. „Vielleicht kommen sie von dem Planeten da<br />

oben.“


„Nein, Spätzchen.“, sagte D’Agosta. „Die Sensoren der<br />

<strong>Shenandoah</strong> haben angezeigt, dass die Oberfläche toxisch ist.<br />

Da lebt seit langer, langer Zeit niemand mehr. Athol, was für<br />

Arbeiten mussten sie hier verrichten?“<br />

„Verschiedene Dinge. Am meisten arbeiteten wir in den<br />

Erzminen und Bergwerken. Die Oberfläche des Planeten ist<br />

wenig einladend, aber der Boden enthält wertvolle Erze. Wir<br />

ernteten die Früchte der Tiefe. Sie sind überall.“<br />

„Ein so reicher Boden?“, fragte D’Agosta.<br />

Athol nickte. „Umfangreiche Kostbarkeiten. Spezielle Erze<br />

liefern Energie für die Raumschiffe der Tarkon. Wir bauten<br />

sie ab, unter den Aufmerksamen Blicken der Wächter. Aber<br />

irgendwann brauchten die Tarkon uns nicht mehr.“ Bei diesen<br />

Worten war die Bitterkeit in seiner Stimme deutlich zu hören.<br />

„Wieso brauchten sie euch nicht mehr?“<br />

„Dies erledigen nun Maschinen.“<br />

Shannyn und D’Agosta wechselten einen Blick. „Sind diese<br />

Maschinen unterirdisch am Graben? Wir haben vorhin eine<br />

gewaltige Erschütterung miterlebt, liegt es daran?“<br />

„Nein, das sind nicht die Maschinen. Die, die uns verdrängten,<br />

sind groß. Einer der Clans braucht noch immer Amphion und<br />

behandelt sie gut. Wir arbeiteten einst für diese Siedlung. Wir<br />

holten die Kostbarkeiten aus dem Boden des Planeten und sie<br />

behandelten uns gut und schützten uns vor den gefährlichen<br />

Tieren. Wir brauchten uns gegenseitig. Doch dann kam die<br />

zweite Siedlung. Viele von uns wurden ausgelöscht, einfach<br />

so. Der Rest wird in Reservaten gehalten.“<br />

„Aber warum lassen sie euch dann jetzt nicht einfach gehen?“,<br />

fragte D’Agosta.<br />

„Weil sie uns noch brauchen. Hin und wieder kommen sie um<br />

unsere Frauen zu nehmen, das Essen zu stehlen, oder um<br />

Arbeiter zu rekrutieren.“<br />

„Böse Jungs.“, murmelte Shannyn.


„Die Siedlung.“, sagte D’Agosta. Er erinnerte sich an die<br />

Anzeigen auf den Scannern, wonach sie den Kurs der<br />

Rettungskapseln richteten. „Diese Tarkon haben eine Siedlung<br />

hier in der Nähe, nicht wahr?“<br />

„Zwei Siedlungen.“, nickte Athol und deutete in eine wage<br />

Richtung. „Eine dort drüben, hinter den Hügeln. Eine viel<br />

weiter weg. Einst lebten wir dort, zusammen mit den Tarkon.<br />

Schliefen, aßen und durften uns Partner suchen.“ Er schob die<br />

Unterlippe vor. „Aber diese Zeiten sind vorbei.“<br />

„Gibt es viele Schiffe auf dem Planeten?“, fragte Fowler. Zu<br />

seinem Bedauern verneinte Athol. „Alle Tausend Zyklen<br />

kommt ein großer Himmelsvogel und bringt neue Soldaten,<br />

Maschinen, Wasser und viel Nahrung. Aber das ist sehr selten.<br />

Tausend Zyklen.“<br />

D’Agosta fragte: „Kannst du uns zurück durch die Höhlen<br />

führen?“<br />

„Das werde ich, aber nicht jetzt. Es ist schon spät, zu dunkel<br />

für einen Aufbruch. Die Unsichtbaren jagen in der Nacht. Sie<br />

könnten auch heute wieder unterwegs sein.“<br />

„Die Unsichtbaren?“, staunte D’Agosta.<br />

„Wir sollten erst in einigen Stunden gehen, wenn es hell ist,<br />

sonst ist es zu gefährlich. Ruht euch aus. Ihr seid bei uns<br />

willkommen.“<br />

„Das Angebot ist sehr nett, Athol.“, sagte D’Agosta und<br />

überlegte, welche Worte er wählen sollte. „Aber wir können<br />

nicht bleiben. Unsere Freunde, auf der anderen Seite des<br />

Berges, werden sich Sorgen machen und Suchtrupps schicken.<br />

Wenn sie sich in den Höhlen verirren... Ich meine, so weit ist<br />

es doch gar nicht.“<br />

Athols Gestalt erschlaffte einen Moment, doch der Amphion<br />

bewahrte seine Würde. „Dann werde ich euch führen. Wenn<br />

wir Fackeln nehmen, ist die Gefahr, dass uns etwas geschieht<br />

geringer.“


„Vielen Dank. Wir möchten euch nicht beleidigen, aber es<br />

dient nur dem Schutz unserer Leute. Wenn ihr wollt, werden<br />

wir morgen wiederkommen.“<br />

Athol erhob sich schwerfällig, wobei seine Knie knackten.<br />

„Ihr müsst unbedingt vorsichtig sein!“, sagte er. „Wenn euch<br />

die Tarkon entdecken, werdet ihr alle getötet.“


Smith<br />

„Es war ein Unfall.“, sagte Nottingham unschuldig und reichte<br />

den Scannerkasten an Nechayev weiter. Sie standen auf einem<br />

Hügel ganz in der Nähe des Lagers vor einer Lichtung und<br />

blickten auf die Auswirkungen des unheimlichen Geräuschs<br />

und der Umwälzung des Bodens, die vor knapp zwei Stunden<br />

stattgefunden hatten. Aber es war mitten in der Nacht und sie<br />

konnten kaum etwas erkennen. Nechayev aktivierte den<br />

Kasten und drehte an den Reglern, während sie sagte: „Ian.<br />

Das musste nun wirklich nicht sein.“<br />

„Niemand wird ihn vermissen, oder fragen stellen. Er wurde<br />

einfach von einem Tier erwischt.“<br />

„Der Mann hatte Frau und Kinder.“<br />

„Er bedrohte die Mission.“, war alles, was Nottingham sagte.<br />

Nechayev erwiderte nichts. Sie bediente weiterhin den Kasten.<br />

„Haben Sie die Disk?“<br />

Nottingham griff in seinen Mantel und nahm eine sechseckige,<br />

Potato-Chip-große Scheibe heraus, die er Nechayev reichte.<br />

Sie steckte die Disk in den Schlitz an der Seite des Scanners.<br />

Auf dem kleinen Monitor tauchte die karge Oberfläche des<br />

Mondes auf. Genau der Planquadrat in dem sie sich befanden.<br />

Da waren die Berge, das Tal, die Ebene... irgendwo in der<br />

Mitte mussten sie heruntergekommen sein. Ja. Ja, dort bei den<br />

sichelfömigen Hügeln.<br />

„Reicht die Energie?“, fragte Nottingham.<br />

Der Balken stand fast gänzlich auf null. „Nein, es sei denn, die<br />

Energieanzeige ist defekt.“<br />

„Empfangen Sie denn etwas?“<br />

„Ein bisschen Geduld, Ian. Das System liest gerade die Disk.“


Und dann erlosch der Bildschirm. Aber für den Bruchteil einer<br />

Sekunde – unmittelbar, bevor sich der Scanner abgeschaltet<br />

hatte, waren auf dem Bildschirm eine dreieckige Markierung<br />

und die Beschriftung ERSTGRUP aufgetaucht. Nechayev<br />

atmete schneller, aufgeregter. Sie versuchte den Scanner<br />

wieder zu aktivieren, aber der Bildschirm blieb dunkel. Sie sah<br />

auf.<br />

Nottingham runzelte die Stirn. „Was haben Sie?“<br />

„Hoffnung.“, sagte Nechayev. Sie drehte sich zum Lager:<br />

„Wir brauchen Smith!“<br />

In der Dunkelheit der Nacht betrachtete Smith das notdürftig<br />

aufgebaute Lazarett und nickte dann den Sanitätern zu. „Okay,<br />

tragt sie rein.“<br />

Sie ächzten, als sie die schwere Tür anhoben und durch den<br />

die Luke bugsierten. Das Hineintragen war knifflig, aber sie<br />

schafften es sicher und ohne irgendwo anzuecken. Die<br />

Oberfläche war stabil, glatt und nicht gebogen und somit ideal<br />

als Bett. Denn das Lazarett bestand aus nicht mehr als einer<br />

halbzusammengeschweißten Hülle. Medizinische Ausrüstung<br />

und Betten fehlten. Als nächstes war ihr Patient – Hawk dran.<br />

Der Pilot lag auf dem Boden, malte mit dem Finger Kreise in<br />

die Luft und summte vor sich hin.<br />

Sie hängte sich eine Medizintasche um die Schulter und wollte<br />

gerade den Sanitätern bei den Umräumarbeiten helfen, als sie<br />

bemerkte, dass Nechayev zwischen den Rettungskapseln<br />

auftauchte und auf sie zuhielt. Smith seufzte innerlich.<br />

Nechayev nickte zu Hawk und fragte: „Wie geht’s ihm?“<br />

„Er hält sich tapfer.“, sagte Smith. „Ein bisschen deliriös.“<br />

„Ganz und gar nicht.“, wiedersprach Hawk. „Ich bin absolut<br />

klar im Kopf.“<br />

Smith kniff die Augen zusammen. „Was wollen sie?“<br />

„Sie sprechen, Rhonda.“


Sie nahm Smith beim Arm und führte sie ein paar Metern vom<br />

Lager weg. Als sie sich vergewissert hatte, dass sich niemand<br />

in Hörreichweite befand, holte sie den groben Scannerkasten<br />

hinter dem Rücken hervor und sagte: „Sie müssen das hier für<br />

mich aufladen, Rhonda. Und zwar gleich morgen früh, sobald<br />

der Jeep das Lazarett wieder mit Strom versorgt.“<br />

Smith runzelte die Stirn und nahm den Scanner entgegen. Sie<br />

kannte seine Funktionsweise. Schließlich hatte sie ihn ja selber<br />

konstruiert.<br />

„Warum sollte ich-“<br />

Und dann bemerkte sie den Ausdruck in Nechayevs Gesicht.<br />

„Sie haben etwas empfangen?“<br />

Nechayev nickte enthusiastisch. „Es ist noch nicht vorbei. Und<br />

ich brauche ihre Hilfe, Rhonda. Wir entdeckten ein Signal –<br />

was wir auch zu entdecken erhofft hatten. Aber ich weiß nicht<br />

von wo. Sie müssen zum einen den Scanner aufladen-“<br />

Smith schüttelte den Kopf, schloss die Augen. „Nach allem,<br />

was sich zugetragen hat, geben sie noch immer nicht auf? Was<br />

soll denn noch furchtbares passieren? Wie viele Leben müssen<br />

noch dran glauben, ehe Sie ihren weißen Wal erlegt haben?“<br />

Sie senkte schnell ihre Stimme und sah sich um. Niemand<br />

hatte sie gehört. „Wollen Sie alle noch mehr hintergehen?<br />

Mehr Geheimniskrämerei?“<br />

„Die Anderen erfahren, was Sie erfahren müssen. Darüber<br />

hinaus sind Sie für mich nicht von Belang.“<br />

„Das können Sie nicht tun, Admiral.“<br />

Nechayev hob warnend den Zeigefinger: „Sagen Sie mir nicht,<br />

was ich tun kann!“<br />

„Das ist Wahnsinn.“<br />

Nechayev zuckte mit den schultern. „Es ist Forschung.“<br />

„So nennen Sie das?“<br />

„So nenne ich das, ganz recht. Forschung hat sich geändert,<br />

Rhonda. Wir sind nicht mehr auf der Suche nach Antworten,<br />

sondern nach Industrie. Medikamente, Stoffe, Elemente und


vieles mehr. So wird Forschung heute finanziert – von<br />

Konzernen und Unternehmen wie Farnham. Sie suchen nach<br />

Vermögen.“<br />

„Sie vielleicht, Admiral Aber ich nicht. Nicht mehr. Und ich<br />

habe auch keine Zeit mehr für ihre kleinen Missionen und<br />

Operationen. Ich muss mich um jemanden kümmern, der von<br />

den Folgen ihrer verheerenden Manie betroffen ist. Hawk<br />

braucht mich.“<br />

Sie wollte sich gerade abwenden, als sie Nechayev in einem<br />

merkwürdigen Tonfall sagen hörte: „Hawk, ja richtig. Der<br />

Pilot. Ich bin sicher, Sie werden ihn durchbringen, Rhonda.<br />

Sie sind eine hervorragende Ärztin. Er wird also<br />

quicklebendig sein, wenn wir zurückkehren. Aber was dann?“<br />

Nechayev begann um Smith herumzuschleichen. „Man wird<br />

eine Untersuchung der Katastrophe durchführen.“, sagte sie.<br />

„Man wird sagen, es sei ein Pilotenfehler gewesen, da jemand<br />

den Warpsprung verpatzt hat. Und es werden<br />

Nachforschungen eingeleitet. Schließlich findet man heraus,<br />

dass Sie, Doktor, Hawk’s Akte gefälscht und ihm so den<br />

Dienst an Brod gestattet haben, obwohl er unter<br />

Morphiumeinfluss stand und alles andere als Dienstfähig war.<br />

Was wird das für ihn bedeuten? Soll ich weiter reden?“<br />

Smith starrte sie eine ganze Weile einfach nur an. Dann hörte<br />

sie sich fragen: „Was brauchen sie?“<br />

„Ein Labor.”<br />

Smith sagte nichts.<br />

„Unsere Arbeit ist noch nicht beendet, Rhonda. Noch nicht.“<br />

„Okay, gut. Sie bekommen ihr verdammtes Labor.“<br />

„Ach und Rhonda.... vergessen Sie niemals, warum Sie in<br />

meiner Schuld stehen. Niemals!“


Amphion-Camp<br />

Keine Sterne. Nur dieser riesige, weißrote Planet direkt über<br />

ihren Köpfen und dunkle drohende Wolken. „Es ist<br />

unheimlich.“, flüsterte Fowler.<br />

D’Agosta sah zum Himmel hoch und nickte. Er fuhr sich mit<br />

den Fingern durch das kurze, schwarze Haar. Es war Zerzaust.<br />

Aber in der Wildnis dieses Mondes gab es vermutlich<br />

wichtigeres, als eine perfekt sitzende Frisur. Er wandte sich<br />

um und sah im Schein des flackernden Feuers, dass Judy von<br />

Amphion umzingelt war und irgendeine Geschichte erzählte.<br />

Etwas über einen neuen Holo-Film. Die primitiven hingen ihr<br />

förmlich an den Lippen. Die Amphion schien einen Narren an<br />

dem seiner Tochter gefressen zu haben. Vielleicht, weil sie<br />

selbst keine Kinder mehr haben durften.<br />

Verblüffend – überall in der Galaxis war es gleich: Kindliches<br />

aussehen, führte zu einem selbstorganisiertem, erwachsenen<br />

Verhalten.<br />

Und Judy war sehr lebhaft, hatte im Kontakt mit den<br />

gutmütigen Amphion offenbar eine Aufgabe gefunden, die ihr<br />

gefiel.<br />

Shannyn nahm von einem Amphion eine Art Wasserkanister<br />

entgegen und bedankte sich.<br />

Athol hatte sich einen schweren Pelz umgelegt und bereitete<br />

nun auf den Abmarsch vor. In seiner rechten Hand hielt er<br />

eine große Fackel. Wenn sie sich vom Lager entfernten, waren<br />

sie praktisch völlig im dunkeln, fast völlig blind. Dann<br />

mussten sie sich ganz auf den Amphion verlassen, um zu<br />

überleben.


D’Agosta und Fowler gingen zurück zu ihnen. „Es wird Zeit.“,<br />

sagte D’Agosta.<br />

Damit begann der Marsch durch die finstere Nacht. Weit<br />

kamen sie nicht. Nur wenige Meter vom Lager entfernt, schrie<br />

eine der Frauen hinter ihnen gellend auf. Die Amphion riefen<br />

irgendetwas wild durch die Gegend. Athol packte D’Agosta<br />

am Kragen und zog ihn zurück zum Lager. „Ihr müsst sofort<br />

in Sicherheit, ihr müsst in Sicherheit!“<br />

„Was... was ist denn?“<br />

Sie wurden in eines der kleinen Felsenhäuser gestoßen, die<br />

Kerzen darin erlöscht. Und dann sah D’Agosta, was los war:<br />

Bedrohliche Geländewagen, die wild lärmend und Hupend auf<br />

das Camp zugestürzt kamen.<br />

Zwei Jeeps und ein kleines, schlichtes Motorrad, umrundeten<br />

Krawall schlagend das Camp der Amphion. Die Fahrzeuge<br />

wirkten alt und verbraucht.<br />

Die Stahlverkleidung war größtenteils verrostet, hier und dort<br />

war mit rot/schwarzer Farbe drübergemalt worden. Die<br />

Insassen machten einen nicht weniger heruntergekommenen<br />

Eindruck. Es machte ihnen offenbar einen riesigen Spaß,<br />

hupend und schreiend, wie eine Motorradgang um das Lager<br />

zu brausen und die Amphion einzuschüchtern. Frauen schrieen<br />

umher, versteckten sich in den Häusern und sogar die Männer<br />

traten zurück. Die Tarkon führten das Spiel noch eine Zeitlang<br />

so weiter, dann fuhren sie in das Camp rein. Einer der Jeeps<br />

zertrümmere eine kleine Sandburg. Sie bremsten haarscharf,<br />

schlidderten noch ein paar Zentimeter durch den Sand und<br />

hielten nahe an den Amphion. Dann stiegen sie aus. Shannyn<br />

konnte von ihrem Standpunkt nicht allzu viel erkennen, wusste<br />

aber sofort, dass von den Kerlen – zweifellos Tarkon - nichts<br />

gutes ausging.


