Kurze Geschichte der linearen Algebra
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<strong>Kurze</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>linearen</strong> <strong>Algebra</strong><br />
Dipl.-Inform. Wolfgang Globke<br />
Institut für <strong>Algebra</strong> und Geometrie<br />
Arbeitsgruppe Differentialgeometrie<br />
Universität Karlsruhe<br />
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Entwicklung<br />
Die Historische Entwicklung <strong>der</strong> <strong>linearen</strong> <strong>Algebra</strong> entspricht grob<br />
<strong>der</strong> umgekehrten Reihenfolge des Stoffes in <strong>der</strong> Vorlesung.<br />
Die Wurzeln <strong>der</strong> <strong>linearen</strong> <strong>Algebra</strong>:<br />
lineare Gleichungssysteme,<br />
Geometrie.<br />
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Lineare Gleichungen – Ursprünge<br />
Lineare Gleichungen treten in natürlicher Weise bei vielen<br />
Problemen auf.<br />
Die Babylonier behandelten bereits um 2000 v.Chr. lineare<br />
Gleichungsysteme mit zwei Unbekannten,<br />
ax + by = p,<br />
cx + dy = q.<br />
Unbekannte wie hier x, y traten nur in Form konkreter Größen<br />
(Länge, Breite, Gewicht, etc.) auf.<br />
Die meisten Probleme waren durch konkrete geometrische<br />
Fragestellungen motiviert.<br />
Keine allgemeine Lösungstheorie für LGSe.<br />
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Lineare Gleichungen – Ursprünge<br />
Den chinesischen Mathematikern um 200 v.Chr. waren<br />
Methoden zur Lösung von 3 × 3-LGSen bekannt.<br />
Sie erkannten, dass die Struktur eines LGS unabhängig von<br />
seinen Variablen ist und nur durch die numerischen<br />
Koeffizienten bestimmt ist.<br />
Dies führte sie schon auf eine matrixartige Schreibweise,<br />
⎛<br />
a b<br />
⎞<br />
c<br />
⎝d e f ⎠ ,<br />
g h i<br />
auf das ein Verfahren ähnlich <strong>der</strong> Zeilenelimination angewandt<br />
wurde.<br />
Auch hier gab es noch keine allgemeine Lösungstheorie.<br />
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Determinanten<br />
Die erste systematische Untersuchung von LGSen wird Gottfried<br />
Wilhelm Leibniz (1646-1716) zugeschrieben.<br />
Er kannte noch keine Matrizen, aber führte die Formeln für<br />
Determinanten direkt für 2 × 2 und 3 × 3-LGSe ein.<br />
Seine Ergebnisse wurden zu Lebzeiten nicht veröffentlicht.<br />
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Determinanten<br />
Später war es Gabriel Cramer (1704-1752), <strong>der</strong> die nach ihm<br />
benannte allgemeine Lösungsformel für Systeme von n Gleichungen<br />
in n Unbekannten veröffentlichte.<br />
Seine Arbeit an LGSen war motiviert durch geometrische<br />
Probleme, nämlich das Bestimmen einer algebraischen Kurve, die<br />
durch gewisse vergegebene Punkte laufen sollten.<br />
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Determinanten<br />
Bis ins 18. Jhd. wurde das Studium linearer Gleichungssysteme<br />
als die Theorie <strong>der</strong> Determinanten aufgefasst.<br />
Daher wurden nur Systeme mit n Gleichungen und n<br />
Unbekannten untersucht.<br />
Unter- o<strong>der</strong> überbestimmte LGSe wurden ignoriert.<br />
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Gauß-Algorithmus<br />
Carl Friedrich Gauß (1777-1855) betrachtete LGSe im<br />
Zusammenhang mit astronomischen Problemen.<br />
1811 entwickelte er dafür den nach ihm benannten Algorithmus.<br />
Damit gab er erstmals ein systematisches Verfahren zur Lösung<br />
von LGSen an, bei denen die Anzahl <strong>der</strong> Gleichungen und<br />
Variablen verschieden ist.<br />
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Matrizen<br />
Auch Gauß verwendete keine Matrizen für seine <strong>linearen</strong><br />
Gleichungssysteme.<br />
Die chinesischen Mathematiker benutzten Matrizen, aber<br />
diese waren lediglich ein Kurznotation für LGSe und wurden<br />
nicht als algebraische Objekte aufgefasst.<br />
Als algebraische Objekte wurden Matrizen von Gauß<br />
eingeführt, jedoch nicht für LGSe, son<strong>der</strong>n um lineare<br />
Abbildungen x ↦→ Ax zu beschreiben.<br />
Er führte auch implizit das Matrizenprodukt ein, um die<br />
Verknüpfung von <strong>linearen</strong> Abbildungen zu berechnen.<br />
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Matrizen<br />
Der erste, <strong>der</strong> Matrizen systematisch als algebraische Objekte<br />
untersuchte, war Arthur Cayley (1821-1895).<br />
Er erkannte den Zusammenhang zwischen Matrizen als<br />
algebraischen Objekten und LGSen, und er erkannte die<br />
Ringstruktur von Matrizen über R und C<br />
(auch wenn <strong>der</strong> Begriff ”<br />
Ring“ noch nicht erfunden war).<br />
