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Wuppertal 1968 - Facetten von Protest und Aufbruch ... - 40 Jahre 68

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<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

BEWEGTE ZEITEN: EINE CHRONIK DER JAHRE 1967 – 1969 IN WUPPERTAL<br />

Die Ereignisse <strong>von</strong> »<strong>68</strong>« finden nicht nur in den großstädtischen Zentren der Studentenbewegung, in Berlin <strong>und</strong> Frankfurt statt, sondern hinterlassen auch in der Provinz ihre Spuren. Auch im <strong>Wuppertal</strong> der <strong>Jahre</strong> 1967ff. schlagen<br />

sich alle großen Themen der Außerparlamentarischen Opposition (APO) nieder: Der seit 1965 offen ausgetragene Krieg der USA in Vietnam, die Pläne der Großen Koalition für eine Notstandsgesetzgebung, das Erstarken<br />

des Neonazismus <strong>und</strong> der NPD, das Aufbegehren gegen die autoritären Strukturen in Universitäten, Schulen <strong>und</strong> Betrieben usw. Gegen diese <strong>und</strong> andere Entwicklungen bildet sich nach <strong>und</strong> nach eine breite Oppositionsbewegung<br />

heraus, die Akteure aus unterschiedlichen sozialen <strong>und</strong> politischen Zusammenhängen mobilisieren kann. Studierende <strong>und</strong> SchülerInnen beteiligten sich ebenso wie Teile der ProfessorInnen <strong>und</strong> DozentInnen der <strong>Wuppertal</strong>er<br />

Hochschulen. Angehörige der illegalen KPD sind ebenso vertreten wie GewerkschafterInnen, PädagogInnen <strong>und</strong> TheologInnen. Und auch im Bergischen Land entwickelten sich aus dem <strong>Protest</strong> neue (oder wiederbelebte)<br />

politische <strong>und</strong> kulturelle Orientierungen <strong>und</strong> Aktionsformen, deren Wirkungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen spürbar wurden. Viele der prägenden Ereignisse <strong>und</strong> Entwicklungen <strong>von</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> zeichnet sich bereits im Jahr<br />

1967 ab.<br />

1967<br />

NRZ 24.04.67<br />

21. April<br />

Beim Besuch des amerikanischen Botschafters McGhee kommt es zu einer<br />

nicht angemeldeten Demonstration vor dem Barmer Rathaus. Bereits vor der<br />

Ankunft des Botschafters werden sechs DemonstrantInnen in Gewahrsam genommen.<br />

Nach Abfahrt des Besuchers kommt es zu Auseinandersetzungen mit<br />

der Polizei.<br />

27. April<br />

Der Auftritt des Kabarettisten<br />

Dietrich<br />

Kittner im Rahmen<br />

der Woche der<br />

Kriegsdienstverweigerung<br />

wird <strong>von</strong> einem<br />

Beamten der<br />

Politischen Polizei bespitzelt. Kittner wendet sich mit einem offenen Brief an Innenminister<br />

Willi Weyer <strong>und</strong> protestiert gegen den Besuch <strong>von</strong> »Staatsrezensenten«.<br />

Nach beträchtlichem öffentlichem Aufsehen untersagt Weyer seinen<br />

Beamten »den dienstlichen Besuch <strong>von</strong> Kabarettveranstaltungen«.<br />

30. April<br />

200 Menschen, darunter viele Exil-GriechInnen demonstrieren in Elberfeld gegen<br />

den Militär-Putsch (21. April) <strong>und</strong> für die Freiheit.<br />

30. April<br />

Auftaktveranstaltung der<br />

Aktion 67 im Clublokal Impuls<br />

am Döppersberg. Mit<br />

dem Auftritt der Free Group<br />

<strong>und</strong> politschem Kabarett beginnt<br />

eine Serie <strong>von</strong> alternativen,<br />

linken Musik-, Literatur-<br />

<strong>und</strong> Diskussionsveranstaltungen.<br />

NRZ 05.06.67<br />

Tagung des DGB zu den Notstandsgesetzen<br />

mit 1.300 BesucherInnen statt. Unter dem<br />

Eindruck des Todes Benno Ohnesorgs bestätigen<br />

die TeilnehmerInnen ihr klares »Nein«<br />

zu den Notstandsgesetzen.<br />

16. Juni<br />

Der <strong>Wuppertal</strong>er DGB lehnt die Mitwirkung<br />

oder die Mitgliedschaft an dem in der Gründung<br />

befindlichen Ortskuratorium Notstand<br />

der Demokratie ab.<br />

NRZ 02.06.67<br />

3. Juni<br />

Zwanzig Professoren <strong>und</strong> Dozenten der<br />

Kirchlichen Hochschule appellieren in einem<br />

offenen Brief an US-Botschafter McGhee,<br />

sich für Friedensverhandlungen in Vietnam<br />

einzusetzen.<br />

5. Juni<br />

An der Trauerfeier für den in Berlin erschossenen<br />

Demonstranten Benno Ohnesorg beteiligen<br />

sich 300 <strong>Wuppertal</strong>er StudentInnen<br />

<strong>und</strong> ProfessorInnen.<br />

9. Juni<br />

Am Tag der Beerdigung Ohnesorgs folgen<br />

700 Angehörige der <strong>Wuppertal</strong>er Hochschulen<br />

dem Aufruf nach Vorlesungsstreik <strong>und</strong><br />

beteiligen sich an der <strong>Protest</strong>k<strong>und</strong>gebung.<br />

Auch die Beschäftigten der <strong>Wuppertal</strong>er<br />

Bühnen schließen sich an.<br />

10. Juni<br />

In der Elberfelder<br />

Stadthalle<br />

findet eine<br />

NRZ 10.06.67<br />

17./18. Juni, Frankfurt:<br />

<strong>40</strong>0 VertreterInnen <strong>von</strong> Schülergruppen<br />

aus 26 Städten der<br />

gesamten<br />

B<strong>und</strong>esrepublik<br />

gründen mit Unterstützung des<br />

SDS das Aktionszentrum unabhängiger<br />

<strong>und</strong> sozialistischer<br />

Schüler (AUSS). Aus <strong>Wuppertal</strong><br />

beteiligen sich SchülerInnen<br />

des Carl-Duisberg-Gymnasiums<br />

<strong>und</strong> der Kaufmännischen<br />

Unterrichtsanstalten am<br />

1. B<strong>und</strong>eskongress.<br />

23. Juni<br />

Der DGB bildet einen 25-köpfigen Ausschuss für Notstandsfragen, der den Vorstand<br />

<strong>und</strong> die Gewerkschaftsmitglieder beraten soll.<br />

Diskussionsr<strong>und</strong>e zum Thema Unruhe im Staate am 30.06.67<br />

FOTO: NRZ 01.07.67 / V. GRAUDENZ<br />

len das »außerparlamentarische<br />

Engagement der akademischen Jugend«.<br />

1. Juli<br />

30. Juni<br />

Auf einer Diskussionsveranstaltung<br />

über die »Unruhe<br />

im Staate« diskutieren<br />

Professoren,<br />

Journalisten<br />

<strong>und</strong><br />

Polizisten mit Studenten<br />

der <strong>Wuppertal</strong>er<br />

Hochschu-<br />

Die auf einer gemeinsamen Tagung <strong>von</strong> evangelischen <strong>und</strong> katholischen Gruppen<br />

erarbeiteten 50 Thesen gegen den Vietnam-Krieg werden unter dem Titel:<br />

»Ein Krieg klagt an!« im <strong>Wuppertal</strong>er Jugenddienst-Verlag veröffentlicht.<br />

24. Juli<br />

Auf Initiative eines Studenten <strong>und</strong> eines Dozenten der Pädagogischen Hochschule<br />

konstituiert sich ein aus zwanzig Personen bestehendes Vorbereitungskomitee,<br />

das die Möglichkeiten der Aufklärung <strong>und</strong> politischen Aktion gegen die<br />

Notstandsgesetze beraten will. Erklärtes Ziel ist die Verhinderung des <strong>von</strong> der<br />

Großen Koalition anvisierten Gesetzes <strong>und</strong> explizit wendet man sich gegen VertreterInnen<br />

der SPD, die ihre frühere, kritische Haltung revidiert haben.<br />

Protokoll einer Besprechung zur Gründung des Kuratoriums Notstand der Demokratie am 24.07.67<br />

QUELLE: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Sammlung van Norden (NDS 221, 3-5)<br />

16. August<br />

Start der Kampagne der Aktionsgemeinschaft Paragraph 103. Bis Ende des Monats<br />

bezichtigen sich 50 <strong>Wuppertal</strong>er <strong>und</strong> <strong>Wuppertal</strong>erinnen beim Innenministerium,<br />

den persischen Schah öffentlich als Despoten <strong>und</strong> Mörder bezeichnet zu<br />

haben <strong>und</strong> erstatten Selbstanzeige wegen Verstoß gegen den Paragrafen 103<br />

StGB (»Beleidigung <strong>von</strong> Organen <strong>und</strong> Vertretern ausländischer Staaten«).<br />

18. September<br />

Nach ersten Vorbereitungstreffen wird der Ortsausschuss des Kuratoriums<br />

Notstand der Demokratie ins Leben gerufen. Zum Gründungskreis gehören<br />

vierzig Personen. Bis Ende des <strong>Jahre</strong>s erklären 150 <strong>Wuppertal</strong>erInnen ihre Bereitschaft<br />

zur Mitarbeit.<br />

1. Oktober<br />

NRZ 16./17.06.67<br />

In Düsseldorf konstituiert sich mit Beteiligung <strong>Wuppertal</strong>er SchülerInnen die<br />

Unabhängige Schülergemeinschaft Nordrhein-Westfalen, die sich dem AUSS<br />

als (einziger) Landesverband anschliesst. Die AktivistInnen kritisieren die traditionelle<br />

Schülermitverwaltung, weil diese lediglich an anderer Stelle getroffene<br />

Entscheidungen umsetzte.<br />

4. Oktober<br />

Eine Veranstaltung der NPD in Cronenberg muss verlegt werden, weil die Wirtin<br />

des Lokals ihren Saal nach anonymen Anrufen nicht mehr zur Verfügung stellt.<br />

Auch nach dem Umzug in einen Ausweichsaal kommt es zu <strong>Protest</strong>en gegen die<br />

Veranstaltung. Die Rede des stellvertretenden Landesvorsitzenden geht in den<br />

Rufen der DemonstrantInnen unter.<br />

17. Oktober<br />

Zu einer vom DGB <strong>und</strong> der VHS organisierten Vortragsveranstaltung in der<br />

Stadthalle zum Thema »Die USA, Vietnam <strong>und</strong> Wir« finden sich mehr als 1.000<br />

HörerInnen ein.<br />

21. Oktober<br />

Am Internationalen Aktionstag zur Beendigung des Vietnam-Kriegs organisiert<br />

die <strong>Wuppertal</strong>er Kampagne für Abrüstung auf dem Kerstenplatz eine Unterschriftensammlung.<br />

In vier St<strong>und</strong>en unterschreiben 450 Menschen gegen den<br />

Krieg.<br />

24. Oktober<br />

Im<br />

<strong>Wuppertal</strong>er<br />

Schülerparlament<br />

wird über die Frage<br />

beraten, ob die<br />

gewählten<br />

politische<br />

Erklärungen<br />

SchülervertreterInnen<br />

abgeben<br />

dürfen. Insbesondere die Unabhängigen Schülergemeinschaften <strong>und</strong> deren politische<br />

Aktivitäten stehen im Mittelpunkt der Diskussion. Eine endgültige Entscheidung<br />

über die Politisierung wird vertagt<br />

NRZ 11.11.67<br />

11. November<br />

An der Pädagogischen Hochschule<br />

<strong>Wuppertal</strong> konstituiert sich eine<br />

Gruppe des Sozialistischen Deutschen<br />

Studentenb<strong>und</strong>es (SDS). Bei<br />

der ersten Versammlung werden<br />

zwölf Mitglieder gezählt.<br />

21. November<br />

Das Landgericht Berlin-Moabit<br />

spricht den Mörder <strong>von</strong> Benno Ohnesorg<br />

<strong>von</strong> der Anklage der fahrlässigen<br />

Tötung frei. Der SDS <strong>Wuppertal</strong><br />

übt in einem Flugblatt heftige Kritik<br />

an dieser Entscheidung ebenso wie<br />

an der Verhaftung des Berliner Kommunarden<br />

Fritz Teufel. »Wir halten<br />

den Freispruch <strong>von</strong> Kurras nicht für eine zufällige Ausnahme oder eine Entgleisung,<br />

genausowenig wie Teufels Haft <strong>und</strong> Springers Meinungsmache. Wir halten<br />

dergleichen vielmehr für symptomatisch.«<br />

23. November<br />

Der Chefredakteur der Gewerkschaftlichen<br />

Monatshefte, Professor<br />

Walter Fabian, spricht im vollbesetzten<br />

Elberfelder Verwaltungshaus<br />

über die Gefahr der Notstandsgesetzgebung<br />

für Demokratie <strong>und</strong> Freiheit.<br />

Die BRD bezeichnet er als eine<br />

»Demokratie der Geheimstempel«.<br />

19. Dezember<br />

Auf einer außerordentlichen Unterbezirkskonferenz der SPD lehnen die Delegierten<br />

die <strong>von</strong> der B<strong>und</strong>esregierung geplanten Notstandsgesetze mit großer<br />

Mehrheit ab. In zahlreichen Punkten seien noch Änderungen im Gesetzesentwurf<br />

anzubringen. Bedenklich sei insbesondere die Einschränkung der Gr<strong>und</strong>rechte.<br />

Diese Haltung wird später aufgegeben.<br />

22. Dezember<br />

Walter Diel vom Internationalen Institut für Frieden (Wien) referiert in der Kirchlichen<br />

Hochschule zur Vietnam-Krieg <strong>und</strong> wendet sich gegen den amerikanischen<br />

Kardinal Spellmann, der die Intervention der USA mit den Worten: »Wir<br />

müssen den Krieg gewinnen, damit das, was wir Zivilisation nennen, erhalten<br />

bleibt«, verteidigt hatte.<br />

NRZ 08.11.67<br />

Einladung zur Veranstaltung des Kuratoriums Notstand<br />

der Demokratie<br />

QUELLE: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Sammlung van Norden<br />

(NDS 221, 3-5)<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

BEWEGTE ZEITEN: EINE CHRONIK DER JAHRE 1967 – 1969 IN WUPPERTAL<br />

Das Jahr <strong>19<strong>68</strong></strong> markiert den Höhepunkt der außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen in Deutschland. Auch in <strong>Wuppertal</strong> ist es die Zeit der intensivsten Mobilisierung aller Gruppen <strong>und</strong> Initiativen. Mit der bevorstehenden<br />

