Wilhelm Dörpfelds Wirken in Jena (1919–1927)1 - BGV-Wuppertal
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Ernst Kluwe<br />
<strong>Wilhelm</strong> <strong>Dörpfelds</strong> <strong>Wirken</strong> <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> (<strong>1919–1927</strong>) 1<br />
Als am 9. April 1917 Botho Graef an e<strong>in</strong>em<br />
Herzleiden <strong>in</strong> Königste<strong>in</strong> (Taunus) starb, war<br />
die – während der Kriegsjahre ohneh<strong>in</strong> bereits<br />
verwaiste – archäologische Professur an der<br />
Universität <strong>Jena</strong> nun völlig vakant. In se<strong>in</strong>er<br />
brieflichen Charakterisierung der Situation für<br />
die vier zuständigen M<strong>in</strong>isterien erwähnt der<br />
Universitätskurator Max Vollert zunächst das<br />
Gerücht, „daß der Geheime Regierungsrat<br />
Prof. Dr. Doerpfeld sich unter Umständen zur<br />
Übernahme der Stelle bereit f<strong>in</strong>den lassen<br />
würde, von anderer Seite würde es als e<strong>in</strong>e Art<br />
Ehrenpflicht <strong>Jena</strong>s bezeichnet, dem Professor<br />
Emanuel Löwy … e<strong>in</strong>e Stätte zu bereiten“. 2<br />
Letzterer hatte als Österreicher mit dem E<strong>in</strong>tritt<br />
Italiens <strong>in</strong> den ersten Weltkrieg auf seiten<br />
der Entente se<strong>in</strong> archäologisches Lehramt an<br />
der Universität Rom verloren. Vollert stand<br />
diesen Anregungen zurückhaltend gegenüber,<br />
me<strong>in</strong>te, dass beide Berufungen zwar das <strong>Jena</strong>er<br />
Ansehen heben, den örtlich – spezifischen Erfordernissen<br />
des Universitätsunterrichts nicht<br />
entsprechen und beide – bejahrte – Forscher<br />
sich kaum <strong>in</strong> der Stellung e<strong>in</strong>es Extraord<strong>in</strong>arius<br />
auf die Dauer wohlfühlen würden. 3 In <strong>Jena</strong><br />
war – seit ihrer Herauslösung aus der Klassischen<br />
Philologie 1874 – mit der archäologischen<br />
Professur auch der Lehrauftrag für<br />
neuere Kunstgeschichte verbunden, und dies<br />
blieb so bis 1920. Dem Extraord<strong>in</strong>arius oblag<br />
zudem die Pflege und Verwaltung des archäologischen<br />
Museums. Dabei hatte er weder<br />
e<strong>in</strong>en Assistenten noch e<strong>in</strong>e studentische<br />
Hilfskraft. Als Hilfe stand ihm lediglich – zur<br />
„Hälfte“ – der Institusdiener zur Verfügung.<br />
Bei diesen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen orientierten<br />
sich Fakultät und Universitätskurator auf jüngere<br />
Gelehrte und dies ohne Eile. <strong>Dörpfelds</strong><br />
Freund und Biograf Goessler berichtet, dass<br />
Dörpfeld <strong>in</strong> dieser Zeit zwei offizielle Angebote<br />
e<strong>in</strong>er Honorarprofessur erhielt: von<br />
den Universitäten <strong>in</strong> Heidelberg und Berl<strong>in</strong>. In<br />
beiden Fällen lehnte er ab. 4<br />
Am 26. Dezember 1853 <strong>in</strong> Barmen, heute<br />
e<strong>in</strong> Stadtteil von <strong>Wuppertal</strong>, geboren, studierte<br />
<strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld von 1873 bis 1876 an der<br />
Berl<strong>in</strong>er Bauakademie Architektur und Mechanik.<br />
Mit 23 Jahren machte er se<strong>in</strong> Bauführerexamen.<br />
Se<strong>in</strong> akademischer Lehrer, Friedrich<br />
Adler, beschäftigte ihn zunächst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em privaten<br />
Architekturbüro, schickte ihn aber schon<br />
bald als Assistent zu den von ihm und Ernst<br />
Curtius geleiteten Ausgrabungen nach Olympia,<br />
und Olympia wurde für Dörpfeld zum<br />
Sprungbrett für e<strong>in</strong>e glänzende Karriere 5 :<br />
1877/78 zweiter Bauführer, übernahm er schon<br />
e<strong>in</strong> Jahr später als erster Bauführer die technische<br />
Leitung der Grabung und behielt sie bis<br />
zu deren Abschluss 1881. Se<strong>in</strong> technisches und<br />
organisatorisches Geschick, vor allem aber se<strong>in</strong>e<br />
scharfe Beobachtungsgabe und se<strong>in</strong> ungewöhnliches<br />
Komb<strong>in</strong>ationstalent liessen ihn<br />
rasch zum führenden Kopf im Grabungsteam<br />
werden. Mit 28 Jahren war <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld<br />
als genialer Organisator und Ausgräber bekannt.<br />
He<strong>in</strong>rich Schliemann, die griechische<br />
Regierung und die Athener Abteilung des Kaiserlich<br />
Deutschen Archäologischen Instituts<br />
(DAI Athen) bemühten sich um ihn. Geradl<strong>in</strong>ig<br />
verlief se<strong>in</strong> weiterer beruflicher Werdegang:<br />
Architektur-Referent am DAI Athen – 1882,<br />
Zweiter Sekretär (Zweiter Direktor) am DAI<br />
Athen – 1886, Erster Sekretär (Erster Direktor)<br />
am DAI Athen – 1887. Dörpfeld war zum<br />
obersten Repräsentanten der deutschen Archäologie<br />
<strong>in</strong> Griechenland avanciert. 25 Jahre<br />
blieb er <strong>in</strong> diesem Amt, und als Leiter des<br />
athenischen Institus hat er e<strong>in</strong>e neue Epoche<br />
der Erforschung und des Verständnisses der<br />
griechischen Architektur e<strong>in</strong>geleitet.<br />
Mit den meisten berühmten Ausgrabungsstätten<br />
Griechenlands bleibt se<strong>in</strong> Name verknüpft.<br />
Wer immer auf griechischem Boden<br />
Bauforschung betrieb, konnte se<strong>in</strong>e Hilfe und<br />
se<strong>in</strong>en Rat <strong>in</strong> Anspruch nehmen. Dörpfeld<br />
„war e<strong>in</strong>e Persönlichkeit von <strong>in</strong>ternationaler<br />
Wirkung geworden. Se<strong>in</strong> Ruf als Bauforscher,<br />
als damals bester Kenner griechischer Architektur,<br />
und als Meister des Ausgrabungswesens<br />
und zugleich als Primas der <strong>in</strong> Griechenland<br />
96
versammelten Gelehrten stand unbestreitbar<br />
fest.“ 6 Diese hohe persönliche Wertschätzung<br />
ist ihm zeitlebens erhalten geblieben. Als im<br />
November 1919 die Philosophische Fakultät<br />
der Universität <strong>Jena</strong> für ihn auf Anregung ihrer<br />
„der Altertumswissenschaft angehörenden<br />
Mitglieder“ den Antrag auf „Erlaubnis zum<br />
Halten von Vorlesungen über Archäologie“<br />
stellte, stützte sie sich auf diese allgeme<strong>in</strong>e<br />
Wertschätzung: „<strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld ist e<strong>in</strong>e,<br />
nicht nur <strong>in</strong> Deutschland, sondern <strong>in</strong> der<br />
ganzen wissenschaftlichen Welt vielgefeierte<br />
Persönlichkeit. Die sämtlichen jüngeren Generationen<br />
deutscher Archäologie seit den achtziger<br />
Jahren des vorigen Jahrhunderts s<strong>in</strong>d durch<br />
se<strong>in</strong>e ausgezeichnete Schule gegangen, aber<br />
auch die Gelehrten der anderen Kulturnationen<br />
haben sich ihm angeschlossen und se<strong>in</strong>e<br />
Führung auf dem Gebiete der antiken Architektur<br />
neidlos anerkannt.“ 7<br />
Als Mitarbeiter Schliemanns wurde Dörpfeld<br />
zum leidenschaftlichen Homerforscher.<br />
Nach der Jahrhundertwende wandte er sich immer<br />
<strong>in</strong>tensiver der Vorgeschichte Griechenlands<br />
zu. Dabei rückte mehr und mehr die<br />
Frage der geschichtlichen Ausdeutbarkeit der<br />
homerischen Epen <strong>in</strong>s Zentrum se<strong>in</strong>er Interessen<br />
und Forschungsziele. Se<strong>in</strong>e Auffassungen<br />
stießen bei den Klassischen Philologen auf entschiedene<br />
Ablehnung, <strong>in</strong>sbesondere bei e<strong>in</strong>em<br />
ihrer führenden Repräsentanten, dem Professor<br />
an der Berl<strong>in</strong>er Universität, Wilamowitz-Moellendorf.<br />
Da sich zudem <strong>in</strong> der Klassischen Archäologie<br />
das Bemühen um die vorklassische<br />
und klassische Kunst immer stärker auszuprägen<br />
begann, entwickelten sich unterschwellig<br />
auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er unmittelbaren Wirkungssphäre<br />
Konfliktpotentiale. 8 1909 stellte Dörpfeld, erst<br />
55-jährig, überraschend den Antrag auf Versetzung<br />
<strong>in</strong> den Ruhestand – aus gesundheitlichen<br />
Gründen. Se<strong>in</strong> Anliegen wurde zunächst abgelehnt,<br />
doch trug man dem hohen Ansehen des<br />
Barmer Rechnung und schuf e<strong>in</strong>e Übergangslösung:<br />
Dörpfeld wurde für den größten Teil<br />
des Jahres beurlaubt und von den Institutsgeschäften<br />
wesentlich entlastet. Drei Jahre später<br />
notierte er <strong>in</strong> den „Daten me<strong>in</strong>es Lebens“ unter<br />
dem Datum 1.4.1912: Pensionierung. Karo 1.<br />
Sekr.<br />
Zu den vielen Ehrungen, die <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em langen Leben erfahren hat,<br />
gehört auch se<strong>in</strong>e Berufung (7.5.1904) als auswärtiges<br />
Mitglied <strong>in</strong> die „Akademie geme<strong>in</strong>nütziger<br />
Wissenschaft zu Erfurt“, die damals<br />
ihr 150. Gründungsjahr feierte. Es war se<strong>in</strong><br />
erster nachweisbarer Thür<strong>in</strong>genaufenthalt. Der<br />
Vortrag, den er anläßlich se<strong>in</strong>er Aufnahme vor<br />
der Akademie <strong>in</strong> Erfurt hielt, stammte aus dem<br />
Themenkreis se<strong>in</strong>er homerischen Forschungen:<br />
„Das homerische Weltbild“. Zwei Jahre später<br />
wurde Thür<strong>in</strong>gen für ihn wieder zum Reiseziel<br />
– im August verlebte er mit der Familie den<br />
Urlaub <strong>in</strong> Oberhof.<br />
Mit der Modifizierung se<strong>in</strong>er Amtsgeschäfte<br />
nach dem ersten Pensionierungsgesuch<br />
setzte 1910 die Reihe der häufigeren <strong>Jena</strong> –<br />
Aufenthalte e<strong>in</strong>. Er besuchte se<strong>in</strong>e beiden<br />
Schwestern Anna Carnap und Christ<strong>in</strong>e von<br />
Rohden. Doch traf Dörpfeld <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> auch alte<br />
Bekannte – den Althistoriker Walter Judeich<br />
und den Archäologen Botho Graef. Judeich,<br />
obwohl ke<strong>in</strong> Archäologe, hatte sich von<br />
1886–88 als Stipendiat des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts und dann wieder 1896 <strong>in</strong><br />
Griechenland und Kle<strong>in</strong>asien aufgehalten,<br />
Graef als Stipendiat von 1887–89 und dann<br />
wieder 1891–92. Der Gymnasiallehrer Dr. B.<br />
von Hagen, Schüler von Graef und Lehrer von<br />
Frau Carnaps Sohn Rudolf, berichtet von e<strong>in</strong>er<br />
solchen Begegnung im Hause Carnap im Jahre<br />
1910: „Ich stand <strong>in</strong> <strong>Dörpfelds</strong> Zimmer, e<strong>in</strong>e<br />
große Karte von Leukas lag ausgebreitet auf<br />
dem Tische, Botho Graef stand neben mir, wir<br />
schwiegen beide, nur Dörpfeld sprach. E<strong>in</strong> Kolleg<br />
hielt er uns beiden. Ich weiß nur e<strong>in</strong>s noch<br />
genau.: als ich das Haus verließ, waren zwei<br />
Stunden vergangen; wie e<strong>in</strong>e halbe Stunde war<br />
mir die Zeit erschienen. Ich hatte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Banne<br />
gestanden.“ 9<br />