Auch ohne die Berichte Athols. Diese Typen - etwa ein<br />

Dutzend – waren stämmige, breitschultrige Gestalten, die für<br />

gewöhnliche Straßenräuber und Rowdys entschieden zu<br />

militärisch aussahen. Ihre Kleidung war eine Mischung aus<br />

schwarz-rotem, harten Leder und dienten unbestreitbar der<br />

Uniformierung. An Schultern und Brust erfasste Shannyn so<br />

etwas wie Rangabzeichen und Verdienstorden. Diese<br />

Exemplare hier hatten nicht viele davon. Sie umzingelten<br />

Athol und begannen den Amphion herumzustoßen und lachten<br />

dabei dreckig.<br />

Shannyn versuchte der Unterredung zu folgen, bekam aber nur<br />

die Hälfte mit. „Was ist? Was denn ist nur los?“, flüsterte<br />

D’Agosta hinter ihr. Er konnte nichts sehen und wenn er sich<br />

vorbeugte, riskierte er entdeckt zu werden.<br />

„Sscht!“, machte Shannyn.<br />

Die Tarkon wurden allmählich wütend. Offenbar suchten sie<br />

etwas.<br />

Und dann bekam Shannyn auch endlich mit, wonach sie<br />

suchten. Einer der Tarkon fragte zähnefletschend: „Wo ist die<br />

Sternenflotte?“<br />

„Ich greife ein.“, entschied Shannyn. „Helfen Sie mir?“<br />

„Eingreifen? Aber... ich... ich bin kein Kämpfer.“, zögerte<br />

D’Agosta.<br />

„Macht nichts, lenken Sie die Typen einfach ab, den Rest<br />

erledige ich.“<br />

Fowler zog die Stirn kraus. „Das ist ihr Plan? Selbst Wile E.<br />

Coyote würde mit einem besseren Plan aufkreuzen.“<br />

„Shannyn, das sind acht Mann. Groß und ziemlich kräftig, wie<br />

es aussieht.“, sagte D’Agosta. „Sie können niemals alleine-“<br />

„Ich schaff das schon.“ Sie drehte sich zu dem<br />

Sicherheitswächter. „Fowler, Was ist mit ihnen?“


„Na ja, also ich kann Karate, Kung Fu... und siebenundvierzig<br />

andere gefährliche Wörter.“<br />

Shannyn starrte ihn einfach nur an. Sie fand das nicht<br />

komisch. Fowler seufzte. „Hören Sie, die kenne ich doch gar<br />

nicht. Vielleicht sollten wir einfach warten. Die ziehen<br />

bestimmt gleich wieder ab.“ Auch er scheute offensichtlich die<br />

Konfrontation.<br />

Shannyn seufzte stumm. Der feige Fowler und der viel zu<br />

gutartige D’Agosta.<br />

Sie wollte eine spitze Bemerkung antworten, dann viel ihr<br />

aber plötzlich wieder ein, Admiral Felix Alvarez, einer ihrer<br />

alter Ausbilder, sie einmal in der klingonischen Savanne von<br />

Kelrath’Kathena III besucht hatte.<br />

Er war einer dieser arroganten Theoriereiter gewesen und<br />

erzählte immer viel über seine Erfahrungen auf Vulkan und<br />

Orion mit den vulkanischen Tigern und anderen Raubtieren.<br />

Shannyn hatte ihn mit zu einem Fressplatz in der Savanne<br />

mitgenommen und er wurde prompt ohnmächtig. Er wog über<br />

einhundert Kilo und sie musste ihn am Kragen wegschleifen,<br />

während Targs in der Fresszeit sie umkreisten und anfauchten.<br />

Das war ihr eine Lehre gewesen.<br />

Sie baute sich auf. „Wer Angst hat, oder keine<br />

Kampferfahrung hat, den brauche ich nicht. Der bleibt einfach<br />

hier. Ich will mich um den nicht auch noch kümmern müssen,<br />

klar? Ich mache das allein.“<br />

„Sie wollen gegen die alle antreten?“, fragte Fowler.<br />

„Sieht nicht fair aus, nicht wahr?“, entgegnete Shannyn.<br />

„Vielleicht sollte ich mir einen Arm auf den Rücken binden.“<br />

Und damit marschierte sie aus dem Felsen hinaus. Direkt auf<br />

diese Männer zu.<br />

D’Agosta und Fowler wechselten einen Blick.<br />

„Sie... Sie ist mutig.“, sagte D’Agosta.<br />

Fowler zögerte ein paar Sekunden. Dann schnaubte er<br />

beleidigt und machte eine abfällige Bewegung. „Sie ist doch


nur ne Frau.“ Der Sicherheitsoffizier umfasste sein Gewehr<br />

und trat ebenfalls hinaus.<br />

D’Agosta seufzte laut. Er drehte sich zu seiner Tochter. „Judy,<br />

bleib hier drin! Egal, was passiert.“<br />

„Aber-“<br />

„Hast du gehört?“<br />

„Ja.“<br />

„Gut.“ Nun trat er selbst raus und spürte, wie Adrenalin durch<br />

seinen Körper gepumpt wurde. „Das gibt Ärger.“, wusste er.<br />

Fowler nickte. Sie schlossen zu Shannyn auf.<br />

Die Tarkon hatten sie noch nicht bemerkt.<br />

„Seien Sie auf der Hut.“, riet Shannyn und trat an die Tarkon<br />

heran. Der Anführer der Tarkon schüttelte Athol, was an sich<br />

schon beeindruckend war. „Was ist los, Amphion? Hast du die<br />

Hosen voll?“<br />

„Ich glaube das reicht.“, sagte Shannyn<br />

Der Anführer der Truppe wandte ruckartig den Kopf, starrte<br />

die Neuankömmlinge an und lies Athol so ruckartig los, dass<br />

er hilflos zurücktaumelte.<br />

„Sie lassen die Amphion nun in Ruhe!“, sagte D’Agosta mutig<br />

und wunderte sich nur eine Sekunde später, eben dies gesagt<br />

zu haben. Es klang so anders, so... verwegen. Der Mut verflog<br />

sofort wieder.<br />

Die Augen des Tarkons funkelten tückisch, während er sich<br />

mit wiegenden Schritten auf D’Agosta zu bewegte, in dem er<br />

anscheinend das lohnendere Opfer entdeckt zu haben glaubte.<br />

Es kam zu einer Größendemonstration. Die drei Offiziere<br />

standen den acht Tarkon gegenüber.<br />

Der Anführer der Truppe schlug die Fäuste zusammen und<br />

brummte D’Agosta an. Der Kerl war gut dreißig Zentimeter<br />

größer als er und nicht nur das. Das Gesicht des Tarkons<br />

sprach Bände. Zu sagen, dass es Brutal war, wäre untertrieben<br />

gewesen. Es war eine typische Schlägervisage. Breit, voller<br />

Narben und mit einer Nase, die mindestens schon ein Dutzend


Mal gebrochen gewesen sein musste. Kerle wie er fand man<br />

überall im Universum. Und überall lief eine Konfrontation mit<br />

ihnen auf Ärger aus. Großen Ärger.<br />

„Was sollen wir?“, knurrte er<br />

„Die... ähm... die Amphion in Ruhe lassen?“, sagte D’Agosta,<br />

aber diesmal zögerlicher.<br />

„Was mischt du dich denn ein. Zwerg?“<br />

„Allan D’Agosta. Und ich bin kein Zwerg. Es liegt mir fern,<br />

mich irgendwo einzumischen.“, sagte D’Agosta vorsichtig.<br />

„Aber, was Sie hier machen, ist falsch.“<br />

„So?“, knurrte der Tarkon und kam einen weiteren Schritt auf<br />

D’Agosta zu. D’Agosta sah sich rasch um. Shannyn ballte die<br />

Fäuste und fixierte den Kerl, während Fowler sein Gewehr<br />

bereit hielt, den Tarkon anstarrend, der bei dem Jeep geblieben<br />

war und ebenfalls eine Waffe trug. Ein primitives Gewehr.<br />

„Du musst Sternenflotte sein. Ja, wir haben von euch gehört.“,<br />

sagte der Große lauernd. „Freunde der Amphion, wie?“<br />

Allmählich wurde es D’Agosta enorm mulmig zumute. Der<br />

Bursche war auch ein gutes Stück größer als er und er machte<br />

nicht den Eindruck, als ließe er sich durch ein paar freundliche<br />

Worte beruhigen.<br />

„Bitte, ich wollte lediglicht-“<br />

Den Kerl interessierte nicht, was D’Agosta sagen wollte. Er<br />

schlug ohne Vorwarnung zu. Und sehr viel schneller, als Allan<br />

es erwartet hätte. Zum Glück war Shannyn noch schneller.<br />

Hätte sie seine Hände nicht genau beobachtet, dann hätte ihn<br />

der erste Fausthieb sofort ins Reich der Träume befördert. So<br />

zertrümmerte er nur einen bröckligen Fels, als Shannyn ihn<br />

zur Seite stieß. Dann geschah alles gleichzeitig. Das Krachen<br />

des Gesteins mischte sich mit dem Keuchen des Typen, als<br />

Shannyn ihm die Faust ins Gesicht schlug. Das Ergebnis<br />

entsprach wohl nicht ganz ihrer Absicht. Der Kerl wankte<br />

zurück und heulte vor Schmerz, aber das lag wohl eher daran,<br />

dass er sich die Faust an dem Fels zerschmettert hatte.


Zeitgleich erfolgten ein Schuss aus dem Phasergewehr, als<br />

Fowler abdrückte. Der Strahl berührte fast sanft die Brust des<br />

Tarkon, der gerade sein eigenes Gewehr hob. Der Kerl wurde<br />

jählings von den Füßen gerissen und landete mit weit<br />

ausgebreiteten Armen auf dem harten Untergrund. Ein zweiter<br />

Takon zögerte keine Sekunde, sprang vor und wollte nach<br />

seinem Gewehr greifen.<br />

Allan blieb keine Zeit Fowler eine Warnung zuzurufen, denn<br />

in diesem Moment war einer der Tarkon heran und er hatte<br />

plötzlich alle Hände voll zu tun.<br />

Hätte der Kerl mit ein bisschen mehr Überlegung angegriffen,<br />

hätte D’Agosta vermutlich nicht den Hauch einer Chance<br />

gehabt.<br />

Er war einen guten Kopf größer und wog mindestens dreißig<br />

Kilo mehr. In seinen Augen loderte pure Mordlust. Und wie<br />

alle mordlüsternen, großen Kerle, verließ er sich völlig auf<br />

seine überlegene Kraft. D’Agosta tauchte mehr aus einem<br />

Reflex, als durch Absicht unter seinen Fäusten hindurch,<br />

packte den Arm mit beiden Händen, drehte sich halb um seine<br />

Achse und zerrte gleichzeitig mit aller Kraft.<br />

Seine Rechnung ging nicht ganz auf. Statt im hohen Bogen ber<br />

seinem Kopf hinwegzusegeln und sich am nächsten Felsen<br />

den Schädel einzuschlagen, kam der Kerl nur ins Stolpern und<br />

viel auf alle Viere. D’Agosta war verzweifelt. Er konnte nicht<br />

kämpfen! Er hatte noch nie an einer Schlägerei teilgenommen,<br />

war eher immer davor geflüchtet.<br />

Verflucht, er war auf der Grundschule sogar von einem<br />

Mädchen verprügelt worden!<br />

Allerdings musste er etwas unternehmen, das war ihm klar.<br />

Fowler rang mit seinem Gegner und vollführte eine Art<br />

Tauziehen um das Gewehr. So lange, bis er schließlich auf die<br />

Idee kam, den Abzug zu betätigen. Sein Gegenüber rechnete<br />

damit überhaupt nicht, taumelte mehr vor Schreck, als vor den<br />

Auswirkungen des Schusses zurück und überschlug sich.


Dafür prallte sofort ein dritter von hinten gegen Fowler und<br />

riss ihn von den Beinen. Dadurch verlor er sein Gewehr, dass<br />

über den Boden davon schlidderte.<br />

Auch Shannyn war nicht mehr allein. Sie wurde von gleich<br />

zwei weiteren Tarkon attackiert. Aber es sah eigentlich nicht<br />

so aus, als bräuchte sie Hilfe. Einer der beiden versuchte in<br />

ihren Rücken zu gelangen, aber Shannyn schien plötzlich<br />

Augen im Hinterkopf zu haben, denn sie stieß blitzartig den<br />

Ellenbogen zurück und der Kerl hatte in der nächsten Minute<br />

genug damit zu tun, das Amten neu zu lernen. Der andere<br />

versuchte den Moment auszunutzen und attackierte Shannyn<br />

direkt von vorn, aber auch ehr war nicht sonderlich<br />

erfolgreich.<br />

Sie tauchte mit einer fast spielerisch anmutenden Bewegung<br />

unter seinem Fausthieb hindurch, wirbelte herum und setzte<br />

mit einem Handkantenschlag nach, der ihn wie einen nassen<br />

Sack zu Boden stürzen lies. Das ganze hatte kaum eine<br />

Sekunde gedauert. Eine weitere Sekunde vergeudete D’Agosta<br />

damit, einfach dazustehen und Shannyn anzustarren. Dann<br />

prallte irgendetwas großes gegen D’Agosta und noch im Sturz<br />

wurde ihm bewusst, dass es etwas lebendiges war. Der<br />

Tarkon, der ihn angegriffen hatte, war wieder auf die Beine<br />

gekommen und griff erneut an.<br />

D’Agosta rollte sich ab und war blitzschnell wieder auf den<br />

Beinen. Er wiederstand dem Drang seiner Beine, in Deckung<br />

springen zu wollen und beschloss sich mit dem Kerl<br />

anzulegen. Shannyn schaffte es ja auch! Und er war immerhin<br />

ein Mann. Also schlug er zu. Und zog sogleich seine Faust<br />

wieder schmerzerfüllt weg. Sein Gegner schwankte nicht mal.<br />

Er schien überhaupt ein Kinn aus Stahl und einen Magen aus<br />

Beton zu haben, wie D’Agosta im nächsten Angriff bemerkte.<br />

Er schien seine Schläge gar nicht zu spüren, sondern grinste<br />

nur. „Du schlägst, wie ein Mädchen.“


D’Agosta konnte dagegen nicht viel sagen, er bemerkte ja<br />

selbst, dass er viel zu zaghaft zuschlug. Das war eine neue<br />

Erfahrung für ihn. Außerdem spürte er, wie seine Kräfte<br />

allmählich nachzulassen begannen. Also versuchte er es noch<br />

einmal, diesmal fester.<br />

Es kam wie es kommen musste: D’Agosta brachte einen<br />

gezielten Faustschlag auf der Nase des Kerls an, aber der<br />

Bursche steckte den Hieb einfach weg und stürmte mit weit<br />

ausgebreiteten Armen auf D’Agosta zu, der plötzlich von den<br />

Füßen gerissen und herumgewirbelt wurde, während sich die<br />

Arme des Kerls wie Schraubstöcke um seinen Brustkorb<br />

schlossen. D’Agosta bekam keine Luft mehr. Irgendwo hinter<br />

ihm hörte er Fowler stöhnen und sah ihn aus den<br />

Augenwinkeln auf den Boden stürzen. Er rührte sich nicht<br />

mehr. Shannyn schien weniger Probleme zu haben. Für den<br />

Bruchteil einer Sekunde sah er sie und die beiden anderen<br />

Kerle, die einen wilden Tanz aufzuführen schienen.<br />

Mein Gott, was taten sie ihr an?<br />

D’Agosta bäumte sich auf, als sein Gegner den Druck auf<br />

seinen Brustkorb noch verstärkte. Er hatte das schreckliche<br />

Gefühl, sein Rückrat würde brechen, aber er hatte nicht einmal<br />

mehr Luft zum schreien. Bunte Sterne tanzten vor seinen<br />

Augen. In seiner Verzweiflung versetzte er dem Kerl eine<br />

Kopfnuss, wobei er sich selbst vermutlich mehr weh tat, als<br />

dem Gegner. Es reichte aber, um frei zu kommen. Der Griff<br />

um seinen Brustkorb lockerte sich, D’Agosta fiel, blieb<br />

benommen liegen und versuchte dann wieder auf die Füße zu<br />

kommen.<br />

Vergeblich.<br />

Seine Arme spielten nicht mehr mit, als er sich hochstemmen<br />

wollte. Sein Gegner indes stand immer noch da, breitbeinig,<br />

mit stierem Blick und weit nach vorn gebeugt. Aber er tat ihm<br />

nicht den Gefallen endlich umzufallen. Der Kerl hatte


offensichtlich nicht nur den IQ, sondern auch die Kondition<br />

eines Ochsen.<br />

Endlich gelang es ihm, sich wankend auf die Füße zu erheben.<br />

Seine Arme waren wie Blei, als er die Fäuste hob und mit<br />

letzter Kraft auf den Tarkon zuwankte. Der Kerl hob ebenfalls<br />

die Riesenpranken – und stürzte stocksteif vornüber, als<br />

jemand von hinten einen Stein auf seinem Schädel<br />

zerschmetterte. Der Schädel ging dabei ebenso zu Bruch.<br />

D’Agosta konnte sich gerade noch in Deckung bringen, um<br />

nicht unter dem Riesen begraben zu werden. Die nächsten<br />

Zehn Sekunden verbrachte er damit, verdutzt auf die schlanke<br />

Gestalt zu starren, die hinter dem Tarkon aufgetaucht war.<br />

„Ju... Judy!“, stammelte er. Er wollte noch mehr sagen,<br />

brachte aber keine Wort hervor, drehte den Kopf stattdessen<br />

nach den anderen.<br />

Fowler lag bewusstlos mit dem Gesicht nach unten auf dem<br />

Boden. Er atmete aber noch. Die beiden Kerle, die Shannyn<br />

angegriffen hatten, lagen nebeneinander. Der eine sah aus, als<br />

hätte er versucht, mit Kinn und Nase den Sandboden zu<br />

polieren. Er stöhnte leise.<br />

Der andere rührte sich überhaupt nicht mehr. Sein Gesicht war<br />

relativ unbeschädigt, aber so, wie sein linker Arm dalag,<br />

musste er mindestens ein zusätzliches Gelenk darin haben. Die<br />

Tarkon, die noch grade stehen und laufen konnten, eilten zu<br />

den beiden Jeeps und ergriffen die Flucht.<br />

Irgendjemand Schrie. Eine Amphion. Weitere Schreie.<br />

Befehle, hektisches Gerede.<br />

D’Agosta hustete. Seine Kräfte versagten endgültig. Die Knie<br />

wurden weich. Er brach zusammen und er sah ein, dass er dem<br />

Griff der Bewusstlosigkeit nicht entkommen konnte. Aber dne<br />

Bruchteil einer Sekunde, bevor ihm endgültig die Sinne<br />

schwanden, sah er etwas, von dem er nicht sicher war, ob es<br />

sich schon um ein Traumbild handelte, der auf der anderen<br />

Seite der Ohnmacht auf ihn wartete. Eine Kriegeramazone,


mit langem blonden Haar, kam auf einem Motorrad, direkt aus<br />

der Hölle stammend, auf ihn zugerast und hielt schliddernd<br />

vor ihm an. Bevor sie ihn umbringen konnte, verlor D’Agosta<br />

endgültig das Bewusstsein.<br />

„Sie haben meine Tochter!“, schrie eine alte Amphion entsetzt<br />

und kam auf Shannyn zugerannt. „Sie haben meine Tochter.“<br />

„Die Tarkon?“<br />

Die Frau nickte bemüht.<br />

„Weswegen?“<br />

„Sie entführen Frauen.“, antwortete Athol.<br />

„Wo sind sie hin?“<br />

„Dorthin.“, sagte die Frau und deutete über die Ebene. Dank<br />

dem Staub, den das Fahrzeug aufwirbelte, konnte man es im<br />

schwachen Planetenlicht gerade noch erkennen. „Bitte, helfen<br />

sie mir!“<br />

Shannyn zögerte keinen Moment und rannte zu dem Motorrad,<br />

dass die Tarkon zurückgelassen hatten.<br />

Sie hob es auf und schwang sich drüber, einen schnellen Blick<br />

über die Armaturen werfend. Gasgriff, Bremsgriff, Anlasser.<br />

Ein leichtes Grinsen huschte über ihre Züge. Zur Probe drehte<br />

sie am Gasgriff. Das Motorrad schoss vor, sie lenkte einen<br />

Bogen und blieb neben den anderen stehen. Der<br />

Sicherheitsoffizier war betäubt, D’Agosta glotzte sie aus<br />

verständnislosen Augen an, verdrehte selbige und stürzte dann<br />

benommen vornüber. Die beiden schieden aus.<br />

Shannyns Blick wechselte zwischen Judy und Athol, blieb<br />

dann bei dem Mädchen verharren. „Steig auf.“, sagte Shannyn<br />

und nahm das Gewehr von der Schulter. Judy kletterte hinter<br />

ihr auf das Motorrad. Shannyn streckte ihr die Waffe hin.<br />

„Kannst du schießen?“<br />

„Nein. Ich meine, ich hab noch nie.“<br />

„Kannst du Motorrad fahren?“


„Nein, ich –„<br />

„Dann musst du schießen.“, entschied Shannyn. „Sieh her:<br />

Das ist der Abzug. Dies hier ist der Regler für die<br />

Emissionsstärke, da gehst du nicht dran. Und das ist der<br />

Sicherungshebel. Draufdrücken. Okay? Das wird ne holprige<br />

Fahrt, also erst entsichern, wenn wir nahe dran sind.“<br />

„Nahe dran an was?“<br />

Aber Shannyn gab keine Antwort mehr. Sie gab gas, das<br />

Motorrad beschleunigte und schoss hinter den fliehenden<br />

Tarkon her, auf die Ebene hinaus. Judy legte den Arm um<br />

Shannyn und klammerte sich fest.


Verfolgung<br />

Judy hatte Angst, aber die Art, wie Shannyn über Waffen,<br />

über Motorräder und sonst einfach alles sprach, beruhigte sie.<br />

Direkt und unverblümt. Und Judy erkannte allmählich, dass<br />

Shannyn sich durch nichts aufhalten lies, dass sie einfach tat,<br />

was sie sich in den Kopf gesetzt hatte.<br />

Und diese Einstellung, sich von nichts und niemandem<br />

aufhalten zu lassen, zu glauben, dass man tun konnte, was man<br />

tun wollte, war etwas, das sie nun selbst nachzuahmen<br />

versuchte. Das Motorrad jagte über die sandige Ebene. Mit der<br />

einen Hand klammerte Judy sich an Shannyn fest, in der<br />

anderen hielt sie das Gewehr. Das Sternenflottengewehr war<br />

schwer, und ihr Arm wurde allmählich müde. Das Motorrad<br />

holperte über das unebene Gelände, wich ständig aufragenden<br />

Felsen aus. Der Wind blies ihr die schwarzen Haare ins<br />

Gesicht.<br />

„Festhalten.“, rief Shannyn.<br />

Der riesige Planet brach über ihnen durch die schwarzen<br />

Wolken, der grobkörnige Sand wirkte wie vertrocknetes Blut.<br />

Der Geländewagen war Vierzig Meter vor ihnen, gerade noch<br />

in Reichweite des Scheinwerfers.<br />

Abgesehen von ihnen sah Judy keine weiteren Wagen in der<br />

Nähe, der andere war vor wenigen Minuten in eine andere<br />

Richtung abgebogen, in der Hoffnung Shannyn auf eine<br />

falsche Fährte locken zu können. Aber sie folgten dem<br />

richtigen, die Amphion war auf dem Beifahrersitz deutlich zu<br />

erkennen. Und kreischte.<br />

Sie nährten sich dem Jeep. Der Fahrer fuhr schnell und<br />

teufelswild.


