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Religion und Tod Meine sehr verehrten Damen und Herren, im ...

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<strong>Religion</strong> <strong>und</strong> <strong>Tod</strong><br />

von Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber<br />

<strong>Meine</strong> <strong>sehr</strong> <strong>verehrten</strong> <strong>Damen</strong> <strong>und</strong> <strong>Herren</strong>,<br />

<strong>im</strong> vergangenen Jahr veröffentlichte der Soziologe <strong>und</strong> Theologe Re<strong>im</strong>er<br />

Gronemeyer ein Buch mit dem Titel „Sterben in Deutschland – Wie wir dem <strong>Tod</strong><br />

wieder einen Platz in unserem Leben einräumen können“ 1 . In diesem Buch vertritt<br />

er die These, dass der <strong>Tod</strong> wieder einen Platz in unserem Leben brauche, denn je<br />

älter unsere Gesellschaft werde, um so dringender stelle sich die Frage nach<br />

unserem Umgang mit dem Lebensende. Die medizinischen Möglichkeiten der<br />

Lebensverlängerung, so Gronemeyer, seien fast unbegrenzt, doch viele<br />

wünschten sich einen plötzlichen, schmerzfreien <strong>Tod</strong>. Auffallend in dieser<br />

Kurzfassung des Anliegens auf dem Klappentext ist, dass zwischen Sterben <strong>und</strong><br />

<strong>Tod</strong> nicht hinreichend differenziert wird. Im weiteren Verlauf der Ausführungen des<br />

Buches geschieht dies dann wohl, dennoch ist diese Beobachtung eventuell<br />

symptomatisch. Nach meiner Beobachtung kann man nicht mehr von einer<br />

Tabuisierung des Themas Sterben in Deutschland reden, dafür aber ist das<br />

Thema <strong>Tod</strong> ausgegrenzt.<br />

Ehe ich zu dem mir gestellten Thema komme, möchte ich in einem Vergleich von<br />

zwei lyrischen Gedichten aus den 60iger Jahren die unterschiedliche Sicht von<br />

zwei Lyrikern, die sich mit den Wechselwirkungen von Leben <strong>und</strong> <strong>Tod</strong><br />

beschäftigen, kurz skizzieren.<br />

Jorge Luis Borge in seinem Gedicht „Grenzen“:<br />

„Es gibt eine Verszeile von Verlaine, die mir nicht einfallen wird,<br />

es gibt eine Straße in der Nachbarschaft, die meinen Schritten verboten ist,<br />

es gibt einen Spiegel, der mich zum letzten Mal erblickt hat,<br />

es gibt eine Tür, die verschlossen bleibt bis ans Ende der Welt,<br />

unter den Büchern in meiner Bibliothek (ich habe sie vor mir) ist eines, das ich nie<br />

mehr aufschlagen werde. Diesen Sommer werde ich 50 Jahre alt; der <strong>Tod</strong><br />

verhehrt mich, unablässig.“ 2<br />

1 Re<strong>im</strong>er Gronemeyer, Sterben in Deutschland – Wie wir dem <strong>Tod</strong> wieder einen Platz in unserem<br />

Leben einräumen können, Frankfurt 2007<br />

2<br />

Borges <strong>und</strong> Ich, 1963, 124<br />

1


In diesem Gedicht wird das Leben als Abnahme von Lebensmöglichkeiten beklagt.<br />

In einer Reihung werden unterschiedliche Erscheinungen aufgezählt, die dem<br />

lyrischen Ich außerordentlich wichtig sind: Verszeile, Straße, Spiegel, Tür, Bücher.<br />

Dabei handelt es sich um Dinge, die Ergebnis des zivilisatorischen Prozesses <strong>und</strong><br />

der Kultur sind. Nicht ohne Gr<strong>und</strong> rahmen daher wohl die Verszeile von Verlaine<br />

<strong>und</strong> der Blick auf die Bücher die Sequenz ein, in deren Mitte der Spiegel steht. Der<br />

Spiegel aber ist, das wissen wir aus eigener Erfahrung, das Instrument der<br />

Selbstwahrnehmung. Die Buchwelt ist die He<strong>im</strong>at des Intellektuellen. Die Reihe<br />

von Negationen beschreibt die Abnahme von Lebensmöglichkeiten. Der <strong>Tod</strong> ist<br />

Verlust, er ist Beraubung des Menschen. Insofern bewirkt der bevorstehende <strong>Tod</strong><br />

schon jetzt eine Abnahme der Lebensmöglichkeiten.<br />

Ganz anders in dem Gedicht „Abschied“ von Günter Eich:<br />

„In der St<strong>und</strong>e X werde ich dennoch denken, dass die Erde schön war. Ich werde<br />

an die Fre<strong>und</strong>e denken, an die Güte, die ein hässliches Gesicht schön macht, an<br />

die Liebe, die die Augen verzaubert. Ich werde an den H<strong>und</strong> denken, meinen<br />

Spielgefährten als ich ein Kind war, an die blauen Lupinen der Samlandküste<br />

während eines Ferienbesuchs, ich werde noch einmal die langen Schatten der<br />

Tannen sehen auf der Bauernschmied-Alm <strong>und</strong> mit Emmi Gruber auf den Geberer<br />

gehen, ich werde mich erinnern an die Vogelzüge über dem Flugplatz von<br />

Märkisch-Friedland, an den Geruch des Bierkellers <strong>im</strong> Gasthaus Zum Hirschen<br />

das meinem Großvater gehörte, an Hol<strong>und</strong>er, Raps <strong>und</strong> Mohn, flüchtig gesehen<br />

von einem Zugfenster aus, an das Erröten der 14jährigen Gabriele Dembitza, an<br />

die roten <strong>und</strong> grünen Lichter eines Flugzeugs das unter dem Sternbild der<br />

Kasiopeja dahinflog, an den Tanz unter den Lampions des Quatorze Juillet, an<br />

den Duft von Obst morgens an den Verkaufsständen vorm Schloss in Celle, ich<br />

werde denken an den Herzschlag der Eidechse die mich erblickt hat, <strong>und</strong> an ein<br />