Entscheidung im B<strong>und</strong>estag nehmen die <strong>Protest</strong>e gegen die Notstandsgesetze zu. Seit Beginn des <strong>Jahre</strong>s kommt es zu immer wieder zu <strong>Protest</strong>aktionen <strong>und</strong> Demonstrationen gegen die Pläne der B<strong>und</strong>esregierung, an denen<br />

sich alle außerparlamentarischen Gruppen, die Gewerkschaften, viele StudentInnen <strong>und</strong> auch SchülerInnen beteiligen. Auch die Hochschulen sind in Bewegung. Die in der APO praktizierten <strong>Protest</strong>formen strahlen sogar in<br />

eher »unpolitische« Fachbereiche aus. An den Ingenieurschulen formiert sich im Führsommer eine eigene Streikbewegung <strong>und</strong> auch die SchülerInnen der Sozialschulen beschließen den Ausstand. Aber auch der Zerfall der<br />

APO zeichnet sich bereits ab. Schon zu Beginn des <strong>Jahre</strong>s - nach dem Internationalen Vietnam-Kongress in Berlin - machen sich in der Anti-Notstands-Bewegung deutliche Differenzen über die politische Ausrichtung <strong>und</strong> Stragie<br />

bemerkbar, die nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze zum endgültigen Zerfall des Bündnisses führen.<br />

<strong>19<strong>68</strong></strong><br />

31. Dezember / 1. Januar<br />

In der Sylvesternacht werden an sieben<br />

Kirchen Parolen mit Ölfarbe angebracht.<br />

»Brecht dem Klerus die Gräten,<br />

alle Macht den Räten« - »Christus<br />

kämpft mit dem Vietcong«. Die Ermittlungen<br />

der Staatsanwaltschaft bleiben<br />

erfolglos <strong>und</strong> werden bereits am 23.<br />

Januar wieder eingestellt.<br />

12. Januar<br />

SchülerInnen protestieren gegen die zu Beginn des <strong>Jahre</strong>s in Kraft getretene<br />

Fahrpreiserhöhung. Das Plenum des Schülerparlamentes lehnt den <strong>von</strong> den Verkehrsbetrieben<br />

<strong>und</strong> der Stadtverwaltung angebotenen Kompromiss ab <strong>und</strong><br />

droht mit WSW-Boykott <strong>und</strong> Demonstrationen. Nach weiteren Verhandlungen<br />

wird am 16. Februar ein ermäßigter Schülertarif angeboten. Am 19. billigt das<br />

Schülerparlament das Angebot <strong>und</strong> verzichtet auf Demonstrationen.<br />

28. Januar<br />

Beim Sonntagsgottesdienst verteilen StudentInnen der Kirchlichen Hochschule<br />

10.000 Flugblätter gegen den Krieg in Vietnam an die BesucherInnen <strong>von</strong> über<br />

dreißig Kirchen. Mit den Informationen sollen diese angeregt werden, sich mit<br />

dem Krieg <strong>und</strong> der Verantwortung der christlichen Gemeinden auseinander zu<br />

setzen. Die Aktion ist auch eine Reaktion auf den Vorwurf, die Kirchen verhielten<br />

sich zu gleichgültig <strong>und</strong> untätig gegenüber dem Krieg.<br />

NRZ 20.01.<strong>68</strong><br />

28. Januar<br />

Bei der Auftaktveranstaltung der Kampagne für<br />

Abrüstung <strong>und</strong> Demokratie treten Professor Walter<br />

Fabian <strong>und</strong> Arno Klönne vor 1.500 TeilnehmerInnen<br />

als Hauptredner auf. Im Anschluss an die Veranstaltungen<br />

kommt es bei einem Fackelzug zu<br />

Auseinandersetzungen mit der Polizei nachdem<br />

die 1.000 TeilnehmerInnen des am Neumarkt die<br />

genehmigte Route verlassen. Einh<strong>und</strong>ert meist jugendliche<br />

DemonstrantInnen unternehmen ein Go-<br />

In im Elberfelder Rathaus.<br />

13. Februar<br />

Aus <strong>Protest</strong> gegen die geplante Akademiegesetzgebung<br />

treten die sechzig Studierenden der Höheren Fachschule für Sozialarbeit<br />

in einen eintägigen Vorlesungsstreik. Weitere <strong>Protest</strong>e werden angekündigt.<br />

6. März<br />

14 Angehörige <strong>von</strong> Naturfre<strong>und</strong>e-Jugend, Gewerkschaften, SDS, der Kampagne<br />

für Demokratie <strong>und</strong> Abrüstung sowie ein nicht organisierter Schüler rufen den<br />

örtlichen Gründungsausschuss für die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend<br />

(SDAJ) ins Leben. Die Gründung der SDAJ erfolgt am 5. Mai in Trier.<br />

30. März<br />

Zwanzig mit Wasserpistolen ausgerüstete<br />

APO-DemonstrantInnen sprengen die Abschlussk<strong>und</strong>gebung<br />

des Kreisparteitages<br />

der CDU. Mit lautstarken Zwischenrufen<br />

wird die Rede des B<strong>und</strong>esministers Kai<br />

Uwe <strong>von</strong> Hassel gestört. Nach einem Handgemenge<br />

mit Ordnern <strong>und</strong> CDU-Mitgliedern<br />

rückt die Polizei an.<br />

11. April<br />

In Berlin wird Rudi Dutschke durch ein Attentat des neonazistisch beeinflussten<br />

Josef Bachmann lebensgefährlich verletzt. Am Abend beginnen 2.000 StudentInnen<br />

das Springer-Hochhaus zu stürmen <strong>und</strong> in den folgenden Tagen kommt<br />

es in der gesamten B<strong>und</strong>esrepublik zu Versuchen, die Auslieferung <strong>von</strong> Springer-Zeitungen<br />

zu verhindern. In Washington, New York, Toronto, London, Amsterdam,<br />

Brüssel, Paris, Mailand, Tel Aviv, Belgrad, Oslo, Prag <strong>und</strong> Wien finden<br />

NRZ 13.04.<strong>68</strong><br />

FOTO: General-Anzeiger 02.01.<strong>68</strong><br />

Handgemenge beim CDU-Parteitag<br />

FOTO: General-Anzeiger 01.04.<strong>68</strong><br />

Solidaritätsk<strong>und</strong>gebungen statt.<br />

In <strong>Wuppertal</strong> verlaufen die <strong>Protest</strong>e<br />

ruhig. In der Nacht zum<br />

Karfreitag werden Geschäftsgebäude<br />

in der Elberfelder Innenstadt<br />

mit Parolen beschrieben.<br />

Am Nachmittag versammeln<br />

sich dreißig DemonstrantInnen<br />

in der Innenstadt <strong>und</strong> verteilen<br />

Flugblätter. Symbolisch werden<br />

Zeitungen verbrannt.<br />

21. April<br />

Die Gruppe 65 veranstaltet in Barmen einen Autokorso, mit dem gegen den<br />

Krieg in Vietnam protestiert werden soll. Zwanzig Autos, zum Teil mit Plakaten<br />

versehen, beteiligen sich an der Aktion, die <strong>von</strong> starken Polizeikräften begleitet<br />

wird. Anschließend findet auf dem Ratshausvorplatz eine K<strong>und</strong>gebung statt, zu<br />

der sich 100 DemonstrantInnen einfinden <strong>und</strong> den Reden <strong>von</strong> Vertretern der<br />

Gruppe 65, dem SDS <strong>und</strong> dem Ostermarsch zuhören.<br />

25. April, Düsseldorf<br />

700 <strong>Wuppertal</strong>er Studierende der Staatlichen Ingenieurschulen <strong>Wuppertal</strong> beteiligen<br />

sich an der Großk<strong>und</strong>gebung gegen die Akademiegesetzgebung in Düsseldorf.<br />

26. April<br />

DemonstratInnen vor der NPD-Versammlung<br />

im »<strong>Wuppertal</strong>er Hof«<br />

FOTO: NRZ 03.05.<strong>68</strong> / ANNETTE ZELDLER<br />

3. Mai<br />

Go-in <strong>von</strong> 200 Ingenieurstudenten<br />

auf den Schreinerswiesen am Grifflenberg.<br />

1. Mai<br />

50 DemonstrantInnen verhindern<br />

die »Anti-Mai-Feier« der NPD in Barmen.<br />

Zuvor war auf der gewerkschaftlichen<br />

Maifeier in der Stadthalle<br />

zum Widerstand aufgerufen<br />

worden.<br />

Die Studierenden der Höheren Fachschule für Sozialarbeit treten in einen unbefristeten<br />

Vorlesungsstreik. In NRW wird an insgesamt 15 Sozialschulen gestreikt.<br />

11. Mai, Bonn:<br />

An dem vom Kuratorium Notstand der<br />

Demokratie durchgeführten Sternmarsch<br />

auf Bonn beteiligen sich über<br />

60.000 DemonstrantInnen aus der gesamten<br />

B<strong>und</strong>esrepublik – darunter<br />

800 Menschen aus <strong>Wuppertal</strong>. In Dortm<strong>und</strong><br />

versammeln sich 15.000 GewerkschafterInnen zu einer K<strong>und</strong>gebung.<br />

15. - 30. Mai<br />

Anlässlich der zweiten <strong>und</strong> dritten Lesung der Notstandsgesetze im B<strong>und</strong>estag<br />

finden in <strong>Wuppertal</strong> eine Reihe <strong>von</strong> Anti-Notstands-Aktionen statt, an denen sich<br />

SchülerInnen, StudentInnen, HochschullehrerInnen <strong>und</strong> GewerkschafterInnen<br />

beteiligen.<br />

NRZ 07.07.<strong>68</strong><br />

16. Mai<br />

Gründung der Sozialistischen<br />

Schülergemeinschaft<br />

<strong>Wuppertal</strong>.<br />

21. Mai<br />

in<br />

Gründung des Republikanischen<br />

Club <strong>Wuppertal</strong> e.V.. Am 28. Mai wird die »Republikanische Erklärung 1« veröffentlicht<br />

<strong>und</strong> »Information«, »Diskussion« <strong>und</strong> »Aktion« als zentrale Aufgaben<br />

der außerparlamentarischen Arbeit benannt.<br />

25. Mai<br />

Nach mehrwöchiger Renovierungsphase eröffnet das neue Aktionszentrum Impuls<br />

in der Arrenberger Viehhofstraße 154a. Das Impuls entwickelt sich zum<br />

zenralen Kommunikations- <strong>und</strong> Aktionsraum<br />

der politischen, sozialen<br />

<strong>und</strong> kulturellen Bewegungen in<br />

<strong>Wuppertal</strong> <strong>und</strong> Umgebung.<br />

5. Juni<br />

Obwohl eine in der Stadthalle geplante<br />

Großveranstaltung der NPD<br />

nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes<br />

Münster kurz-<br />

Diskussionen in Elberfeld nach dem Attentat auf Dutschke<br />

FOTO: Genral-Anzeiger 13.04.<strong>68</strong><br />

TeilnehmerInnen des Sternmarschs auf Bonn<br />

FOTO: NRZ 13.05.<strong>68</strong><br />

FOTO: NRZ 06.06.<strong>68</strong><br />

fristig abgesagt wird, demonstrieren 1.000 <strong>Wuppertal</strong>erInnen gegen die Neo-<br />

Nazis. Im Anschluss kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen NPD-Anhängern<br />

<strong>und</strong> 100 verbliebenen AntifaschistInnen<br />

11. Juni<br />

Bei der bis dahin größten StudentInnen-Demonstration legen 800 Studierende<br />

der Ingenieurschulen mit zwei Sit-ins den Verkehr an der Kreuzung Brausenwerth<br />

lahm. Auf Transparenten wird der Rücktritt <strong>von</strong> Kultusminister Holthof gefordert.<br />

Ein starkes Polizeiaufgebot räumt die Kreuzung.<br />

19. Juni<br />

Die Vollversammlung der IngenieurstudentInnen beschließt mit großer Mehrheit<br />

den Prüfungs- <strong>und</strong> Klausurenboykott.<br />

18. August<br />

Zum 12. <strong>Jahre</strong>stag des KPD-Verbotes fordern acht Demonstranten in der Elberfelder<br />

Innenstadt die Wiederzulassung der Partei. Am Neumarkt werden sie<br />

festgenommen <strong>und</strong> im Polizeipräsidium erkennungsdienstlich behandelt.<br />

21. August<br />

Truppen der Sowjetunion,<br />

der<br />

DDR, Ungarns, Polens<br />

<strong>und</strong> Bulgariens<br />

besetzen in<br />

der Nacht zum 21.<br />

NRZ 21.08.<strong>68</strong><br />

8. die CSSR. Am<br />

Nachmittag demonstrieren<br />

3.000 SchülerInnen vor dem Barmer Haus der Jugend. In den nächsten<br />

Tagen kommt es immer wieder zu K<strong>und</strong>gebungen in der Stadt.<br />

30. August<br />

Die ursprünglich bereits für den 24. geplante Gründung des Ortsverbandes der<br />

Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) findet mit 80 Personen im Aktionszentrum<br />

Impuls statt.<br />

12.-16. September, Frankfurt<br />

Auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS werden fünf Mitglieder des traditionalistischen<br />

KP-Flügels - darunter der <strong>Wuppertal</strong>er SDS-Vorsitzende - ausgeschlossen<br />

weil sie gegen die Aktionseinheit des Verbandes vertoßen hatten.<br />

22./23. September<br />

Die APO sprengt mehrere<br />

Vorführungen des kriegsverherrlichenden<br />

Vietnam-Films<br />

»Die grünen<br />

Teufel«. Im Kino kommt<br />

es zu Schlägereien mit<br />

NRZ 24.09.<strong>68</strong><br />

dem Publikum <strong>und</strong> Verhaftungen. Am zweiten Tag der <strong>Protest</strong>e wird der Film aus<br />

dem Programm genommen.<br />

2. Oktober<br />

Die <strong>Wuppertal</strong>er Kreisgruppe der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)<br />

wird gegründet. Ende des Monats sind bereits 280 Mitglieder verzeichnet. In allen<br />

Stadtteilen bestehen Ortsausschüsse, ein Studentenausschuss ist geplant.<br />

8. November<br />

Weil den Vertretern des SDS ein Redebeitrag bei der Immatrikulationsfeier der<br />

