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Fall 2 - Taubenfüttern im Park - Tappe-online.de

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GrundR AG 3.11.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 1<br />

Arbeitsgemeinschaft Staatsrecht I (Grundrechte)<br />

Wintersemester 2006/07<br />

<strong>Fall</strong> 2: <strong>Taubenfüttern</strong> <strong>im</strong> <strong>Park</strong> (BVerfGE 54, 143 und BVerfGE 80, 137)<br />

Die kreisfreie Stadt M. hat in ihren ausge<strong>de</strong>hnten Grünanlagen Hinweisschil<strong>de</strong>r angebracht,<br />

wonach das Füttern von Tauben verboten ist. Auf <strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>rn wird verwiesen auf eine Verordnung<br />

(VO), die Verunreinigungsverbote zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Sicherheit und Ordnung auf <strong>de</strong>n Straßen und in <strong>de</strong>n Anlagen enthält und die sich auf § 27<br />

Abs. 1 OBG NW stützt.<br />

A betreibt neben <strong>de</strong>m <strong>Park</strong> einen Kiosk, in <strong>de</strong>m er auch Vogelfutter verkauft. A sieht durch das<br />

Verbot seine Umsätze gefähr<strong>de</strong>t. Er ist <strong>de</strong>r Auffassung, es liege ein Verstoß gegen Art. 12, 14<br />

und 2 vor. Auch das Füttern von Tauben falle unter die grundrechtlich geschützte Handlungsfreiheit.<br />

Außer<strong>de</strong>m verstoße die VO gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil das Füttern an<strong>de</strong>rer Tiere<br />

nicht verboten sei.<br />

Als er beobachtet, wie ein Streifenpolizist zum wie<strong>de</strong>rholten Male Verbote gegenüber Taubenfütterern<br />

ausspricht, möchte er dagegen einen „Musterprozess“ führen.<br />

Wäre eine Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> <strong>de</strong>s A begrün<strong>de</strong>t?<br />

Bearbeitervermerk: Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht zu prüfen.<br />

§ 27 OBG NW lautet:<br />

„(1) Die Ordnungsbehör<strong>de</strong>n können zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit<br />

o<strong>de</strong>r Ordnung Verordnungen erlassen.


GrundR AG 3.11.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 2<br />

Lösung zu <strong>Fall</strong> 2: <strong>Taubenfüttern</strong> <strong>im</strong> <strong>Park</strong> (BVerfGE 54, 143 und BVerfGE 80, 137)<br />

→ Lösungsschema (nur) zur materiellen Verfassungsmäßigkeit<br />

I. Art. 14 I 1, 1. Alternative GG, Eigentumsfreiheit<br />

(1. Schutzbereich betroffen?)<br />

Def.: „Eigentumsfähige Position ist grundsätzlich je<strong>de</strong>s vom Gesetzgeber gewährte<br />

(konkrete) vermögenswerte Recht“ (BVerfGE 58, 300 [336]) 1 – „alle vermögenswerte<br />

Rechte, die das bürgerliche Recht einem privaten Rechtsträger als Eigentum zuordnet“<br />

– „Geschützt ist <strong>de</strong>r Bestand (und die Nutzung <strong>de</strong>r Position), nicht <strong>de</strong>r Erwerb <strong>de</strong>s Eigentums“<br />

Zuerst prüfen, da <strong>de</strong>r Schutzbereich nicht beeinträchtigt ist: Es geht pr<strong>im</strong>är um die<br />

Möglichkeit, noch mehr Eigentum durch berufliche Tätigkeit zu erwerben, nicht darum,<br />

schon erworbenes Eigentum (etwa an <strong>de</strong>m Verkaufsstand o<strong>de</strong>r Warenbestand) ohne<br />

Beeinträchtigung zu nutzen.<br />

II.<br />

Art. 12 I GG, Berufsfreiheit<br />

1. Schutzbereich betroffen?<br />

Nach <strong>de</strong>n Überlegungen zu Art. 14 I GG liegt die Berufsfreiheit je<strong>de</strong>nfalls „näher am<br />

<strong>Fall</strong>“. Sie ist daher als nächstes zu prüfen.<br />

<br />

<br />

<br />

Auslegung <strong>de</strong>s Schutzbereichs:<br />

Definition »Beruf«: Beruf ist eine auf gewisse Dauer angelegte (nicht verbotene)<br />

Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage. (nicht nur traditionelle<br />

Berufsbil<strong>de</strong>r)<br />

Berufswahl, Berufsausbildung, Berufsausübung, selbständig o<strong>de</strong>r unselbständig,<br />

negative Berufsfreiheit, Arbeitsplatz etc.<br />

Ergebnis <strong>de</strong>r Schutzbereichsprüfung: Verkauf von Taubenfutter ist Teil <strong>de</strong>r Berufsausübung.<br />