Nach se<strong>in</strong>er Pensionierung verlegte Dörpfeld<br />
se<strong>in</strong>en Wohnsitz nach Berl<strong>in</strong>-Friedenau,<br />
Niedstraße 22. Die Jahre des ersten Weltkrieges<br />
verbrachte er „fern von Griechenland und etwas<br />
freier von der wissenschaftlichen Arbeit“<br />
(Goessler) vor allem <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und <strong>Jena</strong>. Sie erhielten<br />
ihre E<strong>in</strong>schnitte durch den Tod se<strong>in</strong>er<br />
Frau Anne (2.9.1915) und dann se<strong>in</strong>er ältesten<br />
Tochter Else (1.3.1917). Nach dem Tode se<strong>in</strong>er<br />
97
Frau zog im Oktober 1915 zunächst se<strong>in</strong>e<br />
Tochter, „da ihr Mann <strong>in</strong> Rußland im Felde<br />
war, mit ihrer Tochter Ingeborg“ 10 zu ihm nach<br />
Friedenau. Doch bereits im Herbst 1916<br />
tauschte Dörpfeld – <strong>in</strong>folge der Erkrankung<br />
se<strong>in</strong>er Tochter – die Wohnung <strong>in</strong> Friedenau gegen<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>ere <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Dahlem, Ehrenbergstraße<br />
27. „Else wollte dort mit mir wohnen;<br />
sie hatte aber, nach dem sie <strong>in</strong> mehreren<br />
Sanatorien gewesen war, bereits im Lichtenfelder<br />
Krankenhaus (<strong>in</strong> der Nähe me<strong>in</strong>er Wohnung)<br />
Aufnahme gefunden, wo sie am 1. März<br />
1917 starb.“ 11 Alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Dahlem, wurde <strong>Jena</strong><br />
nun <strong>Wilhelm</strong> <strong>Dörpfelds</strong> häufigstes Reiseziel.<br />
Allmählich begann sich se<strong>in</strong> Entschluss zu verfestigen,<br />
„Berl<strong>in</strong> und se<strong>in</strong>en Großbetrieb“ 12<br />
verlassen zu wollen.<br />
Dörpfeld traf die Entscheidung, nach <strong>Jena</strong><br />
zu übersiedeln, im September 1919. Er unterrichtete<br />
offensichtlich umgehend Walter Judeich<br />
von se<strong>in</strong>em Entschluss, auch von se<strong>in</strong>em<br />
Wunsch, an der Universität wirken zu wollen.<br />
Dieser gab die Information an Herbert Koch<br />
weiter, der im Dezember 1917 <strong>in</strong> der Graef-<br />
Nachfolge zum neuen Extraord<strong>in</strong>arius für Archäologie<br />
berufen worden war. Koch – als Dolmetscher<br />
im Kriegsdienst <strong>in</strong> Görlitz bis zum<br />
20.12.1918 gebunden – trat se<strong>in</strong> Amt erst Mitte<br />
Januar 1919 an, musste sich aber schon im Juli<br />
wegen der Behandlung e<strong>in</strong>es akuten Lungenleidens<br />
bis zum Beg<strong>in</strong>n des Sommersemesters<br />
1920 freistellen lassen. Er befand sich so, als<br />
das Anliegen an ihn herangetragen wurde, <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er schwierigen Situation. Aus der Heilanstalt<br />
<strong>in</strong> Schoenberg bei Wildbach schrieb er am<br />
1.10.1919 an Dörpfeld: „Es sche<strong>in</strong>t mir also<br />
selbstverständlich, dass Sie die Vorlesungsberechtigung<br />
<strong>in</strong> <strong>Jena</strong> erhalten müssen, sobald Sie<br />
den Wunsch aussprechen, und niemand, weder<br />
Fakultät noch Regierung, am allerwenigsten<br />
ich, wird da Schwierigkeiten machen. Dagegen<br />
sche<strong>in</strong>t mir ganz offen gestanden der Weg e<strong>in</strong>er<br />
Berufung nicht der richtige und zwar <strong>in</strong> Rücksicht<br />
auf die Stellung des eigentlichen Fachvertreters.<br />
Dieser ist <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> Extraord<strong>in</strong>arius, und<br />
von der Umwandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ord<strong>in</strong>ariat ist<br />
m.E. nicht die Rede. Dadurch liegt der Fall anders<br />
als <strong>in</strong> Heidelberg und Berl<strong>in</strong>. Die förmliche<br />
Berufung e<strong>in</strong>er ordentl. Honorarprofessur<br />
– nicht für e<strong>in</strong>en speziellen Zweig, wie antike<br />
Numismatik (Pick – Gotha) sondern für das<br />
ganze Gebiet – würde m.E. die ohneh<strong>in</strong> schwache<br />
Stellung des Fachvertreters noch mehr<br />
schwächen. Ich halte deshalb – das habe ich<br />
auch Judeich geschrieben – die Form e<strong>in</strong>es<br />
Gesuches um Erlaubnis zur Abhaltung von<br />
Vorlesungen für richtig … Irgend e<strong>in</strong>e Beschränkung<br />
liegt nicht dar<strong>in</strong>, gegenseitige<br />
Verständigung über Gegenstand und Zeit der<br />
Vorlesungen ist ja ohneh<strong>in</strong> Voraussetzung.<br />
Aber die Stellung des Fachvertreters bleibt so<br />
wenigstens Kollegen und Studenten gegenüber<br />
e<strong>in</strong>e klare …<br />
Persönlich würde ich – das sagte ich Ihnen<br />
schon im Sommer, als Sie Ihre Pläne andeuteten<br />
– gern mit Ihnen zusammen wirken und<br />
dankbar, wie <strong>in</strong> früheren Jahren <strong>in</strong> Griechenland,<br />
von Ihnen lernen.<br />
Wir würden dann wohl beide im Frühjahr-<br />
Zwischensemester 1920 lesen. Jetzt ist es nicht<br />
so notwendig, da Judeich so freundlich war, e<strong>in</strong><br />
landeskundliches Kolleg anzukündigen und die<br />
zeitweilige Assistent<strong>in</strong>, Frl. Dr. Hamburg 13 , Vasenübungen<br />
abhält.“<br />
Dörpfeld notierte auf dem Brief: „ beant.<br />
am 3. Okt. Daß ich mit der venia docendi vollkommen<br />
e<strong>in</strong>verstanden sei. nicht für das ganze<br />
Gebiet der Archäologie, sondern über Ausgrabungen,<br />
griech. Baukunde, Topographie, homer.<br />
Geographie“. Koch bestätigte per Postkarte<br />
(9.10. 1919) den Empfang des Dörpfeld-Briefes<br />
und leitete den Vorgang e<strong>in</strong>. Alles lief rasch<br />
und reibungslos ab. Auf ihrer Sitzung am 1.<br />
November stimmte die Fakultät dem Gesuch<br />
zu, das für Dörpfeld pauschal die Vorlesungsberechtigung<br />
auf dem Gebiet der Archäologie<br />
anstrebte. Der Dekan leitete es am 3. an Rektor<br />
und Senat weiter. Mit Zustimmung des Senats<br />
sandte der Rektor den Antrag am 8. November<br />
an das Kultusm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Weimar, das im<br />
„E<strong>in</strong>vernehmen mit den Regierungen von<br />
Sachsen-Me<strong>in</strong><strong>in</strong>gen, Sachsen-Altenburg und<br />
Sachsen-Gotha“ am 1. Dezember die Erlaubnis<br />
erteilte. 14<br />
Als Dörpfeld am 15. 12. 1919 von Berl<strong>in</strong><br />
nach <strong>Jena</strong> zu se<strong>in</strong>er Schwester Anna <strong>in</strong> das<br />
„schöne Landhaus Kernbergstr. 2“ umzog, 15 war<br />
für ihn alles für e<strong>in</strong>e akademische Lehrtätigkeit<br />
98
an der Universität vorbereitet, und er stieg engagiert<br />
<strong>in</strong> das akademische Leben <strong>Jena</strong>s e<strong>in</strong>. Inhaltlich<br />
umfasste se<strong>in</strong>e wissenschaftliche Arbeit<br />
<strong>in</strong> den <strong>Jena</strong>er Jahren nur wenige Felder im breiten<br />
Spektrum der Klassischen Archäologie, eigentlich<br />
nur die auf die antike Boden- und Bauforschung<br />
ausgerichtete Tätigkeit – Gebiete auf<br />
denen er weltweit als Autorität bekannt war und<br />
blieb –, die sich <strong>in</strong> der <strong>Jena</strong>er Zeit im wesentlichen<br />
auf Olympia und Athen sowie auf das<br />
antike Theater konzentrierte. Hauptsächlich befasste<br />
sich Dörpfeld mit Homerforschung, also<br />
mit Themenkreisen, die archäologischerseits<br />
schon damals im äußeren Grenzbereich<br />
klassisch-archäologischen Interesses lagen.<br />
Dörpfeld hat an der Universität <strong>Jena</strong> vier<br />
e<strong>in</strong>stündige Vorlesungen gehalten:<br />
– „Die Ausgrabungen <strong>in</strong> Olympia“ 16<br />
(W<strong>in</strong>tersemester 1919/ 20)<br />
– „Die Entwicklung des griechischen und<br />
römischen Theaters“ 17<br />
(Sommersemester 1920)<br />
– „Homerische Geographie“<br />
(W<strong>in</strong>tersemester 1920/ 21)<br />
– „Homer im Lichte der Ausgrabungen“<br />
(W<strong>in</strong>tersemester 1923/ 24)<br />
Der E<strong>in</strong>schnitt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vorlesungsaktivität<br />
im Frühjahr 1921 ist augenfällig, die Gründe<br />
dafür s<strong>in</strong>d bekannt. „Als die Rückkehr nach<br />
Griechenland möglich wurde, gab er den Reisen,<br />
Führungen und Grabungen dort ohne Zögern<br />
den Vorzug vor dem Lehrbetrieb an e<strong>in</strong>er<br />
deutschen Universität.“ 18 Am 16. März, e<strong>in</strong>e<br />
Woche nach dem Abschluß des W<strong>in</strong>tersemesters,<br />
trat Dörpfeld se<strong>in</strong>e erste Griechenlandreise<br />
nach dem 1. Weltkrieg an, von der er nach<br />
genau dreimonatiger Abwesenheit am 16. Juni<br />
wieder <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> e<strong>in</strong>traf.<br />
Se<strong>in</strong>e für das W<strong>in</strong>tersemester 1921/22<br />
(12.10.21–13.3.22) angekündigte Vorlesung<br />
setzte Dörpfeld zu Semesterbeg<strong>in</strong>n ab. Die<br />
Gründe dafür s<strong>in</strong>d nicht präzis zu fassen. Er <strong>in</strong>formierte<br />
den Kurator von se<strong>in</strong>em Entschluss,<br />
der den Rektor davon am 1. November <strong>in</strong><br />
Kenntnis setzte.<br />
Dieser schrieb umgehend (4.11.) an Dörpfeld:<br />
„Hochverehrter Herr Kollege!<br />
Der Herr Kurator hat mir mitgeteilt, dass<br />
Sie Ihre Vorlesung über „Akropolis von Athen“<br />
<strong>in</strong> diesem Semester nicht halten wollen. Ich<br />
würde das selbstverständlich bloss zur Kenntnis<br />
genommen haben, wenn nicht <strong>in</strong> dem<br />
Schreiben des Herrn Kurators stünde, dass besondere<br />
Erfahrungen, die Sie nicht als Grund<br />
Ihres Entschlusses angegeben wissen wollten,<br />
Sie zum Teil bei der Absage bestimmet haben.<br />
Ich kenne diese Erfahrungen nicht, beklage sie<br />
aber lebhaft und möchte alles tun, um dieses<br />
H<strong>in</strong>dernis Ihrer Vorlesungstätigkeit, die wir<br />
ausserordentlich hoch schätzen, aus dem Wege<br />
zu räumen …<br />
Mit besten Grüssen<br />
We<strong>in</strong>el<br />
Rektor“ 19<br />
E<strong>in</strong>en Antwortbrief <strong>Dörpfelds</strong> an den Rektor<br />
sche<strong>in</strong>t es nicht gegeben zu haben. In se<strong>in</strong>em<br />
Lebenslauf notierte er: „Im Jan. und Febr.<br />
1922 las ich <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> privatissima über die Anfänge<br />
der griech. Kunst.“ 20 Diese Version übernahm<br />
se<strong>in</strong> Biograf Goessler und ergänzte sie<br />
um die Bemerkung, er war „wieder Herr se<strong>in</strong>er<br />
ganzen Zeit.“ 21 Anders akzentuierte Dörpfeld<br />
se<strong>in</strong>e Vorlesungsabsetzung <strong>in</strong> den „Daten<br />
me<strong>in</strong>es Lebens“. „Im W<strong>in</strong>tersem. Vorlesung zu<br />
Hause über Anfänge der griech. Kunst (Die angekünd.<br />
Vorlesung über Akropolis abgesagt,<br />
weil Prof. Koch Schwierigkeiten der Diapositive)“.<br />
Auf den ersten Blick sche<strong>in</strong>t hier Kochs<br />
Verhältnis zu Dörpfeld angesprochen zu se<strong>in</strong>,<br />
doch erweist sich das Problemfeld als vielschichtiger.<br />