Gedicht <strong>im</strong> „West-östlichen Divan“, das mich tröstete. 3<br />

In diesem Gedicht wird der <strong>Tod</strong> als der Sammelpunkt der Lebenseindrücke<br />

dargestellt. Auch dieses Gedicht ist durch eine Reihung <strong>und</strong> Aufzählung<br />

gegliedert. Eine doppelte Zeitbewegung charakterisiert diese Sammlung, nämlich:<br />

in der Zukunft – be<strong>im</strong> <strong>Tod</strong> – wird die Vergangenheit in der Vielzahl ihrer<br />

geglückten Begegnungen vergegenwärtigen. Dabei sind es vier Bereiche, die<br />

3 Günter Eich, Träume, Frankfurt 1966<br />

2


genannt werden. Einmal Menschen, dann die Natur, Technik <strong>und</strong> Zivilisation <strong>und</strong><br />

die Dichtung. Diese Erfahrungen <strong>und</strong> Begegnungen sind zwar auch von<br />

Vergänglichkeit geprägt, dennoch wird das Leben als ein Wachstumsprozess, der<br />

reicher macht, beschrieben, wobei der Gedanke an den <strong>Tod</strong> offenbar geradezu<br />

öffnet für die flüchtige Schönheit des Lebens. Der in dem Gedicht Sprechende<br />

sieht sich in einer deutlichen Zuwendung zur Welt <strong>und</strong> zu den anderen Menschen.<br />

Das Gedicht Borges hingegen bezieht alle Begegnungen, Menschen kommen<br />

übrigens nicht vor, ausschließlich auf die eigene Person. Gerade dadurch wird der<br />

<strong>Tod</strong> aber beschrieben als der Verlust der Gegenstände.<br />

Einen weiteren schärfenden Aspekt bringt ein Aphorismus von Epikur: „Das<br />

schauerlichste Übel, der <strong>Tod</strong>, geht uns nicht an; denn solange wir existieren, ist<br />

der <strong>Tod</strong> nicht da; wenn er aber da ist, so existieren wir nicht mehr.“ (Epikur 341 bis<br />

270 vor Christus)<br />

Eich <strong>und</strong> Epikur st<strong>im</strong>men darin überein, dass man das Leben in seinen guten<br />

Seiten sehen soll. Für Epikur bedeutet dies allerdings Verdrängung des <strong>Tod</strong>es,<br />

wohingegen Eich die Situation so best<strong>im</strong>mt, dass er den <strong>Tod</strong> gewissermaßen als<br />

einen Verstärker für die Wahrnehmungsfähigkeit hinsichtlich der guten Seiten des<br />

Lebens beschreibt.<br />

Kontrastiere ich nun die beschriebenen Erscheinungsbilder <strong>und</strong> Wahrnehmungen<br />

von Leben <strong>und</strong> <strong>Tod</strong> mit meiner persönlichen Sicht bzw. Erfahrung, so entwickelt<br />

sich hieraus noch einmal ein neueres Bild <strong>und</strong> es entsteht eine Annäherung an die<br />

<strong>Tod</strong>esgrenze zumindest <strong>und</strong> die Begegnung mit dem Toten, in dessen kaltem<br />

Körper der <strong>Tod</strong> nunmehr Gestalt gewonnen hat, in die Sie auf je eigene Weise<br />

wahrscheinlich eigene Erfahrungen <strong>und</strong> Erlebnisse einbinden können. Es gilt<br />

natürlich auch, dass die Begegnung mit Toten ein Nachdenken über den eigenen<br />

<strong>Tod</strong> bzw. genauer gesagt über das eigene Sterben auslöst.<br />

<strong>Meine</strong> Erfahrungen mit dem <strong>Tod</strong><br />

Im Alter von sechs Jahren habe ich die erste bewusste Begegnung mit dem <strong>Tod</strong>,<br />

bzw. einem Toten erleiden müssen. Ich sage hier bewusst, erleiden müssen, weil<br />

3


die Wirkungen bewusster <strong>und</strong> unbewusster Art, die diese Erfahrung auslöste, mich<br />

lange begleitet haben.<br />

1955 verunglückte mein Bruder auf der Fahrradrückfahrt von einer<br />

Jugendbegegnung. Notarzt, Hilfen <strong>und</strong> ähnliches waren eher unbekannt, so dass<br />

der äußerlich kaum Verletzte mit einem Pkw in das elterliche Haus gebracht<br />

wurde. Ich kann mich <strong>sehr</strong> gut erinnern, wie er ein wenig langsamer, aber nicht<br />

weniger lebensfroh als sonst in das Haus kam, eine kleine, feine Blutspur am<br />

rechten Ohr blieb mir <strong>im</strong> Gedächtnis, um dann zu weiteren Untersuchungen ins<br />

Krankenhaus gefahren zu werden. Das war meine letzte Begegnung mit ihm, denn<br />

in der darauf folgenden Nacht verstarb er <strong>im</strong> Krankenhaus.<br />

Der Eintritt des <strong>Tod</strong>es in ein bis dahin geregeltes <strong>und</strong> den familiären Ordnungen<br />

folgenden Leben hatte unmittelbare gravierende Folgen. Der Tote wurde am<br />

nächsten Tag in das elterliche Haus, also in unser Haus, überführt. Hierzu wurde,<br />

vielleicht haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht, ein Z<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Wohnhaus<br />

mehr oder weniger geräumt <strong>und</strong> als – wir würden heute sagen – Friedhofskapelle<br />

hergerichtet. Der Tote wurde <strong>im</strong> offenen Sarg aufgebahrt. Für mich eine<br />

ungeheuere Erfahrung, die mit den Erinnerungen an den Vorabend nicht zu<br />

vereinbaren war. Der eben noch nahe Bruder wurde zum fremden, toten „Objekt“,<br />

mit dem Unbegreifliches vorgegangen war <strong>und</strong> der auf nicht nachvollziehbare<br />

Weise sich aus dem Leben davon gemacht hatte.<br />

Und dann die Rituale:<br />

Im Haus wurden die Uhren angehalten, die Spiegel verhängt <strong>und</strong> in den folgenden<br />

Tagen die bis zur Beisetzung blieben, verschwand alles bis dahin vertraute Leben.<br />

Auch eine ganz andere Kleiderordnung galt fortan. Ich kann mich erinnern, dass in<br />

der Folge des <strong>Tod</strong>es des Sohnes meine Mutter jahrelang sich nur mit schwarzer<br />

Kleidung kleidete. Dass dieses äußere Erscheinungsbild, das natürlich auch ein<br />

Spiegel der inneren Verfasstheit der Trauernden war, nicht ohne Wirkung auf die<br />

