01.11.2013 Aufrufe

Vom Wehrmacht- zum Moorsoldaten. Militärstrafgefangene in den ...

Vom Wehrmacht- zum Moorsoldaten. Militärstrafgefangene in den ...

Vom Wehrmacht- zum Moorsoldaten. Militärstrafgefangene in den ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

e<strong>in</strong>gesperrt«). Die Hoffnung von Fritz B. geht gen Westen, wo die Truppen der Alliierten<br />

auf dem Vormarsch s<strong>in</strong>d, <strong>den</strong>n er beschließt se<strong>in</strong>e heimliche Notiz mit <strong>den</strong> Worten:<br />

»Three cheers for Uncle Sam (America) andjust as m<strong>in</strong>d for dear old England.« E<strong>in</strong> Mitgefangener<br />

fügt auf e<strong>in</strong>em zweiten Stück Pappe u.a. h<strong>in</strong>zu: »Das Wetter ist sehr schlimm<br />

<strong>in</strong> diesem Sommer. Auch wird der Krieg bald zu Ende se<strong>in</strong>. Nur durch <strong>den</strong> Krieg b<strong>in</strong> ich<br />

<strong>in</strong>s Moor gekommen.«<br />

Die bei<strong>den</strong> <strong>Militärstrafgefangene</strong>n des Emslandlagers II Aschendorfermoor haben<br />

e<strong>in</strong>en Plan. In der U ngewißheit über ihre eigene Zukunft wollen sie sicherstellen, daß<br />

ihre kurzen, kassiberartigen Aufzeichnungen <strong>den</strong> Krieg überdauern, und verstecken<br />

diese im Innenhohlraum e<strong>in</strong>er Holztür, die sie gerade <strong>in</strong> der Lagerwerkstatt anfertigen.<br />

Beim Zerkle<strong>in</strong>ern der durch mehrere Hände gewanderten Holztür kamen 1987 die <strong>in</strong>zwischen<br />

stark verblichenen und brüchig gewor<strong>den</strong>en Pappstücke wieder <strong>zum</strong> Vorsche<strong>in</strong><br />

und wur<strong>den</strong> vom überraschten F<strong>in</strong>der dem DIZ Emslandlager übergeben. Was aus dem<br />

Mitgefangenen von Fritz B. nach 1945 gewor<strong>den</strong> ist, ob er überhaupt das Lager überlebt<br />

hat, ist bis heute nicht bekannt. Fritz B. selbst kam nach Hause zurück - und schwieg<br />

dreißig Jahre. Er starb 1975. 16<br />

Die vierte Geschichte: Anhand e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Informationsschildes am Ge<strong>den</strong>kfriedhof<br />

für die Toten der nördlichen Emslandlager <strong>in</strong> der Nähe des Ortes Esterwegen hatte<br />

die Schwester von Johannes S. von der Existenz des DIZ <strong>in</strong> Papenburg erfahren, dem sie<br />

im Oktober 1988 e<strong>in</strong>e umfangreichere Sammlung von Briefen, Dokumenten, Zeitungsausschnitten<br />

und Fotos übergab. Sie ermöglichten e<strong>in</strong>e Rekonstruktion des Haftschicksals<br />

von Johannes S. 17 Nach e<strong>in</strong>er ersten kriegsgerichtlichen Verurteilung am 1. Dezember<br />

1941 wegen »unerlaubter Entfernung« und Feldpostpäckchen-Diebstahls entweicht<br />

der damals 20jährige <strong>Wehrmacht</strong>soldat se<strong>in</strong>en Aufpassern auf dem Weg zur zunächst für<br />

ihn vorgesehenen Haftanstalt <strong>in</strong> Smolensk. Sechs Tage kann er sich <strong>in</strong> der kle<strong>in</strong>en russischen<br />

Ortschaft Sawod »bei Zivilpersonen« versteckt halten, ehe er am 4. Januar 1942<br />

wieder festgenommen wird. Man f<strong>in</strong>det bei ihm e<strong>in</strong>ige Lebensmittel, Nähzeug, e<strong>in</strong>ige<br />

Schachteln Zigaretten, Rasier-, Wasch- und Schreibutensilien sowie wärmende Handschuhe<br />

und Strümpfe gegen die klirrende Kälte. In der Sprache der wehrmachtgerichtlichen<br />

Anklageverfügung vom 25. Juni 1942 wird die verzweifelte Überlebenshandlung<br />

von Johannes S. - e<strong>in</strong>e Folge der Ostfront-Erfahrung von Frost, Unterkühlung, Hunger<br />

sowie der Abstempelung durch se<strong>in</strong>en Zugführer als »Drückeberger« - auf die Formulierung<br />

reduziert, »h<strong>in</strong>reichend verdächtig« zu se<strong>in</strong>, »durch mehrere selbständige Handlungen<br />

<strong>in</strong> der Zeit vom 29. 12. 1941 bis 4. 1. 1942, 1. unbefugt se<strong>in</strong>e Truppe verlassen (zu<br />

haben) und vorsätzlich im Felde länger als e<strong>in</strong>en Tag abwesend gewesen zu se<strong>in</strong>, 2. <strong>in</strong> fortgesetzter<br />

Handlung fremde bewegliche Sachen Kamera<strong>den</strong> <strong>in</strong> Absicht rechtswidriger<br />

Zueignung weggenommen zu haben.« Am 3. Juli 1942 wird Johannes S. von e<strong>in</strong>em Feldkriegsgericht<br />

<strong>in</strong> Grau<strong>den</strong>z e<strong>in</strong> zweites Mal verurteilt, nach der ersten Straf<strong>zum</strong>essung von<br />

fünf Jahren jetzt zu weiteren drei Jahren und neun Monaten. Über e<strong>in</strong> Jahr bleibt er<br />

zunächst im Strafgefängnis Danzig <strong>in</strong>haftiert, bevor er schließlich über das Lager II<br />

Aschendorfermoor im Emslandlager I Börgermoor landet.<br />

Noch immer hofft se<strong>in</strong> Vater zu diesem Zeitpunkt auf e<strong>in</strong> Wiederaufnahmeverfahren.<br />

Se<strong>in</strong> Glaube an die Gerechtigkeit im NS-Staat sche<strong>in</strong>t weiterh<strong>in</strong> ungebrochen zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong><br />

der Verlegung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Strafgefangenenlager im Emsland erblickt er offensichtlich anfangs<br />

sogar e<strong>in</strong>e Verbesserung der Situation se<strong>in</strong>es Sohnes: »Du bist also genau e<strong>in</strong> Jahr <strong>in</strong> Danzig<br />

gewesen und hast nun durch die landwirtschaftlichen Arbeiten Abwechslung. Laß Dir<br />

auch dort nichts zuschul<strong>den</strong> kommen und führ Dich gut«, heißt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief vom 1.<br />

August 1943. Auch e<strong>in</strong> Jahr später greift der Vater auf die nazistische Volksgeme<strong>in</strong>-<br />

193

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!