Wie überall, so erfolgte auch <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> der archäologische<br />
Unterricht lange vornehmlich <strong>in</strong><br />
der Sammlung vor den Orig<strong>in</strong>alen und antiken<br />
Abgüssen. Als Herbert Koch Anfang 1919 se<strong>in</strong><br />
Amt antrat, fand er e<strong>in</strong>en gegenüber den reichen<br />
Beständen der Sammlung rückständigen<br />
archäologischen Lehrapparat an Literatur und<br />
Lichtbildern vor. Wie die zahlreichen Gesuche<br />
Kochs an den Universitätskurator um die Bereitstellung<br />
zustehender und zusätzlicher Mit-<br />
99
tel zeigen, war deren Aufbesserung e<strong>in</strong> langwieriger<br />
Prozess. Nur e<strong>in</strong>mal f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e<br />
Bezugnahme auf die Ansprüche <strong>Dörpfelds</strong>. 22<br />
Über den Umfang des Lichtbilderbestandes im<br />
archäologischen Lehrapparat um 1920 s<strong>in</strong>d wir<br />
grob <strong>in</strong>formiert, durch die Vorlesungsverzeichnisse<br />
auch darüber, welche Lehrveranstaltungen<br />
mit diesem Bestand durchgeführt worden<br />
waren. 23 Dörpfeld selbst hatte bereits im Sommer<br />
1921 (4.8.) <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> im Rahmen des Schwedischen<br />
Sommerferienkurses sowie <strong>in</strong> Hamburg<br />
vor der Deutsch-Griechischen Gesellschaft<br />
(21.11.) Vorträge über „Die Akropolis<br />
von Athen“ gehalten. Koch selbst beantragte<br />
erst im Juli 1922 Mittel zur Neubeschaffung<br />
von Akropolis-Diapositiven. 24<br />
Herbert Koch war e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der praktischen<br />
Arbeit erprobter Archäologe, ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>seitiger<br />
Fachwissenschaftler mit eng begrenztem Arbeitsfeld<br />
und vor allem e<strong>in</strong> tief musischer<br />
Mensch . In Dresden hatte er Germanistik und<br />
Musik studiert, <strong>in</strong> Leipzig und München sich<br />
dann mehr und mehr der Kunstgeschichte und<br />
Klassischen Archäologie zugewandt. Koch<br />
gehörte zu den jüngeren Archäologen, die die<br />
um 1920 e<strong>in</strong>setzende Ausweitung und Spezialisierung<br />
organisch mitvollzogen. Se<strong>in</strong>e Arbeiten<br />
umfassten das Gesamtgebiet der Klassischen<br />
Archäologie vom kretisch-mykenischen<br />
Griechenland bis zur Spätantike und zur neuzeitlichen<br />
Rezeption der antiken Kunst, auch<br />
die antike Architektur, allerd<strong>in</strong>gs bei ger<strong>in</strong>gem<br />
Interesse an den mehr technischen Aspekten.<br />
E<strong>in</strong> fachbezogenes Mite<strong>in</strong>ander hat es <strong>in</strong> der<br />
<strong>Jena</strong>er Zeit zwischen Dörpfeld und Koch offensichtlich<br />
nicht gegeben. Koch brachte Dörpfeld<br />
den ihm gebührenden Respekt entgegen<br />
und kam se<strong>in</strong>en Verpflichtungen nach, die sich<br />
aus se<strong>in</strong>er Amtsstellung ergaben. Das Jahr<br />
1923 brachte mit den Aktivitäten anlässlich des<br />
70. Geburtstages des Barmer solche Anforderungen.<br />
Zu diesen gehörte auch der Antrag auf<br />
Berufung <strong>Dörpfelds</strong> zum Honorarprofessor.<br />
Am 12. Februar schlug Koch vor, „bei der Regierung<br />
die Ernennung des an der Universität<br />
vorlesungsberechtigten Professors Dr. <strong>Wilhelm</strong><br />
Dörpfeld zum Honorarprofessor zu beantragen“<br />
und begründete den Antrag <strong>in</strong> der Sitzung<br />
der Philosophischen Fakultät am 22. Februar.<br />
25 Das Umwandlungsverfahren lief rasch<br />
ab. Schon am 9. April erfolgte durch das<br />
Thür<strong>in</strong>gische Staatsm<strong>in</strong>isterium die Ernennung.<br />
Der so Geehrte war <strong>in</strong>dessen – wie bei<br />
ihm nun üblich geworden – Anfang März (8.3.)<br />
nach Griechenland aufgebrochen und kam erst<br />
am 12. August nach <strong>Jena</strong> zurück. Se<strong>in</strong>e Verpflichtung<br />
durch den Rektor erfolgte am 8. November.<br />
Dörpfeld erhielt die Honorarprofessur<br />
als fast Siebzigjähriger. Die Umwandlung hatte<br />
so vornehmlich ehrenden Charakter und dies<br />
<strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf se<strong>in</strong>en 70. Geburtstag am 26.<br />
Dezember. Diesen feierte er „<strong>in</strong> Schierke bei<br />
Else Lisco, woh<strong>in</strong> alle me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der gekommen<br />
waren.“ 26 Auf die vielen „amtlichen“und<br />
persönlichen Glückwünsche antwortete der Jubilar<br />
mit e<strong>in</strong>em „gedruckten Dankesgruß“ 27 ,<br />
der e<strong>in</strong>erseits die wichtigsten Glückwunschbriefe<br />
und -telegramme sowie die Geschenke<br />
verschiedenster Art öffentlich machte, andererseits<br />
die persönliche Danksagung <strong>Dörpfelds</strong><br />
brachte, gekleidet <strong>in</strong> die Form e<strong>in</strong>es Rückblickes<br />
auf se<strong>in</strong> bisheriges Leben und Schaffen sowie<br />
der Ankündigung se<strong>in</strong>er nächsten Vorhaben.<br />
Die Berufung zum Honorarprofessor veranlasste<br />
Dörpfeld im W<strong>in</strong>tersemester 1923/ 24<br />
wieder zu lesen und zwar über „Homer im<br />
Lichte der Ausgrabungen“. Das Vorlesungsmanuskript<br />
ist erhalten. 28 Es weist aus, dass es<br />
ihm um e<strong>in</strong>e komplexe Vermittlung der Ergebnisse<br />
se<strong>in</strong>er Homerforschung – mit engagierter<br />
Rechtfertigung des historischen Wahrheitsgehaltes<br />
und se<strong>in</strong>er Frühdatierung der homerischen<br />
Epen – g<strong>in</strong>g, um Aussagen, die aus se<strong>in</strong>en<br />
Publikationen h<strong>in</strong>reichend bekannt s<strong>in</strong>d<br />
und die bei den Fachvertretern – den Klassischen<br />
Philologen und Archäologen gleichermaßen<br />
– schon damals durchgehend auf Widerspruch<br />
und Ablehnung gestoßen waren.<br />
Dörpfeld war zeitlebens e<strong>in</strong> rastloser<br />
Mensch. Ständiges Reisen und Unterwegsse<strong>in</strong><br />
gehörten zu den prägenden Merkmalen se<strong>in</strong>er<br />
Persönlichkeit. Der akademische Lehrbetrieb<br />
lag ihm eigentlich nicht. Nicht zufällig wird<br />
auch die <strong>Jena</strong>er Zeit gekennzeichnet durch<br />
häufige Vortrags-, Gesprächs- und Besuchsreisen,<br />
zu denen schon bald (seit 1921) wieder<br />
ausgedehnte Griechenlandaufenthalte h<strong>in</strong>zukamen.<br />
Es ist aufschlussreich, dass Dörpfeld die<br />
100
Begriffe Vorlesung, Kolleg und Vorträge als<br />
Synonyme verwandte. Se<strong>in</strong>e bemerkenswert<br />
umfangreiche Vortragstätigkeit, die nicht auf<br />
<strong>Jena</strong> und Thür<strong>in</strong>gen beschränkt blieb, sondern<br />
ganz Deutschland sowie se<strong>in</strong>e Wahlheimat<br />
Griechenland (hier vor allem <strong>in</strong> Form erläuternder<br />
wissenschaftlicher Führungen) mit e<strong>in</strong>begriff,<br />
war <strong>in</strong>tegraler Bestandteil se<strong>in</strong>es wissenschaftlichen<br />
<strong>Wirken</strong>s. Er engagierte sich<br />
sowohl <strong>in</strong>nerhalb als auch außerhalb des universitären<br />
Lebens, und gerade aus dem letztgenannten<br />
Bereich, den wissenschaftlichen Gesellschaften<br />
und Vere<strong>in</strong>en wie den Gymnasien,<br />
kamen <strong>in</strong>sbesondere se<strong>in</strong>e Bewunderer und<br />
Anhänger. Es war die charismatische Persönlichkeit<br />
<strong>Dörpfelds</strong>, se<strong>in</strong> Auftreten bei Vorträgen,<br />
se<strong>in</strong>e Überzeugungskraft, die Wirkung 29<br />
erzielte. Aufgrund se<strong>in</strong>es Bekanntheitsgrades<br />
konnte er sich stets bei se<strong>in</strong>en Vorträgen großer<br />
Teilnehmerzahlen gewiss se<strong>in</strong>. Bei se<strong>in</strong>em engagierten<br />
E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> das akademische Leben<br />
<strong>Jena</strong>s 1919/20 hielt Dörpfeld fest: „Me<strong>in</strong>e Vorträge<br />
beschäftigen mich sehr viel. In der Universität<br />
nehmen 80 Studenten und noch mehrere<br />
Professoren an dem Colleg über Olympia<br />
teil, so daß ich mich ordentlich vorbereiten<br />
muß. In der Volkshochschule habe ich <strong>in</strong> der<br />
Vortragsreihe über Ausgrabungen homerischer<br />
Orte sogar etwa 250 Zuhörer. Dann treibe ich<br />
noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Kreise Homer und habe<br />
vor 8 Tagen auch e<strong>in</strong>en großen allgeme<strong>in</strong>en<br />
Vortrag über das homerische Weltbild gehalten<br />
vor etwa 500 Zuhörern.“ 30<br />
Von Anfang an war es <strong>Dörpfelds</strong> Streben,<br />
sich <strong>in</strong> das akademische Leben <strong>Jena</strong>s zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />
Er tat dies <strong>in</strong> vielfältiger Weise, war<br />
Mitglied der Verb<strong>in</strong>dung „Hermunduria“ und<br />
gehörte zur „Gesellschaft der Freunde der<br />
Thür<strong>in</strong>gischen Landesuniversität <strong>Jena</strong> e.V.“<br />
Voran stand se<strong>in</strong>e Vortragstätigkeit. Als Persönlichkeit<br />
hob sich Dörpfeld vom durchschnittlichen<br />
Gelehrtentyp ab, und so wurden<br />
se<strong>in</strong>e Vorträge im Kollegenkreis angenommen,<br />
mit denen er die Ergebnisse se<strong>in</strong>er Homerforschung<br />
– die von den allgeme<strong>in</strong> verbreiteten<br />
Auffassungen der Fachvertreter prägnant abwichen<br />
– vorstellte. „Ich halte an der Universität<br />
und der Volkshochschule Vorträge und habe<br />
daneben auch e<strong>in</strong>em Kreise von Professoren,<br />
die sich für Homer <strong>in</strong>teressieren, e<strong>in</strong>e<br />
ganze Reihe von Vorträgen mit anschließender<br />
Diskussion über homerische Realien als<br />
Grundlage für die Datierung gehalten. Das<br />
war mir sehr angenehm und lehrreich. Nur der<br />
Archäologe (Koch) nahm trotz me<strong>in</strong>er Bitten<br />
nicht teil!“ 31 Der <strong>Jena</strong>er Historiker Alexander<br />
Cartellieri notierte am Ostersonntag 1920 <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong> Tagebuch: „Am Karfreitag trafen wir bei<br />
Meyer-St. unseren Archäologen Koch, der se<strong>in</strong>e<br />
von Dörpfeld abweichende Me<strong>in</strong>ung betonte.<br />
Dö. hält zur Zeit e<strong>in</strong>ige Vorträge über se<strong>in</strong>e<br />
Homerauffassung vor e<strong>in</strong>em Dutzend Kollegen,<br />
etwas weitschweifig, aber ich höre ihn<br />
gern, er ist, wie jemand me<strong>in</strong>te, der Apostel<br />
se<strong>in</strong>es Glaubens. In mir hat er die Liebe zum<br />
klassischen Altertum stark erweckt, und ich<br />
freue mich immer wieder darüber, wie er dar<strong>in</strong><br />
lebt und aufgeht.“ 32 Als Dörpfeld se<strong>in</strong>e Griechenlandreisen<br />
wieder aufnehmen konnte, berichtete<br />
er im Liebhaberkreis von diesen Reisen:<br />
„Dörpfeld hielt am Nachmittag bei uns e<strong>in</strong>en<br />
Vortrag über letzte griechische Reise, Olympia,<br />