Shannyn schwenkte nach rechts, als sie den Jeep erreichten.<br />

Der Abstand wurde immer kleiner, mit dem Motorrad waren<br />

sie schneller. Sie beugte sich zurück, brachte den Mund nahe<br />

an Judys Ohr. „Mach dich fertig!“, rief sie.<br />

„Was muss ich tun?“<br />

Sie fuhren nun, etwa auf Höhe der Hinterräder, neben dem<br />

Jeep her. Shannyn beschleunigte, direkt neben den Fahrer her.<br />

Der sah zur Seite und blickte sie grimmig an. Eine Waffe hatte<br />

er offenbar keine. „Der Motorblock!“, rief sie. „Schieß auf den<br />

Motorblock.“<br />

Judy kniff die Augen zu. Der Motorbereich des Jeeps war<br />

offen, die Maschinen lagen frei. Es waren recht viele.<br />

„Wohin?“<br />

„Irgendwo in den Motorblock!“<br />

Judy hantierte mit dem Gewehr. „Jetzt?“<br />

„Nein! Warte, warte!“<br />

Der Fahrer geriet in Panik, als das Motorrad sich näherte. Er<br />

beschleunigte. Judy versuchte die Finger an den<br />

Sicherungshebel zu bekommen. Das Gewehr hüpfte. Alles<br />

hüpfte. Sie berührte den Hebel, rutschte wieder ab. Sie würde<br />

beide Hände benutzen müssen und das bedeutete, Shannyn<br />

loslassen.<br />

„Mach dich fertig.“, rief Shannyn.<br />

„Aber ich kann nicht-„<br />

„Jetzt, tu es!“<br />

Shannyn schwenkte nach links und fuhr im Abstand von nur<br />

knapp einem Meter neben dem Jeep her. Der Fahrer fletschte<br />

die Zähne, musterte die Frau und das Kind, die ihn offenbar<br />

herausfordern wollten. Sein Blick blieb besonders lange auf<br />

Judy haften. Er hob den Arm und wollte nach ihr greifen.<br />

Shannyn schwenkte von ihm weg. Judy schoss. Das Gewehr<br />

ruckte in ihren Händen und sie umklammerte wieder Shannyn.<br />

Der Jeep fuhr weiter.<br />

„Was ist passiert?“


„Du hast daneben geschossen.“<br />

Judy schüttelte den Kopf. „Oh.“<br />

„Macht nichts.“, rief Shannyn. „Du schaffst es. Ich fahre näher<br />

ran.“<br />

Sie schwenkte wieder auf den Jeep zu. Aber diesmal lief es<br />

anders: Als sie neben ihm waren, riss der Fahrer das Lenkrad<br />

herum und machte einen Schlenker auf sie zu. Shannyn<br />

erschrak, riss im letzten Moment ihrerseits den Lenker herum<br />

und bremste ab, um schnell wieder hinter den Jeep zu geraten.<br />

Der Abstand vergrößerte sich wieder.<br />

„Ein richtiger Mistkerl, was?“, rief Shannyn. „Lässt einem<br />

keine zweite Chance.“<br />

Der Jeep lenkte in die eine Richtung, schlug dann plötzlich<br />

einen Haken und raste über die Ebene davon. „Er fährt auf die<br />

Stadt dort zu.“, rief Judy.<br />

Nun sah es Shannyn auch. Keine Stadt. Eine Festung. Sie<br />

waren nur noch wenige Kilometer entfernt.<br />

„Er glaubt er kann uns entwischen.“<br />

Sie waren jetzt zehn Meter hinter dem Jeep und verloren an<br />

Boden. Der Wagen raste über sehr unebenes Gelände und das<br />

Motorrad holperte und schlingerte. Shannyn schüttelte den<br />

Kopf. „Das wird nichts. Halt dich fest.“<br />

Sie schwenkte nach links, von dem Jeep weg und einen<br />

kleinen Abhang hinunter.<br />

„Was soll das?“, rief Judy.<br />

„Wir müssen ihm den Weg abschneiden.“<br />

Kreischend flog ein Schwarm prähistorisch aussehender Vögel<br />

vor ihnen auf.<br />

Shannyn fuhr durch die flatternden Flügel und Judy zog den<br />

Kopf ein. Das Gewehr in ihrer Hand ruckte. „Aufpassen!“, rief<br />

Shannyn.<br />

„Was ist passiert?“<br />

„Dein Gewehr ist losgegangen.“<br />

Judy schluckte. „Wie viel Schuss haben wir noch?“


„Noch zwei. Die müssen sitzen!“<br />

Shannyn zog den Gashebel weiter zurück und das Motorrad<br />

schoss nach vorn. Direkt vor ihnen kam eine Steigung.<br />

Shannyn raste unbeeindruckt darauf zu. „Halt dich fest!“<br />

„Was...-“<br />

Auf einmal flogen sie durch die Luft. Für eine Sekunde schien<br />

die Zeit still zu stehen. Die Räder drehten sich ohne Boden<br />

unter den Füßen. Ein kalter Wind fuhr durch Judys Haar.<br />

Dann setzten sie mit einem lauten Knall auf, der Judys innere<br />

Skelettstruktur durcheinander warf. Um ein Haar hätte sie das<br />

Gewehr fallen gelassen.<br />

Sie hatten kurz aufholen können, waren nun wieder nahe am<br />

Jeep. Dennoch betrug der Abstand noch 20 Meter. Der Wagen<br />

raste auf die Festung zu. „Er entwischt uns!“<br />

D’Agosta rappelte sich auf. Sein Schädel dröhnte, er hatte das<br />

Gefühl, mindestens zwanzig Torpedos seien hinter seiner Stirn<br />

explodiert. Er schwankte ein wenig.<br />

Das hinderte ihn aber nicht daran, den Kopf zu schütteln.<br />

„Was sagen Sie da?“ Er packte Athol an beiden Schultern und<br />

schüttelte den Riesen.<br />

„Shannyn und meinte Tochter machen, was?“<br />

Sie jagten dem Jeep hinterher. Sie hatten wieder ebenes<br />

Gelände erreicht und Shannyn beschleunigte das Motorrad.<br />

Der Fahrer drehte den Kopf nach ihnen, fluchte und änderte<br />

die Richtung.<br />

Er versuchte Abstand zu gewinnen, aber auf der freien Ebene,<br />

waren sie schneller. Dennoch näherten sie sich der Festung.<br />

Sie kamen auf gleiche Höhe mit dem Jeep, flankierten ihn<br />

links. Shannyn steuerte nach rechts. Der Fahrer warf ihnen


eine nicht jugendfreie Geste zu und steuerte ebenfalls nach<br />

rechts.<br />

„Er beendet sein Vorhaben zur Festung zu fahren.“, jubelte<br />

Judy. Sie nahm an, der Fahrer hätte seinen Plan aufgegeben<br />

und raste nun planlos über die ebene.<br />

Shannyn hielt das Tempo und kam dem Jeep langsam immer<br />

näher. Sie holten stetig und unerbittlich auf. Judy war<br />

aufgeregt. Sie versuchte das Gewehr auszurichten und<br />

bereitete sich auf den zweiten Schuss vor.<br />

„Verdammt!“, rief Shannyn.<br />

„Was?“<br />

„Schau!“<br />

Judy streckte sich und sah Shannyn über die Schulter. Direkt<br />

vor sich sah sie Felsen. Viele, große Felsen, die wie nach<br />

einem Steinschlag aus heiterem Himmel einfach so in der<br />

Ebene dicht beieinander lagen. Im Mondlicht sahen auch sie<br />

aus, wie vertrocknetes Blut.<br />

Der Jeep fuhr direkt darauf zu.<br />

„Er glaubt er kann uns abhängen!“ Shannyn gab mehr Gas und<br />

verkürzte den Abstand. „Schnapp ihn dir! Jetzt!“ Judy zielte<br />

und schoss. Das Gewehr ruckte. Der Jeep fuhr weiter.<br />

„Daneben.“<br />

Die Felsen sausten schnell heran, der Jeep brach aus und raste<br />

in das Felsengebiet hinein.<br />

„Und jetzt?“, rief Judy.<br />

„Wir haben kaum eine andere Wahl.“, rief Shannyn und zog<br />

mit dem Jeep gleich, während sie in den Schatten des ersten<br />

Felsens eintauchte. Judy sah, dass die Felsen extrem spitz<br />

waren.<br />

Jetzt waren sie in einem weiteren Schatten, dann wieder im<br />

Mondlicht, dann wieder im Schatten. Es war, als würden sie<br />

durch einen Wald fahren. Nur, dass es hier anstatt Bäume<br />

große, spitze Felsen gab. Der Jeep schwenkte zur Seite,<br />

Shannyn war nicht so schnell. Sie konnte dem Fels direkt vor


ihnen nicht mehr ausweichen, gab dafür noch mehr Gas. Es<br />

war nur ein kleiner Fels. Und Flach auf ihrer Seite –<br />

glücklicherweise.<br />

Das Motorrad hüpfte, für einen Moment drohten sie das<br />

Gleichgewicht zu verlieren, fanden es aber sofort wieder.<br />

Judys Herz hämmerte bis zum Hals. Der Jeep schlug noch ein<br />

paar Haken und raste dann aus der Felsenebene hinaus.<br />

„Scheiße.“, rief Shannyn und riss das Motorrad herum. Ein<br />

Stein hing tief und verfehlte sie knapp und dann hatten sie die<br />

Felsformationen ebenfalls hinter sich gelassen. Sie jagten dem<br />

Jeep hinterher. Das Motorrad sauste über die sandige Ebene.<br />

„Letzte Chance.“, rief Shannyn. „Tu’s!“<br />

Judy hob das Gewehr. Shannyn gab noch einmal Gas und kam<br />

dem Jeep sehr nahe. Der Fahrer schwenkte wieder auf sie zu,<br />

um sie zu rammen, doch Shannyn wich nicht aus, sondern<br />

schlug ihm kräftig mit der Faust gegen den Kiefer. Sein Kopf<br />

flog herum. Er verdrehte die Augen. „Jetzt!“<br />

Judy drückte den Lauf gegen den Motorblock und feuerte. Das<br />

Gewehr schnellte zurück und stieß ihr in den Bauch. Der Jeep<br />

fuhr weiter.<br />

„Nein!“<br />

Und plötzlich durchzuckten elektromagnetische Entladungen<br />

den Motorblock. Blitze zuckten. Der Jeep wurde langsamer<br />

und blieb stehen. Shannyn bremste ebenfalls ab und hielt an.<br />

Der Tarkon hinter dem Steuer stöhnte.<br />

Er war über dem Lenkrad zusammengesackt. Fünf Meter von<br />

ihm entfernt stieg Shannyn ab.<br />

Sie nahm das Gewehr und deutete auf die Magazinanzeige.<br />

Judy sah noch drei glühende Balken. „Ich habe gedacht das sei<br />

der Letzte.“, sagt sie.<br />

„Ich habe gelogen.“, sagte Shannyn sanft. „Warte hier.“<br />

Judy blieb beim Motorrad, während Shannyn vorsichtig auf<br />

den Tarkon zu ging.<br />

Er stöhnte.


Wachte auf.<br />

Shannyn schoss noch einmal und wartete, bis der schlaffe<br />

Körper des Betäubten aus dem Wagen kippte.<br />

Dann ging sie zur verängstigten Frau und reichte ihr die Hand.<br />

Shannyn half der Amphion auf die Beine und versuchte sie<br />

durch gutes Zureden zu beruhigen. Die Frau war sehr<br />

hysterisch, schien aber zu begreifen, dass von Shannyn und<br />

Judy keine Gefahr ausging und beruhigte sich allmählich.<br />

Dann sah sie sich den Tarkonwagen an. Neben dem Lenker<br />

erspähte sie eine Art Anlasser und betätigte ihn. Nichts<br />

geschah.<br />

Das Armaturenbrett blieb dunkel. Shannyn beugte sich über<br />

den Motorblock und sah nun, dass Judys Schuss mehr getan<br />

hatte, als nur die Elektronik auszuschalten. Es roch verschmort<br />

und beißender Rauch quoll aus den Maschinen empor.<br />

Shannyn seufzte und trat zurück. „Wir werden auf dem<br />

Motorrad ein wenig zusammenrücken müssen.“<br />

Judy sah auf einen Bereich irgendwo hinter Shannyn. Sie hatte<br />

die Augen zugekniffen und schaute konzentriert. „Da drüben,<br />

zwischen den Felsen ist etwas.“, sagte sie. „Sehen Sie? Dort,<br />

an diesem Berghang.“<br />

Shannyn folgte ihrem Blick. Zunächst konnte sie gar nichts<br />

erkennen, doch dann sah sie, wie sich das Licht des<br />

tiefhängenden Planeten auf einer metallischen Oberfläche<br />

spiegelte. „Das ist eine Rettungskapsel.“<br />

„Ob da noch jemand lebt?“<br />

„Möglich. Wir könnten nachsehen. Was meinst du?“<br />

Judy überlegte. Offen gestanden, wollte sie zurück zu ihrem<br />

Dad. Andererseits wusste sie auch von der Wichtigkeit,<br />

weitere Überlebende des Raumschiffabsturzes zu finden. „Ja,<br />

könnten wir machen.“<br />

„Keine Sorge, ich pass auf dich auf. Es ist auch nicht weit.“


Sie ging zum Motorrad und schwang das Bein darüber. Dann<br />

bedeutete sie der Amphion, sich hinter sie zu klammern und<br />

holte Judy auf die Lenkstange. „Bist du so weit?“<br />

Das Mädchen nickte.<br />

Shannyn gab Gas.


Fluchtkapsel 13<br />

Sie fuhren auf die Kapsel zu. Die Tarkonfestung hinter dem<br />

Hügel wurde zunächst immer größer, als sie eine Kuppe<br />

hinauffuhren und verschwand dann hinter einer kleinen<br />

Bergformation, als es wieder abwärts, in eine kleine Talsohle<br />

voller aufragender Felsen ging. Ein paar Meter vor der Kapsel<br />

hielt Shannyn an und stieg mit den anderen ab. Es war<br />

unheimlich. Alles war völlig still, lediglich die offen stehende<br />

Tür der Kapsel quietschte bedächtig im sanften Wind. Ein<br />

furchtbarer Gestank lag in der Luft, wie von...<br />

„Iieh.“<br />

Judy erspähte im selben Moment wie Shannyn die Leiche<br />

eines Sternenflottenoffiziers. Shannyn hielt das Mädchen an<br />

den Schultern fest und drehte sie von der Leiche weg. „Nicht<br />

hinsehen.“<br />

„Ich werd es verkraften.“, behauptete Judy, klang gleichzeitig<br />

aber nicht sonderlich überzeugend. Sie war sichtlich bleicher<br />

geworden.<br />

Shannyn streifte sich den Rucksack von der Schulter und<br />

übereichte ihn Judy. „Da ist was zu trinken drin, falls du<br />

Wasser brauchst.“<br />

„Okay.“<br />

„Bleib zurück.“<br />

„Okay.“<br />

Während Shannyn kurz in die Kapsel sah – offenbar leer – und<br />

anschließend zur Leiche ging, um sie zu untersuchen, fand<br />

Judy eine kleine Feldflasche in dem Rucksack. Sie schraubte<br />

den Verschluss auf und trank hastig. Dann nahm sie den<br />

Rucksack.


