Download - Frühkindliche Bildung in der Schweiz
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Theoretische E<strong>in</strong>ordnung<br />
Entwicklungswege s<strong>in</strong>d dabei eng <strong>in</strong> die <strong>in</strong>dividuellen,<br />
verän<strong>der</strong>lichen und kulturell gebundenen Sozialisationsbed<strong>in</strong>gungen<br />
e<strong>in</strong>gewoben und zudem zusätzlich<br />
„gebrochen“ durch Inkongruenzen und Varianzen<br />
<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
„K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit beson<strong>der</strong>en Bedürfnissen“<br />
„K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit beson<strong>der</strong>en Bedürfnissen“ s<strong>in</strong>d daher im<br />
Verständnis <strong>der</strong> vorliegenden Expertise ke<strong>in</strong>esfalls<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die sich als Gruppe anhand klarer und verallgeme<strong>in</strong>erbarer<br />
Kategorien von an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
unterscheiden ließen. Vielmehr geht es um e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es<br />
Augenmerk für Risiken und Gefährdungen von<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die an den Rand gedrängt o<strong>der</strong> ausgegrenzt<br />
werden (Marg<strong>in</strong>alisierung bzw. Exklusion) und / o<strong>der</strong><br />
die eigenen Potenziale für Lernen und Entwicklung<br />
nicht entfalten können (un<strong>der</strong>achievement).<br />
Belastungsfaktoren<br />
Die Lebens- und Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er<br />
steigenden Zahl von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d durch Belastungsfaktoren<br />
geprägt wie materielle Armut und / o<strong>der</strong><br />
soziale Risikolagen (Bundesregierung 2008, S. 66 ff.),<br />
was erhebliche Auswirkungen auf ihre Entwicklung<br />
hat (Weiß 2007, S. 78 ff). Mit <strong>der</strong> hier vertretenen Verständnisweise<br />
wird somit zugleich Bezug genommen<br />
auf die bekannte enge Korrelation sozial schwacher<br />
Ausgangslage mit Diagnosen von „Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung“<br />
(Weiss 2001) und dah<strong>in</strong>ter zu vermutenden Effekten<br />
<strong>in</strong>stitutioneller Diskrim<strong>in</strong>ierung (Gomolla 2006).<br />
Zunahme (psycho-)sozialer Risikolagen<br />
Unter den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die den gesetzlichen Regelungen<br />
entsprechend die Komplexleistung Frühför<strong>der</strong>ung<br />
erhalten, wächst jedenfalls <strong>der</strong> Anteil von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong><br />
(psycho-)sozialer Risikolage ohne klare mediz<strong>in</strong>ische<br />
Diagnose im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er organischen Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es mediz<strong>in</strong>ischen Syndroms (Weiß 2000).<br />
Um diesen Bed<strong>in</strong>gungen gerecht zu werden, werden<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> vorliegenden Expertise verschiedene mögliche<br />
Risikolagen von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n e<strong>in</strong>bezogen und nicht etwa<br />
organische Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />
gestellt. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltliche Fixierung <strong>der</strong> hier vorzunehmenden<br />
Ausführungen auf letzteres würde nicht nur<br />
die Praxislage ignorieren, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>en zentralen<br />
Aspekt <strong>der</strong> Problemlage umgehen – nämlich<br />
den Zusammenhang von Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsfragen und<br />
Gesellschaftsfragen.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> entwickeln sich <strong>in</strong> Zusammenhängen<br />
E<strong>in</strong> soziales Modell von Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, wie es auch<br />
<strong>der</strong> UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrechtskonvention zugrunde liegt,<br />
nimmt den Gedanken <strong>der</strong> Kontextbed<strong>in</strong>gtheit <strong>in</strong>dividueller<br />
Entwicklung auf. In <strong>der</strong> Grundl<strong>in</strong>ie wird<br />
dieser bereits im Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsbegriff <strong>der</strong> World<br />
Health Organization (WHO) entwickelt (WHO 2005). 1<br />
Die UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrechtskonvention führt ihn weiter<br />
zum erläuterten Verständnis von Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung als<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter Partizipation und Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
(Bielefeldt 2006).<br />
E<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen<br />
entlang <strong>der</strong> Frage nach e<strong>in</strong>er mediz<strong>in</strong>ischen Diagnose<br />
ist aus dieser Sicht für pädagogische Fragestellungen<br />
unangemessen. Dies würde konsensuell verhandelte<br />
Erkenntnisse zur sozialökologischen E<strong>in</strong>bettung k<strong>in</strong>dlicher<br />
Entwicklung ignorieren und wäre daher mit<br />
hieran anknüpfenden Grundannahmen <strong>in</strong>klusiver<br />
Pädagogik nicht zu vere<strong>in</strong>baren.<br />
In dieser Expertise werden unter K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit „beson<strong>der</strong>en<br />
Bedürfnissen“ somit K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit beson<strong>der</strong>en Gefährdungen<br />
für ihre Entwicklung und ihre Partizipation<br />
verstanden. Dieser Gedanke wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> folgenden<br />
Erläuterung zum Menschenrecht auf Inklusion weiter<br />
ausgeführt.<br />
1.2 Inklusion als Menschenrecht<br />
Die UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrechtskonvention bezieht sich auf<br />
alle Ebenen des Erziehungs- und <strong>Bildung</strong>ssystems und<br />
schließt damit den Elementarbereich e<strong>in</strong> (UN 2006,<br />
S. 16; vgl. auch Prengel 2010; Poscher u. a. 2008, S. 20).<br />
Entscheidend ist neben dem Art. 24 (<strong>Bildung</strong>) beson<strong>der</strong>s<br />
<strong>der</strong> Art. 26 zur „Habilitation und Rehabilitation“<br />
(Netzwerk 2009, S. 21). Hier wird festgeschrieben, dass<br />
Unterstützung so früh wie möglich erfolgen und auf<br />
e<strong>in</strong>er „multidiszipl<strong>in</strong>ären Bewertung <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen<br />
1 In <strong>der</strong> Systematik <strong>der</strong> International Classification of Function<strong>in</strong>g, Disability<br />
and Health (ICF) „dient Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung als Oberbegriff für Schädigungen,<br />
Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>der</strong> Aktivität und Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
<strong>der</strong> Partizipation [Teilhabe]“ (ICF, S. 9) unter „explizi ter Bezugnahme<br />
auf Kontextfaktoren“ (ICF, S. 5). Im Fokus steht damit nicht Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
<strong>der</strong> körperlichen Strukturen („Schädigung“), son<strong>der</strong>n<br />
die Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>der</strong> Teilhabe und Aktivität, die entsteht, wenn<br />
die Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umwelt nicht optimal an die<br />
Entwicklungsvoraussetzungen e<strong>in</strong>er Person anknüpfen.<br />
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