Kor<strong>in</strong>th, Athen und zeigte wunderschöne<br />
Bilder. Se<strong>in</strong> eigener Apparat ist sehr gut, die<br />
Le<strong>in</strong>wand war <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em großen Arbeitszimmer<br />
gespannt. Wir waren 41 dankbare Hörer.<br />
Mehrere me<strong>in</strong>ten, es sei herrlich, wenigstens<br />
auf kurze Zeit dem Alltag zu entfliehen.“ 33<br />
Innerhalb der <strong>Jena</strong>er Professorenschaft<br />
spielten bei der Kontakt- und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Kommunikationspflege neben persönlichen<br />
E<strong>in</strong>ladungen 34 die sog. Forstspaziergänge e<strong>in</strong>e<br />
bedeutende Rolle. Seit 1902 wanderten e<strong>in</strong>ige<br />
<strong>Jena</strong>er Professoren täglich nach Tisch zur<br />
„Schweizerhöhe“, e<strong>in</strong>er Gaststätte unterhalb des<br />
Tatzend. Nach e<strong>in</strong>igen Jahren wurde das Forstwirtshaus<br />
das Ziel. Das Treffen beschränkte sich<br />
auf die <strong>Jena</strong>er Markttage Dienstag, Donnnerstag<br />
und Sonnabend. Dörpfeld nahm schon bald<br />
nach se<strong>in</strong>em <strong>Jena</strong>-Umzug regelmäßig an den<br />
Forstspaziergängen teil. 35 Se<strong>in</strong>e rastlose Reisetätigkeit<br />
und die ausgedehnten Griechenlandaufenthalte<br />
änderten daran nichts. 36 Unter den<br />
Teilnahmern entwickelten sich freundschaftliche<br />
Bande 37 , wurden auch andere geme<strong>in</strong>same<br />
Spaziergänge unternommen. 38 Dörpfeld nahm,<br />
so lange er se<strong>in</strong>en Wohnsitz <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> hatte, an<br />
den Forstspaziergängen teil. Vor se<strong>in</strong>en Grie-<br />
101
chenlandreisen verabschiedete er sich vom engeren<br />
Freundeskreis, so 1926 von Cartellieri.<br />
„Lieber Herr Kollege!<br />
<strong>Jena</strong>, den 15. September 26<br />
Von me<strong>in</strong>er Reise 39 heimgekehrt hatte ich<br />
mir vorgenommen, morgen am Forstspaziergang<br />
teilzunehmen. Leider kann ich aber nicht<br />
kommen, weil e<strong>in</strong> Maler Dobe aus Weimar, der<br />
Zeichnungen für mich macht, sich für morgen<br />
Nachnittag angemeldet hat. Da ich schon am<br />
Sonnabend me<strong>in</strong>e Reise nach München und<br />
Griechenland antrete, kann ich Sie leider wegen<br />
vieler Arbeiten nicht mehr persönlich besuchen,<br />
um mich zu verabschieden und bitte<br />
daher um die Erlaubnis, mich brieflich von<br />
Ihnen und Ihrer Frau Gemahl<strong>in</strong> verabschieden<br />
zu dürfen. Ich wünsche Ihnen e<strong>in</strong>en guten W<strong>in</strong>ter,<br />
und darf Sie wohl bitten, auch den anderen<br />
Teilnehmern am Forstspaziergang me<strong>in</strong>e<br />
besten Abschiedsgrüße zu übermitteln. Meyer-<br />
Ste<strong>in</strong>eg habe ich gesprochen und an Judeichs<br />
habe ich geschrieben.<br />
Auf gutes Wiedersehen<br />
Ihr sehr ergebener<br />
<strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld“ 40<br />
Im Januar 1924 schien es kurzzeitig, als erhielte<br />
Dörpfeld <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er „Homerpropaganda“<br />
e<strong>in</strong>en wichtigen Helfer – Gerhart Hauptmann.<br />
Dieser hatte als Student <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> bei dem Archäologen<br />
Rudolf Gaedechens Vorlesungen<br />
über Pompeji und Herkulaneum sowie über die<br />
Athener Akropolis gehört. „Wohl den Höhepunkt<br />
der Begegnungen Hauptmanns mit der<br />
Antike stellt die von März bis Mai 1907 unternommene<br />
Reise nach Griechenland dar, auf<br />
der ihn außer se<strong>in</strong>er Frau und se<strong>in</strong>em Sohn der<br />
Maler Ludwig von Hofmann, e<strong>in</strong> Neffe des<br />
Berl<strong>in</strong>er Archäologen Re<strong>in</strong>hard Kekulé von<br />
Stradonitz, begleitete.“ 41 1924 schien es, als<br />
stehe e<strong>in</strong>e zweite Griechenlandreise Hauptmanns<br />
bevor. In se<strong>in</strong>em Brief vom 22. Januar<br />
1924 an se<strong>in</strong>en Schwiegervater Dörpfeld gab<br />
Richard Uhde e<strong>in</strong>e Anregung von Dr. Reichert<br />
weiter: „Ich möchte nun auf e<strong>in</strong>e weitere Frage<br />
e<strong>in</strong>gehen, die Reichert angeregt hat. Reichert<br />
ist mit Gerhart Hauptmann bekannt. Reichert<br />
schlägt nun vor, daß Gerhart Hauptmann mit<br />
Dir zusammen e<strong>in</strong>ige Stätten <strong>in</strong> Griechenland<br />
besucht wie z.B. Athen, Kor<strong>in</strong>th, Mykenä, Eleusis,<br />
Delphi, Olympia, Leukas, Korfu, das Du<br />
ihm dort über die Ergebnisse der Ausgrabungen,<br />
über De<strong>in</strong>e Forschungen und De<strong>in</strong>e Ansichten<br />
vorträgst, auf daß Gerhart Hauptmann<br />
über diese se<strong>in</strong>e Erlebnisse und E<strong>in</strong>drücke e<strong>in</strong><br />
Buch schreibt, das für die weitesten Kreise des<br />
Volkes bestimmt ist und das gewissermaßen<br />
das Gebiet der griechischen Archäologie <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
allgeme<strong>in</strong> verständliches und künstlerisch ausgestaltetes<br />
Gewand kleidet. Mir sche<strong>in</strong>t, daß<br />
De<strong>in</strong>e Wissenschaft auf solchem Wege recht populär<br />
werden könnte. Reichert hat früher e<strong>in</strong>mal<br />
von solchem Plane mit Hauptmann gesprochen,<br />
der gar nicht abgeneigt zu se<strong>in</strong><br />
schien. Wie denkst Du darüber?“ Dörpfeld<br />
antwortet umgehend (25.1.24): „De<strong>in</strong> zweiter<br />
Vorschlag über e<strong>in</strong>e Reise durch Griechenland<br />
mit Gerhart Hauptmann, e<strong>in</strong> Vorschlag, den<br />
Dr. Reichert angeregt hat, ist uns <strong>in</strong> jeder<br />
Weise sympathisch. Ich kenne den Dichter von<br />
e<strong>in</strong>em kurzen Zusammense<strong>in</strong> <strong>in</strong> Olympia und<br />
sodann von e<strong>in</strong>er Zusammenkunft <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
nach der Aufführung se<strong>in</strong>er Heimkehr des<br />
Odysseus. Es würde mich sehr freuen, wenn ich<br />
ihm me<strong>in</strong>e Ansichten über griechische Geschichte<br />
und Kunst an den wichtigsten Stätten<br />
Griechenlands vortragen könnte und er das<br />
Ganze zu e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong> verständlichen und<br />
künstlerisch vollendeten Bilde der altgriechischen<br />
Kultur und ihrer Entstehung gestalten<br />
würde. Mit Freude und Dank stehe ich zu Verfügung.“<br />
Aus diesem Plan wurde jedoch<br />
nichts.<br />
In se<strong>in</strong>em „gedruckten Dankesgruß“ anläßlich<br />
se<strong>in</strong>es 70. Geburtstages kündigte Dörpfeld<br />
auch se<strong>in</strong>e nächsten Vorhaben an: „Alsbald<br />
nach dem schönen und ermutigenden Erntefeste<br />
werde ich die Verwertung der e<strong>in</strong>geheimsten<br />
Früchte <strong>in</strong> die Hand nehmen und die<br />
weitere Veröffentlichung me<strong>in</strong>er Arbeiten beg<strong>in</strong>nen.<br />
Drei Bücher s<strong>in</strong>d es, die ich zunächst<br />
abschließen und herauszugeben gedenke:<br />
1. Alt-Ithaka. Forschungen nach der wahren<br />
Heimat des Odysseus und Ausgrabungen auf<br />
102
der Insel Leukas-Ithaka; 2. Die Heimkehr des<br />
Odysseus. Wiederherstellung der homerischen<br />
Odyssee <strong>in</strong> ihrer ursprünglichen Gestalt; 3.<br />
Alt-Olympia. Forschungen und neue Grabungen<br />
zum Nachweis des hohen Alters des Heiligtums.“<br />
Es ist <strong>Dörpfelds</strong> Homerforschung <strong>in</strong><br />
ihrer ganzen Komplexität, die vorgestellt werden<br />
soll. So entschieden konnte nur e<strong>in</strong>e starke<br />
und eigenwillige Persönlichkeit unerschütterlich<br />
se<strong>in</strong>e „nächsten“ Aufgaben fixieren, wohl<br />
wissend, dass er mit se<strong>in</strong>en Ansichten <strong>in</strong> deutlichem<br />
Gegensatz zu den Ergebnissen der Forschung<br />
se<strong>in</strong>er Zeit stand. Nach dem Tode<br />
Schliemanns fühlte sich Dörpfeld als dessen<br />
Nachfolger. Er „las wie Schliemann den Homer<br />
als wäre er e<strong>in</strong> Historiker, ke<strong>in</strong> Dichter“<br />
(Körte), suchte dementsprechend alle E<strong>in</strong>zelheiten<br />
42 der homerischen Dichtung als reale<br />
Wahrheit zu erweisen und e<strong>in</strong>e präzise Übere<strong>in</strong>stimmung<br />
zwischen den Informationen der<br />
homerischen Epen und den archäologischen<br />
Befunden herzustellen. „Er hatte sich vom Ablauf<br />
der griechischen Vor- und Frühgeschichte<br />
e<strong>in</strong> Bild gemacht, das zum großen Teil nicht<br />
wie e<strong>in</strong> Mosaik aus unzähligen E<strong>in</strong>zelbeobachtungen<br />
zusammengesetzt, sondern aus e<strong>in</strong>er<br />
<strong>in</strong>tuitiven Sicht entstanden war, … die Art, wie<br />
<strong>Dörpfelds</strong> Gesamtbild entstanden war, ließ<br />
eben e<strong>in</strong> Ausflicken größerer Stellen mit Hilfe<br />
anderer Methoden nicht zu, es konnte nur <strong>in</strong>sgesamt<br />
anerkannt oder abgelehnt werden.“ 43<br />
In se<strong>in</strong>er Homerforschung wertete Dörpfeld<br />
das archäologische Material nicht als<br />
Kunsterzeugnis, sondern primär nur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Hilfsfunktion als Beleg für historisch-chronologische<br />
Aussagen. 44 Äußerte er sich <strong>in</strong> Vorträgen<br />
oder Publikationen zur frühgriechischen<br />
Kunst, so bot er nicht das, was damals – <strong>in</strong> der<br />
Zeit der Grundlegung der Eckwerte griechischer<br />
Kunstentwicklung- der typisch gewordene<br />
Klassische Archäologe (als vornehmlich<br />
Kunstwissenschaftler) unter griechischer Kunst<br />
subsumierte – Stil, Stilentwicklung und vor<br />
allem die Präsentation der Kunsterzeugnisse<br />
selbst, und dies <strong>in</strong> beschreibender und e<strong>in</strong>ordnender<br />
Weise. Da Dörpfeld – im Gegensatz zur<br />
Forschung se<strong>in</strong>er Zeit – von e<strong>in</strong>er Frühdatierung<br />
der homerischen Epen ausg<strong>in</strong>g (2. Jt. v.<br />
Chr.), mussten auch se<strong>in</strong>e Folgerungen und<br />
Auslegungen <strong>in</strong> Konflikt mit der spezialisierten<br />
Sprach- und archäologischen Forschung<br />
geraten. Ke<strong>in</strong> (archäologischer) Kollege wollte<br />
(und konnte) ihm schon <strong>in</strong> der <strong>Jena</strong>er Zeit se<strong>in</strong>e<br />
Chronologie der älteren griechischen Kunst<br />
abnehmen – etwa die Frühdatierung der geometrischen<br />
und protokor<strong>in</strong>thischen Periode,<br />
die sich von der allgeme<strong>in</strong>en Auffassung um<br />
mehr als 200 Jahre unterschied , auch nicht se<strong>in</strong>e<br />
direkte Herleitung der frühgriechischen<br />
Kunst von der phönikischen und orientalischen.<br />
45<br />
Hatte Schliemann die Stadt des Priamos<br />
gefunden, musste auch die Heimat des Odysseus<br />
aufzuspüren se<strong>in</strong>. Aufgrund se<strong>in</strong>er Epos-<br />
Interpretation verfestigte sich bei Dörpfeld immer<br />