Sie schnallte ihn sich um und zog die Gurte straff.<br />

Anschließend trat Judy ein paar Schritte von der Leiche fort.<br />

Der Gestank war unerträglich. Aber das konnte doch keine<br />

Verwesung sein.<br />

So lange waren sie noch gar nicht gestrandet. Die Amphion<br />

begann zu zittern. Immer wieder blickte sie sich nervös in der<br />

Dunkelheit um. Als hätte sie angst vor einer sehr nahen<br />

Gefahr. Als wüsste sie mehr, als sie. Sie flüsterte immer<br />

wieder: „Blutkatze. Blutkatze.“.<br />

Die Stille der Nacht machte Judy angst. Sie schauderte. Am<br />

Himmel grollte Donner.<br />

Schweigend ging Shannyn in die Hocke und betrachtete die<br />

Leiche.<br />

Es war die eines männlichen Menschen mit goldener Uniform.<br />

Offenbar ein Lieutenant. Den klaffenden Schusswunden in<br />

seinem Brustkorb nach zu urteilen, hatten ihn die Tarkon<br />

erwischt. Oder sonst wer. Aber da war noch mehr. Sein linker<br />

Arm war verstümmelt, allerdings nicht von einer Waffe. An<br />

dem zerfetzten Fleisch erkannte Shannyn, dass sich ein Tier an<br />

der Leiche zu schaffen gemacht hatte – erst kürzlich. Außerdem<br />

entdeckte sie Schleifspuren, als wenn etwas versucht<br />

hätte, die Leiche fortzuschleppen.<br />

„Das ist Lieutenant Spiers.“, sagte Judy mit Übelkeit im<br />

Gesichtsausdruck. Sie hatte sich wieder etwas näher<br />

herangewagt. „War Lieutenant Spiers, vielmehr.“<br />

„Der Sicherheitschef?“, fragte Shannyn.<br />

„Richtig.“<br />

„Na Klasse.“<br />

„Dann haben wir die Kapsel von Captain O’Conner entdeckt,<br />

nicht? Aber wo ist er? Und Tessler? Und die alle?“<br />

Shannyn deutete auf Fußspuren. Einige stammten eindeutig<br />

von Sternenflotten-Asolo-Stiefeln. Andere von Unbekannten,


aber Shannyn zweifelte nicht daran, dass es Tarkon wahren.<br />

Sie drehte den Kopf, folgte den Spuren und erspähte<br />

Reifenspuren. Sie waren zum Tarkonlager–<br />

Shannyn drehte sich um und sah aus den Augenwinkeln<br />

heraus eine Bewegung. Etwas kleines braunes, das über den<br />

Boden huschte. Ein Tier etwas von der Größe einer Ratte.<br />

Judy stöhnte erleichtert auf. Dann war das Tier wieder<br />

zwischen den Felsen verschwunden.<br />

Judy lachte erleichtert. „Yoz! Ich dachte schon, dass sei jetzt<br />

irgendein fieses Monster und-“<br />

Plötzlich sprang, von einem furchtbaren Gebrüll begleitet, ein<br />

Tiger mit feuerrotem Fell hinter einem Felsen hervor und griff<br />

Judy von hinten an, ehe Shannyn reagieren konnte.<br />

Das Tier sprang ihr auf den Rücken und Judy wurde zu Boden<br />

gerissen. Dabei lies sie das Gewehr fallen. Shannyn umschloss<br />

den Griff ihres Kurzschwertes und schnappte nach Luft, als<br />

die Blutkatze seine spitzen Fangzähne herabschlug – in den<br />

Rucksack.<br />

Nur in den Rucksack.<br />

Das Tier machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf, als<br />

es seine Beute reißen wollte und mit einem lauten Klatschen<br />

rissen die Rucksackgurte.<br />

Irgendwie gelang es Judy sich aufzurappeln. Die Panik stand<br />

ihr ins Gesicht geschrieben.<br />

„Los rein!“, befahl Shannyn und stieß sowohl Judy, als auch<br />

die Amphion in die Kapsel. Just in diesem Moment bemerkte<br />

die Blutkatze, dass etwas nicht stimmte und lies von dem<br />

Rucksack ab. Das mächtige Tier fauchte Shannyn an und<br />

machte sich zum Sprung bereit. Shannyn warf sich ebenfalls<br />

durch die Einstiegsluke in die Kapsel, landete auf dem Rücken<br />

und stieß die Tür mit den Beinen zu, als die Blutkatze dagegen<br />

prallte.<br />

Während draußen das Tier dagegen hämmerte, stemmte sie<br />

sich gegen die Tür. In der Dunkelheit der Kapsel tastete sie


nach einem Schloss, oder einem Kontrollmechanismus, konnte<br />

aber keines finden. Dann reagierte Judy. Ihre Hände bewegten<br />

sich an der Luke. Noch immer hämmerte die Blutkatze<br />

dagegen.<br />

Augenblicke später sagte Judy: „Ich hab’s.“ Shannyn hörte das<br />

Klicken der Verriegelung und trat einen Schritt zurück. Judy<br />

fasste nach ihrer Hand. Das Tier hämmerte und fauchte.<br />

„Wir schaffen es.“, sagte Shannyn tröstend.<br />

Die Amphion zog sich Panisch an die Rückwand zurück, als<br />

plötzlich eine zweite Blutkatze auftauchte und dort gegen das<br />

Fenster sprang.<br />

Die Amphion kreischte erschrocken auf. Dann sah Shannyn<br />

eine dritte Blutkatze. Und eine vierte. Die Tiere hörten auf,<br />

sich gegen das Fenster und die Tür zu werfen. Aus Richtung<br />

der Tür hörte Shannyn ein metallisches Kratzen und dann sah<br />

sie durch einen dünnen Sehschlitz, dass die Tiere auf dem<br />

Motorrad rumhüpften und es anfauchten. Die Krallen an ihren<br />

Pfoten waren ausgefahren. Nicht mehr lange und die Reifen<br />

würden platzen. Jetzt mussten sie schnell handeln.<br />

Judy hatte Angst in der dunklen Fluchtkapsel, aber Shannyns<br />

Art beruhigte sie erneut. Sie blieb konzentriert. Mit einem<br />

Sinn für praktisches und bewahrte die nötige Ruhe. Judy hörte<br />

die Amphion wimmern. Sie lies sich von ihrer Angst<br />

kontrollieren und war unfähig sich zu bewegen. Dann<br />

verdrehte sie die Augen und fiel in Ohnmacht.<br />

Nein, das war es nicht, wie Judy sein wollte. Sie wollte sein<br />

wie Shannyn. Also riss sie sich zusammen und zog in der<br />

Dunkelheit die Ausrüstungskisten auf, kniff die Augen<br />

zusammen, um etwas erkennen zu können.<br />

Ihr Vater hatte ihr einst bei einer der zahlreichen Übungen die<br />

Notfallmaßnahmen bei einer Evakuierung gezeigt und ihr auch<br />

alles in den Kapseln gezeigt. Und sie war sich ziemlich sicher,


dass sie in einer der Kisten eine Tasche mit aufgedrucktem<br />

Totenkopf gesehen hatte. Vielleicht waren da ja Waffen drin.<br />

Sie suchte weiter, lies die Kisten offen, die sie bereits<br />

durchsucht hatte. Und plötzlich berührten ihre Finger eine<br />

grobe Tasche. Sie spähte in die Kiste. Ja, das war die Tasche!<br />

Judy zog das erstaunlich schwere Objekt aus der Kiste.<br />

„Shannyn, sehen Sie!“<br />

Shannyn trug die Tasche zu dem Fenster, durch das ein wenig<br />

Sternenlicht in die Kapsel fiel. Sie zog den Reißverschluss auf<br />

und musterte den Inhalt. Die Tasche war in wattierte Fächer<br />

unterteilt. Sie sah drei Würfel aus irgendeiner Substanz.<br />

Gummi, oder so was. Und einen kleinen silberfarbenen<br />

Zylinder – wie eine Flasche. Sie konnte die Beschriftung nicht<br />

erkennen.<br />

Die Tiere draußen fauchten.<br />

„Was ist das für ein Zeug?“<br />

„Ich glaube Rauchbomben.“<br />

„Nur Rauch?“, fragte sie. „Macht die nur Rauch?“<br />

„Ja, aber-„<br />

„Das hier ist besser.“, sagte sie und hob den Zylinder in die<br />

Höhe. Diese Beschriftung konnte sie lesen. „Cholinesterase-<br />

Bombe.“<br />

„Was macht die?“, fragte Judy.<br />

„Setzt ein Gas frei. Ruft eine kurzzeitige Lähmung hervor.“<br />

„Wie kurzfristig?“<br />

„Ein paar Minuten, glaube ich.“<br />

„Wissen sie, wie das Ding funktioniert?“<br />

Shannyn nickte und drehte den Zylinder in der Hand. An<br />

einem Ende befand sich eine Verschlussklappe mit einem<br />

Sicherungsstift. „Den Stift abziehen und werfen, Judy.“,<br />

erklärte sie. „So funktioniert das. Nach drei Sekunden geht sie<br />

los, wenn ich mich nicht irre.“


„Okay. Was tun wir?“<br />

„Wir verschwinden jetzt.“, erklärte Shannyn und ging zur Tür.<br />

Der Zylinder flog durch die Luft, seine silbrige Hülle blitzte<br />

einen kurzen Moment im Mondlicht. Die Blutkatzen drängten<br />

sich ein paar Meter von der Fluchtkapsel entfernt um das<br />

Motorrad. Eines der Tigerartigen Tiere hob den Kopf und sah<br />

den Zylinder, der einige Meter weiter weg im roten Sand<br />

landete. Shannyn stand wartend an der Tür.<br />

Nichts passierte.<br />

Keine Explosion.<br />

Nichts.<br />

„Verdammt.“<br />

Neugierig streifte die Blutkatze zu dem im Gras liegenden<br />

Zylinder. Er fauchte Shannyn an und senkten den Kopf und als<br />

er ihn wieder hob, hielt er den Zylinder zwischen seinen<br />

Fangzähnen.<br />

Shannyn sagte: „Es hat nicht funktioniert.“<br />

Plötzlich gab es eine laute Explosion und eine Wolke dichten,<br />

grauen Rauchs wehte los. Die Tiere verschwanden komplett in<br />

der Wolke. Shannyn schloss schnell die Tür.<br />

„Und jetzt?“, fragte Judy.<br />

Die Amphion lag schwer über Shannyns Schulter geworfen,<br />

als sie vorsichtig und Judy aus der Kapsel traten. Die Wolke<br />

war vor einer Minute verschwunden. Die erste Blutkatze, die<br />

sie im Sand fanden, lag mit geöffneten Augen, aber absolut<br />

regungslos auf der Seite.<br />

Doch er war nicht tot.<br />

Shannyn konnte sehen, wie sich sein Bauch kaum merklich<br />

auf und ab bewegte.<br />

Das Tier war nur gelähmt.


„Wie lange hält das Zeug an?“, fragte Judy.<br />

„Keine Ahnung.“, entgegnete sie. „Kein Wind im Moment.<br />

Dann sollte es ne Weile wirken.“<br />

Sie gingen weiter. Die Blutkatzen lagen um sie herum im Sand<br />

verstreut. Die zwei wichen den Körpern aus. Der faulige<br />

Gestank der angeknabberten Leiche stieg ihnen in die Nase.<br />

Shannyn hielt nach dem Gewehr Ausschau, fand es aber nicht.<br />

Vermutlich lag es unter einem der Tiere begraben. Dann<br />

erspähte sie ihren Rucksack und hob ihn auf. Zwei dicke<br />

Löcher von den Fangzähnen klafften im Stoff. Sie seufzte,<br />

machte schnell einen Knoten in eine der gerissenen Gurte und<br />

schwang sich den Rucksack um die Schulter.<br />

Judy stöhnte verzweifelt.<br />

Eines der Tiere lag über dem Motorrad. Shannyn lies die<br />

Amphion behutsam zu Boden sinken.<br />

Dann zerrte sie am Lenker und versuchte das Motorrad unter<br />

dem Tier herauszuziehen. Doch die Blutkatze war zu schwer.<br />

„Du ziehst es raus.“, entschied Shannyn.<br />

Ohne zu zögern ging sie um das Motorrad herum, bückte sich,<br />

schlang der Blutkatze die Arme um den Hals und zog den<br />

Kopf hoch.<br />

Das Fell war angenehm weich, aber der Gestank, der dem Tier<br />

aus dem Maul drang, war Sinnesbetäubend. Sie kümmerte sich<br />

nicht weiter drum. Ächzend richtete sie sich auf und hob das<br />

Tier in die Höhe.<br />

„Hast du es?“, fragte sie Judy gepresst.<br />

„Noch nicht.“, sagte Judy und zog an der Lenkstange.<br />

Shannyns Gesicht war nur wenige Zentimeter von Kopf und<br />

Maul der Blutkatze entfernt. Als sie nachfasste, um ihn besser<br />

in den Griff zu bekommen, zuckte der Kopf leicht hin und her.<br />

Ein offenes Auge starrte sie blicklos an. Shannyn zog mit aller<br />

Kraft, versuchte das Tier noch ein Stückchen höher zu<br />

bekommen.<br />

„Fast.“, sagte Judy.


Shannyn ächzte, lies aber nicht los.<br />

Das Auge blinzelte. Erschrocken lies sie das Tier fallen. Da<br />

hatte Judy das Motorrad bereits weggezerrt. Sie plumpste auf<br />

den Boden. „Geschafft“<br />

Shannyn ging um die Blutkatze herum. Eines der mächtigen<br />

Beine zuckte. Der Brustkorb hebte und senkte sich jetzt<br />

deutlich.<br />

„Los.“, sagte Shannyn. „Judy, auf die Lenkstange.“ Sie nahm<br />

die Amphion huckepack und nahm sie hinter sich auf den Sitz,<br />

ohne die Blutkatze aus den Augen zu lassen.<br />

Der Kopf zuckte.<br />

Wieder blinzelte das Tier.<br />

Es wachte unverkennbar auf.<br />

„Los, zeit zu verschwinden.“


Amphion-Camp<br />

Das Motorrad fuhr einen kleinen Hügel hinunter auf die<br />

Siedlung der Amphion zu.<br />

Judy saß auf der Motorstange, während sich die inzwischen<br />

erwachte Amphionfrau ängstlich um Shannyn klammerte und<br />

die Augen nicht öffnete. Über Judys Schulter sah Shannyn im<br />

Licht des Planeten ein Dutzend Amphion und D’Agosta vor<br />

den Hütten stehen.<br />

Sie hielt an und alle stiegen ab. Judy wurde sofort von<br />

D’Agosta in Empfang genommen. Er fiel ihr um den Hals und<br />

drückte sie feste an sich. „Dad, du erwürgst mich.“ Es war ihm<br />

egal. Er würde sie nie wieder loslassen und drückte sie nur<br />

noch fester. Er sah zu Shannyn auf. „Danke.“<br />

„Wofür?“<br />

„Dass Sie sie mir wieder heil zurückgebracht haben.“<br />

Shannyn nickte.<br />

Athol gab in einer fremden Sprache kurze, präzise Befehle.<br />

Die Amphion, die sich um die Frau versammelt hatten und ihr<br />

medizinische Hilfe gaben, nickten und eilten in ihre Steine.<br />

Athol kam zu ihr. „Ihr habt euer Leben riskiert, um uns vor<br />

den Tarkon zu schützen.“, stellte er sichtlich beeindruckt fest.<br />

„Wieso?“<br />

„Wir sehen nicht tatenlos dabei zu, wenn jemand gequält<br />

wird.“, sagte Shannyn knapp. Sie nickte zu den Amphion. Sie<br />

packten Sachen ein. Scheinbar bereiteten sie sich auf einen<br />

Marsch vor. „Was machen die da?“<br />

Athol seufzte. „Wir müssen weiterziehen. Die Tarkon werden<br />

wütend sein. Und Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.“


Shannyn und D’Agosta wechselten einen Blick. Womöglich<br />

hätten sie sich doch nicht einmischen sollen. Nun hatten sie<br />

alles noch schlimmer gemacht.<br />

„Das wollten wir nicht-“<br />

„Schon gut.“, sagte Athol. „Wir mussten auf kurz oder Lang<br />

ohnehin gehen. Die Tarkon wurden in letzter Zeit immer<br />

brutaler. Wütender.“<br />

„Und wohin gehen Sie jetzt?“, fragte D’Agosta.<br />

„Wir haben überall kleine Camps. Manche auch gut versteckt.<br />

Wir werden uns zu einer jenseits der Berge begeben.“ Er<br />

breitete die Arme aus. „Ihr könnt mit uns kommen. Alle von<br />

euch. Auch die Übrigen aus eurem Camp.“<br />

„Das ist sehr freundlich.“, sagte D’Agosta. „Aber wir müssen<br />

ablehnen.“<br />

„Dad-“, began Judy.<br />

„Wir müssen ein Basislager errichten, das weißt du doch. Die<br />

<strong>Shenandoah</strong> finden. Weitere Überlebende.“<br />

„Wenn das so ist, dann schließen wir uns euch gerne an.“,<br />

verkündete Athol feierlich. „Vier von uns werden euch<br />

begleiten und bei ihrer Suche helfen.“<br />

„Wissen Sie, das ist nicht nötig.“<br />

„Doch, das ist es.“ Sagte Athol. „Ihr kennt das Terrain nicht.<br />

Niemand von euch kennt das Terrain. Nein, nein, tut ihr nicht.<br />

Die gefährlichen Tiere. Gefahren. Überall gibt es Minen,<br />

kleine Haftdrohnen der Tarkon. Wir hingegen kennen diese<br />

Gefahren. Wir könnten euch führen. Euch zeigen, welche<br />

Pflanzen man essen kann. Welche Früchte. Das ist das<br />

Mindeste, was wir tun können.“<br />

„So viele Gefahren?“<br />

Athol nickte eifrig. „Es gibt viele wilde Tiere.“<br />

D’Agosta und Fowler sahen sich an. Dann nickte D’Agosta.<br />

„Schlaft. Ruht euch aus. Seid unsere Gäste.“, sagte Athol.<br />

„Gleich morgen früh werden wir ausbrechen..“


Athol führte Allan und Judy zu einem bestimmten Fels in dem<br />

sie die Nacht verbringen konnten. Fowler und Shannyn<br />

wurden woanders untergebracht. Es war zwar eng, aber man<br />

konnte es aushalten. Unweigerlich fragte er sich, wie die<br />

riesigen Amphion in diesen kleinen Einkerbungen im Fels<br />

schlafen konnten. Sobald er im Innern war, überwältigte ihn<br />

die Erschöpfung.<br />

Der Boden war mit einer pieksenden Heudecke übersät, aber<br />

sie war wenigstens warm. Sie legten sich hin und spürten<br />

wohltuende Wärme. Judy rollte sich zusammen und schloss<br />

die Augen. Allen legte seinen Arm um das Mädchen. In der<br />

Entfernung hörte er Tiere schreien. Sie waren weit weg. Judy<br />

sagte nichts mehr, sie war fast augenblicklich eingeschlafen.<br />

Allan fragte sich, wie spät es wohl war, kam aber zu keinem<br />

Ergebnis. Es war eben Nacht. Er spürte Judys Wärme an<br />

seinem Körper. D’Agosta schloss die Augen und schlief<br />

ebenfalls ein.