Gesamtsituation <strong>und</strong> den psychosozialen Haushalt in einer Familie bleiben konnte,<br />

sei dahingestellt. Am Tag der Beisetzung sammelten sich vor dem Haus eine<br />

Vielzahl von Menschen, die als Trauerzug den Toten <strong>und</strong> seine Familie zum<br />

Friedhof begleiten wollten. Ich erinnere mich noch <strong>sehr</strong> prägnant an den<br />

Leichenwagen, ein schwarzes, mit Tüchern geschmücktes Gefährt, urnenähnliche<br />

Aufbauten über dem Baldachin, der den Platz überkrönte, auf dem der Sarg<br />

stehen sollte <strong>und</strong> die schwarzen Pferde mit ihren großen Augenklappen, die sie<br />

4


vor Irritationen bewahren sollten. Es war alles in allem ein durchaus für den<br />

6jährigen damals gespenstischer Anblick. Der Zug zog dann gut ½ St<strong>und</strong>e durch<br />

den Ort, eine Trauerfeier fand statt, die sich an die Rituale hielt <strong>und</strong> die es erlaubte<br />

<strong>und</strong> ermöglichte, den <strong>Tod</strong>, den unverhofften <strong>und</strong> unfassbaren <strong>Tod</strong> zu ertragen <strong>und</strong><br />

vom Toten Abschied zu nehmen. Der Abschied war ein Abschied der<br />

Gemeinschaft, in der die Familie <strong>und</strong> auch der Verstorbene ihren Ort hatten. Er<br />

war umrahmt durchaus von Musik, durchaus auch damit, dass die Anwesenden<br />

Choräle sangen, das heißt ihrer bedrängten Seele, die sonst keine andere Form<br />

der Mitteilungsmöglichkeiten hatte, ein „Ventil“ schenkten, um damit alles das was<br />

unsagbar war, zumindest zu artikulieren. Der <strong>Tod</strong> wurde gedeutet durch die<br />

Predigt des Pfarrers <strong>und</strong> in seiner ganzen Schrecklichkeit dann doch in den<br />

Horizont der Auferstehung gestellt. Ich habe in meiner Diensttätigkeit als<br />

Gemeindepfarrer vor allen Dingen in den 70iger Jahren noch <strong>im</strong>mer wieder<br />

ähnliches erlebt: dass Tote <strong>im</strong> Haus aufgebahrt wurden, der <strong>Tod</strong> damit<br />

gegenständlich <strong>und</strong> körperlich präsent war, auch in seiner Veränderung <strong>und</strong> in<br />

seiner kalten Kraft, die er ausübte, zugleich aber auch die Menschen<br />

aufnehmende <strong>und</strong> bewahrende Kraft der Gemeinschaft, die es nicht zuließ, dass<br />

der <strong>Tod</strong> die Zurückbleibenden isolierte.<br />

In meiner ersten Gemeinde sah dies so aus, <strong>und</strong> damit haben wir die Elemente<br />

des rituellen <strong>und</strong> des kulturellen, <strong>und</strong> damit auch die Elemente einer jeglichen<br />

<strong>Religion</strong>, die mit dem <strong>Tod</strong> umgehen muss, vor Augen. Wenn das Gemeindeglied<br />

<strong>im</strong> Krankenhaus verstorben war, wurde er aus der nahen Kreisstadt am Tag nach<br />

dem <strong>Tod</strong> von einem Bestatter gewissermaßen nach Hause gebracht. Am<br />

Ortseingang hielt der Wagen an <strong>und</strong> ein Mitarbeiter des Bestatters ging in<br />

würdiger Kleidung (mit Zylinder <strong>und</strong> Gehrock) vor dem Leichenwagen her <strong>und</strong><br />

geleitete ihn bis zum Trauerhaus. Hier wurde er aufgebahrt. Währenddessen war<br />

es Aufgabe des Pfarrers, mit den Nachbarn <strong>und</strong> der Trauerfamilie <strong>im</strong><br />

Nebenz<strong>im</strong>mer diese St<strong>und</strong>e der Aufbahrung auszuhalten. Es wurde <strong>im</strong><br />

Wechselgespräch an das Leben des Verstorbenen erinnert, es wurde behutsam<br />

<strong>und</strong> zurückhaltend gegessen <strong>und</strong> getrunken <strong>und</strong> nach ca. einer St<strong>und</strong>e lud der<br />

Bestatter die <strong>im</strong> Nebenraum Anwesenden zum Toten oder zur Toten an den<br />

offenen Sarg ein. Ich habe mehr als 150 mal von 1972-1983 in einem<br />

Küstenbadeort an der Nordsee am offenen Sarg mit den Anwesenden - vor allem<br />

5


der Trauerfamilie - angesichts des <strong>Tod</strong>es <strong>und</strong> in Gegenwart des Toten, aber in<br />

dessen vertrauter <strong>und</strong> gewohnter Umgebung, die He<strong>im</strong>kehr andachtsmäßig<br />

gestaltet <strong>und</strong> zugleich das Sinnangebot, das meine <strong>Religion</strong> zur Verfügung stellt,<br />

in seinen Texten, in seinen Überzeugungen <strong>und</strong> in seinen Ritualen zur Sprache<br />

gebracht.<br />

Am nächsten Tag läuteten um 11:00 Uhr die Glocken <strong>und</strong> teilten der örtlichen<br />

Gemeinde mit, dass einer oder eine aus ihrer Mitte nicht mehr ist <strong>und</strong> dass der<br />

<strong>Tod</strong> unter ihnen ist. Am darauf folgenden Tag dann erklang die Sterbeglocke <strong>und</strong><br />

lud zur Trauerfeier ein. Auch hier fand die Trauerfeier in der Kirche, also am Ort<br />

der <strong>Religion</strong>, statt <strong>und</strong> der Sarg wurde in der Kirche aufgebahrt. Von dort aus<br />

wurde die Beisetzung auf dem Friedhof vorgenommen.<br />

Gelegentlich denke ich, dass es ein großer Kulturverlust <strong>und</strong> auch ein deutlicher<br />