Pädagogischen Hochschule versagt wird, initiieren sie eine »Gegenimmatrikulation«.<br />

19. November<br />

Die für den Abend in der Aula des Gymnasiums Sedanstraße geplante Aufführung<br />

des Kölner Kabaretts Floh de Cologne scheitert an massiven <strong>Protest</strong>en aufgebrachter<br />

Lehrer <strong>und</strong> Eltern.<br />

6. Dezember<br />

Nachdem eine ursprünglich in einer<br />

Gaststätte geplante Versammlung der<br />

Rechtsextremen an einen geheimen Ort<br />

verlegt wurde, demonstrieren AntifaschistInnen<br />

vor dem Büro der NPD auf<br />

der Markomannenstraße.<br />

FOTO: NRZ 07.12.<strong>68</strong><br />

12. Dezember<br />

Mitarbeiter des Verfassungsschutzes versuchen, ein Vorstandsmitglied der<br />

Jungsozialisten als V-Mann zum Bespitzeln der linken Szene zu gewinnen. Zu<br />

dem für den 19. Dezember verabredeten Treffen in einer Gaststätte wird ein Reporter<br />

der Neuen Rhein Zeitung bestellt, der den Anwerbeversuch der Schlapphüte<br />

umgehend publik macht.<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

BEWEGTE ZEITEN: EINE CHRONIK DER JAHRE 1967 – 1969 IN WUPPERTAL<br />

1969 schwächt sich die Bewegungsdynamik des Vorjahres deutlich ab. Hier <strong>und</strong> da kommt es noch zu Aktionen, Demonstrationen <strong>und</strong> auch die Ingenieurschulen machen im Frühjahr mit dem vorzeitigen Abbruch des Semesters<br />

noch einmal <strong>von</strong> sich reden. Insgesamt aber geht die APO als breite aktivistische Sammlungsbewegung ihrem Ende entgegen. Symptomatisch: Der Republikanische Club, erst ein gutes Jahr zuvor mit großen Ambitionen an die<br />

Öffentlichkeit getreten, verschwindet im August sang <strong>und</strong> klanglos in der Versenkung. Insbesondere der Wahlkampf des <strong>Jahre</strong>s '69 erweist aber noch einmal als mobilisierender Faktor. Dies bekommt etwa Franz Josef Strauß zu<br />

spüren. Seine Rede auf dem Rathausvorplatz geht in den Sprechchören der DemonstrantInnen unter. Die CDU sieht dies als Beleg für die Existenz <strong>von</strong> »linksradikalen Terrorgruppen« <strong>und</strong> fordert die polizeiliche Überwachung<br />

sämtlicher APO-Gruppen. Vor allem aber ist es die NPD, deren aggressive Wahlveranstaltungen deutschlandweit eine Welle Tumulten auslösen, gegen die sich in <strong>Wuppertal</strong> heftige <strong>Protest</strong>e richten. Der Höhepunkt ist die Gegendemonstration<br />

zu einer NPD-Veranstaltung in der Stadthalle, bei der nicht weniger als 3.000 AntifaschistInnen zeigen, dass Neonazis in <strong>Wuppertal</strong> nicht erwünscht sind.<br />

1969<br />

1. Januar<br />

Zum Abschied <strong>von</strong> 570 B<strong>und</strong>eswehrrekruten am Steinbecker Bahnhof kündigt<br />

die APO <strong>Protest</strong>e <strong>und</strong> Gegenaktionen an. Die bereitstehenden Militärpolizisten<br />

warten vergeblich.<br />

24. Januar<br />

Mit knapper Mehrheit beschließt der Rat der Stadt <strong>Wuppertal</strong>, der NPD keine<br />

Räume für Wahlkampfveranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Auch der DKPnahen<br />

Aktion Demokratischer Fortschritt (ADF) soll der Zugang zu städtischen<br />

Räumen verwehrt bleiben.<br />

11. Februar<br />

Die SDS-Gruppe der Pädagogischen Hochschule lädt zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltungen<br />

zur Frage: »Ist die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland eine<br />

spätkapitalistische oder<br />

eine moderne Industriegesellschaft?«<br />

ein. In der<br />

dreistündigen Diskussion<br />

wird keine Antwort gef<strong>und</strong>en.<br />

13. Februar<br />

In einer Entschließung lehnt die Vollversammlung der Pädagogischen Hochschule<br />

einen Gesetzesentwurf zur Vorbeugehaft kategorisch ab, weil dadurch<br />

eine »Lücke« in der Notstandgesetzgebung geschlossen<br />

werden solle. Die Äußerungen <strong>von</strong> B<strong>und</strong>eskanzler<br />

Kiesinger <strong>und</strong> Innenminister Benda zu den »Studentenunruhen«<br />

würden den Verdacht nahe legen, dass<br />

mit den »Vorbeugungsmaßnahmen« vor allem gegen<br />

politische Demonstranten vorgegangen werden soll.<br />

21. Februar<br />

54 ProfessorInnen, AssistentInnen <strong>und</strong> StudentInnen<br />

der Kirchlichen Hochschule beteiligen sich an einer<br />

<strong>Protest</strong>resolution der ADF gegen die geplante Vorbeugehaft.<br />

NRZ 22.02.69<br />

24. Februar<br />

Das Oberverwaltungsgericht Münster entscheidet, dass die Stadt <strong>Wuppertal</strong><br />

der NPD künftig städtische Räume für Veranstaltungen zur Verfügung stellen<br />

muss. Die Versuche der Stadt, die Neonazis<br />

auf juristischem Weg in private Räume abzudrängen,<br />

sind damit endgültig gescheitert.<br />

1. März<br />

Nach einer K<strong>und</strong>gebung der NPD im »Odin-Palast«<br />

in Barmen blockieren GegendemonstrantInnen<br />

durch einen Sit-in die Abfahrt <strong>von</strong> NPD-<br />

Anhängern. Ein Rechtsradikaler schießt mit einer<br />

Gaspistole auf die DemonstrantInnen.<br />

Zwei Antifaschisten werden verletzt.<br />

3. April<br />

Zwei Aktivisten der SDAJ werden <strong>von</strong> der Firma Dr. Kurt Herberts fristlos entlassen,<br />

weil sie in den »Jugend-Informations-Blättern« auf Mißstände in der<br />

Lehrlingsausbildung aufmerksam gemacht <strong>und</strong> Forderungen zur Abhilfe erhoben<br />

hatten. Nach einem Gespräch mit der Firmenleitung wird ihnen vorgeworfen,<br />

bei ihrer »radikalen Agitation« die »Treuepflicht« gegenüber dem Unternehmen<br />

verletzt zu haben. Die IG Chemie reicht Klage gegen diese Entscheidung<br />

ein.<br />

8.-11. April<br />

Angehörige der DKP demonstrieren<br />

vor dem Zuchthaus<br />

Lüttringhausen für die Freilassung<br />

des ehemaligen KPD-Abgeordneten<br />

Josef »Jupp« Angenfort,<br />

der eine Reststrafe absitzen<br />

soll. Immer wieder<br />

NRZ 11.04.69<br />

NRZ 14.02.69<br />

NRZ 04.03.69<br />

kommt es zu Auseinandersetzungen<br />

mit der Polizei, die eine<br />

»Aufwiegelung« der Insassen befürchtet. Eine für den 11. geplante K<strong>und</strong>gebung<br />

wird verboten. Trotzdem versammeln sich 280 Personen, um für die Freiheit<br />

ihres Genossen zu demonstrieren. Am 25. April wird Angenfort entlassen.<br />

11. April<br />

Die in der <strong>Wuppertal</strong>er Ingenieurschule<br />

für Bauwesen versammelten Angehörigen<br />

des nordrhein-westfälischen Studentenverbandes<br />

der Ingenieurschulen (SVI)<br />

beschließen, das offiziell noch bis zum<br />

28. Juni laufende Semester aus <strong>Protest</strong><br />

gegen das in erster Lesung beschlossene<br />

Fachhochschulgesetz mit sofortiger Wirkung<br />

abzubrechen. Der Ausstand soll so<br />

lange dauern, bis ein akzeptabler Gesetzentwurf vorgelegt wird. Am 14. stimmen<br />

auch die Maschinenbauer mit großer Mehrheit für den Streik <strong>und</strong> am 15.<br />

schließen sich die WerkkunstschülerInnen an.<br />

NRZ 01./02.05.69<br />

29. Juni<br />

30. April<br />

Im Anschluss an die <strong>von</strong> der SDAJ organisierte Demonstration<br />

am Vorabend des 1. Mai kommt es zu<br />

Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nachdem die<br />

1<strong>40</strong> meist jugendlichen TeilnehmerInnen trotz entsprechender<br />

Aufforderung ihren <strong>Protest</strong>zug nicht auflösen,<br />

werden vier DemonstrantInnen brutal verhaftet.<br />

1. Juni<br />

Aufgr<strong>und</strong> des großen Interesses wird Andy Warhols<br />

Film »I - a man« drei mal aufgeführt. Am Nachmittag<br />

im Von-der-Heydt-Museum, am Abend im Aktionszentrum<br />

Impuls. Alle Vorstellungen sind ausverkauft – die<br />

Reaktionen gemischt.<br />

Bei einer Beat-Veranstaltung im Barmer Haus der Jugend werden achtzig Jugendliche<br />

abgewiesen, weil sie keinen Schlips anhaben. Jugendamtleiter Tillmann<br />

klärt später auf, welchen Sinn die rigide Kleiderordnung hat. Eine Krawatte<br />

sei »Ordnungsfaktor für schlichte <strong>und</strong> einfach junge Menschen.«<br />

1. Juli<br />

<strong>Protest</strong>ierende ZuschauerInnen erzwingen den Abbruch eines Dokumentarfilms<br />

zur »Apollo«-Raumfahrtmission der USA im Aktionszentrum Impuls, weil sie<br />

darin »amerikanische Propaganda« vermuten. Gezeigt wird stattdessen der<br />

Aldrich-Film »Ardennen 1944«.<br />

1. August, NRW<br />

In einem Interview erklärt NRW-Innenminister Neuberger, dass zwischen Januar<br />

<strong>19<strong>68</strong></strong> <strong>und</strong> 1. Juli 1969 insgesamt 149 Ermittlungsverfahren gegen 549 Beschuldigte<br />

im Zusammenhang mit Demonstrationen eingeleitet wurden. Da<strong>von</strong><br />

richteten sich vierzig Verfahren gegen 138 Angehörige »radikaler Gruppen« wie<br />

dem SDS wegen Straftaten im Hochschulbereich.<br />

4. August<br />

Die NPD erstattet Anzeige wegen Verleumdung gegen sechs evangelische Pfarrer,<br />

die sich anlässlich einer geplanten K<strong>und</strong>gebung der Rechtsextremen in<br />

Düsseldorf auf einem Flugblatt kritisch über die Partei geäußert hatten. Ein der<br />

sechs ist der an der Kirchlichen Hochschule tätige Pastor Arnold Falkenroth.<br />

17. August<br />

Bei einem <strong>von</strong> der VNN organisierten deutschgriechischen<br />

Solidaritätsmarsch kommt es zu Auseinandersetzungen<br />

zwischen den teilnehmenden<br />

Griechen. Drei Personen werden verletzt.<br />

27. August<br />

Der erst im Mai des Vorjahres gegründete Republikanische<br />

Club <strong>Wuppertal</strong> berät in der ersten Vollversammlung<br />

des <strong>Jahre</strong>s über die Auflösung. Der<br />

Kassenbestand <strong>von</strong> 150,- DM soll Amnesty International<br />

gespendet werden.<br />

Wahlkampfveranstaltung <strong>von</strong> F.J. Strauß in Barmen<br />

FOTO: NRZ 28.08.69 / GERD HENSEL<br />

27. August<br />

Die<br />

Wahlkampfveranstaltung<br />

<strong>von</strong> B<strong>und</strong>esfinanzminister<br />

Franz Josef Strauß auf<br />

dem Rathausvorplatz wird<br />

durch<br />

ununterbrochene<br />

Sprechchöre der DemonstrantInnen<br />

massiv gestört.<br />

Nach einer halben St<strong>und</strong>e<br />

bricht er seine Rede ab.<br />

NRZ 11.04.<strong>68</strong><br />

NRZ 01.08.69<br />

28. August<br />

Die <strong>Wuppertal</strong>er KandiatInnen des linken Wahlbündnisses<br />

Aktion Demokratischer Fortschritt für die B<strong>und</strong>estagswahl<br />

stellen sich der Öffentlichkeit vor. Sie fordern<br />

eine gerechtere Vermögensteilung, Überführung der<br />

Großkonzerne in öffentliche Kontrolle sowie den Verzicht<br />

auf Großmachtspolitik.<br />

3. September<br />

Der <strong>Wuppertal</strong>er CDU-B<strong>und</strong>estagsabgeordnete Dr. Otto<br />

Schmidt bezeichnet die APO auf einer Bürgerversammlung<br />

als »Gruppen <strong>von</strong> Anarchisten« <strong>und</strong> fordert, sie<br />

»scharf unter Beobachtung« zu stellen damit Gewalttaten<br />

<strong>und</strong> Angriffe auf die Verfassung mit »Polizeigewalt«<br />

verhindert werden können.<br />

Demonstration gegen die NPD vor der Stadthalle<br />

FOTO: NRZ 08.09.69 / GERD HENSEL<br />

8. September<br />

7. September<br />

Vor der Stadthalle protestieren 3.000<br />

Menschen gegen eine Veranstaltung<br />

der NPD. Trotz der Abriegelung des<br />

Saales durch die Polizei kommt es während<br />

der Veranstaltung zu Schlägereien<br />

zwischen Neo-Nazis <strong>und</strong> AntifaschistInnen.<br />

25 Personen werden unter<br />

brachialen Gummiknüppeleinsatz der<br />

Polizei festgenommen.<br />

Die 1. Strafkammer des <strong>Wuppertal</strong>er Landesgerichtes verurteilt das NPD-Mitglied<br />