Basislager<br />

Hawk stöhnte. „Ist es nicht Zeit für das Morphium?“<br />

Er lag im Freien, unter dem klaren Sternenhimmel, während<br />

Crewmitglieder noch immer damit beschäftigt waren, aus<br />

zweien der Kapseln ein Notlazarett zu zaubern. Sein Zustand<br />

war nach wie vor bedenklich. Immer wieder verlor er das<br />

Bewusstsein. In seinen Wachphasen, redete er unsinniges<br />

Zeug.<br />

„Noch nicht.“, sagte Smith.<br />

Hawk seufzte. „Wie viel Wasser haben wir hier?“<br />

„Keine Ahnung. Bisher haben wir keinen See entdeckt, auch<br />

kein-“<br />

„Nein, ich meine wie viel auf Vorrat? Überhaupt etwas?“<br />

Rhonda schüttelte den Kopf. „Nichtmehr viel. Benötigst du<br />

welches?“<br />

„Ihr müsst wasser destillieren. Stellt Tonnen oder so was auf.“<br />

Rhonda runzelte die Stirn.<br />

„Außerdem.“, fuhr Hawk fort. „haben wir Tricorder?<br />

Lampen? Heizdecken? Solche Sachen eben.“<br />

„Wir überprüfen die Ausrüstung noch. Richtest du dich auf<br />

eine Katastrophe ein?“<br />

Hawk lächelte humorlos. „Die ist doch längst passiert, oder?<br />

Der Hawk-Effekt.“<br />

„Cooper, mach dir nicht zu viele Gedanken.“ Sie wusste, dass<br />

er durch das Morphium beeinträchtigt war.<br />

„Du darfst den Mut nicht verlieren. Nicht den Mut verlieren.<br />

Im Moment sind wir in Ordnung.“<br />

„Genau dann passiert es.“, sagte Hawk. „Erst recht, wenn<br />

Nechayev hier ist.“


Smith horchte auf. Konnte er es wissen? „Du magst sie nicht,<br />

hm?“<br />

„Du doch auch nicht. Sie ist eben zielstrebige Elite. Ja, das ist<br />

sie Zielstrebig. Sie verspürt doch absolut keine Verbindung zu<br />

ihren Untergebenen und sieht sie nur als Werkzeug, nicht<br />

wahr? Tz, ich glaube das muss man in ihrer Situation auch<br />

haben: eingefrorene Emotionen.“ Leiser: „Hätte ich jetzt auch<br />

gerne.“<br />

„Cooper-“<br />

„Nein, im ernst. Es sind Leute wie Nechayev, die nichts gutes<br />

bringen. Und wegen Leuten wie ihr entstehen solche<br />

Katastrophen. Wegen Leute wie ihr und wegen Leuten wie<br />

mir.“<br />

„Wegen ihr? Was meinst du, Cooper?“<br />

„Rhonda halte mich nicht für dumm. Ich war auf der Brücke,<br />

als es passiert ist – was immer Es auch war. Du willst mir<br />

doch nicht etwa erzählen, dass es sich bei unserer Begegnung<br />

mit den Breen und diesem Ding um Zufall handelte, oder?“<br />

Smith sagte nichts.<br />

„Das werte ich als ein Nein. Nechayev hat was ausgeheckt,<br />

stimmt’s? Und wir sind die Bauern.“ Er seufzte. „Zielstrebige<br />

Elite, ich sag’s ja. Sie sehen nur die augenblickliche Situation.<br />

Sie denken beschränkt, nennen es aber detailgenau, sie sehen<br />

das Umfeld nicht, überlegen sich keine Konsequenzen. Und<br />

genau damit kommt es zu Unheil. Du weißt doch, was ich<br />

meine, oder?“<br />

Ein Schatten huschte über Rhondas Gesicht. Sie sprach jetzt<br />

leise: „Aus eigener Erfahrung.“<br />

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht kränken.“<br />

„Schon okay.“<br />

„Du hast es rechtzeitig verstanden und das Ruder rumgerissen.<br />

Du hattest Herz. Aber die...? Die verstehen das einfach nicht.“<br />

Er keuchte vor Schmerz. „Das Morphium macht mich ganz<br />

Philosophisch.“


„Willst du Wasser?“<br />

„Nein, nein. Ich sag dir, was das Problem mit der zielstrebigen<br />

Elite ist. Sie plappern immer groß daher, wollen das Beste für<br />

uns, wollen Forschen. Was natürlich stimmt, aber das ist es<br />

nicht, was sie antreibt. Kein Mensch – auch nicht in unserem<br />

Jahrhundert – lässt sich von Abstraktionen wie der Suche nach<br />

Wahrheit antreiben. Was sie wirklich antreibt, ist der Drang,<br />

etwas zu erreichen. Sie konzentrieren sich nie auf die Frage,<br />

ob sie es tun sollen. Weil es ihnen nicht in den Kram passt,<br />

bezeichnen sie solche Überlegungen als sinnlos. Wenn sie es<br />

nicht machen, tut’s ein anderer. Sie glauben, es ist alles<br />

unausweichlich. Also versuchen sie einfach, es als erste zu<br />

tun. Ständiger Fortschritt.“<br />

„Du beschreibst das Phänomen der roten Königin?“, erkannte<br />

Smith.<br />

„Hm?“<br />

„Dieses Phänomen beschreibt den Aufrüstungszustand der<br />

Natur, der nur zu einem Zweck dient: Dort zu bleiben, wo man<br />

ist.“<br />

„Kannst du mir ein Beispiel geben?“<br />

„Klar. Sagen wir mal... Afrika? Also, irgendwann vor Äonen<br />

waren die Bäume in Afrika völlig harmlos. Dann kamen die<br />

Vorfahren der Giraffen und begannen die Bäume völlig kahl<br />

zu fressen. Die Evolution reagierte und gab den Bäumen ein<br />

Verteidigungssystem: Sie wurden höher. Infolgedessen<br />

entwickelten sich im Laufe der Zeit bei den Giraffen auch<br />

längere Hälse. Es herrschte also wieder Gleichstand. Damit sie<br />

weiterhin nicht kahlgefressen wurden, entwickelten die Bäume<br />

Dornen mit einem schwachen Gift. Damit sie nicht<br />

verhungern, bescherte die Evolution den Giraffen lange<br />

Zungen, mit denen sie durch die Dornen hindurchkamen, usw.<br />

Keiner Weiß genau wie die Evolution das macht, aber sie lässt<br />

sich alle Dinge stetig weiterentwickeln, einfach dazu, dass sie<br />

genau da bleiben, wo sie sind. Dasselbe Prinzip ist auf die


Rüstungspolitik der einzelnen Imperien des Quadranten<br />

anzuwenden. Es ist allgegenwärtig. Und weil die rote Königin<br />

zu Alice aus Alice im Wunderland sagte: "Du musst so schnell<br />

laufen, wie du kannst, um dort zu bleiben, wo du bist", wird<br />

das ganze das Rote-Königin-Phänomen genannt.“<br />

„Hm.“, machte Hawk.<br />

Eine Zeitlang herrschte Schweigen.<br />

„Die Sache ist doch die: der Rüstzustand der Natur ist<br />

harmlos.“, sagte Hawk nach einer Weile. „Aber die<br />

Spielregeln der Wissenschaft – der Sternenflotte allgemein -<br />

sind ganz anders. Sogar die reine, wissenschaftliche<br />

Entdeckung doch ist ein aggressiver, penetrierender Akt.“<br />

„Cooper-“<br />

„Doch, ist so. Pass auf. Umfangreiche Hilfsmittel sind zu einer<br />

Entdeckung nötig und danach verändern sie das Universum.<br />

Teilchenbeschleuniger durchziehen den Boden und<br />

hinterlassen radioaktive Nebenprodukte. Der Warpantrieb<br />

zerstört den Subraum. In die Vergangenheit gereiste<br />

Raumschiffe lassen meinen assimilierten Bruder im Weltraum<br />

umherfliegen. Heruntergekrachte Rettungskapseln verstreuen<br />

allerorts Abfall. Es gibt immer Spuren, dass wir irgendwo<br />

waren und unsere tollen Entdeckungen gemacht haben. Das ist<br />

immer eine Vergewaltigung der Natur. Immer. Und weißt du<br />

was?“<br />

„Was?“<br />

„Wir wollen es so. Ganz genau. Wir müssen überall unsere<br />

Nasen hineinstecken, wir müssen einfach unsere Spuren<br />

hinterlassen. Wir können nicht einfach zusehen. Wir wissen<br />

nichts so zu würdigen, wie es ist, weil wir uns einfach nicht in<br />

die natürliche Ordnung der Dinge einfügen können.“<br />

Er seufzte und sein Körper erschlaffte ein wenig.<br />

„Glaubst du nicht, dass du etwas übertreibst?“, fragte Smith.<br />

„Die oberste Direktive-“


„Wurde schon tausendmal verletzt. Ist doch nur eine<br />

Richtlinie.“ Hawk versuchte eine wegwerfende Geste zu<br />

bewerkstelligen, aber seine Hand wollte nicht reagieren. Er<br />

zuckte mit den Schultern und schmatzte.<br />

„Wo liegt der Ausweg?“<br />

„Wir müssen die Zielstrebigen loswerden. Ihnen die Macht<br />

nehmen.“<br />

„Verlieren wir dann nicht den Fortschritt?“<br />

„Welchen Fortschritt meinst du?“, fragte Hawk. „Die Anzahl<br />

der Stunden, die man mit der Hausarbeit zubringt, hat sich seit<br />

dreihundert Jahren nicht geändert, trotz aller Fortschritte.<br />

Trotz der ganzen Essensverwerter, trotz der<br />

Barionsäuberungsstrahlen und der Transporter. Mein Bad<br />

reinigt sich noch immer nicht von selbst. Ich muss es putzen.<br />

Warum dauert das noch immer so lange wie vor dreihundert<br />

Jahren? Weil es keinen Fortschritt gab. Nur Variation. Sieh<br />

mal, vor ein paar hundert Jahren hat man auf der Erde für<br />

dreißig Meilen noch einen halben Tag gebraucht. Dann kamen<br />

die Transporter und man brauchte nur noch eine halbe<br />

Sekunde. Nach nicht ganz. Eine halbe Minute. Und was<br />

machen wir? Bauen so viele Transporter, dass die Netzwerke<br />

annähernd überlastet sind und man wieder einen halben Tag<br />

braucht, ehe ein Platz frei wird.“<br />

Smith erwiderte nichts.<br />

„Weißt du, die Menschen, die vor dreißigtausend Jahren noch<br />

die Höhlenmalereien machten, die hatten es gut. Arbeiteten<br />

zwanzig Stunden pro Woche, um sich mit Nahrung, Kleidung<br />

und Unterkunft zu versorgen. Den Rest der Zeit konnten sie<br />

spielen, oder schlafen, oder tun was sie wollten. Und sie lebten<br />

in einer natürlichen Umgebung. Mit sauberer Luft, sauberem<br />

Wasser, wunderbaren Bäumen und Sonnenuntergängen. Kein<br />

beständiges Brummen von Raumschiffsystemen, kein Transporter,<br />

der einen umbringt und woanders eine zweite Version<br />

von einem wieder zusammensetzt und vor allem keine Borg.“


Rhonda lächelte. „Dafür Mammuts, und Säbelzahntiger...“<br />

„Die assimilieren dich aber nicht.“<br />

„Willst du ernsthaft die Uhr zurückdrehen?“, fragte Smith.<br />

„Um Vierundzwanzig Stunden, ja. Gerne. Darüber hinaus will<br />

ich höchstens, dass die Leute wie Nechayev aufwachen. Und<br />

das du von ihr fernbleibst.“<br />

„Cooper-“<br />

„Inzwischen sollten wir wissen, wann es Zeit ist für moderne<br />

Veränderungen und wann nicht. Vor allem jetzt. In unserer<br />

Situation.“<br />

„Bevor wir den Mond zerstören?“<br />

Er seufzte und schloss die unbrauchbaren Augen. „Ach,<br />

Rhonda. Das ist das Letzte, worüber ich mir Sorgen machen<br />

würde.“<br />

Joe Dike gähnte und streckte die Glieder. Er war noch nicht zu<br />

Schlaf gekommen, konnte einfach nicht abschalten. Sobald er<br />

die Augen schloss, hörte er die furchtbaren Schreie der<br />

Männer und Frauen, die gestorben waren. Er hörte sie, wie<br />

Echos der Zeit. Deutlich und erschreckend real. Also hatte er<br />

nach einer Weile den Versuch, endlich zu benötigtem Schlaf<br />

zu kommen, aufgegeben, döste ein wenig vor sich her, blickte<br />

zum wolkenbehangenen Himmel hinauf und lauschte der<br />

angenehmen Stille.<br />

Die Meisten schliefen noch dicht an die Lagerfeuer gedrängt,<br />

obwohl sich der weite Himmel langsam zu erhellen begann –<br />

die Nacht wich dem Tag. Nur wenige waren auf den Beinen<br />

und bastelten noch immer am Notlazarett, wobei sie sich aber<br />

Müde gaben, möglichst leise zu Arbeiten.<br />

Dike saß auf dem Beifahrersitz im Jeep und hatte die Füße<br />

über die Armaturen hochgelegt. Den Wagen hatten sie vor<br />

wenigen Stunden zurückgeholt. Von D’Agosta und den<br />

anderen keine Spur. Vielleicht waren sie O’Conner suchen.


Neben ihm saß Penkala. Bei einem flüchtigen Blick zur Seite,<br />

bemerkte Dike, dass auch er nicht schlief, sondern<br />

nachdenklich in die Ferne sah, zu den kahlen Tälern und<br />

Wüsten. Hin und wieder dröhnte ein Schrei dreiköpfiger<br />

Vögel zu ihnen, wie aus einer anderen, unwirklichen Welt. Sie<br />

hatten seit mehreren Stunden kein Wort mehr miteinander<br />

gewechselt.<br />

„Alles in Ordnung? Du bist so schweigsam.“, brach Dike die<br />

Stille.<br />

Penkala atmete geräuschvoll aus. „Ich sage nur, was wir alle<br />

denken: absolut nichts.“ Er seufzte schwer, sprach leise. „Ich<br />

muss immer wieder an Lonnie denken. An den Absturz.“<br />

„Geht mir nicht anders. Da oben ist einiges schiefgelaufen.<br />

Aber wir beide leben wenigstens noch. Ich schätze, wir hatten<br />

Glück.“<br />

Penkala lachte humorlos und schüttelt den Kopf. „Ich habe<br />

schwarze Katzen überfahren, die hatten mehr Glück als ich.“<br />

Er schüttelte den Kopf. Feiner Staub rieselte dabei von den<br />

braunen Haaren. „Ach, vergiss, es. Ich geh spazieren, brauche<br />

frische Luft.“ Er öffnete die Tür und wollte aussteigen, aber<br />

Dike hielt ihn am Oberarm fest. „Ich würde da jetzt nicht<br />

rausgehen.“, sagte er unheilschwanger und nickte jenseits des<br />

Lagers. „Nicht, bevor es hell ist.“<br />

Penkala runzelte die Stirn. Ein Bein hatte er bereits draußen.<br />

„Wovon sprichst du?“<br />

Dike zuckte unbehaglich mit den Schultern. „Als ich vorhin<br />

mal kurz austreten war, habe ich mich ein kleines Stück vom<br />

Lager entfernt.“<br />

„Ja und?“<br />

„Ich weiß nicht genau, aber ich hatte auf einmal das eindeutige<br />

Gefühl, als wäre da jemand. Als würde ich beobachtet. Und<br />

dann habe ich eine Bewegung gesehen. Bin mir nicht sicher,<br />

aber ich glaube es war eine Kreatur.“


„Eine Kreatur, Dike? Was für eine Kreatur? Die Art, die wir<br />

essen, oder die Art, die uns isst?“<br />

Joe Dike verzog das dunkle Gesicht und hob die Schultern.<br />

„Ich würde es lieber nicht herausfinden wollen.“<br />

In diesem Augenblick hörten sie ein tiefes, grollendes<br />

Geräusch, einen unirdischen Schrei von irgendwo aus dem Tal<br />

neben ihnen. Einen Augenblick später kam ein Antwortschrei<br />

aus einem anderen Teil des Tals.<br />

Penkala zog den Fuß wieder ins Innere des Jeeps und knallte<br />

seufzend die Tür zu.<br />

Er wollte sich gerade einem erneuten Versuch endlich zu<br />

schlafen hingeben, als plötzlich das bärtige Gesicht von Chief<br />

Manilow Crocker neben der Fahrertür auftauchte. „Jungs.“,<br />

brummte er. „Ihr könntet nur noch unproduktiver sein, wenn<br />

ihr die Sitze selbst wärt, auf denen ihr hockt. Wobei ihr dann<br />

natürlich zwei weitere unproduktive Idioten brauchen würdet,<br />

die sich wiederum auf euch setzen, um sagen zu können: was<br />

für unproduktive Idioten.“<br />

Als Penkalas Brustkorb auf und ab wippte, stellte er verblüfft<br />

fest, tatsächlich zu lachen.<br />

„Chief.“, sagte Dike übertrieben unschuldig. „Ich empfinde<br />

das als beleidigend.“<br />

„Oh, ich geh gleich Blümchen holen.“<br />

„Was können wir für Sie tun?“<br />

„Sehen Sie sich das hier mal an.“<br />

Penkala und Dike stiegen aus und folgten Crocker zu einem<br />

der knisternden Lagerfeuer.<br />

Crocker hatte dort mit einem dünnen Farnwedel eine grobe<br />

Karte der Umgebung in den Boden gezeichnet. „Ich hab<br />

versucht rauszufinden, wo die <strong>Shenandoah</strong> aufgeschlagen sein<br />

muss und wie weit sie nun von uns entfernt liegt.“<br />

„Was nützt uns das schon?“, fragte Dike. „Das Schiff ist doch<br />

längst Geschichte, oder glauben Sie allen ernstes, sie hätte den<br />

Aufschlag überstehen können.“


„Aye, glaube ich. Die Dinger sind robust“<br />

Dike schien weniger zuversichtlich.<br />

„Blöderweise“, fuhr Crocker fort. „hab ich nichts gesehen, als<br />

sie über uns hinwegfegte. War zu sehr damit beschäftigt mich<br />

aus der Sardinenbüchse dort“ er nickte zu einer der Kapseln<br />

„rauszuschälen. Also wenn von ihnen jemand-“<br />

„Sind das hier die Berge?“, fragte Penkala.<br />

„Das sollen sie darstellen, ja. He, ich bin nicht Picasso.“<br />

„Dann liegt sie irgendwo genau in diesem Bereich.“, erklärte<br />

Penkala und zeichnete mit dem Finger einen Kreis in den<br />

Sand.<br />

„Sind Sie sicher?“<br />

„Hundertprozentig.“<br />

„Hm.“, machte Crocker. „Das ist jenseits der Ebene dort. Ein<br />

verteufelt langer Weg.“<br />

„Wollen Sie zum Wrack marschieren?“, fragte Dike den<br />

Chief.<br />

„Andere Überlebende des Absturzes sind garantiert dorthin<br />

unterwegs. Irgendwo muss ja der Sammelpunkt sein, damit die<br />

Sternenflotte uns gleich findet.“<br />

„Chief, Sie waren doch auf der Brücke.“, sagte Penkala.<br />

„War ich.“<br />

„Was ist überhaupt passiert? Ich meine dieser Energieverlust<br />

überall ist doch seltsam. Die Breenwaffe-“<br />

„Das waren nicht die Breen.“<br />

„Nicht?“<br />

„Ne. Wir haben uns zwar mit den Jungs richtig geprügelt, aber<br />

was uns da so zusetzte, waren nicht die Breen. Aber was, kann<br />

ich ihnen auch nicht sagen.“<br />

„Ich glaube, es war das Big-Bang-Molekül.“, sagte Dike und<br />

kratzte sich am haarigen Kinn.<br />

„Machen Sie sich nicht lächerlich.“, raunte Crocker. Das Big-<br />

Bang-Molekül war ein weit verbreiteter Mythos über eine<br />

Atomverbindung, die für den Urknall verantwortlich gewesen


sein sollte. Blödsinn. Selbst die Sternenflottenwissenschaftler<br />

hatten das einstimmig für Schwachsinn erklärt und es wurde<br />

nur noch hinter vorgehaltener Hand über die Existenz eines<br />

solchen Moleküls getuschelt.<br />

„Haben Sie denn die blauen Symbole auf den Monitoren nicht<br />

gesehen, kurz bevor wir unter Warp gingen und angegriffen<br />

wurden?“, fragte Dike. „Ich wette wir waren gar nicht zu<br />

einem diplomatischen Treffen unterwegs und Nechayev war<br />

wegen dieser Sache an Bord.“<br />

„Hören Sie auf mit dem Unfug.“, brummte Crocker verärgert.<br />

„Das ist doch nur ein weiterer blödsinniger Techno-Mythos,<br />

nichts weiter. Von Leuten in die Welt gesetzt, die sonst nichts<br />

besseres zu tun haben.“<br />

Dike runzelte die Stirn. „Was ist ein Techno-Mythos?“<br />

„Das ist eine Theorie, Söhnchen. Wurde von einem gewissen<br />

Gellar entwickelt. Sie besagt in etwa, dass dadurch, da wir<br />

unsere alten Helden, wie zum Beispiel Herkules, Orpheus,<br />

Odysseus und die ganze Bagage, verloren haben, ersetzen wir<br />

sie nun durch neue, unserer Zeit angemessenere. Sie wissen<br />

schon. Sektion 31, Area 51-F, die Waffen der Promethaner.“<br />

„Nie gehört.“, sagte Dike.<br />

„Solltest mal ein Buch zur Hand nehmen, Sohn.“<br />

Alex Penkala, der nur mit halbem Ohr zugehört hatte und zu<br />

einer bestimmten Person im Lager starrte, ballte die Fäuste.<br />

„Ich wette, da gibt’s jemanden, der uns erzählen kann, was da<br />

oben überhaupt passiert ist.“ Und ehe Dike oder Crocker ihn<br />

zurückhalten konnten, stapfte er auf Nechayev zu, die gerade<br />

von einem Hügel herabkam. Nottingham war bei ihr und der<br />

schien sofort zu erkennen, dass Penkala auf Streit aus war.<br />

Penkala nahm ihn gar nicht wahr. Er rief: „He, Nechayev!<br />

Wenn Sie mir nicht sofort-“<br />

Weiter kam er nicht. Nottingham trat in Aktion. Penkala hatte<br />

absolut keine Ahnung, wie er das gemacht hatte, aber in der<br />

einen Sekunde hatte Nottingham noch gut zwei Meter von ihm


entfernt gestanden, und in der nächsten – Penkala war sich<br />

beinahe sicher, eine Krümmung des umliegenden Raums, wie<br />

bei einem Warpsprung zu sehen -, war er plötzlich vor Penkala<br />

gewesen und hatte ihn so mühelos nieder geschlagen, dass<br />

Penkala starke Zweifel an sich selbst bekam.<br />

Der komplette Vorgang – vom Angriff, bis zur Niederlage -,<br />

hatte nicht mehr als ein, allerhöchstens auch zwei, Sekunden<br />

gedauert und während der Zeit schien Nechayev nicht einmal<br />

irgendetwas bemerkt zu haben. Oder aber sie hatte Penkala<br />

erst gar keine Beachtung geschenkt, weil sie gewusst hatte,<br />

dass Nottingham eingreifen würde.<br />

Nottingham zog den Kragen seines Mantels zurecht und ging<br />

wortlos weiter. Penkala lag mit weit ausgebreiteten Armen auf<br />

dem Rücken und verstand nicht Welt nicht mehr. Er keuchte<br />

beim Versuch aufzustehen – die Rippen schmerzten Höllisch.<br />

Plötzlich war einer der Sanitäter bei ihm und half Penkala<br />

hoch. Er identifizierte ihn als Rö. Oder so ähnlich. „Danke.“<br />

Roe sagte: „Sie sollten sich nicht mit ihm anlegen.“<br />

„Danke für die Warnung. Au!“<br />

„Alles in Ordnung?“<br />

„Geht schon. Die treibt doch ein falsches Spiel. Wozu braucht<br />

ein Admiral sonst einen Leibwächter?“<br />

Roe seufzte. „An diesem Tage ist allerhand eigenartig. Selbst<br />

Doktor Smith. Ihre Anweisungen sind eigenartig. Sie baut die<br />

Kapseln eher in einen Laborbereich um, als in ein Lazarett.“<br />

Penkala wusch sich Blut von den Lippen und nickte düster.<br />

„Ich glaube wir haben Personen hier.“, sagte er. „die einiges<br />

zu verbergen haben. Wirklich einiges.“


Aufbruch<br />

Lautes Schnaufen eines Tieres, weckten D’Agosta. Er öffnete<br />

die Augen und starrte auf die steinige Decke eines Amphion-<br />

Fels, in dem er die Nacht verbracht hatte. Er war irgendwann<br />

einfach eingeschlafen. Müde war er aber dennoch.<br />

D’Agosta gähnte. Er streckte sich schläfrig, zuckte dabei vor<br />

Schmerz zusammen und setzte sich auf. Weiches, rötliches<br />

Licht strömte durch den offenen Eingang herein. Es war früher<br />

Morgen, also hatte er die ganze Nacht geschlafen! Sie war ihm<br />

aber schrecklich kurz vorgekommen. Vielleicht lag es an ihm.<br />

Vielleicht hatte der Mond aber auch eine schnelle Rotation<br />

und somit sehr kurze Tage und Nächte. D’Agosta seufzte. Sein<br />

Kopf, sein Arm – ach, sein ganzer Körper schmerzte, als hätte<br />

man ihn verprügelt. Und dann erinnerte er sich, dass man ihn<br />

tatsächlich verprügelt hatte. Draußen hörte er erneut das<br />

Schnaufen. Und dann Judys Kichern.<br />

D’Agosta stand langsam auf, trat hinaus in das kleine<br />

Amphion-Lager und sah sich um. Bei Tageslicht sah er, dass<br />

es größer war, als angenommen. Viele Amphion waren bereits<br />

auf den Beinen: sie packten ihre Sachen zusammen und<br />

machten sich bereit, das Lager zu verlassen.<br />

„Kau dein Futter.“, hörte er Judy sagen. „Mondon macht ne<br />

ganz schöne Sauerei, was?“<br />

D’Agosta umrundete den Fels und sah Judy bei einem Gehege<br />

stehen. Sie füttert mit beiden Händen Heu an ein Tier, das so<br />

aussah, wie ein großes lila Schwein und das die schnaufenden<br />

Geräusche produzierte, die Allan gehört hatte. Es wusste nicht<br />

wieso, aber irgendwie schien er zu wissen, dass es sich um ein<br />

junges Tier handelte, obwohl es so groß war. Etwa so groß wie


ein Pony. Das Junge hatte kleine Knubbel auf der Stirn, die<br />

wohl einmal Hörner werden sollten. Und sanfte Augen. Es<br />

streckte die Schnauze durch die Holzstangen und sah Judy an,<br />

die ihm noch mehr Heu gab. „So ist es brav.“, sagte Judy.<br />

„Lang ordentlich zu.“<br />

Sie streichelte dem Tier – dem Baby – den Kopf, genau wie<br />

Shannyn, die neben dem Mädchen kniete. Athol passte ein<br />

paar Meter weiter auf, dass nichts passierte. Er schien<br />

zufrieden zu sein.<br />

Judy drehte sich um, als sie ihren Vater bemerkte.<br />

„Hey, Dad. Darf ich dir Mondon vorstellen?“<br />

Allan suchte Shannyns Blick. Die sagte: „Es ist okay. Die<br />

Tiere sind harmlos. Gehören offenbar zu den wenigen<br />

Herbivoren des Mondes.<br />

„Herbivoren?“<br />

„Pflanzenfresser.“, erklärte Shannyn mit einem Lächeln. „Die<br />

Amphion halten sie, wie wir Schafe halten.“<br />

Judy sang: „Und er will mich nicht fressen. Deswegen mag ich<br />

ihn sehr.“<br />

D’Agosta machte einen Schritt auf sie zu und blieb gleich<br />

wieder stehen, weil ihm der Schmerz durch die Glieder fuhr.<br />

„Sie sehen ziemlich schlecht aus“, sagte Shannyn.<br />

„Mir geht’s auch ziemlich schlecht.“<br />

„Fowler auch. Seine Nase ist zugeschwollen. Aber er wird’s<br />

überleben.“<br />

„Wo ist er?“<br />

„Macht sich ausnahmsweise mal nützlich und hilft den<br />

Amphion beim Packen.“<br />

„Willst du ihn auch mal füttern, Dad?“<br />

Das Jungtier sah D’Agosta aus treudoofen Augen an. Heu<br />

hing ihm aus dem Maul und fiel beim Kauen zu Boden. Es<br />

kaute wie eine Kuh.<br />

„Er macht eine furchtbare Sauerei.“, seufzte Judy.