Schritt zur Ausgrenzung des <strong>Tod</strong>es aus der jeweils örtlichen Gemeinschaft war,<br />

dass die Friedhöfe in den letzten 30 Jahren nicht mehr als Kirchhöfe gestaltet<br />

wurden, sondern als Friedhöfe, die irgendwo zwischen den verschiedenen<br />

Ortsteilen, mitunter sogar auf freiem Feld ihren Platz fanden. Damit ist bei aller<br />

organisatorischen Notwendigkeit eine Ausgrenzung nicht nur des <strong>Tod</strong>es, sondern<br />

auch der Toten geschehen, die dazu geführt hat, dass mancher junge Mensch<br />

zwar die vielen Gesichter des <strong>Tod</strong>es aus Literatur, Funk <strong>und</strong> Fernsehen <strong>und</strong> aus<br />

den Medien kennt <strong>und</strong> dennoch aber die konkrete Erfahrung mit dem, was <strong>Tod</strong><br />

heißt, nicht kennt. Der <strong>Tod</strong> ist tabuisiert, der Ort der Toten „draußen vor der Tür“.<br />

Die Ausgrenzung von <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> Toten aus der Gesellschaft<br />

Der <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> die Toten werden als ein Fremdkörper der jeweiligen Gesellschaft<br />

ausgegrenzt <strong>und</strong> gewissermaßen entsorgt. Dabei gehören sie zur Gemeinschaft<br />

derer, die ja ebenfalls durch den <strong>Tod</strong> begrenzt lebt. Das memento mori der alten<br />

Zeit, das „Lebe so, dass du jederzeit sterben kannst“, war <strong>im</strong>mer auch eine<br />

Lebenslehre. Da aber dieses memento mori nur noch mehr oder weniger virtuellen<br />

oder medialen Charakter hat, kann man eventuell verallgemeinernd sagen, dass<br />

der <strong>Tod</strong> aus dem Alltag, aus Kindheit <strong>und</strong> aus dem Erwachsenenalltag<br />

verschw<strong>und</strong>en ist. Er ist zum Altersphänomen oder zum Ausnahmephänomen<br />

geworden <strong>und</strong> findet <strong>im</strong> Wesentlichen in Krankenhäusern <strong>und</strong> Pflegehe<strong>im</strong>en <strong>und</strong><br />

Hospizen statt. Dadurch ist er noch unbegreiflicher geworden als er es schon<br />

<strong>im</strong>mer gewesen ist. Vielleicht spiegelt sich darin aber auch das Problem, dass der<br />

6


<strong>Tod</strong>, wenn er existenziell betrachtet wird als der eigene <strong>Tod</strong>, zu einem Störenfried<br />

für einen wird, der der Frage nach dem Sinn nicht mehr standhalten kann oder<br />

will. Vielleicht gibt es sogar ein Interesse der Gesellschaft den <strong>Tod</strong> zu isolieren,<br />

indem man ihn als ein einzelnes Phänomen betrachtet, das keinen Bezug zum<br />

eigentlichen Leben hat, denn er tritt ja vorwiegend dort ein, wo durch Unfälle,<br />

Mängel in technischen <strong>und</strong> industriellen Abläufen erkennbar werden, wo die<br />

medizinische Wissenschaft oder Technik nicht mehr weiterhelfen kann, sodass er<br />

zugleich heruntergespielt <strong>und</strong> in die Kategorie der noch zu lösenden Probleme<br />

eingeordnet wird. Auf diese Weise wird er in den technischen <strong>und</strong> instrumentellen<br />

Bereich verdrängt. Wie aber antworten Eltern ihren Kindern, die angesichts des<br />

<strong>Tod</strong>es beispielsweise der Großeltern fragen: „Wo ist der Großvater jetzt?“ Diese<br />

Frage umfasst den tiefen religiösen Aspekt, sie öffnet sich hin zur Eschatologie,<br />

sie ist aber auch eine Frage, die nach einem konkreten Ort fragt.<br />

Differenzieren zwischen Sterben <strong>und</strong> <strong>Tod</strong><br />

Die Aufgabe wird sein, <strong>sehr</strong> genau zwischen unserer Rede vom Sterben <strong>und</strong><br />

dessen Erfahrung <strong>und</strong> dem Phänomen, bzw. dem Zustand des <strong>Tod</strong>es zu<br />

differenzieren. In der von mir gesichteten Literatur wird es in vielen Fällen nicht<br />

mehr getan. So meint Gronemeyer in dem bereits eingangs zitierten Buch wörtlich:<br />

„Sterben ist in aller M<strong>und</strong>e. Von einem Tabu kann nicht mehr die Rede sein.“ (155)<br />

Er spricht sodann von einer a-mortalen Gesellschaft, in der abgelebt aber nicht<br />

mehr gestorben werde. Seine Folgerung: er meint, dem <strong>Tod</strong> drohe heute das<br />

Gleiche wie dem Eros, er werde radikal enttabuisiert in ökonomische, planerische<br />

kontrollierende Abläufe eingepasst <strong>und</strong> damit entschärft. (156)<br />

Ich denke, es ist erforderlich, dass ich an dieser Stelle einen kurzen Exkurs über<br />

den Begriff des Tabus einführe. Frühe Ethnologen haben den Ausdruck Tabu für<br />

den scheuen, meist ritualisierten Umgang mit „heiligen“ Objekten verwendet.<br />

„Tabus dienen, so war die Vorstellung einer affektiv stabilisierten Einhaltung,<br />

symbolischer Grenzen. Hier erinnert noch der gehemmte, von starken Gefühlen<br />

besetzte Umgang mit dem menschlichen Leichnam. Das von Tabus umstellte<br />

Heilige schien für die Stammesangehörigen attraktiv <strong>und</strong> abschreckend zugleich<br />

zu sein – Terror <strong>und</strong> Bezauberung in einem.“ Das aus dem polynesischen<br />

kommende Wort Tabu bezeichnet zunächst einmal Verbotszonen <strong>im</strong> religiösen<br />

Bereich. Was Tabu ist, darf nicht berührt, verletzt oder verunreinigt werden, denn<br />

7


es ist heilig. Das Tabu schützt das Heilige <strong>und</strong> es schützt auch vor dem heiligen,<br />

indem es die Trennung von heiligem <strong>und</strong> profanem ermöglicht, <strong>und</strong> mit dieser<br />

Differenz Unantastbarkeit garantiert. Emil Dürkhe<strong>im</strong> leitet aus dem<br />

Zusammenspiel von Tabu <strong>und</strong> zu schützendem Heiligen die Verpflichtungskraft<br />

moralischer Gebote ab <strong>und</strong> macht deutlich, dass Tabus nicht nur das Heilige,<br />

sonder auch die Gemeinschaft schützen, indem sie Orientierungsmuster <strong>und</strong><br />