Herbert Wagner wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu<br />

zwei Monaten Haft auf Bewährung. Im März 1966 hatte Wagner bei einer K<strong>und</strong>gebung<br />

der NPD auf die Aussage eines Gegendemonstranten: »Es ist schon<br />

schlimm genug, daß im Dritten Reich sechs Millionen Juden vergast wurden«,<br />

mit der Bemerkung: »Das waren noch zu wenig, dich hat man auch vergessen!«<br />

geantwortet. Mit der Gerichtsentscheidung wurde eine vorherige Verurteilung<br />

zu drei Monaten Gefängnis aufgehoben.<br />

7. Oktober, Ost-Berlin<br />

Eine Delegation »antiautoritärer«<br />

DKP-/SDAJ-Angehöriger aus <strong>Wuppertal</strong><br />

erhält beim »Treffen junger Sozialisten«<br />

in Ost-Berlin wegen ihrer langen<br />

Haare Lokalverbot. Nach einem Flugblatt<br />

(»Glatzköpfe aller Länder, vereinigt<br />

Euch«), das sich kritisch mit diesem<br />

Vorfall auseinandersetzt, wird<br />

den VerfasserInnen der Parteiausschluss<br />

angedroht. Die »Antiautoritären«<br />

spalten sich ab, firmieren zunächst<br />

als Unabhängige SDAJ (US-<br />

DAJ) <strong>und</strong> schließen sich später zur<br />

Gruppe Revolutionäre Sozialistische<br />

Jugend (RSJ) zusammen.<br />

30. Oktober<br />

Der AStA der Ingenieurschule für Maschinenbau kritisiert in einer Presseerklärung<br />

das Verhalten der Dozenten, da diese trotz der Fachhochschulgesetz vorgesehenen<br />

Demokratisierung nicht bereit seien, ihr »autoritäres, hierarchisches<br />

Verhalten« abzulegen. Sie würden den Studierenden ihre »Pseudo-Studienreform«<br />

aufzwingen <strong>und</strong> die »demokratischen Gr<strong>und</strong>regeln« missachten.<br />

Transparent beim »Tag der Wissenschaft« an der der PH<br />

FOTO: NRZ 14.11.69<br />

13. November<br />

Beim einem Podiumsgespräch<br />

Thema<br />

zum<br />

»Bildung<br />

durch Wissenschaft«<br />

der<br />

Studierende<br />

Pädagogischen<br />

Hochschule<br />

Transparenten<br />

mit<br />

am »Tag der Hochschule«<br />

protestierende<br />

gegen<br />

die <strong>und</strong>emokratische<br />

Verfassung der Hochschulen <strong>und</strong> die Ausrichtung der Bildungspolitik.<br />

Auf Transparenten heißt es: »Wissenschaft bleibt großer Krampf ohne Bezug<br />

zum Klassenkampf« - »Wissenschaft zum Volkswohle, nicht zu dem der Monopole«<br />

Wahlbroschüre der ADF<br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>,<br />

Sammlung van Norden<br />

(NDS 221, 3-5)<br />

NRZ 28.10.69<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

DER TOD VON BENNO OHNESORG - REAKTIONEN IN WUPPERTAL<br />

Am 2. Juni 1967 demonstrieren 3.000 Menschen vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin gegen den Besuch des persischen Schahs Mohammed Reza Pahlevi.<br />

Beim Eintreffen des Schahs prügeln Geheimdienstmänner, so genannte »Jubelperser«, unter den Augen der Polizei mit Holzlatten <strong>und</strong> Stahlruten auf die DemonstrantInnen<br />

ein. Am Abend kommt es bei einer weiteren Demonstration vor der Deutschen Oper zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach<br />

Würfen <strong>von</strong> Farbeiern <strong>und</strong> Tomaten geht die Polizei in einem geplanten Einsatz mit äußerster Brutalität gegen die <strong>Protest</strong>ierenden vor. Greiftrupps machen Jagd<br />

auf die flüchtenden DemonstrantInnen. In einem Hinterhof wird der 26-jährige Student Benno Ohnesorg <strong>von</strong> einem Beamten der Politischen Polizei in Zivil <strong>von</strong><br />

hinten erschossen. Der Regierende Bürgermeister Albertz rechtfertigt die Strategie der Polizei später »mit Nachdruck« <strong>und</strong> erklärt die Demonstranten für<br />

schuldig. Der Tod Benno Ohnesorgs <strong>und</strong> die plumpen Vertuschungsversuche der Verantwortlichen lösen eine Welle der Empörung aus, die <strong>von</strong> Berlin schnell<br />

auf die b<strong>und</strong>esdeutschen Universitäten übergreift <strong>und</strong> auch die <strong>Wuppertal</strong>er Hochschulen erfasst.<br />

Trauer <strong>und</strong> Wut in <strong>Wuppertal</strong><br />

Am Montag, den 5. Juni 1967 versammeln sich <strong>40</strong>0 StudentInnen der Pädagogischen<br />

Hochschule zu einer außerordentlichen Vollversammlung <strong>und</strong> stellen sich demonstrativ<br />

hinter die bereits am Vortag verfasste Erklärung des Verbandes der Deutschen<br />

Studentenschaften. Scharf kritisieren sie das Verhalten des Regierenden Bürgermeisters<br />

<strong>von</strong> Berlin <strong>und</strong> der Senatsverwaltung <strong>und</strong> werfen den Verantwortlichen vor, das<br />

»Wir sind empört <strong>und</strong> bestürzt<br />

über die Methoden der Polizei in<br />

Berlin <strong>und</strong> drücken unsere tief<br />

empf<strong>und</strong>ene Anteilnahme über<br />

den Tod des Kommilitonen<br />

Benno Ohnesorg aus.«<br />

AStA <strong>und</strong> Studentenschaft der<br />

Pädagogischen Hochschule<br />

Rheinland/Abteilung <strong>Wuppertal</strong><br />

Solidaritätstelegramm an den AStA der FU<br />

Trauerk<strong>und</strong>gebung am Abend<br />

Nachdem der ursprünglich geplante<br />

Demonstrationszug <strong>von</strong> der Polizei untersagt<br />

wird, versammeln sich um 21<br />

Uhr r<strong>und</strong> 300 StudentInnen aller <strong>Wuppertal</strong>er<br />

Hochschulen zu einer Trauerk<strong>und</strong>gebung<br />

an der Stadthalle. Auf<br />

entrollten Transparenten steht: »Trauer<br />

um unseren erschossenen Kommilitonen<br />

B. Ohnesorg« - »Benno Ohnesorg,<br />

gestorben Juni 1967«.<br />

Auch Teiler der ProfessorInnen sind<br />

erschüttert <strong>und</strong> erklären sich solidarisch.<br />

Bei einer Rede erläutert der<br />

Rektor der Kirchlichen Hochschule,<br />

dass sich die K<strong>und</strong>gebung »gegen die<br />

immer noch bestehende Herrschaft<br />

<strong>von</strong> Unrecht <strong>und</strong> Gewalt« richte <strong>und</strong><br />

Trauerk<strong>und</strong>gebung am 05.06.67<br />

FOTO: General-Anzeiger 06.06.67<br />

brutale Vorgehen der Polizei beim Besuch des<br />

Schahs gezielt zu verschleiern. Gleichzeitig werden<br />

staatsanwaltschaftliche Untersuchungen<br />

<strong>und</strong> politische Konsequenzen gefordert: Die Verantwortlichen<br />

in Berlin sollen <strong>von</strong> ihren Ämtern<br />

zurücktreten.<br />

Während der Versammlung verfassen die <strong>Wuppertal</strong>er<br />

StudentInnen ein Telegramm an den<br />

AStA der Freien Universität, in dem sie die »tief<br />

empf<strong>und</strong>ene Anteilnahme« ausdrücken. Ein weiteres<br />

Telegramm wird an die Witwe des Toten gesendet.<br />

Trauerk<strong>und</strong>gebung am 05.06.67<br />

FOTO: NRZ 06.07.67<br />

Schutz<br />

zum<br />

der<br />

mahnt Anstrengungen<br />

Rechtstaatlichkeit<br />

des Gemeinwesens<br />

<strong>von</strong><br />

»beiden Seiten«<br />

an. Der Vorsitzende<br />

des AStA<br />

der Kirchlichen<br />

Hochschule,<br />

Okko<br />

Herlyn,<br />

ruft seine KommilitonInnen dazu auf, am Tage der Beerdigung, am 9. Juni, den Vorlesungen<br />

fern zu bleiben <strong>und</strong> sich einer <strong>Protest</strong>k<strong>und</strong>gebung anzuschließen. Unmut bei<br />

den Studenten erregt die Entscheidung der Polizei, lediglich dem Direktor der Kirchlichen<br />

Hochschule eine Rede zu gestatten. »Buh«-Rufe richten sich am Ende gegen die<br />

Polizei, die sich mit Pferden <strong>und</strong> H<strong>und</strong>en im Schatten der Stadthalle postiert hatte.<br />

<strong>Protest</strong>marsch am Tag der<br />

Beerdigung<br />

Am Tage der Beerdingung kommen<br />

die <strong>Wuppertal</strong>er StudentInnen noch<br />

einmal zusammen. Gemeinsam mit<br />

<strong>Protest</strong>marsch in Elberfeld, 09.06.67<br />

FOTO: Genral-Anzeiger 09.07.67<br />

Beschäftigten der <strong>Wuppertal</strong>er Bühnen<br />

marschieren 700 StudentInnen <strong>und</strong> SchülerInnen<br />

am Freitagvormittag zum Haspel, wo<br />

auf dem Vorplatz der Werkkunstschule eine<br />

K<strong>und</strong>gebung stattfindet. Während der Demonstration<br />

verteilen die StudentInnen einen<br />

Aufruf an die Bevölkerung, in dem das Verhalten<br />

der Berliner Polizei kritisiert wird. Eindeutig<br />

wird auch auf den Transparenten gegen<br />

mangelnde Freiheit, fehlende Rechtsstaatlichkeit<br />

<strong>und</strong> Willkür der Polizei Stellung bezogen.<br />

»Notwehr oder vorzeitige Anwendung der Notstandsgesetze« heißt es da, oder: »Ohnesorg<br />

starb bei der Ausübung seiner Gr<strong>und</strong>rechte«. Der Dekan der Pädagogischen<br />

Hochschule stellt die <strong>Protest</strong>e<br />

in einen Zusammenhang<br />

mit der politischen<br />

Situation in Deutschland:<br />

»Wenn die parlamentarische<br />

Opposition ermüdet,<br />

wird sich eine außerparlamentarische<br />

bilden müssen,<br />

<strong>und</strong> es ist nicht verw<strong>und</strong>erlich,<br />

wenn diese<br />

Opposition aus der akademischen<br />

Jugend kommt.«<br />

Auch<br />

Studentenvertreter<br />

haben jetzt Gelegenheit,<br />

das Wort zu ergreifen. Gegenüber<br />

der Presse weist der<br />

Trauerk<strong>und</strong>gebung am 05.06.67<br />

FOTO: NRZ 06.07.67<br />

AStA-Vorsitzende der Kirchlichen Hochschule auf die unzureichende Ausbildung der<br />

Polizei hin. Der Pressereferent der Ingenieurschule für Maschinenbau zeigt sich befremdet<br />

über das Verhalten der Polizei während der Trauerk<strong>und</strong>gebung am Montag.<br />

<strong>Protest</strong>marsch in Elberfeld, 09.06.67<br />

FOTO: NRZ 10.06.67<br />

<strong>Protest</strong>k<strong>und</strong>gebung am Tag der Beerdigung, 09.06.67<br />

FOTO: NRZ 10.06.67<br />

Redner auf der K<strong>und</strong>gebung nach dem <strong>Protest</strong>marsch:<br />

Dekan Eckey, Baurat Ohlbrecht <strong>und</strong> Student<br />

Mörsdorf (v.l.n.r.)<br />

FOTO: NRZ 10.06.67<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

»LEDERNACKEN, KOFFER PACKEN!!!« – DIE APO UND DER VIETNAMKRIEG<br />

Kaum ein anderes Thema ist so stark mit der <strong>68</strong>er-Bewegung verb<strong>und</strong>en wie der Krieg der USA in Vietnam. Von Anfang an mobilisiert der <strong>Protest</strong> gegen den<br />

Krieg viele Angehörige der APO <strong>und</strong> der Ruf »Ho, Ho, Ho Chi Minh« ist auf jeder Demonstration zu hören. Die Kritik an der imperialistischen Außenpolitik der<br />

USA spielt dabei eine ebenso große Rolle wie die Solidarität mit der vietnamesischen Bevölkerung <strong>und</strong> die Identifikation mit den Befreiungsbewegungen der so<br />

genannten »Dritten Welt«. Auch in <strong>Wuppertal</strong> bewegt der Krieg die Gemüter. Vor allem ist es die APO, die <strong>von</strong> 1967 bis in die siebziger <strong>Jahre</strong> hinein auf unterschiedliche<br />

Art <strong>und</strong> Weise - mal still, mal laut, aber immer bestimmt - gegen den Krieg Stellung bezieht. Appelle, Solidaritätsbek<strong>und</strong>ungen, Diskussion <strong>und</strong> öffentliche<br />

Kritik gehören dabei ebenso zum Handelungsrepertoire wie Demonstrationen <strong>und</strong> handfeste Interventionen.<br />

Appell an Diplomaten<br />

Schon früh regt sich auf dem »Heiligen Berg«, der Kirchlichen Hochschule, <strong>Protest</strong><br />

gegen den Krieg in Vietnam. Im Sommer 1967 wenden sich fast zwanzig Professoren<br />

<strong>und</strong> Assistenten in einem Offenen Brief mit einem Friedensappell an den amerikanischen<br />

Botschafter in Deutschland.<br />

Ew. Exzellenz!<br />

Mit diesem Brief wenden wir, die unterzeichnenden <strong>Wuppertal</strong>er<br />

Theologen, uns an Sie, um unserer Sorge über die<br />

sich ständig steigernden Kriegshandlungen in Vietnam<br />

<strong>und</strong> das bisherige Scheitern aller Friedensbemühungen<br />

Ausdruck zu verleihen.<br />

Die Friedensaufrufe <strong>und</strong> –vorschläge des Generalsekretärs<br />

der Vereinten Nationen, des Ökumenischen Rates der<br />

Kirchen <strong>und</strong> des Papstes in Rom reden eine eindringliche<br />

<strong>und</strong> deutliche Sprache. Wir stellen uns eindeutig hinter<br />

diese Aufrufe, weil wir meinen nicht mehr schweigen zu<br />

können. Die Bemühungen um Frieden erfordern das Risiko<br />

eines ersten Schrittes <strong>und</strong> Zurückweichens, dessen Kosten<br />

der nicht scheuen darf, der den Frieden ernsthaft will.<br />

Wir wählen für unser Schreiben die Form des offenen<br />

Briefes, weil diese Meinungsäußerung in unserer Öffentlichkeit<br />

bekannt werden <strong>und</strong> andere ähnliche nach sich<br />

ziehen soll. Wir bitten ew. Exzellenz, diese <strong>und</strong> andere Äußerungen<br />

der Sorge <strong>und</strong> des <strong>Protest</strong>es wider den Krieg in<br />

