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Begegnungen – über das Fremde in uns Norbert Mink ...

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IZPP. Ausgabe 1/2009. Themenschwerpunkt „Gut und Böse“. <strong>Norbert</strong> M<strong>in</strong>k, <strong>Begegnungen</strong> <strong>–</strong> <strong>über</strong> <strong>das</strong> <strong>Fremde</strong> <strong>in</strong> <strong>uns</strong><br />

<strong>Begegnungen</strong><br />

Wenn wir <strong>uns</strong> abschließend nochmals der gesellschaftlichen Ebene zuwenden, dann mit der Frage, ob wir<br />

Lösungsmöglichkeiten für e<strong>in</strong>ige Ursachen der zu beobachtenden sozialen Gewalt aus <strong>uns</strong>eren kl<strong>in</strong>ischen<br />

Befunden ableiten können. Es zeigte sich ja, <strong>das</strong>s beg<strong>in</strong>nend mit der Abwendung vom <strong>Fremde</strong>n sich <strong>das</strong><br />

Selbst konstituieren kann. Und <strong>das</strong>s nachfolgend aus der Wahrnehmung der Differenz heraus <strong>in</strong> der erneuten<br />

H<strong>in</strong>wendung sich <strong>das</strong> Selbst se<strong>in</strong>e Objekte <strong>in</strong>teraktionell schafft. Dennoch muss der „Dialog der Kulturen“ <strong>–</strong><br />

im kle<strong>in</strong>en wie im großen <strong>–</strong> im polarisierenden „Selbstwerden durch den Anderen“ (Hanzig-Bätz<strong>in</strong>g, 1996)<br />

stecken bleiben, solange die eigene Identität sich ausschließlich als Negativ des Gegen<strong>über</strong>s formiert.<br />

Wenn wir mit der gebotenen Vorsicht <strong>uns</strong>er psychotherapeutisches Wissen auf die erwähnten gesellschaftlichen<br />

Probleme anwenden, wird zunächst deutlich, <strong>das</strong>s verlässliche soziale Strukturen die regressive<br />

Dynamik e<strong>in</strong>er Identitätsf<strong>in</strong>dung durch Gegnerschaft e<strong>in</strong>dämmen können. Natürlich stellt dies ke<strong>in</strong>en Ruf<br />

nach autokratischen Kräften dar. Wünschenswert ist vielmehr e<strong>in</strong>e funktionale Autorität, die <strong>in</strong> der Lage ist,<br />

verb<strong>in</strong>dliche Grenzen für alle verlässlich zu vertreten <strong>–</strong> und die Willens bleibt, sich den damit verbundenen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen zu stellen. In allen Sozialisationsbereichen des Alltags bildet die Erfahrung <strong>uns</strong>erer<br />

Grenzen, die ja zugleich auch die Begrenzungen des Gegen<strong>über</strong>s s<strong>in</strong>d, zentrale Kristallisationspunkte für<br />

die Konstitution <strong>uns</strong>erer Identität. Solche Kontakterfahrungen, die schon <strong>in</strong> der vorsprachlichen Zeit mit den<br />

Empf<strong>in</strong>dungen der mütterlichen Berührung und der Unterscheidung zwischen <strong>in</strong>nen und außen e<strong>in</strong>setzen,<br />

s<strong>in</strong>d auf komplexem Niveau als Konfrontation mit sozialen Grenzen künftig Anlass und Voraussetzung, <strong>das</strong><br />

eigene, abgegrenzte Selbst zu reflektieren. Und diese Reflektion der eigenen Kontur <strong>–</strong> <strong>in</strong> jedweder H<strong>in</strong>sicht<br />

<strong>–</strong> ist gemäß <strong>uns</strong>eren kl<strong>in</strong>ischen Beobachtungen e<strong>in</strong>e weitere Voraussetzung für die Überw<strong>in</strong>dung der „narzisstischen“<br />

Selbstabgrenzung <strong>über</strong> e<strong>in</strong>e Polarisierung <strong>in</strong> „gut/ich“ oder „böse/du“. Denn die Erfahrung von<br />

Grenzen ist potentiell immer die Begegnung mit dem Anderen <strong>–</strong> und <strong>das</strong> gibt <strong>uns</strong> sekundär die Möglichkeit<br />

der Selbst-Erfahrung. In e<strong>in</strong>er bewussten Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den eigenen <strong>in</strong>neren Beschränkungen und<br />

Mangelerlebnissen können wir <strong>in</strong> <strong>uns</strong> jene Aspekte verspüren, die <strong>uns</strong> „gut“ oder „böse“ ersche<strong>in</strong>en, ohne <strong>uns</strong><br />

des e<strong>in</strong>en Teils umgehend projektiv entledigen und ihn im <strong>Fremde</strong>n bekämpfen zu müssen. So werden wir<br />

als Person oder als Gruppe zunehmend fähig, nach <strong>in</strong>tegrierenden Lösungen für <strong>uns</strong>ere <strong>in</strong>nere Polarisierung<br />

zu suchen. Und erst dann <strong>–</strong> nach e<strong>in</strong>er zum<strong>in</strong>dest ansatzweise erfolgten Selbst<strong>in</strong>tegration <strong>–</strong> ist e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressierte<br />

Begegnung mit dem <strong>Fremde</strong>n <strong>über</strong>haupt möglich. Ganz gleich, ob dieses <strong>Fremde</strong> e<strong>in</strong>e exotische Ethnie<br />

auf e<strong>in</strong>er <strong>uns</strong>erer Fernreisen ist, die Konfrontation mit e<strong>in</strong>em Angehörigen e<strong>in</strong>er <strong>uns</strong> unvertrauten sozialen<br />

Schicht <strong>in</strong> der hiesigen Gesellschaft oder die alltägliche Begegnung mit den Patienten <strong>in</strong> <strong>uns</strong>erer psychotherapeutischen<br />

Arbeit: nur die <strong>in</strong>tegrierende Akzeptanz <strong>uns</strong>erer eigenen Polarität lässt <strong>uns</strong> die Andersartigkeit des<br />

Gegen<strong>über</strong>s als Fasz<strong>in</strong>osum außerhalb <strong>uns</strong>erer selbst wahrnehmen.<br />

Literatur<br />

Benjam<strong>in</strong>, J.: “Beyond Doer and Done to”, Psychoan. Quart. 73, 2004<br />

Bion, W.: “Transformationen”, Frankfurt, 1997<br />

Bowlby, J.: „Trennung <strong>–</strong> Psychische Schäden als Folge der Trennung von Mutter und K<strong>in</strong>d“, München, 1976<br />

Cassirer, E.: „Versuch <strong>über</strong> den Menschen“, Hamburg, 2007<br />

Colpe, C., W. Schmidt-Büggemann (Hrsg): „Das Böse <strong>–</strong> E<strong>in</strong>e historische Phänomenologie des Unerklärlichen“,<br />

Frankfurt, 1993<br />

Derrida, J.: „Die Schrift und die Differenz“, Frankfurt, 1972<br />

Freud, S.: „Massenpsychologie und Ich-Analyse“, GW XIII, 1921c<br />

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