Der Schutzbereich wird daher (untechnisch gesprochen) beeinträchtigt.<br />

1 Je<strong>de</strong>nfalls, wenn es durch Entfaltung <strong>de</strong>s Leistungswillens entstan<strong>de</strong>n ist, BVerfGE 31, 229 [240]. Keine<br />

Rolle spielt, ob es ein dingliches o<strong>de</strong>r absolutes Recht ist, das je<strong>de</strong>rmann gegenüber wirkt, o<strong>de</strong>r eine bloße<br />

For<strong>de</strong>rung. Art. 14 schützt nicht das Vermögen als solches. (BVerfGE 75, 108 [154])


GrundR AG 3.11.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 3<br />

2. Eingriff ?<br />

Ob ein Eingriff in diesen Schutzbereich vorliegt, hängt davon ab, ob man mit zahlreichen<br />

Urteilen <strong>de</strong>s BVerfG eine „unmittelbar berufsregeln<strong>de</strong> Ten<strong>de</strong>nz“ <strong>de</strong>r beeinträchtigten<br />

Maßnahme for<strong>de</strong>rt. Da eine solche Ten<strong>de</strong>nz bei <strong>de</strong>m Verbot, Tauben <strong>im</strong> <strong>Park</strong> zu<br />

füttern, wohl kaum feststellbar ist, liegt danach ein Eingriff in Art. 12 I GG nicht vor.<br />

Wenn man ann<strong>im</strong>mt, dass ein Eingriff in die Berufsfreiheit nicht vorliegt, ist als nächstes<br />

Art. 2 I GG (allgemeines Freiheitsrecht) als „Auffangtatbestand <strong>de</strong>r Freiheitsrechte“<br />

zu prüfen. Wenn aber ein Eingriff in Art. 12 I GG vorliegt, so ist insoweit (=hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r dort geprüften Beeinträchtigung) Art. 2 I GG nicht mehr zu prüfen.<br />

III.<br />

Art. 2 I GG, allgemeine Handlungsfreiheit<br />

1. Schutzbereich betroffen?<br />

<br />

<br />

<br />

Def. Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit: „Art. 2 Abs. 1 schützt jegliches<br />

menschliche Han<strong>de</strong>ln vor staatlichen Eingriffen“ (allgemeine Eingriffsfreiheit?<br />

– Handlungsfreiheit <strong>im</strong> umfassen<strong>de</strong>n Sinne, ohne Rücksicht darauf,<br />

welches Gewicht <strong>de</strong>r Betätigung für die Persönlichkeit zukommt)<br />

Subsidiäres Freiheitsrecht<br />

Konkretisierte Einzelverbürgungen spezieller Bereiche <strong>de</strong>r Persönlichkeitsentfaltung<br />

(Ehre, Kernbereich privater Lebensgestaltung, Int<strong>im</strong>bereich, informationelle<br />

Selbstbest<strong>im</strong>mung)<br />

2. Eingriff ?<br />

Hier kann <strong>de</strong>r belasten<strong>de</strong> Staatsakt liegen in:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<strong>de</strong>m von einem Polizeibeamten ausgesprochenen Verbot<br />

<strong>de</strong>r Verordnung<br />

§ 27 Abs. 1 OBG NW<br />

<strong>de</strong>m verwaltungsgerichtlichen Urteil<br />

Hier soll (unabhängig von <strong>de</strong>r verfassungsprozessualen Situation) die Verfassungsmäßigkeit<br />

<strong>de</strong>s von einem Polizeibeamten ausgesprochenen Verbotes geprüft wer<strong>de</strong>n.


GrundR AG 3.11.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 4<br />

Die Eingriffsqualität ist für die »Taubenfütterer« je<strong>de</strong>nfalls unproblematisch gegeben,<br />

da ein staatlicher Verhaltensbefehl (belasten<strong>de</strong>r VA) vorliegt. Problem: Eingriff in die<br />

Freiheitsrechte <strong>de</strong>s A ? Angenommen: [+]<br />

3. Eingriffsrechtfertigung<br />

a) Ist <strong>de</strong>r Eingriff durch o<strong>de</strong>r auf Grund eines Gesetzes erfolgt?<br />

Hier: Nicht durch Gesetz. Also: auf Grund?<br />

Der belasten<strong>de</strong> staatliche Akt (hier: VA) muss sich je<strong>de</strong>nfalls auf ein Gesetz stützen<br />

können. In Frage kommt hier § 27 Abs. 1 OBG NW o<strong>de</strong>r die VO <strong>de</strong>r Stadt X.<br />