Das Baby hatte zuende gekaut und leckte sich die Lippen. Es<br />

öffnete das Maul und erwartete mehr. D’Agosta sah die<br />

kleinen, aber scharfen Zähne im Kiefer.<br />

„Also ehrlich, Mondon.“ Judy hob frisches Heu auf. „Man<br />

könnte meinen Athol füttert dich nicht.“<br />

„Warum heißt er Mondon?“, fragte Allan.<br />

„Weil er wie Mondon aussieht. Einer aus meiner Schule.“<br />

„Hast du was geschlafen, Judy?“<br />

„Ne. Nicht wirklich.“<br />

Allan kam näher und berührte vorsichtig die Haut am Nacken<br />

des Tieres.<br />

„Es ist okay, du kannst ihn streicheln, Allan D’Agosta.“, sagte<br />

Athol. „Er mag das.“<br />

Die knotige Haut fühlte sich trocken und warm an. Mondon<br />

quietschte leise, als D’Agosta ihn streichelte. Sein dicker<br />

Schwanz wedelte.<br />

„Er ist wirklich ganz zahm.“, stellte Allan fest. Was er aber<br />

auch feststellte, war, wie gut Judy alles wegsteckte. Und wie<br />

fröhlich und ungezwungen sie sich verhielt. Er erkannte das<br />

Mädchen kaum als jenes wieder, dass ihn gestern noch<br />

angeblafft und Rockmusik aufgedreht hatte. Und süße Babys<br />

streicheln war doch auch nicht ihr Ding. Das war doch völlig...<br />

uncool und nur was für Babys, wie sie noch vor wenigen<br />

Stunden behauptet hätte. Für einen Moment fürchtete<br />

D’Agosta, dass die Erfahrungen seit dem Absturz ihr<br />

psychisch geschadet haben könnte, dann jedoch bemerkte er,<br />

dass Judy immer wieder zu Shannyn sah mit einem gewissen<br />

Ausdruck in den Augen.<br />

Mit einem gewissen Glanz.<br />

Er runzelte die Stirn, dachte sich seinen Teil aber nur.<br />

Mondon zeigte derweil keine Spur von Furcht. „Vielleicht<br />

kann ich auf ihm reiten.“, sagte Judy.<br />

„Lieber nicht.“<br />

„Wetten, dass ich das könnte?“


„Das ist zu gefährlich, Judy.“<br />

„Dad-„<br />

D’Agosta sah zum Himmel. Es wurde jede Minute heller.<br />

Eigentlich sollten sie jetzt langsam aufbrechen. Von den<br />

ominösen „Unsichtbaren“ konnte ja kaum noch eine Gefahr<br />

ausgehen, wie Athol versichert hatte.<br />

Außerdem konnte es noch eine Weile dauern, bis sie wieder<br />

zurück im Lager waren. Und dass die Tarkon offenbar hinter<br />

ihnen herwaren, gefiel ihm gar nicht.<br />

Mondon war offenbar satt. Als mehrere Amphion nun auch<br />

die Herde bereit zum Aufbruch machte, drehte er sich um und<br />

trottete davon. „Bye Mondy.“, sagte Judy.<br />

Fowler stieß zu ihnen hinzu. „Alles bereit?“, fragte er.<br />

Dagosta nickte und wandte sich an Athol. „Können wir<br />

aufbrechen?“<br />

„Natürlich.“, verbeugte sich der Amphion leicht.<br />

„Wir wissen das wirklich zu schätzen.“ Erneut verbeugte sich<br />

Athol. Es war kurz vor Sonnenaufgang. Die Luft war bereits<br />

jetzt sehr warm, der Himmel rot und orange. Weiße<br />

Dunstschwaden wälzten sich über die sandige Erde. Athol<br />

winkte den anderen Amphion zu, die sie begleiten wollten.<br />

Dann hob er eine Art Wanderstock. „Lasst uns gehen.“<br />

Athol und die drei Amphion – er hatte sie ihnen als Canthar,<br />

Godar und Dagmind vorgestellt, wobei D’Agosta irgendwann<br />

ihre Namen durcheinandergeworfen hatte und nun nicht mehr<br />

wusste, wer denn jetzt wer war -, gingen voraus und führten<br />

D’Agosta und die Anderen zu der Höhle, durch die sie auch<br />

schon in der Nacht gegangen waren.<br />

Die Amphion betraten die Höhle aber nicht, stattdessen<br />

begannen sie große Felsen zusammen und sie vor den Eingang<br />

zu schieben und ihn somit verschlossen.<br />

„Was wird das?“, fragte D’Agosta mit großen Augen.


Athol erklärte: „Die Tarkon kennen diese Höhle. Wenn sie<br />

unser Camp leer vorfinden, werden sie vermuten wir seien bei<br />

euch und werden ihre Jagdtrupps losschicken, die weiter nach<br />

euch suchen. Wenn wir diese Höhlen hier verschließen, ist<br />

euer Lager hinter den Bergen vor den Tarkon vorerst sicher.“<br />

„Aber was ist jetzt mit uns?“<br />

„Es gibt einen anderen Weg über die Berge. Er ist lang und für<br />

die Bodenfahrzeuge der Tarkon nicht geeignet. Sie werden ihn<br />

nicht beschreiten.“<br />

Er deutete zu einem schmalen Pfad, der den Berg hoch führte<br />

und schon bald sehr viel steiler wurde. Shannyn, die bisher das<br />

Motorrad neben sich hergeschoben und anscheinend gehofft<br />

hatte, es mitzunehmen, stellte die Maschine ab und lies sich<br />

ihre Enttäuschung– wenn sie überhaupt welche empfand –<br />

nicht vernehmen.<br />

„Die Tarkon können uns über die Berge nicht verfolgen?“<br />

Athol schüttelte den Kopf. „Sie werden ihre Bodenfahrzeuge<br />

nicht aufgeben und mit denen müssten sie um den Berg ganz<br />

herum fahren. Dahinter liegt nur die offene Ebene – sie<br />

werden nicht wissen, wo ihr seid. Nicht zunächst.“<br />

„Das verschafft uns immerhin etwas Zeit.“, sagte Shannyn und<br />

sah zu D’Agosta.<br />

„Zeit, die Captain O’Conner dringend benötigt, um mit ihnen<br />

einen Dialog zu starten und Frieden auszuhandeln, wenn er bei<br />

ihnen in der Festung ist.“ Er war noch immer feste davon<br />

überzeugt, dass der Captain das schaffen würde.<br />

„Okay, gut. Aber wir sollten die Höhle auf anderem Wege<br />

verschließen. Fowler?“<br />

D’Agosta deutete auf das Phasergewehr in Fowlers Händen.<br />

„Ist noch genügend Energie für eine Überladung in dem<br />

Gewehr?“<br />

„Dafür wird’s gerade noch reichen.“<br />

Allan nahm Judy an der Hand und trat zurück.


Fowler grinste und schob sich an Athol vorbei, der gerade<br />

einen großen Fels anheben wollte. „Mach mal Platz, Meister<br />

Propper.“, sagte er und aktivierte die Überladung. Die<br />

Amphion traten zurück und warteten ab, was als nächstes<br />

passieren würde.<br />

Ein schnell schriller werdendes Geräusch ging von der Waffe<br />

aus, die Vorfeuerkammer glühte zischend weiß. Fowler warf<br />

das Gewehr in die Höhle hinein. Es landete scheppernd<br />

zwischen zwei großen Felsbrocken.<br />

Das Geräusch wurde durchdringender, begann nun in den<br />

Ohren zu schmerzen.<br />

Fowler sagte: „Drei ... zwei ... eins ... und Deckung!“<br />

D’Agosta drehte sich mit Judy weg, duckte den Kopf unter<br />

den Arm, als auch schon ein blendend weißer Ball den Tunnel<br />

erhellte. Obwohl er die Augen geschlossen hatte, war es so<br />

grell, dass er Punkte sah, als er die Augen wieder öffnete. Er<br />

drehte sich um. Der Höhleneingang war eingestürzt, Sand und<br />

Kies rieselte herab, eine dicke Staubwolke hüllte alles ein. Als<br />

sie vom Wind davongetragen wurde, entdeckte D’Agosta, dass<br />

niemand der Durchgang von niemandem mehr genutzt werden<br />

würde.<br />

„So macht man das.“, sagte Fowler stolz zum verblüfften<br />

Athol, der noch immer den Stein in den Händen hielt und ihn<br />

erst ablegte, als er verwundert den Kopf schüttelte. Dann<br />

deutete er auf den Bergpfad und sah stolz zu Allen D’Agosta,<br />

wirkte zufrieden, solch mächtige Verbündete zu haben. „Das<br />

spart benötigte Zeit. Wir müssen uns beeilen, weil bald die<br />

Kinjal erwachen. Außerdem ist der Weg über die Berge nicht<br />

einfach. Aber wir werden es schaffen.“<br />

D’Agosta hatte zwar keine Ahnung, was diese Kinjal waren,<br />

aber er zweifelte nicht daran, dass er sie auch gar nicht kennen<br />

lernen wollte. „Na dann mal los.“<br />

Athol nahm seinen Wanderstock zur Hand und die Gruppe<br />

begann den langen Marsch.


Hitze<br />

Schon nach kurzer Zeit war Allan D’Agosta zu der Erkenntnis<br />

gelangt, dass Athol mit einer Behauptung der weg über die<br />

Berge ist nicht einfach, stark untertrieben hatte.<br />

D’Agosta keuchte.<br />

Bereits nach einer geschätzten halben Stunde Fußmarsch war<br />

er sehr durstig und schwitzte stark. Er hatte die Jacke und den<br />

Uniformrollie angezogen, aber auch das verschaffte ihm nicht<br />

viel Linderung. Das eng anliegende, lila Unterhemd klebte an<br />

seinem Körper. Verärgert nahm er wahr, dass die anderen<br />

weitaus weniger Probleme zu haben schienen, als er. Shannyn<br />

trug die dicke Uniform noch immer komplett. Außerdem einen<br />

Rucksack. Zwar klebten ein paar Strähnen ihres rotblonden<br />

Haares an der nassen Stirn, aber darüber hinaus schien sie<br />

keine Probleme zu haben. Oder sie lies sich nichts anmerken –<br />

darin schien sie sowieso eine Expertin zu sein.<br />

Und ihre Stärke trieb wiederum Fowler an. Der<br />

Sicherheitsoffizier schwitzte zwar ähnlich stark wie D’Agosta,<br />

weigerte sich aber die Jacke abzustreifen und versuchte auch<br />

nicht allzu auffällig zu keuchen und zu schnaufen. Offenbar<br />

wollte er sich vor Shannyn keine Blöße geben. Sie marschierte<br />

vor ihm und hin und wieder warf Fowler ihr einen Blick zu,<br />

als könne er es einfach nicht begreifen und schüttelte mit dem<br />

Kopf. Auch Judy hatte keine Probleme, war aufgrund ihrer<br />

natürlichen Energiegeladenheit denkbar bestens auf die<br />

Anstrengungen vorbereitet. Athol und seine Leute waren<br />

ohnehin an die Oberflächenbegebenheiten angepasst.<br />

D’Agosta keuchte erneut. Es ging weiter den Beg hinauf. Der<br />

Pfad war kaum als solcher zu betiteln, war zwar schnell breiter


geworden, aber ging dafür auch steil bergauf. Und weiter<br />

bergauf. Immer nur bergauf. Ohne Rücksicht auf die<br />

Bedürfnisse seines Körpers, marschierten sie weiter.<br />

Die Hitze ließ einfach nicht nach. Auch der Wind brachte ihm<br />

nicht die herbeigesehnte kühle Brise. Dabei war es doch<br />

gestern nach dem Absturz auch nicht so heiß gewesen? Oder<br />

hatten sie einfach nur einen guten Tag erwischt? Und dann<br />

dachte D’Agosta nach, ob das wirklich gestern früh gewesen<br />

war? Tatsächlich. Es war kaum ein Tag vergangen. Es kam<br />

ihm vor wie ein Monat. Der ganze Marsch kam ihm vor, als<br />

seien sie schon einen Monat unterwegs. Aber D’Agosta hatte<br />

ja ohnehin längst das Zeitgefühl komplett verloren.<br />

Er sah zum wolkenlosen Himmel hinauf. Die Sonne krachte<br />

auf ihn herab. Der Mond verfügte offenbar wirklich über eine<br />

sehr schnelle Rotationsgeschwindigkeit und dadurch über<br />

einen entsprechend schnellen Tag-Nacht-Zyklus.<br />

Denn so lange konnten sie keinesfalls schon unterwegs sein,<br />

aber die brütende Sonne war dennoch aufgegangen, über sie<br />

hinweggewandert und ging schwerfällig schon fast wieder<br />

unter. D’Agostas innere Uhr spielte verrückt, er drohte an<br />

einem erheblichen Jet-Lag zu leiden.<br />

In der schwelenden Nachmittagshitze erfasste D’Agosta, dass<br />

der Pfad beständig abflachte. Schrittweise erreichten sie die<br />

Bergspitze. Eigentlich Hügelspitze, so groß war der Berg nun<br />

auch wieder nicht.<br />

„Huch!“, rief Judy und duckte sich. Zwei riesige Libellen mit<br />

Flügelspannweiten von über einem Meter summten laut an<br />

ihnen vorbei. „Was war das?“<br />

„Hanji“, antwortete Athol. „Sehr selten.“<br />

„Beißen die?“, wollte Judy wissen.<br />

„Nein.“, sagte Athol.


Judy streckte die Hand aus, ohne stehen zu bleiben. Eine der<br />

Libellen setzte sich darauf. Sie spürte das Gewicht des riesigen<br />

Insekts.<br />

„Judy, sei vorsichtig.“, sagte D’Agosta. Er fürchtete, dass das<br />

Tier sie beißen würde. Aber die Libelle schlug nur langsam<br />

mit ihren transparenten, rotgeäderten Flügeln und flog wieder<br />

davon, als Judy den Arm bewegte.<br />

„Warum sind hier alle Tiere so groß“, fragte Judy.<br />

„Ich weiß nicht.“, entgegnete D’Agosta. Über diesen Punkt<br />

hatte er auch schon nachgedacht, war aber zu keinem<br />

brauchbaren Ergebnis gekommen. Die Insekten, die<br />

Blutkatzen nach Shannyns Beschreibung, die Tiere der<br />

Amphion und nun auch diese Libelle – alles war riesig.<br />

„Vielleicht liegt das an der Strahlung, die Doktor Smith<br />

entdeckt hat.“<br />

Weiter vorn fragte Fowler Shannyn: „He, ihr Schwert. Ist es<br />

Scharf?“<br />

„Sicher. Was sollte es mir sonst bringen?“<br />

„Kann ich’s mal halten?“<br />

Shannyn lächelte. „Nein.“<br />

„Och, warum nicht?“<br />

„Man sollte niemals jemandem ein Schwert geben, der nicht<br />

tanzen kann. Und dass Sie über keinerlei Rhythmusgefühl<br />

verfügen, stellten sie in ihrer groben Konfrontation mit dem<br />

Tarkon gekonnt unter Beweis.“<br />

Fowler wirkte gekränkt. „Hey, der war ziemlich groß.“<br />

„Na und?“, fragte Shannyn. „Ich habe mit mehreren gekämpft<br />

und hatte weniger Probleme.“<br />

„Ach.“, winkte Fowler ab. „Die haben sich wahrscheinlich nur<br />

zurückgehalten, weil Sie ne Frau sind.“<br />

„Sind Sie sexist, Fowler?“<br />

„Hm, ne. Ich bin doch kein Sexist.“ Sein Grinsen wuchs in die<br />

Breite. „Ich sage nur, dass Frauen keine Ahnung von allem<br />

haben.“


Shannyn hob die Brauen und sah ihn nur an.<br />

„Mal ganz ehrlich.“, sagte Fowler noch immer breit grinsend.<br />

„Wie Sie da gegen diese Recken gekämpft haben... das muss<br />

doch nicht sein, oder? Also, wenn Gott gewollt hätte, dass<br />

Frauen wie Preisboxer Tarkon verprügeln, dann hätte er sie als<br />

Männer erschaffen. Im Mittelalter haben die Frauen ja auch<br />

nicht in der Arena gekämpft. Nein, sie haben ihren Männern<br />

die Waffen gereicht, so wie sich das gehört.“<br />

„Sie sind über die Rolle der Frau im Mittelalter falsch<br />

informiert, Fowler.“<br />

„Bin ich das?“, fragte er und blieb stehen. Auch Shannyn hielt<br />

an. „Ja, Sind Sie. Es war nichts ungewöhnliches, dass sie die<br />

Burg leiteten und die Verteidigung kommandierten, wenn die<br />

herrschenden Männer auf Reisen waren. Sie hatten politische<br />

und wirtschaftliche Macht.“<br />

„Geben Sie es lieber auf, Mr. Fowler.“, mischte sich nun auch<br />

D’Agosta ein und blieb stehen. „Den Kampf der Geschlechter<br />

kann niemand gewinnen.“ Er zwinkerte. „Auf beiden Seiten<br />

wird zu viel geflirtet.“<br />

Fowler sah über seine Schulter. „He, was hat Ghandi denn?“<br />

D’Agosta drehte sich um.<br />

Die Amphion traten hinter Athol zurück und kauerten sich auf<br />

dem Boden dicht zusammen. Athol neigte den Kopf von einer<br />

Seite zur anderen. Seine Arme bewegten sich in langsamen<br />

Bogen von links nach rechts.<br />

„Vielleicht hört er was?“, fragte Judy.<br />

„Also ich höre nichts.“, sagte Fowler. „Und ich hab exzellente<br />

Ohren.“<br />

„Wir wissen nichts über die Physiologie der Amphion.“, sagte<br />

Shannyn leise. Ihre Hand legte sich langsam auf den Knauf<br />

ihres Schwertes. „Über ihre Biochemie, ihr Nervensystem, ihr<br />

Verhalten. Und über ihre Sinnesausstattungen wissen wir auch<br />

nichts.“<br />

„Ja, aber-“


„Das sind hier einheimisch, Fowler. Und kennen sich besser<br />

aus, als wir.“<br />

D’Agosta lauschte. Es war absolut still. Alles war still. Sogar<br />

merkwürdig still. Sie standen auf einem Grat und waren von<br />

aufragenden Felsen, und dunkelroten Koniferen umgeben.<br />

Eine leichte Brise ging.<br />

„Glauben Sie die haben eine Art sechster Sinn, oder so was?“,<br />

flüsterte Fowler. Er hatte sich instinktiv ebenfalls geduckt.<br />

„Fowler. Es gibt ja noch viele andere Wahrnehmungsarten.<br />

Tholianer sehen Infrarot, Fledermäuse haben Echo-Ortung.<br />

Vögel, Schildkröten und Andorianer haben Magnetsensoren –<br />

sie orientieren sich am Magnetfeld der Erde. Oder von Andor.<br />

Die Amphion haben vielleicht noch andere<br />

Wahrnehmungsmöglichkeiten, die wir uns gar nicht vorstellen<br />

können.“<br />

„Ist doch lächerlich.“<br />

„Dann erklären Sie mir, was sie da tun.“, sagte Shannyn.<br />

Die Amphion auf dem Boden hatten die Augen geschlossen<br />

und stimmten eine Art summenden Gesang an. Athol stand<br />

vor einer dichten Wand aus drei Meter emporragenden<br />

Schachtelhalmen, bewegte noch immer die kräftigen Arme hin<br />

und her. Fowler runzelte die Stirn und ging zu Athol herüber.<br />

„He, Picard-“<br />

Ein merkwürdiges Klicken erklang, etwas gewaltiges brach<br />

unmittelbar darauf durch die Halme. Und dann stand Fowler<br />

plötzlich Aug in Aug einem Skorpion gegenüber. Aber keinem<br />

normalen. Das Vieh sah zwar wie die Skorpione aus, die<br />

Fowler aus Büchern und Bildern kannte, war aber viel, viel<br />

größer. So groß wie ein Shuttle des Typs Sechs – ein sechs<br />

Meter langer Brocken. Der wuchtige, schwarzblaue Körper<br />

endete in einem Schwanz mit gefährlichem Stachel. Carwood<br />

Fowler stand stocksteif da. Er war wie gelähmt. Einen<br />

furchtbaren Moment lang geschah überhaupt nichts und dann<br />

alles auf einmal.