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Matrizen<br />
In <strong>der</strong> Mitte des 19. Jhd. wurde die Theorie <strong>der</strong> Matrizen<br />
weiterentwickelt.<br />
In dieser Zeit wurden verschiedene Klassifikationsresultate für<br />
Matrizen gefunden (orthogonale, unitäre, symmetrische<br />
Matrizen).<br />
Diese Klassifikationen basieren im Wesentlichen auf <strong>der</strong><br />
Untersuchung <strong>der</strong> Eigenwerte und Eigenräume <strong>der</strong> Matrizen.<br />
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Jordansche Normalform<br />
Eine vollständige Klassifikation <strong>der</strong> komplexen Matrizen beruht auf<br />
<strong>der</strong> Jordanschen Normalform, die von Camille Jordan (1838-1922)<br />
eingeführt wurde.<br />
Das Prinzip dieser Normalform ist es, eine vollständige Zerlegung<br />
in verallgemeinerte Eigenräume für eine Matrix zu finden.<br />
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Vektoren und Koordinaten<br />
Die geometrischen Wurzeln <strong>der</strong> <strong>linearen</strong> <strong>Algebra</strong> liegen in <strong>der</strong><br />
klassischen Vektorrechnung.<br />
Vektoren tauchten ursprünglich in <strong>der</strong> Physik auf, um<br />
physikalische Größen zu beschreiben, die sowohl einen Betrag<br />
als auch eine Richtung besitzen (Geschwindigkeit, Kraft,<br />
Impuls, etc.).<br />
Mit <strong>der</strong> Einführung von cartesischen Koordinaten durch<br />
René Descartes (1596-1650) war die Grundlage für die<br />
algebraische Behandlung von Vektoren gegeben.<br />
Es verging viel Zeit, bis <strong>der</strong> heutige abstrakte<br />
Vektorraumbegriff formuliert werden konnte.<br />
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Komplexe Zahlen und Quaternionen<br />
William Rowan Hamilton (1805-1865) studierte komplexe Zahlen<br />
und Quaternionen.<br />
Er erkannte, dass ihnen eine geometrische Struktur zugrunde liegt,<br />
und dass diese geometrische Struktur eng mit ihren algebraischen<br />
Eigenschaften verknüpft ist.<br />
Die Ausformulierung dieser Strukturen war <strong>der</strong> erste Schritt zur<br />
axiomatischen Definition von Vektorräumen.<br />
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n Dimensionen<br />
Cayley und Hamilton entwickelten diese<br />
geometrisch-algebraischen Strukturen weiter.<br />
Der nächste Schritt war die Verallgemeinerung <strong>der</strong> konkreten<br />
Beispiele auf n-dimensionale Räume.<br />
Auf diesem Wege wurde auch <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Dimension zum<br />
ersten Mal relevant.<br />
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Grassmanns Ausdehnungslehre<br />
Bahnbrechende Arbeit auf diesem Gebiet wurde auch von<br />
Hermann Günter Grassmann (1809-1877) geleistet.<br />
Er veröffentlichte 1844 eine Arbeit über Ausdehnungslehre, in <strong>der</strong><br />
bereits alle mo<strong>der</strong>nen Konzepte <strong>der</strong> endlichdimensionalen<br />
Vektorräume enthalten waren.<br />
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Grassmanns Ausdehnungslehre<br />
Bei Grassmann war ein Vektorraum im Prinzip definiert als die<br />
Menge aller Linearkombinationen<br />
λ 1 b 1 + λ 2 b 2 + . . . + λ n b n ,<br />
wobei eine Basis {b 1 , . . . , b n } als gegeben vorausgesetzt<br />
wurde.<br />
Für diese Linearkombinationen sollten die bekannten<br />
Rechenregeln für Vektorräume gelten (Assoziativität,<br />
Kommutativität, Distributivgesetze, etc.).<br />
Grassmann bewies verschiedene Aussagen zur Dimension von<br />
Vektorräumen, unter an<strong>der</strong>em den Dimensionssatz<br />
dim V + dim W = dim(V + W ) + dim(V ∩ W ).<br />
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Axiomatische Definition<br />
Motiviert durch Grassmans Arbeiten gab<br />
Guiseppe Peano (1858-1932)<br />
eine axiomatische Definition von reellen Vektorräumen, die <strong>der</strong><br />
heutigen sehr nahe kommt.<br />
Er führte auch das in mündlichen Prüfungen sehr beliebte Axiom<br />
0 · x = 0<br />
ein.<br />
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Axiomatische Definition<br />
Die heutige Formulierung <strong>der</strong> Vektorraumaxiome erschien 1930<br />
zum ersten Mal in dem Buch Mo<strong>der</strong>ne <strong>Algebra</strong> von<br />
Bartel Leen<strong>der</strong>t van <strong>der</strong> Waerden (1903-1996), in dem er<br />
Vektorräume über beliebigen Körpern als Spezialfall von Moduln<br />
über Ringen einführte.<br />
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MacTutor History of Mathematics<br />
I. Kleiner<br />
A History of Abstract <strong>Algebra</strong> (Birkhäuser)<br />
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