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Digitalisierung und die Öffentliche Bibliothek - Sebastian Fischer

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Der Inhalt <strong>die</strong>ses Artikels unterliegt dem<br />

deutschen Urheberrecht <strong>und</strong> ist über <strong>die</strong><br />

Creative Commons Lizenz BY-NC-SA zugänglich.<br />

von <strong>Sebastian</strong> <strong>Fischer</strong> (In: SAB-INFO-CLP, 27. Jg., H. 1, S. 5-7.)<br />

<strong>Digitalisierung</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Öffentliche</strong> <strong>Bibliothek</strong><br />

Ich bin wissensdurstiger Nutzer – ich will Information – ich GING in <strong>die</strong> <strong>Bibliothek</strong>.<br />

Diese Erfahrungsklimax war so einfach wie nachvollziehbar, ja geradezu<br />

gr<strong>und</strong>legend für das Stillen meines Informationsdurstes sowie für <strong>die</strong> Existenz<br />

bibliothekarischer Einrichtungen, <strong>die</strong> ich, als K<strong>und</strong>e, eifrigst zu nutzen gedachte.<br />

So habe ich es immer gemacht: den Katalog durchwühlt, relevante Literatur<br />

herausgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nach dem Schneeballsystem weitergeforscht. Mitunter<br />

erinnerte ich mich an den Satz von Umberto Eco: "Die Hauptfunktion einer<br />

<strong>Bibliothek</strong> ist <strong>die</strong> Möglichkeit zur Entdeckung von Büchern, deren Existenz wir gar<br />

nicht vermutet hätten, aber <strong>die</strong> sich als überaus wichtig für uns erweisen. So erlebt<br />

wird <strong>die</strong> <strong>Bibliothek</strong> zum Abenteuer."<br />

Falls ich mir nicht allein helfen konnte, war immer der Auskunfts<strong>die</strong>nst in der<br />

Nähe, der mir sicher zur Seite stand. Solange, bis ich fand, was meiner Suche<br />

entsprach. Mein Leben hat sich vor kurzem aber geändert: Auch ich gehöre ab<br />

jetzt zur Mehrzahl der Schweizer (2003 immerhin schon 60 Prozent), <strong>die</strong> einen<br />

schnellen Draht zu Online-Angeboten haben, von daheim aus. Das Internet<br />

erstreckt sich vor meinen Augen, ich kann alles finden, von überall auf der Welt.<br />

Natürlich versuche ich jetzt, weil es nach geringem Aufwand aussieht, <strong>die</strong>se<br />

Prestigesituation für meine Zwecke zu gebrauchen, erstmal schauen, was <strong>die</strong> von<br />

mir favorisierte Suchmaschine so ausspuckt. Finde ich dort dann das Gesuchte,<br />

habe ich mir den aufwändigen Weg in <strong>die</strong> Stadtbibliothek gespart <strong>und</strong> kann richtig<br />

stolz auf mich sein, im grossen World Wide Web zum Ergebnis gekommen zu<br />

sein, <strong>die</strong> Nadel im Heuhaufen gef<strong>und</strong>en zu haben.<br />

Aber allzu oft stosse ich dabei auch an <strong>die</strong> Grenzen meiner Recherchierfähigkeit:<br />

weil ich mit einh<strong>und</strong>erttausend Treffern nicht allzu viel anfangen kann, weil der<br />

Text, den ich suche, doch nirgendwo aufzutreiben ist (was ganz nebenbei an den


egrenzten Möglichkeiten einer Suchmaschine liegt), oder weil mir der<br />

Wahrheitsgehalt der Quelle zu unsicher erscheint. Ich verliere den Überblick im<br />