Verhaltenschemata entwickeln helfen, die das soziale Leben regulieren <strong>und</strong><br />

stabilisieren.<br />

Der Umgang unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist zumindest <strong>im</strong> Westen<br />

dadurch gezeichnet, dass diese der Realität des <strong>Tod</strong>es möglichst auszuweichen<br />

versucht, aber kaum Regeln entwickelt, wie mit dem <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> den vo0n ihm<br />

Getroffenen umzugehen ist. In früheren Zeiten trugen Trauernde schwarze<br />

Kleidung. Diese signalisierte den Anderen: hier ist ein Mensch, der durch den <strong>Tod</strong><br />

verletzt <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>et ist, behandle ihn/sie sorgsam. Die eben beschrieben<br />

dörflichen Trauer – <strong>und</strong> Beerdigungsrituale dienten auch diesem Zweck.<br />

Heute sieht man <strong>im</strong> Stadtbild kaum mehr einen Leichenwagen. Friedhöfe werden<br />

außerhalb der Stadtgrenzen angelegt <strong>und</strong> es gibt eine deutliche Tendenz dazu,<br />

den <strong>Tod</strong> zu anonymisieren, dass heißt, den Toten sogar den Namen zu nehmen,<br />

indem sie in Friedwäldern oder auf Grabfeldern beigesetzt werden, die den<br />

Namen des Toten nicht einmal mehr erkennen <strong>und</strong> tragen lassen. <strong>Tod</strong>esanzeigen<br />

bzw. die Sprachlosigkeit in der Begegnung mit Trauernden <strong>und</strong> auch manche<br />

Begräbnisrede verraten ebenfalls dieses Problem.<br />

Nun bedeutet die angedeutete Kritik an der gesellschaftlichen Einstellung zum <strong>Tod</strong><br />

nicht, dass in früheren Zeiten das Verhältnis zum <strong>Tod</strong> anders <strong>und</strong> redlicher war.<br />

Interessant ist, dass die Dichtung des 18.<strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>erts – also die Dichtung<br />

der deutschen Klassik – den <strong>Tod</strong> als Thema in kaum einer Weise gerecht wird.<br />

Das Problem wird dadurch sicherlich noch einmal verstärkt, dass das Sterben als<br />

Übergang in den <strong>Tod</strong> nur vom Sterbenden erlebt wird. Das, was sich dort ereignet,<br />

ist für andere nicht wahrnehmbar, höchstens über Instrumente beschreibbar. Es<br />

ist nun einmal so, dass nur jener letzte <strong>und</strong> endgültige <strong>Tod</strong>, der uns unsere<br />

St<strong>im</strong>me, unsere Beziehungsmöglichkeiten, alles das, was uns in Begegnung<br />

treten lässt, n<strong>im</strong>mt, nur uns ganz alleine gehört. Mir ist dies zum ersten Mal <strong>sehr</strong><br />

deutlich geworden, als ich als junger Vikar am Sterbebett einer alten Frau mehrere<br />

St<strong>und</strong>en saß. Sie lebte allein. Die Situation war für einen jungen Menschen<br />

8


durchaus belastend. Dennoch ist mir in dem Dabei-Sein be<strong>im</strong> Übergangs vom<br />

Sterben zum <strong>Tod</strong> genau diese Erfahrung bewusst geworden, nämlich, dass der<br />

<strong>Tod</strong> eines anderen, der leise, laute, schleichende Übergang vom Leben in Nichtmehr-Leben<br />

<strong>im</strong>mer auch zu dem Vorbehalt führt, dass es um den eigenen <strong>Tod</strong><br />

doch noch einmal ganz anders aussieht. Dies hat zur Folge, dass bei aller<br />

rationaler Wahrnehmung des <strong>Tod</strong>es als der sicheren Zukunft eines jeden<br />

Menschen zugleich aus dem Lebensgefühl heraus der <strong>Tod</strong> als Ereignis des<br />

eigenen Lebens verbannt bleibt.<br />

Ich könnte jetzt an dieser Stelle damit schließen, dass ich sage, dass die Frage<br />

nach dem <strong>Tod</strong> aporetisch endet. Ist er doch als solcher nicht zu befragen.<br />

Befragbar ist er nur in der Weise, dass nach Spuren von Sterben <strong>und</strong> <strong>Tod</strong> gefragt<br />

wird, die in das alltägliche Leben eingelagert sind. Solche Spuren lassen sich mit<br />

den Begriffen Krankheit, Nachlassen der Vitalität, Abschied, Generationswechsel,<br />

Vergänglichkeit benennen. Das wäre aber nicht hinreichend.<br />

Darum: Was sagt das Christentum vom <strong>Tod</strong>?<br />

Zunächst: Unsere Religiosität ist so vielschichtig geworden wie unsere pluralistische<br />

Gesellschaft es ist. Von der Plausibilität der Ewigkeit <strong>und</strong> den gewaltigen<br />

Bilderwelten über das Jenseits, wie sie unsere Vorfahren entwarfen, sind wir weit<br />

entfernt. Vielleicht begann dieser Entmythologisierungsprozess ja schon mit der<br />

Reformation, denn die Erlösung von der Angst vor dem Fegefeuer <strong>und</strong> anderen<br />

Höllenqualen, wie sie mit Luthers 95 Thesen begonnen hat, führte zu einer<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichen Befreiung von jedweder Jenseitstopographie. These 16 bringt dies<br />

w<strong>und</strong>erbar zur Sprache: „Hölle, Fegefeuer <strong>und</strong> H<strong>im</strong>mel scheinen sich voneinander<br />

zu unterscheiden wie sich Verzweiflung, Beinahe-Verzweiflung <strong>und</strong> Sicherheit<br />

unterscheiden.“<br />

Durch Säkularisierung <strong>und</strong> religiöse Pluralisierung haben die christlichen<br />

Traditionen in unserem Land auch die Deutungsmuster an Selbstverständlichkeit<br />

verloren. Des Weiteren wird unsere Zeit durch einen sich beschleunigenden<br />

Prozess der Individualisierung <strong>im</strong>mer noch geprägt. Die Lebensentwürfe sind<br />

individueller geworden. Damit wächst die Freiheit <strong>und</strong> damit auch der Zwang zur<br />

Wahl, zur eigenen Entscheidung. Diese wird wiederum dadurch erschwert, dass<br />

die großen Geschichten, die ja die Deutungszusammenhänge <strong>und</strong> die<br />

