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Begegnungen – über das Fremde in uns Norbert Mink ...

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IZPP. Ausgabe 1/2009. Themenschwerpunkt „Gut und Böse“. <strong>Norbert</strong> M<strong>in</strong>k, <strong>Begegnungen</strong> <strong>–</strong> <strong>über</strong> <strong>das</strong> <strong>Fremde</strong> <strong>in</strong> <strong>uns</strong><br />

Empf<strong>in</strong>den <strong>in</strong>dividueller Grenzen und verlässlicher Authentizität. Der beängstigende Verlust von Strukturen,<br />

anhand derer wir <strong>uns</strong> im sozialen Gefüge belastbar verorten könnten, nötigt <strong>uns</strong> dazu, <strong>uns</strong> die bedrohte<br />

Sicherheit durch den E<strong>in</strong>satz regressiver Spaltungsphänomene selbst zu schaffen. Durch e<strong>in</strong>e polarisierende<br />

Setzung von Unterschieden (différence) <strong>in</strong> der Perzeption der gesellschaftlichen Umwelt versuchen wir, <strong>uns</strong><br />

jenen Aufschub („différance“) durch Wahrnehmung und damit jene <strong>in</strong>nere Struktur zu sichern, mit der wir<br />

nach Derrida <strong>in</strong> der Erschütterung <strong>uns</strong>ere soziale Existenz zu fundieren versuchen.<br />

Das „Böse“ ist dann für <strong>uns</strong> nicht länger „<strong>das</strong>jenige, wofür man mit Liebesverlust bedroht wird...“ (Freud,<br />

1930) und <strong>das</strong> im Rahmen e<strong>in</strong>er bestehenden moralischen Ordnung <strong>in</strong> unauflöslicher Konjunktion zum<br />

„Guten“ vorhersagbar se<strong>in</strong>en Platz hätte. Es tritt <strong>uns</strong> viel mehr erschreckend als <strong>das</strong> gegen<strong>über</strong>, was „nicht<br />

hätte passieren dürfen“ (Neiman, 2006) und <strong>das</strong> für <strong>uns</strong> außerhalb der menschlichen Natur zu stehen sche<strong>in</strong>t.<br />

Es stellt deshalb, abgespalten vom „Guten“ <strong>–</strong> und von <strong>uns</strong> selbst <strong>–</strong> <strong>uns</strong>er Selbstverständnis und <strong>das</strong> Verständnis<br />

der Welt um <strong>uns</strong> herum nun se<strong>in</strong>erseits zutiefst <strong>in</strong>frage. Und so ist dieses selbstgeschaffene Fundament<br />

auch nicht belastbar: „Die Dämonie zeigt sich ... dort, wo im Zwiespalt die ursprüngliche E<strong>in</strong>heit aufsche<strong>in</strong>t“<br />

(Reiser, 1989). Durch die zum Selbstschutz errichtete Dichotomisierung gel<strong>in</strong>gt es <strong>uns</strong> vor<strong>über</strong>gehend, die<br />

<strong>in</strong>neren Dämonen zu bannen. Dies jedoch nur um den Preis e<strong>in</strong>er <strong>uns</strong>ere Selbstgewissheit bedrohenden Entfremdung.<br />

Denn als Folge der Spaltung tritt <strong>uns</strong> der Andere <strong>–</strong> besser: <strong>das</strong>, was wir aus <strong>in</strong>nerer Notwendigkeit<br />

<strong>in</strong> ihm sehen müssen <strong>–</strong> immer schon als „im strengen S<strong>in</strong>n anders“ (Lev<strong>in</strong>as, 2003) gegen<strong>über</strong>. Se<strong>in</strong>e<br />

Wahrnehmung erschüttert <strong>uns</strong>ere Selbstabgrenzung grundsätzlich und deshalb muss <strong>das</strong> <strong>Fremde</strong> <strong>–</strong> aufgeladen<br />

durch <strong>uns</strong>ere Projektionen <strong>–</strong> ebenso grundsätzlich und reflexhaft bekämpft werden. In diesem Dilemma<br />

entwickelt sich <strong>uns</strong>ere Gesellschaft <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem <strong>Fremde</strong>n spürbar <strong>in</strong> die falsche<br />

Richtung, ohne <strong>das</strong>s es bisher gelungen wäre, der deletären Spaltung zwischen „Gut“ und „Böse“ E<strong>in</strong>halt zu<br />

gebieten.<br />

Für den Betrachter lässt sich dabei jeweils trefflich dar<strong>über</strong> streiten, ob e<strong>in</strong> Sachverhalt <strong>über</strong>haupt und nach<br />

welchen moralischen Gesichtspunkten als „gut“ oder „böse“ bewertet werden kann. Aus der Sicht dessen,<br />

der Objekt e<strong>in</strong>es von ihm als „böse“ erlebten Impulses wird, ist die Sache <strong>in</strong> der Regel klarer. Im Rahmen der<br />

vorliegenden Arbeit soll deshalb „Böses“ <strong>–</strong> und wegen der komplementären Konzeption entsprechend auch<br />

„Gutes“ <strong>–</strong> phänomenologisch aus dem Erleben des Rezipienten verstanden werden. S<strong>in</strong>d wir betroffen, so<br />

signalisieren <strong>uns</strong> Wahrnehmung und Gefühl, ob <strong>uns</strong> soeben „Gutes“ oder „Böses“ widerfahren ist und diese,<br />

freilich oft von den erwähnten Spaltungsphänomenen problematisch <strong>über</strong>lagerte Bewertung machen wir zur<br />

Grundlage <strong>uns</strong>erer Reaktion.<br />

Es ist zu fragen, was die Psychoanalyse zur Lösung dieses Problems beitragen kann. Entgegen e<strong>in</strong>er verbreiteten<br />

Hoffnung zweifle ich daran, <strong>das</strong>s sich gesellschaftliche Konflikte deutend „heilen“ lassen. Es ist jedoch<br />

legitim, den skizzierten makrosoziologischen Befund <strong>in</strong> der Arbeit mit <strong>uns</strong>eren Patienten im Auge zu behalten<br />

<strong>–</strong> um so vielleicht aus <strong>uns</strong>erer Kenntnis psychischer Reaktionsbereitschaft Rückschlüsse auf die Genese<br />

<strong>über</strong><strong>in</strong>dividueller Mechanismen zur Angstbewältigung ziehen zu können.<br />

Liebe und Enttäuschung<br />

„Böse“ ist für <strong>uns</strong> also zu allererst e<strong>in</strong> wahrgenommenes Gegen<strong>über</strong>, <strong>das</strong> <strong>uns</strong> aus dem paradiesischen Urzustand,<br />

<strong>in</strong> dem wir <strong>uns</strong> selbst genügten, wegzerrt. Solche Erschütterungen widerfahren dem Säugl<strong>in</strong>g ontogenetisch<br />

früh: im Verlauf der „Trennungs-Wiederannäherungs-Phase“ (Mahler, 1980) <strong>–</strong> vom 8. bis zum<br />

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