Meer des Internets. Ich glaubte gerade das zu finden, was (noch) nicht gedruckt<br />

auf dem Markt erschienen ist, eventuell sogar etwas Fachspezifisches, das<br />

sowieso in einer <strong>Öffentliche</strong>n <strong>Bibliothek</strong> nicht vorhanden zu sein scheint, aber<br />

keine html-, keine pdf-Seite eröffnete mir den gesuchten Inhalt. Ich erinnere mich<br />

wieder an <strong>die</strong> altbekannte, aber von mir weggestossene Klimax: Ich bin<br />

wissensdurstiger Nutzer – ich will Information – ich GEHE in <strong>die</strong> <strong>Bibliothek</strong>.<br />

Die <strong>Bibliothek</strong> bietet schon lang – Laien glauben ja noch immer, dass in allen<br />

<strong>Bibliothek</strong>en ausschliesslich Bücher dominierend vorherrschen – ein grosses<br />

Angebot so genannter neuer Me<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> aufgr<strong>und</strong> neuer Technologien im<br />

Informationssystem aufgetaucht sind. Anfangs bezeichnete der Begriff <strong>die</strong> heute<br />

unter (erst analog, dann digital) AV-Me<strong>die</strong>n bekannten Datenträger, deren<br />

Gegensatz zu den Printme<strong>die</strong>n darin bestand, dass für ihre Entschlüsselung <strong>die</strong><br />

Benutzung der Augen allein nicht mehr hilfreich war – man brauchte ein<br />

zusätzliches Abspielgerät. Heute jedoch verändern <strong>die</strong> neuen Me<strong>die</strong>n den<br />

Bestand der <strong>Bibliothek</strong>en in Richtung immaterieller Güter, <strong>die</strong> sich dahingehend<br />

vom Rest unterscheiden, dass sie nicht physisch sind, also virtuell.<br />

Diese wird dann als Digitale <strong>Bibliothek</strong> bezeichnet, welche sich – laut<br />

Ewert/Umstätter (Lehrbuch der <strong>Bibliothek</strong>sverwaltung, Suttgart 1997) – von der<br />

klassischen <strong>Bibliothek</strong> darin unterscheidet, dass sie nicht nur gedruckte Bücher<br />

<strong>und</strong> andere analog gespeicherte <strong>und</strong> publizierte Dokumente beinhaltet, sondern<br />

auch binäre Informationen verzeichnet. Anstatt <strong>die</strong>se nicht nur bibliographisch<br />

nachzuweisen, stellt sie sie auch im Volltext zur Verfügung.<br />

Auch dem/r <strong>Bibliothek</strong>arIn fällt darin eine weiter reichende Rolle als bisher zu,<br />

indem nicht mehr nur Literatur, AV-Me<strong>die</strong>n <strong>und</strong> Abspielgeräte zur Verfügung<br />

gestellt werden, sondern auch <strong>die</strong> Informationsvermittlung einen überaus<br />

wichtigen Standpunkt erhält. Im Unterschied zur herkömmlichen Auskunftstätigkeit<br />

stellt er/sie jetzt als RechercheurIn oder intermediary (engl. VermittlerIn,<br />

ZwischenhändlerIn) eine Schnittstelle zwischen Mensch <strong>und</strong> Maschine bzw.<br />

EndnutzerIn <strong>und</strong> Host (Rechenzentren mit Datenbanken, auf <strong>die</strong> online<br />

zugegriffen werden kann) dar. Um einen Einklang zwischen den Nutzerinteressen<br />

<strong>und</strong> den erschienenen Publikationen herzustellen, ist es unumgänglich, dass sich


<strong>die</strong> Informationsvermittlung auf Online-Angebote ausweitet, <strong>die</strong> im Format<br />

(eBooks, Volltexte, Online-Datenbanken, <strong>Bibliothek</strong>s-OPACs, Suchmaschinen,<br />