Da Gesetz hier formelles Gesetz be<strong>de</strong>utet, ist richtig: § 27 Abs. 1 OBG NW i. V. m.<br />

<strong>de</strong>r VO <strong>de</strong>r Stadt X.<br />

b) Ist das Gesetz selbst (= nicht <strong>de</strong>r Staatsakt, <strong>de</strong>r sich auf dieses Gesetz stützen<br />

will) verfassungsgemäß?<br />

aa)<br />

Formelle Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes (§ 27 I OBG NW)<br />

(1.) Gesetzgebungskompetenz: Art. 70 Abs. 1 GG: Län<strong>de</strong>r<br />

(2.) Gesetzgebungsverfahren:<br />

[kann bei<strong>de</strong>s bei OBG NW unterstellt wer<strong>de</strong>n.]<br />

bb)<br />

Materielle Verfassungsmäßigkeit<br />

(1.) Schrankenvorbehalt: in Art. 2 I GG enthalten:<br />

Rechte an<strong>de</strong>rer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz<br />

(2.) Problematisch ist hier allenfalls das Best<strong>im</strong>mtheitsgebot (als Teil <strong>de</strong>s<br />

Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 3 GG)


GrundR AG 3.11.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 5<br />

(3.) Ist das Gesetz verhältnismäßig (<strong>im</strong> weiteren Sinn, „Übermaßverbot“):<br />

(a)<br />

(b)<br />

(c)<br />

(d)<br />

Verfolgt das Gesetz überhaupt einen verfassungsrechtlich legit<strong>im</strong>en Zweck?<br />

Ist das Gesetz geeignet, diesen Zweck zu erfüllen?<br />

Ist es dazu auch erfor<strong>de</strong>rlich, o<strong>de</strong>r wäre ein mil<strong>de</strong>res Mittel <strong>de</strong>nkbar?<br />

Ist das Gesetz verhältnismäßig <strong>im</strong> engeren Sinn:<br />

Steht die Beeinträchtigung, die das Gesetz (hier noch nicht: <strong>de</strong>r aufgrund <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

ergehen<strong>de</strong> Eingriffsakt) für <strong>de</strong>n von ihm Betroffenen be<strong>de</strong>utet, in einem richtig gewichteten<br />

und wohl abgewogenen Verhältnis zu <strong>de</strong>m mit <strong>de</strong>m Gesetz verfolgten Zweck?<br />

Hier keine Be<strong>de</strong>nken.<br />

[c)<br />

Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>r Verordnung<br />

aa)<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Art. 80 I GG<br />

(hier zur Vereinfachung geprüft anstelle von Art. 70 Verf NW)<br />

(1.) Richtiger Ermächtigungsadressat<br />

(2.) Inhalt Zweck und Ausmaß <strong>im</strong> Gesetz best<strong>im</strong>mt?<br />

(3.) Rechtsgrundlage in <strong>de</strong>r VO angegeben?<br />

(4.) Voraussetzungen für weitere Delegation (Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG<br />

(5.) Zust<strong>im</strong>mungsbedürftigkeit ? (Art. 80 Abs. 2 GG)<br />

bb)<br />

cc)<br />

Hält sich die VO <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r gesetzlichen Ermächtigung?<br />

Ist sie ihrerseits mit höherrangigem Recht (insbes. GRen) vereinbar?<br />

(1.) Formelle Rechtmäßigkeit (Erlass durch das richtige Organ, Verfahren<br />

etc.)<br />

(2.) Verhältnismäßigkeit <strong>de</strong>r Verordnung i. w. S.]


GrundR AG 3.11.2006<br />

Henning <strong>Tappe</strong> S. 6<br />

d) Ist auch <strong>de</strong>r Ausführungsakt = konkrete Eingriffsakt selbst verfassungsmäßig?<br />

aa)<br />

bb)<br />

Beruht er auf <strong>de</strong>m Gesetz und <strong>de</strong>r VO (=Subsumtion, nur spezifisches VerfR)<br />

Ist <strong>de</strong>r Ausführungsakt = <strong>de</strong>r konkrete Eingriffsakt (hier: die Verwaltungsmaßnahme,<br />

VA) seinerseits verhältnismäßig?<br />

(1.) Legit<strong>im</strong>es Ziel?<br />

(2.) Geeignet?<br />

(3.) Erfor<strong>de</strong>rlich (Mil<strong>de</strong>res Mittel ersichtlich ?)<br />

(4.) Verhältnismäßigkeit <strong>im</strong> engeren Sinn ?<br />

IV.<br />

Art. 3 I GG, Allgemeines Gleichheitsrecht<br />

(Prüfung wird durch Bearbeitervermerk ausgeschlossen; an<strong>de</strong>rer Aufbau etc.)

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