Deutungsmuster darstellen, heute nicht mehr selbstverständlich vertraut sind.<br />

9


Blicke ich auf die biblische Überlieferung, so zeigt der <strong>Tod</strong> ein doppeltes Gesicht.<br />

Er ist einmal Diener Gottes, der das Leben als ein gutes Ende bringt. Er ist<br />

zugleich der Feind Gottes <strong>und</strong> der Menschen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat deshalb das<br />

sanfte Sterben ebenso seinen Platz wie der schwere, sinnlose <strong>und</strong> qualvolle <strong>Tod</strong><br />

<strong>im</strong> Deutungshorizont des christlichen Glaubens (<strong>Tod</strong> Jesu am Kreuz als<br />

Widerstand <strong>und</strong> Ergebung).<br />

Fazit: Christus hat dem <strong>Tod</strong> die Macht genommen, aber nicht dem Sterben die<br />

Bitterkeit.<br />

Im Alten Testament steht das Leben, nicht der <strong>Tod</strong> <strong>im</strong> Mittelpunkt. Das Leben ist<br />

göttliche Gabe. Darum bedeutet langes Leben Segen, früher <strong>Tod</strong> Abbruch <strong>und</strong><br />

Fluch. Der <strong>Tod</strong> wird mit der Reife des Getreides verglichen. Der Mensch ist Teil<br />

der Schöpfung. Das alte Israel hält den <strong>Tod</strong> als Realität fest, verschleiert ihn nicht,<br />

wie es die alten Ägypter taten (der Mensch ist vom Staub genommen <strong>und</strong> kehrt<br />

wieder dahin zurück). Weil das Leben Gabe Gottes, Gott ein Gott der Lebenden<br />

ist, tritt der Sterbende aus dieser Beziehung heraus. Das macht die eigentliche<br />

Härte aus. Tote sind beziehungslos. Tot sein heißt, getrennt sein von Gott. Das<br />

Alte Testament kennt in seinen frühen Schriften keine Auferstehungshoffnung, mit<br />

dem <strong>Tod</strong> ist alles aus. Erst in späteren Schriften kommt es zu einer Veränderung<br />

<strong>im</strong> Verständnis des <strong>Tod</strong>es. Es wird von Hoffnung geredet, die der Psalm 73<br />

beispielhaft zum Ausdruck bringt:<br />

„Dennoch bleibe ich stets an dir;<br />

denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,<br />

du leitest mich nach deinem Rat<br />

<strong>und</strong> n<strong>im</strong>mst mich am Ende mit Ehren an.<br />

Wenn ich nur dich habe,<br />

so frage ich nichts nach H<strong>im</strong>mel <strong>und</strong> Erde.<br />

Wenn mir gleich Leib <strong>und</strong> Seele verschmachtet,<br />

so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens<br />

Trost <strong>und</strong> mein Heil.“<br />

Das heißt, der <strong>Tod</strong> beendet nicht die Gemeinschaft des Betenden mit Gott. Das<br />

Leben geht zwar dahin <strong>und</strong> der <strong>Tod</strong> kommt, aber zwischen Gott <strong>und</strong> dem Beter<br />

bleibt die Beziehung.<br />

10


Das Neue Testament setzt diese Linie voraus. Auch hier ist der <strong>Tod</strong> Schicksal,<br />

dem alle Menschen unterworfen sind. Aber er ist nicht mehr einfacher<br />

Naturvorgang, sondern Feind des Lebens. Er wird mit der Sünde des Menschen in<br />

Zusammenhang gebracht <strong>und</strong> durch die Auferstehung Christi mit dem <strong>Tod</strong>e selbst<br />

etwas geschehen. So zerstört der <strong>Tod</strong> alle Beziehungen des Menschen, führt in<br />

tiefste Isolation, was auch für die Beziehung zu Gott gilt. Er spricht das Urteil über<br />

das Leben, das von der Sünde gezeichnet ist. Auf diese Weise verschiebt sich die<br />

Grenze des <strong>Tod</strong>es. Er ist nicht einfach identisch mit dem physischen <strong>Tod</strong> am Ende<br />

des Lebens, vielmehr überschattet er das ganze Leben. So kann Jesus schon die<br />

Lebenden als die Toten bezeichnen, da sie dem <strong>Tod</strong>e <strong>und</strong> nicht dem Leben<br />

dienen. Die totale Isolation allerdings, die für das alte Testament noch das<br />

Schl<strong>im</strong>mste war <strong>und</strong> das Ende des Verhältnisses zu Gott beschreibt, ist <strong>im</strong><br />

Zeugnis des neuen Testaments durch Christus aufgehoben. In seinem <strong>Tod</strong> hat<br />

Jesus unseren <strong>Tod</strong> auf sich genommen <strong>und</strong> ihn durch seine Auferstehung<br />

überw<strong>und</strong>en. Er hat uns vom <strong>Tod</strong> erlöst. Von ihm heißt es, dass er die Schlüssel<br />

des <strong>Tod</strong>es <strong>und</strong> der Hölle habe. Dies bleibt eine zwar <strong>im</strong>mer wieder bedrohte<br />

Hoffnung, aber es steht fest: die Verbindung des Christen zu Christus trägt durch<br />

den <strong>Tod</strong> hindurch. Denn es heißt: „Ich bin die Auferstehung <strong>und</strong> das Leben, wer<br />

an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; <strong>und</strong> wer da lebt <strong>und</strong> glaubt an<br />

mich, der wird n<strong>im</strong>mer mehr sterben. Glaubst du das?“ (Johannes 11,25f)<br />

Es kommt zu einer ausgesprochenen Relativierung von Leben <strong>und</strong> <strong>Tod</strong> bei Paulus<br />

in den Worten: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir<br />

dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn, denn dazu ist<br />

Christus gestorben <strong>und</strong> wieder lebendig geworden, dass er über <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> Leben<br />

der Herr sei.“ (Römer 14,8f)<br />

Eine Mystik des <strong>Tod</strong>es?<br />

Dorothee Sölle, vielleicht die größte deutsche Theologin der Nachkriegszeit, Ehefrau<br />

von Fulbert Steffensky, hat Zeit ihres Lebens viel über den <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> das Leiden<br />

nachgedacht. Bis kurz vor ihrem eigenen plötzlichen Lebensende hat sie an einem<br />

Buch über die „Mystik des <strong>Tod</strong>es“ 4 gearbeitet. Es ist Fragment geblieben – wie<br />

vermutlich all unsere Antworten auf die Frage nach dem <strong>Tod</strong> Fragment bleiben<br />