Vietnam der Regierung <strong>und</strong> der Öffentlichkeit des amerikanischen<br />

Volkes in geeigneter Weise bekannt zu machen.<br />

Demonstrationen<br />

Bereits am 21. April 1967 wird anlässlich des Besuchs des amerikanischen Botschafters<br />

George C. McGhee zum ersten Mal gegen den Krieg in Vietnam protestiert. Die<br />

Folge: Ein Handgemenge mit der Polizei, eine Festnahme wegen Widerstands gegen<br />

die Staatsgewalt, Blessuren auf Seiten der DemonstrantInnen, ein Polizist mit gebrochenem<br />

Nasenbein <strong>und</strong> ein gerichtliches Nachspiel. Trotz solchen Erfahrungen wird<br />

immer wieder gegen den Krieg demonstriert. Noch bis die amerikanischen Truppen<br />

1973 geschlagen das Land verlassen, ist der Krieg Anlass zu <strong>Protest</strong>en in <strong>Wuppertal</strong>.<br />

Appell an das Gewissen<br />

Am 28. Januar <strong>19<strong>68</strong></strong> verteilen Studierende der Kirchlichen Hochschule beim Sonntagsgottesdienst<br />

10.000 Flugblätter in dreißig <strong>Wuppertal</strong>er Kirchen, auf denen sie gegen<br />

den Krieg aber auch gegen die Gleichgültigkeit der ChristInnen protestieren. Die<br />

Gläubigen sollen angeregt werden, sich mit dem Krieg <strong>und</strong> der Verantwortung der<br />

Beim Gottesdienst werden Flugblätter verteilt, 28.01.<strong>68</strong><br />

FOTO: NRZ 29.01.<strong>68</strong> / GERD HENSEL<br />

christlichen<br />

Gemeinden<br />

auseinander zu setzen.<br />

Dass sich nur eine Kirchenbesucherin<br />

weigert,<br />

den Text überhaupt zu lesen,<br />

ist schon ein Erfolg.<br />

Als Rudi Dutschke wenige<br />

Wochen zuvor bei einem<br />

Berliner Gottesdienst zum<br />

Vietnam-Krieg<br />

sprechen<br />

wollte, wurde er <strong>von</strong> einem<br />

Besucher<br />

niedergeschlagen.<br />

Vietnam-K<strong>und</strong>gebung am Barmer Rathaus, 21.04.<strong>68</strong><br />

FOTO: NRZ 22.04.<strong>68</strong><br />

Friedensmarsch 1970, 24.05.70<br />

FOTO: NRZ 25.05.70<br />

Interventionen<br />

Für <strong>Protest</strong> sorgt der Vietnam-Krieg im September<br />

Demonstration gegen die Invasion der USA<br />

in Kambodscha, 14.05.70<br />

FOTO: NRZ 15.05.70 / GERD HENSEL<br />

Demonstration gegen die Invasion der USA<br />

in Kambodscha, 14.05.70<br />

FOTO: NRZ 15.05.70 / GERD HENSEL<br />

Informationen<br />

Am 21. Oktober 1967, dem<br />

Internationalen Aktionstag<br />

zur Beendigung des Vietnam-Krieges,<br />

kommt es<br />

weltweit zu Massenk<strong>und</strong>gebungen<br />

<strong>und</strong> <strong>Protest</strong>en gegen<br />

den Krieg. Die <strong>Wuppertal</strong>er<br />

Kampagne für Abrüstung<br />

baut an diesem Tag<br />

auf dem Kerstenplatz einen<br />

Infostand auf. Auch<br />

eine Unterschriftensammlung findet statt. Das <strong>von</strong> Martin Walser gegründete Büro für<br />

Vietnam soll bei seinem Ziel, mindestens 100.000 Unterschriften zu sammeln, unterstützt<br />

werden. Damit soll der B<strong>und</strong>estag dazu bewegt werden, das Thema Krieg endlich<br />

auf die Tagesordnung zu setzen. Zeitweise umringen mehr als einh<strong>und</strong>ert Menschen<br />

diskutierend den Stand <strong>und</strong> in weniger als drei St<strong>und</strong>en kommen r<strong>und</strong> 450 Unterschriften<br />

zusammen.<br />

Unterschriftensammlung auf dem Kerstenplatz, 21.10.67<br />

FOTO: NRZ 23.10.67 / GERD HENSEL<br />

<strong>19<strong>68</strong></strong> auch an einem eher ungewöhnlichen Ort. Im Elberfelder<br />

Kino »Palette« wird der kriegsverherrlichende<br />

Film »Die grünen Teufel« gezeigt. Für die <strong>Wuppertal</strong>er<br />

APO Gr<strong>und</strong> genug zur Intervention. Fünfzig Demonstranten<br />

verschaffen sich am Abend des 22. September<br />

Zugang zur Vorstellung. Zunächst ertönen einzelne<br />

Rufe, dann Sprechchöre: »Mörder«, »Amis raus<br />

aus Vietnam« <strong>und</strong> - natürlich - »Ho, Ho, Ho Chi Minh«.<br />

Es kommt zu wüsten Schlägereien mit dem anwesenden<br />

Publikum <strong>und</strong> einige Anwesende zeigen mit Sprüchen<br />

wie »Vergasen« <strong>und</strong> »Ab ins Arbeitslager« wie<br />

sie zu der Aktion stehen. Eine Schülerin wird an den<br />

Haaren aus den Sitzreihen gezogen. Auch als die Polizei<br />

eintrifft, geht es in diesem Stil weiter. Drei Polizisten misshandeln einen Kriegsgegner,<br />

schleifen ihn durch das Foyer <strong>und</strong> führen ihn ab. Noch am Abend wird bei einem<br />

Go-in im Polizeipräsidium eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Dennoch brechen<br />

die <strong>Protest</strong>e nicht ab. Am nächsten Tag sind die AktivistInnen wieder vor Ort. Als<br />

auch das Schülerparlament die Absetzung des Films verlangt, geben die Besitzer des<br />

Kinos nach <strong>und</strong> beschließen, den Streifen aus dem Programm zu nehmen. Die geplante<br />

Massenaktion vor dem Kino kann ausfallen.<br />

Diskussionen vor dem Kino<br />

FOTO: NRZ 24.09.<strong>68</strong><br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

»GEGEN DIE GESELLSCHAFT DER BLOCKWARTE« – DIE NOTSTANDSGESETZE<br />

Im Januar 1960 gibt Innenminister Gerhard Schröder (CDU) den Entwurf der B<strong>und</strong>esregierung für ein Notstandsgesetz bekannt – <strong>und</strong> löst damit eine Welle <strong>von</strong><br />

<strong>Protest</strong>en aus, die in einer der zentralen Kampagnen der APO in der B<strong>und</strong>esrepublik mündet. Seit Mitte der sechziger <strong>Jahre</strong> werden die Notstandsgesetze auch<br />

in <strong>Wuppertal</strong> kritisch diskutiert. Nach dem Tod Benno Ohnesorgs, der <strong>von</strong> vielen AktivistInnen als Folge eines »nicht erklärten Notstands« betrachtet wird, weiten<br />

sich die <strong>Protest</strong>e aus. Neben dem DGB <strong>und</strong> dem im September 1967 gegründeten Kuratorium Notstand der Demokratie bilden StudentInnen <strong>und</strong> SchülerInnen<br />

den aktiven Kern der Anti-Notstands-Opposition. Im Mai <strong>19<strong>68</strong></strong> - anlässlich der entscheidenden Lesungen des Gesetzes im B<strong>und</strong>estag - erreicht die Kampagne<br />

ihren Höhepunkt.<br />

Der DGB gegen den Notstand<br />

Der <strong>Wuppertal</strong>er DGB, der bereits 1965 <strong>und</strong> 1966<br />

seine ablehnende Haltung erklärt hat, gehört zu<br />

den Hauptinitiatoren der lokalen Opposition gegen<br />

das Gesetzesvorhaben. Am 10. Juni, dem Tag nach<br />

der Beerdigung Ohnesorgs in Hannover, versammeln<br />

sich 1.300 FunktionärInnen der Gewerkschaft<br />

in der Stadthalle <strong>und</strong> erneuern unter dem Eindruck<br />

der Berliner Ereignisse ihr klares »Nein« zu den<br />

Notstandsgesetzen. Die B<strong>und</strong>esrepublik dürfe nicht<br />

zum »Niemandsland einer machtbesessenen Gruppe«<br />

werden. Noch im selben Monat wird ein 25-köpfiger<br />

Ausschuß Notstandsgesetzgebung gebildet,<br />

der sich für die Verteidigung der »Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong><br />

der Prinzipien des Gr<strong>und</strong>gesetzes« einsetzen <strong>und</strong> die<br />

Gewerkschaftsmitglieder über die Pläne der Regierung <strong>und</strong> die möglichen Folgen informieren<br />

will. Mit Beginn des <strong>Jahre</strong>s <strong>19<strong>68</strong></strong> wird auch die Öffentlichkeit in die gewerkschaftliche<br />

Notstandskampagne einbezogen.<br />

Das Kuratorium Notstand der Demokratie<br />

Am 18. September konstituiert sich 1967 das Kuratorium Notstand der Demokratie als<br />

Aktionsbündnis gegen die Notstandgesetzgebung. Im ersten Aufruf erklären die Initiatoren,<br />

dass sie der »weiteren Aushöhlung des Gr<strong>und</strong>gesetzes <strong>und</strong> der weiteren Militarisierung<br />

nicht schweigend zusehen« wollen <strong>und</strong> rufen die <strong>Wuppertal</strong>er Bevölkerung<br />

auf, sich umgehend über »die unsere freiheitlich-demokratische Gr<strong>und</strong>ordnung bedrohenden<br />

Notstandsgesetze« zu informieren. Mit deutlichem Fingerzeig auf die Nazi-<br />

Zeit heißt es: »Niemand<br />

soll sagen können, er<br />

habe nichts gewußt<br />

<strong>und</strong> nichts tun können.«<br />

Zu den Kernaktivitäten<br />

des Vorstands gehört<br />

in den folgenden Wochen<br />

<strong>und</strong> Monaten vor<br />

allem die Organisation <strong>von</strong><br />

Informationsveranstaltungen <strong>und</strong> Diskussionen mit denen die Bevölkerung für das<br />

Thema zu sensibilisiert oder im Idealfall sogar zur einer kritischen Haltung bewegt<br />

werden soll. Die Stellungnahmen des Kuratoriums werden gezielt an ÄrztInnen, LehrerInnen<br />

<strong>und</strong> KünstlerInnen verschickt <strong>und</strong> an den Werktoren <strong>Wuppertal</strong>er Betriebe verteilt.<br />

Nicht ohne Erfolg: Bis Ende des <strong>Jahre</strong>s schließen sich r<strong>und</strong> 150 Menschen - darunter<br />

viele PädagogInnen, GewerkschafterInnen, TheologInnen <strong>und</strong> StudentInnen -<br />

dem Aufruf an <strong>und</strong> erklären sich bereit, im Kuratorium mitzuarbeiten.<br />

Der Höhepunkt der <strong>Protest</strong>e im Mai <strong>19<strong>68</strong></strong><br />

Ihren Höhepunkt findet die <strong>Wuppertal</strong>er Anti-Notstandsbewegung im Mai <strong>19<strong>68</strong></strong> mit der<br />

zweiten <strong>und</strong> dritten Lesung der Gesetze im B<strong>und</strong>estag. Zu einem b<strong>und</strong>esweiten Großereignis<br />

gehört der für den 11. Mai angesetzten<br />

Sternmarsch auf Bonn. In <strong>Wuppertal</strong><br />

beteiligen sich alle namhaften Gruppen der<br />

APO am Organisationskomitee 11. Mai <strong>68</strong>.<br />

Auch die StudentInnen der Pädagogischen<br />

Hochschule beschließen auf einer Vollversammlung<br />

mit überwältigender Mehrheit ihre<br />

Broschüre des DGB zur Notstandsgesetzgebung<br />

QUELLE: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>,<br />

Sammlung van Norden (NDS 221, 3-5)<br />

Das Kuratorium lädt zur Podiumsdiskussion mit den<br />

<strong>Wuppertal</strong>er B<strong>und</strong>estagsabgeordenten<br />

QUELLE: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Sammlung van Norden (NDS 221, 3-5)<br />

Mobilisierung für den Sternmarsch auf Bonn<br />

QUELLE: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Sammlung van Norden<br />

(NDS 221, 3-5)<br />

Teilnahme am Sternmarsch. Obwohl es zunächst<br />

so aussieht, als ob die Demonstrationsaufrufe<br />

nur wenig Resonanz finden,<br />

ist die Mobilisierung beachtlich:<br />

R<strong>und</strong> 800 <strong>Wuppertal</strong>erInnen beteiligen<br />

sich an der Großk<strong>und</strong>gebung im<br />

Bonner Hofgarten. Gleichzeitig mobilisiert<br />

der DGB 15.000 Mitglieder<br />

zu einer K<strong>und</strong>gebung in Dortm<strong>und</strong>.<br />

Schüler diskutieren vor dem Barmer Rathaus, 24.04.<strong>68</strong><br />

FOTO: NRZ 25.05.<strong>68</strong><br />

Während der zweiten Lesung der Notstandsgesetze<br />

(16. Mai) beschließen die<br />

Studierenden der <strong>Wuppertal</strong>er Hochschulen,<br />

sämtliche Lehrveranstaltungen<br />

zu bestreiken. Am Vormittag versammeln<br />

sich die StudentInnen zu einem mehrstündigen<br />

Teach-In <strong>und</strong> am Nachmittag<br />

werden in der Innenstadt Flugblätter an die PassantInnen verteilt. Auch an den Schulen<br />

beginnt die Mobilisierung. Die Schülermitverwaltung der Kaufmännischen Unterrichtsanstalten<br />

organisiert eine Diskussionsveranstaltung<br />

mit den <strong>Wuppertal</strong>er<br />

B<strong>und</strong>estagsabgeordneten <strong>und</strong> am Carl-<br />

Duisberg-Gymnasium findet gegen die<br />

Vorbehalte der Lehrer ein Teach-in statt,<br />

auf dem konkrete Aktionen beraten werden.<br />

Später versammeln sich die SchülerInnen<br />

vor dem Barmer Rathaus, um mit<br />

PassantInnen über die Gesetze zu diskutieren.<br />

Die letzte R<strong>und</strong>e im Widerstand wird mit<br />

der dritten Lesung eingeläutet. Am Abend<br />

Schülerdemonstration in Elberfeld, 29.05.<strong>68</strong><br />

FOTO: General-Anzeiger 29.05.<strong>68</strong><br />

eingeleitet. Schließlich sind es am 29. wieder<br />

SchülerInnen, die auf die Straße gehen. Auf<br />

Initiative der Sozialistischen Schülergemeinschaft<br />

boykottiert ein Teil der OberstufenschülerInnen<br />

den Unterricht <strong>und</strong> demonstriert<br />

ein letztes Mal in der Elberfelder Innenstadt.<br />

Die Transparente der 200 <strong>Protest</strong>ierenden<br />

zeigen an, worum es ihnen geht:<br />

»Schützt die Verfassung vor dem Notstand«<br />

oder noch deutlicher »heute Notstand, morgen<br />

Diktatur«. Die Schulleitungen zeigen<br />

des 27. Mai erhalten die B<strong>und</strong>estagsabgeordneten<br />

Matthes (SPD), Herberts<br />

(SDP) <strong>und</strong> Schmidt (CDU) unerwarteten<br />

Besuch. Am Abend ziehen<br />

120 DemonstrantInnen zu ihren<br />

Wohnungen <strong>und</strong> fordern sie<br />

auf (»Stimmen Sie mit Nein, Herr<br />

Matthes!«), in der entscheidenden<br />

Sitzung gegen die Notstandsgesetze<br />

zu stimmen. Da die K<strong>und</strong>gebung<br />

nicht angemeldet sind, werden<br />

Strafverfahren gegen einige TeilnehmerInnen<br />

deutlich, wie sie zum demokratischen Engagement<br />

stehen. Die beteiligten Schüler erhalten einen Verweis <strong>und</strong> Arrest.<br />