Der Skorpion vollführte eine zuckende Bewegung. Fowler<br />

kreischte erschrocken auf, stolperte und fiel auf den Hintern.<br />

Der Stachel des Skorpions drohte ihn zu durchbohren, als<br />

plötzlich Shannyn neben ihm war und das Schwert zog. Es<br />

sauste blitzend durch die Luft, schneller, als das Auge folgen<br />

konnte und durchtrennte den Schwanz des Skorpions. Das<br />

Untier heulte mit einem merkwürdigen Geräusch auf, schwang<br />

die Klaue und schleuderte Shannyn durch die Luft.<br />

Der Aufprall quetschte ihr die Luft aus den Lungen, dennoch<br />

wirbelte sie herum und sah, wie Athol aktiv wurde. Athol<br />

sprang geschickt auf den Rücken des Skorpions, hielt sich da<br />

wie auf einem Surfbrett und stieß dann die geballte Faust mit<br />

aller Kraft in den Nacken des Tieres.<br />

Und unvermittelt - als hätte Athol einen Schalter umgelegt -,<br />

brach der Skorpion zusammen. Er zuckte noch einmal und lag<br />

dann Bewegungslos auf dem Boden. Athol hatte ihn mit<br />

bloßen Händen erlegt.<br />

Shannyn erhob sich ächzend und half dann auch Fowler hoch.<br />

„Alles in Ordnung?“<br />

„Nichts ist in Ordnung.“, sagte Fowler mit großen Augen. Er<br />

zitterte noch immer.<br />

Shannyn fragte Athol: „Wie hast du das gemacht?“<br />

„Es gibt eine Lücke in ihrem Panzer.“, entgegnete Athol und<br />

deutete auf den breiten Rücken des Tieres. Shannyn sah dort<br />

einen matten, Fleck im Zwischenraum zweier Körperpanzerplatten.<br />

„Ihre einzige Schwachstelle.“<br />

„Das zentrale Nervensystem.“, erkannte Shannyn.<br />

Athol wusste zwar nicht, was ein zentrales Nervensystem war,<br />

nickte aber.<br />

„Gut zu wissen.“, meinte Shannyn.<br />

D’Agosta, der seine Arme fest um Judy geschlungen hatte und<br />

kaum begreifen konnte, was er da eben beobachtet hatte, lies<br />

den reglosen Skorpion nicht aus den Augen. „Was ist das?“


„Ein Kinjal.“, sagte Athol und breitete die Arme aus. „Das ist<br />

jetzt deren Territorium. Nur in der Nacht jagen sie nicht.“<br />

„Aber warum? Ich dachte wir sollten Tagsüber wandern, weil<br />

es dann sicherer sei.“<br />

„Das ist es auch. Die Kinjal jagen Nachts über nicht, weil mit<br />

eintreffender Dunkelheit auch die Unsichtbaren kommen. Die<br />

Kinjal fürchten sie. Und wir ebenfalls.“ Er stampfte an<br />

D’Agosta vorbei, hob den Wanderstock auf und die Amphion<br />

begannen ihren Weg fortzusetzen. „Kommt, es ist nicht mehr<br />

weit bis zum Gipfel.“<br />

D’Agosta fühlte sich mit einem Mal wieder stark genug den<br />

Weg fortzusetzen, um möglichst schnell zurück ins Lager zu<br />

kommen.<br />

Er schob Judy weiter und sah ein letztes Mal zu dem reglosen<br />

Skorpion rüber. Athols Worte beunruhigten ihn sehr, denn er<br />

konnte sich nur schwer vorstellen, wie dieses Monstrum sich<br />

vor etwas fürchten sollte.


Geräusch<br />

Penkala warf einen flüchtigen Blick über die Schulter zu den<br />

sichelförmigen Bergen herüber, in dessen Tal sich ihr<br />

Basislager befand.<br />

D’Agostas Gruppe wurde seit gestern vermisst und die<br />

Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie von wilden Tieren oder<br />

schlimmerem getötet worden waren. Heute morgen hatte Alex<br />

selbst gesehen, wie eine dichte Staubwolke aus der Höhle<br />

gequollen war, als wäre sie eingestürzt. Niemand sonst hatte<br />

es gesehen, die meisten hatten noch geschlafen. Und Alex<br />

dachte nicht daran, es jemandem mitzuteilen. Sie hatten auch<br />

so schon genug Probleme. Er wollte nicht, dass sich nun noch<br />

jemand unnötige Gedanken und Sorgen machte. Die Höhle<br />

war offenkundig eingestürzt, jeder Suchtrupp hätte ohnehin<br />

nichts mehr erreichen können.<br />

Sie wunderten sich zwar, dass D’Agostas Gruppe noch nicht<br />

aufgetaucht war, aber die meisten dachten sie würden nur das<br />

Umland erkunden, da ohnehin alle am Tag nach einem<br />

Suchmuster überall verstreut waren, Nahrung, Wasser und<br />

Vorräte suchten.<br />

So auch Isaac, die nicht unweit der Absturzstelle etwas<br />

gefunden und nun Penkala gerufen hatte. Er entdeckte ihr<br />

auffallend leuchtendes Haar in einer kleinen Bodenerhebung<br />

und lief hin.<br />

Isaac kniete in einer Mulde, die von Farnwedeln umgeben<br />

war. Die Farnwedel waren riesig, so lang und so breit, wie<br />

Schranktüren.<br />

Etwas gelbes lag auf dem Boden in der Mulde, Penkala konnte<br />

aber nicht genau erkennen, was. „Was haben sie da?“, fragte<br />

er. Isaac bückte sich und brachte zwei Eier zum Vorschein.


Große, gelb schwarz besprenkelte Eier. Die Schale war hart<br />

und mit einem unregelmäßigen Muster versehen. Fast wie<br />

Hautschuppen.<br />

Isaac strahlte. „Muss ein Nest dieser dreiköpfigen Vögel sein.<br />

Aber die Besitzer haben es wohl aufgegeben und die Eier<br />

zurückgelassen.“<br />

„Das ist großartig. Wie viele haben Sie?“<br />

Isaac ging in die Knie und versuchte die dichten Farnwedel<br />

beiseite zu schieben. Hässliche, große Insekten krabbelten den<br />

plötzlichen Sonnenlicht ausgesetzt um ihre Beine und<br />

verschwanden schnell wieder im Dickgicht der Farne.<br />

„Es sind insgesamt sieben. Aber vielleicht finden wir ja<br />

weitere Nester in der Umgebung.“ Sie schlug einen grauen<br />

Beutel mit dem Sternenflottenlogo auf der Vorderseite aus und<br />

begann die Eier hineinzustopfen.<br />

„Komisch, oder?“, sagte sie. „Wer war wohl der Jemand, der<br />

als erster nach der Entdeckung eines Nestes auf den Gedanken<br />

kam, dass man diese weißen komischen Dinger in den Nestern<br />

auch essen konnte?“<br />

„Keine Ahnung.“, entgegnete Penkala. „Aber ich hoffe, dass<br />

es tatsächlich so ablief. Dass sie als zunächst die Nester<br />

entdeckten und sich dann fragten, ob sie das essen können.“<br />

„Hm?”, machte Isaac. „Wie meinen Sie das?”<br />

„Na was glauben Sie? Wenn sie nicht zuerst die Nester<br />

entdeckten... Wer war dann der erste, der ein Huhn sah und<br />

sagte: „Siehst du das Tier dort drüben? Ich werde das erste,<br />

was aus seinem Hintern kommt essen.“<br />

Isaac schloss den Beutel, kletterte aus dem Nest und grinste.<br />

„Die Frage ist tatsächlich interessanter, als die Frage ob Huhn,<br />

oder Ei zuerst existierten.“ Sie lachte. „Glauben Sie, dass-“<br />

In dem Moment hörten sie erneut das merkwürdige Geräusch<br />

vom Vortag. Auch diesmal kam es aus der irgendwo Ebene,<br />

war aber viel weiter entfernt, klang nur schwach und dumpf.<br />

Penkala konnte es nicht einordnen, er konnte von seinem


Standpunkt auch nichts sehen. Dann erbebte der Boden. Die<br />

Blätter raschelten. Die Erschütterung hielt etwa eine Minute<br />

an und verklang, genau wie das Geräusch.<br />

Alles war wieder still.<br />

Isaac sah sich beunruhigt um. „Was ist das zum Teufel?“<br />

Penkala sagte nichts. Er fragte sich nur immer wieder: Wo<br />

sind wir nur gelandet?<br />

In den Bergen murrte Fowler: „Verdammte Blutsauger.“ und<br />

schlug sich gegen den Hals. Er saß auf einem Stein, hörte die<br />

Moskitos summen und starrte eine Palmenreihe an, die in der<br />

Hitze flirrte.<br />

D’Agosta, der neben ihm saß sagte: „Kein Zweifel. Wenn die<br />

Sternenflotte uns abholt, sind wir ganz zerstochen.“ Er trank<br />

noch einen Schluck Wasser und schraubte dann die Flasche<br />

zu, die Shannyn ihm vorhin gegeben hatten. Er hielt nach ihr<br />

Ausschau und entdeckte sie nur ein paar Meter bei Athol stehend<br />

und über irgendetwas redend, was D’Agosta aber nicht<br />

genau verstehen konnte. Judy war bei den anderen Amphion<br />

und wies sie an, Früchte zusammen. Allan stellte fest, dass<br />

Judy die Amphion ganz schön unter Kontrolle hatte. Die<br />

Gruppe hatte vor ein paar Minuten eine Rast eingelegt und<br />

D’Agosta war darüber sehr froh, schließlich schmerzten ihm<br />

die Füße inzwischen ganz gewaltig.<br />

Von ihrem Standpunkt am Scheitelpunkt des Berges hatten sie<br />

einen guten Überblick über das trockene Umland, dass sich<br />

vor ihnen ausdehnte. Dabei waren sie gar nicht so hoch, wie er<br />

zunächst angenommen hatte – ganz im Gegenteil. Irgendwo<br />

hörte er dreiköpfige Vögel kreischend davonfliegen und im<br />

nächsten Moment trug der Wind das unheimliche Geräusch<br />

vom Vortag an sie heran. Es klang nur sehr schwach und weit<br />

weg.


Irgendwie war ihm dieses Geräusch entfernt vertraut, aber er<br />

kam einfach nicht drauf. Die Amphion hatten auch keine<br />

Ahnung was es war und woher es kam. Sie meinten, es würde<br />

hin und wieder erklingen und den Boden überall auf dem<br />

Planeten fragmentarisch umwälzen. Sie hätten sogar schon ein<br />

Camp deswegen verloren und ab und zu seien unvorsichtige<br />

Wanderer dem Phänomen zum Opfer gefallen.<br />

Im nächsten Moment spürte D’Agosta eine leichte<br />

Erschütterung des Bodens. Sie war nicht besonders, eigentlich<br />

sogar sehr unerheblich im Vergleich zu der, die sie am Vortag<br />

erlebt hatten. Nach einer Weile war alles wieder ruhig. Sanfter<br />

Wind blies in der Abendsonne.<br />

D’Agosta und Fowler wechselten einen Blick. Dann wurde er<br />

von Shannyn gerufen. D’Agosta erhob sich umständlich und<br />

ging zu ihr rüber.<br />

„Vielleicht interessiert es Sie.“, sagte sie.<br />

„Was denn?“<br />

Shannyn deutete mit deutete zum weitläufigen Tal aus dem sie<br />

gekommen waren. Allan sah das Camp der Amphion, dann<br />

kilometerweit nichts, dann einen Wald aus Felsen, dann<br />

wieder nur Sand und dahinter... eine weitläufige Festung, von<br />

einem stählernen Schutzwall umgeben und mit bedrohlich<br />

aussehenden Wachtürmen.<br />

„Athol zufolge die Festung des Kinjal-Clans.“, sagte Shannyn.<br />

„Ihm entsprechend gibt es eine zweite Festung im Süden. Die<br />

gehört aber einem anderen Clan an und ist viel weiter weg. Er<br />

meint, wenn Captain O’Conner irgendwo festgehalten wird,<br />

dann in der dort drüben.“<br />

Der stählerne Wall wirkte auf D’Agosta sehr kraftstrotzend. Er<br />

hatte vorhin überlegt, ob sie vielleicht einen Rettungsversuch<br />

starten sollten, aber im Anbetracht des Anblicks, der sich ihm<br />

darbot, hielt er die Erfolgschancen für eine solche Aktion sehr<br />

gering.<br />

„Ich hoffe nur.“, sagte er. „Dass es ihm gut geht.“


Pakt<br />

Die Wachen packten ihn, schlugen ihn nieder und stießen<br />

Gabriel O’Conner aus seiner Zelle im Gefängnistrakt, wo er<br />

die letzten Stunden nach seinem Erwachen verbracht hatte.<br />

Ihm tat alles weh. Blaue, grüne und lila Flecken zogen sich<br />

über Gesicht und Körper, schmerzten Höllisch bei Berührung<br />

und Bewegung. Am meisten setzte ihm jedoch nicht der<br />

körperliche, sondern der seelische Schmerz zu. Innerhalb von<br />

nur anderthalb Tagen – auch wenn es die Tage einer andere<br />

Rotationsgeschwindigkeit waren -, hatte er einfach alles<br />

verloren. Sein Kommando, Schiff und seine Besatzung. Er<br />

konnte noch immer nicht glauben, dass Ronald Spiers<br />

gestorben war. Und die Art und Weise, wie es geschehen war<br />

– ganz undramatisch. Kein Aufbäumen, keine Agonie. Er hatte<br />

einfach aufgehört zu leben, das war alles.<br />

Gerade von Spiers, einem der wenigen echten Helden, die der<br />

Dominion-Krieg hervorgebracht hat, hätte er erwartet, in<br />

einem gewaltigen Feuerwerk aus bunten Explosionen, mit<br />

hocherhobener Faust und Messer zwischen den Zähnen<br />

unterzugehen, während er seine Feinde aufs gröbste<br />

Verfluchte und zeitgleich den Frauen zugrinste.<br />

Aber nicht so. Nicht hier draußen im Nirgendwo, auf einem<br />

höllenartigen Mond, niedergestreckt von primitiven Soldaten<br />

eines primitiven Regimes. Das hatte sein Freund nicht<br />

verdient. Das hatte niemand verdient. Von Tessler, Martin,<br />

B’Sogg oder anderen fehlte jede Spur. Nachdem sie ihn<br />

ohnmächtig geprügelt hatten, war O’Conner allein in einer<br />

Zelle erwacht und hatte nur warten können. Er wusste nicht,<br />

was mit den anderen geschehen war. Vielleicht waren sie tot.<br />

Vielleicht würde er es auch bald sein. Zwei der


hochgewachsenen, bulligen Wachen flankierten ihn, während<br />

ein dritter immer wieder mit einem Gewehrkolben in<br />

O’Conners Rücken stieß und ihn weiter durch die<br />

heruntergekommenen Korridore der Festung trieb. O’Conners<br />

Mut sank. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in einer<br />

schier ausweglosen Situation befand. Bisher war er immer<br />

irgendwie davongekommen, aber vielleicht klappte das ja<br />

nicht jedes Mal. Einmal war immer das erste Mal.<br />

Dummerweise gehörte diese Situation zu denen, bei denen das<br />

erst Mal auch gleichzeitig das letzte Mal war.<br />

Sie erreichten das Ende des Korridors. Eine dicke Stahltür<br />

wurde aufgeschoben und O’Conner hineingestoßen. Er<br />

stolperte in die Dunkelheit.<br />

Lediglich ein paar diffuse Leuchtstreifen spendeten hier und<br />

dort Licht. Vorwiegend waren weite Teile des Raumes aber in<br />

unheilvolle Schatten getaucht. Einer der Soldaten versetzte<br />

ihm erneut einen Stoß, der ihn zwei Schritte vorwärts taumeln<br />

lies.<br />

„Bitte entschuldigen Sie, Captain O’Conner.“, sagte der<br />

glatzköpfige auf dem Thron in der Mitte des Raumes.<br />

O’Conner fragte sich, woher er seinen Namen kannte. „Die<br />

Umgangsformen meiner Untergebenen lassen manchmal ein<br />

wenig zu wünschen übrig.“, sagte der Glatzkopf. „Tja, wer<br />

kann es ihnen verdenken? Wir sind ein wildes Volk. Manche<br />

würden sagen, wir seien ein angriffslustiges Volk. Aber das<br />

trifft auf andere offenbar genauso zu.“<br />

O’Conner entging nicht, wie die Wache hinter ihm breitbeinig<br />

Stellung bezog. In der Hand hielt sie ein scharfes, blank<br />

poliertes Messer, dessen Klinge aufblitzte, sobald ein<br />

Lichtstrahl in einem bestimmten Winkel darauf fiel.<br />

„Wer sind Sie?“, fragte O’Conner.<br />

„Meine Feinde nennen mich „Beliar, der Schreckliche“, aber<br />

Sie können auch einfach Beliar zu mir sagen.“<br />

Reizend, dachte O’Conner.


Beliar fuhr fort: „Und Sie sind dabei ertappt worden, wie sie<br />

nach ihrem hinterhältigen Angriff in unser Territorium<br />

eingefallen sind und eine kläglich missglückte Invasion<br />

versuchten.“<br />

O’Conner war verwirrt. „Invasion? Welche Invasion? Wir<br />

sind-“<br />

„Gescheitert, sind Sie. Ihre Truppen wurden von uns<br />

größtenteils aufgebracht und ermordet.“<br />

O’Conner schnappte nach Atem. „Sie haben-“ Er musste all<br />

seine Kraft aufbringen, um weiterzusprechen. „Sie haben<br />

meine Männer getötet?“<br />

In Beliars Augen blitzte es. „Es war der Zorn der Kinjal, als<br />

Reaktion auf die Waffe, die Sie im Orbit zündeten um uns<br />

zustürzen.“, sagte er erregt. „Sie haben das Unheil<br />

herausgefordert, Captain! Nicht ich.“<br />

O’Conner sprach nichts von alledem aus, was ihm auf der<br />

Zunge lag. Er schloss für einen Moment die Augen, atmete<br />

zischend ein und knirschte mit dem Zähnen. Nechayev! Diese<br />

verdammte Nechayev und ihre Mission! Für Beliar musste es<br />

natürlich so aussehen, als sei die Sternenflotte an allem Schuld<br />

und damit hatte ja gar nicht mal so unrecht.<br />

„Hören Sie.“, sagte er gepresst. „Das ist ein Missverständnis.<br />

Wir haben im Orbit keine Waffe gegen ihr Volk gezündet. Bis<br />

vor wenigen Stunden wussten wir nicht einmal, dass es ihr<br />

Volk überhaupt gibt.“<br />

Beliar ballte die Faust. „Lügen! Alles Lügen!“ Er erhob sich<br />

von seinem Thron und begann eine Wanderung durch den<br />

Raum. „Uns wurde gesagt, dass Sie mit derlei Behauptungen<br />

versuchen würden, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.<br />

Wissen Sie Captain, ich ließ Sie herbringen, um mir selbst ein<br />

Bild von ihnen zu machen. Ich erwartete einen Mann, der für<br />

seine Taten gerade steht, keinen Feigling, der noch immer<br />

seinen hinterhältigen Plan leugnet.“


„Wir hatten keine feindlichen Absichten.“, sagte O’Conner<br />

mit dem Blick starr geradeaus.<br />

Beliar seufzte und kehrte zu seinem Thron zurück. „Das<br />

Macht die Zündung der Waffe im Orbit keinesfalls<br />

ungeschehen, finden sie nicht? Nun, wir können unseren<br />

Warpantrieb nicht mehr einsetzen, was uns von der<br />

Heimatwelt abschneidet. Und dafür werden Sie büßen.“<br />

„Es war keine Waffe.“, meinte O’Conner niedergeschlagen.<br />

Wenn er an Beliars Position gewesen wäre, hätte er seinen<br />

Worten vermutlich auch nicht geglaubt. „Die Sternenflotte<br />

hegt keine feindlichen Absichten gegen die Kinjal. Wir<br />

kommen in Freundschaft.“<br />

Beliar betrachtete ihn eine Weile und vollführte dann eine<br />

knappe, fast nebensächliche Geste. Sie war verheerend.<br />

O’Conner spürte einen stechenden Schmerz in der Brust,<br />

blickte verwirrt an sich herab und stellte fast verblüffender<br />

Trockenheit fest, dass eine Klinge von hinten seinen Brustkorb<br />

durchbohrt hatte. Er wollte danach greifen, aber seine Arme<br />

widersetzten sich seinen Befehlen. Übelkeit überkam ihn.<br />

Unter ihm knickten die Beine ein und O’Conner ging auf die<br />

Knie. Und er wusste, dass er nun sterben würde. Er sah schwer<br />

atmend und mit großen Augen auf. Beliar wirkte weit weg.<br />

Und während O’Conner ihn ansah, wich er immer weiter<br />

zurück, entschwand langsam in der Ferne. Der schrecklich<br />

weit entfernte Beliar beugte sich auf seinem Thron zu<br />

O’Conner vor und fletschte die Zähne. „Freundschaft? Sie<br />

kommen zu spät, Captain. Wir haben bereits eine neue,<br />

lukrative Freundschaft geschlossen.“<br />

Das letzte, was O’Conner sah – oder zu sehen glaubte -, war,<br />

wie eine schwere Gestalt aus dem Schatten neben Beliar trat.<br />

Dann verdrehte er die Augen und stürzte vornüber. Die<br />

verstümmelten, elektronischen Töne aus dem Helm des Breen<br />

verklang zu Todesstille.