Anwendungshomepages u. ä.) gr<strong>und</strong>sätzlich variieren können.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Online-Recherche schon vor gut drei Jahrzehnten in der <strong>Bibliothek</strong><br />

eingeführt wurde, hegen Laien noch immer <strong>die</strong> Ansicht, das Kulturgut Buch würde<br />

im Mittelpunkt allen <strong>Bibliothek</strong>salltags stehen.<br />

An Wissenschaftlichen <strong>Bibliothek</strong>en <strong>und</strong> deren Fokussierung auf <strong>die</strong><br />

Erschliessung elektronischer Informationsquellen kann man bereits heute sehen,<br />

wie sich <strong>die</strong> <strong>Digitalisierung</strong> auf das <strong>Bibliothek</strong>swesen bisher ausgewirkt hat. Die<br />

Library of Congress beispielsweise verzeichnet 2 Mio. Anfragen täglich auf digitale<br />

Files, im Gegensatz dazu 2 Mio. Anfragen jährlich in den Räumen.<br />

Diesen Pfad können auch <strong>die</strong> <strong>Öffentliche</strong>n <strong>Bibliothek</strong>en nicht weiter umgehen.<br />

Dabei reicht es aber nicht allein, Internetarbeitsplätze zur Verfügung zu stellen <strong>und</strong><br />

ungeordnete Linklisten auf der Homepage zu integrieren, sondern es muss eine<br />

geordnete Navigation im Internet stattfinden können.<br />

Die Fragen dabei lauten wohl: Macht <strong>die</strong> <strong>Digitalisierung</strong> allgemein <strong>Öffentliche</strong><br />

<strong>Bibliothek</strong>en überflüssig? Bzw.: Wie können <strong>die</strong>se der Entwicklung standhalten?<br />

Eine Antwort ist nicht im Allgemeinen zu geben, vielmehr richtet sie sich nach der<br />

Struktur der jeweiligen Einrichtung. Wird z.B. lediglich von den K<strong>und</strong>Innen der<br />

vorhandene Bestand der "herkömmlichen" <strong>Bibliothek</strong> genutzt, so wird <strong>die</strong><br />

<strong>Digitalisierung</strong> für jene nicht allzu relevant sein, da sie mit den Präsenzme<strong>die</strong>n<br />

vorlieb nehmen werden. Steht demgegenüber aber eine Einrichtung in der<br />

Tradition der Informationsbeschaffung – <strong>und</strong> will <strong>die</strong>se auch auf hohem Niveau<br />

weiterführen –, darf sie sich vor digitalen Beständen nicht verschliessen, da ohne<br />

<strong>die</strong>se ihre Recherchestrategien veralten. Digitale <strong>Bibliothek</strong>en sind dann ein<br />

zentrales Element in der Informationssuche.<br />

Natürlich soll hier nicht eine Bagatellisierung des Buchbestandes an <strong>Bibliothek</strong>en<br />

proklamiert werden, jedoch ist es von ungeheurem Wert für <strong>die</strong> NutzerInnen,<br />

jegliche Informationen jedweder Quellen zur Verfügung gestellt zu bekommen.<br />

Dies geht eben über den Printbestand bei weitem hinaus. Dass dabei das<br />

<strong>Bibliothek</strong>spersonal noch weitergehend seiner schon seit jeher zugewiesenen<br />

Rolle der Vermittlung nachkommt, muss als zufrieden stellende Chance <strong>und</strong> nicht<br />

als unüberwindbares Hindernis gesehen werden.


Klar ist, dass kleinere <strong>Bibliothek</strong>en mit geringem Etat <strong>und</strong> Personalstand, nicht <strong>die</strong><br />

Möglichkeit haben, eine eigene Digitale <strong>Bibliothek</strong> aufzubauen – das steht auch<br />

überhaupt nicht zur Debatte. Online-Lizenzen sind nämlich teuer <strong>und</strong> bedürfen<br />

einer aufwändigen Integration in das <strong>Bibliothek</strong>sformat sowie damit<br />

einhergehendem Marketing. Umso wichtiger aber ist als Ausgleich dafür <strong>die</strong><br />

professionelle Navigation durch <strong>die</strong> Datenautobahn. Diese beginnt bei Verb<strong>und</strong>-<br />