Am 30. Mai wird das »Gesetz zur Änderung des Gr<strong>und</strong>gesetzes« mit großer Mehrheit<br />

im B<strong>und</strong>estag verabschiedet.<br />

Diskussionen <strong>und</strong> Unterschriftensammlung in Barmen<br />

FOTO: NRZ 16.05.<strong>68</strong> / GERD HENSEL<br />

Besuch bei den <strong>Wuppertal</strong>er Abgeordneten, 27.05.<strong>68</strong>,<br />

FOTO: General-Anzeiger 28.05.<strong>68</strong><br />

SchülerInnen-Streik gegen Notstandsgesetze,<br />

29.05.<strong>68</strong><br />

FOTO: General-Anzeiger 30.05.<strong>68</strong><br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

»NIE WIEDER FASCHISMUS« - PROTESTE GEGEN DIE NPD<br />

Die Konfrontation mit der tief in den Nazismus verstrickten Elterngeneration gilt als ein wichtiges, wenn nicht als das zentrale Thema der Acht<strong>und</strong>sechzigerbewegung.<br />

Mindestens genau so große Bedeutung hat aber auch die Auseinandersetzung mit dem seit Ende der fünfziger <strong>Jahre</strong> wieder erstarkenden Rechtsextremismus.<br />

Spätestens nachdem die 1964 gegründete NPD erhebliche Stimmengewinne verzeichnet <strong>und</strong> 1967 sogar in sechs Landesparlamenten vertreten ist,<br />

wird klar, dass der Neofaschismus nicht durch Ignorieren aus der Welt zu schaffen ist. In <strong>Wuppertal</strong> formiert sich früh der Widerstand gegen die Rechtsextremen.<br />

Im März 1966 beteiligen sich bereits 500 Menschen an den <strong>Protest</strong>en gegen die NPD <strong>und</strong> auch für die <strong>Wuppertal</strong>er APO ist der Kampf gegen die NPD ein<br />

wichtiger Bestandteil des politischen Engagements. Wie zuvor zeigen die AktivstInnen auch in den <strong>Jahre</strong>n 1967-69, dass in <strong>Wuppertal</strong> kein Platz für Neo-Nazis<br />

ist.<br />

<strong>Protest</strong>e<br />

Immer, wenn die NPD in <strong>Wuppertal</strong> zu Veranstaltungen aufruft,<br />

kommt es zu <strong>Protest</strong>en <strong>und</strong> Gegenaktionen der APO. Veranstaltungen<br />

werden gestört, Vermietern nahegelegt, den Neo-Nazis<br />

ihre Räumlichkeiten nicht zu vermieten <strong>und</strong> bisweilen können<br />

die Rechtsextremen nur mit Polizeischutz oder mit juristischer<br />

Unterstützung ihre Versammlungen durchführen. Manchmal<br />

noch nicht mal das.<br />

DemonstratenInnen vor dem <strong>Wuppertal</strong>er Hof, 01.05.<strong>68</strong><br />

FOTO: NRZ 03.05.<strong>68</strong> / ANNETTE ZELDLER<br />

Auch als die<br />

NPD am 1.<br />

Mai <strong>19<strong>68</strong></strong> eine<br />

provokante<br />

»Anti-Mai-Feier«<br />

abhalten will, wird dies verhindert.<br />

Während der gewerkschaftlichen<br />

Maik<strong>und</strong>gebung in der Stadthalle<br />

ruft die APO die TeilnehmerInnen<br />

dazu auf, die Veranstaltung der<br />

NPD zu sprengen. Und genau so<br />

kommt es. Angesichts der fünfzig<br />

DemonstrantInnen, die mit Transparenten <strong>und</strong> Plakaten »Keine Freiheit für Neofaschisten«,<br />

»Nie wieder SS-Staat, nie wieder Faschismus« ihr Unverständnis äußern,<br />

zieht der Wirt des Hotels »<strong>Wuppertal</strong>er Hof« seine Zusage zurück.<br />

Konfrontationen<br />

Mit dem dreister werdenden Auftreten der NPD wird auch die Gegenwehr massiver.<br />

Zunehmend werden die Auseinandersetzungen mit größerer Härte geführt <strong>und</strong> oft ist<br />

es nur die Polizei, die verhindert, dass die <strong>Protest</strong>e gegen das Auftreten der neuen<br />

Nazis in Handgreiflichkeiten münden. So auch im Juni <strong>19<strong>68</strong></strong> als die die NPD eine Großveranstaltung<br />

in der Stadthalle plant. Zwar wird die K<strong>und</strong>gebung nach einem wochenlangen<br />

Rechtstreit mit der Stadtverwaltung doch noch per Gerichtsentscheid in letzter<br />

Minute abgesagt, dennoch sind sowohl die AntifaschistInnen als auch die NPD-Anhänger<br />

vor Ort. Bereits die Ansprache des DGB-Vorsitzenden versucht eine Gruppe<br />

Neonazis<br />

mit<br />

»Kommunisten<br />

Raus!«-<br />

Rufen zu stören,<br />

kann aber<br />

abgedrängt<br />

werden.<br />

Vor<br />

der Stadthalle<br />

kommt es zu<br />

ersten Ausei-<br />

nandersetzun-<br />

gen zwischen<br />

AntifaschistInnen<br />

<strong>und</strong> den Rechtsextremen. Nach dem offiziellen Ende der antifaschistischen K<strong>und</strong>gebung<br />

blieben die meisten DemonstrantInnen vor der Stadthalle <strong>und</strong> liefern sich<br />

Sprechduelle mit den Vertretern der NPD. Zunächst kann die Polizei, die mit 200 Mann<br />

<strong>und</strong> einem Wasserwerfer vor Ort ist, das direkte Aufeinandertreffen der Gruppen verhindern.<br />

Schließlich kommt es aber doch zu Schlägereien, als r<strong>und</strong> 200 junge Leute<br />

mit roten Fahnen <strong>und</strong> Transparenten (»Auch für Goebbels war in <strong>Wuppertal</strong> kein<br />

Platz«) nach einem <strong>Protest</strong>zug zum Ort des Geschehens zurückkehren. Berittene Polizei<br />

geht dazwischen <strong>und</strong> der Platz wird geräumt.<br />

NRZ 14.04.<strong>68</strong><br />

Demonstration gegen die NPD vor der Stadthalle in Elberfeld, 05.06.<strong>68</strong><br />

FOTOS: NRZ 06.06.<strong>68</strong><br />

Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt es auch im März 1969. Bei einer<br />

K<strong>und</strong>gebung der NPD im Barmer »Odin-Palast« protestiert die APO gegen die Neo-<br />

Nazis. Bei einem Steinwurf geht die Tür des<br />

Saales kaputt, es fliegen Eier <strong>und</strong> später wird<br />

mit einem Sit-in die Berliner Straße blockiert.<br />

Obwohl die Polizei mit Wasserwerfern <strong>und</strong> etlichen<br />

Mannschaftswagen vor Ort ist, kann<br />

sie nicht verhindern, dass die AktivistInnen<br />

das Auto eines NPD-Mannes umstellen. Der<br />

droht »alle über den Haufen zu schießen«,<br />

kurbelt das Fenster herunter <strong>und</strong> gibt einen<br />

Schuss auf die DemonstrantInnen ab. Zwei Personen<br />

werden durch Gaseinwirkung <strong>und</strong> Patronensplitter verletzt.<br />

Jagdszenen in der Stadthalle<br />

Noch weiter spitzen sich die Auseinandersetzungen um die NPD schließlich auf dem<br />

Höhepunkt des B<strong>und</strong>estagswahlkampfes, im Spätsommer 1969 zu. Die NPD startet<br />

ihre so genannte »Deutschland-Fahrt« <strong>und</strong> will auch in <strong>Wuppertal</strong> Station machen.<br />

Wieder einmal beginnen die Auseinandersetzungen im Vorfeld auf dem juristischen<br />

Parkett. Wieder versucht die NPD, die Entscheidung der Stadt, ihr keine Räume zur<br />

Verfügung zu stellen, vor Gericht anzufechten. Mit Erfolg, diesmal zieht die Stadt den<br />

Kürzeren. Die Veranstaltung findet<br />

wie vorgesehen am 7. September<br />

statt. Letztlich ist es die APO, die der<br />

NPD wirkungsvollen Widerstand entgegensetzt.<br />

Die Bürgerinitiative Stoppt den Neonazismus<br />

ruft die BürgerInnen zum<br />

<strong>Protest</strong> auf <strong>und</strong> mehr als 3.000 DemonstrantInnen<br />

finden sich vor der<br />

Stadthalle ein – eine der größten Demonstrationen,<br />

die <strong>Wuppertal</strong> in den<br />

letzten <strong>Jahre</strong>n erlebt hat. Wie immer<br />

ist auch die Polizei mit einem Großaufgebot<br />

vor Ort. Mit 450 Beamten,<br />

19 H<strong>und</strong>en, 14 Pferden <strong>und</strong> zwei Wasserwerfern wird die Stadthalle abgeriegelt.<br />

Nachdem bereits am Vorabend übel riechende Buttersäure verschüttet wurde, werden<br />

alle Besucher durchsucht <strong>und</strong> verdächtige Personen erst gar nicht in die Stadthalle<br />

gelassen. Die Bilanz: Ein Reagenzglas mit Buttersäure <strong>und</strong> ein feststehendes Messer<br />

werden sichergestellt. Trotzdem kann die Polizei nicht verhindern, dass DemonstrantInnen<br />

in die Halle gelangen <strong>und</strong> die Hetzrede des NPD-Chefs durch Sprechchöre<br />

Antifaschistische DemonstrantInnen vor der Stadthalle, 07.08.69<br />

FOTO: NRZ 12.09.89<br />

<strong>und</strong> Zwischenrufe stören. Als erste Schlägereien entstehen, räumt die Polizei mit Brachialgewalt<br />

den Saal. 25 Personen werden festgenommen. Vor der Halle, so die Polizei,<br />

werfen wütende DemonstrantInnen<br />

Flaschen, Farbbeutel<br />

<strong>und</strong> Steine auf die Beamten. Die<br />

Situation eskaliert endgültig. Es<br />

gibt Verletzte <strong>und</strong> hohen Sachschaden.<br />

Die Szenen jagen auch<br />

neutralen Beobachtern einen<br />

»Schauer des Entsetzens« über<br />

den Rücken <strong>und</strong> noch Tage später<br />

empört sich die Presse über das Vorgehen der Polizei. Die NRZ spricht <strong>von</strong> »menschenunwürdigen<br />

Methoden, mit denen Festgenommene hinterher <strong>von</strong> den Beamten<br />

verbal behandelt wurden«.<br />

Letztlich fällt die Entscheidung über die vorläufige Zukunft der NPD an den Wahlurnen.<br />

Bei der B<strong>und</strong>estagswahl am 28. September erhält die NPD in <strong>Wuppertal</strong> drei Prozent<br />

der Stimmen – weniger als im B<strong>und</strong>esdurchschnitt.<br />

Straßenblockade bei einer Versammlung der NPD,<br />

01.03.69<br />

FOTO: NRZ 03.03.<strong>68</strong> / GERD HENSEL<br />

Polizeieinsatz gegen AntifaschistInnen, 07.09.69<br />

FOTO: NRZ 09.09.69 / GERD HENSEL<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

StudentInnen in Bewegung<br />

Bis in die sechziger <strong>Jahre</strong> hinein spielt Politik bei den <strong>Wuppertal</strong>er Studierenden keine große Rolle. Erst nach der Erschießung Benno Ohnesorgs politisieren<br />

sich die <strong>Wuppertal</strong>er StudentInnen zunehmend. Sie fordern das politische Mandat für die Studentenschaften, setzen sich für die Demokratisierung der Lehranstalten<br />

<strong>und</strong> den Abbau der autoritären Strukturen ein. Viele <strong>von</strong> ihnen beteiligen sich an den <strong>Protest</strong>en gegen den Krieg in Vietnam, die Notstandsgesetze <strong>und</strong><br />

die NPD. Mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenb<strong>und</strong> (SDS) konstituiert sich Ende 1967 zum ersten Mal eine Hochschulgruppe mit klarer gesellchaftspolitischer<br />

Ausrichtung. Parallel dazu verändern sich die Formen der studentischen Auseinandersetzungen: Demonstrationen, Vorlesungsboykott, Go-, Sit- oder<br />

Teach-ins entwickeln sich zu hochschulpolitischen Kampfmitteln ersten Ranges – auch wenn dabei nicht immer um unmittelbare politische Forderungen geht.<br />