4 „Sölle, Dorothee, Mystik des <strong>Tod</strong>es, Stuttgart 2003<br />

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werden. Die Arbeit am Buch war ihre ars moriendi, ihre Auseinandersetzung mit der<br />

eigenen Sterblichkeit.<br />

Fulbert Steffensky hat diesen unvollendeten Text nach ihrem <strong>Tod</strong>e veröffentlicht. Er<br />

beginnt mit einem Brief, den ich Ihnen vorlesen möchte:<br />

„Dear Mr. Death<br />

Sehr geehrter Herr <strong>Tod</strong>,<br />

ich kenne Ihre Adresse nicht, weiß aber, dass Sie über eine ungeheure Anzahl von<br />

Angestellten, Bediensteten <strong>und</strong> gut bezahlten Beratern in ihrem erfolgreichen<br />

Unternehmen verfügen. Ich habe eine Bitte an Sie <strong>und</strong> wünsche mir, dass Sie diese<br />

Nachricht durchlesen <strong>und</strong> an einen Zuständigen weitergeben.<br />

Seit über dreißig Jahren lebe ich in einer großen Liebe. Ich habe keine Angst vor<br />

Ihnen, Mr. Death, eher Angst vor den vielen Schläuchen <strong>und</strong> Leitungen <strong>im</strong><br />

Krankenhaus, die Sie abzuhalten oder aufzuschieben versuchen. Ich bin mit dem<br />

„Meister aus Deutschland“ aufgewachsen <strong>und</strong> weiß Einiges über die „schwarze Milch<br />

der Frühe“, die heute vorbereitet wird. Es ist mit bewusst, dass wir nach Ihrer Pfeife<br />

zu tanzen haben, <strong>und</strong> ich, in viele Kämpfe gegen Ihre Angestellten verstrickt, fürchte<br />

mich nicht. Was ich fürchte, ist das Alleingelassen werden, wenn mein Lache- <strong>und</strong><br />

Weinpartner von mir fort muss. Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass ich in diesem<br />

Falle Ihnen entgegenkommen würde, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln.<br />

Aber es wäre anders, wenn wir beide zusammen gehen könnten.<br />

Mein Partner weiß, dass ich vor seinem Abgang mehr Angst als vor meinem habe. Er<br />

ist fähig, sich zu wünschen, dass er etwas länger bleibt. Bei dieser Prüfung versage<br />

ich. Ich kann es mir einfach nicht wünschen – <strong>und</strong> Sie wissen selbstverständlich,<br />

dass Wünschen ein anderes Wort für Beten ist. Vielleicht ist seine Liebe größer als<br />

meine, obwohl ich das nicht gern zugebe. Manchmal vermute ich, dass Liebe – falls<br />

wir wissen, was wir mit diesem Wort sagen – das Einzige ist, wovor Sie Respekt<br />

haben.<br />

In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, uns nicht zu trennen.“<br />

So ist es nicht gekommen; aber Dorothee Sölle hat ihren Mann auch nicht überleben<br />

müssen. Es ist alles drin, in diesen Zeilen: die Angst vor der Ohnmacht <strong>im</strong> Sterben<br />

angesichts einer stetig verbesserten <strong>und</strong> unter ökonomischem Druck stehenden<br />

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Apparatemedizin, die Furcht vor dem Alleinsein <strong>und</strong> dem Leid be<strong>im</strong> Verlust eines<br />

geliebten Menschen, das Wissen um die Unvermeidlichkeit des eigenen <strong>Tod</strong>es.<br />

Vielleicht geht es Ihnen wie mir: Diese Zeilen sind auch deshalb so berührend, weil<br />

sie uns angesichts des <strong>Tod</strong>es alle zu Anfängern, Ratsuchenden, Bittenden machen.<br />

Wie ist es also mit dem <strong>Tod</strong>?<br />

Systematisch-Theologische Überlegungen:<br />

Die Auseinandersetzung mit dem <strong>Tod</strong> gehört in der christlichen Systematik zur Frage<br />

nach den letzten Dingen, der Eschatologie. All unsere Antwortversuche darauf sind<br />

geprägt von unserem Glauben, nicht Spielball willkürlicher Mächte oder natürlicher<br />

Prozesse zu sein, sondern letztlich auf die Vollendung der eigenen, individuellen<br />

Geschichte <strong>und</strong> der unserer Welt durch Gottes erlösendes Handeln hoffen zu dürfen.<br />

Der Kirchenvater Augustinus fasste diese Sehnsucht zusammen mit den Worten:<br />

„Ipse (Deus) post hanc vitam locus noster“ – „Gott selbst ist nach diesem Leben<br />

unser Ort.“ 5<br />

In der systematischen Theologie sind verschiedene Deutungen des <strong>Tod</strong>es entwickelt<br />

worden. Eine Möglichkeit ist es, den <strong>Tod</strong> als definitive Trennung der Seele vom Leib<br />

des Menschen anzusehen. Dies wäre eine konsequente Fortsetzung des Leib-Seele-<br />

Dualismus, der schon das antike Denken prägte <strong>und</strong> davon ausging, dass jedes<br />

Menschen Seele ein göttlicher Funke innewohnt, der nach dem <strong>Tod</strong>e das leibliche<br />

Gefängnis verlässt <strong>und</strong> zu Gott zurückkehrt. Die Seele wurde als unsterbliches<br />

Lebensprinzip des Menschen verstanden <strong>und</strong> man glaubte, dass sie nach der<br />

Auferstehung wieder in den ihr zugehörigen <strong>und</strong> verklärten Leib zurückkehrt.<br />

In mancher Hinsicht ist diese Deutung als besonders einfühlsame Möglichkeit<br />

verstanden worden, mit dem Phänomen des Sterbens <strong>und</strong> des <strong>Tod</strong>es umzugehen.<br />

Beispielsweise vermutete man, dass sich die Nahtoderfahrungen, die Frau Kübler-Ross<br />

beschrieb (Menschen erinnerten sich, ihren eigenen Leib von oben gesehen zu haben)<br />

so deuten ließen. 6<br />

5 Scholl, Norbert, Die großen Themen des christlichen Glaubens, Darmstadt 2002, S.335<br />

6 Kübler-Ross, Elisabeth, Interviews mit Sterbenden, Stuttgart 1971;<br />

Erfülltes Leben - würdiges Sterben, Gütersloh 1992;<br />

Über den <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> das Leben danach. Herausgegeben <strong>und</strong> aus dem Englischen übersetzt von Tom Hockemeyer, Melsbach/Neuwied 1989;<br />