Unter Kontrolle<br />

Es war spät. Fast Mitternacht. In der kalten Ebene war es<br />

vollkommen still, als D’Agostas Gruppe endlich in das<br />

Basislager zurückkehrte.<br />

Crocker versuchte mit Geschichten und Witzen ein wenig<br />

Stimmung zu verbreiten. Die Laune der Leute die ihm<br />

zuhörten, war allgemein nicht übel. Zumindest hatte sie schon<br />

mal schlechter gestanden.<br />

Alle anderen schliefen in den Kapseln, oder unter<br />

überhängenden Felsen. Aber niemand war allein, sie befanden<br />

sich immer in Gruppen. Im Zentrum der Kapseln flackerte der<br />

Schein von mehreren Lagerfeuern. D’Agosta war beeindruckt.<br />

In nur einem Tag hatten die Leute es nicht nur geschafft ein<br />

Notlazarett zusammen zu schweißen, sondern auch die<br />

Gegend aufzuräumen. Die Trümmer waren sortiert, alles<br />

verwertbare nummeriert und ordentlich in die Kapsel<br />

gebracht, die man nun als Vorratslager missbrauchte.<br />

Die Amphion machten sich derweil auf, weitere Feuer um das<br />

Lager herum zu entfachen, um die Unsichtbaren zu vertreiben.<br />

Inzwischen wusste D’Agosta nicht mehr, was er von den<br />

Erzählungen dieser ominösen „Monster“ halten sollte.<br />

Vielleicht waren die Amphion einfach nur abergläubig. Ein<br />

Risiko wollte er dennoch nicht eingehen.<br />

Etwa einhundert Meter hinter dem Lager flatterte ein großes,<br />

schwarzes Leinentuch im Wind. Man hatte schwere Steine auf<br />

die Zipfel gelegt, damit es nicht weggeweht wurde. Unter dem<br />

Tuch waren die Leichen derjenigen gestapelt, die den Absturz<br />

nicht überstanden hatten. Bisher war noch niemand dazu<br />

gekommen sie zu begraben. Wenn der Wind ungünstig stand,


trug er den fauligen Geruch von anfangender Verwesung zu<br />

ihnen herüber. Aber das war glücklicherweise nicht oft der<br />

Fall, da der Wind fast immerzu von Norden wehte. Die<br />

Verletzten waren versorgt und die Techniker arbeiteten an den<br />

Notrufbaken.<br />

Irgendwann morgen sollten sie fertig sein und dann würden sie<br />

die Sternenflotte rufen. In ein paar Tagen war es vorbei. Dann<br />

säßen sie in Rettungsschiffen bei einer heißen Tasse<br />

Schokolade und durften sich darauf vorbereiten, ihr Leben<br />

wieder in normale Bahnen zu lenken.<br />

Hilfe würde eintreffen.<br />

In der Zwischenzeit konnten sie nichts anderes tun, als warten.<br />

Judy sammelte für Athol Stöcke und Blätter, alles was sich für<br />

die Feuer verwenden ließ.<br />

Shannyn und Fowler saßen etwas abseits der übrigen Leute an<br />

einem Lagerfeuer. D’Agosta wollte gleich zu ihnen<br />

zurückkehren. Da Nechayev sich aber nach wie vor nicht für<br />

ihre Belange zu interessieren schien, musste er erst<br />

organisatorische Dinge übernehmen.<br />

Penkala ging vor D’Agosta in die Hocke. „Wir haben die<br />

Zählung gestern beendet.“, sagte er. „Isaac hat sich die Mühe<br />

gemacht und alle Namen und Daten notiert.“ Er blickte kurz<br />

zu Judy und sagte dann leiser: „Auch die der Toten, soweit wir<br />

in der Lage waren, sie zu identifizieren.“<br />

„Gut gemacht.“, nickte D’Agosta. „Wie viele sind wir?“<br />

„Siebenundvierzig.“<br />

D’Agostas Augen weiteten sich. „Siebenundvierzig?“,<br />

wiederholte er. „Nicht mehr? An Bord der <strong>Shenandoah</strong> waren<br />

mehr als vierhundert Besatzungsmitglieder.“ Er schlug die<br />

Hände vor dem Gesicht zusammen. „Das ist wirklich<br />

katastrophal.“<br />

„Wir haben viele gute Männer und Frauen da oben verloren.“,<br />

nickte Penkala. Leiser sagte er: „Ich wünschte Nechayev<br />

würde dazugehören.“


D’Agosta runzelte die Stirn. „Gab es Probleme?“<br />

„Kann man so sagen.“, nickte Penkala. „Ich wollte sie zur<br />

Rede stellen. Fragen, was da oben im Orbit passiert ist. Ich<br />

nehme an, sie ist die einzige, die wirklich von uns eine<br />

Antwort auf diese Frage hat.“<br />

„Und wie lautete ihre Antwort?“<br />

„Bang.“, machte Penkala. „Die Antwort bestand aus einem<br />

Faustschlag, den ich mir von ihrem Leibwächter einfing, ehe<br />

ich überhaupt in ihre Nähe kam.“<br />

„Oh.“<br />

„Ja, oh. Ich nehme nicht an, dass sie eine Ahnung dessen<br />

haben, was überhaupt vorgefallen ist?“<br />

„Nein. Auf der Brücke herrschte immer nur die Rede von Es.<br />

Keine Ahnung, was das bedeutet. Ich kam aber auch erst in<br />

den Kontrollraum, als der Angriff bereits im vollen Gang war“<br />

Penkala nickte. „Nun, Sie können Nechayev ja selbst fragen.“,<br />

sagte er und deutete hinter Penkala. Dort kam Nechayev<br />

gerade einen Hügel hinunterbalanciert<br />

„O’Conner hat ihnen im letzten Funkspruch das Kommando<br />

übertragen und... Sie sollten immerhin wissen, in was für<br />

umständen wir uns befinden, nicht wahr?“<br />

D’Agosta machte ein nachdenkliches Gesicht.<br />

„Tja, das ist jetzt ihre Sache.“, sagte Penkala und erhob sich.<br />

„Ich halte mich ab sofort da raus.“ Er ging fort und lies<br />

D’Agosta allein. Der blickte ein paar Sekunden erwägend zum<br />

Admiral und beschloss dann, etwas zu unternehmen. Er erhob<br />

sich in die Hände klatschend und marschierte auf sie zu.<br />

Er fing sie ab, kurz bevor Nechayev wieder aus dem Lager<br />

verschwunden wäre. „Admiral!“, rief er.<br />

Fowler sah auf, als sich Nechayev neben ihrem Lagerfeuer<br />

umdrehte und D’Agosta zu wandte.


„Admiral.“ Er blieb vor ihr stehen und sah Nechayev über die<br />

Schulter. „Wo wollen Sie denn immer hin?“<br />

Nechayev ging gar nicht erst auf seine Frage ein. „Was gibt es,<br />

Lieutenant Commander?“<br />

D’Agosta suchte nach den richtigen Worten. „Es ist so,<br />

Admiral. Die Leute beginnen sich allmählich Fragen zu<br />

stellen. Und ich ehrlich gesagt auch. Sobald die Sternenflotte<br />

eintrifft, wir das sowieso Top-Thema sein, also würden Sie es<br />

uns jetzt sagen, oder nicht?“<br />

„Was soll ich ihnen sagen?“<br />

„Ich würde gerne wissen, was überhaupt passiert ist.“<br />

„Allan, hören Sie zu, es tut mir leid, wenn sie-“<br />

„Nein.“, D’Agosta schnitt ihr das Wort ab. „Was hatte das<br />

alles zu bedeuten? Die Breen, das seltsame Symbol, dass auf<br />

sämtlichen Monitoren auftauchte und den Zugang zum<br />

Computer verweigerte, ehe sie ihren Code eingaben, die<br />

außerordentlichen Energiewerte im Nebel? Die einzige Frage,<br />

die ich habe ist, was geschah da oben?“<br />

„Das weiß niemand.“, erwiderte Nechayev. Sie legte ihm eine<br />

Hand auf die Schulter. „Allan, ich kann diese Dinge nicht mit<br />

ihren diskutieren. Zum einen, weil ich selbst nicht genau weiß,<br />

was passierte, zum anderen, weil es – sobald wir es nach<br />

unserer Rettung in Erfahrung gebracht haben – vielleicht von<br />

der Sternenflotte als Geheimhaltung eingestuft wird und dann<br />

so wenig Leute wie möglich davon wissen sollten. Tut mir<br />

leid, Allan, aber sie sind nicht ranghoch genug.“<br />

D’Agosta gab sich mit dieser Antwort zufrieden. Es leuchtete<br />

ein. Immerhin hatte er keine Sicherheitsgenehmigung. Und<br />

Nechayev wusste was sie tat, immerhin hatte sie weitaus mehr<br />

Erfahrung als er. Ja, sie hatte absolut recht.<br />

Nechayev lächelte. „Also warum setzen Sie sich nicht wieder<br />

zu ihrer Tochter hier und warten ab, bis wir gerettet werden?“


Und dann sagte Shannyn, die neben ihnen am auf einem Stein<br />

saß und das Feuer beobachtete, ohne aufzublicken: „Sie haben<br />

nicht vor es ihnen zu sagen, oder?“<br />

Nechayev - noch immer lächelnd -, drehte den Kopf zu der<br />

blonden Frau und blinzelte verwirrt. „Was meinen Sie genau?“<br />

„Ihnen zu sagen, dass Hilfe nicht eintreffen wird. Ihnen die<br />

Wahrheit sagen, damit Sie sich auf alles, was sie noch<br />

erwartet, vorbereiten können.“<br />

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“, behauptete Nechayev.<br />

Nun sah Shannyn auf. „Natürlich nicht.“<br />

Sie stand und wandte sich zu D’Agosta. „Allan, haben Sie je<br />

etwas von der Omega-Direktive gehört? Gerüchte?“<br />

D’Agosta runzelte die Stirn. „Nein.“<br />

„Lieutenant!“, zischte Nechayev.<br />

Aber Shannyn ignorierte sie. „Die Omega-Direktive ist sehr<br />

wichtig, sogar weitaus elementarer als die oberste Direktive<br />

der Sternenflotte. Sie setzt sie außer Kraft, sobald die<br />

Sensoren eines Schiffes Omega entdecken. Das war es, was<br />

sie auf den Monitoren sahen, das war es, was alle<br />

Computersysteme automatisch sperrte und erst durch<br />

Nechayevs Zugriffscodes entsperrte.“<br />

Nechayev wurde immer wütender.<br />

D’Agosta runzelte die Stirn, begriff nicht, was Shannyn ihm<br />

sagen wollte. „Was ist dieses... Omega? Was bewirkt es?“<br />

„Lieutenant Bartez, unterstehen Sie sich, diese Information<br />

preiszugeben.“ Nechayevs ganzer Körper bebte vor Wut. „Ich<br />

werde Sie vors Militärgericht bringen.“<br />

„Wenn sie eines auf der Oberfläche finden – nur zu.“, sagte<br />

Shannyn knapp und wandte sich wieder zu D’Agosta. „Omega<br />

ist ein Molekül – ein extrem instabiles Molekül, das besonders<br />

viel Energie absondert. Manche bezeichnen es auch als<br />

Perpetuum Mobile. Ein einziges Molekül enthält genauso viel<br />

Energie wie ein Warpkern. Eine ganze Reihe dieser Moleküle<br />

kann den Subraum eines ganzen Quadranten zerstören. Und


das würde das Ende interstellarer Reisen bedeuten, weil der<br />

Einsatz des Warpantrieb nach einer solchen Explosion nicht<br />

mehr möglich ist. Deswegen muss jedes Schiff, dass dieses<br />

Molekül entdeckt versuchen, es zu zerstören.“<br />

Nechayev stierte sie an. „Sie können unmöglich davon wissen.<br />

Omega untersteht strikter Geheimhaltung. Nur den Admirälen<br />

und Captains der Flotte ist Omega bekannt.“<br />

„Ich bin viel herumgekommen, habe vieles gehört.“, erklärte<br />

Shannyn nur.<br />

„Das wird ein Nachspiel haben!“, fauchte Nechayev, wirbelte<br />

herum und trat aus dem Lager hinaus in die Ebene.<br />

D’Agosta war sprachlos. Er musste erst verarbeiten, was er da<br />

gehört hatte. „Und dieses Molekül, dieses... dieses Ding... ist<br />

da oben explodiert?“<br />

Shannyn nickte. „Dadurch wurde der Subraum zerstört.<br />

Innerhalb eines gewissen Radius wird der Warpantrieb nicht<br />

mehr funktionieren. Nur die Impulstriebwerke.“<br />

„Aber mit Impulstriebwerk zu fliegen dauert ewig.“<br />

„Ich weiß.“, erwiderte Shannyn. „Ich weiß. Hilfe wird nicht in<br />

naher Zukunft eintreffen, Allan. Nicht nach ein paar Tagen.<br />

Fürs Erste sind wir auf uns allein gestellt.“<br />

D’Agosta keuchte. Aber nicht wegen dem, was Shannyn<br />

gesagt hatte. Sondern weil Judy mit einigen Ästen im Arm<br />

ganz in der Nähe stand und ihn anstarrte. Sie hatte alles<br />

gehört.<br />

Nechayevs Ärger verflog allmählich, wandelte sich in<br />

verbissene Entschlossenheit, als sie in der Dunkelheit der<br />

Nacht zu Nottingham stieß.<br />

Der Wind lies ihre Hosenbeine flattern. Sie blickte mit<br />

zusammengekniffenen Augen über die Ebene.<br />

Irgendwo dort draußen.


„Ich frage mich, wie sich der Engländer Robert Fludd gefühlt<br />

hat, als er seine Getreidemaschine konstruierte“, sagte<br />

Nottingham, ohne den Blick von der Ödnis zu nehmen. „Die<br />

perfekte Idee eines Perpetuum Mobile. Seine Wassermühle<br />

sollte von immer derselben Wassermenge angetrieben werden.<br />

Das Wasser, stellte sich der Erfinder vor, sollte das Mühlrad<br />

antreiben, das Mühlrad sollte den Mühlstein drehen, aber<br />

zugleich sollte der Mühlstein das Wasser wieder hochpumpen,<br />

damit es das Mühlrad neuerlich antrieb. Schön ausgedacht –<br />

aber es ging natürlich nicht. Er scheiterte.“<br />

„Er lebte in der falschen Zeit.“, sagte Nechayev nach einer<br />

ganzen Weile. „Jeder ist der Ansicht, ein Perpetuum Mobile<br />

könnte nicht funktionieren. Energie kann man schließlich im<br />

Grunde nicht einfach erzeugen. Man kann lediglich potentielle<br />

– gespeicherte – Energie befreien, in dem man zum Beispiel<br />

einen hochgehobenen Stein fallen lässt, oder das Wasser eines<br />

Staudammes abfließen lässt. Aber man kann eine Energieform<br />

in eine andere Verwandeln: Bewegungsenergie nicht in<br />

elektrische Energie – zum Beispiel im Stromgenerator. Oder<br />

elektrische Energie in Wärme- und Lichtenergie, wie bei der<br />

Glühbirne. Und so weiter. Die Summe der Energie der Energie<br />

insgesamt jedoch bleibt immer gleich.“ Sie kratzte sich am<br />

Kinn. „Das erste Energiegesetz besagt, dass Energie niemals<br />

wirklich verloren geht, wissen sie? Auch wenn beim Fliegen<br />

mit Warp ein Teil der in den Dilithiumkristallen gespeicherten<br />

Energie nicht in Bewegungsenergie übertragen, sondern als<br />

Wärme abgegeben wird, so erhitzt eine aktivierte<br />

Dilithiumkammer doch die Kühltanks und diese Hitze<br />

erwärmt die Umgebung. Auch hier wird Energie verwandelt –<br />

ungewollt allerdings, denn natürlich wäre es besser, mehr<br />

Energie in Bewegung, als in nutzlose Hitze umzusetzen.“<br />

„Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte Nottingham.<br />

„Auf folgendes: Energie geht nie verloren, Ian, aber sie<br />

entsteht auch nicht aus nichts. Es gibt keine Maschine, aus der


mehr herauskommt, als in irgendeiner Form hineingesteckt<br />

wird. Bis heute.“ Sie deutete auf den nutzlosen Scanner in<br />

Nottinghams Hand. „Es ist vielleicht noch hier irgendwo, Ian.<br />

Wir können es noch schaffen, die Mission retten und die<br />

Arbeit meines Vaters verwirklichen. Wir können noch immer<br />

gewinnen. Der Scanner hat es einen Moment lang angezeigt.“<br />

Sie deutete auf die Eben. „Irgendwo hier ist noch immer<br />

Hoffnung... ist noch immer Omega.“<br />

Es kam für Allan D’Agosta beinahe einer Verspottung gleich,<br />

als Chief Crocker im Lager ein altes Seemannslied anstimmte:<br />

What shall we do with a drunken sailor. Zunächst fielen nur<br />

ein paar der Leute, dann eine ganze Reihe und schließlich das<br />

ganze Lager in den Gesang mit ein. Manche trafen den Ton,<br />

andere nicht, aber sie sangen laut in der Nacht. Und immer<br />

wieder:<br />

What'll we do with a drunken sailor,<br />

What'll we do with a drunken sailor,<br />

What'll we do with a drunken sailor,<br />

Earl-aye in the morning?<br />

D’Agosta erschauderte. Es kam ihm vor, wie eine Szene aus<br />

einer anderen Welt. Aus einer Welt in der die Leute sich in<br />

Sicherheit wogen. Aber das waren sie nicht. Sie hatten nicht<br />

das Schlimmste überstanden. Es stand ihnen allen noch bevor.<br />

Way hay and up she rises<br />

Patent blocks o' diff'rent sizes,<br />

Way hay and up she rises<br />

Earl-aye in the morning<br />

Er beugte sich zu Judy herab. Sie hatte alles gehört. Alles<br />

gehört. Judy hatte einen eigenartigen Klang in der Stimme, als<br />

sie fragte: „Dad. Sind wir verloren?“


„Ich weiß es nicht.“, antwortete D’Agosta und sah zu den<br />

ahnungslosen Leuten, die sangen und Hilfe erwarteten, die<br />

nicht eintreffen würde. „Ich weiß es nicht.“<br />

Fortsetzung folgt...


Danksagung und Schlusswort<br />

Für alle, die dieses Projekt trotz <strong>Star</strong>tschwierigkeiten<br />

weiterhin unterstützten.<br />

In die Miniserie Cast Away fließen natürlich hin und wieder<br />

wissenschaftliche Forschungsbereiche und Themen mit ein,<br />

die ich als sehr interessant erachte, unter anderem die<br />

Evolutionsbiologie. All jenen, die ein wenig mehr über unsere<br />

Existenz erfahren möchten, lege ich „Das egoistische Gen“<br />

von Richard Dawkins nahe.<br />

Es ist, als stoße man in einem dunklen und stickigen Raum die<br />

Türen und Fenster auf. Es wird einem klar, mit was für einem<br />

Chaos halbverdauter Ideen wir gewöhnlich leben, vor allem<br />

die Geisteswissenschaftler unter uns. Wir verstehen die<br />

Evolution „irgendwie“, obwohl wir insgeheim glauben, dass<br />

es mit dem Leben möglicherweise mehr auf sich hat als nur<br />

das. Einige von uns glauben sogar, dass es „irgendwie so was<br />

wie“ Gott gibt, der sich um alles kümmert, was ein bisschen<br />

unwahrscheinlich klingt. Dawkins sorgt für jede Menge Licht<br />

und frische Luft und zeigt, dass der Aufbau der Evolution<br />

eigentlich sehr klar ist und sehr spannend, wenn man sie<br />

plötzlich begreift. Und wenn man sie nicht begreift, dann<br />

haben wir nicht den geringsten Schimmer davon, wer wir sind<br />

und woher wir kommen. Dennoch ist diese Miniserie natürlich<br />

reine Fiktion und dient hauptsächlich der Unterhaltung. Die<br />

darin ausgedrückten Ansichten sind meine eigenen, genau wie<br />

eventuell vorhandene sachliche Fehler.<br />

Rechtschreibfehler dürft ihr aber gerne behalten...

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