Ingenieure im Streik<br />

Obwohl sich die Studierenden der Staatlichen Ingenieurschulen betont unpolitisch geben,<br />

gehen die Veränderungen in der hochschulpolitischen Kultur nicht spurlos an ihnen<br />

vorüber. Im Frühjahr <strong>19<strong>68</strong></strong> entwickelt sich hier eine eigenständige Streikbewegung<br />

gegen das geplante Akademiegesetz. Die Ingenieure fordern mehr Unabhängigkeit<br />

der Ausbildung, umfangreiche Selbstverwaltungsrechte <strong>und</strong> die innere Reformierung<br />

der Ingenieurschulen. Notfalls, so kündigen sie an, wolle man den Forderungen durch<br />

einen »unbefristeten Streik« Nachdruck verleihen. Soweit kommt es aber fürs Erste<br />

<strong>Wuppertal</strong>er Ingenieure auf der K<strong>und</strong>gebung in Düsseldorf,<br />

25.04.<strong>68</strong>. FOTO: NRZ 25.04.<strong>68</strong><br />

nicht. Zunächst beteiligen sich Ende April<br />

700 <strong>Wuppertal</strong>er StudentInnen an der zentralen<br />

Großk<strong>und</strong>gebung in Düsseldorf. Tags darauf<br />

mobilisiert der AStA noch einmal mehr<br />

als 200 <strong>von</strong> ihnen zum Go-in auf den Schreinerswiesen<br />

am Grifflenberg.<br />

Im Mai wird dann gestreikt <strong>und</strong> auch die<br />

WerkkunstschülerInnnen, die ihre Interessen<br />

ebenfalls durch das Akademiegesetz bedroht<br />

sehen, schließen sich an. Weiteren Schwung<br />

entfalten die <strong>Protest</strong>e vier Wochen später bei<br />

der bis dahin größten Demonstration <strong>Wuppertal</strong>er<br />

StudentInnen. Mit Sit-ins legen 800<br />

Ingenieurstudenten <strong>und</strong> Werkkunstschüler<br />

am 11. Juni den Verkehr in Elberfeld gleich zwei Mal lahm. Auf Transparenten <strong>und</strong> mit<br />

Sprechchören fordern sie den Rücktritt <strong>von</strong> Kultusminister Holthof. Angesichts ihrer<br />

Masse stören sie sich weder an den aufgebrachten Autofahrern noch an den wiederholten<br />

Aufforderungen der Polizei,<br />

die Kreuzung zu räumen.<br />

Erst einem starken Polizeiaufgebot<br />

gelingt es, die <strong>Protest</strong>ierenden<br />

abzudrängen. Überzeugt<br />

vom Erfolg ihrer Forderungen<br />

wird die Ausweitung<br />

der Aktion angekündet, der<br />

Streik geht weiter. Eine Woche<br />

später beschließt die Vollversammlung<br />

mit großer Mehrheit<br />

den Prüfungs- <strong>und</strong> Klausurenboykott.<br />

Das Gleiche wiederholt sich ein knappes Jahr später beim <strong>Protest</strong> gegen das Fachhochschulgesetz.<br />

Mitte April 1969 wird das bis Ende Juni dauernde Semester vorzeitig<br />

abgebrochen. Das Studium soll erst wieder aufgenommen werden, wenn ein akzeptabler<br />

Gesetzesentwurf vorliegt. Am 15. treten die 900 Ingenieurstudenten in den<br />

Streik. Einen Tag später folgen, nach turbulenten Diskussionen, die Werkkunstschüler.<br />

Einsicht in das Unvermeidbare oder Sieg der Bürokratie?<br />

Steikstempel der Ingenieurschule für Maschinenbau, April 1969<br />

Quelle: Universitätsarchiv <strong>Wuppertal</strong> (071302000018)<br />

Sit-in der Ingeniere in Elberfeld, die Polizei greift ein, 11.05.<strong>68</strong><br />

FOTO: NRZ 12.06.<strong>68</strong> / GERD HENSEL<br />

Zu diesem Zeitpunkt<br />

befinden sich<br />

in Nordrhein-Westfalen<br />

mehr als vierzig<br />

Hochschulen im<br />

Ausstand. Am 2.<br />

Juli wird das Fachhochschulgesetz<br />

verabschiedet. Zum<br />

1. September soll<br />

mit den Studienreform<br />

<strong>und</strong> der Demokratisierung<br />

der Ingenieurschulen<br />

begonnen<br />

werden.<br />

»Marx an die Uni« - Vom SDS zum Spartakus<br />

Mit dem SDS konstituiert sich im November 1967 an der Pädagogischen Hochschule<br />

zum ersten Mal eine Hochschulgruppe mit einer dezidiert sozialistischen Ausrichtung.<br />

Mit zwölf Mitgliedern ist die Gruppe eine überschaubare Größe <strong>und</strong> mehr als zwanzig<br />

Mitglieder wird der SDS auch in den folgenden <strong>Jahre</strong>n nicht zählen. Trotzdem verändern<br />

sich mit dem SDS die<br />

Kräfteverhältnisse<br />

<strong>und</strong><br />

die Wahl <strong>von</strong> zwei SDS-<br />

Vertretern in den AStA<br />

zeigt deutlich an, dass<br />

Bedarf an politischen Alternativen<br />

besteht.<br />

Politische Ortsbestimmung des SDS <strong>Wuppertal</strong> mit Anmerkungen, April <strong>19<strong>68</strong></strong><br />

Quelle: Universitätsarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Abgabe van Norden (060100020024)<br />

Die VertreterInnen des SDS<br />

setzen konsequent auf Einmischung,<br />

Konfrontation <strong>und</strong><br />

vor allem politische, linke Inhalte.<br />

Die Hochschulen sollen<br />

demokratisiert <strong>und</strong> aus<br />

ihrem Elfenbeinturm geholt<br />

werden. Auf Flugblättern<br />

fordert der SDS Mitbestimmung<br />

bei der Themenauswahl<br />

<strong>und</strong> Gestaltung der<br />

Lehrveranstaltungen, regelmäßige<br />

Teach-ins zu Hochschulfragen,<br />

eine eigenständige<br />

Studiengestaltung, die<br />

politische<br />

Repräsentation<br />

der StudentInnen durch gewählte<br />

VertreterInnen. Neben<br />

alternativen »Gegenvorlesungen«<br />

findet im November<br />

<strong>19<strong>68</strong></strong> sogar eine »Gegenimmatrikulation«<br />

statt, mit<br />

der gegen die »Einschneidung<br />

der studentischen<br />

Rechte« protestiert wird. Auch außerhalb der Hörsäle ist der SDS seinem Selbstverständnis<br />

entsprechend aktiv <strong>und</strong> an den <strong>Protest</strong>en <strong>und</strong> Aktionen der APO beteiligt.<br />

Mit dem seit 1969 unaufhaltsamen Zerfall des SDS auf B<strong>und</strong>esebene geht auch seine<br />

kurze Ära in <strong>Wuppertal</strong> zu Ende. Der Chef des <strong>Wuppertal</strong>er SDS gehört zu den Ersten,<br />

die die Spaltung des Verbandes zu spüren kriegen. Er ist einer der fünf SDS-Mitglieder<br />

des traditionellen KP-Flügels, die im September<br />

<strong>19<strong>68</strong></strong> ausgeschlossen werden.<br />

Dies bedeutet aber nicht das Ende linker Politik<br />

an <strong>Wuppertal</strong>er Hochschulen. Im Gegenteil.<br />

Das Programm »Marx an die Uni« wird vom Anfang<br />

1969 gebildeten Spartakus - Assoziation<br />

Marxistischer Studenten <strong>und</strong> dem daraus hervorgegangenen<br />

Marxistischen Studentenb<strong>und</strong><br />

Spartakus auch zu Beginn der siebziger <strong>Jahre</strong><br />

weiter verfolgt. Mit ihnen ist eine marxistische<br />

Gruppierung dauerhaft in der Studentenschaft<br />

vertreten. Das Innenministerium bezeichnet<br />

<strong>Wuppertal</strong> sogar als eine der Hochburgen des<br />

MSB in Nordrhein-Westfalen.<br />

Zeitung der Spartakus-Gruppe der Pädagogischen Hochschule<br />

<strong>Wuppertal</strong>, Oktober 1970<br />

Quelle: Universitätsarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Abgabe van Norden<br />

(060100020024)<br />

"Briefkopf" des SDS <strong>Wuppertal</strong>, April <strong>19<strong>68</strong></strong><br />

Quelle: Universitätsarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Abgabe van Norden<br />

(060100020024)<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

KUNST, KULTUR, POLITIK - DAS AKTIONSZENTRUM IMPULS<br />

Was in Berlin der Republikanische Club, für die Frankfurter Szene der Club Voltaire, das ist in <strong>Wuppertal</strong> das Aktionszentrum impuls. Im Frühsommer <strong>19<strong>68</strong></strong> entsteht<br />

in der Arrenberger Viehhofstraße 154a das zentrale Kommunikations-, Informations- <strong>und</strong> Kulturzentrum der außerparlamentarischen Bewegung in <strong>Wuppertal</strong>.<br />

In den Räumlichkeiten treffen sich die AktivstInnen der politisch <strong>und</strong> kulturell engagierten Gruppen. Es finden Lesungen, Filmvorführungen, Diskussionen,<br />

Kabarettveranstaltungen statt <strong>und</strong> die Konzerte vieler namhafter Rock-, Jazz- <strong>und</strong> Folk-Größen aus dem In- <strong>und</strong> Ausland erreichen ein breites Publikum.<br />

Seinen Ursprung hat das Ganze bereits <strong>Jahre</strong> früher am Döppersberg. Im 3. Untergeschoss eines Geschäfthauses entsteht 1963 auf Initiative der i.g. jazz der<br />

Club impuls. Gemeinsam mit dem ebenfalls in den Räumen residierenden Schülerparlament <strong>und</strong> der ZEITKUNST-Gesellschaft werden Konzerte, Theater- <strong>und</strong><br />

Kabarett- <strong>und</strong> Diskussionsveranstaltungen organisiert. Schnell entwickelt sich das impuls zum Treffpunkt der freien kulturellen Szene im Tal. Nach Konflikten mit<br />

Nachbarn <strong>und</strong> der Vermieterin folgt die Kündigung. Im Sommer 1967 schließt der Club seine Pforten - um kurz darauf an anderer Stelle wieder zu eröffnen.<br />

Aufruf zur Mitarbeit am Aktionszentrum impuls, QUELLE: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Sammlung van Norden (NDS 221, 3-5)<br />

Zentrum der politischen <strong>und</strong> kulturellen Bewegungen<br />

Nach der Schließung des impuls macht sich ein Aktionsbündnis <strong>von</strong> KünstlerInnen,<br />

StudentInnen, LehererInnen <strong>und</strong> ArbeiterInnen<br />

daran, ein neues kulturelles Zentrum in<br />

<strong>Wuppertal</strong> zu etablieren. In ihrem Gründungsaufruf<br />

wollen die Initiatoren der ZEITKUNST-<br />

Gesellschaft Spenden <strong>und</strong> freiwillige Helfer-<br />

Innen werben. Nach langwieriger Raumsuche<br />

beginnt schließlich der Umbau des Gebäudes<br />

inder Viehhofstraße. Mehr als sechzig<br />

Personen beteiligen an den wochenlangen Renovierungsarbeiten. Im Frühjahr <strong>19<strong>68</strong></strong> ist<br />

es schließlich soweit. Das neue impuls eröffnet seine Pforten. Diesmal als Aktionszentrum.<br />

Der Name zeigt bereits an, dass das Programm ambitioniert ist. Nach <strong>und</strong> nach<br />

sollen im impuls eine Kneipe, ein Veranstaltungsraum, ein Kinosaal <strong>und</strong> ein politischer<br />

Kneipe des impuls im Mai <strong>19<strong>68</strong></strong><br />

FOTO: NRZ 23./24.05.<strong>68</strong><br />

Buchladen entstehen. Allen<br />

Interessierten, so heißt<br />

es im Gründungsaufruf,<br />

sollen die Räume offen stehen.<br />

Eine Schreibmaschine<br />

<strong>und</strong> ein Vervielfältigungsapparat<br />

sind vorhanden,<br />

Informationsmaterial<br />

<strong>und</strong><br />

Zeitungen liegen aus, Veranstaltungen<br />

sollen <strong>von</strong><br />

hier aus geplant <strong>und</strong> durchgeführt werden können. Und genauso kommt es. Nach kurzer<br />

Zeit ist das impuls der Kristallisationspunkt der politischen <strong>und</strong> kulturellen Szene<br />

in <strong>Wuppertal</strong>. Kein Ort ist so wichtig für die Vernetzung <strong>und</strong> Kommunikation wie die<br />

ehemalige Wäscherei auf der Viehhofstraße.<br />

NRZ 07.07.69<br />

schen Anspruch der Kulturschaffenden.<br />

Insbesondere sind es aber die<br />

Musikveranstaltungen, die ein breites<br />

Publikum anziehen. Sämtliche Größen<br />

der internationalen Jazz-, Rock-,<br />

Blues- <strong>und</strong> Folkszene geben sich im<br />

impuls die Klinke in die Hand. Zu den<br />

Highlights gehören etwa die Free-Jazz<br />

Auftritte des renomierten Piere-Favre-<br />

Trios oder der Brötzmann-Group.<br />

Auch der psychodelische Jazzrock<br />

<strong>von</strong> Xhol Caravan <strong>und</strong> die experimentelle<br />

Musik <strong>von</strong> Amon Düül <strong>und</strong> Embryo<br />

machen das impuls zum Forum<br />

Das Programm ist bunt, laut <strong>und</strong> wild <strong>und</strong> hebt sich deutlich <strong>von</strong> dem ab, was in <strong>Wuppertal</strong><br />

sonst geboten wird. Der provokativ-unkonventionelle Happening- <strong>und</strong> Undergro<strong>und</strong>-Charakter<br />

vieler Veranstaltungen, die Vermischung <strong>von</strong> Kultur, Kunst <strong>und</strong> Politik<br />

begeistert die BesucherInnen des impuls ebenso wie sie<br />

manch bürgerliche BeobachterInnen abschreckt. Höhepunkte<br />

sind die Auftritte der Kölner Polit-Kabarettisten Floh<br />

de Cologne. Während allein die Ankündigung ihres Auftritts<br />

an anderen Orten für heftige Reaktionen <strong>und</strong> <strong>Protest</strong>e sorgen,<br />

sind die ZuschauerInnen im impuls begeistert. Wie geplant<br />

finden auch politische Initiativen <strong>und</strong> Gruppierungen<br />

im impuls einen geeigneten Ort für ihre Veranstaltungen.<br />

Das Organisationskomitee 11. Mai <strong>19<strong>68</strong></strong> organisiert <strong>von</strong> hier<br />

aus die Fahrt zur K<strong>und</strong>gebung nach Bonn <strong>und</strong> im Sommer<br />