OPACs <strong>und</strong> den Online-Katalogen grösserer (vorzugsweise Schweizer)<br />

<strong>Bibliothek</strong>en, führt über elektronische Linklisten <strong>und</strong> eLearning-Programme, <strong>und</strong><br />

endet noch lange nicht bei Online-Datenbanken <strong>und</strong> elektronisch zugänglichen<br />

Zeitschriftenaufsätzen <strong>und</strong> Büchern. Als adäquates Hilfsmittel <strong>die</strong>nen dabei bereits<br />

vorhandene Virtuelle bzw. Digitale Angebote grosser, zumeist Universitäts- <strong>und</strong><br />

Landesbibliotheken. Auf deren freie Bestände kann man jederzeit zugreifen.<br />

Auch wenn momentan <strong>die</strong> Furcht vor der allgemeinen <strong>Digitalisierung</strong> – <strong>die</strong> ja nicht<br />

nur auf <strong>Bibliothek</strong>en beschränkt ist, sondern auch deren Konkurrenten wie<br />

Buchhandel <strong>und</strong> Videotheken betrifft – durchaus berechtigt zu sein scheint, ist sie<br />

dennoch unausweichlich. Die <strong>Bibliothek</strong>arInnen müssen in einer modernen<br />

Wissensgesellschaft zu Experten der Informations- <strong>und</strong> Wissensorganisation<br />

werden.<br />

Die Stadtbibliothek Winterthur sieht <strong>die</strong>ser Entwicklung in einer gewiss positiven<br />

Erwartungshaltung entgegen. Sie will dem/r NutzerIn neben den vorhandenen<br />

physischen Me<strong>die</strong>n auch den Zugriff auf virtuelle Angebote ermöglichen. Wie das<br />

im Konkreten aussehen soll, ist derzeit noch in Planung, aber sicherlich an<br />

Beispiele Digitaler <strong>Bibliothek</strong>en im gesamten deutschsprachigen Raum angelehnt.<br />

Die objektiven Vorteile wiegen nämlich schwerer als subjektive Vorbehalte <strong>und</strong><br />

Ängste:<br />

Die Bestandserweiterung <strong>und</strong> -ergänzung kann preisgünstig ohne zusätzliche<br />

Platz- <strong>und</strong> Instandhaltungskosten erfolgen. Von weit wichtigerer Bedeutung ist<br />

dabei aber <strong>die</strong> Erschliessung neuer Nutzergruppen, entweder aus ländlichen<br />

Regionen ausserhalb para<strong>die</strong>sischer Informationszustände oder aus<br />

Bevölkerungsschichten, <strong>die</strong> während der Öffnungszeiten der <strong>Bibliothek</strong> ihrer<br />

Berufstätigkeit nachgehen. Diese können dann zu potentiellen K<strong>und</strong>en der<br />

physischen <strong>Bibliothek</strong> werden.


Dabei ist aber vor allem eine Überbrückung zu schaffen zwischen der bisherigen<br />

Form der Informationsvermittlung (an den Auskunftstheken) <strong>und</strong> einer zufrieden<br />

stellenden Aufbereitung der Auskunft auf elektronischem Wege. Das wäre dann<br />

aber ein weiteres Feld, um mit der fortschreitenden <strong>Digitalisierung</strong> der Welt <strong>und</strong><br />

der Haushalte Schrittzuhalten.<br />

Literatur:<br />

Walther Umstätter: Macht <strong>die</strong> <strong>Digitalisierung</strong> <strong>die</strong> <strong>Bibliothek</strong>en überflüssig?, Vortrag, Berlin 2006.<br />

(http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/GFKL06.pdf)<br />

Margarete Rehm: Lexikon Buch – <strong>Bibliothek</strong> – Neue Me<strong>die</strong>n, München [u.a.] 1991.

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