mehr die Überzeugung, dass das homerische<br />
Ithaka auf Leukas zu suchen sei. Diese<br />
Auffassung äußerte er zuerst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vortrag<br />
am 28. März 1900, und von nun an rückte diese<br />
Insel mehr und mehr <strong>in</strong> den Mittelpunkt der<br />
persönlichen Grabungs- und Forschungs<strong>in</strong>teressen.<br />
Markierte der 1. Weltkrieg auch hier<br />
e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>schnitt, so wurde bei e<strong>in</strong>er Zusammenkunft<br />
im Herbst 1920 <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> e<strong>in</strong>e „Weiterführung“<br />
beschlossen. Dörpfeld, Goessler und<br />
<strong>Dörpfelds</strong> Schwiegersohn Richard Uhde vere<strong>in</strong>barten,<br />
e<strong>in</strong>e Sammelpublikation „Alt-Ithaka“<br />
herauszugeben. Kurz darauf entstand der Plan<br />
zur Herausgabe der „ursprünglichen Odyssee“.<br />
Am 11.1.1921 schrieb Dörpfeld an Goessler:<br />
„Ich war kürzlich <strong>in</strong> Halberstadt und im Harz,<br />
um <strong>in</strong> Schierke den Jahresanfang mit me<strong>in</strong>em<br />
Sohn zu feiern und <strong>in</strong> Halberstadt mit Prof. Rüter<br />
über e<strong>in</strong> Odysseus-Buch zu sprechen. Ich habe<br />
nämlich vor, die ursprüngliche Odyssee, wie<br />
ich sie mir denke, <strong>in</strong> deutscher Übersetzung<br />
(Prosa) nach Tagen angeordnet herauszugeben,<br />
und habe dazu Herrn Rüter als Übersetzer<br />
gewonnen. Wahrsche<strong>in</strong>lich wird e<strong>in</strong> Freund<br />
auch gute Bilder dazu zeichnen.“ Als im September<br />
1921 <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> die „53. Versammlung<br />
deutscher Philologen und Schulmänner“ stattfand<br />
(27.-30.9.), reiste Rüter schon am 22.9. <strong>in</strong><br />
<strong>Jena</strong> an, um mit Dörpfeld das Projekt ausführlicher<br />
zu erörtern. Beide Unternehmungen<br />
wurden parallel betrieben. Schon am 8. Oktober<br />
1922 konnte Dörpfeld Goessler mitteilen:<br />
„Das Odyssee-Buch habe ich jetzt fertig. Herr<br />
103
Rüter kommt <strong>in</strong> 8 Tagen hierher, damit wir me<strong>in</strong>en<br />
Teil und se<strong>in</strong>e Übersetzungen zusammen<br />
durchlesen. Ich habe auch mit Prof. Krischen<br />
<strong>in</strong> Aachen die 20 Bilder entworfen, die das<br />
Buch schmücken sollen: für jeden der 10 Tage<br />
s<strong>in</strong>d 2 Bilder bestimmt, e<strong>in</strong>es von Telemachos<br />
und e<strong>in</strong>es von Odysseus. Ich war zu diesem<br />
Zweck e<strong>in</strong>ige Tage <strong>in</strong> Aachen; das Überlegen<br />
machte mir viel Freude, weil Krischen jede<br />
Idee sofort zeichnen konnte 46 , und am 29. Oktober<br />
1923, nachdem er mit Rüter das Vorgelegte<br />
durchgearbeitet hatte: „Am Ithaka-Buch<br />
arbeite ich jetzt nicht, weil ich das Odysseus-<br />
Buch zuerst vollenden will.“<br />
Anfang 1924 gab <strong>Dörpfelds</strong> Schwiegersohn,<br />
Major Uhde, se<strong>in</strong>en Militärberuf auf und<br />
übernahm die Leitung des Verlages Buchenau<br />
& Reichert <strong>in</strong> München. Das war für <strong>Dörpfelds</strong><br />
Publikationspläne e<strong>in</strong>e überaus glückliche<br />
Wendung, und so schrieb er diesem am 25. Januar<br />
1924: „Daneben b<strong>in</strong> ich hocherfreut für<br />
me<strong>in</strong>e Bücher e<strong>in</strong>en Verleger gefunden zu haben,<br />
wie ich ihn mir ersehnt habe, e<strong>in</strong>em<br />
Mann, dem ich ganz vertraue, dem ich den<br />
ganzen äußerlichen Kram der Buchherstellung<br />
überlassen kann und der mich <strong>in</strong> heilsamer<br />
Weise antreibt, me<strong>in</strong>e Bücher, an denen ich<br />
selbst gerne noch jahrelang verbessern möchte,<br />
endlich herauszugeben“ und am 16.2.1924 an<br />
Goessler, „Ich b<strong>in</strong> glücklich über diese Lösung.<br />
Nun brauche ich mich nicht mehr um Verleger<br />
und Drucker zu bemühen. Zuerst soll die<br />
Heimkehr des Odysseus ersche<strong>in</strong>en, dann unser<br />
Buch Alt-Ithaka.“ Richard Uhde fühlte sich<br />
nicht nur für die bloße Drucklegung verantwortlich,<br />
sondern brachte auch unbefangen<br />
kritische und verlegerische Gesichtspunkte<br />
e<strong>in</strong>. Dörpfeld folgte meist diesen Ratschlägen,<br />
komplizierter gestaltete sich diese Verwertung<br />
von „Verbesserungen“ bei Rüter.<br />
Die Aufnahme, die die „Heimkehr des<br />
Odysseus“ bei ihrem Ersche<strong>in</strong>en 1925 fand,<br />
war zurückhaltend, äußerte sich vornehmlich als<br />
schweigend-ablehnende Kritik. „Geschmerzt<br />
hat ihn des sonst so wohlwollenden Koepp Ablehnung<br />
e<strong>in</strong>er von ihm gewünschten Anzeige,<br />
damit motiviert, daß er ihm weder betreffs der<br />
Urodyssee noch der Datierung zustimmen<br />
könne.“ 47 An Käthe Uhde schrieb Dörpfeld aus<br />
Athen (6.Febr. 1925): „So kann ich hier (d.h.<br />
bei se<strong>in</strong>en Vorträgen über Homer und die<br />
Odyssee Kl.) auf das Buch h<strong>in</strong>weisen, das von<br />
Laien mit Freude und Genuss gelesen wird.<br />
Die Philologen und Archäologen s<strong>in</strong>d auch<br />
hier, ebenso wie <strong>in</strong> Deutschland sehr zurückhaltend.<br />
Ich habe hier das Buch mehreren<br />
deutschen und fremdem Archäologen geschenkt,<br />
aber nur 2 Griechen haben mir etwas<br />
darüber gesagt, die anderen schwiegen sich<br />
aus.“<br />
Ungeteilte Zustimmung fand <strong>Dörpfelds</strong><br />
Publikation nur im engeren Freundeskreis, so<br />
auch bei se<strong>in</strong>em alten Weggefährten aus der<br />
Olympiazeit, dem Gothaer Museumsdirektor<br />
Karl Purgold. 48 Die wissenschaftlichen Besprechungen<br />
waren pr<strong>in</strong>zipiell ablehnend. 49 Die<br />
moderne Homerforschung hat diese Grundhaltung<br />
beibehalten. „Die Heimkehr des Odysseus“<br />
f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Literaturverzeichnis,<br />
selbst nicht <strong>in</strong> wissenschaftsgeschichtlichen<br />
Aufarbeitungen der Homerforschung.<br />
Die geschlossene Ablehnungsfront der Philologen<br />
und Archäologen, ihr „Totschweigen des<br />
Homer-Buches“ (Goessler) bewirkte, dass es<br />
auch bei den Laien ke<strong>in</strong>e größere Verbreitung<br />
fand. Nach e<strong>in</strong>em halben Jahr waren erst ca.<br />
615 Exemplare (Preis M 16.-) abgesetzt. Bei<br />
e<strong>in</strong>em Familientreffen im Juni 1926 wurde<br />
daher beschlossen, den Restbestand zu kaufen<br />
und das Ithaka-Buch selbst zu verlegen. 50 Auch<br />
„Alt-Ithaka“ erfuhr bei se<strong>in</strong>em Ersche<strong>in</strong>en<br />
1927 mehr Zurückhaltung und Ablehnung als<br />
Anerkennung, und dies vor allem deshalb, weil<br />
<strong>Dörpfelds</strong> eigentlicher Zielpunkt – die Ithaka-<br />
Frage 51 – <strong>in</strong> der Altertumswissenschaft anders<br />
beantwortet wurde. Für Dörpfeld war das<br />
homerische Ithaka die heutige Insel Leukas.<br />
„Hatte Schliemann den trojanischen Krieg und<br />
die Stadt des Priamos bestätigt, so mußte auch<br />
die Heimat des Odysseus zu f<strong>in</strong>den se<strong>in</strong>. Dörpfeld<br />
g<strong>in</strong>g dieser Frage nach“ (Hoepfner), und<br />
glaubte sie nun def<strong>in</strong>itiv geklärt zu haben. Auch<br />
wenn man Dörpfeld <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er spezifischen<br />
Ithaka-Leukas Interpretation nicht folgt, so<br />
bleibt mit se<strong>in</strong>em Namen all das verbunden,<br />
was sich um die von ihm entdeckte und ausgegrabene<br />
bedeutsame früh- und mittelhelladische<br />
Ansiedlung bei Nidri rankt. Das gilt auch<br />
104
für <strong>Dörpfelds</strong> Erkundungsgrabungen zu den<br />
Anfängen des Heiligtums von Olympia im sog.<br />
Heroon des Pelops. 52<br />
Bei Wissenschaftspionieren – und <strong>Wilhelm</strong><br />
Dörpfeld wird zu Recht als e<strong>in</strong> solcher angesehen<br />
– wird immer wieder aufs Neue gefragt,<br />
was ihr Gesamtwerk für die nationale und <strong>in</strong>ternationale<br />
Wissenschaft erbracht hat. Auf<br />
Grund des erreichten hohen Lebensalters und<br />
der damit verbundenen öffentlichen Ehrungen<br />
erfuhr Dörpfeld bereits zu Lebzeiten e<strong>in</strong>e differenzierende<br />
Wertung se<strong>in</strong>es Lebenswerkes.<br />
Können wir heute unbefangener das Widersprüchliche<br />
se<strong>in</strong>er Persönlichkeit umreißen, so<br />
gibt es bislang ke<strong>in</strong>en Anlass, von den<br />
grundsätzlichen Charakterisierungen und Wertungen<br />
se<strong>in</strong>er Zeitgenossen abzuweichen.<br />
Schon 1924 resümierte Arm<strong>in</strong> von Gerkan:<br />
„Die öffentliche Me<strong>in</strong>ung aber macht ke<strong>in</strong>en<br />
Unterschied zwischen Archäologie und Bauforschung,<br />
sie verknüpft mit dem Altertum sogar<br />
<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Vorstellung von den<br />
Akropolisbauten Athens oder vom römischen<br />
Forum und bezeichnet die Bauforscher kurzerhand<br />
als Archäologen.“ 53 Anders als <strong>in</strong> archäologischen<br />
Fragen, <strong>in</strong> denen Dörpfeld stets e<strong>in</strong><br />
Außenseiter blieb, galt er <strong>in</strong> der Bauforschung<br />
zu se<strong>in</strong>er Zeit und noch heute als Autorität. Auf<br />
Grund se<strong>in</strong>er vielfältigen Grabungsaktivitäten<br />
bis <strong>in</strong>s hohe Alter h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> – die e<strong>in</strong>e enorme<br />
Fülle an Grabungsbefunden und bauhistorischem<br />
Denkmalbestand erbrachten, die er aufgenommen,<br />
publiziert und damit für die Forschung<br />
zugänglich gemacht hat – ist se<strong>in</strong> Name<br />
auch <strong>in</strong> der gegenwärtigen archäologischen<br />
Forschung präsent geblieben, so zum griechischen<br />
Tempel, zum Theater und natürlich zu<br />
Olympia.<br />
Trotz der Ablehnung se<strong>in</strong>er Theorien zählt<br />
zu den bleibenden Verdiensten <strong>Dörpfelds</strong>, die<br />
homerische Frage <strong>in</strong> den Mittelpunkt des wissenschaftlichen<br />
Interesses gehoben zu haben.<br />
Deutung und Historizität der <strong>in</strong> den Epen geschilderten<br />
Ereignisse und gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse gehören zu den umstrittensten<br />
Themen der Altertumswissenschaft, zu <strong>Dörpfelds</strong><br />
Zeiten wie auch heute. Bis <strong>in</strong> die Fünfzigerjahre<br />
des letzten Jahrhunderts galt es<br />
weitgehend als ausgemacht, dass die Welt der<br />
homerischen Epen mit der sogenannten mykenischen<br />
Epoche aufs Engste verbunden war. 54<br />
Heute, da wir wissen, dass es sich bei den Trägern<br />
der mykenischen Kultur um Griechen<br />
handelte, erwächst mehr Verständnis für <strong>Dörpfelds</strong><br />
Theorie von e<strong>in</strong>er engen Verzahnung der<br />
griechischen Vor- und frühen Geschichte und<br />
Kunst. 55 Zudem s<strong>in</strong>d wir – dank e<strong>in</strong>er besonders<br />