<strong>19<strong>68</strong></strong> gründet sich im impuls die <strong>Wuppertal</strong>er SDAJ. Diskussionen<br />

zur Chinesischen Kulturrevolution oder die Aufführung<br />

der umstrittenen XSCREEN-Filme zeugen vom politi-<br />

NRZ 15.04.69<br />

musikalischer Innovation. Daneben begeistern auch regionale Größen wie die Düsseldorfer<br />

Free Group oder die <strong>Wuppertal</strong>er Action Issue Blues Band das Publikum.<br />

Nach fünf <strong>Jahre</strong>n ist die Zeit des impuls vorbei. 1973 schließt es endgültig seine Pforten.<br />

Unweit des Aktionszentrums entsteht 1974 mit der börse ein neues sozio-kulturelles<br />

Zentrum für <strong>Wuppertal</strong>.<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

DER REPUBLIKANISCHE CLUB WUPPERTAL E.V.<br />

Im Frühsommer <strong>19<strong>68</strong></strong> (21. Mai) konstituiert sich der Republikanische Club <strong>Wuppertal</strong> als lose Arbeit- <strong>und</strong> Diskussionsgruppe<br />

der außerparlamentarischen Opposition. Die Mitglieder wollen die Öffentlichkeit über wichtige Ereignisse <strong>und</strong> Entwicklungen<br />

der Außen-, Innen- <strong>und</strong> Kommunalpolitik informieren, kritische Diskussionen initiieren <strong>und</strong> sich aktiv in den<br />

politischen Prozess einschalten. In einem ersten R<strong>und</strong>schreiben, der »Republikanischen Erklärung 1«, die am 28. Mai<br />

<strong>19<strong>68</strong></strong> veröffentlicht wird, verpflichtet sich der Club dem »republikanischen Prinzip«, das voraussetzt, dass »alle Bürger<br />

am politischen Prozeß der Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung aktiv teilnehmen.« Die anvisierten »Arbeitsthemen« zeugen<br />

vom breiten inhaltichen Spektrum <strong>und</strong> der politischen Herkunft der AktivistInnen: Bearbeitet werden sollen das Verhältnis<br />

<strong>von</strong> Bürger <strong>und</strong> Staat, die Informationsfreiheit, die Reform des Bildungssystems, die Aktivierung junger Menschen,<br />

Wehrpflicht <strong>und</strong> Kriegsdienstverweigerung, Wege zu einer europäischen Friedensordnung <strong>und</strong> die Zukunft der Republik.<br />

Satzung des Republikanischen Club <strong>Wuppertal</strong><br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Sammlung van Norden (NDS 221, 3-5)<br />

Republikanische Erklärung 1, 28.05.<strong>68</strong><br />

Quelle: Stadtarchiv <strong>Wuppertal</strong>, Sammlung van Norden (NDS 221, 3-5)<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

REAKTIONEN UND REAKTIONÄRE<br />

Der Großteil der <strong>Wuppertal</strong>er Bevölkerung steht den Zielen <strong>und</strong> Aktionen der APO bestenfalls desinteressiert, oft aber ablehnend oder sogar feindlich gegenüber.<br />

Bei Demonstrationen werden die TeilnehmerInnen beschimpft <strong>und</strong> auch tätliche Angriffe <strong>und</strong> Selbstjustiz sind keine Seltenheit. Vor allem aus den Institutionen,<br />

die im Mittelpunkt der antiautoritären Kritik stehen, kommt manch drastische Reaktion. Das politische Engagement der SchülerInnen, vor allem aber die<br />

Forderungen nach Demokratisierung der Schulen, stoßen in den Lehranstalten kaum auf Gegenliebe. Als »Revolte der Gosse« qualifiziert etwa ein Studienrat<br />

des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums das politische Engagement der jungen Generation - <strong>und</strong> offenbart damit mehr über seine eigene Geisteshaltung als über<br />

diejenigen, gegen die sich seine Worte richten. Auch aus der Politik ist man schnell mit drastischen Worten zur Hand, wenn es um die Be- bzw. Verurteilung der<br />

<strong>Protest</strong>e geht. Das Gespenst <strong>von</strong> Aufruhr <strong>und</strong> Anarchie wird gerne beschworen.<br />

Reaktionen aus der Bevölkerung<br />

Die <strong>Protest</strong>- <strong>und</strong> Artikulationsformen der APO sind den meisten <strong>Wuppertal</strong>erInnen<br />

fremd oder werden sogar als direkter Angriff auf das beschauliche Leben der sprießenden<br />

Konsumgesellschaft <strong>und</strong> die freiheitliche Gr<strong>und</strong>ordnung wahrgenommen. Dementsprechend<br />

zeugen die Reaktionen der Bevölkerung oft <strong>von</strong> großer Distanz <strong>und</strong><br />

wenig Verständnis. Eine Passantin, die wenige Wochen nach der Erschießung Benno<br />

Ohnesorgs nach ihrer Einschätzung<br />

zu den allenthalben stattfindenden<br />

Demonstrationen gefragt<br />

wird, antwortet darauf: »Ach, wissen<br />

Sie, ich halte <strong>von</strong> dem ganzen<br />

Kram gar nichts. Die jungen<br />

Bürschchen sollen erst mal den<br />

M<strong>und</strong> halten <strong>und</strong> erst mal richtig<br />

etwas lernen, Uns wäre es früher<br />

auch nicht eingefallen, gegen Gott<br />

Leserbrief, General-Anzeiger 13.06.67<br />

<strong>und</strong> alle Welt zu demonstrieren.<br />

Dabei kommt doch nichts heraus.« Noch drastischer fallen<br />

die Reaktionen in einigen Leserbriefen an den General-Anzeiger aus. Hier wird das<br />

Verhalten der Polizei kritiklos verteidigt<br />

<strong>und</strong> die Schuld an den Ereignissen<br />

den <strong>Protest</strong>ierenden in<br />

die Schuhe geschoben <strong>und</strong> ein<br />

hartes Vorgehen gegen die Studenten<br />

gefordert.<br />

Auch den inhaltlichen Anliegen<br />

der APO stehen viele <strong>Wuppertal</strong>erInnen<br />

eher desinteressiert gegenüber.<br />

So<br />

NRZ 15.05.<strong>68</strong><br />

ungeliebten Gäste mit Hilfe der Polizei vor<br />

die Tür setzt. Nicht fehlen darf auch der<br />

Hinweis: Lasst Euch die Haare schneiden<br />

<strong>und</strong> rasiert Euch!<br />

Auf der selben Linie liegen manche PassantInnen,<br />

die für DemonstratInnen nur ein<br />

dumpfes »Geht doch nach drüben« übrig<br />

haben. Den Gipfel solcher Ausfälle stellen<br />

Bemerkungen wie »Vergasen« oder »Ab<br />

Leserbrief, General-Anzeiger 15.06.67<br />

finden die <strong>Protest</strong>e gegen die Notstandsgesetzgebung<br />

außerhalb des Umfeldes der APO nur wenig Resonanz.<br />

Nicht selten ist die Reaktion: »Für solche Dinge habe<br />

ich keine Zeit« - »Lassen Sie mich doch mit dem Notstands-Kram<br />

in Ruhe« - »Als Frau interessieren mich andere<br />

Dinge«. Das Thema Politikverdrossenheit ist offenk<strong>und</strong>ig<br />

schon in den sechziger <strong>Jahre</strong>n aktuell.<br />

Oftmals bleibt es nicht bei der verbalen Demonstration<br />

<strong>von</strong> Desinteresse <strong>und</strong> Ablehnung. Den Mitgliedern des<br />

Republikanischen Clubs wird der Einlass in ein Lokal<br />

verwehrt, weil sich die anderen Gäste durch die politische<br />

Gespräche gestört fühlen könnten. Allein der Verdacht<br />

genügt,<br />

damit<br />

der Wirt die<br />

Leserbrief, NRZ 27.09.<strong>68</strong><br />

ins Arbeitslager« dar. Sie zeigen, wie stark nazistisches Gedankengut in den sechziger<br />

<strong>Jahre</strong>n noch oder schon wieder in den Köpfen verankert ist.<br />

Wie in anderen Städten hatten die DemonstrantInnen auch mit körperlichen Angriffen<br />

zu rechnen. Beim Sit-in der Ingenieurstudenten im Juni <strong>19<strong>68</strong></strong> versucht ein Autofahrer,<br />

sein Fahrzeug in die <strong>Protest</strong>ierenden zu lenken <strong>und</strong> ein aufgebrachter LKW-Fahrer attackiert<br />

die DemonstrantInnen mit einer Eisenstange. Zuvor hagelte es schon Beschimpfungen.<br />

Einmal mehr heißt es: »Euch sollte man alle vergasen.« Auch im Aktionszentrum<br />

Impuls hat man schon Bekanntschaft mit dem Unverständnis mancher<br />

Zeitgenossen gemacht. Die Metzger<br />

des nahe gelegenen Viehhofs<br />

fangen mehrfach Schlägereien mit<br />

den BesucherInnen an <strong>und</strong> das<br />

Dutschke-Plakat dient als Zielscheibe<br />

für Gläserwürfe.<br />

NRZ 31.05.<strong>68</strong><br />

»Revolte der Gosse«<br />

Harsche Reaktionen kommen auch<br />

aus den Institutionen, gegen die<br />

sich viele <strong>Protest</strong>e richten. Oberstudienrat<br />

Dr. Wilsing vom Wilhelm-<br />

Dörpfeld-Gymnasium nutzt die Abiturfeier<br />

Mai <strong>19<strong>68</strong></strong> zu einer Generalabrechung mit den aufmüpfigen SchülerInnen <strong>und</strong><br />

malt das Schreckensszenario vom Staatszerfall an die Wand. Durch den »revolutionären<br />

Sturm« der Jugend, so seine Befürchtung, könne das »Staatsgebäude ins Wanken«<br />

geraten. »Versäumnisse der Regierung« seien schuld daran, dass sich »Brandstifter«<br />

eingeschlichen hätten <strong>und</strong> das Haus nun lichterloh brenne. Auch die Eltern bekommen<br />

ihr Fett weg: Ihre »Bequemlichkeit«, ihre Weigerung, Grenzen zu setzten, trage<br />

Mitschuld an der »Rebellion«. »Auf das monotone Ja der Väter, folgt jetzt das monotone<br />

Nein der Jugend!« Angesichts solcher Äußerungen w<strong>und</strong>ert nicht, dass auch<br />

die praktischen Reaktionen auf das politisch-demokratische Engagement der Schüler-<br />

Innen bisweilen drastisch ausfallen. Die SchülerInnen,<br />

die sich Ende Mai <strong>19<strong>68</strong></strong> an den Demonstrationen gegen<br />

die Notstandsgesetze beteiligt hatten, werden<br />

wenige Tage später mit Arrest bestraft <strong>und</strong> erhalten<br />

einen offiziellen Verweis. In der Mitteilung eines Direktors<br />

an die Eltern heißt es mit drohendem Unterton:<br />

»Ich bitte Sie sehr darum, dafür Sorge zu tragen, daß<br />

sich derartige Vorkommnisse nicht wiederholen; dann<br />

müßten strengere Maßnahmen getroffen werden.«<br />

NRZ 12.08.69<br />

»Linksradikale Terrorgruppen«<br />

in <strong>Wuppertal</strong><br />

Auch die <strong>Wuppertal</strong>er<br />

CDU demonstriert<br />

deutlich, was sie <strong>von</strong><br />

der APO hält, nämlich<br />

wenig. Nach den Pro-<br />

NRZ 04.09.69<br />

testen gegen den Wahl-kampfauftritt <strong>von</strong> Franz Josef<br />

Strauß glauben die örtlichen Christdemokraten sogar,<br />

es mit »linksradikalen Terrorgruppen« zu tun zu<br />

haben. Die Konsequenz: Der CDU-B<strong>und</strong>estagsabgeordnete<br />

Dr. Otto Schmidt fordert ein härteres Vorgehen<br />

gegen die »radikale Jugend«: »Die APO, vom SDS<br />

über den LSD bis in den SHB hinein – Gruppen <strong>von</strong> Anarchisten<br />

–, müssen ganz scharf unter Beobachtung gestellt werden, um mit Polizeigewalt<br />

zu verhindern, daß hier Gewalttaten <strong>und</strong> Angriffe auf unsere Verfassung geschehen.«<br />

konzept | text | gestaltung<br />

sven steinacker 2008


<strong>Wuppertal</strong> <strong>19<strong>68</strong></strong> -<br />

<strong>Facetten</strong> <strong>von</strong> <strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

im Bergischen Land<br />

PROTEST<br />

Demonstration am Vorabend des 1. Mai 1969<br />

1<strong>40</strong> TeilnehmerInnen, die meisten da<strong>von</strong> Lehrlinge, beteiligen<br />

sich an der <strong>von</strong> der SDAJ organisierten Demonstration<br />

in der Elberfelder Innenstadt. Im Anschluss<br />

kommt es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Vier<br />

Personen werden festgenommen.<br />

Schweigemarsch <strong>Wuppertal</strong>er SchülerInnen am 21.<br />

August <strong>19<strong>68</strong></strong><br />

Nach dem der Einmarsch der sowjetischen Truppen in<br />

der CSSR bekannt wird, demonstrieren 3.000 SchülerInnen<br />

in der Barmer Innenstadt. Auch ihre LehrerInnen,<br />

sonst in der Regel nicht angetan vom politischen Engagement<br />

ihrer SchülerInnen, beteiligen sich an den <strong>Protest</strong>en.<br />

In den nächsten Tagen kommt es immer wieder<br />

zu Demonstrationen.<br />

Demonstration gegen eine K<strong>und</strong>gebung der NPD im<br />

Barmer Odin-Palast am 1. März 1969<br />

Im Anschluss blockieren antifaschistische DemonstrantInnen<br />

die Straße. Ein NPD-Mann schießt mit einer Gaspistole<br />

auf die <strong>Protest</strong>ierenden. Zwei Menschen werden<br />

verletzt.<br />

Demonstration gegen den B<strong>und</strong>estagswahlkampf der<br />

NPD am 7. September 1969<br />

Vor der Stadthalle protestieren 3.000 Menschen. Nachdem<br />

die Rede des NPD-Vorsitzenden durch Sprechchöre<br />

gestört wird <strong>und</strong> es zu Auseinandersetzungen im Saal<br />

kommt, räumt die Polizei in einem brutalen Einsatz die<br />

Halle.<br />

FOTOS: GERD HENSEL<br />

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sven steinacker 2008

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