Was können wir noch tun ? : Antworten auf Fragen nach Sterben u. <strong>Tod</strong> / Elisabeth Kübler-Ross. Die Übertr. aus d. Amerikan. besorgte Ulla Leippe,<br />

Stuttgart 1974;<br />

Elisabeth Kübler-Ross (Hg.), Reif werden zum <strong>Tod</strong>e, Gütersloh 1986;<br />

Verstehen was Sterbende sagen wollen. Einführung in ihre symbolische Sprache, Stuttgart 1981<br />

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Andererseits aber ist diesem Denkmodell eine Körperfeindlichkeit <strong>im</strong>manent, die<br />

weder zu unserem biblischen Menschenbild, noch unserem modernen ganzheitlichen<br />

Selbstverständnis passen will.<br />

Ich vermute, dass in der gegenwärtigen Diskussion um ein würdiges Sterben ein<br />

solch dualistisches Denken wenig hilfreich ist, denn gerade an der Grenze des<br />

Lebens <strong>und</strong> <strong>im</strong> Übergang von der Selbstbest<strong>im</strong>mung zur Ohnmacht, erfahren<br />

Menschen sich besonders massiv an ihren Körper geb<strong>und</strong>en, der beatmet oder<br />

ernährt wird, gepflegt werden muss <strong>und</strong> Schmerzen bereitet <strong>und</strong> in manchen Fällen<br />

mit seiner Vitalität all unserem geistigen <strong>und</strong> seelischen Vermögen weit voraus ist.<br />

So hat sich neben der dualistischen Trennung von Leib <strong>und</strong> Seele die so genannte<br />

Ganztodthese entwickelt, die den <strong>Tod</strong> als totales Ende <strong>und</strong> die Auferstehung<br />

entsprechend als Neuschöpfung des Menschen begreift. Schwierig ist in diesem<br />

Duktus <strong>im</strong>mer, sich vorzustellen, inwiefern eine Identität zwischen dem irdischen <strong>und</strong><br />

dem jenseitigen Geschöpf gewahrt bleiben könnte. Eine Überlegung dazu stellte der<br />

- in vielem durchaus umstrittene - Theologe Klaus Berger an, der meinte, indem wir<br />

in der Taufe bei unserem Namen gerufen würden, blieben wir mit unserem Namen<br />

aufgehoben bei Gott, ganz gleich welchen <strong>Tod</strong> wir sterben.<br />

Im Anschluss an diese Vorstellung, dass tatsächlich nichts von uns <strong>im</strong> <strong>Tod</strong>e übrig<br />

bleibt, definierte der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel den <strong>Tod</strong> schließlich als<br />

totale Verhältnislosigkeit <strong>und</strong> absolutes Ende aller Beziehungen. <strong>Meine</strong>r Meinung<br />

nach ist es die Stärke dieses Ansatzes, dass der <strong>Tod</strong> weniger substantiell, sondern<br />

vielmehr relational gedacht wird. Denn es wird so eine D<strong>im</strong>ension des <strong>Tod</strong>es<br />

entwickelt, die am ehesten seinem abrupten Einbruch in das Leben entspricht.<br />

Jüngel hat mit diesem Gedanken auch dem Umstand Rechnung getragen, dass<br />

unsere Sterblichkeit die Strafe dafür war, dass der Mensch sich von Gott abwendete<br />

<strong>und</strong> entfremdete. Die ursprüngliche heile Gottesbeziehung ging verloren <strong>und</strong> wurde<br />

uns erst wieder geschenkt, als Jesus Christus für uns durch den <strong>Tod</strong> hindurchging.<br />

Ausblicke<br />

Wir brauchen eine Rückbesinnung darauf, dass der <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> die Toten nicht dadurch<br />

ihren Schrecken oder gar Bedrohung verlieren, dass wir sie ausgrenzen, sondern<br />

dass beides zu unserem Leben gehört. Das hat Folgen für die Art, wie wir mit beiden<br />

Befreiung aus der Angst. Berichte aus dem Workshops "Leben, <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> Übergang". Mit 50 Fotos von Mal Warshaw, Stuttgart 1983<br />

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umgehen. Dass sich in unserer Gesellschaft eine deutliche Unterstützung der<br />

palliativen Medizin <strong>und</strong> der Hospizbewegung entwickelt hat ist gut. Jetzt geht es aber<br />

darum, für die Kultur der Bestattungen <strong>und</strong> der Friedhöfe zu streiten. Namenlosigkeit<br />

am Ende, Ausgliederung der Friedhöfe aus den Dörfern <strong>und</strong> Städten, sind kein<br />

Zeichen für einen dem Menschen gemäßen Umgang mit dem <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> den Toten.<br />

Eine Rückbesinnung auf die alte Kultur der Kirchhöfe, Andachten auf den Friedhöfen,<br />

Entdeckung der Friedhöfe als ein Ort des gemeinschaftlichen Lebens - all dies sind<br />

neue <strong>und</strong> zugleich alte Aufgaben, die wir haben.<br />

Die Tatsache des <strong>Tod</strong>es wissen wir, den Zeitpunkt nicht.<br />

Wir glauben, dass unser Leben <strong>und</strong> damit auch unsere Lebenszeit als unverfügbare<br />

Gabe Gottes ausschließlich in seiner Hand liegt <strong>und</strong> wir glauben, dass es uns<br />

Menschen aus gutem Gr<strong>und</strong> als Grenze <strong>und</strong> Tabu gegeben ist, nicht zu töten.<br />

Das Wichtigste: Uns ist das Gebet gegeben <strong>und</strong> verheißen, dass Gott unser Beten<br />

hört <strong>und</strong> erhört. Martin Luther hat in einer seiner Tischreden angesichts seines nahen<br />

Endes gebetet: „Gott helfe <strong>und</strong> gebe mir ein seliges, gnädiges Stündlein, ich begehre<br />

n<strong>im</strong>mer zu leben.“<br />

Uns in dieses Gebet einzuüben, wird uns <strong>und</strong> unseren Nächsten <strong>im</strong> Sterben <strong>und</strong><br />

damit auch <strong>im</strong> Blick auf unseren Umgang mit dem <strong>Tod</strong> helfen.<br />

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