<strong>in</strong> den beiden letzten Jahrzehnten <strong>in</strong>tensivierten<br />
Forschung – über die kulturellen Kontakte,<br />
die zwischen dem 12.-7. Jh. v. Chr. zwischen<br />
Orient und Ägäis geknüpft wurden, weit<br />
besser <strong>in</strong>formiert, auch über die Rolle der Phönizier<br />
, die von Dörpfeld so po<strong>in</strong>tiert herausgestellt<br />
worden ist. 56 Die aus e<strong>in</strong>er irrigen Verknüpfung<br />
von literarischer Überlieferung und<br />
archäologischem Befund erwachsene Fehl<strong>in</strong>terpretation<br />
ist als solche nicht immer gleich<br />
zu erkennen 57 , zumal dann nicht, wenn man<br />
wie Dörpfeld der Überzeugung lebte, dass methodisch<br />
exakte wissenschaftliche Arbeit zu<br />
dauerhaften Ergebnissen führt.<br />
Neue Impulse hat die Homer-Forschung<br />
durch die 1987 vom Tüb<strong>in</strong>ger Prähistoriker M.<br />
Korfmann wiederaufgenommenen Arbeiten <strong>in</strong><br />
Troia erhalten, die jedoch mit ihren Ergebnissen<br />
<strong>in</strong> das Spannungsfeld zwischen Alter Geschichte,<br />
Gräzistik, Archäologie und Altorientalistik<br />
geraten und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vehementen Methodenstreit<br />
eskaliert s<strong>in</strong>d. 58 Da Dörpfeld als<br />
Wissenschaftler zwischen archäologischer Dokumentation<br />
und Interpretation klar zu trennen<br />
wußte, ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> dem neu aufgeflammten<br />
Troia-Streit se<strong>in</strong>e Ausgrabungsbefunde wieder<br />
als Markierungspunkte. Nachruhm ist e<strong>in</strong><br />
schwer fassbares Phänomen. <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld<br />
genießt ihn dank se<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Lebensleistung<br />
bis heute.<br />
Anmerkungen:<br />
1 Den nachfolgenden Ausführungen liegt als<br />
Quellenmaterial zu Grunde, was sich als Dörpfeld-Nachlass<br />
im Stadtarchiv <strong>in</strong> <strong>Wuppertal</strong> sowie<br />
im Besitz des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts (DAI) <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bef<strong>in</strong>det, ferner die<br />
Personal- und Universitätsakten im Universitätsarchiv<br />
<strong>Jena</strong>. Da die meisten relevanten<br />
105
Zeugnisse aus dem Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong> stammen,<br />
erwähnen wir nur für Berl<strong>in</strong> und <strong>Jena</strong> die<br />
Herkunftsorte. Dank für kollegiale Hilfe habe ich<br />
Dr. Antje Krug ( Berl<strong>in</strong>), Dr. Klaus Herrmann<br />
(Athen), Frau Margit Hartleb (<strong>Jena</strong>) und vor allem<br />
Dr. Uwe Eckardt (<strong>Wuppertal</strong>) zu sagen.<br />
2 Acten der Grossherzogl. und Herzogl. Sächs.<br />
Universitäts-Curatel zu <strong>Jena</strong>, betreffend: Professur<br />
für Archäologie und Kunstgeschichte 1898 –<br />
1920: Universitätsarchiv Bestand C Nr. 468 , Bl.<br />
99–104; Zitat 100, Rückseite; F. Stier, Geschichte<br />
der Kuratel der Universität <strong>Jena</strong> von<br />
1878–1972, Manuskript <strong>Jena</strong> 1952. Teil 3, H.<br />
Abt.C/156, S. 337.<br />
3 Ebenda.<br />
4 P. Goessler, <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld. E<strong>in</strong> Leben im<br />
Dienst der Antike, Stuttgart 1951, 173.<br />
5 Neuere Zusammenfassungen: U. Eckardt, <strong>Wilhelm</strong><br />
Dörpfeld (1853–1940), <strong>in</strong>: Rhe<strong>in</strong>ische Lebensbilder<br />
11, 1988, 285–315, H. Büs<strong>in</strong>g, <strong>Wilhelm</strong><br />
Dörpfeld, <strong>in</strong>: J. Kiefer/W. Köhler (Hrsg.),<br />
<strong>Jena</strong>er Universitätslehrer als Mitglieder der<br />
Akademie geme<strong>in</strong>nütziger Wissenschaften zu<br />
Erfurt, Sonderschriften der Akademie geme<strong>in</strong>nütziger<br />
Wissenschaften zu Erfurt 26, 1995,<br />
103–107; K Herrmann, <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld, Persönlichkeit<br />
und Werk, <strong>in</strong>: Mitteilungen aus dem<br />
He<strong>in</strong>rich-Schliemann-Museum Ankershagen 6,<br />
1999, 123–134; ders., Bauforscher und Bauforschung<br />
<strong>in</strong> Olympia, <strong>in</strong>: H Kyrieleis (Hrsg.),<br />
Olympia 1875–2000, 125 Jahre deutsche Ausgrabungen,<br />
Ma<strong>in</strong>z 2002, 112–118; A. Dierichs,<br />
Er<strong>in</strong>nerungen an <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld, dem<br />
Schichten mehr als Schätze galten, Antike Welt<br />
6, 2003, 665 f.<br />
6 E. He<strong>in</strong>rich, Archäologischer Anzeiger 1955,<br />
90.<br />
7 s. Anm. 2, BA Nr. 938, Bl. 64.<br />
8 U. Jansen, E<strong>in</strong>hundert Jahre Athener Institut,<br />
Ma<strong>in</strong>z 1986, 29 ff.<br />
9 B. v. Hagen, Begegnungen mit <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld,<br />
<strong>in</strong>: <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld. Gedenkbuch, Berl<strong>in</strong><br />
1940, 112.<br />
10 <strong>Wilhelm</strong> Dörpfeld, Me<strong>in</strong> Lebenslauf, 149 (1917<br />
niedergeschrieben, dann bis 1925 fortgesetzt).<br />
11 Ebenda 152.<br />
12 Goessler, wie Anm. 4, 175.<br />
13 Die Robertschüler<strong>in</strong> wurde für die Zeit der<br />
krankheitsbed<strong>in</strong>gten Freistellung Kochs als<br />
Hilfskraft für 150.- M monatlich e<strong>in</strong>gestellt. S.<br />
Anm. 2 BA Nr. 468, Bl. 139. Später verfügte<br />
Koch offensichtlich über e<strong>in</strong>e studentische<br />
Hilfskraft.<br />
14 Ebenda, BA 938, Bl. 65 (= BA Nr. 628, Bl. 143).<br />
15 <strong>Dörpfelds</strong> Anspruchslosigkeit im persönlichen<br />
Leben verdeutlicht, dass ihm zwei eigene Räume<br />
– e<strong>in</strong> Wohn-Arbeitsraum sowie e<strong>in</strong> Schlafzimmer<br />
– vollauf genügten. Für se<strong>in</strong>e Übersiedlung<br />
nach <strong>Jena</strong> waren auch f<strong>in</strong>anzielle Erwägungen<br />
ausschlaggebend, wie sich überhaupt<br />
durch glückliche Umstände – se<strong>in</strong>e Tante Clara<br />
Keller <strong>in</strong> Düsseldorf bezog ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Erbschaftsaufteilung<br />
e<strong>in</strong> – se<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anziellen Verhältnisse<br />
im Frühjahr 1920 spürbar verbesserten.<br />
An Familie Uhde schrieb er am 1. März:<br />
„Me<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzen haben sich dadurch wieder<br />
gebessert, wie sie jetzt sehr gut stehen, so daß<br />
ich me<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern sehr bequem den monatlichen<br />
Zuschuß senden kann. Sie s<strong>in</strong>d durch me<strong>in</strong>e<br />
Übersiedlung nach <strong>Jena</strong> verbessert worden,<br />
weil ich hier viel weniger gebrauche als <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />
Auch ist me<strong>in</strong> Vermögen jetzt dadurch gesichert,<br />
daß me<strong>in</strong> Bruder <strong>in</strong> Zoppot mit dem Ankauf<br />
des Gutes e<strong>in</strong> glänzendes Geschäft gemacht<br />
hat, zu dem ich ihm vor 2 Jahren geholfen<br />
habe. Jetzt kann er mir regelmäßig Z<strong>in</strong>sen zahlen,<br />
und das Kapital ist gesichert.“<br />
16 Lehrauftrag und Teilnehmerliste (82 e<strong>in</strong>getragene<br />
Hörer) – DAI-Archiv Berl<strong>in</strong>, Kasten 16.<br />
17 Lehrauftrag und Teilnehmerliste (51 e<strong>in</strong>getragene<br />
Hörer) – ebenda; Dörpfeld nennt sowohl <strong>in</strong><br />
den „Daten me<strong>in</strong>es Lebens“ als auch im Lebenslauf<br />
als Thema nur „Das Griech. Theater“.<br />
18 Eckardt, wie Anm. 5, 301.<br />
19 Siehe Anm. 2, BA Nr. 938 Bl. 94.<br />
20 Von der Atmosphäre dieser Lehrveranstaltung<br />
vermitteln die Er<strong>in</strong>nerungen der Familie Cartellieri<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Danksagung an Dörpfeld (Brief aus<br />
Völkl<strong>in</strong>gen vom 4.2.1924) e<strong>in</strong>e Vorstellung: „Als<br />
ich nun an der Stätte me<strong>in</strong>er neuen Wirksamkeit<br />
Ihre Schrift erhielt, da entstand vor me<strong>in</strong>em<br />
Auge wieder leuchtend die Er<strong>in</strong>nerung an jenen<br />
W<strong>in</strong>ter 1921/ 22, als Sie e<strong>in</strong>em ganz kle<strong>in</strong>en<br />
Kreis wissensdurstiger Schüler <strong>in</strong> Ihrer Wohnung<br />
um sich versammelten, und uns <strong>in</strong> die<br />
großen Probleme der Griechischen Altertumskunde<br />
e<strong>in</strong>führten. Ich sehe mich noch heute, wie<br />
ich mit me<strong>in</strong>er jetzigen Frau, me<strong>in</strong>er damaligen<br />
Studien genoss<strong>in</strong> durch das verschneite <strong>Jena</strong> zur<br />
L<strong>in</strong>denhöhe stieg, und dann ganz im Banne<br />
Ihrer Ausführungen war, so daß Zeit und Raum<br />
entschwanden, und erst e<strong>in</strong>e späte Uhr zur<br />
Heimkehr mahnte.“<br />
21 Goessler, wie Anm. 4, 182.<br />
22 Brief vom 26. Mai 1920: „Ich erwähne noch,<br />
daß die Bedürfnisse sich durch die Dozen-<br />
106
tentätigkeit Doerpfelds erheblich gesteigert<br />
haben.“ S. Anm. 2, BA, Nr. 468 Bl. 197.<br />
23 Nach dem Tode Graefs stellte sich heraus, dass<br />
die meisten der verfügbaren Diapositive Privatbesitz<br />
Botho Graefs waren – 1357; davon gehörten<br />
1291 <strong>in</strong> das Fach Klassische Archäologie, 66<br />
<strong>in</strong> das Fach der neueren Kunstgeschichte. Diese<br />
privaten archäologischen Lichtbilder überstiegen<br />
an Zahl und Wert den des Institutsbestandes<br />
und wurden daher auf Anregung Kochs von der<br />
Universität erworben. Graef hatte auf dieser<br />
Grundlage mehrmals über „Antike Kultstätten“,<br />
zweimal über „Athen“ und e<strong>in</strong>mal über die<br />
„Akropolis von Athen“ gelesen.<br />
24 „Es werden, da ich 2 neue Gegenstände behandle<br />
(archaische Kunst der Griechen 3 std. Akropolis<br />
2 std.) m<strong>in</strong>destens 350 Diapositive anzuschaffen<br />
se<strong>in</strong>: ihr Preis dürfte heute 4.000–<br />
5.000 M (gegen früher knapp 300 M) betragen,<br />
also etwa das Doppelte des Jahreszuschusses,<br />
den das Archäologische Institut bezieht.“<br />
S. Anm. 2, BA Nr. 468, Bl. 200f. Koch hat im<br />
W<strong>in</strong>tersemester 1922/23 ke<strong>in</strong>e Vorlesung gehalten,<br />
sondern nur „Arch. Übungen (Akropolis<br />
nach Pausanias)“ durchgeführt.<br />
25 Die Begründung wiederholt die Argumente des<br />
Antrages von 1919 für die Vorlesungsberechtigung.<br />
„<strong>Dörpfelds</strong> Name bedeutet für die Klassische<br />
Archäologie e<strong>in</strong>e Epoche, die Deutschland<br />
an die Spitze der Bodenforschung <strong>in</strong> Griechenland<br />
geführt hat. Olympia, die Vollendung der<br />
von Schliemann begonnenen Ausgrabungen <strong>in</strong><br />
Troja, Mykenai, Tiryns, die Ausgrabung von<br />
Pergamon s<strong>in</strong>d Hauptetappen dieses langen<br />
Weges. In derselben Zeit hat Dörpfeld als Leiter<br />
des Archäologischen Institus <strong>in</strong> Athen die topographische<br />
Erforschung der Stadt und der Akropolis<br />
