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Religion und Tod Meine sehr verehrten Damen und Herren, im ...

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werden. Die Arbeit am Buch war ihre ars moriendi, ihre Auseinandersetzung mit der<br />

eigenen Sterblichkeit.<br />

Fulbert Steffensky hat diesen unvollendeten Text nach ihrem <strong>Tod</strong>e veröffentlicht. Er<br />

beginnt mit einem Brief, den ich Ihnen vorlesen möchte:<br />

„Dear Mr. Death<br />

Sehr geehrter Herr <strong>Tod</strong>,<br />

ich kenne Ihre Adresse nicht, weiß aber, dass Sie über eine ungeheure Anzahl von<br />

Angestellten, Bediensteten <strong>und</strong> gut bezahlten Beratern in ihrem erfolgreichen<br />

Unternehmen verfügen. Ich habe eine Bitte an Sie <strong>und</strong> wünsche mir, dass Sie diese<br />

Nachricht durchlesen <strong>und</strong> an einen Zuständigen weitergeben.<br />

Seit über dreißig Jahren lebe ich in einer großen Liebe. Ich habe keine Angst vor<br />

Ihnen, Mr. Death, eher Angst vor den vielen Schläuchen <strong>und</strong> Leitungen <strong>im</strong><br />

Krankenhaus, die Sie abzuhalten oder aufzuschieben versuchen. Ich bin mit dem<br />

„Meister aus Deutschland“ aufgewachsen <strong>und</strong> weiß Einiges über die „schwarze Milch<br />

der Frühe“, die heute vorbereitet wird. Es ist mit bewusst, dass wir nach Ihrer Pfeife<br />

zu tanzen haben, <strong>und</strong> ich, in viele Kämpfe gegen Ihre Angestellten verstrickt, fürchte<br />

mich nicht. Was ich fürchte, ist das Alleingelassen werden, wenn mein Lache- <strong>und</strong><br />

Weinpartner von mir fort muss. Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass ich in diesem<br />

Falle Ihnen entgegenkommen würde, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln.<br />

Aber es wäre anders, wenn wir beide zusammen gehen könnten.<br />

Mein Partner weiß, dass ich vor seinem Abgang mehr Angst als vor meinem habe. Er<br />

ist fähig, sich zu wünschen, dass er etwas länger bleibt. Bei dieser Prüfung versage<br />

ich. Ich kann es mir einfach nicht wünschen – <strong>und</strong> Sie wissen selbstverständlich,<br />

dass Wünschen ein anderes Wort für Beten ist. Vielleicht ist seine Liebe größer als<br />

meine, obwohl ich das nicht gern zugebe. Manchmal vermute ich, dass Liebe – falls<br />

wir wissen, was wir mit diesem Wort sagen – das Einzige ist, wovor Sie Respekt<br />

haben.<br />

In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, uns nicht zu trennen.“<br />

So ist es nicht gekommen; aber Dorothee Sölle hat ihren Mann auch nicht überleben<br />

müssen. Es ist alles drin, in diesen Zeilen: die Angst vor der Ohnmacht <strong>im</strong> Sterben<br />

angesichts einer stetig verbesserten <strong>und</strong> unter ökonomischem Druck stehenden<br />

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