auf neue Grundlagen gestellt. Durch se<strong>in</strong>e<br />
schriftstellerische Tätigkeit, durch Vorträge und<br />
Führungen ist er der praktische Lehrer e<strong>in</strong>er<br />
ganzen Generation von Forschern aller Länder<br />
geworden.“ Der Berufungsvorgang: Universitätsarchiv<br />
<strong>Jena</strong> M 629.<br />
26 „Daten me<strong>in</strong>es Lebens“, 72. Die Jahreswende<br />
1923/ 24 war für Dörpfeld e<strong>in</strong>e mit perönlichem<br />
Leid behaftete. Zunächst starb se<strong>in</strong> Bruder Hans<br />
(4.12.), dann se<strong>in</strong>e Schwester Anna (7.1.1924).<br />
Bei ihr hatte er gewohnt, zunächst <strong>in</strong> der Kernbergstraße<br />
2, dann ab April 1920 im „von T<strong>in</strong>a erbauten<br />
Nachbarhaus Nr. 4“. Nach dem Tode se<strong>in</strong>er<br />
Schwester Anna zog Dörpfeld am 28. Januar<br />
1924 zu se<strong>in</strong>er Schwester Christ<strong>in</strong>e von Rhoden:<br />
L<strong>in</strong>denhöhe 16. Als diese 1927 zu ihrem Sohn<br />
nach Pommern zog, löste sich die Hausgeme<strong>in</strong>schaft<br />
auf. In den „Daten me<strong>in</strong>es Lebens“ notierte<br />
Dörpfeld unter 30. Sept. – 3. Okt.: „<strong>Jena</strong>, mit<br />
Fritz abgemacht, der bis 5. Okt. me<strong>in</strong>e Möbel u.<br />
Bücher e<strong>in</strong>packte.“ Er selbst trat am 3. Oktober<br />
se<strong>in</strong>e Griechenlandreise an.<br />
27 „Zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. <strong>Wilhelm</strong><br />
Dörpfeld am 26. Dez. 1923 Glückwünsche und<br />
Dank, <strong>Jena</strong> im Januar 1924“. In e<strong>in</strong>em Brief an<br />
Käthe Uhde vom 8.1.1924 schrieb Dörpfeld:<br />
„Ich hatte zuviel zu tun, weil etwa 400 Gratulanten<br />
gedankt werden muß, denen ich natürlich<br />
meist nur durch e<strong>in</strong>en gedruckten Brief danken<br />
kann. E<strong>in</strong>en solchen mit Abdruck der wichtigsten<br />
Adressen und Glückwunschschreiben wirst auch<br />
Du erhalten.“ In e<strong>in</strong>em Brief an se<strong>in</strong>en Schwiegersohn<br />
Richard Uhde vom 18.12.1923 berichtete<br />
er: „Zwei Vorfeiern zu me<strong>in</strong>em Geburtstage habe<br />
ich schon gehabt: die e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der Universität,<br />
wo die Studenten me<strong>in</strong> Katheder geschmückt hatten<br />
und mich anredeten (deutsch u. griech.) und<br />
die andere bei me<strong>in</strong>er Schwester Christ<strong>in</strong>e, bei<br />
der wir den letzten Sonntag waren.“<br />
28 DAI-Archiv Berl<strong>in</strong>. Das Manuskript verwandte<br />
Dörpfeld auch für Vorträge <strong>in</strong> <strong>Jena</strong> im Rahmen<br />
des Ferienkurses vom 3.-8. August 1925. Es<br />
handelt sich nicht um ausformulierte Vorlesungstexte,<br />
sondern um e<strong>in</strong>e detailliert gegliederte<br />
Vortragskonzeption zu drei Komplexen: „I<br />
Zuerst: die Ausgrabungen an homer. Orten … .<br />
II sodann: systematisch Chronologie untersucht<br />
auf e<strong>in</strong>zelnen Gebieten a) Geschichte b) Geographie<br />
c) Polit. Zustände d) Kultur, Haus, Tempel,<br />
Tracht, Schrift, Metalle, Bewaffnung, Bestattung<br />
Götter f) Sprache, E<strong>in</strong>führung der<br />
Schrift III schließlich: andere allgeme<strong>in</strong>e Beweise<br />
für hohes Alter.“ In der Zeit der Inflation<br />
brachten Vorlesungen auf Honorarbasis nur wenig<br />
f<strong>in</strong>aziellen Gew<strong>in</strong>n. In se<strong>in</strong>em Lebenslauf<br />
(165) hält Dörpfeld zur besprochenen Vorlesung<br />
fest: „Während des W<strong>in</strong>tersemesters las ich <strong>in</strong><br />
<strong>Jena</strong>: „Homer im Lichte der Ausgrabungen“.<br />
Obwohl ich 56 zahlende Zuhörer hatte, betrug<br />
me<strong>in</strong> Honorar am Ende des Semesters wegen<br />
der Inflation und der E<strong>in</strong>führung der Rentenmark<br />
im Ganzen 2 Mark 35 Pfg.“<br />
29 So schrieb der angehende griechische Ingenieur<br />
Spiro Sklawuno aus Karlsruhe am 6. März 1924<br />
an Dörpfeld: „Sehr geehrter Her Professor, In<br />
der Hoffnung, daß Ihre diesjährige Reise nach<br />
Griechenland über unsere Stadt führen wird, erlaube<br />
ich mir bei Ihnen anzufragen, ob Sie uns<br />
doch die Ehre machen wollten, <strong>in</strong> der Ortsgrup-<br />
107
pe der Deutsch-Griechischen Gesellschaft e<strong>in</strong>en<br />
Vortrag zu halten. In Hamburg und Leipzig, wo<br />
ich zu me<strong>in</strong>er großen Freude Ihren Vorträgen<br />
beiwohnen konnte, haben Sie mir dies zugesagt<br />
und die Begeisterung mit der unser Hellenischer<br />
Akad. Vere<strong>in</strong> sowie auch die Ortsgruppe der D-<br />
Griechen Ihre Zusage begrüssten, veranlasst<br />
mich um die Erfüllung Ihres schönen Vorsatzes<br />
zu bitten.“ DAI-Archiv Berl<strong>in</strong>, Kasten 1.<br />
30 Brief an Familie Uhde vom 1. März 1920. Den<br />
erwähnten Vortrag über das homerische Weltbild<br />
hielt Dörpfeld im Rahmen der sog. „Rosenvorlesungen“,<br />
e<strong>in</strong>er Vorlesungsreihe, die um die<br />
Mitte des 19. Jhs. von C. Goettl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>gerichtet<br />
worden war, um über Subskriptionslisten Gelder<br />
für den Erwerb von Abgüssen bekannter Antiken<br />
oder auch zum Kauf antiker Orig<strong>in</strong>ale zu<br />
bekommen. Von e<strong>in</strong>em Vortrag <strong>in</strong> Augsburg<br />
(quasi auf dem Weg zu se<strong>in</strong>er 1. Griechenlandreise<br />
nach dem 1. Weltkrieg) berichtet Dörpfeld:<br />
„Nach dem Abendessen mußte ich den öffentlich<br />
angekündigten Vortrag halten, zu dem, weil<br />
nichts gezahlt zu werden brauchte, zu viele Menschen<br />
zusammengeströmt waren, sodaß manche<br />
wieder nach Hause gehen mußten.“ Rundbrief<br />
Nr. 1, Br<strong>in</strong>disi 23.3.21.<br />
31 Brief an Goessler vom 25.7.20.<br />
32 Universitätsarchiv <strong>Jena</strong>, Cartellieri-Tagebuch<br />
Nr. 25, 51f. Bei dem Augenarzt und Mediz<strong>in</strong>historiker<br />
Theodor Meyer-Ste<strong>in</strong>eg ließ sich Dörpfeld<br />
später an den Augen behandeln. An se<strong>in</strong>en<br />
Kollegen Hermann Nohl schrieb Cartellieri:<br />
„Dörpfeld ist e<strong>in</strong>seitig, das mag se<strong>in</strong>, aber für<br />
solche Leute habe ich sehr viel übrig; er bohrt<br />
an e<strong>in</strong>er Stelle, aber tief.“ Universitätsarchiv<br />
<strong>Jena</strong>, Cartellieri Nr. 15/1, Brief vom 23. Februar<br />
1920. Zum Verhältnis Dörpfeld – Cartellieri:<br />
M. Ste<strong>in</strong>bach, Des Königs Biograph. Alexander<br />
Cartellieri – 1955), Frankfurt a.M. 2001, 7,<br />
103–114, 212–216.<br />
33 Cartellieri – Tagebuche<strong>in</strong>tragung vom 12. November<br />
1922. Universitätsarchiv <strong>Jena</strong>, Cartellieri-Tagebuch<br />
Nr. 27, 111. Die Vorträge fanden<br />
meist bei Judeich, Cartellieri oder dem Juristen<br />
Rosenthal statt. Am 28. Januar 1923 schrieb<br />
Cartellieri <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Tagebuch: „Heute bei Judeich,<br />
wo Dörpfeld wieder e<strong>in</strong>en sehr schönen, warmen<br />
Vortrag hielt.“ Die beiden genannten Vorträge<br />
werden auch von Dörpfeld <strong>in</strong> den „Daten<br />
me<strong>in</strong>es Lebens“ erwähnt: 12.11.1922 „Vortrag<br />
bei Cartellieri: Athen, Olympia; „Lichtbilder bei<br />
Judeichs“.<br />
34 „Gestern abend hatten wir e<strong>in</strong>ige Kollegen mit<br />
Dörpfeld, heute nachmittag bekommen wir Studenten<br />
zum Tee …“ notierte Cartellieri am 22.<br />
Februar 1920, Cartellieri-Tagebuch Nr. 25,<br />
1920, 32.<br />
35 Se<strong>in</strong>e Vorträge im Kollegenkreis sowie die<br />
Forstspaziergänge waren gewissermaßen das<br />
Pendant zum sog. Montagsklub <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, „e<strong>in</strong>er<br />
freien Gesellschaft von Männern aus den verschiedensten<br />
Berufen, Professoren, Diplomaten,<br />
Beamten usw, mit freier, hochstehender Bildung<br />
und Lebenserfahrung. Bald war er selber <strong>in</strong> diesem<br />
Kreise e<strong>in</strong> besonders angesehenes Mitglied.“<br />
Goessler, wie Anm. 4, 164.<br />
36 „Wegen der Beamtenlehrgänge Samstag 4–5 gehe<br />
ich nur noch Dienstag und Donnerstag, immer<br />
mit Meyer-Ste<strong>in</strong>eg, am Do. kommen auch<br />
Judeich, Dörpfeld, Lietzmann gelegentlich h<strong>in</strong>zu.“<br />
Cartelieri-Tagebuch Nr.27, 1922, 4 unter<br />
dem Datum 15. Januar 1922.<br />
37 „Gestern war e<strong>in</strong> bewegter Tag. Wir g<strong>in</strong>gen auf<br />
den Forst wie gewöhnlich, Lietzmann und Frau<br />
Keller aus Münster und Meyer-Ste<strong>in</strong>eg …, bald<br />
waren wir alle im lebhaftesten übermütigsten,<br />
heitersten Gespräch. Zwischendurch mußte e<strong>in</strong>e<br />
Glückwunschkarte an Dörpfeld geschrieben<br />
werden, die dann gelang. Meyer machte e<strong>in</strong>e<br />
Zeichnung, Lietzmann e<strong>in</strong> paar Verse, wir anderen<br />
unterschrieben.“ Carellieri-Tagebuch Nr. 28,<br />
1923, 101 unter dem Datum 23. Dezember<br />
1923.<br />
38 „Am Donnerstag waren wir … mit Dörpfeld,<br />
Meyer-Ste<strong>in</strong>eg, Nora und Zucker im Pennickental<br />
bei den Grabungen der Göschwitzer und besichtigten<br />
die Kulturschichten. E<strong>in</strong>iges wurde<br />
auch gefunden. Solche geme<strong>in</strong>samen Spaziergänge<br />
s<strong>in</strong>d der Vorzug der kle<strong>in</strong>en Universität.“<br />
Cartellieri-Tagebuch Nr. 25, 1920, 51 unter dem<br />
Datum 4. April 1920.<br />
39 Aus Berl<strong>in</strong>, wo er se<strong>in</strong>en Sohn Fritz besuchte, s.<br />
„Daten me<strong>in</strong>es Lebens“ unter 6. – 9. September<br />
1926.<br />
40 Universitätsarchiv <strong>Jena</strong>, Nachlaß Cartellieri 15/1.<br />
41 H. Sichtermann, Kulturgeschichte der klassischen<br />
Archäologie, München 1996, 332–340,<br />
Zitat 335.<br />
42 So verlegt der Ilias-Dichter das befestigte<br />
Schiffslager der Griechen vor Troia an die Beschik-Bucht.<br />
<strong>Dörpfelds</strong> Grabung am Ort 1924,<br />
„deren Ziel die Aufsuchung des geme<strong>in</strong>samen<br />
Grabhügels des Patroklos und Achill war“, blieb<br />
ergebnislos („Das Schiffslager der Griechen vor<br />
Troja“, In: „Studien zur vorgeschichtlichen Archäologie.<br />
Alfred Götze zu se<strong>in</strong>em 60. Geburtstage“<br />
, hrsg. v. H. Mötef<strong>in</strong>dt, Leipzig 1925,<br />
108
115–121, Zitat 119), mußte ergebnislos bleiben,<br />
weil es sich um e<strong>in</strong>e Fiktion des Dichters<br />
handelte. Vgl. E. Pöhlmann, Die Topographie<br />
der Troas <strong>in</strong> der Ilias: Fiktion und Realität, <strong>in</strong>:<br />
Grazer Beiträge 21, 1999, 26, 30 f.<br />
43 He<strong>in</strong>rich wie Anm. 6, 91 f.<br />
44 Dörpfeld sche<strong>in</strong>t die wissenschaftliche Publikationstätigkeit<br />
nicht <strong>in</strong> ihrer Breite, sondern mehr<br />
selektiv <strong>in</strong> Bezug auf die ihn <strong>in</strong>teressierenden<br />
Fragen und hier wieder auf ihre Verwendbarkeit<br />
für se<strong>in</strong>e Interpretationen verfolgt zu haben. In<br />
diesem S<strong>in</strong>ne macht er beispielsweise Goessler<br />
auf das Buch von D. Fimmen, Die Kretischmykenische<br />
Kultur (Leipzig 1921, 1924 2 ) aufmerksam.<br />
Überhaupt war Goessler se<strong>in</strong> Hauptgesprächspartner,<br />
wenn es um ihn <strong>in</strong>teressierende<br />
Fragen wie Urfirnisware, Hallstattkultur u.ä.<br />
g<strong>in</strong>g. Aufschlussreich für <strong>Dörpfelds</strong> Verständnis<br />
von der Bedeutung der Sekundäliteratur für se<strong>in</strong>e<br />
Arbeit ist <strong>in</strong> gewisser Weise die Anekdote, die<br />
Goessler (s. Anm. 4, 183) erzählt, nämlich dass<br />
dieser, als er 1922 im Krankenhaus weilte, „Die<br />
Arbeit am Odyssee-Buch wiederaufnehmen<br />
konnte, weil er dazu „nur“ den Homer benötigte.“<br />
45 Vieles hatte se<strong>in</strong>en Ursprung <strong>in</strong> Olympia. In<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Karl Watz<strong>in</strong>ger formulierte<br />
Dörpfeld <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Aufsatz, „Die altgriechische<br />
Kunst und Homer“ (Athenische Mitteilungen<br />
50, 1925, 77–111): „Es ist ihm bekannt,<br />
daß ich seit 50 Jahren den Hera-Tempel<br />
von Olympia, unter dessen Fundamenten damals<br />
zahllose Bronzen und Terrakotten primitiven und<br />
geometrischen Stiles gefunden wurden, der Zeit<br />
um 1000 v. Chr. und daher diese Funde alle dem<br />
II. Jahrtausend zuschreibe. … Die H<strong>in</strong>aufdatierung<br />
der orientalischen Kunst bis zur Jahrtausendwende<br />
ist es gewesen, die mir die höhere<br />
Datierung Homers und se<strong>in</strong>er Gedichte nicht nur<br />
gestattete, sondern sogar vorschrieb.“ (82) „Me<strong>in</strong>e<br />
Chronologie der älteren griechischen Kunst<br />
beruht, wie alle Archäologen wissen, <strong>in</strong> erster<br />
L<strong>in</strong>ie auf me<strong>in</strong>er Untersuchung des Heraions<br />
von Olympia und hat sich später … bei me<strong>in</strong>en<br />
weiteren Ausgrabungen und Studien immer<br />
mehr bestätigt.“ (84) Erst 1966 gelang es Alfred<br />
Mallwitz mit e<strong>in</strong>igen gezielten Sondagen <strong>Dörpfelds</strong><br />
Frühdatierung des Heraion zu widerlegen.<br />
46 Friedrich Krischen (1881–1949), Architekt und<br />
Archäologe, war von 1919–1924 ordentl. Professor<br />
für das Fachgebiet der antiken und mittelalterlichen<br />
Baukunst an der TH Aachen. Als Zeichner<br />
war es ihm möglich, archäologische Befunde <strong>in</strong><br />
anschaulicher und lebendiger Weise darzustellen.<br />
Nicht 20, sondern nur 17 Zeichnungen von Krischen<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>des <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Mappentasche dem gedruckten<br />
Odyssee-Buch beigefügt.<br />
47 Goessler, s. Anm. 4, 192 ff.; Goessler bezieht<br />
sich auf den Brief von Friedrich Koepp, datiert<br />
Gött<strong>in</strong>gen 31.12.24 – DAI-Archiv Berl<strong>in</strong>: „Verehrter<br />
Freund, … Die Form der Zustimmung<br />
kann ich dem Dank nicht geben und mag deshalb<br />
auch die Anregung des Verlegers, über das<br />
Buch mich öffentlich vernehmen zu lassen, nicht<br />
folgen. Ich hege gegen Ihr ganzes Vorgehen<br />
grundsätzlich schwere Bedenken, fühle mich<br />
aber gar nicht berufen, <strong>in</strong> diesen Fragen öffentlich<br />
das Wort zu ergreifen. „<br />
48 Brief an Dörpfeld vom 16. Januar 1925: „Sie<br />
haben mir mit Ihrem freundlichen Brief und der<br />
Übersendung e<strong>in</strong>e große und bleibende Freude<br />
gemacht. Aber so kam es, daß ich Ihr Werk gleich<br />
im Zusammenhang ungestört durchlesen konnte<br />
und das möchte ich allen Ihren Lesern wünschen,<br />
um davon e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen E<strong>in</strong>druck zu<br />
haben, nämlich daß Ihnen hier e<strong>in</strong> großer Wurf<br />
gelungen ist. Der Gedanke, den ursprünglichen<br />
Zusammenhang der „Urodyssee“ durch den logischen<br />
Faden der fortlaufenden Erzählung wiederherzustellen,<br />
ist großartig. Die bisherige Homerkririk<br />
hat seit 100 Jahren den Text nach den<br />
erdenklichsten Richtungen zerschnitten und zusammengesetzt<br />
– ist aber nie über die Iliossektion<br />
h<strong>in</strong>ausgekommen und hat auch noch nicht<br />
1 Gesang Homers oder e<strong>in</strong>es Rhapsoden wieder<br />
zum Leben erweckt. … Darum haben Sie wohl<br />
auch Recht: Die Philologen werden Sie schwerlich<br />
gew<strong>in</strong>nen; dagegen möchte ich, ohne die <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Seher verwandelte Athena zu se<strong>in</strong>, Ihnen<br />
e<strong>in</strong> anderes voraussagen: Die Odyssee <strong>in</strong> Ihrer<br />
Gestalt wird die Runde über die Erde machen<br />
und viele Freunde gew<strong>in</strong>nen, die ihrer bisherigen<br />
Form fern gestanden haben.“<br />
49 Zu nennen s<strong>in</strong>d vor allem die Besprechungen<br />
von Albert Herrmann, Deutsche Literaturzeitung<br />
47, 1929, 996–1003 und Engelbert Drerup,<br />
Philologische Wochenschrift 46, 657–678. Die<br />
„feste und wertvolle Grundlage zur Wiederherstellung<br />
des ursprünglichen Kunstwerkes“, die<br />
Dörpfeld glaubte gewonnen zu haben, erschien<br />
Drerup als Fundament „e<strong>in</strong>es nur mit der Elle<br />
messenden Maurermeisters, der die künstlerische<br />
Konzeption e<strong>in</strong>es dorischen Tempels <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
Zahlenschema glaubt e<strong>in</strong>gefangen zu haben<br />
(660) und <strong>Dörpfelds</strong> Werk dementsprechend als<br />
die „Verballhornung e<strong>in</strong>es der kostbarsten Schätze<br />
der Weltkultur“ (674). Für die Wertung der<br />
109
Arbeiten gilt, was Albert Herrmann zusammenfassend<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Besprechung fixierte. „Fassen<br />
wir zum Schlusse unser Urteil über D.’s Werk zusammen,<br />
so ist zu sagen, daß es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Hauptergebnissen<br />
leider verfehlt ist, daß aber e<strong>in</strong>ige<br />
gute E<strong>in</strong>zelergebnisse e<strong>in</strong>en gewissen Fortschritt<br />
<strong>in</strong> der Homerforschung bedeuten“ (1003). Die<br />
Besprechung der archäologischen Grundlagen<br />
des Dörpfeld-Rüterschen Werkes erfolgte durch<br />
Carl Watz<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Aufsatz „Die griechische<br />
Heroenzeit und Homer“, Neue Jahrbücher<br />
2, 1926, 1–19 mit dem Fazit: „Dörpfeld (setzt)<br />
sich dauernd <strong>in</strong> Widerspruch zu den Tatsachen<br />
des archäologischen Befundes“ (11). Der<br />
<strong>Jena</strong>er Historiker Cartellieri schrieb Dörpfeld<br />
(29.4.1924): „Wenn ich mir erlauben darf, für Ihre<br />
Methode e<strong>in</strong>e Formel zu suchen, so würde ich<br />
sagen: Sachkritik anstelle von Wortkritik, mit Betonung<br />
der zur naturwissenschaftlichen Sicherheit<br />
überleitenden Spatenforschung und zweitens<br />
Gesamtkritik statt E<strong>in</strong>zelkritik. Bei Ihrer Beweisführung<br />
hat man den E<strong>in</strong>druck, dass die sich zuerst<br />
stossenden E<strong>in</strong>zelergebnisse (wie unbehauene<br />
Ste<strong>in</strong>e) immer neu aufgeschichtet wurden,<br />
bis sie endlich zusammenpassten und tragfähig<br />
wurden. Ihre Aufmerksamkeit blieb dauernd auf<br />
das ganze Haus und nicht bloss auf den e<strong>in</strong>en<br />
oder anderen Raum gerichtet, Analyse und Synthese<br />
mussten neben e<strong>in</strong>ander angewandt werden.“<br />
DAI-Archiv Berl<strong>in</strong>, Kasten1.<br />
50 Dörpfeld, „Daten me<strong>in</strong>es Lebens“, 78. Die Frage<br />
der Druckkosten sowie ihre Absicherung<br />
durch Zuschüsse von Gönnern und Sponsoren<br />
wird vor allem im Briefwechsel zwischen Dörpfeld<br />
und se<strong>in</strong>em Schwiegersohn Richard Uhde<br />
erörtert.<br />
51 Zur Genese der <strong>Dörpfelds</strong>chen Ithaka-Leukas-<br />
Auffassung vgl. Goessler, s. Anm. 4, 112–129;<br />
zur Ithaka-Frage zuletzt: U. Ott, Ithaka, <strong>in</strong>: Charakteristika<br />
Bd. 40, Dankesgabe an Hildebrecht<br />
Hommel zum 85. Geburtstag, Hildesheim u.a.<br />
1988, 100–125; W. Sieberer, Zur Lokalisation<br />
des homerischen Ithaka, Tyche 5, 1990,<br />
149–164; M Ste<strong>in</strong>hart, Aus der Heimat des<br />
Odysseus: Reisende, Grabungen und Funde auf<br />
Ithaka und Kephallenia bis zum ausgehenden<br />
19. Jahrhundert, Ma<strong>in</strong>z 2002, 189–192.<br />
52 H. Kyrieleis, Zu den Anfängen des Heiligtums<br />
von Olympia, <strong>in</strong>: Kyrieleis, Olympia (s. Anm. 5),<br />
213–219; J. Rombach, Olympia. 2500 Jahre<br />
Vorgeschichte vor der Gründung des eisenzeitlichen<br />
griechischen Heiligtums, ebenda,<br />
171–212; ders., <strong>Dörpfelds</strong> Bau VII <strong>in</strong> der Altis<br />
von Olympia: E<strong>in</strong> früheisenzeitliches Apsidenhaus<br />
und Haus des O<strong>in</strong>omaos?, Archäologischer<br />
Anzeiger 2002, 119–134.<br />
53 A. v. Gerkan, Die gegenwärtige Lage der Bauforschung<br />
<strong>in</strong> Deutschland, <strong>in</strong>: Von antiker Architektur<br />
und Topographie“, hrsg. v. E. Boehr<strong>in</strong>ger,<br />
Stuttgart 1959, 11.<br />
54 J. Cobet, H.J. Gehrke, Warum um Troia immer<br />
wieder streiten?, <strong>in</strong>: Geschichte <strong>in</strong> Wissenschaft<br />
und Unterricht 53, 2002, 290–325, bes.<br />
306 f.<br />
55 W. Gauer, Die Aegaeis, Hellas und die Barbaren,<br />
Saeculum 49, 1998, 40–49.<br />
56 H.G. Niemeyer, Die frühe phönizische Expansion<br />
im Mittelmeer, Saeculum 50, 1999, 153–175;<br />
R. Roll<strong>in</strong>ger, Homer, Anatolien und die Levante:<br />
Die Frage der Beziehungen zu den östlichen<br />
Nachbarkulturen im Spiegel der schriftlichen<br />
Quellen, <strong>in</strong>: Der neue Streit um Troja: E<strong>in</strong>e Bilanz“,<br />
hrsg. v. Chr. Ulf, München 2003, 330–348.<br />
57 U. S<strong>in</strong>n, Archäologischer Befund – literarische<br />
Interpretation, Möglichkeit und Grenzen der Interpretation,<br />
<strong>in</strong>: „Der neue Streit um Troia“ (s.<br />
Anm. 56), 39–61.<br />
58 Ebenda, bes. die Beiträge von Chr. Ulf, Wozu e<strong>in</strong>e<br />
Bilanz?, 9–15; J. Cobet, Vom Text zur Ru<strong>in</strong>e.<br />
Die Geschichte der Troia-Diskussion, 19–38;<br />
H.-J. Gerke, Was ist Vergangenheit? oder Die<br />
Entstehung von Vergangenheit, 62–81; D. Hertel,<br />
Die Gleichsetzung e<strong>in</strong>er archäologischen<br />
Schicht mit dem homerischen Ilios, 84–104; F.<br />
Kolb, War Troia e<strong>in</strong>e Stadt?, 121–145. Vgl. ferner:<br />
M. Korfmann, Troja, Stuttgart 1998; H.<br />
Blum, Anatolien, die Ilias und die sogenannte<br />
„Kont<strong>in</strong>uitätsthese“, Klio 84, 2002, 275–318;<br />
D.F. Easton u.a., Troy <strong>in</strong> recent perspective,<br />
Anatolian studies 52, 2002, 75–109.<br />
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